Mit Blick aufs Meer
Roman - (Olive Kitteridge 1)
In Crosby, einer kleinen Stadt an der Küste von Maine, ist nicht viel los. Doch sieht man genauer hin, ist jeder Mensch eine Geschichte und Crosby die ganze Welt. Und Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathelehrerin, sieht sehr genau hin. Sie kann...
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Produktinformationen zu „Mit Blick aufs Meer “
In Crosby, einer kleinen Stadt an der Küste von Maine, ist nicht viel los. Doch sieht man genauer hin, ist jeder Mensch eine Geschichte und Crosby die ganze Welt. Und Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathelehrerin, sieht sehr genau hin. Sie kann stur und boshaft sein, dann wieder witzig, manchmal sogar eine Seele von Mensch. Auf jeden Fall kommt in Crosby keiner an ihr vorbei ... Mit liebevoller Ironie und feinem Gespür für Zwischenmenschliches fügt die amerikanische Bestsellerautorin die Geschichten um Olive und Crosby zu einem unvergesslichen Roman.
Klappentext zu „Mit Blick aufs Meer “
"Dieses Buch ist ein Schatz! Es ist spannend, berührend, heiter, melancholisch, wunderbar literarisch und dabei unglaublich unterhaltsam." (Freundin)In Crosby, einer kleinen Stadt an der Küste von Maine, ist nicht viel los. Doch sieht man genauer hin, ist jeder Mensch eine Geschichte und Crosby die ganze Welt. Und Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathelehrerin, sieht sehr genau hin. Sie kann stur und boshaft sein, dann wieder witzig, manchmal sogar eine Seele von Mensch. Auf jeden Fall kommt in Crosby keiner an ihr vorbei ...
Mit liebevoller Ironie und feinem Gespür für Zwischenmenschliches fügt die amerikanische Bestsellerautorin die Geschichten um Olive und Crosby zu einem unvergesslichen Roman.
Lese-Probe zu „Mit Blick aufs Meer “
Mit Blick aufs Meer von Elizabeth StroutApotheke
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Viele Jahre lang war Henry Kitteridge Apotheker in der nahegelegenen Stadt und fuhr die Strecke jeden Morgen, über verschneite Straßen oder regennasse Straßen oder sommerliche Straßen, deren Ränder bis zu den Ausläufern der Stadt zugewuchert waren von den neuen Trieben der wilden Himbeeren, ehe er in die breitere Straße zur Apotheke einbog. Jetzt, im Ruhestand, wacht er immer noch früh auf und erinnert sich, wie lieb ihm diese Morgen waren, wenn die Welt sich anfühlte wie sein Geheimnis: Die Reifen schnurrten so sanft unter ihm, und das Licht brach durch den Frühnebel, und zu seiner Rechten blitzte kurz die Bucht auf, dann die Kiefern, hoch und schlank, und fast immer hatte er das Fenster einen Spalt offen, weil er den Kiefernduft liebte und die schwere Salzluft, und im Winter liebte er den Geruch der Kälte.
Die Apotheke war ein kleiner zweigeschossiger Bau, Wand an Wand mit dem Nachbarhaus, in dem ein Heimwerkermarkt und ein kleines Lebensmittelgeschäft untergebracht waren. Jeden Morgen parkte Henry hinterm Haus bei den großen metallenen Müllcontainern, und dann betrat er die Apotheke durch die Hintertür und schaltete drinnen die Lichter an, drehte den Thermostat hoch oder setzte, wenn es Sommer war, den Ventilator in Gang. Er öffnete den Tresor, legte Geld in die Kasse, schloss die Ladentür auf, wusch sich die Hände, zog seinen weißen Kittel über. Das Ritual hatte
etwas Wohltuendes, fast als wäre der alte Laden mit seinen Regalen voll Zahnpastatuben, Vitaminpräparaten, Kosmetikartikeln und Haarspangen, seinen Nähnadeln, Grußkarten, roten Gummiwärmflaschen und Einlaufpumpen ein Freund, ein in sich ruhender, verlässlicher Freund. Und alles Unerfreuliche, das zu Hause vorgefallen sein mochte, alle Beklommenheit, weil seine Frau wieder einmal mitten in der Nacht aus dem Bett aufgestanden und durch das dunkle Haus gewandert war - all das blieb zurück wie ein fernes Ufer, wenn er in der Sicherheit seiner Apotheke herumging. Hinter der Theke, bei seinen Schubladen und Pillenreihen, war Henry ein fröhlicher Mensch. Gut gelaunt ging er ans Telefon, gut gelaunt händigte er Mrs. Merriman ihr Blutdruckmittel aus und dem alten Cliff Mott sein Digitalis, gut gelaunt füllte er das Valium für Rachel Jones ab, die in der Nacht, in der ihr Kind zur Welt kam, von ihrem Mann verlassen worden war. Henry war einer, der zuhörte, und viele Male die Woche sagte er: »Ach je, das tut mir aber leid«, oder: »Ist denn das zu fassen?«
Insgeheim wirkten in ihm noch die Ängste nach, die er als Kind bei den beiden Nervenzusammenbrüchen seiner Mutter ausgestanden hatte - einer Mutter, von der er ansonsten furios umsorgt worden war. Wenn also, was selten vorkam, ein Kunde einen Preis überteuert oder die Qualität einer elastischen Binde oder eines Eisbeutels ungenügend fand, versuchte Henry möglichst rasch zu vermitteln. Viele Jahre hindurch arbeitete Mrs. Granger für ihn; ihr Mann war Hummerfischer, und sie hatte etwas von einer kalten Meeresbrise an sich. Beflissenheit gegenüber verstimmten Kunden war ihr fremd. Er musste, während er seine Rezepte bearbeitete, immer mit halbem Ohr lauschen, ob sie nicht gerade an der Kasse eine Beschwerde abwimmelte. Es war ein ganz ähnliches Gefühl, wie wenn er daheim achtzugeben versuchte, dass Olive, seine Frau, Christopher nicht zu hart anfasste, wenn er bei den Hausaufgaben geschlampt oder sonst eine Pflicht versäumt hatte - diese stetig angespannte Aufmerksamkeit, dieser Drang, alle zufrieden zu wissen. Sobald ihm Mrs. Grangers Stimme schroff vorkam, stieg er herab von seinem Podest an der Rückwand und ging nach vorn, um selbst mit dem Kunden zu reden. Davon abgesehen leistete Mrs. Granger gute Arbeit. Er schätzte an ihr, dass sie nicht geschwätzig war, fehlerfreie Bestandslisten führte und sich kaum krank meldete. Dass sie eines Nachts im Schlaf starb, überraschte ihn und erfüllte ihn mit leisem Schuldbewusstsein, als wäre ihm in all den Jahren Seite an Seite mit ihr das entscheidende Symptom entgangen, das er mit seinen Pillen und Säften und Spritzen vielleicht hätte heilen können.
»Ein Mäuschen«, sagte seine Frau, als er das neue Mädchen einstellte. »Eine richtig graue Maus.«
Denise Thibodeau hatte runde Backen und kleine Äug-ein, die durch ihre braun eingefassten Brillengläser spitzten. »Aber eine nette graue Maus«, sagte Henry. »Eine niedliche Maus.«
»Niemand ist niedlich, der sich so miserabel hält«, sagte Olive. Es stimmte, Denises schmale Schultern hingen vornüber, als wollte sie Abbitte für etwas leisten. Sie war zweiundzwanzig und hatte gerade ihren Abschluss an der Staatlichen Universität in Vermont gemacht. Ihr Mann hieß auch Henry, und als Henry Kitteridge Henry Thibodeau kennenlernte, empfand er etwas Strahlendes an ihm, das ihn fesselte. Der junge Mann war kräftig, mit grobknochigem Gesicht und einem Leuchten in den Augen, das seine schlichte, anständige Erscheinung aus der Durchschnittlichkeit heraushob. Er war Klempner und arbeitete im Betrieb seines Onkels. Denise und er waren seit einem Jahr verheiratet.
»Sonst noch Wünsche«, sagte Olive, als er vorschlug, sie sollten das junge Paar zum Essen einladen. Henry ließ das Thema fallen. Dies war die Zeit, als sein Sohn, auch wenn man ihm die Pubertät äußerlich noch nicht ansah, in eine plötzliche, aggressive Muffigkeit verfiel, die die Stimmung im ganzen Haus vergiftete; Olive wirkte genauso verändert und unstet wie Christopher, und die beiden fochten schnelle, wilde Kämpfe aus, die ebenso schnell in eine stumme, enge Vertrautheit umschlagen konnten, während Henry, ratlos und verdutzt, dastand und nichts begriff.
Aber als er sich an einem Spätsommerabend, als die Sonne schon hinter den Fichten unterging, auf dem Parkplatz noch mit den Thibodeaus unterhielt, befiel Henry Kitteridge eine solche Sehnsucht nach der Gesellschaft dieser jungen Leute, die ihn mit einem so zurückhaltenden und doch eifrigen Interesse ansahen, während er von seiner eigenen fernen Studienzeit sprach, dass er sagte: »Ach, übrigens, Olive und ich würden euch demnächst gern zu uns zum Essen einladen.«
Er fuhr heim, vorbei an den hohen Kiefern und der aufblitzenden Bucht, und dachte an die Thibodeaus, die in die entgegengesetzte Richtung fuhren, zu ihrem Trailer am Stadtrand. Er stellte sich das Trailerinnere vor, gemütlich und aufgeräumt - denn Denise hatte eine reinliche Art -, stellte sich vor, wie sie einander von ihrem Tag erzählten. Denise sagte vielleicht: »Er ist wirklich ein netter Chef.« Und Henry antwortete: »Also, ich mag ihn richtig gern.«
Er bog in seine Einfahrt ein, die im Grunde nur eine Grasfläche oben am Hang war, und sah Olive im Garten. »Hallo, Olive«, sagte er und ging zu ihr. Er wollte die Arme um sie legen, aber eine Dunkelheit schien neben ihr zu stehen wie ein Bekannter, der das Feld nicht räumen will. Er sagte ihr, dass die Thibodeaus zum Essen kommen würden. »Das gehört sich einfach«, sagte er.
Olive wischte sich den Schweiß von der Oberlippe, wandte sich ab und riss ein Büschel Glatthafer aus. »Dann wär das ja auch geklärt, Mr. President«, sagte sie. »Sag schon mal dem Koch Bescheid.«
Am Freitagabend folgte das Paar ihm nach Hause, und der junge Henry schüttelte Olive die Hand. »Schönes Haus haben Sie hier«, sagte er. »Und dieser tolle Meerblick! Mr. Kitteridge sagt, Sie haben es selber gebaut.«
»Ja, haben wir.«
Christopher saß seitlich auf seinem Stuhl, hingefläzt in pubertärer Wurstigkeit, und antwortete nicht, als Henry Thibodeau ihn fragte, ob er in der Schule irgendwelchen Sport trieb. Henry Kitteridge spürte eine unerwartete Wut in sich aufsteigen und hätte den Jungen am liebsten angebrüllt; in seinen schlechten Manieren schien ihm etwas Hässliches zutage zu treten, das im Hause Kitteridge nichts verloren hatte.
»Wenn man in einer Apotheke arbeitet«, sagte Olive zu Denise, als sie einen Teller mit Baked Beans vor sie hinstellte, »kriegt man die Geheimnisse der ganzen Stadt mit.« Sie setzte sich ihr gegenüber, schob ihr die Ketchupflasche hin. »Da muss man den Mund halten können. Aber das können Sie ja, wie es scheint.«
»Denise macht das alles genau richtig«, sagte Henry Kitteridge.
Denises Mann sagte: »Und ob. Wenn Sie sich auf jemand verlassen können, dann auf Denise.«
»Das glaube ich Ihnen«, sagte Henry und reichte ihm den Korb mit den Brötchen. »Und bitte, sagen Sie doch Henry zu mir. Einer meiner Lieblingsnamen«, fügte er hinzu. Denise lachte leise; sie mochte ihn, das konnte er sehen.
Christopher lümmelte sich noch tiefer in seinen Stuhl.
Henry Thibodeaus Eltern hatten eine Farm ein Stück landeinwärts, und so fachsimpelten die beiden Henrys über Getreide und Stangenbohnen und über den Mais, der dieses Jahr wegen der Dürre nicht so süß war wie sonst, und darüber, wie man ein gutes Spargelbeet anlegt.
»Sag mal, muss das sein«, sagte Olive, als Henry Kitteridge dem jungen Mann die Ketchupflasche reichte und sie dabei umstieß, so dass die Sauce wie angedicktes Blut auf den Eichentisch schwappte. Er wollte sie aufheben, bekam sie aber nicht richtig zu fassen, und Ketchup landete auf seinen Fingern und dann auf seinem weißen Hemd.
»Lass mich das machen«, befahl Olive und stand auf. »Lass es einfach mich machen. Herrgott noch mal, Henry.« Und Henry Thibodeau - vielleicht weil er in so scharfem Ton seinen Namen hörte - setzte sich gerade hin und schaute schuldbewusst drein.
»Ach je, was bin ich ungeschickt«, sagte Henry Kitteridge.
Zum Nachtisch bekam jeder ein blaues Schälchen in die Hand gedrückt, in dem eine Kugel Vanilleeis herumrutschte. »Vanille mag ich am liebsten«, sagte Denise.
»So ein Glück aber auch«, sagte Olive.
»Genau wie ich«, sagte Henry Kitteridge.
Als der Herbst kam und es morgens später hell wurde und die Apotheke nur einen schmalen Keil Sonnenlicht abbekam, bevor die Sonne über das Haus davonwanderte und der Laden nur noch von den Deckenlampen erhellt wurde, befüllte Henry auf seinem Podest an der Rückwand die kleinen Plastikfläschchen und ging ans Telefon, während Denise vorn bei der Kasse die Stellung hielt. Mittags packte sie das belegte Brot aus, das sie sich von zu Hause mitbrachte, und aß es hinten im Lager, und danach holte er sein Mittagessen heraus, und manchmal, wenn niemand im Laden war, besorgten sie sich noch einen Kaffee im Lebensmittelgeschäft nebenan. Denise schien von Natur aus still, aber sie neigte zu plötzlichen Ausbrüchen von Mitteilsamkeit. »Meine Mutter hat seit vielen Jahren MS, wissen Sie, deshalb mussten wir alle schon sehr früh mit anpacken. Meine Brüder sind alle drei vollkommen unterschiedlich. Finden Sie es nicht auch seltsam, wenn das so kommt? « Der älteste Bruder, erzählte Denise, während sie eine Shampooflasche gerade rückte, sei der Liebling ihres Vaters gewesen, bis er ein Mädchen heiratete, das der Vater nicht leiden konnte. Sie selbst habe wunderbare Schwiegereltern, sagte sie. Sie habe einen Freund vor Henry gehabt, der Protestant war, und seine Eltern hätten sie längst nicht so nett behandelt. »Es hätte nie funktioniert«, sagte sie und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Ja, Henry ist ein fabelhafter junger Mann«, antwortete Henry.
Sie nickte und lächelte hinter ihrer Brille wie eine Dreizehnjährige. Wieder stellte er sich den Trailer vor, sah die zwei vor sich, wie sie sich darin balgten wie übergroße Welpen; er hätte nicht zu sagen vermocht, warum ihn bei dem Gedanken ein solches Glücksgefühl durchströmte, wie flüssiges Gold kam es ihm vor.
Sie war so tüchtig wie Mrs. Granger, aber lockerer. »Im zweiten Gang, gleich unter den Vitaminen«, sagte sie einer Kundin. »Hier, ich zeig's Ihnen.« Einmal erzählte sie Henry, dass sie die Leute manchmal ein wenig herumspazieren lasse, bevor sie sie fragte, ob sie ihnen helfen könne. »Auf diese Weise stolpern sie vielleicht über das eine oder andere, das sie auch noch brauchen können. Und dann steigt Ihr Umsatz.« Die Wintersonne spannte ein Trapez über das Regal mit den Kosmetikprodukten; ein Bodenstreifen leuchtete wie Honig.
Er zog beifällig die Brauen hoch. »Das war ein Glückstag für mich, Denise, als Sie durch diese Tür gekommen sind.« Sie schob mit dem Handrücken die Brille höher und fuhr mit dem Staubwedel über die Salbentiegel.
Jerry McCarthy, der Junge, der einmal die Woche - bei Bedarf öfter - die Arzneimittel aus Portland anlieferte, machte gelegentlich auch im Lager Pause. Er war achtzehn und frisch mit der High School fertig, ein großer dicker Junge mit einem glatten Gesicht, der ganze Teile seines Hemds durchschwitzte, manchmal bis über seine Schwabbelbrüste hinab, so dass es aussah, als gäbe der arme Kerl Milch. Auf einer Holzkiste hockend, die dicken Knie fast auf Ohrenhöhe, futterte er Sandwiches, aus denen mayonnaisetriefende Brocken von Eiersalat oder Thunfisch entwischten und auf seinem Hemd landeten.
Ab und zu bekam Henry mit, wie Denise ihm eine Papierserviette hinstreckte. »Das passiert mir auch ständig«, hörte er sie eines Tages sagen. »Sobald ich ein Sandwich zu essen versuche, auf dem nicht nur Aufschnitt ist, bekleckere ich mich von oben bis unten.« Es konnte unmöglich stimmen. Blitzgescheit war sie vielleicht nicht, aber auf jeden Fall blitzsauber.
»Guten Tag«, sagte sie, wenn das Telefon klingelte. »Hier ist die Stadtapotheke. Was kann ich für Sie tun?« Wie ein kleines Mädchen, das erwachsen spielt.
Und dann, eines Montagmorgens, als es schneidend kalt in der Apotheke war, schloss er den Laden auf und fragte: »Wie war das Wochenende, Denise? « Olive hatte sich tags zuvor geweigert, mit in die Kirche zu kommen, und gegen seine Gewohnheit war Henry heftig geworden. »Ist das zu viel verlangt? «, hatte er sich sagen hören, als er in der Unterhose in der Küche stand und seine Hosen bügelte, »dass die eigene Frau einen in die Kirche begleitet?« Ohne sie zu gehen schien ihm wie ein öffentliches Eingeständnis familiärer Zerrüttung.
»Und ob das zu viel verlangt ist!«, hatte ihm Olive förmlich entgegengespuckt und ihrem Groll freien Lauf gelassen. »Hast du eine Ahnung, wie saumäßig müde ich bin! Den ganzen Tag unterrichten und in schwachsinnigen Konferenzen sitzen, wo einem dieser Drecksdirektor den letzten Nerv raubt, dann Einkaufen, Kochen, Bügeln, Wäschewaschen, mit Christopher Hausaufgaben machen! Und du ...« Sie hielt die Lehne eines Esszimmerstuhls gepackt, und ihr dunkles Haar, noch ungekämmt und von der Nacht ganz verdrückt, fiel ihr in die Augen. »Du, Mr. Oberdiakon Friede-FreudeEierkuchen-Daherfasler, erwartest von mir, dass ich meinen Sonntagvormittag opfere, um mit einem Haufen Vollidioten herumzuhocken! « Unvermittelt setzte sie sich auf dem Stuhl nieder. »Ich hab's ganz einfach satt«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Es steht mir bis hier.«
Eine Schwärze zog durch sein Inneres, etwas Erstickendes. Am nächsten Morgen sagte Olive beiläufig: »Jims Auto hat letzte Woche gerochen, als hätte sich jemand darin übergeben. Hoffentlich hat er's saubergemacht.« Jim O'Casey war ein Kollege von Olive und nahm sowohl sie als auch Christopher seit Jahren mit zur Schule.
»Hoffentlich«, sagte Henry, und auf diese Weise wurde ihr Streit beigelegt.
»Oh, ich hatte ein ganz wunderbares Wochenende«, sagte Denise, und ihre Äuglein hinter den Brillengläsern blickten ihn mit einem so kindlichen Eifer an, dass es ihm schier das Herz brach. »Wir sind zu Henrys Eltern gefahren und haben nachts Kartoffeln geerntet. Henry hat die Scheinwerfer eingeschaltet, und wir haben nach Kartoffeln gegraben. In diesem eiskalten Boden die Kartoffeln zu finden - wie Ostereier-suchen war das! «
Er hörte auf, den Karton mit dem Penicillin auszupacken, und stieg die Stufe hinunter, bevor er antwortete. Außer ihnen beiden war noch niemand im Laden, und unter dem Schaufenster zischte der Heizkörper. »Das hat sicher Spaß gemacht, Denise«, sagte er.
Sie nickte und strich über das Regal mit den Vitaminen gleich neben ihr. Über ihr Gesicht huschte ein Anflug von Furcht. »Mir ist kalt geworden, und ich hab mich ins Auto gesetzt und Henry beim Graben zugeschaut, und ich habe gedacht, es ist zu schön, um wahr zu sein.«
Was gab es in ihrem jungen Leben, das sie so misstrauisch gegen das Glück gemacht hatte? Die Krankheit ihrer Mutter? Laut sagte er: »Kosten Sie's nur aus, Denise. Sie haben noch viele glückliche Jahre vor sich.« Oder, dachte er, während er sich wieder seinen Kartons zuwandte, oder es hatte mit ihrem Glauben zu tun - dem ständigen schlechten Gewissen der Katholiken.
Das Jahr, das dem folgte - war es das glücklichste in seinem Leben? Er dachte das oft, auch wenn es ihm selber töricht vorkam, eine derartige Einstufung vorzunehmen; aber in seiner Erinnerung war dieses besondere Jahr durchtränkt von einem wohligen Gefühl der Zeitlosigkeit, und wenn er in die Apotheke fuhr, durch frühmorgendliches Winterdunkel und dann später durch die zunehmende Helle eines Frühlings, vor dem sich prall der Sommer auftat, waren es die harmlosen kleinen Freuden seines Arbeitstages, von denen sein Herz so zum Überfließen voll schien. Wenn Henry Thibodeau in den gekiesten Hof einbog, ging Henry Kitteridge oft zur Tür, um sie für Denise aufzuhalten, und dabei rief er: »Morgen, Henry«, und Henry Thibodeau streckte den Kopf zum offenen Fahrerfenster heraus und rief zurück: »Morgen, Henry«, mit einem breiten Grinsen auf seinem anständigen, freundlichen Gesicht. Manchmal war es auch nur ein Salut: »Henry!« Und der andere Henry ebenfalls: »Henry!« Es war ein Spiel, an dem sie beide gleich viel Spaß hatten, und Denise, sachte zwischen ihnen hin und her geworfen wie ein Football, huschte schnell in den Laden.
Ihre Hände, die aus den Fäustlingen zum Vorschein kamen, wirkten so dünn wie die eines Kindes; sobald sie aber die Tasten der Kasse drückten oder etwas in ein weißes Tütchen packten, bewegten sie sich mit der ganzen Anmut von Frauenhänden - Händen, so dachte Henry, die zärtlich den Körper ihres Mannes berührten und die eines Tages mit ruhiger, fraulicher Kompetenz eine Windel wechseln, über eine fiebrige Stirn streichen oder ein Geschenk von der Zahnfee unter ein Kopfkissen stecken würden.
Wenn er sie sah, wie sie sich die Brille höher auf die Nase schob und den Kopf über die Inventarliste beugte, dachte Henry bei sich, das ist das Rückgrat Amerikas, denn dies war die Zeit, als gerade die Hippies aufkamen, und wenn er in der Newsweek von Marihuana und »freier Liebe« las, befiel ihn manchmal ein Unbehagen, das ein Blick auf Denise beschwichtigen konnte. »Wir gehen unter wie das alte Rom«, verkündete Olive triumphierend. »Amerika ist ein riesiger stinkender Käse.« Aber Henry hielt fest an seinem Glauben, dass die Mäßigkeit den Sieg davontragen würde, und in der Apotheke verrichtete er seine tägliche Arbeit an der Seite eines Mädchens, das nur den einen Traum hatte, eines Tages mit ihrem Mann eine Familie zu gründen. »Emanzipation ist nichts für mich«, erklärte sie Henry. »Ich will ein Haus haben und Betten machen.« Gut, wenn er eine Tochter gehabt hätte (und wie gern hätte er eine Tochter gehabt!), dann hätte er Bedenken angemeldet. Er hätte gesagt: In Ordnung, mach Betten, aber sieh zu, dass du trotzdem noch deinen Kopf benutzt. Aber Denise war nicht seine Tochter, und so sagte er ihr, Hausfrau und Mutter zu sein sei mit die vornehmste Bestimmung überhaupt - und empfand undeutlich, wie befreiend es war, einen Menschen zu mögen, in dem nicht das eigene Blut floss.
Er liebte ihre Arglosigkeit, er liebte die Unverdorbenheit ihrer Träume, aber das hatte selbstredend nichts mit Verliebtheit zu tun. Im Gegenteil, ihre natürliche Zurückhaltung ließ sein Verlangen nach Olive mit neuer Heftigkeit auflodern. Olives scharfe Zunge, ihre vollen Brüste, ihr aufbrausendes Temperament und ihr unvermitteltes, tiefes Lachen entfesselten in ihm einen ungekannten Andrang fast schmerzhafter Lust, und nicht Denise war es, die ihm bei seiner nächtlichen Verausgabung manchmal vor Augen stand, sondern merkwürdigerweise ihr starker junger Ehemann - die Wildheit des jungen Mannes in diesem Moment animalischer Besitznahme -, und dann erfasste Henry Kitteridge sekundenlang eine unglaubliche Raserei, als wäre er in diesem Akt ehelicher Vereinigung eins mit allen Männern, die mit der Gesamtheit aller Frauen eins wurden, in denen, moosig und dunkel, das Geheimnis der Erde verborgen lag.
»Du meine Güte«, sagte Olive, wenn er sich von ihr herunterwälzte.
Henry Thibodeau hatte im College Football gespielt, Henry Kitteridge ebenfalls. »War das nicht das Größte überhaupt? «, fragte der junge Henry ihn eines Tages. Er war früh gekommen, um Denise abzuholen, und stand im Laden. »Das Gejohle von der Tribüne zu hören, und dann kommt dieser Pass direkt auf dich zu, und du weißt, du kriegst ihn? Mann, das fand ich so was von klasse.« Er grinste, und sein klares Gesicht schien ein gebrochenes Licht abzustrahlen. »So was von klasse.«
»Ich fürchte, ich war längst nicht so gut wie Sie«, sagte Henry Kitteridge. Er war gut im Laufen gewesen, im Ausweichen, aber er war nicht aggressiv genug, um ein wirklich guter Spieler zu sein. Es beschämte ihn, daran zu denken, wie viel Angst er bei jedem Spiel gehabt hatte. Er war fast froh gewesen, als es mit seinen Noten bergab ging und er aufhören musste.
»Ach, so gut war ich gar nicht«, sagte Henry Thibodeau und fuhr sich mit seiner kräftigen Hand über den Kopf. »Ich hab einfach nur gern gespielt.«
»Er war gut«, sagte Denise, während sie ihren Mantel anzog. »Er war sogar richtig gut. Die Cheerleader haben ihn mit Namen angefeuert.« Und scheu, voller Stolz, intonierte sie: »Let's go, Thibodeau, let's go.«
Schon auf dem Weg zur Tür sagte Henry Thibodeau: »Jetzt müssen wir Sie und Olive aber endlich mal zu uns einladen.« »Ach, macht euch da gar keine Gedanken.«
Denise hatte Olive mit ihrer kleinen, ordentlichen Schrift ein Dankeskärtchen geschrieben. Olive hatte es überflogen, es über den Tisch zu Henry segeln lassen. »Die Schrift ist genauso mäuschenhaft wie sie selbst«, hatte Olive gesagt. »Sie ist das farbloseste Geschöpf, das ich je gesehen habe. Wenn jemand dermaßen blass ist, muss er da auch noch Grau und Beige tragen?«
»Ich weiß«, sagte er zustimmend, so als hätte sich ihm diese Frage auch schon gestellt. Sie hatte sich ihm nicht gestellt.
»Ein echtes Dummchen«, sagte Olive.
Aber Denise war nicht dumm. Sie hatte einen Kopf für Zahlen und merkte sich alles, was Henry ihr zu den Arzneimitteln erklärte, die er führte. Sie hatte einen Abschluss in Biologie und kannte sich mit Molekularstrukturen aus. In ihrer Mittagspause saß sie manchmal auf einer der Kisten hinten im Lager, auf dem Schoß das Merck-Handbuch. Ihr Kindergesicht, ernsthaft gemacht durch die Brille, neigte sich konzentriert über die Seiten, ihre Knie ragten in die Höhe, ihre Schultern hingen nach vorn.
Süß, schoss es ihm durch den Kopf, wenn er im Vorbeigehen einen Blick zu ihr hineinwarf. »Geht's gut, Denise?«, fragte er dann manchmal.
»0 ja, wunderbar.«
Das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, wenn er seine Fläschchen anordnete, seine Etiketten tippte. Denises Wesen verband sich mit dem seinen so mühelos wie Aspirin mit dem Enzym COX-z; Henry glitt schmerzfrei durch den Tag. Das freundliche Zischen der Heizkörper, das Klingeln der Ladenglocke, wenn jemand zur Tür hereinkam, das Knarzen der Dielenbretter, das Ping der Registrierkasse - im Geist verglich er die Apotheke damals zuweilen mit einem gesunden, autonomen Nervensystem im Zustand ruhigen Funktionierens.
An den Abenden siedete das Adrenalin. »Ich tu nichts anderes als kochen und putzen und hinter anderen Leuten her-räumen«, schrie Olive etwa und knallte einen Teller Rindsgulasch vor ihn hin. »Alle sitzen nur mit langen Gesichtern da und warten darauf, dass ich sie bediene!« In seinen Armen kribbelte es.
»Vielleicht könntest du ein bisschen mehr im Haushalt mithelfen«, sagte er zu Christopher.
»Untersteh dich, ihn herumzukommandieren! Du interessierst dich ja noch nicht mal genügend für ihn, um zu wissen, was er in Sozialkunde durchmacht!«, fauchte Olive ihn an, während Christopher stumm blieb, den Mund süffisant verzogen. »Herrgott, sogar Jim O'Casey kümmert sich mehr uni den Jungen als du«, sagte Olive. Sie klatschte ihre Serviette auf die Tischplatte.
» Jim O'Casey unterrichtet bei euch an der Schule, alles, was recht ist, und er sieht dich und Chris jeden Tag. Was ist denn so schlimm in Sozialkunde? «
»Nur dass der Dreckslehrer ein Vollidiot ist, was Jim intuitiv versteht«, sagte Olive. »Du siehst Christopher auch jeden Tag. Aber du kriegst nichts mit, weil du dich in deiner heilen kleinen Welt mit deinem grauen Mäuschen verschanzt.«
»Ihr macht ihre Arbeit Spaß«, gab Henry zurück. Aber am Morgen war die Schwärze von Olives Stimmung oft verflogen, und wenn Henry zur Arbeit fuhr, lebte die Hoffnung, die er am Vorabend verloren geglaubt hatte, neu auf. In der Apotheke regierten Friede und Wohlgefallen.
Denise fragte Jerry McCarthy, ob er denn aufs College gehen wolle. »Weiß nicht. Glaub nicht.« Jerry wurde rot -vielleicht war er ein bisschen in Denise verliebt, oder er kam sich kindisch vor in ihrer Nähe: ein Junge, der noch zu Hause wohnte und unter seinem Babyspeck litt.
»Mach doch einen Abendkurs«, sagte Denise fröhlich. »Da kannst du dich gleich nach Weihnachten einschreiben. Nur einen einzigen Kurs. Probier's doch.« Denise nickte und sah Henry an, der zurücknickte.
»Das stimmt, Jerry«, sagte Henry, der bis dahin kaum einen Gedanken an den Jungen verschwendet hatte. »Was interessiert dich denn?«
Der Junge hob die dicken Schultern.
»Irgendwas muss dich doch interessieren.«
»Dieses Zeug hier.« Der Junge zeigte auf die Medikamentenkisten, die er gerade durch die Hintertür hereingetragen hatte.
Und tatsächlich belegte er einen Chemiekurs, und als er im Frühling mit Eins abschloss, sagte Denise: »Rühr dich nicht vom Fleck.« Sie kehrte mit einer kleinen Torte in einer Tortenschachtel aus dem Lebensmittelladen zurück und sagte: »Henry, wenn das Telefon nicht läutet, feiern wir jetzt.«
Beide Backen voller Torte, vertraute Jerry Denise an, dass er letzten Sonntag zur Kirche gegangen war, um dafür zu beten, dass er in der Prüfung gut abschnitt.
Das gehörte zu den Dingen, die Henry an den Katholiken nie begreifen würde. Er wollte schon sagen: Gott hat keine Eins für dich geschrieben, Jerry, das warst du selber. Aber Denise fragte: »Gehst du jeden Sonntag in die Kirche?«
Der Junge schaute verlegen und schleckte sich Zuckerguss von den Fingern. »Von jetzt an schon«, sagte er, und Denise lachte und Jerry auch, wobei er rot anlief.
Herbst nun, November, und so viele Jahre später, dass Henry, als er sich an diesem Sonntagmorgen kämmt, einige graue Haare zwischen den schwarzen Plastikzähnen herauszupfen muss, ehe er den Kamm wieder in die Tasche steckt. Er macht für Olive noch ein Feuer im Kamin, bevor er zur Kirche aufbricht. »Bring mir ein bisschen Tratsch mit«, sagt Olive zu ihm und zieht ihren Pullover herunter, den Blick in einen großen Topf gerichtet, in dem Äpfel schmurgeln. Sie kocht Apfelmus aus den letzten Äpfeln des Jahres, und der Geruch -süß, vertraut, alte Sehnsüchte wachkitzelnd - weht ihn kurz an, als er mit Tweedjacke und Krawatte zur Tür geht.
»Ich geb mir Mühe«, sagt er. Niemand scheint heutzutage mehr einen Anzug in die Kirche anzuziehen.
Ohnehin gibt es nur noch eine Handvoll regelmäßiger Kirchgänger in der Gemeinde. Das bekümmert Henry, und es macht ihm Sorgen. Sie hatten zwei verschiedene Pfarrer in den letzten fünf Jahren, und beide haben auf der Kanzel alles andere als inspiriert gewirkt. Der jetzige, ein Bärtiger, der ohne Talar predigt, wird ihnen auch nicht lange erhalten bleiben, vermutet Henry. Er ist jung, und seine Familie wächst, er wird bald weiterziehen. So spärlich, wie die Gottesdienste besucht sind, fürchtet Henry, auch andere könnten gespürt haben, was er selbst zunehmend abzuleugnen versucht: dass von dieser wöchentlichen Zusammenkunft nichts wirklich Tröstliches mehr ausgeht. Wenn sie die Köpfe beugen oder einen Psalm singen, fehlt jetzt - für Henry - das Gefühl, dass Gottes Gegenwart sie segnet. Aus Olive ist eine radikale Atheistin geworden. Er weiß nicht, wann das passiert ist; zu Anfang ihrer Ehe war sie es jedenfalls nicht. In ihrem Biologiekurs am College haben sie über das Sezieren von Tieren diskutiert; schon allein das Atmungssystem sei ein Wunder, fanden sie damals, die Schöpfung einer wunderbaren Macht.
Er rumpelt den Fahrweg entlang, biegt dann in die Asphaltstraße ein, die zur Stadt führt. Nur ein paar tiefrote Blätter hängen noch in den kahlen Zweigen der Ahornbäume, die Eichenblätter sind rostbraun und runzlig; ganz kurz kommt zwischen den Stämmen die Bucht in Sicht, stumpf und stahlgrau heute unter dem verhangenen Novemberhimmel.
Hier vorne stand früher die Apotheke. Sie ist einem großen Drogeriemarkt mit riesigen gläsernen Gleittüren gewichen, so groß wie die alte Apotheke und der Lebensmittelladen zusammen, ja selbst die Kiesfläche mit den Mülltonnen, wo Henry nach Feierabend so oft noch mit Denise geschwatzt hat, bevor sie in ihre getrennten Autos stiegen und heimfuhren, ist diesem Laden einverleibt worden, in dem es nicht nur Arzneimittel zu kaufen gibt, sondern auch überdimensionale Rollen Küchenpapier und Mülltüten in allen Größen, Teller und Tassen, Bratenwender und Katzenfutter. Die Bäume an der Seite hat man gefällt, um Parkraum zu schaffen. Man gewöhnt sich an so vieles, denkt er, ohne sich daran zu gewöhnen.
Es scheint sehr lange her, dass Denise dort fröstelnd in der Winterkälte stand, bevor sie schließlich ins Auto stieg. Wie jung sie war! Wie schmerzlich, an ihr verstörtes Gesicht zurückzudenken; aber gleichzeitig erinnert er sich doch auch, wie er sie zum Lächeln bringen konnte. Jetzt, so weit weg im fernen Texas (so fern, dass es fast ein fremdes Land scheint), ist sie so alt wie er damals. Einmal war ihr ein roter Fäustling zu Boden gefallen, und er hat sich danach gebückt - hat das Bündchen für sie aufgespreizt und zugesehen, wie ihre kleine Hand darin verschwand.
...
Übersetzung: Sabine Roth
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 Luchterhand Literaturverlag,
München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Viele Jahre lang war Henry Kitteridge Apotheker in der nahegelegenen Stadt und fuhr die Strecke jeden Morgen, über verschneite Straßen oder regennasse Straßen oder sommerliche Straßen, deren Ränder bis zu den Ausläufern der Stadt zugewuchert waren von den neuen Trieben der wilden Himbeeren, ehe er in die breitere Straße zur Apotheke einbog. Jetzt, im Ruhestand, wacht er immer noch früh auf und erinnert sich, wie lieb ihm diese Morgen waren, wenn die Welt sich anfühlte wie sein Geheimnis: Die Reifen schnurrten so sanft unter ihm, und das Licht brach durch den Frühnebel, und zu seiner Rechten blitzte kurz die Bucht auf, dann die Kiefern, hoch und schlank, und fast immer hatte er das Fenster einen Spalt offen, weil er den Kiefernduft liebte und die schwere Salzluft, und im Winter liebte er den Geruch der Kälte.
Die Apotheke war ein kleiner zweigeschossiger Bau, Wand an Wand mit dem Nachbarhaus, in dem ein Heimwerkermarkt und ein kleines Lebensmittelgeschäft untergebracht waren. Jeden Morgen parkte Henry hinterm Haus bei den großen metallenen Müllcontainern, und dann betrat er die Apotheke durch die Hintertür und schaltete drinnen die Lichter an, drehte den Thermostat hoch oder setzte, wenn es Sommer war, den Ventilator in Gang. Er öffnete den Tresor, legte Geld in die Kasse, schloss die Ladentür auf, wusch sich die Hände, zog seinen weißen Kittel über. Das Ritual hatte
etwas Wohltuendes, fast als wäre der alte Laden mit seinen Regalen voll Zahnpastatuben, Vitaminpräparaten, Kosmetikartikeln und Haarspangen, seinen Nähnadeln, Grußkarten, roten Gummiwärmflaschen und Einlaufpumpen ein Freund, ein in sich ruhender, verlässlicher Freund. Und alles Unerfreuliche, das zu Hause vorgefallen sein mochte, alle Beklommenheit, weil seine Frau wieder einmal mitten in der Nacht aus dem Bett aufgestanden und durch das dunkle Haus gewandert war - all das blieb zurück wie ein fernes Ufer, wenn er in der Sicherheit seiner Apotheke herumging. Hinter der Theke, bei seinen Schubladen und Pillenreihen, war Henry ein fröhlicher Mensch. Gut gelaunt ging er ans Telefon, gut gelaunt händigte er Mrs. Merriman ihr Blutdruckmittel aus und dem alten Cliff Mott sein Digitalis, gut gelaunt füllte er das Valium für Rachel Jones ab, die in der Nacht, in der ihr Kind zur Welt kam, von ihrem Mann verlassen worden war. Henry war einer, der zuhörte, und viele Male die Woche sagte er: »Ach je, das tut mir aber leid«, oder: »Ist denn das zu fassen?«
Insgeheim wirkten in ihm noch die Ängste nach, die er als Kind bei den beiden Nervenzusammenbrüchen seiner Mutter ausgestanden hatte - einer Mutter, von der er ansonsten furios umsorgt worden war. Wenn also, was selten vorkam, ein Kunde einen Preis überteuert oder die Qualität einer elastischen Binde oder eines Eisbeutels ungenügend fand, versuchte Henry möglichst rasch zu vermitteln. Viele Jahre hindurch arbeitete Mrs. Granger für ihn; ihr Mann war Hummerfischer, und sie hatte etwas von einer kalten Meeresbrise an sich. Beflissenheit gegenüber verstimmten Kunden war ihr fremd. Er musste, während er seine Rezepte bearbeitete, immer mit halbem Ohr lauschen, ob sie nicht gerade an der Kasse eine Beschwerde abwimmelte. Es war ein ganz ähnliches Gefühl, wie wenn er daheim achtzugeben versuchte, dass Olive, seine Frau, Christopher nicht zu hart anfasste, wenn er bei den Hausaufgaben geschlampt oder sonst eine Pflicht versäumt hatte - diese stetig angespannte Aufmerksamkeit, dieser Drang, alle zufrieden zu wissen. Sobald ihm Mrs. Grangers Stimme schroff vorkam, stieg er herab von seinem Podest an der Rückwand und ging nach vorn, um selbst mit dem Kunden zu reden. Davon abgesehen leistete Mrs. Granger gute Arbeit. Er schätzte an ihr, dass sie nicht geschwätzig war, fehlerfreie Bestandslisten führte und sich kaum krank meldete. Dass sie eines Nachts im Schlaf starb, überraschte ihn und erfüllte ihn mit leisem Schuldbewusstsein, als wäre ihm in all den Jahren Seite an Seite mit ihr das entscheidende Symptom entgangen, das er mit seinen Pillen und Säften und Spritzen vielleicht hätte heilen können.
»Ein Mäuschen«, sagte seine Frau, als er das neue Mädchen einstellte. »Eine richtig graue Maus.«
Denise Thibodeau hatte runde Backen und kleine Äug-ein, die durch ihre braun eingefassten Brillengläser spitzten. »Aber eine nette graue Maus«, sagte Henry. »Eine niedliche Maus.«
»Niemand ist niedlich, der sich so miserabel hält«, sagte Olive. Es stimmte, Denises schmale Schultern hingen vornüber, als wollte sie Abbitte für etwas leisten. Sie war zweiundzwanzig und hatte gerade ihren Abschluss an der Staatlichen Universität in Vermont gemacht. Ihr Mann hieß auch Henry, und als Henry Kitteridge Henry Thibodeau kennenlernte, empfand er etwas Strahlendes an ihm, das ihn fesselte. Der junge Mann war kräftig, mit grobknochigem Gesicht und einem Leuchten in den Augen, das seine schlichte, anständige Erscheinung aus der Durchschnittlichkeit heraushob. Er war Klempner und arbeitete im Betrieb seines Onkels. Denise und er waren seit einem Jahr verheiratet.
»Sonst noch Wünsche«, sagte Olive, als er vorschlug, sie sollten das junge Paar zum Essen einladen. Henry ließ das Thema fallen. Dies war die Zeit, als sein Sohn, auch wenn man ihm die Pubertät äußerlich noch nicht ansah, in eine plötzliche, aggressive Muffigkeit verfiel, die die Stimmung im ganzen Haus vergiftete; Olive wirkte genauso verändert und unstet wie Christopher, und die beiden fochten schnelle, wilde Kämpfe aus, die ebenso schnell in eine stumme, enge Vertrautheit umschlagen konnten, während Henry, ratlos und verdutzt, dastand und nichts begriff.
Aber als er sich an einem Spätsommerabend, als die Sonne schon hinter den Fichten unterging, auf dem Parkplatz noch mit den Thibodeaus unterhielt, befiel Henry Kitteridge eine solche Sehnsucht nach der Gesellschaft dieser jungen Leute, die ihn mit einem so zurückhaltenden und doch eifrigen Interesse ansahen, während er von seiner eigenen fernen Studienzeit sprach, dass er sagte: »Ach, übrigens, Olive und ich würden euch demnächst gern zu uns zum Essen einladen.«
Er fuhr heim, vorbei an den hohen Kiefern und der aufblitzenden Bucht, und dachte an die Thibodeaus, die in die entgegengesetzte Richtung fuhren, zu ihrem Trailer am Stadtrand. Er stellte sich das Trailerinnere vor, gemütlich und aufgeräumt - denn Denise hatte eine reinliche Art -, stellte sich vor, wie sie einander von ihrem Tag erzählten. Denise sagte vielleicht: »Er ist wirklich ein netter Chef.« Und Henry antwortete: »Also, ich mag ihn richtig gern.«
Er bog in seine Einfahrt ein, die im Grunde nur eine Grasfläche oben am Hang war, und sah Olive im Garten. »Hallo, Olive«, sagte er und ging zu ihr. Er wollte die Arme um sie legen, aber eine Dunkelheit schien neben ihr zu stehen wie ein Bekannter, der das Feld nicht räumen will. Er sagte ihr, dass die Thibodeaus zum Essen kommen würden. »Das gehört sich einfach«, sagte er.
Olive wischte sich den Schweiß von der Oberlippe, wandte sich ab und riss ein Büschel Glatthafer aus. »Dann wär das ja auch geklärt, Mr. President«, sagte sie. »Sag schon mal dem Koch Bescheid.«
Am Freitagabend folgte das Paar ihm nach Hause, und der junge Henry schüttelte Olive die Hand. »Schönes Haus haben Sie hier«, sagte er. »Und dieser tolle Meerblick! Mr. Kitteridge sagt, Sie haben es selber gebaut.«
»Ja, haben wir.«
Christopher saß seitlich auf seinem Stuhl, hingefläzt in pubertärer Wurstigkeit, und antwortete nicht, als Henry Thibodeau ihn fragte, ob er in der Schule irgendwelchen Sport trieb. Henry Kitteridge spürte eine unerwartete Wut in sich aufsteigen und hätte den Jungen am liebsten angebrüllt; in seinen schlechten Manieren schien ihm etwas Hässliches zutage zu treten, das im Hause Kitteridge nichts verloren hatte.
»Wenn man in einer Apotheke arbeitet«, sagte Olive zu Denise, als sie einen Teller mit Baked Beans vor sie hinstellte, »kriegt man die Geheimnisse der ganzen Stadt mit.« Sie setzte sich ihr gegenüber, schob ihr die Ketchupflasche hin. »Da muss man den Mund halten können. Aber das können Sie ja, wie es scheint.«
»Denise macht das alles genau richtig«, sagte Henry Kitteridge.
Denises Mann sagte: »Und ob. Wenn Sie sich auf jemand verlassen können, dann auf Denise.«
»Das glaube ich Ihnen«, sagte Henry und reichte ihm den Korb mit den Brötchen. »Und bitte, sagen Sie doch Henry zu mir. Einer meiner Lieblingsnamen«, fügte er hinzu. Denise lachte leise; sie mochte ihn, das konnte er sehen.
Christopher lümmelte sich noch tiefer in seinen Stuhl.
Henry Thibodeaus Eltern hatten eine Farm ein Stück landeinwärts, und so fachsimpelten die beiden Henrys über Getreide und Stangenbohnen und über den Mais, der dieses Jahr wegen der Dürre nicht so süß war wie sonst, und darüber, wie man ein gutes Spargelbeet anlegt.
»Sag mal, muss das sein«, sagte Olive, als Henry Kitteridge dem jungen Mann die Ketchupflasche reichte und sie dabei umstieß, so dass die Sauce wie angedicktes Blut auf den Eichentisch schwappte. Er wollte sie aufheben, bekam sie aber nicht richtig zu fassen, und Ketchup landete auf seinen Fingern und dann auf seinem weißen Hemd.
»Lass mich das machen«, befahl Olive und stand auf. »Lass es einfach mich machen. Herrgott noch mal, Henry.« Und Henry Thibodeau - vielleicht weil er in so scharfem Ton seinen Namen hörte - setzte sich gerade hin und schaute schuldbewusst drein.
»Ach je, was bin ich ungeschickt«, sagte Henry Kitteridge.
Zum Nachtisch bekam jeder ein blaues Schälchen in die Hand gedrückt, in dem eine Kugel Vanilleeis herumrutschte. »Vanille mag ich am liebsten«, sagte Denise.
»So ein Glück aber auch«, sagte Olive.
»Genau wie ich«, sagte Henry Kitteridge.
Als der Herbst kam und es morgens später hell wurde und die Apotheke nur einen schmalen Keil Sonnenlicht abbekam, bevor die Sonne über das Haus davonwanderte und der Laden nur noch von den Deckenlampen erhellt wurde, befüllte Henry auf seinem Podest an der Rückwand die kleinen Plastikfläschchen und ging ans Telefon, während Denise vorn bei der Kasse die Stellung hielt. Mittags packte sie das belegte Brot aus, das sie sich von zu Hause mitbrachte, und aß es hinten im Lager, und danach holte er sein Mittagessen heraus, und manchmal, wenn niemand im Laden war, besorgten sie sich noch einen Kaffee im Lebensmittelgeschäft nebenan. Denise schien von Natur aus still, aber sie neigte zu plötzlichen Ausbrüchen von Mitteilsamkeit. »Meine Mutter hat seit vielen Jahren MS, wissen Sie, deshalb mussten wir alle schon sehr früh mit anpacken. Meine Brüder sind alle drei vollkommen unterschiedlich. Finden Sie es nicht auch seltsam, wenn das so kommt? « Der älteste Bruder, erzählte Denise, während sie eine Shampooflasche gerade rückte, sei der Liebling ihres Vaters gewesen, bis er ein Mädchen heiratete, das der Vater nicht leiden konnte. Sie selbst habe wunderbare Schwiegereltern, sagte sie. Sie habe einen Freund vor Henry gehabt, der Protestant war, und seine Eltern hätten sie längst nicht so nett behandelt. »Es hätte nie funktioniert«, sagte sie und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Ja, Henry ist ein fabelhafter junger Mann«, antwortete Henry.
Sie nickte und lächelte hinter ihrer Brille wie eine Dreizehnjährige. Wieder stellte er sich den Trailer vor, sah die zwei vor sich, wie sie sich darin balgten wie übergroße Welpen; er hätte nicht zu sagen vermocht, warum ihn bei dem Gedanken ein solches Glücksgefühl durchströmte, wie flüssiges Gold kam es ihm vor.
Sie war so tüchtig wie Mrs. Granger, aber lockerer. »Im zweiten Gang, gleich unter den Vitaminen«, sagte sie einer Kundin. »Hier, ich zeig's Ihnen.« Einmal erzählte sie Henry, dass sie die Leute manchmal ein wenig herumspazieren lasse, bevor sie sie fragte, ob sie ihnen helfen könne. »Auf diese Weise stolpern sie vielleicht über das eine oder andere, das sie auch noch brauchen können. Und dann steigt Ihr Umsatz.« Die Wintersonne spannte ein Trapez über das Regal mit den Kosmetikprodukten; ein Bodenstreifen leuchtete wie Honig.
Er zog beifällig die Brauen hoch. »Das war ein Glückstag für mich, Denise, als Sie durch diese Tür gekommen sind.« Sie schob mit dem Handrücken die Brille höher und fuhr mit dem Staubwedel über die Salbentiegel.
Jerry McCarthy, der Junge, der einmal die Woche - bei Bedarf öfter - die Arzneimittel aus Portland anlieferte, machte gelegentlich auch im Lager Pause. Er war achtzehn und frisch mit der High School fertig, ein großer dicker Junge mit einem glatten Gesicht, der ganze Teile seines Hemds durchschwitzte, manchmal bis über seine Schwabbelbrüste hinab, so dass es aussah, als gäbe der arme Kerl Milch. Auf einer Holzkiste hockend, die dicken Knie fast auf Ohrenhöhe, futterte er Sandwiches, aus denen mayonnaisetriefende Brocken von Eiersalat oder Thunfisch entwischten und auf seinem Hemd landeten.
Ab und zu bekam Henry mit, wie Denise ihm eine Papierserviette hinstreckte. »Das passiert mir auch ständig«, hörte er sie eines Tages sagen. »Sobald ich ein Sandwich zu essen versuche, auf dem nicht nur Aufschnitt ist, bekleckere ich mich von oben bis unten.« Es konnte unmöglich stimmen. Blitzgescheit war sie vielleicht nicht, aber auf jeden Fall blitzsauber.
»Guten Tag«, sagte sie, wenn das Telefon klingelte. »Hier ist die Stadtapotheke. Was kann ich für Sie tun?« Wie ein kleines Mädchen, das erwachsen spielt.
Und dann, eines Montagmorgens, als es schneidend kalt in der Apotheke war, schloss er den Laden auf und fragte: »Wie war das Wochenende, Denise? « Olive hatte sich tags zuvor geweigert, mit in die Kirche zu kommen, und gegen seine Gewohnheit war Henry heftig geworden. »Ist das zu viel verlangt? «, hatte er sich sagen hören, als er in der Unterhose in der Küche stand und seine Hosen bügelte, »dass die eigene Frau einen in die Kirche begleitet?« Ohne sie zu gehen schien ihm wie ein öffentliches Eingeständnis familiärer Zerrüttung.
»Und ob das zu viel verlangt ist!«, hatte ihm Olive förmlich entgegengespuckt und ihrem Groll freien Lauf gelassen. »Hast du eine Ahnung, wie saumäßig müde ich bin! Den ganzen Tag unterrichten und in schwachsinnigen Konferenzen sitzen, wo einem dieser Drecksdirektor den letzten Nerv raubt, dann Einkaufen, Kochen, Bügeln, Wäschewaschen, mit Christopher Hausaufgaben machen! Und du ...« Sie hielt die Lehne eines Esszimmerstuhls gepackt, und ihr dunkles Haar, noch ungekämmt und von der Nacht ganz verdrückt, fiel ihr in die Augen. »Du, Mr. Oberdiakon Friede-FreudeEierkuchen-Daherfasler, erwartest von mir, dass ich meinen Sonntagvormittag opfere, um mit einem Haufen Vollidioten herumzuhocken! « Unvermittelt setzte sie sich auf dem Stuhl nieder. »Ich hab's ganz einfach satt«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Es steht mir bis hier.«
Eine Schwärze zog durch sein Inneres, etwas Erstickendes. Am nächsten Morgen sagte Olive beiläufig: »Jims Auto hat letzte Woche gerochen, als hätte sich jemand darin übergeben. Hoffentlich hat er's saubergemacht.« Jim O'Casey war ein Kollege von Olive und nahm sowohl sie als auch Christopher seit Jahren mit zur Schule.
»Hoffentlich«, sagte Henry, und auf diese Weise wurde ihr Streit beigelegt.
»Oh, ich hatte ein ganz wunderbares Wochenende«, sagte Denise, und ihre Äuglein hinter den Brillengläsern blickten ihn mit einem so kindlichen Eifer an, dass es ihm schier das Herz brach. »Wir sind zu Henrys Eltern gefahren und haben nachts Kartoffeln geerntet. Henry hat die Scheinwerfer eingeschaltet, und wir haben nach Kartoffeln gegraben. In diesem eiskalten Boden die Kartoffeln zu finden - wie Ostereier-suchen war das! «
Er hörte auf, den Karton mit dem Penicillin auszupacken, und stieg die Stufe hinunter, bevor er antwortete. Außer ihnen beiden war noch niemand im Laden, und unter dem Schaufenster zischte der Heizkörper. »Das hat sicher Spaß gemacht, Denise«, sagte er.
Sie nickte und strich über das Regal mit den Vitaminen gleich neben ihr. Über ihr Gesicht huschte ein Anflug von Furcht. »Mir ist kalt geworden, und ich hab mich ins Auto gesetzt und Henry beim Graben zugeschaut, und ich habe gedacht, es ist zu schön, um wahr zu sein.«
Was gab es in ihrem jungen Leben, das sie so misstrauisch gegen das Glück gemacht hatte? Die Krankheit ihrer Mutter? Laut sagte er: »Kosten Sie's nur aus, Denise. Sie haben noch viele glückliche Jahre vor sich.« Oder, dachte er, während er sich wieder seinen Kartons zuwandte, oder es hatte mit ihrem Glauben zu tun - dem ständigen schlechten Gewissen der Katholiken.
Das Jahr, das dem folgte - war es das glücklichste in seinem Leben? Er dachte das oft, auch wenn es ihm selber töricht vorkam, eine derartige Einstufung vorzunehmen; aber in seiner Erinnerung war dieses besondere Jahr durchtränkt von einem wohligen Gefühl der Zeitlosigkeit, und wenn er in die Apotheke fuhr, durch frühmorgendliches Winterdunkel und dann später durch die zunehmende Helle eines Frühlings, vor dem sich prall der Sommer auftat, waren es die harmlosen kleinen Freuden seines Arbeitstages, von denen sein Herz so zum Überfließen voll schien. Wenn Henry Thibodeau in den gekiesten Hof einbog, ging Henry Kitteridge oft zur Tür, um sie für Denise aufzuhalten, und dabei rief er: »Morgen, Henry«, und Henry Thibodeau streckte den Kopf zum offenen Fahrerfenster heraus und rief zurück: »Morgen, Henry«, mit einem breiten Grinsen auf seinem anständigen, freundlichen Gesicht. Manchmal war es auch nur ein Salut: »Henry!« Und der andere Henry ebenfalls: »Henry!« Es war ein Spiel, an dem sie beide gleich viel Spaß hatten, und Denise, sachte zwischen ihnen hin und her geworfen wie ein Football, huschte schnell in den Laden.
Ihre Hände, die aus den Fäustlingen zum Vorschein kamen, wirkten so dünn wie die eines Kindes; sobald sie aber die Tasten der Kasse drückten oder etwas in ein weißes Tütchen packten, bewegten sie sich mit der ganzen Anmut von Frauenhänden - Händen, so dachte Henry, die zärtlich den Körper ihres Mannes berührten und die eines Tages mit ruhiger, fraulicher Kompetenz eine Windel wechseln, über eine fiebrige Stirn streichen oder ein Geschenk von der Zahnfee unter ein Kopfkissen stecken würden.
Wenn er sie sah, wie sie sich die Brille höher auf die Nase schob und den Kopf über die Inventarliste beugte, dachte Henry bei sich, das ist das Rückgrat Amerikas, denn dies war die Zeit, als gerade die Hippies aufkamen, und wenn er in der Newsweek von Marihuana und »freier Liebe« las, befiel ihn manchmal ein Unbehagen, das ein Blick auf Denise beschwichtigen konnte. »Wir gehen unter wie das alte Rom«, verkündete Olive triumphierend. »Amerika ist ein riesiger stinkender Käse.« Aber Henry hielt fest an seinem Glauben, dass die Mäßigkeit den Sieg davontragen würde, und in der Apotheke verrichtete er seine tägliche Arbeit an der Seite eines Mädchens, das nur den einen Traum hatte, eines Tages mit ihrem Mann eine Familie zu gründen. »Emanzipation ist nichts für mich«, erklärte sie Henry. »Ich will ein Haus haben und Betten machen.« Gut, wenn er eine Tochter gehabt hätte (und wie gern hätte er eine Tochter gehabt!), dann hätte er Bedenken angemeldet. Er hätte gesagt: In Ordnung, mach Betten, aber sieh zu, dass du trotzdem noch deinen Kopf benutzt. Aber Denise war nicht seine Tochter, und so sagte er ihr, Hausfrau und Mutter zu sein sei mit die vornehmste Bestimmung überhaupt - und empfand undeutlich, wie befreiend es war, einen Menschen zu mögen, in dem nicht das eigene Blut floss.
Er liebte ihre Arglosigkeit, er liebte die Unverdorbenheit ihrer Träume, aber das hatte selbstredend nichts mit Verliebtheit zu tun. Im Gegenteil, ihre natürliche Zurückhaltung ließ sein Verlangen nach Olive mit neuer Heftigkeit auflodern. Olives scharfe Zunge, ihre vollen Brüste, ihr aufbrausendes Temperament und ihr unvermitteltes, tiefes Lachen entfesselten in ihm einen ungekannten Andrang fast schmerzhafter Lust, und nicht Denise war es, die ihm bei seiner nächtlichen Verausgabung manchmal vor Augen stand, sondern merkwürdigerweise ihr starker junger Ehemann - die Wildheit des jungen Mannes in diesem Moment animalischer Besitznahme -, und dann erfasste Henry Kitteridge sekundenlang eine unglaubliche Raserei, als wäre er in diesem Akt ehelicher Vereinigung eins mit allen Männern, die mit der Gesamtheit aller Frauen eins wurden, in denen, moosig und dunkel, das Geheimnis der Erde verborgen lag.
»Du meine Güte«, sagte Olive, wenn er sich von ihr herunterwälzte.
Henry Thibodeau hatte im College Football gespielt, Henry Kitteridge ebenfalls. »War das nicht das Größte überhaupt? «, fragte der junge Henry ihn eines Tages. Er war früh gekommen, um Denise abzuholen, und stand im Laden. »Das Gejohle von der Tribüne zu hören, und dann kommt dieser Pass direkt auf dich zu, und du weißt, du kriegst ihn? Mann, das fand ich so was von klasse.« Er grinste, und sein klares Gesicht schien ein gebrochenes Licht abzustrahlen. »So was von klasse.«
»Ich fürchte, ich war längst nicht so gut wie Sie«, sagte Henry Kitteridge. Er war gut im Laufen gewesen, im Ausweichen, aber er war nicht aggressiv genug, um ein wirklich guter Spieler zu sein. Es beschämte ihn, daran zu denken, wie viel Angst er bei jedem Spiel gehabt hatte. Er war fast froh gewesen, als es mit seinen Noten bergab ging und er aufhören musste.
»Ach, so gut war ich gar nicht«, sagte Henry Thibodeau und fuhr sich mit seiner kräftigen Hand über den Kopf. »Ich hab einfach nur gern gespielt.«
»Er war gut«, sagte Denise, während sie ihren Mantel anzog. »Er war sogar richtig gut. Die Cheerleader haben ihn mit Namen angefeuert.« Und scheu, voller Stolz, intonierte sie: »Let's go, Thibodeau, let's go.«
Schon auf dem Weg zur Tür sagte Henry Thibodeau: »Jetzt müssen wir Sie und Olive aber endlich mal zu uns einladen.« »Ach, macht euch da gar keine Gedanken.«
Denise hatte Olive mit ihrer kleinen, ordentlichen Schrift ein Dankeskärtchen geschrieben. Olive hatte es überflogen, es über den Tisch zu Henry segeln lassen. »Die Schrift ist genauso mäuschenhaft wie sie selbst«, hatte Olive gesagt. »Sie ist das farbloseste Geschöpf, das ich je gesehen habe. Wenn jemand dermaßen blass ist, muss er da auch noch Grau und Beige tragen?«
»Ich weiß«, sagte er zustimmend, so als hätte sich ihm diese Frage auch schon gestellt. Sie hatte sich ihm nicht gestellt.
»Ein echtes Dummchen«, sagte Olive.
Aber Denise war nicht dumm. Sie hatte einen Kopf für Zahlen und merkte sich alles, was Henry ihr zu den Arzneimitteln erklärte, die er führte. Sie hatte einen Abschluss in Biologie und kannte sich mit Molekularstrukturen aus. In ihrer Mittagspause saß sie manchmal auf einer der Kisten hinten im Lager, auf dem Schoß das Merck-Handbuch. Ihr Kindergesicht, ernsthaft gemacht durch die Brille, neigte sich konzentriert über die Seiten, ihre Knie ragten in die Höhe, ihre Schultern hingen nach vorn.
Süß, schoss es ihm durch den Kopf, wenn er im Vorbeigehen einen Blick zu ihr hineinwarf. »Geht's gut, Denise?«, fragte er dann manchmal.
»0 ja, wunderbar.«
Das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, wenn er seine Fläschchen anordnete, seine Etiketten tippte. Denises Wesen verband sich mit dem seinen so mühelos wie Aspirin mit dem Enzym COX-z; Henry glitt schmerzfrei durch den Tag. Das freundliche Zischen der Heizkörper, das Klingeln der Ladenglocke, wenn jemand zur Tür hereinkam, das Knarzen der Dielenbretter, das Ping der Registrierkasse - im Geist verglich er die Apotheke damals zuweilen mit einem gesunden, autonomen Nervensystem im Zustand ruhigen Funktionierens.
An den Abenden siedete das Adrenalin. »Ich tu nichts anderes als kochen und putzen und hinter anderen Leuten her-räumen«, schrie Olive etwa und knallte einen Teller Rindsgulasch vor ihn hin. »Alle sitzen nur mit langen Gesichtern da und warten darauf, dass ich sie bediene!« In seinen Armen kribbelte es.
»Vielleicht könntest du ein bisschen mehr im Haushalt mithelfen«, sagte er zu Christopher.
»Untersteh dich, ihn herumzukommandieren! Du interessierst dich ja noch nicht mal genügend für ihn, um zu wissen, was er in Sozialkunde durchmacht!«, fauchte Olive ihn an, während Christopher stumm blieb, den Mund süffisant verzogen. »Herrgott, sogar Jim O'Casey kümmert sich mehr uni den Jungen als du«, sagte Olive. Sie klatschte ihre Serviette auf die Tischplatte.
» Jim O'Casey unterrichtet bei euch an der Schule, alles, was recht ist, und er sieht dich und Chris jeden Tag. Was ist denn so schlimm in Sozialkunde? «
»Nur dass der Dreckslehrer ein Vollidiot ist, was Jim intuitiv versteht«, sagte Olive. »Du siehst Christopher auch jeden Tag. Aber du kriegst nichts mit, weil du dich in deiner heilen kleinen Welt mit deinem grauen Mäuschen verschanzt.«
»Ihr macht ihre Arbeit Spaß«, gab Henry zurück. Aber am Morgen war die Schwärze von Olives Stimmung oft verflogen, und wenn Henry zur Arbeit fuhr, lebte die Hoffnung, die er am Vorabend verloren geglaubt hatte, neu auf. In der Apotheke regierten Friede und Wohlgefallen.
Denise fragte Jerry McCarthy, ob er denn aufs College gehen wolle. »Weiß nicht. Glaub nicht.« Jerry wurde rot -vielleicht war er ein bisschen in Denise verliebt, oder er kam sich kindisch vor in ihrer Nähe: ein Junge, der noch zu Hause wohnte und unter seinem Babyspeck litt.
»Mach doch einen Abendkurs«, sagte Denise fröhlich. »Da kannst du dich gleich nach Weihnachten einschreiben. Nur einen einzigen Kurs. Probier's doch.« Denise nickte und sah Henry an, der zurücknickte.
»Das stimmt, Jerry«, sagte Henry, der bis dahin kaum einen Gedanken an den Jungen verschwendet hatte. »Was interessiert dich denn?«
Der Junge hob die dicken Schultern.
»Irgendwas muss dich doch interessieren.«
»Dieses Zeug hier.« Der Junge zeigte auf die Medikamentenkisten, die er gerade durch die Hintertür hereingetragen hatte.
Und tatsächlich belegte er einen Chemiekurs, und als er im Frühling mit Eins abschloss, sagte Denise: »Rühr dich nicht vom Fleck.« Sie kehrte mit einer kleinen Torte in einer Tortenschachtel aus dem Lebensmittelladen zurück und sagte: »Henry, wenn das Telefon nicht läutet, feiern wir jetzt.«
Beide Backen voller Torte, vertraute Jerry Denise an, dass er letzten Sonntag zur Kirche gegangen war, um dafür zu beten, dass er in der Prüfung gut abschnitt.
Das gehörte zu den Dingen, die Henry an den Katholiken nie begreifen würde. Er wollte schon sagen: Gott hat keine Eins für dich geschrieben, Jerry, das warst du selber. Aber Denise fragte: »Gehst du jeden Sonntag in die Kirche?«
Der Junge schaute verlegen und schleckte sich Zuckerguss von den Fingern. »Von jetzt an schon«, sagte er, und Denise lachte und Jerry auch, wobei er rot anlief.
Herbst nun, November, und so viele Jahre später, dass Henry, als er sich an diesem Sonntagmorgen kämmt, einige graue Haare zwischen den schwarzen Plastikzähnen herauszupfen muss, ehe er den Kamm wieder in die Tasche steckt. Er macht für Olive noch ein Feuer im Kamin, bevor er zur Kirche aufbricht. »Bring mir ein bisschen Tratsch mit«, sagt Olive zu ihm und zieht ihren Pullover herunter, den Blick in einen großen Topf gerichtet, in dem Äpfel schmurgeln. Sie kocht Apfelmus aus den letzten Äpfeln des Jahres, und der Geruch -süß, vertraut, alte Sehnsüchte wachkitzelnd - weht ihn kurz an, als er mit Tweedjacke und Krawatte zur Tür geht.
»Ich geb mir Mühe«, sagt er. Niemand scheint heutzutage mehr einen Anzug in die Kirche anzuziehen.
Ohnehin gibt es nur noch eine Handvoll regelmäßiger Kirchgänger in der Gemeinde. Das bekümmert Henry, und es macht ihm Sorgen. Sie hatten zwei verschiedene Pfarrer in den letzten fünf Jahren, und beide haben auf der Kanzel alles andere als inspiriert gewirkt. Der jetzige, ein Bärtiger, der ohne Talar predigt, wird ihnen auch nicht lange erhalten bleiben, vermutet Henry. Er ist jung, und seine Familie wächst, er wird bald weiterziehen. So spärlich, wie die Gottesdienste besucht sind, fürchtet Henry, auch andere könnten gespürt haben, was er selbst zunehmend abzuleugnen versucht: dass von dieser wöchentlichen Zusammenkunft nichts wirklich Tröstliches mehr ausgeht. Wenn sie die Köpfe beugen oder einen Psalm singen, fehlt jetzt - für Henry - das Gefühl, dass Gottes Gegenwart sie segnet. Aus Olive ist eine radikale Atheistin geworden. Er weiß nicht, wann das passiert ist; zu Anfang ihrer Ehe war sie es jedenfalls nicht. In ihrem Biologiekurs am College haben sie über das Sezieren von Tieren diskutiert; schon allein das Atmungssystem sei ein Wunder, fanden sie damals, die Schöpfung einer wunderbaren Macht.
Er rumpelt den Fahrweg entlang, biegt dann in die Asphaltstraße ein, die zur Stadt führt. Nur ein paar tiefrote Blätter hängen noch in den kahlen Zweigen der Ahornbäume, die Eichenblätter sind rostbraun und runzlig; ganz kurz kommt zwischen den Stämmen die Bucht in Sicht, stumpf und stahlgrau heute unter dem verhangenen Novemberhimmel.
Hier vorne stand früher die Apotheke. Sie ist einem großen Drogeriemarkt mit riesigen gläsernen Gleittüren gewichen, so groß wie die alte Apotheke und der Lebensmittelladen zusammen, ja selbst die Kiesfläche mit den Mülltonnen, wo Henry nach Feierabend so oft noch mit Denise geschwatzt hat, bevor sie in ihre getrennten Autos stiegen und heimfuhren, ist diesem Laden einverleibt worden, in dem es nicht nur Arzneimittel zu kaufen gibt, sondern auch überdimensionale Rollen Küchenpapier und Mülltüten in allen Größen, Teller und Tassen, Bratenwender und Katzenfutter. Die Bäume an der Seite hat man gefällt, um Parkraum zu schaffen. Man gewöhnt sich an so vieles, denkt er, ohne sich daran zu gewöhnen.
Es scheint sehr lange her, dass Denise dort fröstelnd in der Winterkälte stand, bevor sie schließlich ins Auto stieg. Wie jung sie war! Wie schmerzlich, an ihr verstörtes Gesicht zurückzudenken; aber gleichzeitig erinnert er sich doch auch, wie er sie zum Lächeln bringen konnte. Jetzt, so weit weg im fernen Texas (so fern, dass es fast ein fremdes Land scheint), ist sie so alt wie er damals. Einmal war ihr ein roter Fäustling zu Boden gefallen, und er hat sich danach gebückt - hat das Bündchen für sie aufgespreizt und zugesehen, wie ihre kleine Hand darin verschwand.
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Übersetzung: Sabine Roth
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 Luchterhand Literaturverlag,
München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Elizabeth Strout
Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren und wuchs in Kleinstädten in Maine und New Hampshire auf. Nach dem Jurastudium begann sie zu schreiben. Ihre Romane sind Bestseller; für »Mit Blick aufs Meer« erhielt sie 2009 den Pulitzerpreis, »Die Unvollkommenheit der Liebe« wurde 2016 für den Man Booker Prize nominiert, und für »Alles ist möglich« wurde sie 2018 mit dem Story Prize ausgezeichnet. »Die langen Abende« war New-York-Times-Bestseller, SPIEGEL-Bestseller und kam auf die SWR-Bestenliste. Elizabeth Strout lebt in Maine und in New York C
Bibliographische Angaben
- Autor: Elizabeth Strout
- 2012, 352 Seiten, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Sabine Roth
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 344274203X
- ISBN-13: 9783442742035
- Erscheinungsdatum: 15.03.2012
Rezension zu „Mit Blick aufs Meer “
"Witzig, klug und wunderbar!"
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Kommentar zu "Mit Blick aufs Meer"
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