Maramba
Diese 50 Kurzgeschichten zeigen das Talent der Voralbergerin. Sie verunglückte 2003 im Alter von 21 Jahren bei einer Bergwanderung tödlich. Vorher hatte sie noch diesen Band zusammengestellt.
Es geht um unerfüllte Beziehungen und vage Hoffnungen.
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Diese 50 Kurzgeschichten zeigen das Talent der Voralbergerin. Sie verunglückte 2003 im Alter von 21 Jahren bei einer Bergwanderung tödlich. Vorher hatte sie noch diesen Band zusammengestellt.
Es geht um unerfüllte Beziehungen und vage Hoffnungen.
Maramba von Paula Köhlmeier
LESEPROBE
Tagebuch einer Verrückten
Ich habe vor drei Jahren geheiratet. Einen Mann mit großen Händen und richtigenGedanken. Richtige Gedanken passen in eine Schublade. Die Schublade sieht vonaußen wie von innen ordentlich aus. Sein Kopf ist nach Bereichen sortiert:Arbeit, keine Arbeit, Frau. Nie verirrt sich ein Gedanke in einen falschenBereich.
Das ist natürlich eine Übertreibung. Ich übertreibe immer und automatisch. Dassagen mein Mann, mein Arzt und ich. Wir haben ein goldenes Türschild mitSilberschrift. Tauber ist unser Name. Ich putze das Türschild einmal im Monat.Das ist mein Beitrag zu unserer Ehe. Mein Mann war zwölf, als sein Vatergestorben ist. Für seine Mutter war das die Vertreibung aus dem Paradies. MeinMann hat seine Mutter wieder aufgeblasen, nachdem sie platt auf dem Boden lag.»Es war schwierig, aber ich habe uns repariert«, sagt mein Mann. Sein Vater warBauer. Mein Mann verkaufte den Hof, schaffte neues Geld auf die Bank, und seineMutter steckte sich im Frühling wieder Blumen in die Haare. Mein Mann ist einMechaniker für kaputte Seelen. Er hatte ein hartes Leben und ist heute glücklich.Ich hatte kein hartes Leben und bin heute unglücklich. Am Tag bin ich allein.Ich versuche, lange zu schlafen, damit der Tag kürzer ist. Ich rauche im BettZigaretten und trinke viel schwarzen Kaffee.
Ich vermisse meinen Mann nicht, wenn er weg ist. Ich rufe ihn nicht an, wenn ersich verspätet. Allein gehe ich durch die Wohnung. Ich brauche fünf Minuten,wenn ich langsam durch alle Zimmer gehe. Das ist meine Zeit. Fünf Minuten füreine Zigarette. Fünf Minuten für meinen Rundgang. Das sind zusammen zehnMinuten. So vergeht meine Zeit. Ich koche nicht. Wir leisten es uns, essen zugehen. Wir haben genug Geld. Das ist unser Glück. Wir sind glücklich. Mein Mannsagt: »Wir sind glücklich«, und ich verlasse mich auf das Glück. Ich bin froh,daß er sich darum kümmert. Ich habe wenige Wünsche. Ich sage nie: »Nein«. Weilich nicht weiß, was ich nicht möchte. Ich sage nie aus Überzeugung: »Ja«. Ichbin ein Mitläufer. Heute, früher bei meinen Eltern und in der Schule. Ichwasche gern meine Haare. Meine Haare sind lang und schön. Männer wollen meineHaare angreifen, und ich sage nicht nein. Ich kämme sie vor dem Fenster. MeineGedanken sind sorgfältig verpackt in meinem Kopf, aber sie kommen ungeordnetaus meinem Mund. Meine Gedanken sind wie ein Fallschirmspringer, der nichtspringen will. Ich habe Angst vor zuviel. Ich habe Angst vor zu wenig, und meinKopf meint, es gibt nichts dazwischen. Dann weine ich. Am liebsten allein. OhneGrund. So eine Eigenschaft ist furchtbar. Ich nehme Tabletten gegen zu vieleGedanken. Mein Mann bringt mir die Tabletten. Mein Mann liest diePackungsbeilage. Mein Mann spricht mit einem Arzt. Der Arzt und mein Mannsagen, daß die Tabletten gut für mich sind. Seit einem halben Jahr hat meinMann eine Geliebte. Eine große Frau mit dicken Haaren und breiten Hüften.Volksschullehrerin. Eine Frau, die den Kindern sagt, daß sie nicht übervorgezeichnete Linien hinaus malen dürfen, und die Kinder, die es doch tun, zumPsychologen schickt. Mein Mann sagte: »Ich habe eine Geliebte.« Ich stand inder Küche und dachte: Scheiße, jetzt muß ich etwas tun. Ich lag zwei Tage imBett. Am dritten Tag kam sie uns besuchen. Sie hatte einen festen Händedruck.Sie heißt Susanne Knopf. »Wir sind doch erwachsene Menschen«, sagte mein Mann.Er kochte Spaghetti mit Tomatensauce. Susanne Knopf schnitt das Gemüse. Ich lagim Bett. Sie lachten in der Küche. Ich war das Kind. Meine Eltern waren in derKüche. Ich stellte mir vor, wie es wäre, das Kind von meinem Mann und seinerGeliebten zu sein. Mir ist alles recht. Ich fühle mich keinem Gefühl zugehörig.Mein Mann sagte, ich bekomme die Wohnung und jeden Monat Geld. Ich brauchenicht zu arbeiten. Er wohnt bei Susanne Knopf. Susanne Knopf raucht keineZigaretten. Mein Mann sagt, er redet mit dem Arzt über mich. Der Arzt gibt mirstärkere Tabletten. Ich sehe aus wie ein Geist. Das Türschild darf ichbehalten. Ich frage mich, wie ich das alles berichten soll. Ich muß berichten.Es wird ein Mann in Uniform vor mir sitzen. Er wird einen Bericht schreiben. InHandschrift auf ein weißes Blatt Papier wird er genau notieren, was ich sage.Oder er tippt in eine Schreibmaschine. Eine grüne Schreibmaschine. Der Mann inUniform arbeitet acht, manchmal neun Stunden am Tag. Seine Lippen werden sichauf und ab bewegen. Er wird klare Fragen stellen und klare Antworten erwarten. Ichhabe meinen Mann erstochen. Auf dem Küchentisch. Susanne Knopf lag auf ihm.Bevor ich beide erstochen habe, lag sie auf ihm, und nachdem ich sie erstochenhatte, lag sie noch fester auf ihm. Ich hätte sie, vor meinem Mord, von ihmherunterrollen sollen. Ich hatte so viel im Kopf. Jetzt liegen sie totaufeinander. Ich bin nicht eifersüchtig auf eine Tote. Ich hätte nur meineArbeit richtig machen müssen. Der Mann in Uniform will kurze und richtigeAntworten. Nach diesen Fragen werde ich nichts mehr gefragt werden. Das werdenmeine einzigen Worte zu meinem Mord sein. Danach werde ich nichts mehr zu sagenhaben. Nach diesem Verhör ist mein Leben vorbei. Die Haustür war angelehnt. Ichging in die Küche. Mein Mann lag nackt auf dem Küchentisch. Auf ihm SusanneKnopf. Bleiche Haut. Ihre Haut sah wie Schweizerkäse aus. Ich nahm dasKüchenmesser und stach auf den Berg ein. Das muß ein komisches Bild gewesensein. Ich bin eine sehr kleine, unauffällige Frau. Ich falle nicht auf. Wennich auf Partys eingeladen bin, was selten vorkommt, halte ich mich meistens aufder Toilette auf. Ich sitze auf der kalten Kloschüssel und warte vor mich hin.Ich wippe mit den Füßen. Ich warte, bis alles vorbei ist. Von mir denkt keineretwas Schlechtes. Von mir denkt man sich überhaupt nichts. Es muß ein komischesBild gewesen sein. Man wird sagen: Aber nein, die Frau Tauber wurde in das Bildhineinretuschiert. Sie hat ihren Mann nicht getötet. Sie hat nicht so vielKraft. Das wird der Mann in Uniform nicht wissen wollen. Nichts von all dem.Jetzt ist es bald so weit. Ich bin gleich da. Ich werde sagen: Mein Name istRita Tauber. Ich habe meinen Mann und seine Geliebte erstochen. Das war voreiner Stunde und zehn Minuten. Sie liegen beide noch auf dem Küchentisch.Gehmanngasse 43. Als ich gegangen bin, waren sie noch warm. Ich habe sieumgebracht, weil mein Mann mich verlassen wollte. Wegen einer Geliebten, dierichtige Gedanken hat und nicht wie ich durch die Wohnung schleicht. Ich habesie umgebracht, weil ich wollte, daß etwas passiert in meinem Leben.
© 2005 by Zsolnay Verlag, Wien
- Autor: Paula Köhlmeier
- 2005, 252 Seiten, Maße: 13,6 x 20,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- ISBN-10: 3552053336
- ISBN-13: 9783552053335
- Erscheinungsdatum: 31.01.2005
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