Lexikon der Rechtsirrtümer
Und warum man nicht immer einen Ausweis dabei haben muss: All das und noch viel mehr erläutert Ihnen Rechtsanwalt Dr. Ralf Höcker in diesem unterhaltsamen Rechtsratgeber! Dr. Höcker räumt auf mit alten Legenden aus dem Reich Justitias, wie:...
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Und warum man nicht immer einen Ausweis dabei haben muss: All das und noch viel mehr erläutert Ihnen Rechtsanwalt Dr. Ralf Höcker in diesem unterhaltsamen Rechtsratgeber! Dr. Höcker räumt auf mit alten Legenden aus dem Reich Justitias, wie:
- Mundraub ist straflos
- Beamtenbeleidigung wird besonders hart bestraft
- Zechprellerei - ein Delikt
- u.v.m.
Lexikonder Rechtsirrtümer von Ralf Höcker
LESEPROBE
Ausweispflicht
Irrtum:
Man mussimmer seinen Personalausweis bei sich tragen.
Richtigist:
Man musszwar einen Personalausweis besitzen,
brauchtihn aber nicht mit sich führen.
In kaum einem deutschen Portemonnaie fehlt derPersonalausweis. Denn schließlich besteht ja Ausweispflicht, und wenn man denAusweis nicht dabei hat, begeht man eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einemBußgeld belegt werden. Oder etwa nicht? Eine Ausweispflicht gibt esin Deutschland tatsächlich. Doch ihre wirkliche Bedeutung wird meistmissverstanden. Ab einem Alter von 16 Jahren muss zwar jeder Deutsche einenPersonalausweis besitzen. Und er muss ihn auch vorlegen, wennBehörden dies verlangen. Kein Gesetz schreibt jedoch vor, dass man seinenAusweis ständig dabeihaben muss. Es genügt völlig, wenn man ihn zumBeispiel zu Hause aufbewahrt. Dort ist er möglicherweise auch besseraufgehoben. Denn jeder weiß, wie aufwendig und ärgerlich es ist, sichgestohlene oder verlorene Ausweispapiere wieder besorgen zu müssen - von derMissbrauchsgefahr durch den Dieb oder unehrlichen Finder ganz zu schweigen. FürPersonalausweise besteht also keine Mitführpflicht.
Anders ist es bei Führerscheinen. Den Führerschein muss mantatsächlich immer dabeihaben, wenn man ein Kraftfahrzeug führt. Geht er verloren,sollte man sich also schnellstmöglich bei der zuständigen Führerscheinstelle einenErsatzführerschein besorgen. Solange der nicht vorliegt, muss man das Fahrzeugstehen lassen.
Beamtenbeleidigung
Irrtum:
Wer einenPolizisten beschimpft, macht sich wegen Beamtenbeleidigung
strafbar.
Richtigist:
Das Deliktder »Beamtenbeleidigung« gibt es nicht.
In derPresse war 2003 zu lesen, der Fußballspieler Stefan Effenberg habe vomAmtsgericht Braunschweig einen Strafbefehl wegen des Delikts der »Beamtenbeleidigung«erhalten. Immerhin 100000 Euro kostete ihn danach die Beschimpfung einesPolizisten bei einer Verkehrskontrolle als »A«.
HerrEffenberg will dagegen »Schönen Abend noch!« zu dem Polizisten gesagt haben. WelcheWorte er wirklich gewählt hat, sei einmal dahingestellt. Fest steht jedoch,dass er mit Sicherheit keinen Strafbefehl wegen »Beamtenbeleidigung« bekommenhat. Denn diesen Straftatbestand gibt es gar nicht. Beamtesind Menschen wie jeder andere auch. Ihre Ehre ist nicht mehr und nicht wenigerschützenswert als die von nicht beamteten Personen. Deshalb macht es auchjuristisch keinen Unterschied, ob man einen Beamten, einen Bäcker oder eineBlumenhändlerin beschimpft. In allen Fällen begeht der Täter das gleiche Delikt- eine ganz gewöhnliche Beleidigung. Der Begriff der »Beamtenbeleidigung« istdaher ebenso unsinnig wie überflüssig. Wenn Herr Effenberg in seinenStrafbefehl blickt, wird er dieses Wort dort nicht vorfinden. Er wird vielmehr nachlesenkönnen, dass ihm schlicht »Beleidigung« vorgeworfen wurde. Die weitverbreitete Fehleinschätzung, es sei besonders verwerflich, einen Beamten zubeleidigen, hat ihre Ursache vermutlich in dem erhöhten Respekt, der Beamten - jedenfallsfrüher einmal - entgegengebracht wurde. Die Beleidigung eines Beamten stellteim Mittelalter die Verletzung eines höheren »persönlichen Sonderfriedens« dar. Vorallem niedere Beamte wie Stadtknechte und Marktschauer waren bei der Ausübungihres Amtes üblen Beschimpfungen ausgesetzt. Davor sollten sie geschützt werden.Wer sie beleidigte, wurde härter bestraft als die Beleidiger von »gewöhnlichen«Personen. Am Leben gehalten wird das Märchen von derBeamtenbeleidigung heute vielleicht auch dadurch, dass Beamte möglicherweiseeher dazu neigen, Beleidigungsdelikte anzuzeigen. Polizeibeamte zum Beispielbefassen sich schon beruflich mit der Verfolgung von Straftaten. Eine Strafanzeigekönnen sie schnell und unproblematisch am Arbeitsplatz selbst abfassen.Außerdem sind sie es heute, die sich im Dienst besonders häufig beschimpfenlassen müssen. All dies zusammengenommen mag bei ihnen zu einer erhöhtenAnzeigenbereitschaft führen, wie auch Herr Effenberg erfahren durfte.
Elternhaften für ihre Kinder
Irrtum:
Elternmüssen haften, wenn ihre Kinder etwas beschädigen.
Richtigist:
Elternhaften nicht für ihre Kinder, sondern nur für ihr
eigenesVerhalten.
Auch wennan fast jedem deutschen Baustellenzaun das Gegenteil zu lesen ist: Elternhaften nicht für ihre Kinder! Denn jeder ist nur für sein eigenesVerhalten verantwortlich. Das gilt auch für Eltern und ihre Kinder. Kinder absieben Jahren müssen Schäden, die sie verschuldet haben, grundsätzlich selbstbezahlen. Wenn das Kind noch keine sieben Jahre alt ist oder es kein Geld hat,hat der Geschädigte Pech. Er kann seinen Schaden nicht ohne weiteres von denEltern ersetzt verlangen. Es gibt also keine »Sippenhaft«!
Wohl abergibt es eine elterliche Aufsichtspflicht. Wie viel Aufsicht nötig ist, hängtvon Alter und Charakter der Kinder ab. In extremen Fällen (beispielsweise beiverhaltensauffälligen Kindern mit hohem Aggressionspotential) kann eineständige, unmittelbare Beobachtung erforderlich sein. Bei älteren undvernünftigeren Kindern genügt dagegen oft schon eine bloße Belehrung übermögliche Gefahren. Wenn ein solches, eigentlich vernünftiges Kind sich danndoch einmal zum Beispiel über das elterliche Verbot hinwegsetzt, auf Baustellenzu spielen, kann den Eltern kein Vorwurf gemacht werden. Sie haben ihreAufsichtspflicht nicht verletzt und sind nicht für Schäden verantwortlich, dieihr Kind dort eventuell anrichtet. Wenn hingegen eine Mutter ihren dreijährigenSohn völlig unbeaufsichtigt mit einem Hammer in der Hand in einem Porzellanladenspielen lässt, verletzt sie ihre Aufsichtspflicht und muss für den Schadenaufkommen, wenn der Junge etwas zerstört. Sie haftet dann jedoch nicht für das Verhaltendes Kindes, sondern für ihre eigene Fahrlässigkeit. Schließlich hätte sie dasUnglück verhindern können, wenn sie ihr Kind beaufsichtigt hätte. Falls dieMutter eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, übernimmt möglicherweisediese den Schaden. Wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht jedoch nichtverletzt haben, müssen natürlich weder sie noch ihre Haftpflichtversicherung fürden Schaden aufkommen. Viele übersehen dies und erleben in der Praxis deshalbzum Teil unliebsame Überraschungen.
Wenn zum Beispiel der kleineMaximilian Tante Erikas teure Vase zerstört hat, will die elterlicheHaftpflichtversicherung wissen, ob Vater und Mutter auf ihr Kind aufgepasst haben.War dies der Fall, so müssen die Eltern der Tante den Schaden nicht ersetzen -und auch die Versicherung muss dann natürlich nichts bezahlen, denn sie springtnur ein, wenn die Eltern eine Zahlungspflicht trifft. Viele Eltern verkennendies. Um (vermeintlich) sicherzugehen, dass ihre Haftpflichtversicherung den Schadenersetzt, wollen sie nicht den Anschein mangelnder Sorgfalt erwecken undbehaupten fälschlicherweise, sie hätten ihr Kind ausreichend überwacht, weilsie befürchten, dass die Versicherung andernfalls nicht für den Schadenaufkommt. Dabei ist es genau andersherum: Tante Erika bleibt gerade dann aufihrem Schaden sitzen, wenn die Eltern ihr Kind die ganze Zeit sorgfältigüberwacht haben. In dem Fall ist ihnen nämlich kein Vorwurf zu machen, denn siekonnten nicht verhindern, dass die Vase zerstört wird. Sie müssen den Schadenalso nicht ersetzen - und ihre Haftpflichtversicherung auch nicht. Zahlen mussallenfalls der kleine Maximilian selbst -, wenn er mindestens sieben Jahre altist. Wenn er in diesem Alter noch kein eigenes Geld hat, kann der Geschädigte ihnverklagen und noch bis zu dreißig Jahre nach Erlass des rechtskräftigen Urteilseine Schadensersatzzahlung von ihm verlangen.
Haben dieEltern hingegen nicht auf ihr Kind aufgepasst, dann haben sie ihreAufsichtspflicht verletzt und somit den Schadenseintritt verschuldet. Wenn sieihr Fehlverhalten der Haftpflichtversicherung gegenüber zugeben, wird dieseTante Erikas Vase ersetzen.
Haftungfür die Garderobe
Irrtum:
FürGarderobe wird nicht gehaftet, wenn der Gastwirt
einentsprechendes Schild aushängt.
Richtigist:
In vielenFällen haften die Gastwirte trotz des obligatorischen
Schildesfür die Garderobe der Gäste.
In kaumeiner Gaststätte fehlt das Schild mit der Aufschrift: »Für Garderobe keineHaftung«. Es ist mindestens genauso bekannt und verbreitet wie das Schild »Eltern haften für ihre Kinder«. Undes ist meistens genauso falsch und überflüssig. Denn nur in wenigen Fällen bringtes dem Gastwirt irgendeinen Vorteil. Wenn der Wirt die Garderobebewacht oder wenn das Bedienungspersonal dem Gast die Garderobe abnimmt und beiVerlassen des Lokals wieder aushändigt, hilft dem Wirt das Schild »FürGarderobe keine Haftung« überhaupt nichts. Nichts anderes gilt, wennder Gast die Garderobe nur an einer Stelle ablegen kann, die für ihn nichteinsehbar ist. In all diesen Fällen kann der Wirt seine Haftungdurch ein solches Schild nicht ausschließen. Wenn der Gast seine Garderobeallerdings an einer Stelle ablegt, die er selbst gut einsehen kann, dann haftetauch nur er selbst. Ob der Gastwirt das Schild »Für Garderobe keine Haftung«aufgehängt hat oder nicht, ist auch dann vollkommen gleichgültig. Er haftet fürdie Kleidung seines unaufmerksamen Gastes mit Schild genauso wenig wie ohne. Nachalledem gibt es nur eine einzige Fallgestaltung, in der es für den GastwirtSinn machen kann, das Schild aufzuhängen: Es gibt Lokale, in denen die Gästedie Garderobe sowohl an einer für sie gut einsehbaren Stelle aufhängen könnenals auch an einer nicht einsehbaren Stelle. Wenn der Gast sich hier freiwilligdafür entscheidet, die Garderobe an einer Stelle abzulegen, an der er sie nichtim Auge behalten kann, dann ist er auch nicht schützenswert. Der Gastwirt kannin diesem Fall seine Haftung für die Garderobe durch einen - gut sichtbaren -Aushang ausschließen. Die Worte »gut sichtbar« sind dabei besonders zubetonen. Denn wenn das Schild so klein ist oder so ungünstig aufgehängt wurde,dass man es erst bei näherem Hinsehen oder Suchen entdeckt, entfaltet esebenfalls keine Rechtswirkung. Das Schild sollte also zum Beispiel nicht durch bereitsaufgehängte Jacken und Mäntel verdeckt werden können.
Taschenkontrollenim Supermarkt
Irrtum:
DasKassenpersonal im Supermarkt hat ein Recht auf
Taschenkontrollen.
Richtigist:
Ein Rechtauf Taschenkontrollen besteht nicht.
Schilder wie diese kann man auch heute noch in manchen Geschäftenlesen: »Sehr geehrte Kunden, wir bitten Sie höflich, Ihre Taschen an derInformation abzugeben. Anderenfalls weisen wir darauf hin, dass wir an derKasse gegebenenfalls Taschenkontrollen durchführen müssen.« Und selbstwenn keine solchen Schilder aushängen, zeigen viele Kunden ihre Taschen an derKasse freiwillig vor, weil sie von einem Kontrollrecht des Supermarktesausgehen. Dabei hat der Bundesgerichtshof (BGH) schon vor Jahren entschieden, dass man solchestichprobenartigen Taschenkontrollen nicht dulden muss. Und zwar auch dannnicht, wenn große Hinweisschilder am Eingang den Kunden darauf hinweisen, dasser mit dem Betreten des Geschäfts die Taschenkontrollen akzeptiert. Natürlichhaben Ladeninhaber ein berechtigtes Interesse daran, sich vor Ladendiebstählenzu schützen. Und natürlich liegt dieser Schutz letztlich auch im Interesse der Allgemeinheit.Denn die Schäden durch Ladendiebstähle werden über höhere Warenpreise auf alleKunden umgelegt. Trotzdem ist eine Taschenkontrolle ein erheblicher Eingriff indas Persönlichkeitsrecht eines Menschen. Selbst die Polizei darf derartigeKontrollen nur dann vornehmen, wenn ein Verdacht auf eine Straftat vorliegt. Wenn alsoein Ladendieb im Supermarkt auf frischer Tat ertappt wird, hat derSupermarktinhaber natürlich das Recht, den Täter festzuhalten und ihn von derherbeigerufenen Polizei durchsuchen zu lassen. Ein eigenes Recht zur Durchsuchungvon Kunden hat er jedoch nicht. Anders lautende Hinweisschilder müssen nichtbeachtet werden. Sie stellen eine unzulässige Allgemeine Geschäftsbedingungdar. Sollte das Supermarktpersonal versuchen, den Kunden zur Duldung einerTaschenkontrolle zu zwingen, so macht es sich unter Umständen selbst wegenNötigung strafbar. Dem Ladeninhaber bleibt daher nichts anderes übrig, alsdie Kunden aufzufordern, größere Taschen an der Information abzugeben und imÜbrigen darauf zu hoffen, dass die Kundschaft ihre Taschen weiterhin»freiwillig« vorzeigt.
© Ullstein Verlag
Ralf Höcker, Jahrgang 1971, LL.M. (London) und Dr. jur., betreibt eine eigene Rechtsanwaltskanzlei in Köln. Er berät Unternehmen und Künstler in Fragen des Medien-, Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrechts. Seit Sommer 2009 ist er Lehrbeauftragter an der Cologne Business School / EUFH Brühl. Wenn Sie Herrn Höcker als Redner buchen möchten, kontaktieren Sie bitte die Econ Referenten-Agentur. Falls Sie sich für eine Lesung interessieren, fragen Sie unser Veranstaltungsteam.
Interview mit RA Dr. jur. Ralf Höcker
Dass Sienun einen zweiten Band mit weiteren "Rechtsirrtümern" vorgelegt haben, zeigt,wie viele Vorurteile und Halbwahrheiten kursieren. Nach welchen Kriterien habenSie die neuen Themen ausgewählt?
DieIrrtümer sollten vor allem alltägliche Relevanz haben. Es ist natürlichbesonders interessant für die Leser, wenn sie z.B. erfahren, wie sie alsVerbraucher in Geschäften mit jahrzehntelang gepflegten rechtlichen Mythen indie Irre geführt werden. Zu nennen sind all die Schilder, auf denen z.B.behauptet wird, dass reduzierte Ware, Ware ohne Originalverpackung oder Ware,zu der der Kassenbon verloren gegangen ist, nicht mehr reklamiert werden kann.In solchen Fällen dienen meine Bücher als Orientierungs- aber auch als praktischeLebenshilfe, denn man kann sie im Geschäft ganz einfach vorlegen und demVerkäufer beweisen, dass man recht hat. Wichtig war mir ansonsten immer, dassein Aha-Effekt beim Leser entsteht. Er soll also ehrlich überrascht von dertatsächlichen Rechtslage sein.
Wiekommt es eigentlich, dass sich so viel Halbwissen verbreitet hat? Schließlichist doch Deutschland ein durch und durch "verrechtlichtes" Land, Prozessierenscheint Vielen schon zum Hobby geworden zu sein.
Diezunehmende Verrechtlichung trägt keineswegs dazu bei, dass wenigerRechtsirrtümer entstehen. Ganz im Gegenteil verwirrt das Gesetzesdickicht vielejuristische Laien noch zusätzlich. Die Ursachen dafür, dass sich Halbwissenverbreitet, sind vielfältig: Zum Teil beruhen Rechtsirrtümer auf simplenTäuschungen - ein Beispiel sind die bereits genannten Schilder in Geschäftenoder auch Schilder wie "Eltern haften für ihre Kinder" an Bauzäunen oder "FürGarderobe keine Haftung" in Gaststätten. All das ist juristischer Unfug, deraufrechterhalten wird, weil die Aufsteller der Schilder einen Vorteil davonhaben, dass jeder der Macht des geschriebenen Wortes glaubt - und sich damitirrt. Zum Teil sehen die Leute auch ganz einfach zu viele amerikanische - oderschlecht bei amerikanischen Vorbildern kopierte deutsche - Fernsehserien.So ist zu erklären, dass selbst im Vorspann deutscher Gerichtsshows Richter mitHämmerchen herumfuchteln, die es tatsächlich nur im angelsächsischen Rechtsraumgibt. Vielfach basteln sich die Menschen auch ihr eigenes Recht. Ein schönesBeispiel sind die zahlreichen "Dreier-Regeln", die es nach Auffassungjuristischer Laien geben soll: Wer drei Nachmieter stellt, komme aus demMietvertrag heraus. Dreimal müsse ein Arbeitnehmer abgemahnt werden, bevor erentlassen werden kann und dreimal habe man den Kellner nach der Rechnung zufragen, bevor man gehen darf, ohne zu bezahlen. All dies ist hanebüchenerUnsinn. Aber offenbar gefallen vielen Menschen simple Rechtsregeln, derenFolgen sie im wahrsten Sinne des Wortes an drei Fingern abzählen können.Schließlich gibt es Rechtsirrtümer, die darauf beruhen, dass die Änderung einerRechtslage sich nicht herumspricht. Ein schönes Beispiel ist die Abgrenzung vonMord und Totschlag. Fast jeder glaubt, ein Mord sei geplant und ein Totschlagpassiere im Affekt. Diese Abgrenzung gibt es jedoch seit 1941 nicht mehr.Seither hat der Unterschied von Mord und Totschlag rein gar nichts mehr mitFaktoren wie Planung und Affekt zu tun. Die meisten von uns befinden sich indieser Frage also auf dem Kenntnisstand unserer Großväter. FalscheVorstellungen sind einfach von Generation zu Generation weiter gegeben worden,und niemand hat sie je hinterfragt.
Sieerläutern juristische Sachverhalte verständlich und sind damit eineAusnahmeerscheinung. Hat das Halbwissen über Recht und Gesetz auch damit zutun, dass sich dieser Bereich sprachlich der allgemeinen Verständlichkeitverschließt? Sind hier auch die Juristen gefordert, die für ihren hermetischenSchreibstil berüchtigt sind?
Der oftsehr komplizierte, abstrakte und blutleere Schreibstil, wie man ihn in vielenGesetzen und vor allem in schlechten Anwaltsschriftsätzen findet, ist in derTat eine Plage. Er verhindert in vielen Fällen den Zugang einer breiterenÖffentlichkeit zum Recht. Juristen sollten wie jeder Mensch einfach, klar undverständlich schreiben.
EinigeIhrer Beispiele sind nahezu haarsträubend: etwa der Glaube, dass ein Polizistohne Mütze keine hoheitlichen Befugnisse hätte. Einmal anders herum gefragt:Fällt Ihnen ein besonders absurder Paragraph aus der juristischen Wirklichkeitein, dessen Existenz kein Laie für möglich halten würde?
Ausgesprochenabsurd ist sicherlich das "Bienenrecht" der §§ 961 bis 964 BGB. Dort ist allenErnstes geregelt, dass ein Imker das Eigentum an seinem Bienenschwarm verliert,wenn alle Bienen einfach wegfliegen. Ausnahme: Er verfolgt sie sofort undsignalisiert so, dass er das Eigentum behalten will. Damit er die Verfolgungauch aufnehmen kann, gibt es ein speziell gesetzlich geregeltesVerfolgungsrecht. Der Bieneneigentümer darf bei seiner Verfolgungsjagd fremdeGrundstücke betreten und sogar die neue Bienenwohnung öffnen und die dortigenWaben herausbrechen, wenn seine Bienen sich auf fremdem Grund neu eingenistethaben.
Sie sindInhaber einer Rechtsanwaltskanzlei. Sind die weit verbreiteten Rechtirrtümereher gut fürs Geschäft, oder erschweren sie die tägliche Arbeit, weil man denMandaten erst einmal den Irrglauben austreiben muss?
Rechtsirrtümerkönnen dafür sorgen, dass Rechtsstreitigkeiten entstehen - z.B., wenn einer derStreitenden sich irrig im Recht fühlt. Andererseits verhindern sie auchStreitigkeiten. Denn wer gar nicht weiß, dass er bestimmte Rechte hat, klagtauch nicht. Diese Effekte dürften sich im Ergebnis gegenseitig aufheben.
Was BastianSick für die deutsche Sprache ist, scheinen Sie für den juristischen Bereichgeworden zu sein. Was sagen die Zuschriften, die Sie bekommen? Haben IhreBücher schon Lesern zu ihrem Recht verholfen?
Ich bekommeviele erfreute Zuschriften von Lesern, die meine Bücher tatsächlich alspraktische Lebenshilfe nutzen und sie z.B. umtauschunwilligen Verkäufernvorlegen und so ihr Recht durchsetzen. Umgekehrt bekomme ich viele unschöneZuschriften von Händlern, die sich über das neue Selbstbewusstsein ihrer Kundenaufregen. Rechtsanwälte schreiben mir oft, dass sie sich über dieAufklärungsarbeit freuen. Auch ihnen gehen bestimmte verbreitete Rechtirrtümer,mit denen sie in ihrer Praxis immer wieder konfrontiert werden, schlicht aufdie Nerven. Meine Bücher haben in solchen Fällen auch eine gewisseVentilfunktion.
Die Fragen stellte Henrik Flor, Literaturtest.
- Autor: Ralf Höcker
- 2004, 332 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548366597
- ISBN-13: 9783548366593
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