Mit falschem Stolz / Alyss, die Tochter der Begine Almut Bd.4
Historischer Roman
Spannende Unterhaltung im farbenprächtigen historischen Köln!
Ivo vom Spiegel hatte ihm die Rückkehr nach Köln untersagt - und doch kommt Arndt van Doorne wieder, um seine Beteiligung an einem Hurenhaus zu kassieren....
Ivo vom Spiegel hatte ihm die Rückkehr nach Köln untersagt - und doch kommt Arndt van Doorne wieder, um seine Beteiligung an einem Hurenhaus zu kassieren....
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Produktinformationen zu „Mit falschem Stolz / Alyss, die Tochter der Begine Almut Bd.4 “
Spannende Unterhaltung im farbenprächtigen historischen Köln!
Ivo vom Spiegel hatte ihm die Rückkehr nach Köln untersagt - und doch kommt Arndt van Doorne wieder, um seine Beteiligung an einem Hurenhaus zu kassieren. Er bezahlt dafür mit dem Leben. Als neben seiner Leiche Mats Schlyffers mitsamt einem blutigen Messer gefunden wird, ist für den Schöffen Endres Overstoltz klar: Der Mörder ist der Messerschleifer. Doch der kann sich an nichts erinnern, und es gibt eine ganze Reihe weiterer Verdächtiger, die Arndt auf dem Gewissen haben könnten. Alyss beginnt zu ermitteln und bringt eine ungeheuerliche Wahrheit ans Licht ...
Ivo vom Spiegel hatte ihm die Rückkehr nach Köln untersagt - und doch kommt Arndt van Doorne wieder, um seine Beteiligung an einem Hurenhaus zu kassieren. Er bezahlt dafür mit dem Leben. Als neben seiner Leiche Mats Schlyffers mitsamt einem blutigen Messer gefunden wird, ist für den Schöffen Endres Overstoltz klar: Der Mörder ist der Messerschleifer. Doch der kann sich an nichts erinnern, und es gibt eine ganze Reihe weiterer Verdächtiger, die Arndt auf dem Gewissen haben könnten. Alyss beginnt zu ermitteln und bringt eine ungeheuerliche Wahrheit ans Licht ...
Klappentext zu „Mit falschem Stolz / Alyss, die Tochter der Begine Almut Bd.4 “
Spannende Unterhaltung im farbenprächtigen historischen Köln!Ivo vom Spiegel hatte ihm die Rückkehr nach Köln untersagt - und doch kommt Arndt van Doorne wieder, um seine Beteiligung an einem Hurenhaus zu kassieren. Er bezahlt dafür mit dem Leben. Als neben seiner Leiche Mats Schlyffers mitsamt einem blutigen Messer gefunden wird, ist für den Schöffen Endres Overstoltz klar: Der Mörder ist der Messerschleifer. Doch der kann sich an nichts erinnern, und es gibt eine ganze Reihe weiterer Verdächtiger, die Arndt auf dem Gewissen haben könnten. Alyss beginnt zu ermitteln und bringt eine ungeheuerliche Wahrheit ans Licht ...
Lese-Probe zu „Mit falschem Stolz / Alyss, die Tochter der Begine Almut Bd.4 “
Mit falschem Stolz von Andrea Schacht1. Kapitel
Müde, doch auch zufrieden zog Catrin sorgsam die Decke über die schlummernde Mutter und ihr neugeborenes Kind und strich der jungen Frau die verschwitzten Locken aus der Stirn. Die Entbindung war ein harter, den ganzen vorigen Tag und die ganze Nacht andauernder, bisweilen blutiger Kampf gewesen.
»Ein hübsches, gesundes Mädchen«, flüsterte sie, und der Gaffelführer der Wollenweber, Meister Albrecht, nickte. Auch er wirkte erschöpft, doch er lächelte auf sein Weib und sein Kind nieder.
»Dank Euch für Euren Beistand, Frau Begine.«
»Eine Arbeit, Meister Albrecht, die ich gerne verrichte. Ein neues Leben ans Licht der Welt zu holen, ist jede Anstrengung wert. Aber nun will ich heimkehren. Mir fallen bald die Augen zu.«
»Ich begleite Euch, Frau Catrin.«
»Nein, nein, es ist ja nur eine Straßenecke weiter. Bleibt hier bei Eurer neuen Familie.«
Sie sah ihm an, dass er genau das lieber tun würde, und sie selbst zog es vor, die wenigen Schritte alleine durch den anbrechenden Morgen zu gehen und ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Ein gut gefüllter Geldbeutel wurde ihr in die Hand gedrückt, und leicht schwankend vor Müdigkeit verließ Catrin das Haus, ohne die fleckige Schürze abzunehmen.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber es wurde bereits hell, und die ersten Morgensänger zwitscherten in den Gärten. Zwei wohlgenährte Katzen schlenderten vor Catrin durch die Gasse, ganz selbstbewusste Herren ihres Reviers.
... mehr
Die kühle Herbstluft - der leichte Geruch von faulen Äpfeln und gärendem Wein schwebte darin - belebte ihre Sinne wieder, und sie beschloss, statt umgehend, wie es sich gehört hätte, den Konvent am Eigelstein aufzusuchen, der ihr seit Jahren ein trautes Heim war, noch ein kleines Stück weiter zu den Weingärten zu wandern, wo die letzten reifenden Trauben an den Rebstöcken hingen. Bislang war sie noch keiner Menschenseele begegnet, und die Stille, die über der Stadt lag, tat ihr wohl. Ihre Gedanken wanderten von der nächtlichen Geburt fort, ziellos von hier nach da, und verweilten für einen Moment an dem Wunsch, selbst ein Kind zu haben. Traurigkeit senkte sich über sie. Es war ihr verwehrt. Durch eigene Schuld. Es hatte Männer gegeben, die um ihre Hand angehalten hatten - sie hatte sie abgelehnt und trotzig das Leben im Konvent der Beginen gewählt. Einen hatte es gegeben, der ihr Herz berührt hatte, ihm hatte sie allerdings aus Schüchternheit nie ihre Gefühle gezeigt. Und dann war es plötzlich zu spät gewesen.
Entsetzt stellte Catrin fest, dass sie genau zu der Stelle in den Weingärten gewandert war, an der man vor zwei Jahren Robert van Doorne erschlagen aufgefunden hatte. Ihre Hand krampfte sich um den Stoff der Schürze, und sie wollte sich abwenden. Ein leises Stöhnen jedoch hielt ihre Bewegung auf. Entsetzliche Bilder stiegen vor ihren Augen hoch - Robert in seinem Blut, verwundet, hilflos.
Sie folgte dem Geräusch, und was sie erblickte, war weit schlimmer als das, was ihr ihre Erinnerungen vorgegaukelt hatten.
Sie wollte schreien, doch ihr Mund blieb stumm. Ihre Hände zerrten an dem starken Leinen ihrer Schürze, rissen Fetzen heraus. Und noch immer kam kein Laut aus ihrer Kehle.
So entdeckte sie der Rübenbauer, und als er die beiden Männer zu ihren Füßen sah, brüllte er: »Mörder, Diebe! Holt die Wachen! Holt die Wachen!«
Fensterläden sprangen auf, Türen wurden geöffnet, und der Ruf »Holt die Wachen! Holt die Wachen!« setzte sich durch die Gassen fort bis zum Eigelsteinturm.
2. Kapitel
Alyss streckte sich genüsslich im Bett aus und blinzelte kurz zum Fensterladen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und Herold, der martialische Hahn, schien noch den Kopf in die Federn zu stecken. Sie knautschte die dicke Daunendecke und wollte noch einmal in tiefen Schlaf sinken. In diesem Moment erschütterte ein Beben das Bett, und mit einem Maunzen landete Malefiz, der Hofkater, auf ihrer Brust.
»Mhm?«
»Mirrrr!«
»Na gut.«
Sie umfasste sein rabenschwarzes Hinterteil. Malefiz schnurrte, laut und ausgiebig.
Alyss lachte leise und dämmerte über dem gemütlichen Geräusch aus seiner Katerkehle wieder ein.
Herolds Weckruf riss sie jedoch bald wieder aus den Träumen - was sie bedauerte, denn es waren angenehme Träume, in denen ein gewisser englischer Handelsherr eine Rolle gespielt hatte. Anders als früher schüttelte sie den Gedanken an John of Lynne nun nicht mehr ab. Es mochte nicht richtig sein, sich die Sehnsucht nach ihm einzugestehen, denn sie galt noch immer als ein verheiratetes Weib. Aber seit ihr Vater, Ivo vom Spiegel, ihren Gatten der Stadt verwiesen hatte und die Möglichkeit der Eheauflösung in eine denkbare Nähe gerückt war, hatte sie begonnen, ganz leise Hoffnungen zu hegen. Sicher war, dass John eine Neigung zu ihr gefasst hatte. Und vielleicht war er auch wirklich nicht der Windbeutel, den vorzugeben er sich vom ersten Tag ihrer Bekanntschaft an Mühe gegeben hatte.
Alyss reckte sich, Malefiz protestierte leise, drehte sich auf den Rücken und präsentierte ihr seinen Bauch. Gehorsam kraulte sie ihn. Der Kater war gewöhnlich ein unnahbarer Herr, der eher die Krallen einsetzte als die Samtpfoten. Aber in diesen stillen, traulichen Momenten ließ er es zu, dass Alyss ihn koste. Sacht nahm er ihre streichelnde Hand zwischen die Vorderpfoten und leckte ihr die Finger ab. Das Grummeln in seiner Kehle schwoll an.
Und brach ab, als ein weiterer Hausgenosse mit einem Satz und einem fordernden Winseln auf der Decke landete.
»Benefiz!«, sagte Alyss vorwurfsvoll, und Malefiz, sofort auf den Beinen, den Schwanz gesträubt, gab ein warnendes Fauchen von sich.
»Klöff«, meinte der schwanzlose Spitz und schaute beide mit treuherzigen Augen an.
Draußen im Hof führte Herold seinen krähenden Chor an, klapperte Hilda mit den Eimern am Brunnen, Mädchenstimmen giggelten über irgendetwas Spaßiges, und die schrille Stimme der Gänsehirtin Lore ergoss blumige Beschimpfungen über Gog und Magog, die heidnischen Gänsevölker, die sich um drei Gössel vermehrt hatten.
Es war höchste Zeit, aufzustehen und sich den Tages- pflichten zu stellen.
In der Küche dampfte es aus dem großen Kessel, als sie eintrat, und Leocadie, Alyss' schöne junge Base, schnipselte mit verträumtem Gesicht Äpfel klein, die über den Morgenbrei gegeben werden sollten. Lauryn, die zweite der drei Jungfern, die Alyss in ihrem Hauswesen aufgenommen hatte, um sie zu guten Wirtschafterinnen auszubilden, brachte einen Korb Eier herein und setzte ihn vorsichtig auf dem Tisch ab.
»Ich hab den Falken gefüttert«, bemerkte Lauryn trocken.
Leocadie schreckte auf und errötete.
»Oh, danke.«
»Leocadie, es gehört zu deinen Pflichten, dich um den Vogel zu kümmern. Es ist ein kostbares Tier. Deine Träumereien von einem edlen Ritter dürfen nicht dazu führen, dass du den Falken vernachlässigst.«
Alyss sprach streng mit dem jungen Mädchen, wenngleich sie sogar ein wenig Verständnis für sie hatte. Auch sie war in der letzten Zeit hin und wieder von Tagträumen heimgesucht worden. Aber ein großes Haus und ein Geschäft zu führen, verlangte beständige Aufmerksamkeit, und wenn Leocadie erst mit Ritter Arbo von Bachem verheiratet war, würde sie einem weit größeren Anwesen vorstehen als dem Haus eines Weinhändlers.
»Verzeiht, Frau Alyss. Ich werde Jerkin nachher gleich aufsteigen lassen.«
»Nach unserem Besuch bei den Brouwers, Leocadie.«
Hedwigis, die Dritte im Bunde der Jungfern, betrat die Küche mit einer Kanne Milch und nahm die letzten Worte mit einem gierigen Funkeln in ihren Augen auf.
»Wir besuchen die Pelzhändler, Frau Alyss?«
»Ich habe mit ihnen verabredet, dass wir heute Vormittag die Pelze für Leocadies Brauttruhe aussuchen können. Sie haben eine neue Ladung aus dem Osten bekommen und mir versprochen, die schönsten Stücke für uns zur Seite zu legen.«
»Nur für Leocadie?«
»Leocadie ist diejenige, die heiraten wird, Hedwigis.«
»Man kann sich doch auch an dem Anblick erfreuen«, meinte Lauryn. Sie hatte eine vernünftige Art und war so uneitel, wie Hedwigis eitel war.
Tilo, der Sohn von Alyss' Tante Mechtild und ihrem Gatten, dem Tuchhändler Reinaldus Pauli, polterte die Treppen hinunter, begleitet von dem ihn fröhlich umtänzelnden Benefiz. Und durch die Tür zum Hof kam Lore gestürzt und landete schliddernd vor dem langen Küchentisch.
»Gibt's noch was zu essen?«, keuchte sie.
Hilda, die Haushälterin, musterte das spillerige Mädchen missmutig.
»Natürlich gibt es noch etwas zu essen. In diesem Haus gibt es immer etwas zu essen!«
Alyss unterdrückte ein Kichern, das in ihrer Kehle aufzusteigen drohte, und setzte ebenfalls eine gestrenge Miene auf.
»Ja, aber nur für Mädchen mit sauberer Schürze und gewaschenen Händen.«
»Dann kriegt der Tilo nix!«
»Und du Göre erst recht nicht«, gab der drauf und zupfte zwei Entenfedern von Lores schmuddeligem Kittel. »Wird mal wieder Zeit für ein Bad.«
»Wasser is unjesund fürn Leib!«
»Nur innerlich«, korrigierte Lauryn. »Frau Alyss, wir stecken diesen übelriechenden kleinen Schmutzlappen nachher in die Pferdetränke und schrubben ihn mit Bims- steinen ab.«
»Das macht ihr nicht, das ist gotteslästerlich. Das ist ...«
»Wolltest du etwas zu essen haben, Lore?«
Das Gekeife verstummte. Unter ihren kurzen roten Locken schielte Lore zu Alyss auf. »Aber nich in der Pferdetränke, Frau Herrin. Da nich.«
»Im Zuber, mit heißem Wasser. Ich achte drauf, Herrin «, ließ sich Hilda vernehmen, füllte einen Napf reichlich mit Brei und gab ebenfalls reichlich Sahne und Honig darüber. Dann schob sie ihn der Gänsehirtin zu, und Leocadie krönte das Ganze noch mit einer Handvoll Apfelschnitze. Das stopfte das kleine Giftmäulchen, und einigermaßen manierlich faltete Lore die Hände und wartete, bis alle anderen auch ihre Schalen gefüllt hatten.
Die Beginen hatten einen guten Einfluss auf das Kind aus der Gasse, dachte Alyss und widmete sich ebenfalls ihrem Brei. Drei Tage in der Woche besuchte Lore inzwischen den Konvent am Eigelstein, lernte höchst unwillig das Alphabet und sehr willig, der dortigen Köchin zur Hand zu gehen. Es hatte einige Kämpfe gekostet, die Päckelchesträgerin dazu zu überreden, aber inzwischen hatte sie sich mit der Beschneidung ihrer Freiheit abgefunden. Catrin, Alyss' Ziehschwester, die als Begine lebte, hatte ihr berichtet, dass Lore sich in der Küche durchaus geschickt anstellte, und das Rechnen mit Schock und Mandel, Maß und Scheffel, Unze und Pfund lernte sie dabei geradezu spielerisch. Die Münzen kannte sie sowieso schon immer, und gieriges Feilschen lag ihr im Blut.
Sie hatten den Tisch eben abgeräumt, als Merten an der Vordertür klopfte. Hilda ließ den Stiefsohn des abwesenden Hausherrn mit der üblich mürrischen Miene ein, aber Alyss begrüßte ihn mit einem freundlichen Kopfnicken.
»Du hast Abrechnungen für mich dabei?«
»Ja, Frau Alyss. Und neue Aufträge.«
Seit einigen Monaten lieferte Merten ihren Wein an auswärtige Kunden, und bisher schien er recht erfolgreiche Geschäfte zu tätigen. Es überraschte Alyss noch immer, dass er mit einem solchen Ernst bei der Sache war, denn seit sie ihn kannte, hatte er ein Leben als Tagedieb geführt, der auf Kosten seines Stiefvaters lebte und sich meist mit den Gecken in der Stadt und vor den Toren herumtrieb. Immerhin hatten ihm diese Beziehungen gute Adressen beschert, an die er den süffigen Pfälzer Wein verkaufte, den Alyss von den Winzern am Rhein bezog.
»Tilo, begleite uns ins Kontor. Ihr Jungfern fegt die Kammern und macht die Betten. Lange werden wir nicht brauchen, dann brechen wir zu den Brouwers auf.«
»Ja, Frau Alyss«, ertönte es im Chor.
Sie ging voraus, und Tilo folgte mit Merten.
»Feines Wämschen, das«, hörte sie den Tuchhändlersohn sagen, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie Tilo den Stoff der eng auf Mertens Figur geschneiderten Jacke zwischen den Fingern rieb. Merten legte schon immer Wert auf seine Kleidung und scheute auch nicht vor übertriebenem Zierrat zurück. Seine Schuhe hatten lange Schnäbel, seine Beinkleider prunkten in blauen und weißen Streifen, unter dem rotbraunen Wams quollen die Ärmel eines blütenweißen Hemdes hervor.
»Vom hart verdienten Lohn erworben«, antwortete Merten fröhlich und holte ein ledergebundenes Buch hervor.
Gemeinsam gingen sie die Posten durch, Alyss klapperte mit dem Abakus, Tilo machte säuberliche Eintragungen in dem Registerband, in dem die geschäftlichen Abwicklungen dokumentiert wurden, dann übergab Merten den Beutel mit den Münzen, und Alyss setzte ihr Siegel auf die Quittung für das erhaltene Geld.
»Geh mit Peer und Tilo die neuen Lieferungen durch, und lass die Fässer zur Seite stellen«, sagte sie schließlich und erhob sich. »Ich muss mit den Jungfern zum Alter Markt.«
»Natürlich, Frau Alyss. Tilo sag, gibt es Neuigkeiten von Frieder und Master John?«
»Wir haben keine Nachrichten, aber ich bin sicher, dass sie zur Herbstmesse nächste Woche zurück sein werden, nicht wahr, Frau Alyss?«
Sie nickte.
»Und von meinem Vater?«
Alyss maß ihren Stiefsohn mit einem langen Blick.
»Ich habe nichts von ihm gehört«, antwortete sie gleichmütig, und Merten hob die Schultern, so, als sei das auch ihm gleichgültig.
Vielleicht war es das auch, dachte Alyss.
Die Gebrüder Brouwer - Richwin und Wynand, wie Alyss inzwischen herausgefunden hatte - waren zwei angesehene Pelzhändler, mit denen sie im vergangenen Jahr in Geschäftsbeziehung getreten war. Da sie ihre Weine aus der Pfalz bezog, hatte es sich angeboten, Rauwaren auf dem Weg nach Speyer mitzunehmen, wo sie sie mit einem stattlichen Gewinn verkaufen konnte. Beide waren angenehme Männer, ehrlich und kenntnisreich auf ihrem Gebiet. Richwin, der ältere, war mit einer zurückhaltenden jungen Frau aus Riga verheiratet, Wynand - er mochte eben Anfang dreißig sein - war noch unbeweibt.
Die beiden Händler begrüßten Alyss und ihre kleine Schar ausgesprochen zuvorkommend, und nachdem sie eine prächtige Auswahl an edlen Pelzen begutachtet hatten und Leocadie - von unfehlbar gutem Geschmack - sich für einige Fuchs-, Hermelin- und Marderfelle entschieden hatte, lud Wynand die Käuferinnen zu einem Glas Wein ein, das Alyss im Namen der Jungfern annahm. Sie hatte ihre Gründe, sich noch weiter mit den Pelzhändlern zu unterhalten, und wandte sich an Richwin.
»Für dieses Jahr sind meine Geschäfte mit Speyer abgeschlossen, Meister Richwin, aber im nächsten Frühjahr will ich wieder ein paar Fässer weißer Pelze mitnehmen.«
»Wir werden darauf achten, Frau Alyss. Und sollte ein Fässchen von diesem köstlichen Rheinwein den Weg zu uns finden, werden wir sicher auch einen guten Preis für Euch machen.«
»Das Fässchen sollt Ihr schon nächste Woche haben - ich nehme nicht nur Pelze, sondern auch Geld dafür.«
Richwin nickte lächelnd.
»Ohne Zweifel, Ihr seid eine harte Verhandlungspartnerin. «
Es war ein nicht ganz ernstes Gespräch. Sie schätzten einander und verstanden ihre gegenseitigen Interessen.
»Wie macht sich Euer neuer Gehilfe, Meister Richwin? «
Der Hauspfaff, der, wie sich herausgestellt hatte, gar kein Pfaffe war, hatte nach einem schrecklichen Herzeleid eine Wandlung durchgemacht und arbeitete nun als Schreiber im Kontor der Brouwers.
»Hermanus zeigt sich gewissenhaft, das muss ich sagen. Er mag gelegentlich recht schwülstig daherreden, aber er hat eine gute Hand für Pelze, und wenn er auch mit Zahlen nicht sehr geschickt umgeht, so macht seine präzise Schrift das wieder wett. Noch nie waren unsere Geschäftsbücher so lesbar und sauber geführt.«
»Das freut mich zu hören. Richtet ihm aus, dass er wieder einmal zu uns zum Essen kommen soll. Mein Hauswesen würde gerne seine Erlebnisse von der Pilgerfahrt hören.«
»Seid Ihr sicher?«
»Doch, ja. Oh, er verbreitet sich bei Euch oft darüber.«
»Weitschweifig. Mein Weib, ihre langmütige Seele sei gepriesen, weiß sich bald keinen Rat mehr.«
»Man kann ihm ganz einfach sagen, dass er den Mund halten soll. Und wenn man gleichzeitig etwas zu essen vor ihn stellt, wirkt das umgehend.«
»Ich will ihr diesen Vorschlag unterbreiten.«
Sie tauschten noch ein paar Neuigkeiten aus, plauderten über die anstehende Messe, und schließlich blickte Alyss zu ihren drei Schützlingen, die sich eifrig mit Wynand unterhielten. Hedwigis, so fiel ihr auf, hatte leicht gerötete Wangen und strahlende Augen. Ein böser Verdacht kam Alyss - schon einmal hatte das Mädchen sich verliebt und dabei die übelsten Seiten seines Charakters offenbart.
»Ihr schaut beunruhigt, Frau Alyss?«, fragte Richwin leise.
»Je nun, Euer Bruder scheint die Mädchen zu entzücken. Das ist nicht ganz ungefährlich.«
»Ihr habt recht, Frau Alyss, wir Männer sind gefährliche Geschöpfe. Und ausgerechnet Wynand möchte sich an mir ein Beispiel nehmen und sich alsbald ein Weib suchen.«
»Er wird ihnen die Köpfe verdrehen.«
»Schwerlich der Jungfer Leocadie, und Eure Lauryn scheint mehr an dem Pelzgeschäft interessiert als an ihm.«
»Mhm. Eigentlich schade. Lauryn ist ein Mädchen von großem Verstand.«
»Und Hedwigis eine Tochter aus angesehenem Hause.«
»Ist ihm das wichtig?«
»Nein, Frau Alyss. Soweit ich meinen Bruder kenne, sucht er ein Weib, das ihm eine gewisse Zuneigung entgegenbringt. Würde es Euch sehr stören, wenn er seine Bekanntschaft mit der jungen Hedwigis vertiefen wollte?«
Alyss zauderte einen Augenblick. Hedwigis konnte sehr hochnäsig auftreten und hatte einigen Dünkel, an dem ihre Mutter nicht ganz unschuldig war. Doch die letzten Monate hatte sie sich sehr gebessert. Eigentlich wäre es gar keine so schlechte Idee ...
»Nein, es würde mich nicht stören, aber sollte Euer Bruder wirklich ernsthaft eine Verbindung in Erwägung ziehen, wäre es angebracht, das Gespräch mit ihrem Vater, dem Baumeister Bertolf, zu suchen.«
»Ich werde ihn darauf hinweisen.«
Alyss erhob sich und gab den Jungfern einen Wink mit der Hand. Gehorsam erhoben sie sich, dankten artig für die Gastfreundschaft und wurden von den Gebrüdern Brouwer zur Tür geleitet. Auf dem Heimweg fühlte sich Alyss ein wenig wie Lore, die eine Schar schnatternder Gänse vor sich herscheuchte.
3. Kapitel
Mochte Lore auch der Meinung sein, dass Wasser schädlich für den Leib sei - viele andere teilten diese Ansicht nicht. Pitters Badehaus an der Marspforte erfreute sich einer reichlichen und reinlichen Kundschaft. In der Schwitzkammer lagen frische Reisigbündel bereit, in großen Zubern, gefüllt mit heißem Wasser, konnte man leichte Mahlzeiten und kühlen Wein zu sich nehmen. Allerlei Gespräche heiterer, aber auch ernsthafter Art wurden geführt, denn vor allem Händler und ehrliche Handwerker, Männer wie Frauen, suchten das Badehaus auch auf, um Neuigkeiten auszutauschen und das eine oder andere Geschäft in entspannter Stimmung in die Wege zu leiten. In einem Nebenraum wurden eifrig stoppelige Männerwangen geschabt und, wenn nötig, kleine Operationen ausgeführt. Pitter selbst war ein kundiger Barbier, seine Kunst sehr gefragt. Seit Kurzem beschäftigte er einen gelehrigen Gehilfen, der es verstand, gewandt mit den scharfen Messern umzugehen. Lediglich die Tatsache, dass er sein Gesicht ständig unter einer tief in die Stirn gezogenen Gugel verbarg, machte einige Kunden misstrauisch. Dennoch hatte es sich herumgesprochen, dass er weit unblutiger barbierte als viele seiner Kollegen und sich auch mit der Pinzette geschickt der schmucken Bärtchen annahm, die mancher Geck gerne zur Schau stellte. Maulfaul war er allerdings, was aber nicht so unangenehm auffiel, denn die Prozedur des Bartscherens verlangte von dem Klienten eine möglichst unbewegte Miene. Inzwischen war bekannt geworden, dass der Geselle, den Pitter mit dem bedenklichen Namen Malefiz anredete, eine gute Hand hatte, wenn es darum ging, Geschwüre zu öffnen oder Furunkel oder lästige Warzen zu entfernen oder auch dann und wann mal einen Aderlass vorzunehmen.
Gerade eben aber sollte eine weit delikatere Operation durchgeführt werden. Ein Mann der Wache war zu Pitter gekommen und hatte über eine Pfeilspitze geklagt, die in seinen Oberschenkel eingewachsen war. Die Verletzung lag schon einige Monate zurück, ein unkundiger Feldscher hatte den Pfeil herausgezogen, dabei aber den Schaft abgebrochen und lediglich die Wunde verbunden. Sie war zwar mit einem dicken Narbengewebe verheilt, doch hatte der Mann weiterhin große Schmerzen im Bein, die ein ständiges Hinken zur Folge hatten.
»Es wird Euch Schmerzen bereiten, Willem«, meinte Pitter, der das entblößte Bein betrachtete. »Wir müssen die alte Wunde aufschneiden.«
»Einen kurzen Schmerz gegen die ständigen zu tauschen soll mir recht sein.«
»Nun dann. Wir werden Euch festbinden müssen.«
»Warum das? Ich werde Euch schon nicht vom Lager springen.«
»Nicht willentlich, aber wenn Ihr zuckt, kann es sein, dass das Messer größeren Schaden anrichtet, als es soll.«
Nach kurzem Nachdenken nickte der Wachmann und ließ sich mit breiten Lederriemen den Oberkörper und die Beine an den Stuhl binden. Er akzeptierte nach einigem Zureden auch die Augenbinde, damit er die Vorbereitungen zur Operation nicht mitbekam.
»Die frisch geschliffenen Messer, Malefiz!«
Der Gehilfe suchte bereits aus einem Kasten nach den Klingen und wollte sie dem Bader reichen. Eine Handbewegung jedoch deutete ihm an, dass er den Eingriff vornehmen sollte.
Marian, in Pitters Badehaus Malefiz genannt, atmete tief ein. Es gehörte zu seiner selbstgewählten Ausbildung, auch die chirurgische Technik zu meistern, und bisher hatte er die kleineren Operationen recht gut erledigt. Das heute war neu für ihn. Aber er hatte geübt - in der Küche seiner Schwester: Unter Hildas kritischen Augen hatte er Hühnerbeine, Schweinshaxen und Lammkeulen seziert. Er hatte die anatomischen Schriften studiert und wusste, wie die Muskeln aufgebaut waren, wo Knochen und Adern verliefen.
Doch ein Schweineschinken war totes Fleisch. Das, was hier vor ihm lag, gehörte einem lebenden Menschen. Und ein solcher hatte Gefühle - und er spürte den Schmerz.
Unseligerweise besaß Marian die Gabe, sich in den Schmerz eines anderen einfühlen zu können, und es kostete ihn große Willensanstrengung und den erflehten Beistand Marias, der Trösterin der Kranken, sich davor zu wappnen. Zunächst aber half ihm die Gabe, die Quelle des dauerhaften Stechens aufzuspüren, die die eingewachsene Pfeilspitze verursachte. Er markierte die Stelle mit einem feinen Schnitt der scharfen Klinge und sah zu seinem
Lehrmeister auf. Der nickte ermutigend.
»Macht Ihr bald mal?«, grollte der Patient.
»Sofort«, sagte Pitter.
Und Marian senkte das Messer in das Fleisch.
Es war im Grunde eine kurze Operation. Der Fremdkörper war schnell gefunden, extrahiert, die Wunde mit einer gebogenen Nadel und einer Sehne genäht, mit blutstillendem Pulver versehen und fest verbunden. Aber als es vorüber war, zitterte Marian. Pitter scheuchte ihn aus dem Raum, und dankbar wusch er sich die blutigen Hände in dem Becken, das Susi, Pitters Schwester und Baderin, ihm reichte. Auch den Becher gewürzten Apfelwein nahm er entgegen und tat einen großen Schluck.
»Ihr müsst das nicht tun, Herr Marian«, meinte Susi und streichelte seinen Arm.
»Ich muss es nicht, aber ich will es.«
»Ihr seid stur.«
Marian grinste leicht.
»Ich bin eigentlich feige.«
»Ohne Zweifel. Habt Ihr Euren Eltern inzwischen erzählt, was Ihr hier in unserer Badestube treibt, oder gaukelt Ihr ihnen noch immer übertriebenes Reinlichkeitsbedürfnis vor?«
Marian biss sich auf die Unterlippe. Ja, er war wirklich feige. Er hatte es seinem Vater noch immer nicht gestanden. Ivo vom Spiegel war zwar einverstanden damit, dass sein Sohn sich zu einem Heiler ausbilden ließ und nicht als sein Nachfolger in den weit verzweigten Geschäften des Handelshauses tätig werden wollte, aber weder seinen Abstecher in die Hebammenkunst, die er als Weib verkleidet erlernt hatte, noch seine Lehre bei dem Henker hatte er gutgeheißen. Das Erlernen der Arzneimittel hingegen hatte er für nützlich erachtet, die Tätigkeit als Barbier, so fürchtete Marian, würde sein äußerstes Missfallen erregen, auch wenn Pitter zu Ivos persönlichen Freunden gehörte.
Und das Missfallen des Herrn vom Spiegel war etwas, das Marian mehr als fürchtete.
Weil er seinen Vater liebte und weil er sich sicher war, dass er dessen hohen Ansprüchen nie genügen würde.
Darum war er feige, und deshalb nuschelte er auf Susis Frage auch nur: »Mein Vater weilt auf dem Gut. Er überwacht das Keltern der Trauben.«
»Und Eure Frau Mutter?«
»Führt die Geschäfte. Ich sehe sie kaum.«
»Feigling!«
»Sag ich doch.«
Eine Weile blieb Marian in dem Kämmerchen sitzen und blies ein wenig Trübsal. Sosehr er sich auch nach seiner letzten Handelsfahrt gewünscht hatte, nie wieder reisen zu müssen, nie wieder solchen Grausamkeiten ausgesetzt zu sein wie dem Überfall, der auf die Händlergruppe ausgeübt worden war, der er angehört hatte - die Entscheidung, das medizinische Handwerk zu erlernen, hatte inzwischen ein, zwei Risse bekommen. Und als er im Frühjahr nach Deventer gereist war, um seinen Freund John of Lynne, der verwundet aus der Hand der Piraten entkommen war, nach Hause zu bringen, hatte er bemerkt, dass das Reisen doch keine so große Last darstellte. Er wusste nur zu gut, wie sehr sein Vater sich wünschte, dass er dessen Aufgabe als Fernkaufmann übernehmen würde. Alle, die Ivo vom Spiegel bisher als mögliche Nachfolger in Betracht gezogen hatte, waren nach kurzer Zeit von ihm mit mehr oder weniger deutlichen, häufig aber auch vernichtenden Worten des Kontors verwiesen worden.
»Mist, Maria!«, flüsterte Marian. Diesen heftigen Ausruf hatte er seiner Mutter abgelauscht. Frau Almut pflegte ein vertrautes Verhältnis zur Gottesmutter, in dem sie auch vor deutlichen Worten nicht zurückschreckte. Maria schien es mit Langmut zu ertragen, und er wusste ganz genau, dass seine Mutter die Heilige Jungfrau auch schon darum gebeten hatte, ihm endlich die Einsicht zu schenken, seines Vaters Wunsch zu erfüllen.
»Malefiz!«
Pitters Stimme klang fordernd, und Marian erhob sich pflichtbewusst.
Er mochte feige sein, aber er war auch stur.
Als er in die Barbierstube trat, war der Wachmann verschwunden, die blutigen Spuren der Operation beseitigt, und es stand ein großer, breitschultriger Mann im Raum, dessen dunkle Haare wie von Silber bestäubt wirkten. Auch auf seinen mageren Wangen schimmerte es silbern und schwarz.
Marian zog sich die Gugel tiefer in die Stirn.
»Nein, ich möchte nicht von deinem Gehilfen barbiert werden, Pitter. Du wirst das Messer selbst schwingen«, erklärte der Mann.
»Du willst ein tapferer Ritter sein und fürchtest die Klinge eines Jünglings?«
»Sie käme mir zu nahe an die Gurgel.«
»Ach, und wenn ich sie führe, dann bist du voll Vertrauen? «
»Sagen wir so - Vertrauen in meine Fähigkeit, dir deine Kehle mit dem eigenen Barbiermesser schneller durchzuschneiden, als du an meine gelangst.«
»Großmaul!«
»Nur meiner Fähigkeiten sehr sicher.«
»Angeber!«
»Schön, es gibt andere Badehäuser.«
»Wo dir die Barbiergehilfen Schrunden in dein hübsches Gesicht schnitzen werden.«
»Genau wie die Gehilfen hier. Also, Pitter, lass mir einen Becher Wein bringen, und walte deines Amtes.«
»Den Wein sollst du bekommen, aber mein Gehilfe wird dich scheren.«
»Und Schrunden in mein hübsches Gesicht schnitzen ...«
»Eitler Pfau!«
Marian zog die Gugel noch ein Stückchen tiefer, jetzt aber, um sein Grinsen zu verstecken.
Er kannte den Ritter Fredegar von Sechtem seit Langem. Er war ein Freund seiner Eltern, Pitters Kamerad aus Jungentagen. Den Abenteuern, die die beiden zusammen bestanden hatten, hatten er und seine Schwester Alyss schon von Kindheit an mit Begeisterung gelauscht. Als sie eben sieben Jahre alt waren, hatten sie der Schwertleite des jungen Ritters beiwohnen dürfen, und in den Jahren danach war Herr Fredegar oft genug zu Gast in ihrem Haus gewesen. Bei einem Turnier in Köln hatte Herr Fredegar sogar das Turnierband von Marians damals elfjähriger Schwester angenommen. Er erinnerte sich noch sehr genau daran, wie stolz Alyss gewesen war, dass der Ritter in seinem blauweißen Wappenrock für sie gekämpft hatte.
»In Gottes Namen, dann soll der Tropf mich scheren. Die Haare kann er mir auch gleich stutzen.«
»Gewiss, edler Herr Ritter. Und seid versichert, er ist gewandt mit dem Kautereisen, sollte es zu blutigen Wunden kommen.«
Geschäftig kramte Marian in den Messern und zog selbstverständlich mit großer Geste auch den Stahl hervor, um ihn in die Kohlenpfanne zu legen. Blutende Wunden wurden oft mit den glühenden Eisen verschlossen. Keine angenehme, aber praktikable Lösung. Allerdings pflegte man sie nicht bei den kleinen Schnittwunden anzuwenden, die beim Rasieren entstehen konnten.
Ritter Fredegar beobachtete ihn mit scharfen Blicken, als er sich auf den Barbierstuhl setzte.
»Leidet der Junge an Kopfkrätze, dass er sich so unter seiner Gugel verstecken muss?«
»Nein, nein. Nur seine verwachsene Fratze verschreckt oft die Kunden«, erwiderte Pitter und legte Fredegar ein weißes Leinentuch um Brust und Schultern.
»Pass auf, Malefiz, dass das Blut nur auf das Leinen spritzt und nicht die vornehme Kleidung des Ritters besudelt «, mahnte er dann.
»Er soll mich barbieren, nicht massakrieren!«, knurrte Fredegar. Und als Marian mit dem Messer in der Hand an den Stuhl trat, schoss seine Hand unter dem Leinen hervor und zerrte dem Badergehilfen die Gugel vom Kopf.
»Als hätte ich mir das nicht denken können. Jung- Marian!«
»Stets zu Diensten, Herr Fredegar. Hebt das Kinn, damit ich an Eure Kehle komme.«
»Aber ganz gewiss nicht, Freundchen. Ich glaube kaum, dass du des Barbierens mächtig bist. Bei deinem Milchgesicht reicht doch ein weicher Lappen, um die feinen Fusseln abzureiben.«
»Manche Frauen lieben weiche Wangen mehr als raue Stoppelfelder. Ich bin Gott dankbar für meine samtige Haut, die mir allerlei blutige Schrunden erspart. Aber gelernt habe ich den Umgang mit den scharfen Messerchen von Eurem Freund, dem Badermeister Pitter höchstselbst, und geschliffen wurden die Klingen von Gislindis' zarter Hand. Also vertraut Euch mir an, edler Herr.«
»Wer mag Gislindis sein?«
»Des Messerschleifers schöne Tochter«, erklärte Pitter grinsend. »Die, soweit ich es beurteilen kann, einer samtigen Wange gegenüber höchst geneigt ist.«
Fredegars Augen gingen zwischen Marian und Pitter hin und her, dann nickte er.
»Beweis dein Können, Marian. Ich will den Zauber samtiger Wangen probieren.«
Pitter hatte bereits das Becken mit heißer Lauge bereitgestellt, und Marian weichte das Gesicht des Ritters mit feuchten Tüchern ein. Während die Bartstoppeln geschmeidig wurden, kämmte er die Locken und stutzte sie um einige Fingerbreit. Während dieser Tätigkeit berichtete er auch über die letzten Entwicklungen in seiner Familie.
»So so, da hat der Herr Ivo dem Gemahl deiner Schwester endlich das gebührende Donnerwetter angedeihen lassen. Ich habe mich schon immer gefragt, warum er dieser Ehe zugestimmt hat.«
»Alyss wollte den Arndt van Doorne zum Mann. Und er kann ihr wenig abschlagen. Meine Mutter war gegen diese Verbindung.«
»Frau Almut ist ein Weib von großer Weisheit. Ich habe vor, sie, sowie ich über samtige Wangen verfüge, aufzusuchen. «
»Jetzt nehmt Ihr mich aber in die Pflicht, Herr Fredegar! «
»Weiß sie denn, dass du hier den Gehilfen spielst?«
»Wie Ihr sagtet, sie ist eine weise Frau. Aber bindet es ihr nicht direkt auf die Nase.«
»Aha.«
Dann schwiegen beide, während Marian mit ruhiger, sicherer Hand die Bartstoppeln abschabte. Es floss kein einziges Tröpfchen Blut dabei, und anschließend fuhr der Ritter sich anerkennend über die frisch rasierte Haut.
»Immerhin hast du dieses Handwerk gemeistert.«
Schwungvoll entfernte Marian das Leinentuch, und der Ritter stand auf.
»Ich begleite Euch zum Haus meiner Eltern, Herr Frede gar. Für heute habe ich genug für diesen Leuteschinder hier gearbeitet.«
Frau Almut, in einem braunen Gewand aus weichem Wolltuch, doch ohne Kopfbedeckung, begrüßte sie lebhaft. Es hatte zwar die Zeit einige Fältchen in ihre Züge gegraben, doch überwiegend solche, die von heiterem, vielleicht auch nachdenklichem Gemüt zeugten. Sie empfing Ritter Fredegar mit einer herzlichen Umarmung, doch Marian bemerkte, dass ein Schatten über ihrer frohen Laune lag. Er hoffte, dass nicht er die Ursache für diese Düsternis war.
»Habt Ihr Nachrichten von meinem Vater erhalten?«, fragte er vorsichtig.
»Er ließ mir durch den Boten ausrichten, die Trauben schmeckten wie der reinste Sauerampfer, die Rebstöcke faulten an den Wurzeln, die Läuse nagten die Blätter bis zum Stumpf ab, und der Most dünstete den fauligen Odem der Hölle aus.«
Das war es also nicht.
»Er wird die Trauben mit seinem scharfen Blick dazu bringen, mehr Süße zu produzieren, die Rebstöcke mit einigen harschen Worten innerlich aufrichten, über die Blattläuse das Gericht des Herrn niedergehen lassen und den Most in seine Schranken weisen.«
»Das nehme ich auch an. Er ist zufrieden.«
»Ihr seid es nicht?«
Ein hurtiger Blick streifte Marian.
»Nein, ich bin in Sorge. Kommt mit in den Saal, Fredegar, Marian. Frau Clara hat mich aufgesucht.«
Die Meisterin der Beginen, schlank, fast zerbrechlich in ihrer grauen Tracht, sah verhärmt aus. Das jedoch gehörte zu ihrem üblichen Arsenal von Hilfsmitteln, mit denen sie ihre Ziele zu erreichen pflegte, und hatte zunächst nichts zu bedeuten. Doch diesmal malte eine echte Sorge graue Farbe in ihr Antlitz.
»Marian, hast du Catrin heute schon getroffen?«, empfing sie ihn, als er in die Stube trat.
»Nein, Frau Clara.«
Die Begine rieb sich mit den Händen über das Gesicht.
»Sie war zu einer Entbindung gerufen worden«, erklärte Almut ihm, mit einem feinen Unterton, den er verstand. Sie vermutete, dass er ihr möglicherweise zur Seite gestanden hatte, auch wenn das einem Mann strengstens verboten war. Aber er hatte von Catrin - in Weibergewändern verkleidet - die Hebammenkunst gelernt.
Er sah seiner Mutter in die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf. Sie erwiderte die Geste mit einem leichten Senken der Lider und erklärte: »Der Wollenweber Meister Albrecht hat eine Tochter bekommen. Catrin hat sein Haus vor der Morgendämmerung verlassen. Den Konvent hat sie nicht erreicht.«
»Bei Alyss habt Ihr sicher schon nachgefragt, Frau Clara.«
»Natürlich, und auch bei Frau Mechtild und bei Peter Bertolf. Ich bin ratlos, Marian.«
»Könnte ein Hilfesuchender sie auf dem Weg angesprochen haben?«
»Könnte, aber dann hätte sie Nachricht geschickt. Ich habe große Angst, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte.«
Marian teilte diese Befürchtung.
»Ich werde mich auf die Suche machen, Frau Clara.«
Wenn jemand wusste, was sich in der Dämmerung in den Straßen der Stadt abspielte, dann die Gassenjungen und -mädchen, die ihr Geld mit Lastentragen und dem Überbringen von Botschaften verdienten. Die Päckelchesträger aber standen unter Pitters Schutz.
»Ich werde mich ebenfalls umhören, Frau Clara«, erklärte sich Fredegar bereit.
»Ihr habt sicher wichtigere Dinge zu erledigen.«
»Abt Lodewig wird etwas warten können, und mit dem Kämmerer des Erzbischofs habe ich mich erst für morgen verabredet.«
Marian nickte ihm kurz zu und verabschiedete sich von seiner Mutter und der Meisterin, um denselben Weg zu gehen, den er eben gekommen war - zurück zum Badehaus an der Marspforte. Pitter versprach ihm, die Päckelchesträger nach der vermissten Begine zu fragen und ihm Botschaft zu schicken.
»Wenn ihr etwas zugestoßen ist, Marian ... Frag auch im Turm nach«, sagte er mit ernster Miene. Die Vorstellung behagte Marian nicht besonders - es würde bedeuten, dass man eine unbekannte Tote gefunden hätte. Aber der Bader hatte recht, auch das musste man in Erwägung ziehen.
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Die kühle Herbstluft - der leichte Geruch von faulen Äpfeln und gärendem Wein schwebte darin - belebte ihre Sinne wieder, und sie beschloss, statt umgehend, wie es sich gehört hätte, den Konvent am Eigelstein aufzusuchen, der ihr seit Jahren ein trautes Heim war, noch ein kleines Stück weiter zu den Weingärten zu wandern, wo die letzten reifenden Trauben an den Rebstöcken hingen. Bislang war sie noch keiner Menschenseele begegnet, und die Stille, die über der Stadt lag, tat ihr wohl. Ihre Gedanken wanderten von der nächtlichen Geburt fort, ziellos von hier nach da, und verweilten für einen Moment an dem Wunsch, selbst ein Kind zu haben. Traurigkeit senkte sich über sie. Es war ihr verwehrt. Durch eigene Schuld. Es hatte Männer gegeben, die um ihre Hand angehalten hatten - sie hatte sie abgelehnt und trotzig das Leben im Konvent der Beginen gewählt. Einen hatte es gegeben, der ihr Herz berührt hatte, ihm hatte sie allerdings aus Schüchternheit nie ihre Gefühle gezeigt. Und dann war es plötzlich zu spät gewesen.
Entsetzt stellte Catrin fest, dass sie genau zu der Stelle in den Weingärten gewandert war, an der man vor zwei Jahren Robert van Doorne erschlagen aufgefunden hatte. Ihre Hand krampfte sich um den Stoff der Schürze, und sie wollte sich abwenden. Ein leises Stöhnen jedoch hielt ihre Bewegung auf. Entsetzliche Bilder stiegen vor ihren Augen hoch - Robert in seinem Blut, verwundet, hilflos.
Sie folgte dem Geräusch, und was sie erblickte, war weit schlimmer als das, was ihr ihre Erinnerungen vorgegaukelt hatten.
Sie wollte schreien, doch ihr Mund blieb stumm. Ihre Hände zerrten an dem starken Leinen ihrer Schürze, rissen Fetzen heraus. Und noch immer kam kein Laut aus ihrer Kehle.
So entdeckte sie der Rübenbauer, und als er die beiden Männer zu ihren Füßen sah, brüllte er: »Mörder, Diebe! Holt die Wachen! Holt die Wachen!«
Fensterläden sprangen auf, Türen wurden geöffnet, und der Ruf »Holt die Wachen! Holt die Wachen!« setzte sich durch die Gassen fort bis zum Eigelsteinturm.
2. Kapitel
Alyss streckte sich genüsslich im Bett aus und blinzelte kurz zum Fensterladen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und Herold, der martialische Hahn, schien noch den Kopf in die Federn zu stecken. Sie knautschte die dicke Daunendecke und wollte noch einmal in tiefen Schlaf sinken. In diesem Moment erschütterte ein Beben das Bett, und mit einem Maunzen landete Malefiz, der Hofkater, auf ihrer Brust.
»Mhm?«
»Mirrrr!«
»Na gut.«
Sie umfasste sein rabenschwarzes Hinterteil. Malefiz schnurrte, laut und ausgiebig.
Alyss lachte leise und dämmerte über dem gemütlichen Geräusch aus seiner Katerkehle wieder ein.
Herolds Weckruf riss sie jedoch bald wieder aus den Träumen - was sie bedauerte, denn es waren angenehme Träume, in denen ein gewisser englischer Handelsherr eine Rolle gespielt hatte. Anders als früher schüttelte sie den Gedanken an John of Lynne nun nicht mehr ab. Es mochte nicht richtig sein, sich die Sehnsucht nach ihm einzugestehen, denn sie galt noch immer als ein verheiratetes Weib. Aber seit ihr Vater, Ivo vom Spiegel, ihren Gatten der Stadt verwiesen hatte und die Möglichkeit der Eheauflösung in eine denkbare Nähe gerückt war, hatte sie begonnen, ganz leise Hoffnungen zu hegen. Sicher war, dass John eine Neigung zu ihr gefasst hatte. Und vielleicht war er auch wirklich nicht der Windbeutel, den vorzugeben er sich vom ersten Tag ihrer Bekanntschaft an Mühe gegeben hatte.
Alyss reckte sich, Malefiz protestierte leise, drehte sich auf den Rücken und präsentierte ihr seinen Bauch. Gehorsam kraulte sie ihn. Der Kater war gewöhnlich ein unnahbarer Herr, der eher die Krallen einsetzte als die Samtpfoten. Aber in diesen stillen, traulichen Momenten ließ er es zu, dass Alyss ihn koste. Sacht nahm er ihre streichelnde Hand zwischen die Vorderpfoten und leckte ihr die Finger ab. Das Grummeln in seiner Kehle schwoll an.
Und brach ab, als ein weiterer Hausgenosse mit einem Satz und einem fordernden Winseln auf der Decke landete.
»Benefiz!«, sagte Alyss vorwurfsvoll, und Malefiz, sofort auf den Beinen, den Schwanz gesträubt, gab ein warnendes Fauchen von sich.
»Klöff«, meinte der schwanzlose Spitz und schaute beide mit treuherzigen Augen an.
Draußen im Hof führte Herold seinen krähenden Chor an, klapperte Hilda mit den Eimern am Brunnen, Mädchenstimmen giggelten über irgendetwas Spaßiges, und die schrille Stimme der Gänsehirtin Lore ergoss blumige Beschimpfungen über Gog und Magog, die heidnischen Gänsevölker, die sich um drei Gössel vermehrt hatten.
Es war höchste Zeit, aufzustehen und sich den Tages- pflichten zu stellen.
In der Küche dampfte es aus dem großen Kessel, als sie eintrat, und Leocadie, Alyss' schöne junge Base, schnipselte mit verträumtem Gesicht Äpfel klein, die über den Morgenbrei gegeben werden sollten. Lauryn, die zweite der drei Jungfern, die Alyss in ihrem Hauswesen aufgenommen hatte, um sie zu guten Wirtschafterinnen auszubilden, brachte einen Korb Eier herein und setzte ihn vorsichtig auf dem Tisch ab.
»Ich hab den Falken gefüttert«, bemerkte Lauryn trocken.
Leocadie schreckte auf und errötete.
»Oh, danke.«
»Leocadie, es gehört zu deinen Pflichten, dich um den Vogel zu kümmern. Es ist ein kostbares Tier. Deine Träumereien von einem edlen Ritter dürfen nicht dazu führen, dass du den Falken vernachlässigst.«
Alyss sprach streng mit dem jungen Mädchen, wenngleich sie sogar ein wenig Verständnis für sie hatte. Auch sie war in der letzten Zeit hin und wieder von Tagträumen heimgesucht worden. Aber ein großes Haus und ein Geschäft zu führen, verlangte beständige Aufmerksamkeit, und wenn Leocadie erst mit Ritter Arbo von Bachem verheiratet war, würde sie einem weit größeren Anwesen vorstehen als dem Haus eines Weinhändlers.
»Verzeiht, Frau Alyss. Ich werde Jerkin nachher gleich aufsteigen lassen.«
»Nach unserem Besuch bei den Brouwers, Leocadie.«
Hedwigis, die Dritte im Bunde der Jungfern, betrat die Küche mit einer Kanne Milch und nahm die letzten Worte mit einem gierigen Funkeln in ihren Augen auf.
»Wir besuchen die Pelzhändler, Frau Alyss?«
»Ich habe mit ihnen verabredet, dass wir heute Vormittag die Pelze für Leocadies Brauttruhe aussuchen können. Sie haben eine neue Ladung aus dem Osten bekommen und mir versprochen, die schönsten Stücke für uns zur Seite zu legen.«
»Nur für Leocadie?«
»Leocadie ist diejenige, die heiraten wird, Hedwigis.«
»Man kann sich doch auch an dem Anblick erfreuen«, meinte Lauryn. Sie hatte eine vernünftige Art und war so uneitel, wie Hedwigis eitel war.
Tilo, der Sohn von Alyss' Tante Mechtild und ihrem Gatten, dem Tuchhändler Reinaldus Pauli, polterte die Treppen hinunter, begleitet von dem ihn fröhlich umtänzelnden Benefiz. Und durch die Tür zum Hof kam Lore gestürzt und landete schliddernd vor dem langen Küchentisch.
»Gibt's noch was zu essen?«, keuchte sie.
Hilda, die Haushälterin, musterte das spillerige Mädchen missmutig.
»Natürlich gibt es noch etwas zu essen. In diesem Haus gibt es immer etwas zu essen!«
Alyss unterdrückte ein Kichern, das in ihrer Kehle aufzusteigen drohte, und setzte ebenfalls eine gestrenge Miene auf.
»Ja, aber nur für Mädchen mit sauberer Schürze und gewaschenen Händen.«
»Dann kriegt der Tilo nix!«
»Und du Göre erst recht nicht«, gab der drauf und zupfte zwei Entenfedern von Lores schmuddeligem Kittel. »Wird mal wieder Zeit für ein Bad.«
»Wasser is unjesund fürn Leib!«
»Nur innerlich«, korrigierte Lauryn. »Frau Alyss, wir stecken diesen übelriechenden kleinen Schmutzlappen nachher in die Pferdetränke und schrubben ihn mit Bims- steinen ab.«
»Das macht ihr nicht, das ist gotteslästerlich. Das ist ...«
»Wolltest du etwas zu essen haben, Lore?«
Das Gekeife verstummte. Unter ihren kurzen roten Locken schielte Lore zu Alyss auf. »Aber nich in der Pferdetränke, Frau Herrin. Da nich.«
»Im Zuber, mit heißem Wasser. Ich achte drauf, Herrin «, ließ sich Hilda vernehmen, füllte einen Napf reichlich mit Brei und gab ebenfalls reichlich Sahne und Honig darüber. Dann schob sie ihn der Gänsehirtin zu, und Leocadie krönte das Ganze noch mit einer Handvoll Apfelschnitze. Das stopfte das kleine Giftmäulchen, und einigermaßen manierlich faltete Lore die Hände und wartete, bis alle anderen auch ihre Schalen gefüllt hatten.
Die Beginen hatten einen guten Einfluss auf das Kind aus der Gasse, dachte Alyss und widmete sich ebenfalls ihrem Brei. Drei Tage in der Woche besuchte Lore inzwischen den Konvent am Eigelstein, lernte höchst unwillig das Alphabet und sehr willig, der dortigen Köchin zur Hand zu gehen. Es hatte einige Kämpfe gekostet, die Päckelchesträgerin dazu zu überreden, aber inzwischen hatte sie sich mit der Beschneidung ihrer Freiheit abgefunden. Catrin, Alyss' Ziehschwester, die als Begine lebte, hatte ihr berichtet, dass Lore sich in der Küche durchaus geschickt anstellte, und das Rechnen mit Schock und Mandel, Maß und Scheffel, Unze und Pfund lernte sie dabei geradezu spielerisch. Die Münzen kannte sie sowieso schon immer, und gieriges Feilschen lag ihr im Blut.
Sie hatten den Tisch eben abgeräumt, als Merten an der Vordertür klopfte. Hilda ließ den Stiefsohn des abwesenden Hausherrn mit der üblich mürrischen Miene ein, aber Alyss begrüßte ihn mit einem freundlichen Kopfnicken.
»Du hast Abrechnungen für mich dabei?«
»Ja, Frau Alyss. Und neue Aufträge.«
Seit einigen Monaten lieferte Merten ihren Wein an auswärtige Kunden, und bisher schien er recht erfolgreiche Geschäfte zu tätigen. Es überraschte Alyss noch immer, dass er mit einem solchen Ernst bei der Sache war, denn seit sie ihn kannte, hatte er ein Leben als Tagedieb geführt, der auf Kosten seines Stiefvaters lebte und sich meist mit den Gecken in der Stadt und vor den Toren herumtrieb. Immerhin hatten ihm diese Beziehungen gute Adressen beschert, an die er den süffigen Pfälzer Wein verkaufte, den Alyss von den Winzern am Rhein bezog.
»Tilo, begleite uns ins Kontor. Ihr Jungfern fegt die Kammern und macht die Betten. Lange werden wir nicht brauchen, dann brechen wir zu den Brouwers auf.«
»Ja, Frau Alyss«, ertönte es im Chor.
Sie ging voraus, und Tilo folgte mit Merten.
»Feines Wämschen, das«, hörte sie den Tuchhändlersohn sagen, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie Tilo den Stoff der eng auf Mertens Figur geschneiderten Jacke zwischen den Fingern rieb. Merten legte schon immer Wert auf seine Kleidung und scheute auch nicht vor übertriebenem Zierrat zurück. Seine Schuhe hatten lange Schnäbel, seine Beinkleider prunkten in blauen und weißen Streifen, unter dem rotbraunen Wams quollen die Ärmel eines blütenweißen Hemdes hervor.
»Vom hart verdienten Lohn erworben«, antwortete Merten fröhlich und holte ein ledergebundenes Buch hervor.
Gemeinsam gingen sie die Posten durch, Alyss klapperte mit dem Abakus, Tilo machte säuberliche Eintragungen in dem Registerband, in dem die geschäftlichen Abwicklungen dokumentiert wurden, dann übergab Merten den Beutel mit den Münzen, und Alyss setzte ihr Siegel auf die Quittung für das erhaltene Geld.
»Geh mit Peer und Tilo die neuen Lieferungen durch, und lass die Fässer zur Seite stellen«, sagte sie schließlich und erhob sich. »Ich muss mit den Jungfern zum Alter Markt.«
»Natürlich, Frau Alyss. Tilo sag, gibt es Neuigkeiten von Frieder und Master John?«
»Wir haben keine Nachrichten, aber ich bin sicher, dass sie zur Herbstmesse nächste Woche zurück sein werden, nicht wahr, Frau Alyss?«
Sie nickte.
»Und von meinem Vater?«
Alyss maß ihren Stiefsohn mit einem langen Blick.
»Ich habe nichts von ihm gehört«, antwortete sie gleichmütig, und Merten hob die Schultern, so, als sei das auch ihm gleichgültig.
Vielleicht war es das auch, dachte Alyss.
Die Gebrüder Brouwer - Richwin und Wynand, wie Alyss inzwischen herausgefunden hatte - waren zwei angesehene Pelzhändler, mit denen sie im vergangenen Jahr in Geschäftsbeziehung getreten war. Da sie ihre Weine aus der Pfalz bezog, hatte es sich angeboten, Rauwaren auf dem Weg nach Speyer mitzunehmen, wo sie sie mit einem stattlichen Gewinn verkaufen konnte. Beide waren angenehme Männer, ehrlich und kenntnisreich auf ihrem Gebiet. Richwin, der ältere, war mit einer zurückhaltenden jungen Frau aus Riga verheiratet, Wynand - er mochte eben Anfang dreißig sein - war noch unbeweibt.
Die beiden Händler begrüßten Alyss und ihre kleine Schar ausgesprochen zuvorkommend, und nachdem sie eine prächtige Auswahl an edlen Pelzen begutachtet hatten und Leocadie - von unfehlbar gutem Geschmack - sich für einige Fuchs-, Hermelin- und Marderfelle entschieden hatte, lud Wynand die Käuferinnen zu einem Glas Wein ein, das Alyss im Namen der Jungfern annahm. Sie hatte ihre Gründe, sich noch weiter mit den Pelzhändlern zu unterhalten, und wandte sich an Richwin.
»Für dieses Jahr sind meine Geschäfte mit Speyer abgeschlossen, Meister Richwin, aber im nächsten Frühjahr will ich wieder ein paar Fässer weißer Pelze mitnehmen.«
»Wir werden darauf achten, Frau Alyss. Und sollte ein Fässchen von diesem köstlichen Rheinwein den Weg zu uns finden, werden wir sicher auch einen guten Preis für Euch machen.«
»Das Fässchen sollt Ihr schon nächste Woche haben - ich nehme nicht nur Pelze, sondern auch Geld dafür.«
Richwin nickte lächelnd.
»Ohne Zweifel, Ihr seid eine harte Verhandlungspartnerin. «
Es war ein nicht ganz ernstes Gespräch. Sie schätzten einander und verstanden ihre gegenseitigen Interessen.
»Wie macht sich Euer neuer Gehilfe, Meister Richwin? «
Der Hauspfaff, der, wie sich herausgestellt hatte, gar kein Pfaffe war, hatte nach einem schrecklichen Herzeleid eine Wandlung durchgemacht und arbeitete nun als Schreiber im Kontor der Brouwers.
»Hermanus zeigt sich gewissenhaft, das muss ich sagen. Er mag gelegentlich recht schwülstig daherreden, aber er hat eine gute Hand für Pelze, und wenn er auch mit Zahlen nicht sehr geschickt umgeht, so macht seine präzise Schrift das wieder wett. Noch nie waren unsere Geschäftsbücher so lesbar und sauber geführt.«
»Das freut mich zu hören. Richtet ihm aus, dass er wieder einmal zu uns zum Essen kommen soll. Mein Hauswesen würde gerne seine Erlebnisse von der Pilgerfahrt hören.«
»Seid Ihr sicher?«
»Doch, ja. Oh, er verbreitet sich bei Euch oft darüber.«
»Weitschweifig. Mein Weib, ihre langmütige Seele sei gepriesen, weiß sich bald keinen Rat mehr.«
»Man kann ihm ganz einfach sagen, dass er den Mund halten soll. Und wenn man gleichzeitig etwas zu essen vor ihn stellt, wirkt das umgehend.«
»Ich will ihr diesen Vorschlag unterbreiten.«
Sie tauschten noch ein paar Neuigkeiten aus, plauderten über die anstehende Messe, und schließlich blickte Alyss zu ihren drei Schützlingen, die sich eifrig mit Wynand unterhielten. Hedwigis, so fiel ihr auf, hatte leicht gerötete Wangen und strahlende Augen. Ein böser Verdacht kam Alyss - schon einmal hatte das Mädchen sich verliebt und dabei die übelsten Seiten seines Charakters offenbart.
»Ihr schaut beunruhigt, Frau Alyss?«, fragte Richwin leise.
»Je nun, Euer Bruder scheint die Mädchen zu entzücken. Das ist nicht ganz ungefährlich.«
»Ihr habt recht, Frau Alyss, wir Männer sind gefährliche Geschöpfe. Und ausgerechnet Wynand möchte sich an mir ein Beispiel nehmen und sich alsbald ein Weib suchen.«
»Er wird ihnen die Köpfe verdrehen.«
»Schwerlich der Jungfer Leocadie, und Eure Lauryn scheint mehr an dem Pelzgeschäft interessiert als an ihm.«
»Mhm. Eigentlich schade. Lauryn ist ein Mädchen von großem Verstand.«
»Und Hedwigis eine Tochter aus angesehenem Hause.«
»Ist ihm das wichtig?«
»Nein, Frau Alyss. Soweit ich meinen Bruder kenne, sucht er ein Weib, das ihm eine gewisse Zuneigung entgegenbringt. Würde es Euch sehr stören, wenn er seine Bekanntschaft mit der jungen Hedwigis vertiefen wollte?«
Alyss zauderte einen Augenblick. Hedwigis konnte sehr hochnäsig auftreten und hatte einigen Dünkel, an dem ihre Mutter nicht ganz unschuldig war. Doch die letzten Monate hatte sie sich sehr gebessert. Eigentlich wäre es gar keine so schlechte Idee ...
»Nein, es würde mich nicht stören, aber sollte Euer Bruder wirklich ernsthaft eine Verbindung in Erwägung ziehen, wäre es angebracht, das Gespräch mit ihrem Vater, dem Baumeister Bertolf, zu suchen.«
»Ich werde ihn darauf hinweisen.«
Alyss erhob sich und gab den Jungfern einen Wink mit der Hand. Gehorsam erhoben sie sich, dankten artig für die Gastfreundschaft und wurden von den Gebrüdern Brouwer zur Tür geleitet. Auf dem Heimweg fühlte sich Alyss ein wenig wie Lore, die eine Schar schnatternder Gänse vor sich herscheuchte.
3. Kapitel
Mochte Lore auch der Meinung sein, dass Wasser schädlich für den Leib sei - viele andere teilten diese Ansicht nicht. Pitters Badehaus an der Marspforte erfreute sich einer reichlichen und reinlichen Kundschaft. In der Schwitzkammer lagen frische Reisigbündel bereit, in großen Zubern, gefüllt mit heißem Wasser, konnte man leichte Mahlzeiten und kühlen Wein zu sich nehmen. Allerlei Gespräche heiterer, aber auch ernsthafter Art wurden geführt, denn vor allem Händler und ehrliche Handwerker, Männer wie Frauen, suchten das Badehaus auch auf, um Neuigkeiten auszutauschen und das eine oder andere Geschäft in entspannter Stimmung in die Wege zu leiten. In einem Nebenraum wurden eifrig stoppelige Männerwangen geschabt und, wenn nötig, kleine Operationen ausgeführt. Pitter selbst war ein kundiger Barbier, seine Kunst sehr gefragt. Seit Kurzem beschäftigte er einen gelehrigen Gehilfen, der es verstand, gewandt mit den scharfen Messern umzugehen. Lediglich die Tatsache, dass er sein Gesicht ständig unter einer tief in die Stirn gezogenen Gugel verbarg, machte einige Kunden misstrauisch. Dennoch hatte es sich herumgesprochen, dass er weit unblutiger barbierte als viele seiner Kollegen und sich auch mit der Pinzette geschickt der schmucken Bärtchen annahm, die mancher Geck gerne zur Schau stellte. Maulfaul war er allerdings, was aber nicht so unangenehm auffiel, denn die Prozedur des Bartscherens verlangte von dem Klienten eine möglichst unbewegte Miene. Inzwischen war bekannt geworden, dass der Geselle, den Pitter mit dem bedenklichen Namen Malefiz anredete, eine gute Hand hatte, wenn es darum ging, Geschwüre zu öffnen oder Furunkel oder lästige Warzen zu entfernen oder auch dann und wann mal einen Aderlass vorzunehmen.
Gerade eben aber sollte eine weit delikatere Operation durchgeführt werden. Ein Mann der Wache war zu Pitter gekommen und hatte über eine Pfeilspitze geklagt, die in seinen Oberschenkel eingewachsen war. Die Verletzung lag schon einige Monate zurück, ein unkundiger Feldscher hatte den Pfeil herausgezogen, dabei aber den Schaft abgebrochen und lediglich die Wunde verbunden. Sie war zwar mit einem dicken Narbengewebe verheilt, doch hatte der Mann weiterhin große Schmerzen im Bein, die ein ständiges Hinken zur Folge hatten.
»Es wird Euch Schmerzen bereiten, Willem«, meinte Pitter, der das entblößte Bein betrachtete. »Wir müssen die alte Wunde aufschneiden.«
»Einen kurzen Schmerz gegen die ständigen zu tauschen soll mir recht sein.«
»Nun dann. Wir werden Euch festbinden müssen.«
»Warum das? Ich werde Euch schon nicht vom Lager springen.«
»Nicht willentlich, aber wenn Ihr zuckt, kann es sein, dass das Messer größeren Schaden anrichtet, als es soll.«
Nach kurzem Nachdenken nickte der Wachmann und ließ sich mit breiten Lederriemen den Oberkörper und die Beine an den Stuhl binden. Er akzeptierte nach einigem Zureden auch die Augenbinde, damit er die Vorbereitungen zur Operation nicht mitbekam.
»Die frisch geschliffenen Messer, Malefiz!«
Der Gehilfe suchte bereits aus einem Kasten nach den Klingen und wollte sie dem Bader reichen. Eine Handbewegung jedoch deutete ihm an, dass er den Eingriff vornehmen sollte.
Marian, in Pitters Badehaus Malefiz genannt, atmete tief ein. Es gehörte zu seiner selbstgewählten Ausbildung, auch die chirurgische Technik zu meistern, und bisher hatte er die kleineren Operationen recht gut erledigt. Das heute war neu für ihn. Aber er hatte geübt - in der Küche seiner Schwester: Unter Hildas kritischen Augen hatte er Hühnerbeine, Schweinshaxen und Lammkeulen seziert. Er hatte die anatomischen Schriften studiert und wusste, wie die Muskeln aufgebaut waren, wo Knochen und Adern verliefen.
Doch ein Schweineschinken war totes Fleisch. Das, was hier vor ihm lag, gehörte einem lebenden Menschen. Und ein solcher hatte Gefühle - und er spürte den Schmerz.
Unseligerweise besaß Marian die Gabe, sich in den Schmerz eines anderen einfühlen zu können, und es kostete ihn große Willensanstrengung und den erflehten Beistand Marias, der Trösterin der Kranken, sich davor zu wappnen. Zunächst aber half ihm die Gabe, die Quelle des dauerhaften Stechens aufzuspüren, die die eingewachsene Pfeilspitze verursachte. Er markierte die Stelle mit einem feinen Schnitt der scharfen Klinge und sah zu seinem
Lehrmeister auf. Der nickte ermutigend.
»Macht Ihr bald mal?«, grollte der Patient.
»Sofort«, sagte Pitter.
Und Marian senkte das Messer in das Fleisch.
Es war im Grunde eine kurze Operation. Der Fremdkörper war schnell gefunden, extrahiert, die Wunde mit einer gebogenen Nadel und einer Sehne genäht, mit blutstillendem Pulver versehen und fest verbunden. Aber als es vorüber war, zitterte Marian. Pitter scheuchte ihn aus dem Raum, und dankbar wusch er sich die blutigen Hände in dem Becken, das Susi, Pitters Schwester und Baderin, ihm reichte. Auch den Becher gewürzten Apfelwein nahm er entgegen und tat einen großen Schluck.
»Ihr müsst das nicht tun, Herr Marian«, meinte Susi und streichelte seinen Arm.
»Ich muss es nicht, aber ich will es.«
»Ihr seid stur.«
Marian grinste leicht.
»Ich bin eigentlich feige.«
»Ohne Zweifel. Habt Ihr Euren Eltern inzwischen erzählt, was Ihr hier in unserer Badestube treibt, oder gaukelt Ihr ihnen noch immer übertriebenes Reinlichkeitsbedürfnis vor?«
Marian biss sich auf die Unterlippe. Ja, er war wirklich feige. Er hatte es seinem Vater noch immer nicht gestanden. Ivo vom Spiegel war zwar einverstanden damit, dass sein Sohn sich zu einem Heiler ausbilden ließ und nicht als sein Nachfolger in den weit verzweigten Geschäften des Handelshauses tätig werden wollte, aber weder seinen Abstecher in die Hebammenkunst, die er als Weib verkleidet erlernt hatte, noch seine Lehre bei dem Henker hatte er gutgeheißen. Das Erlernen der Arzneimittel hingegen hatte er für nützlich erachtet, die Tätigkeit als Barbier, so fürchtete Marian, würde sein äußerstes Missfallen erregen, auch wenn Pitter zu Ivos persönlichen Freunden gehörte.
Und das Missfallen des Herrn vom Spiegel war etwas, das Marian mehr als fürchtete.
Weil er seinen Vater liebte und weil er sich sicher war, dass er dessen hohen Ansprüchen nie genügen würde.
Darum war er feige, und deshalb nuschelte er auf Susis Frage auch nur: »Mein Vater weilt auf dem Gut. Er überwacht das Keltern der Trauben.«
»Und Eure Frau Mutter?«
»Führt die Geschäfte. Ich sehe sie kaum.«
»Feigling!«
»Sag ich doch.«
Eine Weile blieb Marian in dem Kämmerchen sitzen und blies ein wenig Trübsal. Sosehr er sich auch nach seiner letzten Handelsfahrt gewünscht hatte, nie wieder reisen zu müssen, nie wieder solchen Grausamkeiten ausgesetzt zu sein wie dem Überfall, der auf die Händlergruppe ausgeübt worden war, der er angehört hatte - die Entscheidung, das medizinische Handwerk zu erlernen, hatte inzwischen ein, zwei Risse bekommen. Und als er im Frühjahr nach Deventer gereist war, um seinen Freund John of Lynne, der verwundet aus der Hand der Piraten entkommen war, nach Hause zu bringen, hatte er bemerkt, dass das Reisen doch keine so große Last darstellte. Er wusste nur zu gut, wie sehr sein Vater sich wünschte, dass er dessen Aufgabe als Fernkaufmann übernehmen würde. Alle, die Ivo vom Spiegel bisher als mögliche Nachfolger in Betracht gezogen hatte, waren nach kurzer Zeit von ihm mit mehr oder weniger deutlichen, häufig aber auch vernichtenden Worten des Kontors verwiesen worden.
»Mist, Maria!«, flüsterte Marian. Diesen heftigen Ausruf hatte er seiner Mutter abgelauscht. Frau Almut pflegte ein vertrautes Verhältnis zur Gottesmutter, in dem sie auch vor deutlichen Worten nicht zurückschreckte. Maria schien es mit Langmut zu ertragen, und er wusste ganz genau, dass seine Mutter die Heilige Jungfrau auch schon darum gebeten hatte, ihm endlich die Einsicht zu schenken, seines Vaters Wunsch zu erfüllen.
»Malefiz!«
Pitters Stimme klang fordernd, und Marian erhob sich pflichtbewusst.
Er mochte feige sein, aber er war auch stur.
Als er in die Barbierstube trat, war der Wachmann verschwunden, die blutigen Spuren der Operation beseitigt, und es stand ein großer, breitschultriger Mann im Raum, dessen dunkle Haare wie von Silber bestäubt wirkten. Auch auf seinen mageren Wangen schimmerte es silbern und schwarz.
Marian zog sich die Gugel tiefer in die Stirn.
»Nein, ich möchte nicht von deinem Gehilfen barbiert werden, Pitter. Du wirst das Messer selbst schwingen«, erklärte der Mann.
»Du willst ein tapferer Ritter sein und fürchtest die Klinge eines Jünglings?«
»Sie käme mir zu nahe an die Gurgel.«
»Ach, und wenn ich sie führe, dann bist du voll Vertrauen? «
»Sagen wir so - Vertrauen in meine Fähigkeit, dir deine Kehle mit dem eigenen Barbiermesser schneller durchzuschneiden, als du an meine gelangst.«
»Großmaul!«
»Nur meiner Fähigkeiten sehr sicher.«
»Angeber!«
»Schön, es gibt andere Badehäuser.«
»Wo dir die Barbiergehilfen Schrunden in dein hübsches Gesicht schnitzen werden.«
»Genau wie die Gehilfen hier. Also, Pitter, lass mir einen Becher Wein bringen, und walte deines Amtes.«
»Den Wein sollst du bekommen, aber mein Gehilfe wird dich scheren.«
»Und Schrunden in mein hübsches Gesicht schnitzen ...«
»Eitler Pfau!«
Marian zog die Gugel noch ein Stückchen tiefer, jetzt aber, um sein Grinsen zu verstecken.
Er kannte den Ritter Fredegar von Sechtem seit Langem. Er war ein Freund seiner Eltern, Pitters Kamerad aus Jungentagen. Den Abenteuern, die die beiden zusammen bestanden hatten, hatten er und seine Schwester Alyss schon von Kindheit an mit Begeisterung gelauscht. Als sie eben sieben Jahre alt waren, hatten sie der Schwertleite des jungen Ritters beiwohnen dürfen, und in den Jahren danach war Herr Fredegar oft genug zu Gast in ihrem Haus gewesen. Bei einem Turnier in Köln hatte Herr Fredegar sogar das Turnierband von Marians damals elfjähriger Schwester angenommen. Er erinnerte sich noch sehr genau daran, wie stolz Alyss gewesen war, dass der Ritter in seinem blauweißen Wappenrock für sie gekämpft hatte.
»In Gottes Namen, dann soll der Tropf mich scheren. Die Haare kann er mir auch gleich stutzen.«
»Gewiss, edler Herr Ritter. Und seid versichert, er ist gewandt mit dem Kautereisen, sollte es zu blutigen Wunden kommen.«
Geschäftig kramte Marian in den Messern und zog selbstverständlich mit großer Geste auch den Stahl hervor, um ihn in die Kohlenpfanne zu legen. Blutende Wunden wurden oft mit den glühenden Eisen verschlossen. Keine angenehme, aber praktikable Lösung. Allerdings pflegte man sie nicht bei den kleinen Schnittwunden anzuwenden, die beim Rasieren entstehen konnten.
Ritter Fredegar beobachtete ihn mit scharfen Blicken, als er sich auf den Barbierstuhl setzte.
»Leidet der Junge an Kopfkrätze, dass er sich so unter seiner Gugel verstecken muss?«
»Nein, nein. Nur seine verwachsene Fratze verschreckt oft die Kunden«, erwiderte Pitter und legte Fredegar ein weißes Leinentuch um Brust und Schultern.
»Pass auf, Malefiz, dass das Blut nur auf das Leinen spritzt und nicht die vornehme Kleidung des Ritters besudelt «, mahnte er dann.
»Er soll mich barbieren, nicht massakrieren!«, knurrte Fredegar. Und als Marian mit dem Messer in der Hand an den Stuhl trat, schoss seine Hand unter dem Leinen hervor und zerrte dem Badergehilfen die Gugel vom Kopf.
»Als hätte ich mir das nicht denken können. Jung- Marian!«
»Stets zu Diensten, Herr Fredegar. Hebt das Kinn, damit ich an Eure Kehle komme.«
»Aber ganz gewiss nicht, Freundchen. Ich glaube kaum, dass du des Barbierens mächtig bist. Bei deinem Milchgesicht reicht doch ein weicher Lappen, um die feinen Fusseln abzureiben.«
»Manche Frauen lieben weiche Wangen mehr als raue Stoppelfelder. Ich bin Gott dankbar für meine samtige Haut, die mir allerlei blutige Schrunden erspart. Aber gelernt habe ich den Umgang mit den scharfen Messerchen von Eurem Freund, dem Badermeister Pitter höchstselbst, und geschliffen wurden die Klingen von Gislindis' zarter Hand. Also vertraut Euch mir an, edler Herr.«
»Wer mag Gislindis sein?«
»Des Messerschleifers schöne Tochter«, erklärte Pitter grinsend. »Die, soweit ich es beurteilen kann, einer samtigen Wange gegenüber höchst geneigt ist.«
Fredegars Augen gingen zwischen Marian und Pitter hin und her, dann nickte er.
»Beweis dein Können, Marian. Ich will den Zauber samtiger Wangen probieren.«
Pitter hatte bereits das Becken mit heißer Lauge bereitgestellt, und Marian weichte das Gesicht des Ritters mit feuchten Tüchern ein. Während die Bartstoppeln geschmeidig wurden, kämmte er die Locken und stutzte sie um einige Fingerbreit. Während dieser Tätigkeit berichtete er auch über die letzten Entwicklungen in seiner Familie.
»So so, da hat der Herr Ivo dem Gemahl deiner Schwester endlich das gebührende Donnerwetter angedeihen lassen. Ich habe mich schon immer gefragt, warum er dieser Ehe zugestimmt hat.«
»Alyss wollte den Arndt van Doorne zum Mann. Und er kann ihr wenig abschlagen. Meine Mutter war gegen diese Verbindung.«
»Frau Almut ist ein Weib von großer Weisheit. Ich habe vor, sie, sowie ich über samtige Wangen verfüge, aufzusuchen. «
»Jetzt nehmt Ihr mich aber in die Pflicht, Herr Fredegar! «
»Weiß sie denn, dass du hier den Gehilfen spielst?«
»Wie Ihr sagtet, sie ist eine weise Frau. Aber bindet es ihr nicht direkt auf die Nase.«
»Aha.«
Dann schwiegen beide, während Marian mit ruhiger, sicherer Hand die Bartstoppeln abschabte. Es floss kein einziges Tröpfchen Blut dabei, und anschließend fuhr der Ritter sich anerkennend über die frisch rasierte Haut.
»Immerhin hast du dieses Handwerk gemeistert.«
Schwungvoll entfernte Marian das Leinentuch, und der Ritter stand auf.
»Ich begleite Euch zum Haus meiner Eltern, Herr Frede gar. Für heute habe ich genug für diesen Leuteschinder hier gearbeitet.«
Frau Almut, in einem braunen Gewand aus weichem Wolltuch, doch ohne Kopfbedeckung, begrüßte sie lebhaft. Es hatte zwar die Zeit einige Fältchen in ihre Züge gegraben, doch überwiegend solche, die von heiterem, vielleicht auch nachdenklichem Gemüt zeugten. Sie empfing Ritter Fredegar mit einer herzlichen Umarmung, doch Marian bemerkte, dass ein Schatten über ihrer frohen Laune lag. Er hoffte, dass nicht er die Ursache für diese Düsternis war.
»Habt Ihr Nachrichten von meinem Vater erhalten?«, fragte er vorsichtig.
»Er ließ mir durch den Boten ausrichten, die Trauben schmeckten wie der reinste Sauerampfer, die Rebstöcke faulten an den Wurzeln, die Läuse nagten die Blätter bis zum Stumpf ab, und der Most dünstete den fauligen Odem der Hölle aus.«
Das war es also nicht.
»Er wird die Trauben mit seinem scharfen Blick dazu bringen, mehr Süße zu produzieren, die Rebstöcke mit einigen harschen Worten innerlich aufrichten, über die Blattläuse das Gericht des Herrn niedergehen lassen und den Most in seine Schranken weisen.«
»Das nehme ich auch an. Er ist zufrieden.«
»Ihr seid es nicht?«
Ein hurtiger Blick streifte Marian.
»Nein, ich bin in Sorge. Kommt mit in den Saal, Fredegar, Marian. Frau Clara hat mich aufgesucht.«
Die Meisterin der Beginen, schlank, fast zerbrechlich in ihrer grauen Tracht, sah verhärmt aus. Das jedoch gehörte zu ihrem üblichen Arsenal von Hilfsmitteln, mit denen sie ihre Ziele zu erreichen pflegte, und hatte zunächst nichts zu bedeuten. Doch diesmal malte eine echte Sorge graue Farbe in ihr Antlitz.
»Marian, hast du Catrin heute schon getroffen?«, empfing sie ihn, als er in die Stube trat.
»Nein, Frau Clara.«
Die Begine rieb sich mit den Händen über das Gesicht.
»Sie war zu einer Entbindung gerufen worden«, erklärte Almut ihm, mit einem feinen Unterton, den er verstand. Sie vermutete, dass er ihr möglicherweise zur Seite gestanden hatte, auch wenn das einem Mann strengstens verboten war. Aber er hatte von Catrin - in Weibergewändern verkleidet - die Hebammenkunst gelernt.
Er sah seiner Mutter in die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf. Sie erwiderte die Geste mit einem leichten Senken der Lider und erklärte: »Der Wollenweber Meister Albrecht hat eine Tochter bekommen. Catrin hat sein Haus vor der Morgendämmerung verlassen. Den Konvent hat sie nicht erreicht.«
»Bei Alyss habt Ihr sicher schon nachgefragt, Frau Clara.«
»Natürlich, und auch bei Frau Mechtild und bei Peter Bertolf. Ich bin ratlos, Marian.«
»Könnte ein Hilfesuchender sie auf dem Weg angesprochen haben?«
»Könnte, aber dann hätte sie Nachricht geschickt. Ich habe große Angst, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte.«
Marian teilte diese Befürchtung.
»Ich werde mich auf die Suche machen, Frau Clara.«
Wenn jemand wusste, was sich in der Dämmerung in den Straßen der Stadt abspielte, dann die Gassenjungen und -mädchen, die ihr Geld mit Lastentragen und dem Überbringen von Botschaften verdienten. Die Päckelchesträger aber standen unter Pitters Schutz.
»Ich werde mich ebenfalls umhören, Frau Clara«, erklärte sich Fredegar bereit.
»Ihr habt sicher wichtigere Dinge zu erledigen.«
»Abt Lodewig wird etwas warten können, und mit dem Kämmerer des Erzbischofs habe ich mich erst für morgen verabredet.«
Marian nickte ihm kurz zu und verabschiedete sich von seiner Mutter und der Meisterin, um denselben Weg zu gehen, den er eben gekommen war - zurück zum Badehaus an der Marspforte. Pitter versprach ihm, die Päckelchesträger nach der vermissten Begine zu fragen und ihm Botschaft zu schicken.
»Wenn ihr etwas zugestoßen ist, Marian ... Frag auch im Turm nach«, sagte er mit ernster Miene. Die Vorstellung behagte Marian nicht besonders - es würde bedeuten, dass man eine unbekannte Tote gefunden hätte. Aber der Bader hatte recht, auch das musste man in Erwägung ziehen.
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Autoren-Porträt von Andrea Schacht
Andrea Schacht war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin und Unternehmensberaterin tätig, hat dann jedoch ihren seit Jugendtagen gehegten Traum verwirklicht, Schriftstellerin zu werden. Ihre historischen Romane um die aufmüpfige Begine Almut Bossart haben auf Anhieb die Herzen von Lesern, Buchhändlern und Journalisten erobert. Nun lässt sie Almuts Tochter Alyss in deren Fußstapfen treten.Andrea Schacht lebt mit ihrem Mann und zwei anspruchsvollen Katzen in der Nähe von Bonn.
Bibliographische Angaben
- Autor: Andrea Schacht
- 2013, Erstmals im TB, 416 Seiten, 2 farbige Abbildungen, 1 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 12,6 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442378478
- ISBN-13: 9783442378470
- Erscheinungsdatum: 14.02.2013
Rezension zu „Mit falschem Stolz / Alyss, die Tochter der Begine Almut Bd.4 “
"Spannende Unterhaltung."
Pressezitat
"Spannend." Neue Woche
Kommentare zu "Mit falschem Stolz / Alyss, die Tochter der Begine Almut Bd.4"
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