Mord unterm Hirschgeweih
Inspektor Ibeles wildester Fall
DIESMAL WIRD ES WILD: INSPEKTOR IBELE ERMITTELT IM MONTAFON. Schwarzer Tag im Silberberger WaldEs geht heiß her in Isidor Ibeles Revier: Im Silberberger Wald liegt eine Leiche - der alte Vonderleu, Bauer, Jäger und Sammler. Erlegt: durch einen Blattschuss....
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Produktinformationen zu „Mord unterm Hirschgeweih “
Klappentext zu „Mord unterm Hirschgeweih “
DIESMAL WIRD ES WILD: INSPEKTOR IBELE ERMITTELT IM MONTAFON. Schwarzer Tag im Silberberger WaldEs geht heiß her in Isidor Ibeles Revier: Im Silberberger Wald liegt eine Leiche - der alte Vonderleu, Bauer, Jäger und Sammler. Erlegt: durch einen Blattschuss. In seiner Hosentasche: 25.000 Euro. Währenddessen macht eine Tuberkuloseepidemie im Brunnenthal den Jägern dort zu schaffen - die Abschusspläne für das Rotwild, das die Krankheit verbreitet, erfordern brachiales Vorgehen. Außerdem gibt es da noch eine leidige Affäre um ein umstrittenes Kriegerdenkmal, das vielen ein Dorn im Auge ist und die Gemüter erhitzt. Mit Isidor Ibele und Peter Natter nach Vorarlberg Die Bewohner des idyllischen Tals stehen Ibele nur ungern Rede und Antwort. Dennoch tut der bodenständige Inspektor unbeirrt sein Bestes, sich zwischen frischen Gräbern hindurch der Wahrheit entgegenzutasten. Zu allem Übel muss er sich auch noch an einen neuen Chef gewöhnen. Für Nudelsuppe und Tafelspitz bei seinem Rösle und einen erlesenen Schluck Wein bleibt ihm zum Glück immer noch genügend Zeit. Als jedoch im Dorfgasthof ein brutal-scharfes Attentat auf ihn verübt wird und ein fatales Pilzgericht Menschenleben in Gefahr bringt, droht sogar dem Bregenzer Gourmet der Appetit zu vergehen ... ********************************************************************************Peter Natter ist ein Meister der authentischen Darstellung von Ländle und Leuten und überzeugt mit sympathischen Figuren, trockenem Humor, großer sprachlicher Kunstfertigkeit und Krimi-Spannung pur. - ein neuer Fall für den beliebten Vorarlberger Ermittler Isidor Ibele- Spannung, authentische Beschreibungen, viel Humor und noch mehr Lokalkolorit aus dem Bregenzerwald*********************************************************************************"Mit Inspektor Isidor Ibele begibt man sich gerne ins Ländle, Peter Natter beschreibt es in seiner ganzen Pracht!""Natters Sprache ist ein außergewöhnliches Vergnügen, das seinesgleichen sucht!"
Lese-Probe zu „Mord unterm Hirschgeweih “
Peter Natter - Mord unterm HirschgeweihDie Nacht ist klar und frostig und still. Eine leuchtende
Mondsichel wandert über das Firmament. Nur der
Wald ist tiefschwarz, der Wald, der sich über die steilen
Hänge dem Grat zu ausbreitet, hinter dem er ins
Radonatal abfällt. Im Süden zeichnet sich jeder einzelne
der schneebedeckten Berggipfel wie Porzellan
schimmernd vor dem Horizont ab. Eine schöne Nacht,
wie gemacht für romantische Waldgänge. Weit drunten
im Tal funkelt ein schmales Band von Lichtern
entlang der Hauptstraße und der Bahnlinie. Im Dorf
ist es fast vollständig dunkel, nur ein paar Straßenlaternen
sind auszumachen. Ohne Rücksicht auf knackende
Äste und raschelndes Laub, scheinbar ohne jede
Angst vor möglichen Begegnungen, steigt ein Wanderer
von kräftiger Gestalt vom Grat abwärts. Noch
sieht er nicht, wer ihm von unten entgegenkommt. Er
braucht es auch nicht zu sehen – er weiß es. So bewegen
sich zu dieser nächtlichen Stunde, in der sich
die Geister bereits wieder zurückgezogen haben, der
neue Morgen aber noch fern ist, zwei Männer aus unterschiedlichen
Richtungen auf ein vereinbartes Ziel
zu. In zwei Stunden, um drei Uhr morgens, wollen sie
vor einem zerfallenen Stadel auf einer größeren Lichtung
mitten im Muttwald aufeinandertreffen. Schon
am helllichten Tag möchte man dort lieber niemandem
über den Weg laufen, den man nicht kennt.
Von unten, aus St. Bartholomäi, steigt der Zweite
etwas kurzatmig auf. Wenn er auch nicht gerade das
Geschäft seines Lebens wittert, eine gewisse verhängnisvolle
Lüsternheit beseelt ihn dennoch. Die von lange
unterdrücktem Zorn und tiefer Zerrissenheit kündenden
Gesichtszüge verzerrt die Anstrengung zusätzlich.
Ab und zu bleibt er stehen und wischt sich mit dem
Ärmel der dicken
... mehr
Jacke den Schweiß von der Stirn.
Eine bösartige Rachsucht drückt sich in derben, leise
vor sich hingemurmelten Flüchen aus.
Der von oben Kommende, ein noch nicht Sechzigjähriger,
erreicht die Hütte zuerst, eine knappe
Stunde vor der vereinbarten Zeit. Er verstaut seinen
Rucksack im Heu, nicht ohne ihm vorher ein schweres
Jagdgewehr mit starkem Zielfernrohr zu entnehmen,
das er sorgfältig zusammenbaut und lädt. Zuletzt
schraubt er einen mächtigen Kolben an den Lauf, einen
Schalldämpfer, der das Wild in Sicherheit wiegen soll.
Im Schatten der Hütte sucht er sich einen Platz, von
dem aus er den andern gut sehen kann, sobald der den
Schutz des Waldes verlässt. Ein Stück weiter rechts
stürzt der Rellsbach als tosender Wasserfall talwärts,
den die schmelzenden Schneefelder in den Bergen mit
eisigem Wasser speisen. Über Dutzende Meter stürzt
die Flut senkrecht in die Tiefe, bevor sie sich in einem
Kessel sammelt und von dort ihren Weg ins Tal nimmt.
Das mächtige Rauschen schluckt jedes Geräusch, selbst
ein Schuss wird darin mühelos untergehen. Er soll
nur kommen und vorerst seinen Willen haben, der
Blödmann. Soll er ruhig glauben, man gebe klein bei,
man ziehe den Schwanz ein. Soll er sein Geld haben
vorerst, seinen Judaslohn: Glück wird ihm der keines
bringen. Es ist nicht die erste Schlinge, aus der der
Wartende seinen Hals zu ziehen vorhat, abgerechnet
wird bekanntlich am St. Kathrinentag, und der kommt
womöglich früher, als so ein Schlaumeier glaubt.
Selbst wenn er eine Ahnung davon hätte, sich seit Minuten
im Visier einer großkalibrigen Waffe zu bewegen,
könnte das Vonderleus Unverwundbarkeitsfantasien,
seiner wilden Entschlossenheit nichts anhaben. Als
hätte er ganz ohne störendes Lindenblatt in Drachenblut
gebadet, tritt er auf die Muttwald-Lichtung und
geht nach einem ausgiebigen Rundumblick auf den alten
Stadel zu, in dessen Schatten er einen Gewehrlauf blitzen
sehen könnte, wenn nicht seine verdammte Überheblichkeit
wäre. Nur der Griff seiner Faust schließt sich
fester um sein altes, kampferprobtes Taschenmesser.
Im Wasserfall bricht sich das Mondlicht. Sein Tosen
übertönt die weiter halblaut gemurmelten Schimpftiraden
des Bauern. Das Wasser skandiert einen ewig gleichen
Rhythmus, der gleichwohl anzuschwellen scheint
wie Bocksgesang. Jedes andere Geräusch schluckt der
feuchte Wiesenboden. Als Vonderleu um die Ecke des
hinfälligen Gebäudes späht, stehen sich die beiden zu
allem entschlossenen Männer mit versteinerten Mienen
Aug’ in Auge gegenüber. Das heißt, Vonderleu blickt
in einen Gewehrlauf, der sich ihm beinah in die Stirn
rammt. Das war nicht abgemacht, du Lumpenhund!
„Lass doch den Blödsinn, du Depp, und gib den Zaster
her!“, gibt sich Vonderleu kaltblütig und schiebt
den Gewehrlauf zur Seite.
„Eigentlich sollte ich dich einfach abknallen, du
Hundling, statt dir Geld zu geben“, kontert der andere.
„Erstens ist es eh nicht deines und zweitens weißt
du genau, dass du ohne mich nie an deinen Maharadschaschatzersatz
kommst.“ Es ist eine heikle Gratwanderung,
die Vonderleu in Angriff nimmt, denn sein Gegenüber
ist schwer zu taxieren. Dass der Kerl schon
lange nichts mehr zu verlieren hat, macht die Sache
nicht einfacher. Als er sich anschickt, in seinem Rucksack
herumzukramen, schließt sich Vonderleus Faust
noch fester um den Griff des Messers. Doch der finstere
Geselle befördert ein fest verschnürtes Bündel
Banknoten zutage.
„An was soll ich nicht kommen? Was redest denn
für einen Quatsch daher! Lass mich nur in Frieden
mit dem Maharadscha-Zeug. Der Besenböck liegt mir
schon genug in den Ohren damit. Weil’s der nötig hat.
Ihr könnt mir bald alle den Buckel runterrutschen!
Nimm das Geld und hau ab!“
„Wie viel ist es?“
„Wie viel soll es sein? 25.000, wie abgemacht. Du
kannst von Glück reden, wenn ich es mir nicht noch
schnell anders überlege! Ich weiß nämlich nicht,
warum du dir das nicht selbst geholt hast.“
„Natürlich weißt du es: Weil der Besenböck so
schon misstrauisch genug ist und mir der Schweizer
Almöhi, der Andermatt, immer mehr auf die Pelle rückt.
Ich brauche dem seine Rindviecher, sonst ist der Sommer
gelaufen. So, und jetzt gib endlich Ruhe! Wir reden
nächste Woche weiter, ruf mich an!“
Nichts als einen langen Blick erntet Vonderleu für
seine Erklärung; einen Blick, der zwischen hündischer
Unterwürfigkeit und viehischer Grausamkeit wechselt.
Wie ein feuriger Stab bohrt er sich in Vonderleus
Hirn und geht ihm beim Abstieg ins Tal nicht mehr
aus dem Sinn.
Der andere bleibt unbeweglich sitzen. Erst als die
Nacht langsam zu Ende geht, macht er sich auf den
Weg. Er führt ihn ebenfalls abwärts, dem Dorf zu.
Der bitterkalte Morgen verspricht einen weiteren
strahlend schönen Vorfrühlingstag. Mehr und mehr
geht die Farbe des Himmels im Osten von dunklem
Blau in ein strahlendes Violett über. Adolf Gottlieb
Vonderleus Armbanduhr zeigt halb sechs. Der Mann,
der sich nach einer schlaflosen Nacht noch um einiges
älter fühlt, als ihm lieb ist, liegt unter einer mächtigen
Tanne am Waldrand und starrt in Richtung St. Bartholomäi.
Weit unten, im Tal der Ill, rattert der erste
Frühzug der Regionalbahn mit Pendlern und Schülern
der Bezirkshauptstadt zu. Das grässliche Quietschen ist
trotz der riesigen Entfernung zu hören. Niemand soll
sich wundern, wenn einer die Nerven wegschmeißt,
der neben den Gleisen wohnt und über Jahre hinweg
von diesem Lärm frühmorgens aus dem Schlaf gerissen
wird. Irgendwann schreibt er dann der Bahn ein böses
E-Mail, richtet wüste Drohungen an die Behörden,
stellt sein Auto quer über die Schienen und wird dafür
vor dem Landesgericht zur Rechenschaft gezogen. So
ungerecht ist die Welt! In den paar Häusern um die
Kirche rührt sich nur, was sich um diese Stunde unbedingt
rühren muss. In den Küchen der Bauernhöfe,
in den Ställen und im Pfarrhof brennt Licht, einzelne
Autos fahren talwärts.
Seit einer Stunde gestattet sich Vonderleu keine
Bewegung. Weil das gibt es eigentlich nicht, dass der
Appenzeller Schlawiner nicht auftaucht! Aber warten
kann er, der Vonderleu. Schließlich wird ihm die
Zeit doch zu lang, er holt ein Stück fetten Speck aus
dem neben ihm liegenden Rucksack, säbelt mit dem
Sackmesser dicke Scheiben herunter und kaut bedächtig
darauf herum, saugt das würzige Fleisch mit
den breiten Fetträndern aus wie alten Kautabak. Zum
x-ten Mal fährt seine Rechte in die tiefe Hosentasche
der Knickerbocker und befingert ein dickes Bündel
Geldscheine. Alles da. Gut, dass der Inder so brav gezahlt
hat. Wenn es mit dem anderen auch so glatt läuft,
könnte Vonderleus Plan spätestens im Sommer, zum
Alpauftrieb, aufgehen. Er soll endlich kommen, der
Wichtigtuer! Noch einer, dem er endgültig den Meister
zeigen wird. So wie dem lächerlichen Radonataler,
dem Affenschädel, der vorhin geglaubt hat, mit ihm
Katz und Maus spielen zu müssen. Vor einem Gewehr
hat er sich sein Lebtag noch nicht gefürchtet! Jetzt gilt
es, den Appenzeller in die Knie zu zwingen, dann ist
der Alpsommer unter Dach und Fach. Ein Vonderleu
lässt sich von ein paar schwindsüchtigen Hirschen
und Rindviechern nicht das Geschäft verderben, von
wildgewordenen Jägern, Tierschützern oder gar Vegetariern
noch weniger. Der Emmentalerfresser und
Stumpenraucher wird seine Franken noch früh genug
kriegen, Gottverstutz!
Aufgepasst: Dort droben, knapp hinter den beiden
Jagdhütten, bewegt sich etwas. Das muss er sein.
Warum zum Teufel kommt der Idiot von der Hütte
her? Seine Trittspuren auf den letzten Schneeresten
werden alles verraten. Geh weiter!, will Vonderleu ihm
zurufen, als sich die längste Zeit nichts mehr tut. Traut
er sich nicht, der feige Hund? Am liebsten wäre dem
Appenzeller nämlich gewesen, man hätte ihm das Geld
auf sein Schweizer Konto überwiesen. Ja sicher, am besten
übers Netbanking mit IBAN und BIC und all dem
neumodischen Quatsch. Da hat Vonderleu ihn schön
ausgelacht! Ausgerechnet übers Internet wird er seine
Geschäfte erledigen, damit die halbe Welt erfährt, wie
der größte Alpbesitzer im Brunnenthal sich sein Vieh
sichert und sein Scherflein ins Trockene bringt, während
rundum alle absaufen! Ganz so bescheuert, wie
alle Welt glaubt, seit sein Stall leer ist, ist er bei Weitem
nicht. Diese Prämie muss sich der Herr Aktionär und
Großbauer schon persönlich abholen, und sich dabei
einiges anzuhören, wird ihm auch nicht erspart bleiben.
Die halbe Nacht hindurch hat sich Vonderleu die
Sätze zurechtgelegt. Jeder Winkeladvokat könnte stolz
sein auf den hochgradig verklausulierten Vertrag, den
er aufgesetzt hat in seinem alten Sturkopf, seit er sich
mitten in der Nacht aus dem Bett geschlichen hat, in
dem seine Frau Walpurga Philomena wahrscheinlich
noch immer den Schlaf der Gerechten schläft. Adolf
Gottlieb ist der Letzte, der ihn ihr nicht gönnt. Sie hat
ihn verdient. Sie hätte sich überhaupt etwas Besseres
verdient als diesen Mann, das spürt er immerhin.
Doch es ist gekommen, wie es kommen musste. Hat ihn
denn jemand gefragt? Und jetzt ist es sowieso zu spät.
Die alten Geschichten sind passé, Schnee von gestern.
Es schaut auch aus, als ob man sich abgefunden hätte
damit. Die meisten wenigstens. Die anderen, ein paar
unbelehrbare Hanswurste ... Adolf Gottlieb wird ihnen
zeigen, wo Bartle den Most holt.
Oder hat Walpurga wieder einmal die Schlafende
gespielt, wie so oft, wenn er spät nach Hause kommt, sie
schlafend glaubt und am nächsten Morgen haargenau
erfährt, wie spät es war und was er alles umgeworfen
hat auf seinem unsicheren Gang ins Schlafzimmer?
Der leere Stall war es, der ihm den Weg gezeigt hat.
Da haben sich all die Siebengscheiten endgültig selbst ins
Knie geschossen. Wegen einer einzigen TBC-kranken Kuh
haben sie ihm den ganzen Stall ausgeräumt. Ausgerechnet
ihm, Adolf Gottlieb Vonderleu, 65 Jahre, im besten Alter
für einen von seiner Statur und Veranlagung. Bauer, Alpbesitzer
und Jäger. Seine schönen Kühe abtransportiert.
Gekeult: Wenn er das Wort schon hört, steigt sein Puls
ins Ungesunde. Der Stall bleibt verwaist, vorläufig. Nie
ist er in den paar Wochen seither den Verdacht losgeworden,
es habe dem einen oder andern Spaß gemacht, sein
Vieh abtransportiert zu sehen. Lange wird er sich nicht
hinhalten lassen von den Herren der Landwirtschaftskammer,
auch von der Versicherung nicht. Vonderleu ist
keiner, den diese Witzfiguren mit hohlen Phrasen abspeisen
können. Wenn er an das dämliche Grinsen von diesem
Breuss denkt, als die Lastwagen durchs Dorf gefahren
sind! Der halb vertrottelte Straßenwärter, der hat es
nötig, der Knallkopf. Kann der überhaupt bis drei zählen?
Wie ein Maulwurf ist er ihm immer vorgekommen. Auch
einer, der sich glücklich schätzen könnte, dass die Dinge
sind, wie sie sind, und der stattdessen durch die Gegend
hatscht wie das personifizierte Unglück. Vonderleu weiß
gar nicht mehr, wie viele Messen er den alten Pfarrer
Rüscher schon hat lesen lassen, als Dank für gutes Wetter,
unfallfreie Alpsommer, zur Abwehr von Hagel und
Trockenheit oder ähnlichem Stuss, den auf der ganzen
Welt niemand glaubt. In Wirklichkeit geschah es erstens,
um den Geistlichen für sich zu gewinnen, sitzt doch die
Kirche in der Gegend auf den schönsten Alpflächen und
Weiden, zweitens, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen,
das ihn noch manchmal plagt wegen der zugegeben
etwas delikaten Brautabwerbung damals. Gut, dass dieses
Motiv nur die Walpurga kennt, außer demjenigen natürlich,
dem er das Rösslein ausgespannt hat, diese prachtvolle
Stute, noch dazu aus bestem Stall!
Stille rundum. Vom Dorf herauf läutet es den Tag
ein, sechs Uhr. War das ein Tier vorher, eines der dem
Abschuss geweihten Rehe oder ein schon jetzt aus der
Winterruhe erwachter Dachs? Kein Wunder bei dem
Winter, der bis weit hinauf so schneearm, wie selten
einer war, und bei dem Frühling, der um Wochen zu
früh ins Land gezogen ist. Die Kirchenglocken läuten
zur Schülermesse, es ist sieben Uhr. Großer Andrang
seitens der Jugend herrscht nicht, nur die übliche
Handvoll alter Weiblein humpelt daher. Vonderleu
wartet.
Ja, natürlich, der leere Stall wurmt ihn gewaltig.
Nicht so sehr der Kühe wegen. Er wird neue kaufen,
bessere, wird die Milchleistung hochjagen mit Kraftfutter,
holländischem, der Andermatt besorgt es günstig.
Rentabel ist es trotzdem nicht, aber zum einen gibt es
nicht umsonst die Bergbauernzuschüsse aus Brüssel,
zum anderen geht es eh nur darum, die Statistik zu dominieren,
den Dörflern die Prämien wegzuschnappen,
denn ihre kaum verhohlene Schadenfreude zwickt ihn
gewaltig. Dafür hat er sie nicht all die Jahre großzügig
teilhaben lassen an seinem Hab und Gut, an seinen Beziehungen,
seiner Gutmütigkeit. Sie sollen nur aufpassen.
Ein Vonderleu weiß genau, wer seine Weideflächen
falsch vermessen hat, um sich schöne Eurosummen an
EU-Subventionen zu erschwindeln. So dumm, dass er
sich nicht noch dümmer stellen kann als die Vollkoffer
im Dorf, ist er nicht. Auch dem Landesrat wird es nichts
nützen, hierzulande das Milchmädchen und in Wien
drunten den wilden Mann zu spielen oder umgekehrt,
wie man’s grad braucht, sollte er die kommende Landtagswahl
überleben. Vonderleu hat, besser als ihm und
manch anderen lieb ist, im Kopf, wer welche Förderungen
kassiert hat. Wozu sitzt er denn seit Jahrzehnten
im Gemeindevorstand? Etwa weil er sich engagieren
möchte für die nette Dorfgemeinschaft? Sicher nicht.
Dafür gibt’s die Weiber und ein paar Memmen wie den
Haberer von der Tochter, den roten Toni, oder den
deutschen Geldsack vom Heilandskogel droben. Der
eigene Bub, der Norbert, wenn er auch sonst nicht viel
taugt, wird ihm jetzt einmal von großem Nutzen sein.
Dafür hat er neben seinen Frauengeschichten genug
Zeit, und es ist doch praktisch, wenn man immer wieder
Konkurrenten aus dem Weg räumen kann, indem man
ihre halbkriminellen Praktiken an der richtigen Stelle
anzeigt oder sie im Geheimen bluten lässt. Wie zur
Bestätigung knistert leise das Geldbündel in Vonderleus
Hosensack. Dass der Norbert mit dem Großvater
unter einer Decke steckt, muss man in Kauf nehmen.
So richtig ernst nimmt den Alten eh niemand mehr, seit
sein wirres Sinnen und Trachten immer mehr in die
Zeit zurückfällt, als auch hier im Tal die braunen Banditen
in den Gemeindestuben und die roten Fahnen an
den geschindelten Fassaden den Ton angegeben haben.
Gleich Viertel nach sieben. Schön langsam wird Vonderleu
ungeduldig. Fünf Uhr war ausgemacht. Austreten
sollte er auch einmal. Ein paar Schritte gehen
wäre nicht schlecht. Hier oben rührt sich weit und
breit nichts, drunten im Dorf geht der Betrieb langsam
los. Die Pendler machen sich auf den Weg in den
Walgau, die Schüler sammeln sich an den Bushaltestellen.
Auch den Enkel, Norberts Sohn, kann Vonderleu
mit dem Fernglas erkennen. Von dem erwartet er sich
gar nichts, was sein Werk fortsetzen könnte. Schon, als
er seinen Namen zum ersten Mal gehört hat, wurde
Adolf Gottlieb Vonderleu klar, dass die Sache gelaufen
war: Kevin Sven Goetz. Daraus wird nie im Leben
ein Landwirt, ein Älpler, ein Jäger. Wenn der Schnösel
mit dem Gymnasium fertig ist, nächstes Jahr vielleicht,
wird er an der FH Multimedia-Design studieren oder
auf die Angewandte gehen, hat er verkündet. Vergiss es!
Vonderleu lässt das Fernglas sinken und konzentriert
sich aufs Pinkeln. Auch das war schon einfacher. Dafür
rascheln bei jeder Bewegung die Fünfhunderternoten.
Musik in seinen Ohren! Etwas starr von der Kälte, die
langsam, aber sicher durch das dicke Lodenzeug dringt,
schickt sich Vonderleu gleich darauf wieder an, eine
halbwegs bequeme Position auf seinem Lager einzunehmen.
Da hört er einen lauten Knall, einen Gewehrschuss.
Ganz nah muss das sein, zuckt es durch sein Hirn.
Gleichzeitig brennt es zwischen den Schulterblättern
wie Feuer. Der Bauer sackt vornüber, röchelt, greift sich
ans Herz, verdreht die Augen – und ist von nun an tot.
© Haymon Verlag
Eine bösartige Rachsucht drückt sich in derben, leise
vor sich hingemurmelten Flüchen aus.
Der von oben Kommende, ein noch nicht Sechzigjähriger,
erreicht die Hütte zuerst, eine knappe
Stunde vor der vereinbarten Zeit. Er verstaut seinen
Rucksack im Heu, nicht ohne ihm vorher ein schweres
Jagdgewehr mit starkem Zielfernrohr zu entnehmen,
das er sorgfältig zusammenbaut und lädt. Zuletzt
schraubt er einen mächtigen Kolben an den Lauf, einen
Schalldämpfer, der das Wild in Sicherheit wiegen soll.
Im Schatten der Hütte sucht er sich einen Platz, von
dem aus er den andern gut sehen kann, sobald der den
Schutz des Waldes verlässt. Ein Stück weiter rechts
stürzt der Rellsbach als tosender Wasserfall talwärts,
den die schmelzenden Schneefelder in den Bergen mit
eisigem Wasser speisen. Über Dutzende Meter stürzt
die Flut senkrecht in die Tiefe, bevor sie sich in einem
Kessel sammelt und von dort ihren Weg ins Tal nimmt.
Das mächtige Rauschen schluckt jedes Geräusch, selbst
ein Schuss wird darin mühelos untergehen. Er soll
nur kommen und vorerst seinen Willen haben, der
Blödmann. Soll er ruhig glauben, man gebe klein bei,
man ziehe den Schwanz ein. Soll er sein Geld haben
vorerst, seinen Judaslohn: Glück wird ihm der keines
bringen. Es ist nicht die erste Schlinge, aus der der
Wartende seinen Hals zu ziehen vorhat, abgerechnet
wird bekanntlich am St. Kathrinentag, und der kommt
womöglich früher, als so ein Schlaumeier glaubt.
Selbst wenn er eine Ahnung davon hätte, sich seit Minuten
im Visier einer großkalibrigen Waffe zu bewegen,
könnte das Vonderleus Unverwundbarkeitsfantasien,
seiner wilden Entschlossenheit nichts anhaben. Als
hätte er ganz ohne störendes Lindenblatt in Drachenblut
gebadet, tritt er auf die Muttwald-Lichtung und
geht nach einem ausgiebigen Rundumblick auf den alten
Stadel zu, in dessen Schatten er einen Gewehrlauf blitzen
sehen könnte, wenn nicht seine verdammte Überheblichkeit
wäre. Nur der Griff seiner Faust schließt sich
fester um sein altes, kampferprobtes Taschenmesser.
Im Wasserfall bricht sich das Mondlicht. Sein Tosen
übertönt die weiter halblaut gemurmelten Schimpftiraden
des Bauern. Das Wasser skandiert einen ewig gleichen
Rhythmus, der gleichwohl anzuschwellen scheint
wie Bocksgesang. Jedes andere Geräusch schluckt der
feuchte Wiesenboden. Als Vonderleu um die Ecke des
hinfälligen Gebäudes späht, stehen sich die beiden zu
allem entschlossenen Männer mit versteinerten Mienen
Aug’ in Auge gegenüber. Das heißt, Vonderleu blickt
in einen Gewehrlauf, der sich ihm beinah in die Stirn
rammt. Das war nicht abgemacht, du Lumpenhund!
„Lass doch den Blödsinn, du Depp, und gib den Zaster
her!“, gibt sich Vonderleu kaltblütig und schiebt
den Gewehrlauf zur Seite.
„Eigentlich sollte ich dich einfach abknallen, du
Hundling, statt dir Geld zu geben“, kontert der andere.
„Erstens ist es eh nicht deines und zweitens weißt
du genau, dass du ohne mich nie an deinen Maharadschaschatzersatz
kommst.“ Es ist eine heikle Gratwanderung,
die Vonderleu in Angriff nimmt, denn sein Gegenüber
ist schwer zu taxieren. Dass der Kerl schon
lange nichts mehr zu verlieren hat, macht die Sache
nicht einfacher. Als er sich anschickt, in seinem Rucksack
herumzukramen, schließt sich Vonderleus Faust
noch fester um den Griff des Messers. Doch der finstere
Geselle befördert ein fest verschnürtes Bündel
Banknoten zutage.
„An was soll ich nicht kommen? Was redest denn
für einen Quatsch daher! Lass mich nur in Frieden
mit dem Maharadscha-Zeug. Der Besenböck liegt mir
schon genug in den Ohren damit. Weil’s der nötig hat.
Ihr könnt mir bald alle den Buckel runterrutschen!
Nimm das Geld und hau ab!“
„Wie viel ist es?“
„Wie viel soll es sein? 25.000, wie abgemacht. Du
kannst von Glück reden, wenn ich es mir nicht noch
schnell anders überlege! Ich weiß nämlich nicht,
warum du dir das nicht selbst geholt hast.“
„Natürlich weißt du es: Weil der Besenböck so
schon misstrauisch genug ist und mir der Schweizer
Almöhi, der Andermatt, immer mehr auf die Pelle rückt.
Ich brauche dem seine Rindviecher, sonst ist der Sommer
gelaufen. So, und jetzt gib endlich Ruhe! Wir reden
nächste Woche weiter, ruf mich an!“
Nichts als einen langen Blick erntet Vonderleu für
seine Erklärung; einen Blick, der zwischen hündischer
Unterwürfigkeit und viehischer Grausamkeit wechselt.
Wie ein feuriger Stab bohrt er sich in Vonderleus
Hirn und geht ihm beim Abstieg ins Tal nicht mehr
aus dem Sinn.
Der andere bleibt unbeweglich sitzen. Erst als die
Nacht langsam zu Ende geht, macht er sich auf den
Weg. Er führt ihn ebenfalls abwärts, dem Dorf zu.
Der bitterkalte Morgen verspricht einen weiteren
strahlend schönen Vorfrühlingstag. Mehr und mehr
geht die Farbe des Himmels im Osten von dunklem
Blau in ein strahlendes Violett über. Adolf Gottlieb
Vonderleus Armbanduhr zeigt halb sechs. Der Mann,
der sich nach einer schlaflosen Nacht noch um einiges
älter fühlt, als ihm lieb ist, liegt unter einer mächtigen
Tanne am Waldrand und starrt in Richtung St. Bartholomäi.
Weit unten, im Tal der Ill, rattert der erste
Frühzug der Regionalbahn mit Pendlern und Schülern
der Bezirkshauptstadt zu. Das grässliche Quietschen ist
trotz der riesigen Entfernung zu hören. Niemand soll
sich wundern, wenn einer die Nerven wegschmeißt,
der neben den Gleisen wohnt und über Jahre hinweg
von diesem Lärm frühmorgens aus dem Schlaf gerissen
wird. Irgendwann schreibt er dann der Bahn ein böses
E-Mail, richtet wüste Drohungen an die Behörden,
stellt sein Auto quer über die Schienen und wird dafür
vor dem Landesgericht zur Rechenschaft gezogen. So
ungerecht ist die Welt! In den paar Häusern um die
Kirche rührt sich nur, was sich um diese Stunde unbedingt
rühren muss. In den Küchen der Bauernhöfe,
in den Ställen und im Pfarrhof brennt Licht, einzelne
Autos fahren talwärts.
Seit einer Stunde gestattet sich Vonderleu keine
Bewegung. Weil das gibt es eigentlich nicht, dass der
Appenzeller Schlawiner nicht auftaucht! Aber warten
kann er, der Vonderleu. Schließlich wird ihm die
Zeit doch zu lang, er holt ein Stück fetten Speck aus
dem neben ihm liegenden Rucksack, säbelt mit dem
Sackmesser dicke Scheiben herunter und kaut bedächtig
darauf herum, saugt das würzige Fleisch mit
den breiten Fetträndern aus wie alten Kautabak. Zum
x-ten Mal fährt seine Rechte in die tiefe Hosentasche
der Knickerbocker und befingert ein dickes Bündel
Geldscheine. Alles da. Gut, dass der Inder so brav gezahlt
hat. Wenn es mit dem anderen auch so glatt läuft,
könnte Vonderleus Plan spätestens im Sommer, zum
Alpauftrieb, aufgehen. Er soll endlich kommen, der
Wichtigtuer! Noch einer, dem er endgültig den Meister
zeigen wird. So wie dem lächerlichen Radonataler,
dem Affenschädel, der vorhin geglaubt hat, mit ihm
Katz und Maus spielen zu müssen. Vor einem Gewehr
hat er sich sein Lebtag noch nicht gefürchtet! Jetzt gilt
es, den Appenzeller in die Knie zu zwingen, dann ist
der Alpsommer unter Dach und Fach. Ein Vonderleu
lässt sich von ein paar schwindsüchtigen Hirschen
und Rindviechern nicht das Geschäft verderben, von
wildgewordenen Jägern, Tierschützern oder gar Vegetariern
noch weniger. Der Emmentalerfresser und
Stumpenraucher wird seine Franken noch früh genug
kriegen, Gottverstutz!
Aufgepasst: Dort droben, knapp hinter den beiden
Jagdhütten, bewegt sich etwas. Das muss er sein.
Warum zum Teufel kommt der Idiot von der Hütte
her? Seine Trittspuren auf den letzten Schneeresten
werden alles verraten. Geh weiter!, will Vonderleu ihm
zurufen, als sich die längste Zeit nichts mehr tut. Traut
er sich nicht, der feige Hund? Am liebsten wäre dem
Appenzeller nämlich gewesen, man hätte ihm das Geld
auf sein Schweizer Konto überwiesen. Ja sicher, am besten
übers Netbanking mit IBAN und BIC und all dem
neumodischen Quatsch. Da hat Vonderleu ihn schön
ausgelacht! Ausgerechnet übers Internet wird er seine
Geschäfte erledigen, damit die halbe Welt erfährt, wie
der größte Alpbesitzer im Brunnenthal sich sein Vieh
sichert und sein Scherflein ins Trockene bringt, während
rundum alle absaufen! Ganz so bescheuert, wie
alle Welt glaubt, seit sein Stall leer ist, ist er bei Weitem
nicht. Diese Prämie muss sich der Herr Aktionär und
Großbauer schon persönlich abholen, und sich dabei
einiges anzuhören, wird ihm auch nicht erspart bleiben.
Die halbe Nacht hindurch hat sich Vonderleu die
Sätze zurechtgelegt. Jeder Winkeladvokat könnte stolz
sein auf den hochgradig verklausulierten Vertrag, den
er aufgesetzt hat in seinem alten Sturkopf, seit er sich
mitten in der Nacht aus dem Bett geschlichen hat, in
dem seine Frau Walpurga Philomena wahrscheinlich
noch immer den Schlaf der Gerechten schläft. Adolf
Gottlieb ist der Letzte, der ihn ihr nicht gönnt. Sie hat
ihn verdient. Sie hätte sich überhaupt etwas Besseres
verdient als diesen Mann, das spürt er immerhin.
Doch es ist gekommen, wie es kommen musste. Hat ihn
denn jemand gefragt? Und jetzt ist es sowieso zu spät.
Die alten Geschichten sind passé, Schnee von gestern.
Es schaut auch aus, als ob man sich abgefunden hätte
damit. Die meisten wenigstens. Die anderen, ein paar
unbelehrbare Hanswurste ... Adolf Gottlieb wird ihnen
zeigen, wo Bartle den Most holt.
Oder hat Walpurga wieder einmal die Schlafende
gespielt, wie so oft, wenn er spät nach Hause kommt, sie
schlafend glaubt und am nächsten Morgen haargenau
erfährt, wie spät es war und was er alles umgeworfen
hat auf seinem unsicheren Gang ins Schlafzimmer?
Der leere Stall war es, der ihm den Weg gezeigt hat.
Da haben sich all die Siebengscheiten endgültig selbst ins
Knie geschossen. Wegen einer einzigen TBC-kranken Kuh
haben sie ihm den ganzen Stall ausgeräumt. Ausgerechnet
ihm, Adolf Gottlieb Vonderleu, 65 Jahre, im besten Alter
für einen von seiner Statur und Veranlagung. Bauer, Alpbesitzer
und Jäger. Seine schönen Kühe abtransportiert.
Gekeult: Wenn er das Wort schon hört, steigt sein Puls
ins Ungesunde. Der Stall bleibt verwaist, vorläufig. Nie
ist er in den paar Wochen seither den Verdacht losgeworden,
es habe dem einen oder andern Spaß gemacht, sein
Vieh abtransportiert zu sehen. Lange wird er sich nicht
hinhalten lassen von den Herren der Landwirtschaftskammer,
auch von der Versicherung nicht. Vonderleu ist
keiner, den diese Witzfiguren mit hohlen Phrasen abspeisen
können. Wenn er an das dämliche Grinsen von diesem
Breuss denkt, als die Lastwagen durchs Dorf gefahren
sind! Der halb vertrottelte Straßenwärter, der hat es
nötig, der Knallkopf. Kann der überhaupt bis drei zählen?
Wie ein Maulwurf ist er ihm immer vorgekommen. Auch
einer, der sich glücklich schätzen könnte, dass die Dinge
sind, wie sie sind, und der stattdessen durch die Gegend
hatscht wie das personifizierte Unglück. Vonderleu weiß
gar nicht mehr, wie viele Messen er den alten Pfarrer
Rüscher schon hat lesen lassen, als Dank für gutes Wetter,
unfallfreie Alpsommer, zur Abwehr von Hagel und
Trockenheit oder ähnlichem Stuss, den auf der ganzen
Welt niemand glaubt. In Wirklichkeit geschah es erstens,
um den Geistlichen für sich zu gewinnen, sitzt doch die
Kirche in der Gegend auf den schönsten Alpflächen und
Weiden, zweitens, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen,
das ihn noch manchmal plagt wegen der zugegeben
etwas delikaten Brautabwerbung damals. Gut, dass dieses
Motiv nur die Walpurga kennt, außer demjenigen natürlich,
dem er das Rösslein ausgespannt hat, diese prachtvolle
Stute, noch dazu aus bestem Stall!
Stille rundum. Vom Dorf herauf läutet es den Tag
ein, sechs Uhr. War das ein Tier vorher, eines der dem
Abschuss geweihten Rehe oder ein schon jetzt aus der
Winterruhe erwachter Dachs? Kein Wunder bei dem
Winter, der bis weit hinauf so schneearm, wie selten
einer war, und bei dem Frühling, der um Wochen zu
früh ins Land gezogen ist. Die Kirchenglocken läuten
zur Schülermesse, es ist sieben Uhr. Großer Andrang
seitens der Jugend herrscht nicht, nur die übliche
Handvoll alter Weiblein humpelt daher. Vonderleu
wartet.
Ja, natürlich, der leere Stall wurmt ihn gewaltig.
Nicht so sehr der Kühe wegen. Er wird neue kaufen,
bessere, wird die Milchleistung hochjagen mit Kraftfutter,
holländischem, der Andermatt besorgt es günstig.
Rentabel ist es trotzdem nicht, aber zum einen gibt es
nicht umsonst die Bergbauernzuschüsse aus Brüssel,
zum anderen geht es eh nur darum, die Statistik zu dominieren,
den Dörflern die Prämien wegzuschnappen,
denn ihre kaum verhohlene Schadenfreude zwickt ihn
gewaltig. Dafür hat er sie nicht all die Jahre großzügig
teilhaben lassen an seinem Hab und Gut, an seinen Beziehungen,
seiner Gutmütigkeit. Sie sollen nur aufpassen.
Ein Vonderleu weiß genau, wer seine Weideflächen
falsch vermessen hat, um sich schöne Eurosummen an
EU-Subventionen zu erschwindeln. So dumm, dass er
sich nicht noch dümmer stellen kann als die Vollkoffer
im Dorf, ist er nicht. Auch dem Landesrat wird es nichts
nützen, hierzulande das Milchmädchen und in Wien
drunten den wilden Mann zu spielen oder umgekehrt,
wie man’s grad braucht, sollte er die kommende Landtagswahl
überleben. Vonderleu hat, besser als ihm und
manch anderen lieb ist, im Kopf, wer welche Förderungen
kassiert hat. Wozu sitzt er denn seit Jahrzehnten
im Gemeindevorstand? Etwa weil er sich engagieren
möchte für die nette Dorfgemeinschaft? Sicher nicht.
Dafür gibt’s die Weiber und ein paar Memmen wie den
Haberer von der Tochter, den roten Toni, oder den
deutschen Geldsack vom Heilandskogel droben. Der
eigene Bub, der Norbert, wenn er auch sonst nicht viel
taugt, wird ihm jetzt einmal von großem Nutzen sein.
Dafür hat er neben seinen Frauengeschichten genug
Zeit, und es ist doch praktisch, wenn man immer wieder
Konkurrenten aus dem Weg räumen kann, indem man
ihre halbkriminellen Praktiken an der richtigen Stelle
anzeigt oder sie im Geheimen bluten lässt. Wie zur
Bestätigung knistert leise das Geldbündel in Vonderleus
Hosensack. Dass der Norbert mit dem Großvater
unter einer Decke steckt, muss man in Kauf nehmen.
So richtig ernst nimmt den Alten eh niemand mehr, seit
sein wirres Sinnen und Trachten immer mehr in die
Zeit zurückfällt, als auch hier im Tal die braunen Banditen
in den Gemeindestuben und die roten Fahnen an
den geschindelten Fassaden den Ton angegeben haben.
Gleich Viertel nach sieben. Schön langsam wird Vonderleu
ungeduldig. Fünf Uhr war ausgemacht. Austreten
sollte er auch einmal. Ein paar Schritte gehen
wäre nicht schlecht. Hier oben rührt sich weit und
breit nichts, drunten im Dorf geht der Betrieb langsam
los. Die Pendler machen sich auf den Weg in den
Walgau, die Schüler sammeln sich an den Bushaltestellen.
Auch den Enkel, Norberts Sohn, kann Vonderleu
mit dem Fernglas erkennen. Von dem erwartet er sich
gar nichts, was sein Werk fortsetzen könnte. Schon, als
er seinen Namen zum ersten Mal gehört hat, wurde
Adolf Gottlieb Vonderleu klar, dass die Sache gelaufen
war: Kevin Sven Goetz. Daraus wird nie im Leben
ein Landwirt, ein Älpler, ein Jäger. Wenn der Schnösel
mit dem Gymnasium fertig ist, nächstes Jahr vielleicht,
wird er an der FH Multimedia-Design studieren oder
auf die Angewandte gehen, hat er verkündet. Vergiss es!
Vonderleu lässt das Fernglas sinken und konzentriert
sich aufs Pinkeln. Auch das war schon einfacher. Dafür
rascheln bei jeder Bewegung die Fünfhunderternoten.
Musik in seinen Ohren! Etwas starr von der Kälte, die
langsam, aber sicher durch das dicke Lodenzeug dringt,
schickt sich Vonderleu gleich darauf wieder an, eine
halbwegs bequeme Position auf seinem Lager einzunehmen.
Da hört er einen lauten Knall, einen Gewehrschuss.
Ganz nah muss das sein, zuckt es durch sein Hirn.
Gleichzeitig brennt es zwischen den Schulterblättern
wie Feuer. Der Bauer sackt vornüber, röchelt, greift sich
ans Herz, verdreht die Augen – und ist von nun an tot.
© Haymon Verlag
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Autoren-Porträt von Peter Natter
Peter Natter, geboren 1958 in Alberschwende, Vorarlberg. Studium der Romanistik und Philosophie. Vielseitige berufliche Tätigkeiten: Hilfsbuchhalter, Lehrer, Garçon d'hôtel, Lektor, Philosoph, Autor. Lebt in Dornbirn, träumt vom Burgund und von der Loire. Seit 2010 sind von ihm vier Kriminalfälle rund um den Bregenzer Inspektor Isidor Ibele erschienen, zuletzt bei HAYMONtb "Die Tote im Cellokasten. Inspektor Ibeles schwärzester Fall" (2013).
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter Natter
- 2015, 2. Aufl., 184 Seiten, Maße: 11,4 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Haymon Verlag
- ISBN-10: 3709978068
- ISBN-13: 9783709978061
- Erscheinungsdatum: 12.03.2015
Pressezitat
"ein amüsanter Krimi" Die Presse am Sonntag, Duygu Özkan
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