Maria, ihm schmeckt's nicht!
Jan Weiler hat nicht nur seine Sara, sondern eine ganze italienische Großfamilie geheiratet. Wie da manchmal Welten aufeinander prallen, erzählt er in köstlichen Anekdoten!
"Wer noch keine italienischen Verwandten hat, wird nach der Lektüre unbedingt welche haben wollen."
Axel Hacke
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Jan Weiler hat nicht nur seine Sara, sondern eine ganze italienische Großfamilie geheiratet. Wie da manchmal Welten aufeinander prallen, erzählt er in köstlichen Anekdoten!
"Wer noch keine italienischen Verwandten hat, wird nach der Lektüre unbedingt welche haben wollen."
Axel Hacke
Maria, ihm schmeckts nicht! von JanWeiler
LESEPROBE
Ein Fremder steht vor der Tür. Das bin ich. Genau genommenbin ich nicht nur den Menschen hinter der Tür fremd, sondern vor allem mirselber. Ich habe mich nämlich mit einem Strauß Blumen als Schwiegersohnverkleidet. So kenne ich mich nicht, denn ich habe noch nie Schnittblumen anMenschen verschenkt, die nicht entweder zu meiner Familie gehörten oderwenigstens gleichaltrig und weiblich waren. Man bittet auch nicht sehr häufigim Leben um die Hand einer Tochter. Da kann man sich schon mal vor sich selber fremdfühlen. Es ist unser erster gemeinsamer Besuch bei ihren Eltern.Zwar sind wirbereits mehr als zwei Jahre zusammen, aber ich kenne bisher nur ihre Schwesterund sie. Das reicht ja auch, fand ich bisher. Dann jedoch machte ich Sara einenHeiratsantrag, was bei uns wie bei den meisten Menschen zu einem Besuch bei denEltern führte. Sara steht hinter mir und schubst mich. Wir sind mehr alssechshundert Kilometer gefahren, und dabei erzählte Sara fast die ganze Zeitvon ihrem Vater, der ihr den wundervollen NachnamenMarcipane vererbthat. Er sei ein wenig anstrengend, sagte sie. Manche fänden ihn wunderlich.Andere hätten sogar Angst vor ihm, aber das verstehe sie nicht. Er sei eineechte Nummer.
Er habe Humor. Verstand, Appetit. Sei großzügig. Und besitzenun einmal die Angewohnheit, ohne Unterbrechung zu reden, wenn er sich wohlfühle. Da er sich die meiste Zeit seines Lebens ungemein wohl fühle, habe diesnun zur Folge, dass er von morgens bis abends rede. Das habe ihr früher in derJugendzeit den letzten Nerv geraubt. Er habe damals ihre Verehrer, allesamtDeppen, wie sie etwas zu deutlich betont, regelrecht aus dem Haus gequasselt.Nun sei das alles nicht mehr so schlimm, er werde ja älter. Was das eine mitdem anderen zu tun hat, ist mir nicht klar. Ihr Vater sei, dozierte Sara, eineArt Windmaschine, die aber nicht nur Luft bewege, sondern auch Herzen. Er seikaum zu Argem imstande, und wenn er doch mal sauer werde, dann doch nur um desEffektes willen, denn für wahren Zorn sei er eigentlich zu ignorant. Nichtsinteressiere ihn so sehr, dass es ihn wirklich aufregen könne. Dann fügte sienoch hinzu, dass es eigentlich nur eine Gefahr gebe, und die trete ein, wenn ernichts mehr sage, stumm bliebe. Je nach Dauer des Schweigens könne man sichdann auf Ärger einstellen, mitunter auf großen Ärger. Kompliziert, dachte ichund fragte: »Und was ist mit deiner Mutter?«
Bisher weiß ich nur, dass Saras Mutter Ursula heißt, aus demRheinland kommt und die Geduld eines belgischen Brauereipferdes besitzt. Aufeinem Jugendbild, das auf Saras Schreibtisch steht, ähnelt Ursula ihrerTochter: sehr schmaler Mund, kleine Nase, viele Sommersprossen drum herum. IhreAugen und die blonden, eigentlich unitalienischen Haare muss Sara aber vonihrem Vater haben. »Meine Mutter ist das komplette Gegenteil von Papa«, sagtesie. »Ich habe echt keinen Schimmer, wie die das Gequassel aushält, aberimmerhin sind die beiden schon knapp fünfunddreißig Jahre zusammen. Irgendwiemuss es also funktionieren.« Als wir das Auto parkten,hatte ich ein mulmiges Gefühl. Was, wenn er mich nicht mag? Wenn er mir denkleinen Finger nach alter italienischer Väter Sitte abschneidet und ihn ineinem mit bitterem Mandelduft parfümierten Briefumschlag meinen Eltern schickt,um diese zum Wohle eines landsmannschaftlichen Vereins zu erpressen? Wenn ichdann also in einem niederrheinischen Reihenhauskeller verblutend auf Nachrichtwarte und oben meine dann ja wohl Exfreundin mit den Kumpanen ihres Vatersheiser lachen höre? Meine Sorgen scheinen etwas übertrieben und speisen sichaus einer sehr exakten Unkenntnis des italienischen Wesens.
Eigentlich habe ich es bisher nur mit drei Italienernwirklich zu tun gehabt, wenn man mal die Kellner in Pizzerien undHotelangestellten in den Dolomiten beiseite lässt, zu denen ich im Laufe meinesLebens zwar Kontakt, aber kein irgendwie geartetes Verhältnis hatte. Doch ichkenne auch nur zwei Franzosen und drei Engländer sowie eine Spanierin,einen Sachsen und überhaupt keinen Dänen. Insofern ist drei schon wieder viel.Der Name des ersten Italieners ist mir bis heute unbekannt. Er verkaufte Eisund schenkte mir im Siegestaumel nach dem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft1982 eine Portion mit drei Kugeln. So viele Tore hatten die Italiener damals inMadrid gegen die Deutschen erzielt. Alle Tore fielen in der zweiten Halbzeitdurch Rossi, Tardelli und Altobelli. Paul Breitner schoss auch noch eines fürdie schwachen Deutschen, dann waren die Italiener Weltmeister und knapp zehnMinuten später bimmelte der Eismann. Ich war sein Stammkunde. Im Sommer warteteich täglich auf das Klingeln seines Eiswagens, mit dem er langsam durch unsereSiedlung fuhr. Dann sprang ich auf mein Fahrrad und jagte der Glocke nach, bisich ihn endlich einholte und zum Anhalten zwang. Ich bestellte Banane undVanille, manchmal Heidelbeere, der blauen Zunge wegen, und er bediente mich inbetont geschäftsmäßiger Manier, als sei ich ein Rothschild. Unsere Konversationbeschränkte sich auf das Nötigste, und deshalb kann ich nicht mit Gewissheitsagen, ob er nicht am Ende gar kein Italiener war, sondern vielleicht Zypriotemit portugiesischem Pass oder Türke oder Kroate. Da er nun aber in einem miteiner italienischen Fahne bemalten Kleinbus unterwegs war, liegt die Vermutungzumindest nahe, dass er tatsächlich aus Cortina in den Dolomiten war, wo dasitalienische Eis herkommt. Der zweite Italiener, mit dem ich mehr als eineflüchtige Erinnerung verbinde, war Masseur. SignorPantoni hatte starkbehaarte Arme und roch nach Zitronenöl. Ich wurde zu ihm überwiesen, weil ichim Nackenwirbelbereich irgendwie unlocker und kaum den Kopf zu wenden in derLage war. Signor Pantoni nahm meinen Schädel in die Hand, sah mir in die Augenund sagte: »Mal sehn wie iste Blockierung.« Danndrehte er meinen Kopf so lange gegen den Uhrzeigersinn, bis es gar nicht mehrwehtat. Dabei brummte er Lieder, deren Melodie er immer genau dann betonte,wenn er mir besonders zusetzte. Er bearbeitete meine Schulter und den Rückenmit seinen Riesenhänden, und einmal sagte ich im Spaß: »Sie sollten Pizzateigkneten.« Signor Pantoni grunzte unverständlich undklatschte dann in die Hände. »So, fertig, nächste Woche komme Sie wieder undmache wir Übungen für die Kopfe.« Daraus wurde dannaber nichts, denn Pantoni schloss über Nacht seine Praxis und verschwandspurlos. Der Arzt, der mich zu ihm überwiesen hatte, erzählte mir, dass Pantonigar kein Masseur gewesen sei, dass er eigentlich gar keine Erlaubnis zumMassieren und erst recht nicht für krankengymnastische Therapien hatte, sondernsein Geld abends mit dem Kneten von Pizzateig in einer Düsseldorfer Pizzeriaverdiente. Wenig später stand der Fall in der Zeitung und es wurden Geschädigtegesucht. Ich fühlte mich aber keineswegs von ihm geschädigt, höchstens durchden Umstand, dass er einfach abgehauen war. Also meldete ich mich nicht. Derdritte Italiener, mit dem ich es zu tun bekam,war genau genommen eineHalbitalienerin. Ich lernte sie eines Tages beim Bäcker kennen, als ich nichtgenug Geld für Brötchen dabeihatte und sie mir mit zwei Mark aushalf. Ich kannnur jeden ermuntern, nicht genug Geld dabeizuhaben, für den Fall, dass man dieFrau seines Lebens kennen lernen möchte. Allerdings muss man darauf achten,dass man nicht vor halb neun morgens in der Bäckerei kein Geld hat, denn da trifftman nur Handwerker oder überspannte Senioren und das ist ja nicht unbedingtSinn der Sache. Diese Italienerin, die mir mit zwei Mark aushalf, war Sara, undwenn ich vor dem Einkaufen zum Geldautomaten gegangen wäre, könnte ich jetztnicht vor der Tür ihres Vaters stehen. Jedenfalls hörte ich mich seinerzeit denschwachsinnigen, aber betriebsimmanenten Satz sagen: »Sie können natürlichanstelle des Geldes auch die Brötchen zurückhaben. Vielleicht bei einem kleinenFrühstück, wenn Sie wollen.« Die meisten Frauen, die ich bisher getroffenhatte, hätten darauf geantwortet: »Och nö, betrachten Sie doch die zwei Markals Geschenk.« Sara dagegen nicht. Sie sagte: »Nasuper. Keine Kohle, aber einen auf dicke Hose machen. Das muss jetzt aber einsensationelles Frühstück werden.«
Kaum zwei Jahre später stehen wir also vor dem Reihenendhausihrer Eltern. Der Klassiker mit roten Backsteinen. Neben der Haustür rechts daskleine Klofenster. Links das große von der Küche. Die Architektur einesReihenhauses beruht auf der Stapelung einer Fünfzimmerwohnung. Währendmanjedoch vor einer Fünfzimmerwohnung stehend nie genau weiß, wie sie geschnittensein wird, ist dies bei Reihenhäusern absolut sicher. Das Haus der Marcipanesunterscheidet sich in nichts von jenen etwa acht Millionen Reihenhäusern, diees sonst noch überall in Deutschland gibt. Gewöhnlich kommt bei diesemMenschenverwahrtypus hinter dem Eingang erst einmal die so genannteSchmutzschleuse. Dort kann man sich die Schuhe ausziehen, rechts gehts insKlo. Die Kloschüssel ist unter dem Fenster angebracht. Links vom Hauseingangdie Küche, die immer eine zweite Tür zum Wohnzimmer hat. Im Flur geht rechtseine geschwungene Treppe nach oben und nach unten. Den Grad der Bürgerlichkeitder Bewohner vermag der geübte Reihenhausbesucher an Geländern und Stufenabzulesen. Sind diese zum Beispiel von matter schmiedeeiserner Eleganz, so hatman es fast immer mit Volksmusikfreunden zu tun, während die ungehemmteVerwendung von astlochreichen Holzsorten unschwer auf Pädagogen schließenlässt. Auf der linken Seite des Flures immer: Telefontischchen und Garderobe.Geradeaus führt der Weg ins Wohnzimmer dessen Türen immer Fenster haben, weilsonst zu wenig Licht in den Flur fällt. Meistens sind diese Fenster ausgeriffeltem Glas oder haben eine rustikale Butzenscheibenoptik, die zu denSchwanenhalsgriffen an den Türen passt.
© Ullstein Buchverlage
„Mein Leben als Mensch“ betitelt Jan Weiler seine wöchentliche Kolumne im „Stern“. Seit 2007 erzählt der Journalist und Autor in dem Magazin locker und amüsant von Familie, Freunden, Ferien oder davon, was ihm gerade so durch den Kopf geht – Menschliches eben.
Der Leser kennt diesen Stil schon aus dem Erstlingsroman von 2003 „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ und der ebenso erfolgreichen Fortsetzung „Antonio im Wunderland“. Weiler erzählt in beiden Büchern von seinem italienischen Schwiegervater Antonio und dessen Familie, teils fiktiv, teils biografisch. Als begehrter Vorleser hat der Autor 2005/2006 über 100 deutsche Städte bereist und seine Eindrücke und Begegnungen in einem Reisetagebuch festgehalten, zusammengefasst als Buch mit dem Titel „In meinem kleinen Land“.
Weiler wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern in der Nähe von München, geboren wurde er 1967 in Düsseldorf. Journalistische Erfahrungen machte er bereits in der Schulzeit als freier Mitarbeiter bei der Westdeutschen Zeitung. Nach Abitur und Zivildienst arbeitete er zunächst als Werbetexter und besuchte dann die Deutsche Journalistenschule in München. So gerüstet, brachte er es bis zum Chefredakteur beim SZ Magazin, wo er bis 2005 tätig war. Von dort startete er seine Schriftstellerkarriere, nachdem aus einer in dem Magazin veröffentlichten Kurzgeschichte sein erster Roman entstanden war.
In ganz andere Bereiche führt der 2008 erschienene Roman „Drachensaat“. Er erzählt von dem Psychotherapeuten Dr. Heiner Zens, der fünf Menschen nach ihren irrationalen Taten in seiner Privatklinik versammelt, um sie einem aberwitzigen Experiment zu unterziehen. Weiler spricht in diesem Roman ernste Themen an, dabei ist das Buch in seiner ganzen Skurrilität gleichzeitig wunderbar unterhaltsam.
Interview mit Jan Weiler
ZumAntonio aus Ihren Büchern gibt es auch ein Pendant im wirklichen Leben: IhrenSchwiegervater. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen "den beiden Antonios"beschreiben?
MeinSchwiegervater, also der echte Antonio, kommt dem literarischen natürlich sehrnahe, besonders im ersten Buch. Viele der Episoden und die darin beschriebeneLebensgeschichte stimmen weit gehend. In "Antonio im Wunderland" hat sich derliterarische Antonio nun selbstständig gemacht und sich von seinem Vorbildetwas entfernt. Als das Buch fertig war, ist mir aufgefallen, dass ich ihn in"Maria, ihm schmeckts nicht" noch als blauäugig beschrieben hatte, was derwirkliche Antonio auch ist. In "Antonio im Wunderland" hat er nun braune Augen.Ich habe es aber so gelassen, ich fand es ein schönes Symbol für seineEntwicklung von einer wirklich existierenden Person zu einer vollkommenfiktiven.
"Antonio im Wunderland" ist ja auf einigenBestsellerlisten gelandet - u.a. in den "Tourbus-Charts" der "Toten Hosen". Welcheswar das schönste Erlebnis, das Sie im Zusammenhang mit diesem Buch hatten?
Einmal kam nach der Lesung, ich glaube das war irgendwo imRuhrgebiet, ein italienischer Gastarbeiter zu mir und sagte, er würde Antoniokennen. Er behauptete, jahrelang mit ihm zusammen im Stahlwerk gearbeitet zuhaben. Ich glaubte ihm natürlich nicht. Und dann nannte er mir tatsächlichenden echten Namen meines Schwiegervaters und sagte: "Ich habe ihn nach fünfBuchseiten wiedererkannt." Es war das schönste Kompliment, das ich für meineArbeit bekommen habe.
Die Geschichte isterfunden, die Blasiertheit und Kälte aber nicht, und der rührende Stolz auchnicht. Ich habe solche unwürdigen und auch peinlichen Momente oft erlebt, wennich mit Antonio unterwegs war. Er reagiert erstaunlich cool auf Herablassungen,wahrscheinlich weil er diese bösen Dinge nicht wirklich an sich heran lässt.Ein sehr beneidenswerter Zug ist das.
Was isteigentlich Bauarbeitermarmelade, die auf Antonios Pausenbrote kommt?
Mettwurst. Ich habedieses sehr schöne Synonym mal irgendwo gehört und immer darauf gewartet, eseinsetzen zu können. Tatsächlich hat mein Schwiegervater immer Mettwurststullenmit zur Arbeit genommen.
Ihr Buchenthält die eine oder andere brisante These: "Unsere Elterngeneration war infast allem gut, nur nicht in der Gartenplanung." Können Sie diese unglaublicheBehauptung begründen? Wo haben Sie die eindrücklichsten Belege dafür gefunden?
Im Garten und inder Nachbarschaft meiner Eltern. Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, wo alleLeute gleichzeitig gebaut haben. Das war um 1970. Die Häuser dort scheineninzwischen immer kleiner zu werden, weil die Bäume ringsum mit den Jahren immerhöher wachsen. Ich glaube, das ist in allen Einfamilienhausgegenden so undspricht für eine gewisse Naivität der Bauherren, die sich kaum vorstellenkönnen, wie viel Schatten zwei 35 Jahre alte Eichen in einem 400 Quadratmetergroßen Garten spenden.
Antoniowollte eigentlich nach Amerika, ist aber zunächst nur bis Krefeld gekommen.Was, glauben Sie, wäre in Amerika aus ihm geworden?
Er hätte sichüberall durchgewurstelt und seinen Weg genauso gemacht wie hier in Deutschland.Für mich hätte es allerdings bedeutet, dass ich seine Tochter nie kennengelernt und also auch kein Buch über ihn geschrieben hätte. Ich weiß also vorallem nicht, was aus mir geworden wäre.
Nun willAntonio, anstatt sein Rentnerdasein ruhig im Reihenendhaus zu verbringen, unter allen Umständen doch nochnach Amerika. Warum ist das so wichtig für ihn? Was sucht er dort?
Ohne zu viel vorwegzunehmen, kann ich auf jeden Fall preisgeben, dass er inerster Linie auf der Suche nach Bestätigung ist. Am Ende will er sagen können:Ich habe alles richtig gemacht.
Welches"Wunderland" benennt eigentlich der Buchtitel: Amerika oder Deutschland? Oderlebt Antonio nicht eigentlich immer in seinem eigenen Wunderland?
Letzteres stimmtnatürlich sowieso. Aber der Buchtitel ist eine Anspielung auf das Wunderlandaus dem Roman von Lewis Carroll, einer surrealen Projektion voller sonderbarerFiguren und unverständlicher Regeln. Ich finde, das hat eine Menge mit Amerikazu tun.
Wenn SieAntonio in drei Sätzen charakterisieren müssten: Was ist er für ein Mensch?
Als Romanfigur ister ein Fremder, dessen Hauptbeschäftigung darin besteht, sein Fremdsein zukultivieren, nachdem er es nicht vermocht hat, es zu überwinden. Seinerfreulicherweise total unreflektiertes Scheitern macht ihn geheimnisvoll undspannend, verleiht ihm aber auch eine gewisse Tragik. Für mich ist er ein Held.
"Wennman in eine italienische Familie einheiratet, steht damit fest, wo man in denkommenden fünfzig Jahren den Urlaub verbringt." Ist die Wirklichkeittatsächlich so grausam?
Nicht ganz, aberfast. Inzwischen haben wir auch ein paar andere Länder bereist, hauptsächlichdeswegen, weil meine Frau in den ersten zwanzig Jahren ihres Lebens immer nurnach Italien reisen konnte. Sie hat deshalb einen unbezähmbaren Drang danach,woandershin zu fahren. Dennoch müssen wir oft nach Italien, schon wegen derganzen Hochzeiten.
Beialler Komik stimmen einen die Missverständnisse, die sich zwischen Antonio undseiner Umwelt immer wieder ergeben, auch traurig. Ist Antonio nicht manchmal -zumindest aus der Perspektive des Erzählers - ein einsamer Mensch?
Nein, gar nicht,das ist ja das Tolle an ihm. Im übertragenen Sinn ist er eine jener Figuren,die immer eins auf die Nuss kriegen, sich aufrappeln und sagen: "Ach, ist dasangenehm, wenn der Schmerz nachlässt." Sein manchmal schon an Ignoranzgrenzendes Verhalten ist eine Strategie, die ihm seit über sechzig Jahren dasÜberleben sichert.
Ob esgegen "ayurvedische Küchenclowns" oder Personalvorstand Dempf von AntoniosStahlwerk geht - in Ihrem Buch kriegen einige ihr Fett weg. WelchenProtagonisten haben Sie besonders gern in die rhetorische Pfanne gehauen? Undwen mögen Sie - abgesehen von Antonio - am liebsten?
Ich bin gar nichtso sicher, dass ich jemanden in die Pfanne haue, denn es wird sich kaum jemandpersönlich angesprochen fühlen. Wenn sich doch jemand wiedererkennt, freut esmich natürlich, und das ist Strafe genug. Meine Lieblingsfigur neben Antonioist in diesem Buch sein Freund Benno. Das ist ein frühpensionierter Krefeldermit einem Inkontinenzproblem und einer ausgewachsenen Meise. Ich habe ihn beimSchreiben sehr lieb gewonnen, und es hat auch großen Spaß gemacht, ihm bei derAufnahme zum Hörbuch meine Stimme zu geben. Benno und Antonio sind eingroßartiges Gespann.
"Maria,ihm schmeckt's nicht!", Ihr erster deutsch-italienischer Roman, war (und istnoch immer) ein toller Erfolg. Hat Sie das überrascht? Oder waren Sie sichsicher, dass Sie mit der Geschichte von Antonio einen Nerv treffen würden?
Das hat alleüberrascht. So etwas kann man auch nicht planen, davon bin ich überzeugt. Ichhabe angenommen, dass es den Nerv von ein paar tausend Lesern treffen würde,die sich in einer ähnlichen Lebenssituation wie ich befinden, weil sie das Kindeines Gastarbeiters geheiratet haben. Aber erstens betrifft das viel mehr Menschen,als man denkt, und zweitens mögen offenbar viele Leute den Ton des Buches, ganzunabhängig von der Handlung.
Wenn man Ihnen kurz nach dem Aufstehen, noch vor demersten Kaffee, das Wort "Italien" entgegenschleudern würde - was wären Ihreersten Assoziationen?
Ein gewisser Unwille. Ichpflege erst nach dem Kaffee mit dem Denken zu beginnen.
Inzwischen haben Sie eine Reise "In meinem kleinen Land",Deutschland nämlich, unternommen und beschrieben. Glauben Sie, dass Ihnen der"Geist Antonios" dabei geholfen hat, die Orte und Menschen hierzulande vonaußen zu betrachten?
Wenn der Geist Antonios darin besteht, sich möglichst gutgelaunt als Fremder durchzuschlagen, ganz bestimmt.
Sieschreiben, dass Sie gerne Deutscher sind, "weil mein Landfriedlich ist und schön und weil ich die Deutschen mag, nachdem ich ziemlichviele von ihnen getroffen habe." Was genau macht das Friedliche und Schöneaus?
Die Menschen bei uns sind viel freundlicher und humorvoller,als sie sich selber sehen. Wir sind sogar liebenswert. Und dass uns dies immerpeinlich ist, dass uns sowieso immer alles peinlich ist, macht den Befund nursympathischer. Und natürlich ist es wunderschön bei uns. Manchmal muss man nurwenige Kilometer fahren, um das zu entdecken.
Wie habenSie und Ihr Schwiegervater die Fußball-WM überstanden?
Wir hatten eine schwierige Phase, als er am Telefon allenErnstes behauptete, die Italiener hätten den mit Abstand wundervollsten Fußballgespielt. Aber inzwischen geht es wieder.
In einem Interview spekulierten Sie darüber, ob SieAntonio vielleicht in einem nächsten Buch zum Unternehmer werden oder BennoMordfälle lösen lassen. Wie steht es mit diesen Plänen? Was ist Ihr nächstesProjekt?
Es ist momentan kein weiteres Buch mit Antonio geplant. Ichmuss nun einmal was anderes machen. 2008 gibt es einen neuen Roman, aber mitneuem Thema und neuem Personal. Zunächst aber mache ich mich an ein kleinesHörspiel. Da habe ich jetzt Lust drauf.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth,Literaturtest.
- Autor: Jan Weiler
- 2006, 54. Aufl., 288 Seiten, Maße: 11,6 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548264263
- ISBN-13: 9783548264264
- Erscheinungsdatum: 12.05.2006
4.5 von 5 Sternen
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