Liebe
Dieser reich verflochtene, fast ein Jahrhundert umspannende Roman enthüllt die Geschichte von Bill Cosey. Erzählt wird sie von Frauen verschiedener Generationen. Sie alle sind auf ganz unterschiedliche Weise durch die Liebe zu Bill mit ihm und den anderen...
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Dieser reich verflochtene, fast ein Jahrhundert umspannende Roman enthüllt die Geschichte von Bill Cosey. Erzählt wird sie von Frauen verschiedener Generationen. Sie alle sind auf ganz unterschiedliche Weise durch die Liebe zu Bill mit ihm und den anderen Frauen verbunden: Pfarrerstochter May, ihre Tochter Christine, die junge Heed, Junior und schließlich L., die die Fäden zieht.
Handelt ''Liebe'' von Liebe? Nun, von vielen Formen der Liebe und von dem, was daraus werden kann.
Fünf Frauen zwischen Leidenschaft, Macht und Emanzipation: In einem vielfältigen, fast ein Jahrhundert umspannenden Geflecht erzählt "Liebe" von fünf Frauen, die vom gleichen Mann besessen waren - oder es noch sind: Pfarrerstochter May, Tochter Christine, die junge Heed, Junior und schließlich L., die die Fäden zieht.
Handelt "Liebe" von Liebe? Nun, von vielen Formen der Liebe und von dem, was daraus werden kann.
"Ein großes Buch" (Süddeutsche Zeitung)
Liebe von Toni Morrison
LESEPROBE
Die Beine der Frauen sind weitgeöffnet - und ich summe. Männer werden unruhig, aber sie wissen, es ist allesfür sie. Das macht sie wieder locker. Dabeizustehen, nur zuschauen zu können,ist eine Prüfung, aber ich sage kein Wort. Ohnehin bin ich ein stilles Wesen,von jeher. Als Kind nannte man mich wohlerzogen, als junge Frau diskret. Späterhielt man es für die Weisheit, die mit dem Alter kommt. Heute betrachtet manSchweigen als etwas Seltsames, und die meisten meiner Rasse haben vergessen,wie schön es ist, wenig zu reden und viel zu sagen. Heute plappern die Zungenvon selbst und der Kopf hat Pause. Trotzdem konnte ich mich normal unterhalten,und wenn es nötig war, konnte ich deutlich genug werden, um einen Schoß zuverschließen - oder ein Messer zu stoppen. Vorbei, das alles, denn damals inden Siebzigern, als die Frauen anfingen, breitbeinig auf Stühlen zu sitzen undihr Dreieck beim Tanzen in die Fernsehkameras zu halten, als in denZeitschriften Hinterteile und Innenschenkel den Ton angaben, als bestünde eineFrau aus nichts anderem, damals bin ich für immer verstummt. Ehe die Frauenübereinkamen, sich in der Öffentlichkeit zu spreizen, gab es Geheimnisse -einige, die bewahrt, und einige, die gelüftet werden wollten. Und heute? Nichtsdavon. Schamlosigkeit regiert die Stunde, und ich summe dazu. Die Worte inmeinem Kopf tanzen zur Musik meiner Lippen. Die Menschen kommen herein,bestellen einen Teller Langusten8 fleisch, verbringen ihre Zeit und merken nicht - oder denken sich nichtsdabei -, dass nur sie reden. Ich bin Hintergrundgeräusch - die Filmmusik, dieman hört, wenn das Liebespaar sich zum ersten Mal sieht oder wenn der Ehemanneinsam über den Strand wandert und sich fragt, ob ihn jemand bei der schlimmenTat beobachtet hat, die er sich nicht verkneifen konnte. Mein Summen ermutigtdie Menschen, gibt ihren Gedanken eine Richtung, so wie bei Mildred Pierce, alsihr klar wird, dass sie für ihre Tochter ins Gefängnis gehen muss. Ich vermute,dass meine Musik, so leise sie auch ist, einen ähnlichen Einfluss hat. Wenn«Mood Indigo» über die Wellen klingt, kann das die Art beeinflussen, wie duschwimmst. Du wirst nicht gleich zum Taucher, aber dein Rhythmus kann sichverändern oder du beginnst zu glauben, dass du ein toller Hecht bist und dasGlück gepachtet hast. Warum also nicht noch weiter rausschwimmen? Und noch einbisschen weiter? Was kann die Tiefe dir schon anhaben? Sie ist weit unter dir, siehat doch nichts zu tun mit dem Mut, der angestachelt ist von Trompeten und Pianotasten.Natürlich maße ich mir eine solche Macht nicht an. Mein Summen bleibt meistensunter der Hörschwelle - genau richtig für eine alte Frau, der die Welt peinlichist. Es ist ihre Art, dagegen zu protestieren, zu welchem Ende das Jahrhundertkommt. In dem die Menschen alles wissen und nichts verstehen. Vielleicht war esvon jeher so, aber mir ist erst vor etwa dreißig Jahren aufgegangen, dass esimmer die Prostituierten, die für ihre Ehrlichkeit bewunderten Prostituierten,gewesen sind, die den Stil bestimmt haben. Na ja, vielleicht war es nicht ihreEhrlichkeit; vielleicht war's ihr Erfolg. Aber auch wenn sie breitbeinig aufStühlen sitzen oder halb nackt im Fernsehen tanzen, sind diese Frauen derNeunziger nicht gar so verschieden von den ehrbaren Frauen, die hier in derGegend leben. Dies ist ein Küstenland, feucht und gottesfürchtig, undweiblicher Übermut gründet hier zu tief für knappe Shorts und Tangas oderKameras. Aber ob damals oder heute, ob züchtige Unterwäsche oder gar kei9ne, nie gelang es den wilden Weibern,ihre Unschuld zu verbergen - ihre Kuschelkätzchenhoffnung, dass derMärchenprinz schon auf dem Weg ist. Vor allem die Knallharten mit ihrenKartonmessern und der zotigen Sprache, aber auch die Hochglanzmiezen mit den Cabriosund den Geldtäschchen voller Dope. Selbst diejenigen, die Narben wieTapferkeitsmedaillen tragen und ihre Strümpfe auf die Knöchel runterrollen,können das Zuckerpüppchen, das süße kleine Mädchen nicht verbergen, das sich dairgendwo zwischen ihren Rippen oder unter dem Herzen zusammenrollt. Natürlich habensie alle eine traurige Geschichte zu erzählen: zu wenig Aufmerksamkeit, zu vieloder auf die schlimmste Art und Weise. Eine Erzählung von Unholdvätern undtreulosen Männern, von herzlosen Müttern und Freunden, die ihnen Unrecht taten.In jeder Geschichte findet sich ein Monster, das sie nicht mutig gemacht hat,sondern hart, und so öffnen sie lieber ihre Beine als ihre Herzen, wo sich daszusammengekrümmte Kind versteckt. Manchmal geht der Schnitt so tief, dass keinKlagelied reicht. Dann gibt's nur eins, was hilft, was den Wahnsinn erklärt,der sich anhäuft und alles niederdrückt, der Hass unter den Frauen sät und siedas Leben ihrer Kinder ruinieren lässt - dann hilft nur ein Übel, das von außenkommt. Die Menschen in Up Beach, wo ich her bin, haben von Kreaturen erzählt,die sie Polizeiköpfe nannten - schmutzige Wesen mit großen Hüten, die aus demOzean auftauchten, um liederliche Weiber das Fürchten zu lehren und unfolgsameKinder aufzufressen. Meine Mutter hat sie gekannt, als sie noch ein Mädchen warund die Menschen mit offenen Augen träumten. Dann verschwanden sie für eineWeile, aber seit den vierziger Jahren kehrten sie mit neuen, größeren Hütenzurück, und am Strand passierten Dinge, bei denen die Leute «Schau hin, was habich dir erzählt?» sagten. Zum Beispiel bei dieser Frau, die sich im Sand mitdem Mann ihrer Nachbarin vergnügte und tags darauf in der Fischfabrik, dasHakenmesser noch in der Hand, vom Schlag getroffen wurde. Neunundzwanzig warsie erst. Eine andere Frau - sie lebte drüben in Silk und wollte mit den Leutenvon Up Beach nichts zu schaffen haben -, diese Frau also verbuddelte einesAbends eine Taschenlampe und einen Kaufvertrag am Strand vor dem Haus ihresSchwiegervaters, um am nächsten Morgen festzustellen, dass eine Seeschildkrötealles wieder freigeschaufelt hatte. Die unglückliche Schwiegertochter brachsich das Handgelenk bei dem Versuch, die Winde und den Klan von der Urkunde, diesie gestohlen hatte, fern zu halten. Natürlich sah während der Schande dieserschuldigen Frauen weit und breit niemand irgendwelche Polizeiköpfe, aber ichwusste, dass sie da waren und auch, wie sie aussahen, denn ich hatte sie schon1942 gesichtet, als ein paar starrköpfige Kinder über das Sicherungsseil hinausschwammenund ertranken. Sie waren kaum hinabgezogen worden, da türmten sichGewitterwolken über einer schreienden Mutter und ein paar entsetzensstarrenPicknickmachern, und von einem Lidschlag zum nächsten verwandelten sich dieWolken in Gesichter mit aufgerissenen Mäulern unter breitkrempigen Hüten. Manchehörten ein Donnergrollen, aber ich, das schwöre ich, hörte ein freudigesJauchzen. Seit damals und durch die ganzen Fünfziger lungerten sie über derBrandung oder lauerten über dem Strand, bereit, zur Zeit des Sonnenuntergangsherabzustoßen (der Zeit, wenn das Begehren am brennendsten ist, wenn die Schildkrötenin fremden Nestern räubern und achtlose Eltern schläfrig werden). Natürlichbekommen die meisten Dämonen zur Abendessenszeit Hunger, genau wie wir. Aberdie Polizeiköpfe gingen auch bei Nacht auf Beutezug, vor allem, wenn das Hotel vollwar von Gästen, die trunken waren von der Tanzmusik oder der salzhaltigen Luftoder sich vom sternenüberglänzten Wasser locken ließen. Es war die Zeit, alsCoseys Hotel und Seebad das beste und bekannteste Ferienziel für farbiges Volkan der ganzen Ostküste war. Alle kamen dorthin - Lil Green, Fatha Hines, T BoneWalker, Jimmy Lunceford, die Drops of Joy, und bis rauf nach New York und rübernach Michigan fieberten die Urlauber ihrem Besuch hier unten entgegen. DieSooker Bay wimmelte von Oberleutnants und frisch gebackenen Müttern, von jungenLehrern, Hausbesitzern, Ärzten, Geschäftsleuten. Überall am Strand rittenkleine Kinder auf den Unterschenkeln ihrer Väter und begruben ihre Onkel biszum Hals im Sand. Männer und Frauen spielten Krocket und stelltenBaseballmannschaften auf, deren Ziel es war, einen Home Run in den Wellen endenzu lassen. Großmütter bewachten rote Thermoskannen mit weißen Henkeln und Körbevoller Krabbensalat, Schinken, Hühnchen, Hefezöpfen und, ach ja, mächtigenZitronenkuchen. Doch dann, 1958, zeigten sich die Polizeiköpfe, kühn wie dieBürgerwehr, am hellen Morgen. Ein Klarinettenspieler und seine Braut ertrankenvor dem Frühstück. Der Reifenschlauch, auf dem sie schwammen, schleppte Klumpenvon Barthaar voller Fischschuppen mit sich, als er an Land getrieben wurde. Obdie Braut während der Flitterwochen auf Abwege geraten war, wurde flüsternderwogen, aber niemand wusste etwas Genaues. Gewiss hätte es ihr nicht anGelegenheit gemangelt. In Coseys Seebad gab es mehr gut aussehende undungebundene Männer pro Quadratmeter als irgendwo sonst außerhalb von Atlanta oderselbst Chicago. Sie kamen teils wegen der Musik, überwiegend aber, um am Strandmit schönen Frauen zu tanzen. Nachdem das ertrunkene Paar getrennt war - manbrachte sie in verschiedene Leichenhallen -, hätte man denken können, dass unternehmungslustigeFrauen und schafsköpfige Kinder keiner weiteren Warnung bedurften, weil siejetzt wussten, dass es kein Entrinnen gab: Schnell wie ein Blitz und zu jederTages- oder Nachtstunde konnten die Polizeiköpfe aus den Wellen emporschießen, umvom rechten Weg abirrende Frauen zu bestrafen oder die ungezogenen Jüngsten zuverschlucken. Erst als es mit dem Seebad bergab ging, zogen sie sich zurück,wie Taschendiebe von der Schlange vor der Armenspeisung. Ein paar Fischer, diein den kleinen Buchten immer noch Garnelenkörbe ausbringen, erinnern sichvielleicht an sie, aber Big Bands und Flitterwöchner kommen dabei nicht mehrvor, auch keine Boote, keine Picknicks, keine Schwimmer. Als sich in Sooker Baydas Treibgut auftürmte und Up Beach ersoff, waren Erinnerungen an riesige Hüteund Bärte voller fischiger Schuppen nicht gerade das, was die Leute wollten oderbrauchten. Aber inzwischen sind wir vierzig Jahre weiter, von den Coseys redetkeiner mehr, und für mich vergeht kaum ein Tag, an dem ich mir nicht Sorgen umsie mache. Abgesehen von mir und ein paar Fischerhütten liegt Up Beach zwanzigFuß tief unter Wasser, aber das Hotelgebäude von Coseys Seebad steht nochimmer. Was man so «stehen» nennt. Eigentlich sieht's windschief aus, als kipptees nach hinten - weg von den Hurrikans und dem ständigen Wehen des Sands. Schonkomisch, was die Lage mit Seeblick einem leeren Gebäude antut. Man findet dieschönsten Muschelschalen mitten auf der Treppe, wie verstreute Blütenblätteroder Broschen, die sich von einem Sonntagskleid gelöst haben, und man fragtsich, wie sie dorthin gekommen sind, so weit vom Ozean entfernt. Sandkegel, diesich in Winkeln der Veranda oder zwischen den Balustern des Geländers gebildethaben, sind weißer als der Strand und seidiger, wie doppelt gesiebtes Mehl. Fingerhutwächst hüfthoch um den Aussichtspavillon, und Rosen, die unseren Boden sonstmeiden, wuchern dorniger als Brombeerbüsche mit wochenalten, beeteroten Blüten.Die Holzverschalung der Fassade sieht wie versilbert aus, die abblätterndeFarbe wie Flecken auf einem nicht polierten Teeservice. Die hohe, zweiflügeligeEingangstür ist mit einem Vorhängeschloss versperrt. Bis jetzt hat niemand ihreGlasscheiben eingeschmissen. Niemand brächte das übers Herz, denn in denScheiben spiegelt sich dein eigenes Gesicht und die ganze Aussicht hinterdeinem Rücken: Hektarweit säumt schnittlauchgrünes Gras den blitzenden Strand,dahinter ein Himmel wie im Kino und ein Meer, das sich nichts sehnlicher wünschtals dich. Mag es draußen noch so einsam sein, wenn du ins Innere blickst,scheint das Hotel dir wilde Wonnen zu versprechen und die Gesellschaft allerdeiner besten Freunde. Und Musik. DasSchwingen eines Fensterladens im Scharnier klingt wie das Keuchen einer Trompete; Klavierklänge schweben einenViertelton über dem Wind,sodass du vielleicht den Schmerz überhörst, der durch diese Flure und die verschlossenen Zimmer flutet.
© RowohltTaschenbuch Verlag
Übersetzung:Thomas Piltz
- Autor: Toni Morrison
- 2006, 3. Aufl., 288 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Thomas Piltz
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499237377
- ISBN-13: 9783499237379
- Erscheinungsdatum: 01.03.2006
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