Mörderkirtag
Dorfkrimi
Während im beschaulichen Pongauer Kurort Bad Höfstein der jährliche Kirtag stattfindet, wird im nahegelegenen Wald von einem Schwammerlsucher der reiche Steinbruchbesitzer Federmay-er ermordet aufgefunden. Federmayer, dem die Demütigung von Menschen...
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Produktinformationen zu „Mörderkirtag “
Klappentext zu „Mörderkirtag “
Während im beschaulichen Pongauer Kurort Bad Höfstein der jährliche Kirtag stattfindet, wird im nahegelegenen Wald von einem Schwammerlsucher der reiche Steinbruchbesitzer Federmay-er ermordet aufgefunden. Federmayer, dem die Demütigung von Menschen Vergnügen bereitete, hat sich im Ort viele Feinde gemacht. Wenig später vertraut sein alter Jugendfreund Wegscheider Postenkommandant Distl auf einer Wirtshaustoilette an, zu wissen, wer Federmayers Mörder sei! Da Distl wegen möglicher Ohrenzeugen den Zeitpunkt für ungünstig erachtet, vertröstet er den Freund auf den nächsten Tag. Als er am Morgen beim Wegscheider-Haus eintrifft, findet er diesen und dessen Schwester bestialisch ermordet auf.
Lese-Probe zu „Mörderkirtag “
Mörderkirtag - Dorfkrimi von Hans ChristI
Der Kirtag oder, wie’s in vornehmen Kreisen heißt, Kirchtag, ist ein Fest, das für die Landbevölkerung auch heute noch eine große Rolle spielt.
Nicht zuletzt im schönen Bad Höfstein!
Früher waren die Belustigungen im Gebirge ja streng reduziert, da hat schon die Kirche darauf geschaut, dass sich die Leute nur bei den Gelegenheiten unterhalten, wo sie auch etwas mitzureden haben: Taufe, Hochzeit, Begräbnis, Ostern, Pfingsten, Fronleichnam, Erntedank, und eben der Kirtag.
Mittlerweile sind natürlich auch die Bad Höfsteiner mit den Segnungen der modernen Freizeitgestaltung bedacht, das sind doch schließlich keine Hinterwäldler. Radio, HD-Fernsehen, Discofahrten im frisierten GTI mit nächtlichem Salto-Überschlag an den nächsten Baum und nachher Fotos davon auf Facebook, Twitter … alles da, bitte sehr!
Aber ein Kirtag bleibt eben ein Kirtag! Das war schon seit Kindheitstagen so! Vor allem, wenn schönes Wetter ist!
Das kleine Ringelspiel dreht sich schon seit aller Herrgottsfrüh zur Drehorgelmusik.
Der süße Geruch von türkischem Honig, Schaumrollen und Kokoskuppeln verbreitet sich im Ort. In den schmalen Gassen zwischen den Standln drängen sich die Leute, dass man glaubt, es gibt etwas geschenkt. Obwohl, teuer ist es wirklich nicht!
Da probiert sogar die dicke Blumauerin eine neue gemusterte Kleiderschürze, trotzdem sie weiß, dass sie ihr in ein paar Wochen schon wieder gnadenlos zu eng sein wird.
Die rote Plastiktrompete vom kleinen Fritzl ist so billig gewesen, dass der Vater sie ihm ohne Zögern nach einer halben Stunde wieder wegnimmt und in einen Mistkübel schmeißt, weil ihm das Getute auf den Nerv geht.
Das hätte er nicht machen sollen, denn das Geheul vom Fritzl ist so intensiv, dass alle Kirtagstrompeten zusammengenommen, wie man nicht
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nur in Bad Höfstein zu sagen pflegt, ein ,Lercherlschas’ dagegen sind.
Gott sei Dank kauft ihm die Tante Trude schnell eine erschwingliche Trommel!
Aber die schießt ihm gleich darauf der grindige Weißgruber Karli mit seinem neuen preiswerten Stoppelgewehr kaputt!
Die versammelte Freiwillige Feuerwehr hat heute nichts zu löschen als ihren Durst, was auch eine ganz saubere Arbeit bedeutet, und der Brunnenwirt freut sich darüber ebenso wie der alte Herr Stockinger, weil ihn die braunen Uniformen an seine gute alte SA-Zeit erinnern! Nur zackiger war der Herr Stockinger damals!
Der Chef vom Tourismusverein, Simon Waggerl, geht in Trachtenjoppe und nicht nur von Stolz geblähter Lederhose von Biertisch zu Biertisch und fragt einen jeden, wurst, ob Sommergast oder Einheimischer: „Na, hab ich nicht für ein Prachtwetter gesorgt?“, so als ob es in seiner Kompetenz liegt, dass die Sonne scheint.
Umgekehrt würde er sich aber schön bedanken, wenn die Bauern ihn zur Verantwortung ziehen würden, weil es schon wieder in ihre Heuernte hineingeregnet hat.
Die Sommergäste nicken jedoch freundlich und anerkennend, die Hiesigen denken sich: „Trottl!“ , grinsen aber auch, und der Simon Waggerl will noch etwas sagen, aber zum Glück fängt die Blasmusik an.
Die Tuba spielt der Gansberger Schorsch heute besonders laut. Er bläst mit geschwollenen Backen derart hinein, dass man Wetten abschließen kann, wen es zuerst zerreißt: das Instrument oder den Schorsch.
Wahrscheinlich den Schorsch, denn er hat eine einzige Wut auf den Kapellmeister. Hat der ihm doch bei der letzten Probe angekündigt, wenn der Schorsch die Tuba nicht lauter blasen kann, dann versetzt er ihn an die Triangel! Eine Blaskapelle muss laut sein, sagt der Kapellmeister, das ist der markante Unterschied zu einem Streichquartett.
Das mit der Triangel ist natürlich die glatte Androhung des Hinauswurfs, wie der Kapellmeister ihn jedes Mal, wenn er mit einem seiner Musiker unzufrieden ist, umschreibt. Weil eine Triangel gibt es gar nicht in der Blasmusik von Bad Höfstein. Und auch sonst in keiner auf dieser Welt.
Der Gmeiner Lois ganz hinten hat hämisch sein Maul schief gezogen, denn er weiß, dass er dann dran ist mit der Tuba, obwohl jedem bekannt ist, dass er sie nicht halb so gut blasen kann wie der Schorsch.
Aber so ist der Kapellmeister von Bad Höfstein: keinen Sinn für Kunst, nur für Dezibel!
Und darum dröhnt das dumpfe PumPum vom Gansberger weit hinauf in den blauen Himmel vom Waggerl Simon und von dort wieder in den dichten schattigen Hochwald der Berghänge, dass die glitzernden Fäden der Spinnennetze zwischen den Farnen im Takt mitzittern.
Dort oben vernimmt es dann auch der Matthias Wagner, gewesener Lehrer in der Volksschule von Bad Höfstein und seit einigen Jahren in Pension.
Er hat in seiner langen pädagogischen Laufbahn so viel an Geschrei und Krawall erlebt, dass es ihn aus jedem Trubel und Menschengewühl stets in die Natur zieht.
Darum ist er mit der Zeit auch so ein Naturkundler und vor allem ein Schwammerlexperte geworden, vor dem selbst ein Universitätsprofessor den Hut ziehen muss. Manche behaupten sogar, der Wagner ist imstande, an einem Fußpilz festzustellen, aus welchem Schwimmbad er stammt.
Das ist natürlich blanker Unsinn, aber sonst, wie gesagt: Hut ab! Ein Schwammerlgulasch vom Wagner akzeptiert jede Lebensversicherung.
Und weil es der Wagner so mit der Natur hat, wird er auch jedes Mal ganz fuchtig, wenn er irgendwo einen weggeworfenen Mist im Wald findet. Meist sind es leere Getränkedosen oder Plastiksackerln, die er dann schimpfend in seinen Rucksack stopft, um sie daheim ordentlich zu entsorgen.
Die zerknüllten Papiertaschentücher hingegen lässt er liegen, denn erstens befindet sich oft noch etwas anderes darunter, in das man nicht so gerne hineingreift, und zweitens verrotten sie sowieso im feuchten Nadelboden.
Aber ein alter Schuh mitten im Wald ist wieder so eine ausgesprochene Sauerei!
Viel größer jedoch ist die Sauerei, wenn noch der Fuß drinnen steckt und daran das ganze Bein und der dazugehörige Mensch hängen!
Der bloß auf Schwammerl eingestellte Lehrer verliert für einen Moment die Fassung, fast so wie das eine Mal, wo er dem Klausner Willi, dem rot schädlerten Frechdachs aus der dritten Klasse, der altersmäßig schon längst in der sechsten hätte sitzen müssen, auf dem Gang eine geschmiert hat und der Rotzlöffel einfach zurückgehaut hat!
Zaghaft, weil trotz dem Schreck neugierig, ist ja logisch, nähert er sich der reglosen, ganz in Jägergrün gekleideten Gestalt. Sie liegt korpulent auf dem Boden, nur der Kopf und die Schultern sind an den dicken Baumstamm daneben gelehnt, offenbar daran heruntergerutscht, die Arme seitlich weit ausgestreckt, den Mund und die Augen unnatürlich weit offen! Und das kleine Loch auf der rechten Kopfseite war zu Lebzeiten des Dicken sicher auch noch nicht da gewesen.
Jössus nein, jetzt erkennt er auch den Mann! Es handelt sich eindeutig um die starren, feisten Gesichtszüge des Sägewerks- und Steinbruchbesitzers Matthias Federmayer, dem unstrittig reichsten Bürger und Grundbesitzer des gesamten Bezirkes und darüber hinaus!
Da schau her!
Dass der Federmayer reichlich Hirn besessen hat, darf einen nicht wundern, bei den erfolgreichen Geschäften, die der immer gemacht hat, aber dass es gar so viel ist, wie jetzt eineinhalb Meter über dem Toten auf der Baumrinde pickt, ist doch erstaunlich.
Blaugrün schillernde Schmeißfliegen kriechen in der blutigen Schmiere hin und her und schwirren dann wieder in konzentrischen Kreisen um die Leiche herum.
Es ist jetzt fast still im Hochwald, das PumPum vom Gansberger Schorsch ist verstummt, wahrscheinlich macht die Blasmusikkapelle eine wohlverdiente Bierpause, kein Wunder bei der Lautstärke. Nur das sonore Brummen der fetten Fliegen ist zu hören und ein leises Rascheln vom Windhauch in den Farnen!
Wenn der emeritierte Pädagoge jetzt die Augen zumachen würde, würde er rein akustisch glauben, er steht auf einer Wiese, wo dicke Hummeln friedlich von Blume zu Blume surren.
Aber der pensionierte Lehrer Wagner hat noch nie ein Auge zugedrückt, jetzt schon gar nicht, wo er den Kolben des in einen Reisighaufen gesunkenen Gewehrs gesehen hat. Im Gegenteil, er reißt sie weit auf, um allen Wurzeln und Steinbrocken ausweichen zu können, während er in weiten Sprüngen, so schnell, wie er sich in seinem gesamten pragmatisierten Leben nie bewegt hat, das abfallende Gelände hinunter Richtung Bundesstraße rennt!
II
Im Streifenwagen vom Distl stinkt es permanent und ebenso penetrant nach kaltem Pfeifenrauch!
Damit kein Missverständnis aufkommt: Der Streifenwagen gehört noch immer der Republik, so abgewirtschaftet ist unser Staat noch nicht, dass jeder Polizist das eigene Auto mitbringen muss.
Aber der Distl bevorzugt seit jeher diesen bestimmten Wagen, obwohl keiner, wahrscheinlich nicht einmal er selbst, einen triftigen Grund dafür nennen kann. Wenn der Distl also Dienst tut, muss es daher unbedingt der Kombi mit dem Nummerntaferl BP 5058 sein, sonst wird der Chef unleidig, und wenn die Nummer BP 5058 für ein oder zwei Tage in der Werkstatt ist, möchte sich der Distl am liebsten auch so lange krank melden.
Der Kollege Holzinger meint, der Distl habe zu dem Auto ein geradezu psychosomatisches Verhältnis. Das ist natürlich wieder typisch Holzinger: keinen Tau von Fremdwörtern und ihrer Bedeutung, aber siebengescheit daherreden. Jedenfalls ist eines gewiss. So, wie ein männlicher Löwe alle Augenblicke in die Prärie wischerlt, um sein Revier für Rivalen zu kennzeichnen, so dokumentiert der Distl mit den Duftmarken aus seinem Matschkertiegel den ganz persönlichen Anspruch auf den Kombi.
Wenn es wenigstens ein anständiger Tabak wäre, den der Distl da verqualmt, aber nein, ein Amsterdamer muss es sein, ausgerechnet so ein Billigsdorfer heimischer Provenienz, der in den meisten Tabaktrafiken auf einem hinteren Regal sein verstaubtes Dasein fristet. Schon beim Aufmachen knistert der Tabak mehr als die Verpackung, aber das stört den Distl nicht. Mit dem wurstförmigen Zeigefinger der rechten Hand stopft er die trockenen Krümel in den wuchtigen Kopf der ausladenden Pfeife, hält das Streichholz daran, zieht heftig, und erst wenn endlich die beißenden blauen Wölkchen emporquellen, lässt er sich in den Autositz plumpsen.
Heute ausnahmsweise auf die Beifahrerseite, weil der Larisch fährt.
Reinhard Larisch hält nicht viel von seinem Vorgesetzten, der weiß das auch, aber es ist ihm wurst, so wie ihm eigentlich alles wurst zu sein scheint.
Leute wie der Distl regen den Larisch einfach auf!
Bedächtig, bequem, klein und korpulent, weil natürlich völlig unsportlich, aber mit einem Hang zum Zynismus.
Vor allem bar von jedem Funken Ehrgeiz.
Nicht einmal den Postenkommandanten hat der annehmen wollen, wie der Pflüger plötzlich gestorben ist. Aber im Landeskommando sitzt so ein alter Knacker, der den Distl noch von der Gendarmerieschule her kennt und große Stücke auf ihn hält. Und der hat einfach und bestimmt zum Distl gesagt: „Keine Widerrede, Alfred, du bist vorerst provisorischer Leiter, schließlich bist du der Dienstälteste und kennst den Laden am besten!“
„Und nachher?“, hat der Distl gefragt.
„Nachher sehen wir weiter!“
Nachher hat es keines mehr gegeben, denn der Distl war provisorisch eingesetzt, und so ein Provisorium hält in Österreich bekanntlich ewig.
Der Distl in seiner Bequemlichkeit hat sich auch nicht einmal mehr bemüht, die ungewollte Position wieder loszuwerden, und dem alten Knacker beim Land war das offensichtlich ganz recht.
So ist der Distl schon Postenkommandant gewesen, wie der Larisch vor einigen Jahren nach Bad Höfstein versetzt worden ist, und er wird es wohl auch noch sein, wenn derselbe wieder woanders hingeht, denn der Larisch ist ein Ehrgeiziger, ein Eifriger, das ganze Gegenteil von seinem Chef, er will hoch hinaus und Karriere machen, am liebsten in der Bundeshauptstadt bei der Kripo. In seiner Vorstellung sieht er sich schon bald die spektakulärsten Fälle in den Nobelbezirken lösen und mit Auszeichnungen und Beförderungen überhäuft werden.
Und die Zeitungen bringen seinen Namen auf Seite drei. Am Anfang. Später Titelblatt natürlich …
„Na, warst du heute erfolgreich?“, unterbricht der Distl unsensibel, wie er ist, die wohligen Gedankengänge des aufstrebenden Sterns am Exekutivhimmel neben sich. Weil der Larisch war ja schon am Vormittag damit beschäftigt gewesen, auf dem Parkplatz von der Entrischen Luk’n, einer Schauhöhle mit Fledermauskolonie und ein paar armseligen Stalagmiten, Verkehrskontrollen bei den ersten unvorsichtigen Kirtagsrückkehrern durchzuführen, während seine Kollegen im Markt darauf schauten, dass alles in Ruhe und Ordnung verläuft. Bis zu dem Moment, wo der Lehrer Wagner, einem Herzkasperl nahe, den Mord gemeldet hat.
„Sieben Geschwindigkeitsübertretungen und drei Alkoholisierungen!“, bestätigt der Larisch. „Allerdings nur leichte!“, setzt er bekümmert hinzu. „Aber schließlich muss man auch berücksichtigen, dass es noch nicht einmal elf war!“
„Brav, brav!“, nickt der Distl und saugt knatternd an seinem Nasenofen, ohne zu präzisieren, wen er meint: den Larisch oder die saufenden Autofahrer.
„Hoffentlich lassen die Kriminellen nicht lang auf sich warten!“, brummt er nach einer kurzen Pause.
Das ist wieder typisch Distl, keine Ehrfurcht vor den Spezialisten! Kriminelle sagen statt Kriminalbeamte! Für solche Wortspielchen würde der glatt seine hoffentlich baldige Pension opfern!
So wie er auch immer von der Feuerwehr als Feuerweroderwas redet, und die Rotkreuzmänner nennt er nur die Schani Töter statt Sanitäter!
Am meisten hat unter diesen kindischen Wortspielchen der Kollege Beier zu leiden, den der Distl stets, auch in aller Öffentlichkeit, apostrophiert: Beier, großes B, kleine Eier!
Der Beier wollte sich darüber sogar schon höheren Ortes beschweren, aber dann ist ihm zum Glück noch rechtzeitig eingefallen, wie es damals dem neuen Kollegen ergangen ist, der wegen dem permanente Rauchen vom Distl und dem Gestank im Dienstauto Klage geführt hat.
Der ist nämlich zu dem alten Knacker gekommen, und der hat ihn klipp und klar beglückwünscht, dass er froh sein könne, wenn er im Polizeidienst noch nie etwas Ärgeres hat riechen müssen als Pfeifentabak.
„Aber das Rauchen in Uniform ist doch auch schädigend für das Ansehen der Polizei!“, hat der Kollege einen letzten Einwand versucht.
„Paperlapapp! Schädigend für das Ansehen der Polizei ist es, keine Erfolge zu haben! Stimmen die Ergebnisse, können Sie von mir aus auch Wasserpfeife auf der Streife rauchen! Verstanden?“ Der Kollege ist bald darauf nach Hintertupfing versetzt worden.
An das hat sich der Beier noch rechtzeitig erinnert. Wahrscheinlich hätte bei ihm der alte Knacker gehöhnt: „Na wär’s Ihnen umgekehrt recht, kleines b und große Eier?“
Darum ist der Beier lieber bei seinen kleinen Eiern geblieben.
Der Larisch möchte das Blaulicht einschalten, weil vor ihnen eine kleine Kolonne hinter einem hoch mit Strohballen beladenen Traktor dahinzuckelt.
Der Distl winkt ab: „Lass nur, der Federmayer rennt uns nimmer davon!“
Komisch, denkt der Larisch, wieso sagt er beim Federmayer nicht auch große Feder, kleine Ayer?
Endlich sind sie am Parkplatz gegenüber dem Fußweg, der zur Entrischen Luk’n hinaufführt. Dabei handelt es sich um ein weit verzweigtes, tief in den Berg hineinführendes Höhlensystem, in dem eine seltene Fledermauskolonie nistet, welche für Touristen unter Führung zu besichtigen ist.
Aber den Polizisten steht heute nicht der Sinn nach Fledermäusen.
„Da schau, die Kriminellen sind sogar schon da! Respekt!“ Der Distl deutet auf den Bus mit dem Salzburger Stadtkennzeichen. „Und die Gestattung kommt auch grad!“
Ein schwarzer Kastenwagen biegt auf den Parkplatz ein. Vier Männer steigen aus und holen einen glänzenden Metallsarg aus dem Laderaum.
Der Postenkommandant wälzt sich ächzend aus dem Auto: „Los, beeilen wir uns, damit wir auch noch ein Fuzzerl von der Leiche sehen! Offensichtlich rennt uns der Federmayer doch weg!“
„Da steht noch sein Puch G!“, sagt der Larisch mit einer Kopfbewegung zu dem dunkelgrünen Geländewagen. „Der war übrigens schon da, wie ich heute da auf dem Platz mit der Verkehrskontrolle angefangen habe!“
„Den Schuss aber hast du nicht gehört?“
„Negativ!“ Der Larisch kann den Fachjargon der amerikanischen Krimiserien auswendig.
„Der Federmayer muss zu dieser Zeit schon tot gewesen sein!“
„Brav!“, schnauft der Distl erneut und mustert die beigen Ledersitze im Inneren und die leere Gewehrhalterung am Armaturenbrett. Holzfurniert natürlich, weil den Schotter hat der Federmayer nur im Steinbruch gehabt, in der Brieftasche waren die Papierbündel so dick wie die Auspuffrohre von seinem zweiten Wagen, einem Porsche. Auf der Rückbank liegt die heutige Ausgabe der Bild am Sonntag, kurz BAMS, die der Distl respektlos BUMMS zu nennen pflegt, weil sie so ein fürchterliches Tschinn-Bumms-Blatt ist! Der Federmayer kann seine Benediktbeurer Wurzeln trotz vierzig Jahre Salzburg eben nicht verleugnen. Und der Raschhofer, der seinen kleinen Kaufladen gegenüber der Talstation zur Gross-Alm hinauf auch am Sonntagvormittag offen hält, damit die Schitouristen sich noch mit dem Nötigsten für den Berg wie Proviant, Sonnencreme, Tschik, Präservative, Monatshygiene und eben auch Lektüre eindecken können, hat deswegen extra für den Federmayer immer eine BAMS reserviert.
„Treibstoff wieder teurer! Autofahrer Deppen der Nation!“, echauffiert sich die fette Schlagzeile.
„Na, Zeitungen werden auch nicht billiger!“, brummt der Distl. „Also, gehen wir!“
Der Waldweg vom Parkplatz zum Tatort ist zwar nur kurz, aber dafür umso steiler. Dem Larisch, sportlich 1a, macht das keine Mühe, nur muss er immer wieder warten, bis der Distl aus einer Serpentine heraus nachkeucht. Violett am Schädel!
Die Gestattungsleute, die hinter ihnen nachfolgen, hält er natürlich auch auf, weil die auf dem schmalen Pfad den Distl nicht überholen können, obwohl sie trotz des schweren Zinksargs schneller wären. Aber das ist keine Kunst, die sind schließlich zu viert, während der Distl fast das gleiche Gewicht allein hochschleppen muss.
Wie der Distl schon so bläst wie der Gansberger Schorsch, aber ohne Tuba, ruft einer von den Gestattungsmenschen: „Herr Gruppeninspektor, vielleicht sollten Sie sich für den Rest der Strecke derweilen in den Zinkpyjama legen, und wir tragen Sie hinauf, sonst fürcht ich, haben wir oben einen Sarg zu wenig!“
Da zeigt der Distl, aus was für einem Holz er ist. Obwohl ihm das Herz bis ins Hirn pumpert und die Luft fehlt wie einem Fahrradreifen mit Loch, dreht er sich um und stößt abgehackt hervor: „Meine pffrrr lieben pffrrr Bleichenfledderer, da könnt ihr pffrrr beruhigt sein! Runterrollen tu ich von allein!“
Oben aber, wo man durch die Bäume schon die hellen Schutzanzüge der Spurensicherer hervorleuchten sieht, hat der Larisch wirklich die Befürchtung, dass der Gestattungsmensch recht bekommen könnte. Der Distl inzwischen blau wie ein Karpfen und auch die gleichen stummen Mundbewegungen.
Obwohl der Kollege Beier den Tatort vorbildlich gesichert und abgesperrt hat, sinkt der Distl unter den missbilligenden Blicken der Spurenspezialisten auf den Reisighaufen direkt neben dem Federmayer, wodurch eine schwarze Wolke von Fliegen wie ein böses Omen surrend in die Luft steigt.
Auch der anwesende Gerichtsmediziner, Doktor Sudek, schaut missmutig drein, noch einen Exitus kann er heute am Sonntag wirklich nicht mehr brauchen. Er nimmt das Handgelenk vom Distl und fühlt den Puls oder das, was davon übrig geblieben ist.
Aber da reißt der Distl unwillig den Arm weg und schnauft: „Lassen Sie mich gefälligst im Kraut, Herr Doktor! Da liegt der Tote!“
Der Sudek, offenbar an Widerspruch seitens seiner Klientel nicht gewöhnt, zuckt die Achseln: „Wenn die Fliegen nicht wären, würde ich nicht darauf wetten, wer von Ihnen beiden die Leiche ist!“ Er hält kurz inne und schnurrt dann wie ein Streber auf der Universität sein Referat herunter:„Tod durch Schädelfraktur mit Gehirnaustritt infolge Schussverletzung. Das Projektil ist in der Mundhöhle ein- und in der linken Hinterhauptsphäre ausgetreten, wie man an der Zertrümmerung und teilweisen Abhebung der Schädelkalotte unschwer erkennt! Sofortiger Exitus! Der Schuss wurde aus unmittelbarer Nähe abgegeben! Wahrscheinlich sogar im Mund selbst! Erst vor ein paar Stunden passiert! Geschätzter Zeitpunkt zwischen acht und elf Uhr!“
Er bricht ab und schaut auffordernd in die Runde, als erwartete er einen Einser.
„Handelt es sich bei der Tatwaffe um das Gewehr?“ Das war der andere Streber, Larisch.
„Wahrscheinlich! Kaliber kommt hin! Vorbehaltlich näherer ballistischer Untersuchungen!“
Der Doktor schmollt offensichtlich ein wenig.
„Dann liegt anscheinend ein blitzsauberer Selbstmord vor!“ Larisch bringt die Sache hörbar enttäuscht auf den Punkt.
„Nicht ganz!“ Zum ersten Mal lässt einer von den Kriminellen etwas hören. Mittelgroß, hager, dunkle, kurz geschnittene Haare, markantes, lederartiges Gesicht. Fast ein Jerry-Cotton- Verschnitt.
Er balanciert die schwere Bockbüchse in den Händen. Natürlich schon in der Plastiktüte wegen der Fingerabdrücke, der DNA und dem üblichen Spurendingsbums! Dann zeigt er auf das Gewehrschloss. „Ich habe noch nie einen Selbstmord gesehen, bei dem der Erschossene nachher noch die Waffe gesichert hat! Der Sicherungshebel liegt nämlich auf S!“
„Wie bitte kommt ein Fremder mitten im Wald an das geladene Gewehr eines Jägers ran, erklär mir das?“ Die Frage des zweiten Kriminellen durchaus berechtigt! Er hat feuerrote Haare und ein knallrotes Gesicht! Im Ganzen wirkt er wie ein Paradeiser mit Bluthochdruck!
„Dem Toten steht ja das Hosentürl offen! Vielleicht war er gerade im Begriff, eine Stange Wasser in die Gegend zu stellen und hat dazu das Gewehr an den Baum gelehnt! Der Mörder hat sich offenbar die Waffe geschnappt und das Opfer aus nächster Nähe erschossen!“
„Na, wunderbar! Da geht ein Tierschützer friedlich im Wald spazieren, stößt plötzlich auf einen pinkelnden Waidmann, sieht die Flinte daneben und kriegt den Blutrausch nach dem Motto: Mordmannsheil, dem verpass’ ich jetzt eine!“
„Oder der Täter hat seinem Opfer bewusst aufgelauert!“
„Da hätte er aber fest damit rechnen müssen, dass den guten Mann genau im richtigen Moment die Blase zwickt!“
„Ja aber …!“ Der Larisch traut sich jetzt in das Geplänkel der Spezialisten hinein wie in einen Löwenkäfig! Dabei stottert er fast, aber kein Wunder! Er schließlich nur ein kleiner Gendarm, und das ist sein erster Mordfall: „Wenn das Gewehr jetzt nicht gesichert wäre, würde das andernfalls dann nicht wie ein klassischer Suizid aussehen?“
„Mehr oder weniger!“, muss der Jerry zugeben!
„Und wieso“, der Larisch schüttelt den Kopf, „belässt es der Jemand dann nicht bei dem Selbstmordbild, sondern gibt uns den eindeutigen Hinweis auf Fremdverschulden?“
„Ein berechtigter Einwand! Dummheit vielleicht! Oder der Mörder wollte vermeiden, dass ein Unbeteiligter hinterher die Waffe findet und sich auch noch gleich selbst die Birne wegbläst! Es soll ja so was wie verantwortungsbewusste Mörder geben!“ Der Gerichtsdoktor, der sich bis jetzt noch immer nicht genug gewürdigt sieht, probiert es einmal mit einem Witzchen aus dem makaberen Erfahrungsschatzkästchen aus! Viele Punkte macht er aber damit beim Roten nicht, weil der verdreht nur die Augen.
Da kommt plötzlich die Stimme vom Distl aus dem Hintergrund, klar, ruhig, trocken, nicht so, als wär er vor zehn Minuten noch glatt erstickt!
Eine Regenerationszeit wie ein Spitzensportler, denkt der Larisch unwillkürlich bewundernd.
Aber noch mehr verblüfft ihn das, was der Distl sagt.
Der sagt nämlich im besten Plauderton: „Nein, sondern weil derjenige, der das gemacht hat, damit etwas unmissverständlich demonstrieren will!“
„Und was, bitte schön, Herr Oberinspektor?“ Man kann es dem Roten deutlich anhören, was er davon hält, dass sich auch noch der zweite Dorfdodel in Uniform einmischt!
Der geringschätzige Tonfall aber erschüttert den Distl nicht im Geringsten. Er grinst den Roten sogar recht freundschaftlich an: „Ganz einfach! Dass es eine Hinrichtung war!“
III
Montag.
Toni Machart oder der Schischultoni, wie er im Ort meist genannt wird, haut die Tür von seinem schäbigen Geländewagen zu, dass am rostigen Kotflügel ein weiteres Stück vom Lack abfällt. Halteverbot hin oder her, er hat es eilig.
Halb vier ist es auf der Armbanduhr. Rolex natürlich. Und natürlich nicht echt!
Die hat der Toni damals aus Thailand mitgebracht, um im Winter seine Schischulhaserln zu beeindrucken.
Jetzt nimmt er sie ab und lässt sie in der Tasche verschwinden. Er weiß, beim Direktor Eibesberger von der Raika kann er damit keinen Eindruck schinden, der hat den Kontostand vom Toni im Computer. Und der ist echt, im Unterschied zur Uhr. Und gleich viel wert. Nämlich nichts.
Die Einheimischen, die den Toni jetzt auf die travertinverkleidete Eingangstür zur Bank sprinten sehen, nicken sich vielsagend zu: O mei, der Schischultoni! Bei dem stimmt’s hint und vorn nicht!
Dabei ist das Blödsinn!
Vorn ist beim Toni noch alles schwer in Ordnung, da würde sich mancher Bad Höfsteiner und vor allem seine Bad Höfsteinerin im gleichen Fall bei Nacht alle zehn Finger danach abschlecken, nur hinten, da, wo das Geldbörsel sitzt, da stimmt die Aussage!
Der Toni prallt an der Ecke im Foyer gegen die stattliche Nabelgegend vom Direktor Eibesberger: „O pardon!“
„’tschuldigung!“
„Ja, der Herr Machart! Jetzt kommst du aber zu spät! Jetzt hab ich einen Termin!“
„Aber wir waren doch für halb zehn verabredet?“
Der Direktor deutet auf die große Wanduhr über der Eingangstür: „Eben! Und jetzt ist es fünf vor zehn!“
Eine thailändische Rolex zeigt in Europa eine falsche Zeit an, ganz klar.
„Es ist aber wichtig!“ Der Toni wimmert.
Das kann sich der Eibesberger denken! Wenn der Toni schon freiwillig in die Höhle des Löwen kommt! Sonst macht er um den Direktor immer einen Bogen wie ein Veganer um einen Schweinsbraten.
„Na schön, fünf Minuten!“
„Ich brauch einen Kredit!“, eröffnet der Toni die Partie, als sie im Büro vom Eibesberger sitzen. Mahagoni natürlich!
Der schaut, pro forma natürlich, in seinen Computer und schüttelt die Hamsterbacken: „Du machst einen Witz! Nicht einen müden Cent kann ich dir mehr geben! Die in der Zentrale schauen eh schon!“
„Ich brauch das Geld aber noch diese Woche!“, plärrt der Toni. „Sonst lässt mir der Federmayer das Haus pfänden!“
„Ah, bei dem stehst du also auch in der Kreide!“
Kreide ist gut! Das Sümmchen, das der Federmayer kriegen soll, hat auf keiner Tafel mehr Platz.
Alles wegen dem Schifahren!
Der Toni war nämlich schon als Bub der Schnellste weit und breit, sobald er einen Zentimeter Schnee unter den Füßen gehabt hat.
Daraufhin Bezirksjugendkader, Landesjugendkader, Landeskader. Dort ist er allen um die Ohren gefahren, auch den jetzigen Stars, die dauernd im Fernsehen erklären, wie „brutal’s heut wieder gwesen ist“ und „dass’s ihnen heute net aufgangen ist!“.
Dann hat es aber plötzlich ein paar Tuscher gemacht! Bänderriss im Knie, Bänderriss im Knöchel, Muskelfaserriss, Schulterluxation und so weiter! Der Verletzungsteufel ist ihm hartnäckig auf dem Buckel gesessen wie ein Jockey beim Rodeo.
„Das kommt davon, weil der Toni sich im Training nicht richtig hineinhaut!“, haben die Trainer gesagt. Und schneller, als er sonst die Pisten hinuntergesaust ist, haben sie ihn aus allen Kadern hinausgeschmissen.
Deswegen ist der Toni dann schilehrern gegangen.Weil zum Schilehrern brauchst du kein Training, höchstens auf der Leber und ein bisschen weiter unten! Vor allem, wenn du hauptsächlich Privatstunden gibst.
Daneben hat er die Einkehrhütte samt Schirmbar bei der Talstation gemietet. So eine Hütte, noch dazu mit Schirmbar, ist eine Goldgrube. Weil saufen tun die meisten Leute noch immer besser wie Schi fahren.
Aber weil der Toni eben auch seine Privatstunden gehabt hat, hat er sich einen Geschäftsführer und Angestellte leisten müssen. Und die haben den Toni, der oben am Berg um seine Schihaserln herumgekurvt ist, jahrelang sauber ums Haxel gehauen!
Dazu war es noch zwei Winter hintereinander so warm, dass auch die teuersten Schneekanonen im unteren Drittel der Piste komplett für die Katz waren, und während sich die Leute oben in der Mittelstation angesoffen haben, ist dem Toni seine Hütte samt Schirmbar im Gatsch versunken.
Unter diesen Umständen natürlich kein Wunder, dass der Toni bald pleitegegangen und die Finanz nachschauen gekommen ist. Seither hat er nicht nur keine Hütte mehr gehabt, sondern zu den ganzen Schulden auch ein Finanzstrafverfahren! Weil der Geschäftsführer und die Angestellten, die Hundlinge, nicht nur auf eigene Rechnung, sondern auch hauptsächlich schwarz gearbeitet haben.
Das muss sich einer vorstellen. Mit einer Hütte samt Schirmbar pleitegehen. Dazu gehört schon mehr als ein paar Brettln an den Füßen, dazu braucht es auch ein paar gewaltige Brettln vorm Kopf!
Daraufhin ist der Toni zum Eibesberger um einen Kredit gegangen, und um den zurückzahlen zu können, hat er eine eigene Schischule gegründet!
Da war aber Feuer am Dach bei den eingesessenen, arrivierten Schischulbesitzern! Weil die Villa auf den Malediven kostet schließlich auch eine Kleinigkeit. Also haben sie sich zusammengetan und dem Toni den Marsch geblasen. Die vereinigten Schischulbesitzer haben sämtliche Preise unterboten, Kunststück, die haben schon längst genügend Geld gehabt, um die Durststrecke auszusitzen, bloß der Toni ist immer durstiger geworden.
Schließlich hat er seine Schilehrer nicht mehr bezahlen können und die Schule dichtmachen müssen.
Die vereinigten Schischulbesitzer haben das in ihren Villen auf den Malediven gefeiert und sich den Sommer über ausgerechnet, um wie viel sie ab der neuen Saison die Preise wieder hinaufschnalzen können, um die Verluste auszugleichen.
Der Eibesberger inzwischen, weil nichts mehr hereingekommen ist, ist immer drängender geworden, verständlich, deshalb ist der Toni zum Federmayer gegangen, um sich Geld für den Eibesberger auszuleihen.
Und für den Federmayer braucht er wieder Geld vom Eibesberger! So beißt sich der Hund in den Schwanz!
Das Perpetuum mobile ist jetzt aber irgendwie endgültig ins Stocken gekommen, weil beim Eibesberger spießt es sich diesmal gewaltig: „Sag mir einmal, wie kann man in deiner Situation sich noch und ausgerechnet beim Federmayer Geld ausleihen?“
„Das halbe Tal hat bei dem Schulden!“
„Weiß ich, aber bei dem Problem kann ich dir jetzt leider nicht helfen! Ich k a n n nicht! Versteh doch! Tut mir wirklich leid!“
„Ja, aber der Federmayer …!“
„Der Federmayer ist tot!“
„Was tot?“ Der Toni fällt aus allen Wolken.
„Ja! Tot! Hast du das nicht gehört? Maustot!“ Der Eibesberger dreht den Computer ab: „Tot wie deine Kreditwürdigkeit!“
Leicht betäubt von der Nachricht steht der Toni im Anschluss wieder draußen auf dem Marktplatz.
Die Eröffnung vom Eibesberger muss er erst einmal verdauen! Nicht die über seine Kreditwürdigkeit! Aber die über das Abkratzen vom Federmayer. Weil, jeden Tag stirbt einem ja nicht der Gläubiger so mir nichts dir nichts weg! Normalerweise sind die zäher wie Leder und härter als Kruppstahl.
Aber Feste soll man feiern, wie sie fallen! Deshalb lässt der Toni seine Rostlaube einstweilen im Halteverbot stehen und geht hinüber ins Café Susi. Weil jeder durchschnittliche Marktplatz bei uns besteht aus einer Bank und einem Café. Und einem Halteverbot! Denkmal oder Brunnen muss nicht sein, kommt aber häufig vor. Der Rest ist meist Hotel, Trachtengeschäft, Juwelier und Apotheke. Damit ist dann auch schon das unmittelbare Bedürfnis des geriatrischen Stammpublikums eines Kurortes hundertprozentig befriedigt.
Im Susi ist nicht viel los. Die Kellnerin Babsi, die aussieht, als hätte sie gerade einen Frisierwettbewerb verloren, steht hinter der Tortenvitrine und blättert mit den pinkfarbenen Nagellackfingern in einer knalligen Klatschillustrierten. Frau im Blatt, oder, was weiß ich, so ähnlich.
Bei einer derartigen Lektüre ist natürlich jeder neue Gast eine Störung. Noch dazu, wenn es sich um jemanden wie den Toni handelt. Mit gerunzelten Augenbrauen lässt die Babsi sein „Hallo, Babsi!“ unbeantwortet und verfolgt mit unfreundlichen Augen, wie er sich hinter einen Fenstertisch klemmt.
Mit der Babsi hat er auch einmal was gehabt, ist schon lange her, aber nicht so lange für die Babsi. Wie der Toni jetzt sein falsches Schilehrergrinsen aufsetzt, verfängt das bei ihr überhaupt nicht!
Das Lokal ist bis auf zwei Schülerinnen im Eck, die mit ihren überschminkten Wimmerln schon längst in der Mathestunde sitzen müssten, stattdessen aber über einen gewissen Patrik kudernd herziehen, leer. Trotzdem lässt die Babsi ihren gewesenen Liebhaber provokativ warten. Zuerst tut sie noch so, als würde sie die zweite Titelgeschichte über Frigidität bei jungen Frauen lesen, obwohl das für sie wirklich kein Thema ist. Das sieht auch ein Blinder mit Krückstock!
Endlich schlendert sie aufreizend langsam herüber und fragt betont desinteressiert: „Was darf’s denn sein?“
„Hallo, Babsi!“,versucht es der Toni zum zweiten Mal: „Wie geht’s?“
„Prima! Oder was hast du geglaubt? Dass ich wegen dir nur mehr in Sack und Asche herumrenne?“
„Schau, Babsi, sei nicht kindisch! Das ist schon eine Zeit her, und ich bin kein Mann zum Heiraten!“ Er greift in Richtung pinkfarbenen Nagellack.
„Was bildst du dir denn ein?“ Ein kunstvoll geschlagener Metallkugelschreiber kann auf den Fingerknöcheln ganz schön wehtun. „Wer will denn so was wie dich schon heiraten?“
„Na, wenn’s nicht darum geht, dann kannst du mir jetzt vielleicht endlich was bringen!“ Der Toni haucht sich auf die Pfoten und wird grantig.
„Also, was willst du? Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit?“, fragt Babsi mit leicht singendem Ton und schaut dabei betont desinteressiert auf den Plafond hinauf.
„Einen doppelten Whisky, wenn’s recht ist!“
„Kannst du dir so was noch leisten?“ Das boshafte Lächeln hat für den Toni etwas derartig Watschenhaftes an sich, dass er die Fingerknöchel ganz vergisst.
„Aber immer! Und zwar einen Glenfiddich!“ Der Single Malt ist das teuerste Gesöff im Susi. Das weiß er von früher, wie er wirklich noch Geld zum Bechern gehabt hat.
„Na, man hört das ganz anders!“, schnippt die Babsi, setzt aber jetzt doch ihren ansehnlichen Hintern in Bewegung.
Der Toni beobachtet stier eine dicke Fliege, die auf der klebrigen Eiskarte im Tischständer herumkrabbelt. Panik überfällt ihn.
Hat der Federmayer das mit der Zwangsversteigerung etwa herumerzählt?
Blödsinn! Der Federmayer war zwar ein Arschloch, aber niemals ein Trottel in Geldangelegenheiten.
Wenn ruchbar wird, dass der keine Diskretion halten kann, dann gute Nacht für seinen Wucherverleih!
Trotzdem! Woher weiß die Gurk’n, dass er derart klamm ist, dass sogar schon ein Whisky zum Luxus wird? Und wie sie ihn aus den Augenwinkeln mustert!
Gut, sein Aufzug … auch nicht gerade das, was man am Millionärsball anzieht.
Aber scheiß auf die Millionäre! Und scheiß auf den Federmayer im Besonderen! Obwohl der wahrscheinlich gar kein Millionär war, sondern Milliardär! Und nur tote Milliardäre sind gute Milliardäre.
Über diese geradezu kommunistischen Überlegungen weg und um es der Babsi zu zeigen, plündert der Toni seine zerrissene Hosentasche bis auf den letzten Cent und säuft noch etliche Doppelte auf nüchternen Magen.
Wenn er aber glaubt, dass einer, der sich gerade noch einen Dampf leisten kann, damit eine verschmähte Liebe beeindrucken kann, dann ist der Toni wirklich kein Mann zum Heiraten.
Die Babsi blickt ihm verächtlich nach, wie er über den Platz unsicher zu seinem Auto hinüberwackelt.
Verflucht! So ein Türschlossloch ist ab zwei Promille widerborstiger als jede sitzengelassene Kellnerin! Aber der Toni lässt nicht locker.
Skischullehrerehre!
Obwohl der Toni kein Latein kann, war das immer sein Motto: gutta cavat lapidem non vi sed saepe cadendo. Genau. Steter Tropfen höhlt den Stein!
Gilt für Holländerinnen und Schwedinnen genau so wie für Türschlösser.
Nur, dass es bei den Holländerinnen und Schwedinnen bisher keine gestört hat, bis er ihn endlich dringehabt hat!
„Probleme, Toni?“
Wie er sich mühsam umdreht, haucht er seine Alkoholfahne ausgerechnet dem Inspektor Larisch aus maximal dreißig Zentimetern Entfernung ins süffisante Grinsen hinein.
IV
Am selben Montag tummeln sich im Haus vom verblichenen Federmayer seit der Früh die Kriminellen.
Hat da wer Haus gesagt?
Ein Haus hast du oder ich.
Vielleicht!
Ein Vorzimmer, in dem ein präparierter Elefantenschädel mit Zweieinhalb-Meter-Stoßzähnen von der Mauer hängen kann und man trotzdem Platz hat, problemlos mit einem Rolls Royce vorbeizufahren, gehört zu keinem Haus!
Für das, was der Federmayer bewohnt, heißt die unterste Kategorie: Palast!
Die schaut aus wie ein Jagdmuseum! Oder ein naturhistorisches Museum! Überall Trophäen! An der Wand und am Boden! Gut, ausgestopfte und verstaubte Marder, Hasen oder Auerhähne findet man zwischen den Geweihen in jedem ordinären Jägerstüberl.
Aber hier ist das Artenschutzabkommen völlig außer Kraft gesetzt: eine Babygiraffe, ein ausgewachsener Orang-Utan, bunte tropische Vögel en masse, ein sibirisches Tigerfell, natürlich vor dem Kamin. Der Federmayer muss im Lauf seines gewaltsam verkürzten Lebens auf alles geschossen haben, was Beine hat und sich im Freien aufhält.
Gartentische vielleicht ausgenommen!
Der Jerry-Cotton-Verschnitt stolpert zwischen Wohnzimmer und Arbeitszimmer über einen kunstvoll präparierten Alligatorschwanz. „Ich weiß jetzt, wer der Mörder ist!“, flucht er.
„Wer?“, fragt der Rote erstaunt.
Der Jerry massiert sich stöhnend die Zehen: „Sicher der Präsident vom WWF!“
„Aber Humor hat er scheinbar gehabt!“ Der Rote deutet auf die Holzvertäfelung hinter dem Schreibtischsessel, aus der der ausgestopfte Hintern eines Eisbären samt Beinen herausragt, so als wär das Tier mit vollem Karacho in die Mauer gedonnert und nach der Hälfte stecken geblieben.
„Vermutlich auf der Flucht erschossen!“, knurrt der Jerry und reibt sich noch immer den Fuß.
Die Wahrheit ist aber, der Federmayer hat damals in den Siebzigerjahren auf so einer schwindlig teuren Arktisexpedition am allerletzten Tag den Eisbären geschossen und die Trophäe im Camp über Nacht im Freien liegen gelassen, weil einen besseren Kühlschrank gibt’s ja nicht. Das muss sich auch ein anderer Eisbär, so ein kannibalisch angehauchter, gedacht haben, denn in der Früh, wie der Federmayer und sein Jagdleiter steif aus dem beheizbaren Alu-Container gekrochen kommen, ist von dem toten Bären nur mehr die hintere Hälfte da.
Jetzt hat der Federmayer keine Zeit mehr gehabt, einen neuen, ganzen Eisbären zu schießen, in einer Stunde ist das Flugzeug zum Abholen gekommen, also hat der Federmayer ausnahmsweise diesmal eine halbe Sache gemacht und den übergebliebenen Bärenarsch mitgenommen. Weil auslachen daheim, dass er von so einem teuren Jagdausflug gar nichts heimbringt, lässt er sich natürlich nicht.
Und drum schaut der Bär jetzt also verkehrt aus der Wand heraus.
Erstaunlicherweise ist die nach außen protzige Villa relativ billig, ja, fast schäbig eingerichtet. Konfektionsware aus dem skandinavischen Möbelhaus, wahrscheinlich war der Federmayer dort auch auf Elchjagd, primitive Kunstdrucke mit Jagdszenen an der Wand, grauslich bunte Fliesen im Bad und Klo, und auch die Flaschenparade im Wohnzimmerschrank entpuppt sich beim genauen Hinschauen als Horrorsammlung von aromatisiertem Industriesprit.
„Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten!“, sagt der Rote süffisant.
„Über den hier sicher nicht!“ Der Jerry schraubt den Zwetschgenschnaps wieder zu, an dem er mit angewidertem Gesicht gerochen hat. „Reine Chemie, eine Zwetschge kennt der nicht einmal vom Hörensagen! Schad’!“
„Komisch, sonst haben diese reichen Typen doch lauter Antiquitäten, in denen sogar die Holzwürmer einen Ahnenpass besitzen!“
„Na, und was ist mit dem da?“, deutet der Jerry auf einen enormen Barockschrank, der sein deplatziertes Dasein im Gang führt. „So was gibt’s normalerweise nur mehr im Kloster!“
Die Türen sind schwer intarsienverziert und knarren entsetzlich.
„Na, wer sagt’s denn? Der Tabernakel des Waidmannes!“
Der frühere Bücherschrank ist jetzt ein Gewehrkasten, der alle Stücke spielt.
„Silberbüchse, Henrystutzen, Bärentöter, alles da!“, bemerkt der Rotgesichtige beeindruckt.
„Was hast du gedacht? Das ist wie bei den Golfern! Die haben doch auch für jeden Furz einen speziellen Schläger!“
„Eisen!“ Der Rote hat offenbar nicht nur einen Blutdruck von 250 zu 150, sondern auch eine pedantische Ader.
Aber der Jerry horcht gar nicht hin. „Was wollen denn Sie da?“, bellt er den Gang hinunter.
„Ich hab gedacht, ich kann vielleicht helfen!“, murmelt der Larisch verlegen und taucht aus dem Dunkeln auf.
„Ja, sind Sie denn seit gestern noch immer im Dienst?“ Das österreichische Beamtentum versteht viel, aber nicht alles.
„Eigentlich hab ich seit einer halben Stunde Schluss! Aber weil bei uns so ein Mord ja nicht alltäglich ist und ich mich doch später einmal bei der Kripo bewerben möchte, hab ich mir gesagt, schau zu, dann lernst du was!“
„Vorzugsschüler, was?“ Der misstrauische Blick des Roten macht den Larisch noch unsicherer.
„Okay!“, sagt der Jerry, ganz wie seine New Yorker Vorlage. „Sie können uns wirklich helfen! Nämlich, ist der Federmayer verheiratet?“
„War!“, verbessert der Rote, wie gesagt, ein Pedant.
Hausaufgabe nicht genügend, setzen!, denkt der Larisch sich erleichtert, aber auch enttäuscht, denn das hätten sie schon längst aus den Personalien des Toten herausfinden müssen. Die kochen auch nur mit Wasser, die sogenannten Kapazunder oder, wie sie der Distl respektlos bezeichnen würde, die Kapuziner!!
Laut aber sagt er: „Der Federmayer war verheiratet, dass heißt, er ist es noch, weil Scheidung gab’s keine. Seine Frau hat sich aber schon vor sechs Jahren von ihrem Mann getrennt und lebt jetzt in Kimml, im obersten Pinzgau. Ursula heißt sie!“
„Ist sie das?“ Das Foto im beigen Holzrahmen auf dem Aktenschrank ziemlich weit hinten hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Amateurhafte Aufnahme, Farben blass und gelbstichig. Die Frau selbst auch keine Sexbombe, zwar Dauerwellen, dunkelblond, aber das mollige Gesicht schon sehr hausbacken.
Das Sommerkleid und der unscharfe Hintergrund mit Meer lassen auf Italien tippen. Oder Kroatien!
Der Larisch zuckt die Schultern: „Keine Ahnung! Hab sie nie zu Gesicht gekriegt. Bin erst seit drei Jahren hier in Bad Höfstein!“
„Und? Freundin? Bekannte?“ Der Jerry klingt ungeduldig.
„Der Federmayer hat eigentlich keine Frauenbekanntschaften gehabt. Alle haben sich darüber gewundert! Bei dem seinen Geld!“
„Schwul?“
„Treibjagden heißen Treibjagden, weil es da alle Jäger treiben!“ Der Zynismus vom Roten könnte auch vom Distl stammen.
„Ist nicht bekannt.“
„Also Agent null null Sex! Schön, dann schau’n wir einmal in den Keller, vielleicht entdecken wir da noch ein paar andere Hobbys!“
Im Keller finden sie nur einen Schießstand, aber einen, wie ihn sich unser Bundesheer zu Weihnachten wünscht. Wegen dem nötigen Zielwasser gibt es dort unten auch eine kleine Ecksitzbank neben einer Hausbar.
„Ah, da schau her! Da hat er die guten Sachen! Der Fusel da oben ist offenbar nur für die Laufkundschaft!“
Der Jerry schnuppert sehnsüchtig an einem zwanzig Jahre alten Martell. Der Rote grinst, weil er weiß, dass sein Kollege, dem der Polizeiarzt schon vor zwei Jahren einmal eine Therapie verordnet hatte, zu gern einen zur Brust genommen hätte, sich aber vor dem Larisch nicht traut.
„Ein Aberlour Single Malt, 30 Jahre!“, liest er dem Jerry genüsslich vor.
„Irgendjemandem dürfte er trotzdem nicht geschmeckt haben!“ Kopfschüttelnd zeigt dieser auf einen dunklen feuchten Fleck in Kopfhöhe an der Kellerwand über der Hausbank! Überall liegen Glassplitter verstreut, und der Verputz hat eine tiefe Kerbe vom Einschlag!
„Schaut nach Wutausbruch aus! Ein Streit vermutlich!“ Er begutachtet das zweite leere Kristallglas, das noch auf dem Tisch steht! Die Whiskyreste drinnen sind noch etwas klebrig.
„Dürfte noch keine achtundvierzig Stunden her sein?“, mutmaßt der Jerry. „Und kein Lippenstift! Also ein Mann!“
„Gibt’s nicht auch Frauen, die keinen Lippenstift verwenden?“ Der Larisch ist von seiner eigenen Kühnheit überrascht.
„Meine!“, sagt der Rote resigniert. „Die schminkt sich überhaupt nicht! Wozu auch? Nützt sowieso nichts!“
„Ab ins Labor damit!“, befiehlt der Jerry. Während der Rote vorsichtig Glas und Glasreste in einer Folie verstaut, macht sich der Jerry beim Larisch wichtig: „Fingerabdrücke und DNA-Spuren!“, erklärt er, als ob es keine Fernsehkrimis gäbe. „Obwohl ich fürchte, das bringt uns auch keinen Tatverdächtigen!“
„Ich hätt schon einen!“ Der Larisch platzt es geradezu heraus.
Der Jerry und der Rote schauen ihn mit einem Gesichtsausdruck an, als hätte Dr. Watson soeben Sherlock Holmes widersprochen. Oder noch ärger: Inspektor Lestrade!
„So, so! Sie haben also einen?“
„Der Schischultoni!“
„Und wer soll das bitte schön sein?“
„Anton Machart“, verbessert der Larisch, „im Ort nennen ihn alle Schischultoni, weil er einmal eine Schischule gehabt hat, bevor ihn die Großkopferten ruiniert haben. Haust jetzt oben auf dem alten Hof, den er von seinen Eltern geerbt hat, und ist so klamm wie eine nasse Unterhose im Winter! Der Federmayer wollte ihm diese Woche die Hypothek aufkündigen und die Zwangsversteigerung vom Machart-Anwesen beantragen! Das hätte dann bedeutet: Obdachlosigkeit!“
„Woher wissen Sie das?“
„Der Toni hat mir selbst seine Notlage gestanden, wie ich ihm heute kurz vor Dienstschluss acht Anzeigen hinaufgebrummt hab und er keinen Tupf Geld in der Tasche gefunden hat!“, sagt der Larisch stolz wie der Klassenprimus, der Fleißaufgaben präsentiert.
„Acht Anzeigen auf einmal?“, fragt der Jerry mit einem Hauch von ungläubiger Abscheu.
Der Rote starrt Larisch an wie ein ekliges Insekt.
„Halteverbot, dreckige Nummerntafel, abgefahrene Reifen, kaputtes Rücklicht links hinten, Prüfplakette abgelaufen, keine Verbandskassette, Alkoholisierung, Zulassungsschein nicht dabei!“, leiert der Larisch die Liste der Verfehlungen wie ein Muttertagsgedicht herunter. Dann schöpft er Atem und blickt triumphierend die fassungslosen Kriminalisten an.
„Alle Achtung!“, räuspert sich der Rote nach einer Weile. „Sie sind aber tüchtig!“ Sein Tonfall verrät, dass er diese Art von Tüchtigkeit für nicht unbedingt erstrebenswert hält.
Der Larisch merkt nichts. „Man will schließlich in seinem Beruf weiterkommen!“, grinst er selbstgefällig.
„Ja, ja“, brummt der Jerry, „das wollten die seinerzeit auch!“
„Wer?“ Der Larisch glotzt ihn verständnislos an.
„Die bei der Gestapo natürlich! Beruflich weiterkommen!“ Jetzt braucht der Jerry doch einen Schluck vom Single Malt. Larisch hin oder her!
Gott sei Dank kauft ihm die Tante Trude schnell eine erschwingliche Trommel!
Aber die schießt ihm gleich darauf der grindige Weißgruber Karli mit seinem neuen preiswerten Stoppelgewehr kaputt!
Die versammelte Freiwillige Feuerwehr hat heute nichts zu löschen als ihren Durst, was auch eine ganz saubere Arbeit bedeutet, und der Brunnenwirt freut sich darüber ebenso wie der alte Herr Stockinger, weil ihn die braunen Uniformen an seine gute alte SA-Zeit erinnern! Nur zackiger war der Herr Stockinger damals!
Der Chef vom Tourismusverein, Simon Waggerl, geht in Trachtenjoppe und nicht nur von Stolz geblähter Lederhose von Biertisch zu Biertisch und fragt einen jeden, wurst, ob Sommergast oder Einheimischer: „Na, hab ich nicht für ein Prachtwetter gesorgt?“, so als ob es in seiner Kompetenz liegt, dass die Sonne scheint.
Umgekehrt würde er sich aber schön bedanken, wenn die Bauern ihn zur Verantwortung ziehen würden, weil es schon wieder in ihre Heuernte hineingeregnet hat.
Die Sommergäste nicken jedoch freundlich und anerkennend, die Hiesigen denken sich: „Trottl!“ , grinsen aber auch, und der Simon Waggerl will noch etwas sagen, aber zum Glück fängt die Blasmusik an.
Die Tuba spielt der Gansberger Schorsch heute besonders laut. Er bläst mit geschwollenen Backen derart hinein, dass man Wetten abschließen kann, wen es zuerst zerreißt: das Instrument oder den Schorsch.
Wahrscheinlich den Schorsch, denn er hat eine einzige Wut auf den Kapellmeister. Hat der ihm doch bei der letzten Probe angekündigt, wenn der Schorsch die Tuba nicht lauter blasen kann, dann versetzt er ihn an die Triangel! Eine Blaskapelle muss laut sein, sagt der Kapellmeister, das ist der markante Unterschied zu einem Streichquartett.
Das mit der Triangel ist natürlich die glatte Androhung des Hinauswurfs, wie der Kapellmeister ihn jedes Mal, wenn er mit einem seiner Musiker unzufrieden ist, umschreibt. Weil eine Triangel gibt es gar nicht in der Blasmusik von Bad Höfstein. Und auch sonst in keiner auf dieser Welt.
Der Gmeiner Lois ganz hinten hat hämisch sein Maul schief gezogen, denn er weiß, dass er dann dran ist mit der Tuba, obwohl jedem bekannt ist, dass er sie nicht halb so gut blasen kann wie der Schorsch.
Aber so ist der Kapellmeister von Bad Höfstein: keinen Sinn für Kunst, nur für Dezibel!
Und darum dröhnt das dumpfe PumPum vom Gansberger weit hinauf in den blauen Himmel vom Waggerl Simon und von dort wieder in den dichten schattigen Hochwald der Berghänge, dass die glitzernden Fäden der Spinnennetze zwischen den Farnen im Takt mitzittern.
Dort oben vernimmt es dann auch der Matthias Wagner, gewesener Lehrer in der Volksschule von Bad Höfstein und seit einigen Jahren in Pension.
Er hat in seiner langen pädagogischen Laufbahn so viel an Geschrei und Krawall erlebt, dass es ihn aus jedem Trubel und Menschengewühl stets in die Natur zieht.
Darum ist er mit der Zeit auch so ein Naturkundler und vor allem ein Schwammerlexperte geworden, vor dem selbst ein Universitätsprofessor den Hut ziehen muss. Manche behaupten sogar, der Wagner ist imstande, an einem Fußpilz festzustellen, aus welchem Schwimmbad er stammt.
Das ist natürlich blanker Unsinn, aber sonst, wie gesagt: Hut ab! Ein Schwammerlgulasch vom Wagner akzeptiert jede Lebensversicherung.
Und weil es der Wagner so mit der Natur hat, wird er auch jedes Mal ganz fuchtig, wenn er irgendwo einen weggeworfenen Mist im Wald findet. Meist sind es leere Getränkedosen oder Plastiksackerln, die er dann schimpfend in seinen Rucksack stopft, um sie daheim ordentlich zu entsorgen.
Die zerknüllten Papiertaschentücher hingegen lässt er liegen, denn erstens befindet sich oft noch etwas anderes darunter, in das man nicht so gerne hineingreift, und zweitens verrotten sie sowieso im feuchten Nadelboden.
Aber ein alter Schuh mitten im Wald ist wieder so eine ausgesprochene Sauerei!
Viel größer jedoch ist die Sauerei, wenn noch der Fuß drinnen steckt und daran das ganze Bein und der dazugehörige Mensch hängen!
Der bloß auf Schwammerl eingestellte Lehrer verliert für einen Moment die Fassung, fast so wie das eine Mal, wo er dem Klausner Willi, dem rot schädlerten Frechdachs aus der dritten Klasse, der altersmäßig schon längst in der sechsten hätte sitzen müssen, auf dem Gang eine geschmiert hat und der Rotzlöffel einfach zurückgehaut hat!
Zaghaft, weil trotz dem Schreck neugierig, ist ja logisch, nähert er sich der reglosen, ganz in Jägergrün gekleideten Gestalt. Sie liegt korpulent auf dem Boden, nur der Kopf und die Schultern sind an den dicken Baumstamm daneben gelehnt, offenbar daran heruntergerutscht, die Arme seitlich weit ausgestreckt, den Mund und die Augen unnatürlich weit offen! Und das kleine Loch auf der rechten Kopfseite war zu Lebzeiten des Dicken sicher auch noch nicht da gewesen.
Jössus nein, jetzt erkennt er auch den Mann! Es handelt sich eindeutig um die starren, feisten Gesichtszüge des Sägewerks- und Steinbruchbesitzers Matthias Federmayer, dem unstrittig reichsten Bürger und Grundbesitzer des gesamten Bezirkes und darüber hinaus!
Da schau her!
Dass der Federmayer reichlich Hirn besessen hat, darf einen nicht wundern, bei den erfolgreichen Geschäften, die der immer gemacht hat, aber dass es gar so viel ist, wie jetzt eineinhalb Meter über dem Toten auf der Baumrinde pickt, ist doch erstaunlich.
Blaugrün schillernde Schmeißfliegen kriechen in der blutigen Schmiere hin und her und schwirren dann wieder in konzentrischen Kreisen um die Leiche herum.
Es ist jetzt fast still im Hochwald, das PumPum vom Gansberger Schorsch ist verstummt, wahrscheinlich macht die Blasmusikkapelle eine wohlverdiente Bierpause, kein Wunder bei der Lautstärke. Nur das sonore Brummen der fetten Fliegen ist zu hören und ein leises Rascheln vom Windhauch in den Farnen!
Wenn der emeritierte Pädagoge jetzt die Augen zumachen würde, würde er rein akustisch glauben, er steht auf einer Wiese, wo dicke Hummeln friedlich von Blume zu Blume surren.
Aber der pensionierte Lehrer Wagner hat noch nie ein Auge zugedrückt, jetzt schon gar nicht, wo er den Kolben des in einen Reisighaufen gesunkenen Gewehrs gesehen hat. Im Gegenteil, er reißt sie weit auf, um allen Wurzeln und Steinbrocken ausweichen zu können, während er in weiten Sprüngen, so schnell, wie er sich in seinem gesamten pragmatisierten Leben nie bewegt hat, das abfallende Gelände hinunter Richtung Bundesstraße rennt!
II
Im Streifenwagen vom Distl stinkt es permanent und ebenso penetrant nach kaltem Pfeifenrauch!
Damit kein Missverständnis aufkommt: Der Streifenwagen gehört noch immer der Republik, so abgewirtschaftet ist unser Staat noch nicht, dass jeder Polizist das eigene Auto mitbringen muss.
Aber der Distl bevorzugt seit jeher diesen bestimmten Wagen, obwohl keiner, wahrscheinlich nicht einmal er selbst, einen triftigen Grund dafür nennen kann. Wenn der Distl also Dienst tut, muss es daher unbedingt der Kombi mit dem Nummerntaferl BP 5058 sein, sonst wird der Chef unleidig, und wenn die Nummer BP 5058 für ein oder zwei Tage in der Werkstatt ist, möchte sich der Distl am liebsten auch so lange krank melden.
Der Kollege Holzinger meint, der Distl habe zu dem Auto ein geradezu psychosomatisches Verhältnis. Das ist natürlich wieder typisch Holzinger: keinen Tau von Fremdwörtern und ihrer Bedeutung, aber siebengescheit daherreden. Jedenfalls ist eines gewiss. So, wie ein männlicher Löwe alle Augenblicke in die Prärie wischerlt, um sein Revier für Rivalen zu kennzeichnen, so dokumentiert der Distl mit den Duftmarken aus seinem Matschkertiegel den ganz persönlichen Anspruch auf den Kombi.
Wenn es wenigstens ein anständiger Tabak wäre, den der Distl da verqualmt, aber nein, ein Amsterdamer muss es sein, ausgerechnet so ein Billigsdorfer heimischer Provenienz, der in den meisten Tabaktrafiken auf einem hinteren Regal sein verstaubtes Dasein fristet. Schon beim Aufmachen knistert der Tabak mehr als die Verpackung, aber das stört den Distl nicht. Mit dem wurstförmigen Zeigefinger der rechten Hand stopft er die trockenen Krümel in den wuchtigen Kopf der ausladenden Pfeife, hält das Streichholz daran, zieht heftig, und erst wenn endlich die beißenden blauen Wölkchen emporquellen, lässt er sich in den Autositz plumpsen.
Heute ausnahmsweise auf die Beifahrerseite, weil der Larisch fährt.
Reinhard Larisch hält nicht viel von seinem Vorgesetzten, der weiß das auch, aber es ist ihm wurst, so wie ihm eigentlich alles wurst zu sein scheint.
Leute wie der Distl regen den Larisch einfach auf!
Bedächtig, bequem, klein und korpulent, weil natürlich völlig unsportlich, aber mit einem Hang zum Zynismus.
Vor allem bar von jedem Funken Ehrgeiz.
Nicht einmal den Postenkommandanten hat der annehmen wollen, wie der Pflüger plötzlich gestorben ist. Aber im Landeskommando sitzt so ein alter Knacker, der den Distl noch von der Gendarmerieschule her kennt und große Stücke auf ihn hält. Und der hat einfach und bestimmt zum Distl gesagt: „Keine Widerrede, Alfred, du bist vorerst provisorischer Leiter, schließlich bist du der Dienstälteste und kennst den Laden am besten!“
„Und nachher?“, hat der Distl gefragt.
„Nachher sehen wir weiter!“
Nachher hat es keines mehr gegeben, denn der Distl war provisorisch eingesetzt, und so ein Provisorium hält in Österreich bekanntlich ewig.
Der Distl in seiner Bequemlichkeit hat sich auch nicht einmal mehr bemüht, die ungewollte Position wieder loszuwerden, und dem alten Knacker beim Land war das offensichtlich ganz recht.
So ist der Distl schon Postenkommandant gewesen, wie der Larisch vor einigen Jahren nach Bad Höfstein versetzt worden ist, und er wird es wohl auch noch sein, wenn derselbe wieder woanders hingeht, denn der Larisch ist ein Ehrgeiziger, ein Eifriger, das ganze Gegenteil von seinem Chef, er will hoch hinaus und Karriere machen, am liebsten in der Bundeshauptstadt bei der Kripo. In seiner Vorstellung sieht er sich schon bald die spektakulärsten Fälle in den Nobelbezirken lösen und mit Auszeichnungen und Beförderungen überhäuft werden.
Und die Zeitungen bringen seinen Namen auf Seite drei. Am Anfang. Später Titelblatt natürlich …
„Na, warst du heute erfolgreich?“, unterbricht der Distl unsensibel, wie er ist, die wohligen Gedankengänge des aufstrebenden Sterns am Exekutivhimmel neben sich. Weil der Larisch war ja schon am Vormittag damit beschäftigt gewesen, auf dem Parkplatz von der Entrischen Luk’n, einer Schauhöhle mit Fledermauskolonie und ein paar armseligen Stalagmiten, Verkehrskontrollen bei den ersten unvorsichtigen Kirtagsrückkehrern durchzuführen, während seine Kollegen im Markt darauf schauten, dass alles in Ruhe und Ordnung verläuft. Bis zu dem Moment, wo der Lehrer Wagner, einem Herzkasperl nahe, den Mord gemeldet hat.
„Sieben Geschwindigkeitsübertretungen und drei Alkoholisierungen!“, bestätigt der Larisch. „Allerdings nur leichte!“, setzt er bekümmert hinzu. „Aber schließlich muss man auch berücksichtigen, dass es noch nicht einmal elf war!“
„Brav, brav!“, nickt der Distl und saugt knatternd an seinem Nasenofen, ohne zu präzisieren, wen er meint: den Larisch oder die saufenden Autofahrer.
„Hoffentlich lassen die Kriminellen nicht lang auf sich warten!“, brummt er nach einer kurzen Pause.
Das ist wieder typisch Distl, keine Ehrfurcht vor den Spezialisten! Kriminelle sagen statt Kriminalbeamte! Für solche Wortspielchen würde der glatt seine hoffentlich baldige Pension opfern!
So wie er auch immer von der Feuerwehr als Feuerweroderwas redet, und die Rotkreuzmänner nennt er nur die Schani Töter statt Sanitäter!
Am meisten hat unter diesen kindischen Wortspielchen der Kollege Beier zu leiden, den der Distl stets, auch in aller Öffentlichkeit, apostrophiert: Beier, großes B, kleine Eier!
Der Beier wollte sich darüber sogar schon höheren Ortes beschweren, aber dann ist ihm zum Glück noch rechtzeitig eingefallen, wie es damals dem neuen Kollegen ergangen ist, der wegen dem permanente Rauchen vom Distl und dem Gestank im Dienstauto Klage geführt hat.
Der ist nämlich zu dem alten Knacker gekommen, und der hat ihn klipp und klar beglückwünscht, dass er froh sein könne, wenn er im Polizeidienst noch nie etwas Ärgeres hat riechen müssen als Pfeifentabak.
„Aber das Rauchen in Uniform ist doch auch schädigend für das Ansehen der Polizei!“, hat der Kollege einen letzten Einwand versucht.
„Paperlapapp! Schädigend für das Ansehen der Polizei ist es, keine Erfolge zu haben! Stimmen die Ergebnisse, können Sie von mir aus auch Wasserpfeife auf der Streife rauchen! Verstanden?“ Der Kollege ist bald darauf nach Hintertupfing versetzt worden.
An das hat sich der Beier noch rechtzeitig erinnert. Wahrscheinlich hätte bei ihm der alte Knacker gehöhnt: „Na wär’s Ihnen umgekehrt recht, kleines b und große Eier?“
Darum ist der Beier lieber bei seinen kleinen Eiern geblieben.
Der Larisch möchte das Blaulicht einschalten, weil vor ihnen eine kleine Kolonne hinter einem hoch mit Strohballen beladenen Traktor dahinzuckelt.
Der Distl winkt ab: „Lass nur, der Federmayer rennt uns nimmer davon!“
Komisch, denkt der Larisch, wieso sagt er beim Federmayer nicht auch große Feder, kleine Ayer?
Endlich sind sie am Parkplatz gegenüber dem Fußweg, der zur Entrischen Luk’n hinaufführt. Dabei handelt es sich um ein weit verzweigtes, tief in den Berg hineinführendes Höhlensystem, in dem eine seltene Fledermauskolonie nistet, welche für Touristen unter Führung zu besichtigen ist.
Aber den Polizisten steht heute nicht der Sinn nach Fledermäusen.
„Da schau, die Kriminellen sind sogar schon da! Respekt!“ Der Distl deutet auf den Bus mit dem Salzburger Stadtkennzeichen. „Und die Gestattung kommt auch grad!“
Ein schwarzer Kastenwagen biegt auf den Parkplatz ein. Vier Männer steigen aus und holen einen glänzenden Metallsarg aus dem Laderaum.
Der Postenkommandant wälzt sich ächzend aus dem Auto: „Los, beeilen wir uns, damit wir auch noch ein Fuzzerl von der Leiche sehen! Offensichtlich rennt uns der Federmayer doch weg!“
„Da steht noch sein Puch G!“, sagt der Larisch mit einer Kopfbewegung zu dem dunkelgrünen Geländewagen. „Der war übrigens schon da, wie ich heute da auf dem Platz mit der Verkehrskontrolle angefangen habe!“
„Den Schuss aber hast du nicht gehört?“
„Negativ!“ Der Larisch kann den Fachjargon der amerikanischen Krimiserien auswendig.
„Der Federmayer muss zu dieser Zeit schon tot gewesen sein!“
„Brav!“, schnauft der Distl erneut und mustert die beigen Ledersitze im Inneren und die leere Gewehrhalterung am Armaturenbrett. Holzfurniert natürlich, weil den Schotter hat der Federmayer nur im Steinbruch gehabt, in der Brieftasche waren die Papierbündel so dick wie die Auspuffrohre von seinem zweiten Wagen, einem Porsche. Auf der Rückbank liegt die heutige Ausgabe der Bild am Sonntag, kurz BAMS, die der Distl respektlos BUMMS zu nennen pflegt, weil sie so ein fürchterliches Tschinn-Bumms-Blatt ist! Der Federmayer kann seine Benediktbeurer Wurzeln trotz vierzig Jahre Salzburg eben nicht verleugnen. Und der Raschhofer, der seinen kleinen Kaufladen gegenüber der Talstation zur Gross-Alm hinauf auch am Sonntagvormittag offen hält, damit die Schitouristen sich noch mit dem Nötigsten für den Berg wie Proviant, Sonnencreme, Tschik, Präservative, Monatshygiene und eben auch Lektüre eindecken können, hat deswegen extra für den Federmayer immer eine BAMS reserviert.
„Treibstoff wieder teurer! Autofahrer Deppen der Nation!“, echauffiert sich die fette Schlagzeile.
„Na, Zeitungen werden auch nicht billiger!“, brummt der Distl. „Also, gehen wir!“
Der Waldweg vom Parkplatz zum Tatort ist zwar nur kurz, aber dafür umso steiler. Dem Larisch, sportlich 1a, macht das keine Mühe, nur muss er immer wieder warten, bis der Distl aus einer Serpentine heraus nachkeucht. Violett am Schädel!
Die Gestattungsleute, die hinter ihnen nachfolgen, hält er natürlich auch auf, weil die auf dem schmalen Pfad den Distl nicht überholen können, obwohl sie trotz des schweren Zinksargs schneller wären. Aber das ist keine Kunst, die sind schließlich zu viert, während der Distl fast das gleiche Gewicht allein hochschleppen muss.
Wie der Distl schon so bläst wie der Gansberger Schorsch, aber ohne Tuba, ruft einer von den Gestattungsmenschen: „Herr Gruppeninspektor, vielleicht sollten Sie sich für den Rest der Strecke derweilen in den Zinkpyjama legen, und wir tragen Sie hinauf, sonst fürcht ich, haben wir oben einen Sarg zu wenig!“
Da zeigt der Distl, aus was für einem Holz er ist. Obwohl ihm das Herz bis ins Hirn pumpert und die Luft fehlt wie einem Fahrradreifen mit Loch, dreht er sich um und stößt abgehackt hervor: „Meine pffrrr lieben pffrrr Bleichenfledderer, da könnt ihr pffrrr beruhigt sein! Runterrollen tu ich von allein!“
Oben aber, wo man durch die Bäume schon die hellen Schutzanzüge der Spurensicherer hervorleuchten sieht, hat der Larisch wirklich die Befürchtung, dass der Gestattungsmensch recht bekommen könnte. Der Distl inzwischen blau wie ein Karpfen und auch die gleichen stummen Mundbewegungen.
Obwohl der Kollege Beier den Tatort vorbildlich gesichert und abgesperrt hat, sinkt der Distl unter den missbilligenden Blicken der Spurenspezialisten auf den Reisighaufen direkt neben dem Federmayer, wodurch eine schwarze Wolke von Fliegen wie ein böses Omen surrend in die Luft steigt.
Auch der anwesende Gerichtsmediziner, Doktor Sudek, schaut missmutig drein, noch einen Exitus kann er heute am Sonntag wirklich nicht mehr brauchen. Er nimmt das Handgelenk vom Distl und fühlt den Puls oder das, was davon übrig geblieben ist.
Aber da reißt der Distl unwillig den Arm weg und schnauft: „Lassen Sie mich gefälligst im Kraut, Herr Doktor! Da liegt der Tote!“
Der Sudek, offenbar an Widerspruch seitens seiner Klientel nicht gewöhnt, zuckt die Achseln: „Wenn die Fliegen nicht wären, würde ich nicht darauf wetten, wer von Ihnen beiden die Leiche ist!“ Er hält kurz inne und schnurrt dann wie ein Streber auf der Universität sein Referat herunter:„Tod durch Schädelfraktur mit Gehirnaustritt infolge Schussverletzung. Das Projektil ist in der Mundhöhle ein- und in der linken Hinterhauptsphäre ausgetreten, wie man an der Zertrümmerung und teilweisen Abhebung der Schädelkalotte unschwer erkennt! Sofortiger Exitus! Der Schuss wurde aus unmittelbarer Nähe abgegeben! Wahrscheinlich sogar im Mund selbst! Erst vor ein paar Stunden passiert! Geschätzter Zeitpunkt zwischen acht und elf Uhr!“
Er bricht ab und schaut auffordernd in die Runde, als erwartete er einen Einser.
„Handelt es sich bei der Tatwaffe um das Gewehr?“ Das war der andere Streber, Larisch.
„Wahrscheinlich! Kaliber kommt hin! Vorbehaltlich näherer ballistischer Untersuchungen!“
Der Doktor schmollt offensichtlich ein wenig.
„Dann liegt anscheinend ein blitzsauberer Selbstmord vor!“ Larisch bringt die Sache hörbar enttäuscht auf den Punkt.
„Nicht ganz!“ Zum ersten Mal lässt einer von den Kriminellen etwas hören. Mittelgroß, hager, dunkle, kurz geschnittene Haare, markantes, lederartiges Gesicht. Fast ein Jerry-Cotton- Verschnitt.
Er balanciert die schwere Bockbüchse in den Händen. Natürlich schon in der Plastiktüte wegen der Fingerabdrücke, der DNA und dem üblichen Spurendingsbums! Dann zeigt er auf das Gewehrschloss. „Ich habe noch nie einen Selbstmord gesehen, bei dem der Erschossene nachher noch die Waffe gesichert hat! Der Sicherungshebel liegt nämlich auf S!“
„Wie bitte kommt ein Fremder mitten im Wald an das geladene Gewehr eines Jägers ran, erklär mir das?“ Die Frage des zweiten Kriminellen durchaus berechtigt! Er hat feuerrote Haare und ein knallrotes Gesicht! Im Ganzen wirkt er wie ein Paradeiser mit Bluthochdruck!
„Dem Toten steht ja das Hosentürl offen! Vielleicht war er gerade im Begriff, eine Stange Wasser in die Gegend zu stellen und hat dazu das Gewehr an den Baum gelehnt! Der Mörder hat sich offenbar die Waffe geschnappt und das Opfer aus nächster Nähe erschossen!“
„Na, wunderbar! Da geht ein Tierschützer friedlich im Wald spazieren, stößt plötzlich auf einen pinkelnden Waidmann, sieht die Flinte daneben und kriegt den Blutrausch nach dem Motto: Mordmannsheil, dem verpass’ ich jetzt eine!“
„Oder der Täter hat seinem Opfer bewusst aufgelauert!“
„Da hätte er aber fest damit rechnen müssen, dass den guten Mann genau im richtigen Moment die Blase zwickt!“
„Ja aber …!“ Der Larisch traut sich jetzt in das Geplänkel der Spezialisten hinein wie in einen Löwenkäfig! Dabei stottert er fast, aber kein Wunder! Er schließlich nur ein kleiner Gendarm, und das ist sein erster Mordfall: „Wenn das Gewehr jetzt nicht gesichert wäre, würde das andernfalls dann nicht wie ein klassischer Suizid aussehen?“
„Mehr oder weniger!“, muss der Jerry zugeben!
„Und wieso“, der Larisch schüttelt den Kopf, „belässt es der Jemand dann nicht bei dem Selbstmordbild, sondern gibt uns den eindeutigen Hinweis auf Fremdverschulden?“
„Ein berechtigter Einwand! Dummheit vielleicht! Oder der Mörder wollte vermeiden, dass ein Unbeteiligter hinterher die Waffe findet und sich auch noch gleich selbst die Birne wegbläst! Es soll ja so was wie verantwortungsbewusste Mörder geben!“ Der Gerichtsdoktor, der sich bis jetzt noch immer nicht genug gewürdigt sieht, probiert es einmal mit einem Witzchen aus dem makaberen Erfahrungsschatzkästchen aus! Viele Punkte macht er aber damit beim Roten nicht, weil der verdreht nur die Augen.
Da kommt plötzlich die Stimme vom Distl aus dem Hintergrund, klar, ruhig, trocken, nicht so, als wär er vor zehn Minuten noch glatt erstickt!
Eine Regenerationszeit wie ein Spitzensportler, denkt der Larisch unwillkürlich bewundernd.
Aber noch mehr verblüfft ihn das, was der Distl sagt.
Der sagt nämlich im besten Plauderton: „Nein, sondern weil derjenige, der das gemacht hat, damit etwas unmissverständlich demonstrieren will!“
„Und was, bitte schön, Herr Oberinspektor?“ Man kann es dem Roten deutlich anhören, was er davon hält, dass sich auch noch der zweite Dorfdodel in Uniform einmischt!
Der geringschätzige Tonfall aber erschüttert den Distl nicht im Geringsten. Er grinst den Roten sogar recht freundschaftlich an: „Ganz einfach! Dass es eine Hinrichtung war!“
III
Montag.
Toni Machart oder der Schischultoni, wie er im Ort meist genannt wird, haut die Tür von seinem schäbigen Geländewagen zu, dass am rostigen Kotflügel ein weiteres Stück vom Lack abfällt. Halteverbot hin oder her, er hat es eilig.
Halb vier ist es auf der Armbanduhr. Rolex natürlich. Und natürlich nicht echt!
Die hat der Toni damals aus Thailand mitgebracht, um im Winter seine Schischulhaserln zu beeindrucken.
Jetzt nimmt er sie ab und lässt sie in der Tasche verschwinden. Er weiß, beim Direktor Eibesberger von der Raika kann er damit keinen Eindruck schinden, der hat den Kontostand vom Toni im Computer. Und der ist echt, im Unterschied zur Uhr. Und gleich viel wert. Nämlich nichts.
Die Einheimischen, die den Toni jetzt auf die travertinverkleidete Eingangstür zur Bank sprinten sehen, nicken sich vielsagend zu: O mei, der Schischultoni! Bei dem stimmt’s hint und vorn nicht!
Dabei ist das Blödsinn!
Vorn ist beim Toni noch alles schwer in Ordnung, da würde sich mancher Bad Höfsteiner und vor allem seine Bad Höfsteinerin im gleichen Fall bei Nacht alle zehn Finger danach abschlecken, nur hinten, da, wo das Geldbörsel sitzt, da stimmt die Aussage!
Der Toni prallt an der Ecke im Foyer gegen die stattliche Nabelgegend vom Direktor Eibesberger: „O pardon!“
„’tschuldigung!“
„Ja, der Herr Machart! Jetzt kommst du aber zu spät! Jetzt hab ich einen Termin!“
„Aber wir waren doch für halb zehn verabredet?“
Der Direktor deutet auf die große Wanduhr über der Eingangstür: „Eben! Und jetzt ist es fünf vor zehn!“
Eine thailändische Rolex zeigt in Europa eine falsche Zeit an, ganz klar.
„Es ist aber wichtig!“ Der Toni wimmert.
Das kann sich der Eibesberger denken! Wenn der Toni schon freiwillig in die Höhle des Löwen kommt! Sonst macht er um den Direktor immer einen Bogen wie ein Veganer um einen Schweinsbraten.
„Na schön, fünf Minuten!“
„Ich brauch einen Kredit!“, eröffnet der Toni die Partie, als sie im Büro vom Eibesberger sitzen. Mahagoni natürlich!
Der schaut, pro forma natürlich, in seinen Computer und schüttelt die Hamsterbacken: „Du machst einen Witz! Nicht einen müden Cent kann ich dir mehr geben! Die in der Zentrale schauen eh schon!“
„Ich brauch das Geld aber noch diese Woche!“, plärrt der Toni. „Sonst lässt mir der Federmayer das Haus pfänden!“
„Ah, bei dem stehst du also auch in der Kreide!“
Kreide ist gut! Das Sümmchen, das der Federmayer kriegen soll, hat auf keiner Tafel mehr Platz.
Alles wegen dem Schifahren!
Der Toni war nämlich schon als Bub der Schnellste weit und breit, sobald er einen Zentimeter Schnee unter den Füßen gehabt hat.
Daraufhin Bezirksjugendkader, Landesjugendkader, Landeskader. Dort ist er allen um die Ohren gefahren, auch den jetzigen Stars, die dauernd im Fernsehen erklären, wie „brutal’s heut wieder gwesen ist“ und „dass’s ihnen heute net aufgangen ist!“.
Dann hat es aber plötzlich ein paar Tuscher gemacht! Bänderriss im Knie, Bänderriss im Knöchel, Muskelfaserriss, Schulterluxation und so weiter! Der Verletzungsteufel ist ihm hartnäckig auf dem Buckel gesessen wie ein Jockey beim Rodeo.
„Das kommt davon, weil der Toni sich im Training nicht richtig hineinhaut!“, haben die Trainer gesagt. Und schneller, als er sonst die Pisten hinuntergesaust ist, haben sie ihn aus allen Kadern hinausgeschmissen.
Deswegen ist der Toni dann schilehrern gegangen.Weil zum Schilehrern brauchst du kein Training, höchstens auf der Leber und ein bisschen weiter unten! Vor allem, wenn du hauptsächlich Privatstunden gibst.
Daneben hat er die Einkehrhütte samt Schirmbar bei der Talstation gemietet. So eine Hütte, noch dazu mit Schirmbar, ist eine Goldgrube. Weil saufen tun die meisten Leute noch immer besser wie Schi fahren.
Aber weil der Toni eben auch seine Privatstunden gehabt hat, hat er sich einen Geschäftsführer und Angestellte leisten müssen. Und die haben den Toni, der oben am Berg um seine Schihaserln herumgekurvt ist, jahrelang sauber ums Haxel gehauen!
Dazu war es noch zwei Winter hintereinander so warm, dass auch die teuersten Schneekanonen im unteren Drittel der Piste komplett für die Katz waren, und während sich die Leute oben in der Mittelstation angesoffen haben, ist dem Toni seine Hütte samt Schirmbar im Gatsch versunken.
Unter diesen Umständen natürlich kein Wunder, dass der Toni bald pleitegegangen und die Finanz nachschauen gekommen ist. Seither hat er nicht nur keine Hütte mehr gehabt, sondern zu den ganzen Schulden auch ein Finanzstrafverfahren! Weil der Geschäftsführer und die Angestellten, die Hundlinge, nicht nur auf eigene Rechnung, sondern auch hauptsächlich schwarz gearbeitet haben.
Das muss sich einer vorstellen. Mit einer Hütte samt Schirmbar pleitegehen. Dazu gehört schon mehr als ein paar Brettln an den Füßen, dazu braucht es auch ein paar gewaltige Brettln vorm Kopf!
Daraufhin ist der Toni zum Eibesberger um einen Kredit gegangen, und um den zurückzahlen zu können, hat er eine eigene Schischule gegründet!
Da war aber Feuer am Dach bei den eingesessenen, arrivierten Schischulbesitzern! Weil die Villa auf den Malediven kostet schließlich auch eine Kleinigkeit. Also haben sie sich zusammengetan und dem Toni den Marsch geblasen. Die vereinigten Schischulbesitzer haben sämtliche Preise unterboten, Kunststück, die haben schon längst genügend Geld gehabt, um die Durststrecke auszusitzen, bloß der Toni ist immer durstiger geworden.
Schließlich hat er seine Schilehrer nicht mehr bezahlen können und die Schule dichtmachen müssen.
Die vereinigten Schischulbesitzer haben das in ihren Villen auf den Malediven gefeiert und sich den Sommer über ausgerechnet, um wie viel sie ab der neuen Saison die Preise wieder hinaufschnalzen können, um die Verluste auszugleichen.
Der Eibesberger inzwischen, weil nichts mehr hereingekommen ist, ist immer drängender geworden, verständlich, deshalb ist der Toni zum Federmayer gegangen, um sich Geld für den Eibesberger auszuleihen.
Und für den Federmayer braucht er wieder Geld vom Eibesberger! So beißt sich der Hund in den Schwanz!
Das Perpetuum mobile ist jetzt aber irgendwie endgültig ins Stocken gekommen, weil beim Eibesberger spießt es sich diesmal gewaltig: „Sag mir einmal, wie kann man in deiner Situation sich noch und ausgerechnet beim Federmayer Geld ausleihen?“
„Das halbe Tal hat bei dem Schulden!“
„Weiß ich, aber bei dem Problem kann ich dir jetzt leider nicht helfen! Ich k a n n nicht! Versteh doch! Tut mir wirklich leid!“
„Ja, aber der Federmayer …!“
„Der Federmayer ist tot!“
„Was tot?“ Der Toni fällt aus allen Wolken.
„Ja! Tot! Hast du das nicht gehört? Maustot!“ Der Eibesberger dreht den Computer ab: „Tot wie deine Kreditwürdigkeit!“
Leicht betäubt von der Nachricht steht der Toni im Anschluss wieder draußen auf dem Marktplatz.
Die Eröffnung vom Eibesberger muss er erst einmal verdauen! Nicht die über seine Kreditwürdigkeit! Aber die über das Abkratzen vom Federmayer. Weil, jeden Tag stirbt einem ja nicht der Gläubiger so mir nichts dir nichts weg! Normalerweise sind die zäher wie Leder und härter als Kruppstahl.
Aber Feste soll man feiern, wie sie fallen! Deshalb lässt der Toni seine Rostlaube einstweilen im Halteverbot stehen und geht hinüber ins Café Susi. Weil jeder durchschnittliche Marktplatz bei uns besteht aus einer Bank und einem Café. Und einem Halteverbot! Denkmal oder Brunnen muss nicht sein, kommt aber häufig vor. Der Rest ist meist Hotel, Trachtengeschäft, Juwelier und Apotheke. Damit ist dann auch schon das unmittelbare Bedürfnis des geriatrischen Stammpublikums eines Kurortes hundertprozentig befriedigt.
Im Susi ist nicht viel los. Die Kellnerin Babsi, die aussieht, als hätte sie gerade einen Frisierwettbewerb verloren, steht hinter der Tortenvitrine und blättert mit den pinkfarbenen Nagellackfingern in einer knalligen Klatschillustrierten. Frau im Blatt, oder, was weiß ich, so ähnlich.
Bei einer derartigen Lektüre ist natürlich jeder neue Gast eine Störung. Noch dazu, wenn es sich um jemanden wie den Toni handelt. Mit gerunzelten Augenbrauen lässt die Babsi sein „Hallo, Babsi!“ unbeantwortet und verfolgt mit unfreundlichen Augen, wie er sich hinter einen Fenstertisch klemmt.
Mit der Babsi hat er auch einmal was gehabt, ist schon lange her, aber nicht so lange für die Babsi. Wie der Toni jetzt sein falsches Schilehrergrinsen aufsetzt, verfängt das bei ihr überhaupt nicht!
Das Lokal ist bis auf zwei Schülerinnen im Eck, die mit ihren überschminkten Wimmerln schon längst in der Mathestunde sitzen müssten, stattdessen aber über einen gewissen Patrik kudernd herziehen, leer. Trotzdem lässt die Babsi ihren gewesenen Liebhaber provokativ warten. Zuerst tut sie noch so, als würde sie die zweite Titelgeschichte über Frigidität bei jungen Frauen lesen, obwohl das für sie wirklich kein Thema ist. Das sieht auch ein Blinder mit Krückstock!
Endlich schlendert sie aufreizend langsam herüber und fragt betont desinteressiert: „Was darf’s denn sein?“
„Hallo, Babsi!“,versucht es der Toni zum zweiten Mal: „Wie geht’s?“
„Prima! Oder was hast du geglaubt? Dass ich wegen dir nur mehr in Sack und Asche herumrenne?“
„Schau, Babsi, sei nicht kindisch! Das ist schon eine Zeit her, und ich bin kein Mann zum Heiraten!“ Er greift in Richtung pinkfarbenen Nagellack.
„Was bildst du dir denn ein?“ Ein kunstvoll geschlagener Metallkugelschreiber kann auf den Fingerknöcheln ganz schön wehtun. „Wer will denn so was wie dich schon heiraten?“
„Na, wenn’s nicht darum geht, dann kannst du mir jetzt vielleicht endlich was bringen!“ Der Toni haucht sich auf die Pfoten und wird grantig.
„Also, was willst du? Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit?“, fragt Babsi mit leicht singendem Ton und schaut dabei betont desinteressiert auf den Plafond hinauf.
„Einen doppelten Whisky, wenn’s recht ist!“
„Kannst du dir so was noch leisten?“ Das boshafte Lächeln hat für den Toni etwas derartig Watschenhaftes an sich, dass er die Fingerknöchel ganz vergisst.
„Aber immer! Und zwar einen Glenfiddich!“ Der Single Malt ist das teuerste Gesöff im Susi. Das weiß er von früher, wie er wirklich noch Geld zum Bechern gehabt hat.
„Na, man hört das ganz anders!“, schnippt die Babsi, setzt aber jetzt doch ihren ansehnlichen Hintern in Bewegung.
Der Toni beobachtet stier eine dicke Fliege, die auf der klebrigen Eiskarte im Tischständer herumkrabbelt. Panik überfällt ihn.
Hat der Federmayer das mit der Zwangsversteigerung etwa herumerzählt?
Blödsinn! Der Federmayer war zwar ein Arschloch, aber niemals ein Trottel in Geldangelegenheiten.
Wenn ruchbar wird, dass der keine Diskretion halten kann, dann gute Nacht für seinen Wucherverleih!
Trotzdem! Woher weiß die Gurk’n, dass er derart klamm ist, dass sogar schon ein Whisky zum Luxus wird? Und wie sie ihn aus den Augenwinkeln mustert!
Gut, sein Aufzug … auch nicht gerade das, was man am Millionärsball anzieht.
Aber scheiß auf die Millionäre! Und scheiß auf den Federmayer im Besonderen! Obwohl der wahrscheinlich gar kein Millionär war, sondern Milliardär! Und nur tote Milliardäre sind gute Milliardäre.
Über diese geradezu kommunistischen Überlegungen weg und um es der Babsi zu zeigen, plündert der Toni seine zerrissene Hosentasche bis auf den letzten Cent und säuft noch etliche Doppelte auf nüchternen Magen.
Wenn er aber glaubt, dass einer, der sich gerade noch einen Dampf leisten kann, damit eine verschmähte Liebe beeindrucken kann, dann ist der Toni wirklich kein Mann zum Heiraten.
Die Babsi blickt ihm verächtlich nach, wie er über den Platz unsicher zu seinem Auto hinüberwackelt.
Verflucht! So ein Türschlossloch ist ab zwei Promille widerborstiger als jede sitzengelassene Kellnerin! Aber der Toni lässt nicht locker.
Skischullehrerehre!
Obwohl der Toni kein Latein kann, war das immer sein Motto: gutta cavat lapidem non vi sed saepe cadendo. Genau. Steter Tropfen höhlt den Stein!
Gilt für Holländerinnen und Schwedinnen genau so wie für Türschlösser.
Nur, dass es bei den Holländerinnen und Schwedinnen bisher keine gestört hat, bis er ihn endlich dringehabt hat!
„Probleme, Toni?“
Wie er sich mühsam umdreht, haucht er seine Alkoholfahne ausgerechnet dem Inspektor Larisch aus maximal dreißig Zentimetern Entfernung ins süffisante Grinsen hinein.
IV
Am selben Montag tummeln sich im Haus vom verblichenen Federmayer seit der Früh die Kriminellen.
Hat da wer Haus gesagt?
Ein Haus hast du oder ich.
Vielleicht!
Ein Vorzimmer, in dem ein präparierter Elefantenschädel mit Zweieinhalb-Meter-Stoßzähnen von der Mauer hängen kann und man trotzdem Platz hat, problemlos mit einem Rolls Royce vorbeizufahren, gehört zu keinem Haus!
Für das, was der Federmayer bewohnt, heißt die unterste Kategorie: Palast!
Die schaut aus wie ein Jagdmuseum! Oder ein naturhistorisches Museum! Überall Trophäen! An der Wand und am Boden! Gut, ausgestopfte und verstaubte Marder, Hasen oder Auerhähne findet man zwischen den Geweihen in jedem ordinären Jägerstüberl.
Aber hier ist das Artenschutzabkommen völlig außer Kraft gesetzt: eine Babygiraffe, ein ausgewachsener Orang-Utan, bunte tropische Vögel en masse, ein sibirisches Tigerfell, natürlich vor dem Kamin. Der Federmayer muss im Lauf seines gewaltsam verkürzten Lebens auf alles geschossen haben, was Beine hat und sich im Freien aufhält.
Gartentische vielleicht ausgenommen!
Der Jerry-Cotton-Verschnitt stolpert zwischen Wohnzimmer und Arbeitszimmer über einen kunstvoll präparierten Alligatorschwanz. „Ich weiß jetzt, wer der Mörder ist!“, flucht er.
„Wer?“, fragt der Rote erstaunt.
Der Jerry massiert sich stöhnend die Zehen: „Sicher der Präsident vom WWF!“
„Aber Humor hat er scheinbar gehabt!“ Der Rote deutet auf die Holzvertäfelung hinter dem Schreibtischsessel, aus der der ausgestopfte Hintern eines Eisbären samt Beinen herausragt, so als wär das Tier mit vollem Karacho in die Mauer gedonnert und nach der Hälfte stecken geblieben.
„Vermutlich auf der Flucht erschossen!“, knurrt der Jerry und reibt sich noch immer den Fuß.
Die Wahrheit ist aber, der Federmayer hat damals in den Siebzigerjahren auf so einer schwindlig teuren Arktisexpedition am allerletzten Tag den Eisbären geschossen und die Trophäe im Camp über Nacht im Freien liegen gelassen, weil einen besseren Kühlschrank gibt’s ja nicht. Das muss sich auch ein anderer Eisbär, so ein kannibalisch angehauchter, gedacht haben, denn in der Früh, wie der Federmayer und sein Jagdleiter steif aus dem beheizbaren Alu-Container gekrochen kommen, ist von dem toten Bären nur mehr die hintere Hälfte da.
Jetzt hat der Federmayer keine Zeit mehr gehabt, einen neuen, ganzen Eisbären zu schießen, in einer Stunde ist das Flugzeug zum Abholen gekommen, also hat der Federmayer ausnahmsweise diesmal eine halbe Sache gemacht und den übergebliebenen Bärenarsch mitgenommen. Weil auslachen daheim, dass er von so einem teuren Jagdausflug gar nichts heimbringt, lässt er sich natürlich nicht.
Und drum schaut der Bär jetzt also verkehrt aus der Wand heraus.
Erstaunlicherweise ist die nach außen protzige Villa relativ billig, ja, fast schäbig eingerichtet. Konfektionsware aus dem skandinavischen Möbelhaus, wahrscheinlich war der Federmayer dort auch auf Elchjagd, primitive Kunstdrucke mit Jagdszenen an der Wand, grauslich bunte Fliesen im Bad und Klo, und auch die Flaschenparade im Wohnzimmerschrank entpuppt sich beim genauen Hinschauen als Horrorsammlung von aromatisiertem Industriesprit.
„Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten!“, sagt der Rote süffisant.
„Über den hier sicher nicht!“ Der Jerry schraubt den Zwetschgenschnaps wieder zu, an dem er mit angewidertem Gesicht gerochen hat. „Reine Chemie, eine Zwetschge kennt der nicht einmal vom Hörensagen! Schad’!“
„Komisch, sonst haben diese reichen Typen doch lauter Antiquitäten, in denen sogar die Holzwürmer einen Ahnenpass besitzen!“
„Na, und was ist mit dem da?“, deutet der Jerry auf einen enormen Barockschrank, der sein deplatziertes Dasein im Gang führt. „So was gibt’s normalerweise nur mehr im Kloster!“
Die Türen sind schwer intarsienverziert und knarren entsetzlich.
„Na, wer sagt’s denn? Der Tabernakel des Waidmannes!“
Der frühere Bücherschrank ist jetzt ein Gewehrkasten, der alle Stücke spielt.
„Silberbüchse, Henrystutzen, Bärentöter, alles da!“, bemerkt der Rotgesichtige beeindruckt.
„Was hast du gedacht? Das ist wie bei den Golfern! Die haben doch auch für jeden Furz einen speziellen Schläger!“
„Eisen!“ Der Rote hat offenbar nicht nur einen Blutdruck von 250 zu 150, sondern auch eine pedantische Ader.
Aber der Jerry horcht gar nicht hin. „Was wollen denn Sie da?“, bellt er den Gang hinunter.
„Ich hab gedacht, ich kann vielleicht helfen!“, murmelt der Larisch verlegen und taucht aus dem Dunkeln auf.
„Ja, sind Sie denn seit gestern noch immer im Dienst?“ Das österreichische Beamtentum versteht viel, aber nicht alles.
„Eigentlich hab ich seit einer halben Stunde Schluss! Aber weil bei uns so ein Mord ja nicht alltäglich ist und ich mich doch später einmal bei der Kripo bewerben möchte, hab ich mir gesagt, schau zu, dann lernst du was!“
„Vorzugsschüler, was?“ Der misstrauische Blick des Roten macht den Larisch noch unsicherer.
„Okay!“, sagt der Jerry, ganz wie seine New Yorker Vorlage. „Sie können uns wirklich helfen! Nämlich, ist der Federmayer verheiratet?“
„War!“, verbessert der Rote, wie gesagt, ein Pedant.
Hausaufgabe nicht genügend, setzen!, denkt der Larisch sich erleichtert, aber auch enttäuscht, denn das hätten sie schon längst aus den Personalien des Toten herausfinden müssen. Die kochen auch nur mit Wasser, die sogenannten Kapazunder oder, wie sie der Distl respektlos bezeichnen würde, die Kapuziner!!
Laut aber sagt er: „Der Federmayer war verheiratet, dass heißt, er ist es noch, weil Scheidung gab’s keine. Seine Frau hat sich aber schon vor sechs Jahren von ihrem Mann getrennt und lebt jetzt in Kimml, im obersten Pinzgau. Ursula heißt sie!“
„Ist sie das?“ Das Foto im beigen Holzrahmen auf dem Aktenschrank ziemlich weit hinten hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Amateurhafte Aufnahme, Farben blass und gelbstichig. Die Frau selbst auch keine Sexbombe, zwar Dauerwellen, dunkelblond, aber das mollige Gesicht schon sehr hausbacken.
Das Sommerkleid und der unscharfe Hintergrund mit Meer lassen auf Italien tippen. Oder Kroatien!
Der Larisch zuckt die Schultern: „Keine Ahnung! Hab sie nie zu Gesicht gekriegt. Bin erst seit drei Jahren hier in Bad Höfstein!“
„Und? Freundin? Bekannte?“ Der Jerry klingt ungeduldig.
„Der Federmayer hat eigentlich keine Frauenbekanntschaften gehabt. Alle haben sich darüber gewundert! Bei dem seinen Geld!“
„Schwul?“
„Treibjagden heißen Treibjagden, weil es da alle Jäger treiben!“ Der Zynismus vom Roten könnte auch vom Distl stammen.
„Ist nicht bekannt.“
„Also Agent null null Sex! Schön, dann schau’n wir einmal in den Keller, vielleicht entdecken wir da noch ein paar andere Hobbys!“
Im Keller finden sie nur einen Schießstand, aber einen, wie ihn sich unser Bundesheer zu Weihnachten wünscht. Wegen dem nötigen Zielwasser gibt es dort unten auch eine kleine Ecksitzbank neben einer Hausbar.
„Ah, da schau her! Da hat er die guten Sachen! Der Fusel da oben ist offenbar nur für die Laufkundschaft!“
Der Jerry schnuppert sehnsüchtig an einem zwanzig Jahre alten Martell. Der Rote grinst, weil er weiß, dass sein Kollege, dem der Polizeiarzt schon vor zwei Jahren einmal eine Therapie verordnet hatte, zu gern einen zur Brust genommen hätte, sich aber vor dem Larisch nicht traut.
„Ein Aberlour Single Malt, 30 Jahre!“, liest er dem Jerry genüsslich vor.
„Irgendjemandem dürfte er trotzdem nicht geschmeckt haben!“ Kopfschüttelnd zeigt dieser auf einen dunklen feuchten Fleck in Kopfhöhe an der Kellerwand über der Hausbank! Überall liegen Glassplitter verstreut, und der Verputz hat eine tiefe Kerbe vom Einschlag!
„Schaut nach Wutausbruch aus! Ein Streit vermutlich!“ Er begutachtet das zweite leere Kristallglas, das noch auf dem Tisch steht! Die Whiskyreste drinnen sind noch etwas klebrig.
„Dürfte noch keine achtundvierzig Stunden her sein?“, mutmaßt der Jerry. „Und kein Lippenstift! Also ein Mann!“
„Gibt’s nicht auch Frauen, die keinen Lippenstift verwenden?“ Der Larisch ist von seiner eigenen Kühnheit überrascht.
„Meine!“, sagt der Rote resigniert. „Die schminkt sich überhaupt nicht! Wozu auch? Nützt sowieso nichts!“
„Ab ins Labor damit!“, befiehlt der Jerry. Während der Rote vorsichtig Glas und Glasreste in einer Folie verstaut, macht sich der Jerry beim Larisch wichtig: „Fingerabdrücke und DNA-Spuren!“, erklärt er, als ob es keine Fernsehkrimis gäbe. „Obwohl ich fürchte, das bringt uns auch keinen Tatverdächtigen!“
„Ich hätt schon einen!“ Der Larisch platzt es geradezu heraus.
Der Jerry und der Rote schauen ihn mit einem Gesichtsausdruck an, als hätte Dr. Watson soeben Sherlock Holmes widersprochen. Oder noch ärger: Inspektor Lestrade!
„So, so! Sie haben also einen?“
„Der Schischultoni!“
„Und wer soll das bitte schön sein?“
„Anton Machart“, verbessert der Larisch, „im Ort nennen ihn alle Schischultoni, weil er einmal eine Schischule gehabt hat, bevor ihn die Großkopferten ruiniert haben. Haust jetzt oben auf dem alten Hof, den er von seinen Eltern geerbt hat, und ist so klamm wie eine nasse Unterhose im Winter! Der Federmayer wollte ihm diese Woche die Hypothek aufkündigen und die Zwangsversteigerung vom Machart-Anwesen beantragen! Das hätte dann bedeutet: Obdachlosigkeit!“
„Woher wissen Sie das?“
„Der Toni hat mir selbst seine Notlage gestanden, wie ich ihm heute kurz vor Dienstschluss acht Anzeigen hinaufgebrummt hab und er keinen Tupf Geld in der Tasche gefunden hat!“, sagt der Larisch stolz wie der Klassenprimus, der Fleißaufgaben präsentiert.
„Acht Anzeigen auf einmal?“, fragt der Jerry mit einem Hauch von ungläubiger Abscheu.
Der Rote starrt Larisch an wie ein ekliges Insekt.
„Halteverbot, dreckige Nummerntafel, abgefahrene Reifen, kaputtes Rücklicht links hinten, Prüfplakette abgelaufen, keine Verbandskassette, Alkoholisierung, Zulassungsschein nicht dabei!“, leiert der Larisch die Liste der Verfehlungen wie ein Muttertagsgedicht herunter. Dann schöpft er Atem und blickt triumphierend die fassungslosen Kriminalisten an.
„Alle Achtung!“, räuspert sich der Rote nach einer Weile. „Sie sind aber tüchtig!“ Sein Tonfall verrät, dass er diese Art von Tüchtigkeit für nicht unbedingt erstrebenswert hält.
Der Larisch merkt nichts. „Man will schließlich in seinem Beruf weiterkommen!“, grinst er selbstgefällig.
„Ja, ja“, brummt der Jerry, „das wollten die seinerzeit auch!“
„Wer?“ Der Larisch glotzt ihn verständnislos an.
„Die bei der Gestapo natürlich! Beruflich weiterkommen!“ Jetzt braucht der Jerry doch einen Schluck vom Single Malt. Larisch hin oder her!
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Hans Christ
- Neuausgabe, 200 Seiten, Maße: 12,6 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Federfrei Verlag
- ISBN-10: 3902784644
- ISBN-13: 9783902784643
- Erscheinungsdatum: 18.09.2015
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