Der faule Henker / Lincoln Rhyme Bd.5
Jeffery Deavers geniales Ermittlerpaar Lincoln Rhyme und Amelia Sachs löst seinen fünften - und mit Abstand spannendsten - Fall: auf den Spuren eines Mörders, dessen Metier das Unmögliche ist.
Qualvoll stirbt ein junges Mädchen in einer New Yorker...
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Jeffery Deavers geniales Ermittlerpaar Lincoln Rhyme und Amelia Sachs löst seinen fünften - und mit Abstand spannendsten - Fall: auf den Spuren eines Mörders, dessen Metier das Unmögliche ist.
Qualvoll stirbt ein junges Mädchen in einer New Yorker Musikschule. Der Täter flieht in einen fensterlosen Probenraum. Drinnen fällt ein Schuss, bevor die Polizei das Zimmer stürmen kann. Es ist leer.
Für Lincoln Rhyme, den gelähmten Ermittler, und seine ambitionierte Partnerin Amelia Sachs ist sofort klar: Es war nicht der letzte Mord dieses Täters. Zu demonstrativ und lustvoll missbraucht er die Tricks großer Magier wie Houdini oder wie David Copperfield, zu schlau sind seine Ablenkungsmanöver.
Und schon nach wenigen Stunden schlägt der Mörder tatsächlich ein zweites Mal zu. Wieder liefert er einen beeindruckenden Beweis seiner Täuschungskunst und lässt die Ermittler ratlos zurück: Was ist Trick, was ist Wirklichkeit?
Die junge Magierin Kara wird als Beraterin hinzugezogen und klärt Lincoln Rhyme über die psychologischen Hintergründe der Illusionswirkung und die Tricks der großen Könner auf: Rhyme und Sachs müssen zuerst den perfiden Plan hinter den vordergründigen Effekten entschlüsseln, um einen letzten grausigen Racheakt zu verhindern. Den akribisch geplanten Höhepunkt in der mörderischen Glanzvorstellung eines psychopathischen Magiers.
Jeffery Deavers geniales Ermittlerpaar löst seinen mit Abstand spannendsten Fall: auf den Spuren eines Mörders, dessen Metier das Unmögliche ist ...
Grausam gefesselt stirbt ein junges Mädchen in einer New Yorker Musikschule. Der Täter verbarrikadiert sich in einem fensterlosen Probenraum. Ein Schuss fällt. Gleich darauf bricht die Polizei die Türen auf - doch das Zimmer ist leer... Für Lincoln Rhyme, den genialen gelähmten Ermittler, und seine Partnerin Amelia Sachs ist sofort klar: Der Mörder wird wieder zuschlagen. Zu gewandt und lustvoll missbraucht er die Tricks von Houdini, Copperfield und Co., zu schlau sind seine Ablenkungsmanöver. Doch Rhyme und Sachs bleibt nur wenig Zeit, das mörderische Phantom zu enttarnen. Denn das furiose Finale steht unmittelbar bevor: der letzte grausige Racheakt eines psychopathischen Magiers ...
Grausam gefesselt stirbt ein junges Mädchen in einer New Yorker Musikschule. Der Täter verbarrikadiert sich in einem fensterlosen Probenraum. Ein Schuss fällt. Gleich darauf bricht die Polizei die Türen auf - doch das Zimmer ist leer... Für Lincoln Rhyme, den genialen gelähmten Ermittler, und seine Partnerin Amelia Sachs ist sofort klar: Der Mörder wird wieder zuschlagen. Zu gewandt und lustvoll missbraucht er die Tricks von Houdini, Copperfield und Co., zu schlau sind seine Ablenkungsmanöver. Doch Rhyme und Sachs bleibt nur wenig Zeit, das mörderische Phantom zu enttarnen. Denn das furiose Finale steht unmittelbar bevor: der letzte grausige Racheakt eines psychopathischen Magiers ...
"Extrem spannend und sprühend vor Energie!" - Val McDermid
"Jeffery Deaver ist brillant!"- Minette Walters
"Deaver schreibt meisterhaft konzipierte Thriller mit intelligenter, messerscharfer Logik." - Publishers Weekly
Der faule Henker von Jeffery Deaver
LESEPROBE
»Zauberkünstler unterscheiden bei ihrer Arbeit fürgewöhnlich zwischen Effekt und Methode. Der Effekt ist, was der Zuschauer zusehen bekommt. Die Methode ist das geheime Verfahren, durch das der Effektentsteht.« Peter Lamont und Richard Wiseman, Magic in Theory
Erster Teil
Effekt
Samstag, 20. April
»Ein erfahrener Zauberkünstler bemüht sich, den Verstand zu täuschen, nichtetwa das Auge.« Marvin Kaye, The Creative Magicians Handbook
Seien Sie gegrüßt, verehrtes Publikum. Herzlich willkommen. Willkommen zuunserer Show.
Es erwartet Sie ein ganz besonderer Nervenkitzel, denn unsere Illusionisten,Zauberer und Taschenspieler werden sich zwei Tage lang nach Kräften bemühen,Ihnen Vergnügen zu bereiten und Sie in ihren Bann zu schlagen. Unsere ersteNummer stammt aus dem Repertoire eines Mannes, von dem jeder schon gehört hat:Harry Houdini, der größte Entfesselungskünstler der Vereinigten Staaten, wennnicht sogar der ganzen Welt, der vor gekrönten Staatsoberhäuptern und amerikanischenPräsidenten aufgetreten ist. Manche seiner Bravourstücke sind dermaßenschwierig, dass sich in all den Jahren seit seinem viel zu frühen Tod niemandmehr an ihre Aufführung gewagt hat.
Wir wollen uns heute an einer Nummer versuchen, bei der akute Erstickungsgefahrbesteht und die als Der Faule Henker bekannt geworden ist.
Der Künstler legt sich dazu auf den Bauch und lässt sich die Arme mitklassischen Darby-Handschellen auf den Rücken fesseln. Dann werden die Füße miteinem Strick verschnürt, und schließlich legt man dem Probanden eineSeilschlinge um den Hals, deren anderes Ende ebenfalls an den Knöchelnbefestigt wird. Da jeder Mensch unwillkürlich versucht, die Beineauszustrecken, zieht die Schlinge sich zu und leitet den furchtbaren Vorgangder Strangulation ein.
Weshalb nennt man dieses Verfahren den »Faulen« Henker? - Weil der Verurteiltesich selbst erdrosselt.
Bei vielen von Mr. Houdinis riskanteren Auftritten waren Assistenten zugegen,um ihn im Notfall mit Messern und Schlüsseln befreien zu können. Oft hielt sichauch ein Arzt bereit. Heute wird es keine dieser Vorsichtsmaßnahmen geben.Falls dem Probanden nicht innerhalb von vier Minuten die Entfesselung gelingt,stirbt er. Wir fangen gleich an aber zuvor noch ein Hinweis: Vergessen Sienie, dass Sie mit dem Besuch unserer Show die Realität hinter sichzurücklassen.
Sie mögen felsenfest überzeugt sein, etwas Bestimmtes zu sehen, und dochexistiert es gar nicht. Etwas anderes halten Sie eventuell für eine Illusion,obwohl es sich um nichts als die erbarmungslose Wirklichkeit handelt. IhrBegleiter könnte sich in unserer Show als vollkommen Fremder erweisen, und einUnbekannter im Publikum weiß vielleicht mehr über Sie, als Sie ahnen. Wassicher scheint, kann tödlich sein. Und die Bedrohungen, gegen die Sie sichwappnen, sind unter Umständen nur ein Ablenkungsmanöver, um Sie in noch größereGefahr zu locken.
Was können Sie hier noch glauben? Wem dürfen Sie vertrauen?
Nun, verehrtes Publikum, die Antwort lautet, dass Sie am besten gar nichtsglauben.
Und Sie sollten niemandem trauen. Absolut niemandem.
Jetzt hebt sich der Vorhang, das Licht wird gedämpft, und die Musik verklingt,so dass nur noch der Herzschlag all jener zu erahnen ist, die in gespannterErwartung verharren. Und unsere Show beginnt
Das Gebäude sah aus, als habe es schon so manches Gespenst beherbergt.
Errichtet im gotischen Stil, schmutzig, finster. Eingezwängt zwischen zweiHochhäusern an der Upper West Side, das Dach mit einer Balustrade und diezahlreichen Scheiben mit Fensterläden versehen. Es stammte aus viktorianischerZeit, hatte einst als Internat gedient und später als Sanatorium, in dem diefür unzurechnungsfähig befundenen Insassen den Rest ihres umnachteten Daseinszubringen mussten.
Die Manhattan School of Music and Performing Arts hätte durchaus auch DutzendenGeistern Unterschlupf gewähren können.
Ein solcher Geist schwebte im Augenblick womöglich über dem warmen Körper derjungen Frau, die bäuchlings in dem dunklen Vorraum eines kleinen Auditoriumslag. Ihre reglosen Augen waren weit aufgerissen, aber noch nicht glasig, unddas Blut auf ihrer Wange hatte sich noch nicht bräunlich verfärbt.
Ihr Gesicht war dunkelblau angelaufen, denn ein straffes Seil verband Hals undFußgelenke.
Um sie herum lagen Notenblätter verstreut, dazu ein Flötenkoffer und ein großerPappbecher von Starbucks. Der Kaffee hatte sich über ihre Jeans und das grüneShirt Marke Izod ergossen. Der Rest der dunklen Flüssigkeit bildete auf demMarmorboden eine schmale Pfütze in gekrümmter Form.
Ebenfalls anwesend war der Mann, der die Frau getötet hatte, sich nun bückteund sie genau in Augenschein nahm. Er ließ sich Zeit und sah keinen Anlass zurEile. Es war Samstag, noch ziemlich früh, und wie er in Erfahrung gebracht hatte,fand in dieser Schule am Wochenende kein Unterricht statt. Einige der Studentennutzten die Übungsräume, aber die lagen in einem anderen Gebäudeflügel. DerMann beugte sich weiter vor, kniff die Augen zusammen und fragte sich, ob erwohl irgendeine Wesenheit erspähen würde, eine Art Seele, die sich von demKörper der Toten löste. Fehlanzeige.
Er richtete sich auf und überlegte, was er mit der leblosen Gestalt vor ihmsonst noch anfangen könnte.
»Und Sie sind sicher, dass da jemand geschrien hat?«
»Ja nein«, sagte der Wachmann. »Es war nicht unbedingt ein Schrei, wissenSie. Jemand hat aufgeregt etwas gerufen. Nur ein oder zwei Sekunden lang. Dannwar es auch schon vorbei.«
Officer Diane Franciscovich, eine Streifenbeamtin vom Zwanzigsten Revier, fragteweiter. »Hat sonst noch jemand etwas gehört?«
Der schwergewichtige Wachmann atmete tief durch, sah die hochgewachsenebrünette Polizistin an, schüttelte den Kopf, ballte die riesigen Pranken zuFäusten und öffnete sie wieder. Dann wischte er sich die dunklen Handflächen anden blauen Hosenbeinen ab.
»Sollen wir Verstärkung rufen?«, fragte Nancy Ausonio, ebenfalls eine jungeBeamtin, aber kleiner als ihre Partnerin und blond.
Eher nicht, dachte Franciscovich, blieb jedoch unschlüssig. Die Streifen indiesem Teil der Upper West Side hatten meistens mit Verkehrsunfällen,Ladendiebstählen und entwendeten Fahrzeugen zu tun (oder mussten diefassungslosen Eigentümer beruhigen). Das hier war neu für sie beide. DerWachmann hatte die zwei Beamtinnen auf ihrer morgendlichen Runde erblickt undsie aufgeregt vom Bürgersteig nach drinnen gewinkt, damit sie ihm helfenwürden, dem Schrei auf den Grund zu gehen. Nun ja, dem aufgeregten Rufen.
»Lass uns damit noch warten«, sagte die ruhige Franciscovich. »Sehen wir erstmal nach.«
»Es klang, als würde es irgendwo aus der Nähe kommen«, sagte der Wachmann.»Keine Ahnung.«
»Gruseliger Schuppen«, warf Ausonio seltsam verunsichert ein. Eigentlich warsie diejenige im Team, die am ehesten in eine tätliche Auseinandersetzungeingreifen würde, selbst wenn die Streithähne doppelt so groß waren wie sieselbst.
»Die Geräusche, Sie wissen schon. Schwer zu sagen, wo die herkommen. VerstehenSie, was ich meine?«
Franciscovich dachte immer noch über die Worte ihrer Partnerin nach. Verdammtgruselig, fügte sie im Stillen hinzu.
Die dunklen Flure schienen endlos, doch es war nichts Außergewöhnliches zuentdecken. Dann blieb der Wachmann stehen.
Franciscovich deutete auf einen Durchgang vor ihnen. »Wohin gehts dortentlang?«
»Da treibt sich bestimmt keiner der Studenten herum. Es ist bloß «
Franciscovich stieß die Tür auf.
Dahinter erstreckte sich ein kleines Foyer, an dessen anderem Ende eine Tür inden Vortragssaal A führte, wie die Aufschrift besagte. Und in der Nähe jener Türlag eine gefesselte junge Frau mit einem Seil um den Hals, die Hände mitHandschellen auf dem Rücken gefesselt. Ihre Augen waren im Tode weitaufgerissen. Ein braunhaariger, bärtiger Mann Anfang fünfzig hockte über ihr.Überrascht blickte er auf.
»Nein!«, rief Ausonio.
»O mein Gott«, keuchte der Wachmann.
Die Beamtinnen zogen ihre Waffen, und Franciscovich war erstaunt, wie ruhigihre Hand blieb, als sie den Fremden anvisierte. »Sie da, keine hastigeBewegung! Stehen Sie langsam auf, gehen Sie von der Frau weg, und nehmen Siedie Hände hoch.« Ihre Stimme war bei weitem nicht so fest wie der Griff, mitdem sie die Glock Automatik umklammerte.
Der Mann kam der Aufforderung nach.
»Legen Sie sich auf den Bauch. Und ich will immer Ihre Hände sehen!«
Ausonio lief auf das Mädchen zu.
In dieser Sekunde bemerkte Franciscovich, dass der Mann die rechte Hand überdem Kopf zur Faust geballt hatte.
»Öffnen Sie «
Puff
Ein gleißender Lichtblitz nahm ihr die Sicht. Er schien direkt aus der Hand desVerdächtigen zu entspringen und hing einen Moment in der Luft, bevor ererlosch. Ausonio erstarrte. Franciscovich duckte sich, wich zurück, kniff dieAugen zusammen und schwenkte die Glock hin und her. Sie geriet in Panik, dennsie wusste, dass der Mörder rechtzeitig die Lider geschlossen hatte und nunebenfalls eine Schusswaffe ziehen oder mit einem Messer auf sie losgehen würde.
»Wo, wo, wo?«, rief sie.
Dann sah sie - nur verschwommen, weil sie immer noch halb geblendet war und derRauch sich ausbreitete -, dass der Täter in den Vortragssaal lief. Er schlugdie Tür hinter sich zu, und man hörte, wie er mit einem Stuhl oder Tisch denZugang blockierte.
Ausonio kniete sich neben die junge Frau, schnitt mit einem SchweizerArmeemesser das Seil durch, rollte sie auf den Rücken, zog ein Einwegmundstückaus der Tasche und versuchte eine Wiederbelebung.
»Gibts noch andere Ausgänge?«, fragte Franciscovich den Wachmann.
»Nur einen da hinten um die Ecke. Auf der rechten Seite.«
»Fenster?«
»Nein.«
»He!«, rief sie Ausonio zu und rannte los. »Pass auf diese Tür auf!«
»Alles klar«, erwiderte die blonde Beamtin und blies einen weiteren Atemzugzwischen die bleichen Lippen des Opfers.
Von drinnen ertönte dumpfes Poltern, als der Mörder sich offenbar gründlicherverbarrikadierte. Franciscovich bog um die Ecke, hielt auf die Tür zu, die derWachmann ihr genannt hatte, und forderte unterdessen über Funk Verstärkung an.Als sie den Kopf hob, entdeckte sie jemanden am Ende des Korridors. Sie bliebabrupt stehen, visierte die Brust des Mannes an und richtete den hellen Strahlihrer Halogenlampe auf ihn.
»Um Gottes willen«, krächzte der ältliche Hauswart und ließ seinen Besenfallen.
Franciscovich war froh, dass sie den Finger nicht um den Abzugsbügel der Glockgelegt hatte. »Ist jemand aus dieser Tür gekommen?«
»Was ist denn los?«
»Haben Sie jemanden gesehen?«, rief Franciscovich.
»Nein, Maam.«
»Wie lange sind Sie schon hier?«
»Ich weiß nicht. Zehn Minuten oder so.«
Aus dem Innern des Raums war erneut Lärm zu vernehmen, weil der Täter immermehr Mobiliar auftürmte. Franciscovich schickte den Hauswart zu dem Wachmannins Foyer und näherte sich vorsichtig der Seitentür. Mit schussbereitausgestreckter Waffe drehte sie langsam den Knauf. Es war nicht abgeschlossen.Sie trat beiseite, um nicht in der Schusslinie zu stehen, falls der Mann durchdas Holz feuerte. Diesen Trick hatte sie bei NYPD Blue gesehen. Vielleichthatte auch einer der Ausbilder auf der Akademie davon gesprochen.
Wiederum Poltern von drinnen.
»Nancy, hörst du mich?«, flüsterte Franciscovich in ihr Funkgerät.
Ausonio meldete sich mit zitternder Stimme. »Sie ist tot, Diane. Ich habsversucht, aber sie ist tot.«
»Hier entlang ist er nicht geflohen. Er ist immer noch da drinnen. Ich kann ihnhören.« Stille.
»Ich habs versucht, Diane. Ich habs versucht.«
»Vergiss es. Komm schon. Ist bei dir alles klar? Ist alles klar?«
»Ja, alles okay. Ehrlich.« Die Stimme der Beamtin wurde eisig. »Holen wir ihnuns.«
»Nein, wir bewachen diese Ausgänge, bis die ESU eintrifft«, sagteFranciscovich. Die Emergency Services Unit war das Sondereinsatzkommando derNew Yorker Polizei.
»Das ist alles. Halt die Stellung, und bleib von der Tür weg. Rühr dich nichtvom Fleck.«
In diesem Moment hörte sie den Mann von drinnen rufen: »Ich habe eine Geisel.Ich habe ein Mädchen bei mir. Falls ihr versucht, hier einzudringen, bringe ichsie um.«
O Gott
»He, Sie da drinnen!«, rief Franciscovich. »Niemand versucht hier irgendwas.Keine Angst. Tun Sie bloß niemandem mehr weh.« Entsprach das dervorgeschriebenen Verfahrensweise?, grübelte sie. Weder irgendeine Fernsehserienoch ihre Ausbildung waren ihr in diesem Punkt von Nutzen. Sie hörte, wieAusonio Kontakt zur Zentrale herstellte und meldete, dass sie es mittlerweilemit einem verschanzten Geiselnehmer zu tun hatten.
»Bleiben Sie ruhig!«, rief Franciscovich dem Mörder zu. »Sie können «
Drinnen ertönte ein ohrenbetäubend lauter Schuss. Franciscovich zucktezusammen. »Was ist los? Warst du das?«, rief sie ins Funkgerät.
»Nein«, entgegnete ihre Partnerin. »Ich dachte, du seist das gewesen.«
»Nein, es war dieser Kerl. Bei dir alles in Ordnung?«
»Ja. Er hat von einer Geisel gesprochen. Glaubst du, er hat sie erschossen?«
»Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen?«
Und wo, zum Teufel, bleibt die Verstärkung?, fügte Franciscovich in Gedankenhinzu.
»Diane«, flüsterte kurz darauf Ausonio. »Wir müssen da rein. Vielleicht ist sieverletzt.« Dann rief sie: »He, Sie da drinnen!« Keine Antwort. »He!«
Nichts.
»Womöglich hat er sich umgebracht«, sagte Franciscovich.
Oder er will, dass wir genau das glauben, und wartet nur darauf, dass jemandsich ihm als Zielscheibe präsentiert.
Dann sah sie wieder dieses schreckliche Bild vor sich: Die altersschwache Türzum Foyer schwang auf, und fahles Licht fiel auf das Opfer, dessen Gesicht soblau und kalt wie ein Wintertag schien. Franciscovich war in erster Liniedeswegen Polizistin geworden, weil sie solche Taten verhindern wollte.
»Wir müssen da rein, Diane«, flüsterte Ausonio.
»Das sehe ich auch so. Okay. Wir gehen rein.« Sie klang ein wenig hektisch,denn sie dachte im selben Moment an ihre Familie und daran, wie sie mit derLinken die rechte Schusshand abstützen musste, um die Automatikpistole sicherin Anschlag zu bringen. »Sag dem Wachmann, dass wir im Saal Licht brauchen.«
Es dauerte einen Augenblick, dann meldete Ausonio sich zurück. »DieBeleuchtungstafel ist hier draußen. Auf mein Signal schaltet er ein.«Franciscovich hörte über Funk einen tiefen Atemzug. »Ich bin so weit«, sagteAusonio dann. »Auf drei. Du zählst.«
»Okay. Eins Halt! Von dir aus gesehen befinde ich mich auf zwei Uhr. Erschießmich nicht.«
»Okay. Zwei Uhr. Und ich bin «
»Du bist links von mir.«
»Mach weiter.«
»Eins.« Franciscovich packte mit der linken Hand den Knauf. »Zwei.«
Diesmal legte sie den Finger um den Abzug der Waffe und strich behutsam überden dort integrierten Sicherungshebel - eine Besonderheit des HerstellersGlock.
»Drei!«, rief Franciscovich so laut, dass ihre Partnerin es auch ohne dasFunkgerät gehört haben durfte. Sie riss die Tür auf und sprang in den großenrechteckigen Raum vor. Im selben Moment wurde die grelle Beleuchtungeingeschaltet.
»Keine Bewegung!«, schrie sie - doch es war niemand da.
Sie ging in die Hocke, schwenkte die Waffe hin und her und suchte jedenZentimeter des Saals ab. Ihre Haut kribbelte vor Anspannung.
Keine Spur von dem Mörder, keine Spur von einer Geisel.
Sie schaute nach links zu dem anderen Eingang, wo Nancy Ausonio stand undebenfalls fieberhaft den Raum absuchte. »Wo?«, flüsterte die Frau.
Franciscovich schüttelte den Kopf. Sie registrierte ungefähr fünfzig hölzerneKlappstühle in ordentlichen Reihen. Vier oder fünf lagen auf dem Rücken oderder Seite, nicht etwa zu einer Barrikade aufgetürmt, sondern als habe man sieachtlos umgeworfen. Zur Rechten befand sich eine niedrige Bühne, auf der einVerstärker, zwei Lautsprecher und ein ramponierter Konzertflügel standen.
Die jungen Beamtinnen konnten nahezu alles im Raum sehen.
Nur nicht den Täter.
»Was ist passiert, Nancy? Was hat das zu bedeuten?«
Ausonio antwortete nicht. Genau wie ihre Partnerin blickte sie sich hektischnach allen Seiten um, suchte jeden Schatten und jedes Möbelstück ab, obwohl derMann eindeutig nicht hier war.
Gruselig
Bei dem Saal handelte es sich im Wesentlichen um einen geschlossenen Kubus ohneFenster. Die Schächte der Klimaanlage und Heizung waren lediglich fünfzehnZentimeter breit. Eine Holzdecke, keine Akustikvertäfelung. Keine erkennbarenFalltüren. Nur zwei Zugänge führten hinein: der Haupteingang, den Ausoniobenutzt hatte, und die Brandschutztür, durch die Franciscovich eingetreten war.
Wo?, formte Franciscovich unhörbar mit den Lippen.
Ihre Partnerin antwortete auf gleiche Weise. Die Polizistin konnte die Wortenicht ablesen, aber Ausonios Miene sprach Bände: Ich habe nicht die geringsteAhnung.
»He«, rief eine laute Stimme an der Tür. Sie wirbelten herum und richteten dieWaffen auf den leeren Vorraum. »Soeben sind ein Krankenwagen und ein paar IhrerKollegen eingetroffen.« Es war der Wachmann, und er blieb außer Sicht.
Franciscovich rief ihn herein. Das Herz schlug ihr nach dem Schreck noch immerbis zum Hals.
»Ist denn, äh ich meine, haben Sie ihn erwischt?«, fragte der Mann.
»Er ist nicht hier«, erwiderte Ausonio mit zittriger Stimme.
»Was?« Er schaute vorsichtig um die Ecke.
Franciscovich hörte die Stimmen der sich nähernden Polizisten undRettungssanitäter. Das Klirren von Ausrüstungsgegenständen. Trotzdem brachtendie beiden beunruhigten und verwirrten Frauen es noch nicht fertig, sich zuihren Kollegen zu gesellen. Sie standen wie gelähmt mitten in dem Vortragssaalund versuchten vergeblich zu ergründen, wie der Mörder aus einem Raum ohneAusgang entkommen konnte.
© Blanvalet
Übersetzung: Thomas Haufschild
Autorenporträt von Jeffery Deaver
Wie kaumein anderer beherrscht der von seinen Fans und den Kritikern
gleichermaßengeliebte Jeffery Deaver denschier unerträglichen Nervenkitzel,
verführtmit falschen Fährten, überrascht mit blitzschnellen Wendungen
und streutdem Leser auf seine unnachahmliche Art Sand in die Augen.
Seit demersten großen Erfolg als Schriftsteller hat er sich aus seinem Beruf
alsRechtsanwalt zurückgezogen und lebt nun abwechselnd in Virginia und
Kalifornien.Seine Bücher wurden in 12 Sprachen übersetzt und haben ihm
bereitszahlreiche renommierte Auszeichnungen eingebracht. Die kongeniale
Verfilmungseines Romans "Die Assistentin" unter dem Titel "DerKnochenjäger"
(mit DenzelWashington und Angelina Jolie in den Hauptrollen) warweltweit
einsensationeller Kinoerfolg und hat dem faszinierenden Ermittler- und
LiebespaarLincoln Rhyme und Amelia Sachs eine riesigeFangemeinde
erobert.
- Autor: Jeffery Deaver
- 2006, 480 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Thomas Haufschild
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442364841
- ISBN-13: 9783442364848
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