Mortimer & Miss Molly
Roman
Italien 1944: Kurz vor Kriegsende landet in San Vito in der Toskana ein amerikanischer Soldat mit seinem Fallschirm mitten in einem malerischen Renaissancegarten, ausgerechnet unter dem Fenster der englischen Gouvernante, die ihn vor den deutschen...
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Produktinformationen zu „Mortimer & Miss Molly “
Italien 1944: Kurz vor Kriegsende landet in San Vito in der Toskana ein amerikanischer Soldat mit seinem Fallschirm mitten in einem malerischen Renaissancegarten, ausgerechnet unter dem Fenster der englischen Gouvernante, die ihn vor den deutschen Besatzern versteckt. Das ist die Geschichte von Mortimer und Miss Molly, eine Liebesgeschichte. Jedenfalls der Anfang davon, wie sie knapp dreißig Jahre später ein alter Amerikaner erzählt, als er Julia und Marco kennenlernt, die es nach San Vito verschlagen hat. Am nächsten Morgen ist er verschwunden. Und so beginnt das junge Paar, die Geschichte der beiden für sich selbst fortzuspinnen.
Ein Roman aus Österreich über die Magie des Erzählens.
Klappentext zu „Mortimer & Miss Molly “
Italien 1944: Kurz vor Kriegsende landet in San Vito in der Toskana ein amerikanischer Soldat mit seinem Fallschirm mitten in einem malerischen Renaissancegarten, ausgerechnet unter dem Fenster der englischen Gouvernante, die ihn vor den deutschen Besatzern versteckt. Das ist die Geschichte von Mortimer und Miss Molly, eine Liebesgeschichte. Jedenfalls der Anfang davon, wie sie knapp dreißig Jahre später ein alter Amerikaner erzählt, als er Julia und Marco kennenlernt, die es nach San Vito verschlagen hat. Am nächsten Morgen ist er verschwunden. Und so beginnt das junge Paar, die Geschichte der beiden für sich selbst fortzuspinnen. Ein Roman aus Österreich über die Magie des Erzählens.
Lese-Probe zu „Mortimer & Miss Molly “
Mortimer & Miss Molly von Peter HenischEins
1
Die Geschichte könnte damit beginnen, dass Mortimer vom Himmel fällt. Ein Fallschirmspringer, der im Zentrum des Renaissancegartens landet. Dieser Renaissancegarten ist geometrisch gestaltet, sechs von Hecken gesäumte Trapeze umgeben ein kreisförmiges Zentrum. Radius: nicht mehr als fünf Meter. In diesem Zentrum landet Mortimer.
Steht Miss Molly am Fenster? Zweifellos wäre das eine schöne Szene. Für einen Film, den ein Fellini hätte drehen können. Miss Molly steht am Fenster, sie hat den weißen Vorhang ein wenig beiseite geschoben. Und sieht Mortimer, einen soeben mit dem Fallschirm gelandeten, amerikanischen Soldaten.
Das heißt: Sie sieht ihn noch nicht - er ist ja vorerst vom Fallschirm bedeckt. Oben Miss Molly, die den Vorhang ein wenig beiseite gezogen hat, unten Mortimer, der unter der Fallschirmseide hervor muss. Das soll möglichst rasch gehen, aber es ist nicht so einfach. Verwicklungen kommen vor, bei aller Routine.
Miss Molly wartet, bis sich der Mann entpuppt. Gewiss, eine schöne Filmszene, sagte Julia.
Fellini hat diesen Film nicht gedreht, Gott sei Dank. Denn vielleicht werde ich ihn eines Tages drehen, sagte Marco.
Die Maschine ist tief geflogen, über Miss Mollys Kopf haben die Dachziegel gezittert. Ein Jagdbomber P-40 (Tomahawk) oder P-47 (Thunderbolt). Es ist ein Tag im Frühling 1944. Die alliierten Truppen sind vom Süden heraufgekommen.
Ist der amerikanische Soldat zielgenau gelandet? Nein, das ist Unsinn. Mortimer hat dieses Ziel nicht anvisiert. Er hat aussteigen müssen, die Maschine war von der deutschen Flak getroffen. Irgendwo jenseits der Stadtmauer ist sie explodiert.
... mehr
Dass der Kreis, in dem er vorläufig noch mit dem Fallschirm kämpft, beinahe so aussieht wie das Zentrum einer Zielscheibe, kommt ihm erst später zu Bewusstsein. Reiner Zufall, dass er darin gelandet ist - oder war es am Ende doch Fügung? Auf jeden Fall, so wird er später erzählen, ist er in diesem Kreis gelandet. Unter den Augen oder zu Füßen von Miss Molly.
2
Der alte Amerikaner im Albergo Fantini. Als Marco und Julia das erste Mal dort hinkamen, war er außer ihnen der einzige Gast. Er bewohnte das Zimmer 9 im zweiten Stock, sie bewohnten das Zimmer ((. Von beiden Zimmern sah man hinüber in den giardino.
Aus Zimmer 9 sah man mehr vom Garten als aus Zimmer 11. Aus dem Fenster des Zimmers, in dem Marco und Julia wohnten, sah man ja eigentlich nur das Tor. Aus dem Fenster von Zimmer 9 hatte man, was den Garten betraf, den besseren Blickwinkel. Von dort aus sah man etwas von der Geometrie der Beete, und vor allem sah man das schmale Haus in der Stadtmauer.
Sie hatten ihn gar nicht von Beginn an bemerkt. Die ersten paar Tage, die sie in diesem etwas ramponierten, aber sympathischen kleinen Hotel verbrachten, hatten sie geglaubt, sie wären allein. Zumindest dort oben im zweiten Stock. Das war ihnen sehr recht. Da benahmen sie sich sehr unbefangen.
Manchmal liefen sie nackt aus ihrem Zimmer zum Etagenbad, wo sie in der großen, mitten im Raum stehenden Blechwanne miteinander badeten. Und dann liefen sie, nur in Handtücher gewickelt, zurück in ihr Zimmer, in dem sie meist gleich wieder ins Bett fielen. Auch was Geräusche betraf, taten sie sich keinen Zwang an. Vor allem lachten sie viel, denn sie hatten es lustig miteinander.
Den alten Amerikaner bemerkten sie erst nach etwa einer Woche. Schon eigenartig, dass er ihnen nicht früher aufgefallen war. Es war gegen Abend, sie kamen vom Fluss zurück, an dem sie einen heißen Nachmittag verbracht hatten, auf einem der großen, flachen Steine, auf denen sie so gern lagen. Ihre Haut glühte noch nach. Sie überquerten die Piazza. Und da sahen sie ihn zum ersten Mal dort oben am Fenster stehen.
Schau, sagte Julia. Der alte Mann dort oben.
Che tipo, sagte Marco. Sieht ein bisschen aus wie der alte Hemingway.
Das sagte Marco allerdings auf Französisch, nicht auf Italienisch und sicher nicht auf Deutsch. Französisch war die Sprache, in der sie sich anfangs am besten verständigen konnten.
3
Marco war aus Turin, Julia aus Wien. Kennengelernt hatten sie einander in Siena. Dort hatte Julia einen Italienischkurs begonnen. Marco hatte an einem Seminar über französischen Film teilgenommen.
Alle Filme in Originalfassung, ohne Untertitel. Aber Französisch konnte er offenbar gut. Sie konnte es weniger gut, obwohl sie es in der Oberstufe des Realgymnasiums gelernt hatte. Ihr Französisch, sagte sie mit dem Charme, der sich manchmal daraus ergibt, dass man in einer nicht perfekt beherrschten Sprache nach Wörtern sucht, ihr Französisch sei ein bisschen eingeschlafen, aber durch den Umgang mit Marco werde es wieder erweckt.
Der alte Mann am Fenster war also für sie zuerst einmal Le vieux Hemingway. Tatsächlich sah er Hemingway irgendwie ähnlich. Der weiße Bart, die hohe Stirn, die, soweit man das von unten, von der Piazza aus, sehen konnte, kräftige, aber schon etwas korpulente Statur.
Ein neuer Gast?, fragte Marco den padrone, der wie meist um diese Zeit auf einem Klappsessel vor dem Portal saß. - Der da oben? Ach was! Der ist doch schon lang da.
Seltsam, tatsächlich, dass sie ihn nicht eher bemerkt hatten. Wohnte er doch, wie ihnen nun bewusst wurde, nur wenige Meter von ihnen entfernt. Das war ihnen jetzt beinahe ein bisschen peinlich. Aber Mortimer war ein dezenter Nachbar.
Signore Mortimer. Un americano. Stammgast in diesem Hotel seit vielen Jahren. Die einzigen Gäste waren sie also nicht. Doch so viel ist wahr, dass das Albergo Fantini, dessen Name auf der abgeblätterten Fassade kaum mehr zu lesen war, nicht zu den besuchtesten gehörte - der Ort, in dem es ihnen von Tag zu Tag besser gefiel, war vom Tourismus noch so gut wie unentdeckt.
Ein Ort in der Südtoskana, mit teilweise noch sehr gut erhaltener Stadtmauer. Obwohl die Deutschen vor ihrem Rückzug einiges gesprengt hatten. Die Porta Romana im Südosten zum Beispiel. Und den Turm im oberen Teil des Gartens, der ausgesehen hat wie die Türme auf den Bildern des Malers de Chirico.
Anderswo, etwa in San Gimignano, gab es mehr von dieser Sorte. Hier hatte es nur diesen einen gegeben. Kein besonders schönes Exemplar, aber immerhin fast vierzig Meter hoch. Ein Turm ist ein Turm. Aber dann war da nur mehr ein Trümmerhaufen.
Im Süden und Osten ist die Parkmauer identisch mit der Stadtmauer. Im unteren Teil des Gartens ist ein schmales Haus in die Mauer eingepasst. Das Dach gedeckt mit blassroten, von der Zeit etwas grau gewordenen Ziegeln. So sieht man es auf den Fotos, die sie heute vom Hubschrauber aus schießen, so wird es auch Mortimer bei seinem Absprung gesehen haben.
Aber nur kurz, in den paar Augenblicken zwischen Absprung und Landung. Bei solchen Einsätzen geht alles viel schneller, als man glaubt. Kaum hat sich der Fallschirm geöffnet, bist du auch schon unten. Und dann hast du andere Sorgen, als die Geometrie der Gartenanlage zu bewundern - seitlich abrollen, Fallschirm einziehen, möglichst rasch Deckung suchen.
Und was bietet sich dazu besser an als das Gewölbe unter dem Haus in der Mauer? Das Gewölbe, auf dessen immer wieder vergebens geweißte Wände die ragazzi von heute, respekt- und pietätlos, wie sie sind, ihre Zoten schreiben. Just unter dem Fenster, aus dem Miss Molly geschaut hat, den Vorhang bloß einen Spaltbreit beiseite ziehend oder schiebend, wird Mortimer Deckung suchen. Und nur bei dem Krach, den der Absturz des Flugzeugs verursacht hat, da draußen irgendwo in den crete, nur bei der Detonation hat sie kurz die Augen geschlossen.
Von dem Punkt, an dem Mortimer gelandet ist, bis zu diesem Gewölbe sind es vielleicht zwanzig Meter. Für einen gut trainierten Soldaten kaum mehr als zwölf Schritte, das heißt eher Sprünge. Und das muss schnell gehen, verdammt schnell, das dauert nicht mehr als ein paar Sekunden. Danach ist der soeben Aufgetauchte fürs Erste schon wieder aus Miss Mollys Blickfeld verschwunden.
Miss Molly ist also am Fenster gestanden, obwohl sie eigentlich im Luftschutzkeller hätte sein sollen, denn gewiss haben die Sirenen geheult. Aber um in den großen Keller unter der Casa del Popolo zu kommen, hätte sie nicht nur zwei Treppen aus dem Obergeschoß des Mauerhauses hinunterlaufen müssen, sondern danach noch schätzungsweise hundert Meter durch den Park bis zum Tor. Und das Tor, das immer verschlossen ist - denn zu diesem Zeitpunkt ist der giardino noch kein öffentlicher Garten -, das Tor mit dem schweren Schloss hätte sie aufsperren müssen. Und dann quer über die Piazza laufen - aber das hat sie, seit es in diesem Städtchen Bombenalarm gibt, nur einmal getan und danach nie wieder.
Während sie über den Platz gelaufen ist, hat sie Sünden abgebüßt, die sie nie begangen hat. Und im Keller der Casa del Popolo hat sie erst recht nichts als Angst ausgestanden. Erst Platzangst, dann Raumangst. Traumangst. Denn von so etwas hat sie vielleicht schon als Kind geträumt. Träume, aus denen sie stets mit schwerer Atemnot erwacht ist.
So könnte es gewesen sein. Als junges Mädchen hat sie Asthmaanfälle gehabt. Miss Molly, die englische Gouvernante der Familie Bianchi. Das war vielleicht der Grund, warum sie nach Italien gegangen ist. Ins bessere Wetter. Aber das ist zu dem Zeitpunkt, als ihre Geschichte mit Mortimer beginnt, schon ungefähr zwanzig Jahre her.
4
Die Geschichte von Mortimer und Miss Molly. Sie beginnt im Mai 1944, als Mortimer mit dem Fallschirm dort oben im Garten landet. Aber da ist auch die Geschichte von Marco und Julia. Die beginnt fast vierzig Jahre später, als die beiden zum ersten Mal im Albergo Fantini wohnen.
Oder nein, sie begann schon ein bisschen früher. Als die beiden einander in Siena über den Weg liefen. Julia und ihre Freundinnen Susanne und Marianne besuchten dort einen Italienischkurs. Sie lernten den Basiswortschatz und ein paar Grundbegriffe der italienischen Grammatik, sie begannen den Pinocchio zu lesen, aber nachdem Julia Marco kennengelernt hatte, $ng sie an, den Kurs zu schwänzen.
Das lag einerseits daran, dass Marco ihr gesagt hatte, mit ihm lerne sie sicher besser Italienisch. Anderseits lag es daran, dass in den Stunden, in denen Susanne und Marianne an der Uni saßen, die Wohnung in der Via del Giglio, in der sich die drei Mädchen einquartiert hatten, frei war. Sturmfreie Bude, sagte Julia, Marco versuchte das nachzusprechen. Damals bestand noch die Möglichkeit, dass nicht nur sie von ihm Italienisch lernte, sondern auch er von ihr ein bisschen Deutsch.
Damals bestanden noch viele Möglichkeiten. Und sie verstanden einander auch ohne Worte. Vor allem in Liebesdingen, die gar nicht so viele Worte brauchten. In der Dreizimmerwohnung in der Via del Giglio gab es zwar keine Betten, sondern nur Matratzen, aber als Unterlage waren diese Matratzen ganz in Ordnung.
Wenn Marco und Julia nach ihren erfreulichen Umarmungen auf dem Rücken nebeneinander lagen, wirkte der ohnehin hohe Raum mit dem stuckverzierten Plafond noch um einiges höher. Durch die grünen Läden an den hohen Fenstern fiel ein schönes Licht, draußen, wo auf dem kleinen Platz vor der Kirche ein grüner Baum stand, zwitscherten vormittags die Spatzen, die auf Italienisch passeri hießen, und nachmittags sangen die Amseln, die Marco merli nannte. So lernte Julia wirklich ein wenig Italienisch, insbesondere die Bezeichnungen für diverse Körperpartien, vom Kopf bis zur Zehe, mit allem dazwischen. Einige von den Worten, die ihr Marco zärtlich beibrachte, hätte sie im Italienischkurs wahrscheinlich nicht gelernt.
Doch auf die Dauer war das kein haltbarer Zustand. Die Freundinnen waren nicht prüde, aber irgendwie gehörte sich das denn doch nicht. Sie hatten den Kurs gemeinsam gebucht, sie hatten sich ihre Dreiweiberwohngemeinschaft in Siena so schön ausgemalt. Und nun wurde ihre Dreisamkeit durch diesen Mann gestört.
Der war zwar ganz nett, o doch, das fanden sie auch. An zwei oder drei Abenden saßen sie zu viert auf dem Campo und aßen Pizza. Da war er (so Marianne) ganz amüsant, ja sogar (so Susanne) ganz charmant. Aber dass er seine virile Aufmerksamkeit hauptsächlich Julia schenkte und ihnen, bei allem scherzhaften Geplänkel, doch nur nebenbei, verstimmte sie.
Erst recht, wenn die beiden sich dann bald wieder absetzten. Einmal um Mitternacht, nachdem Julia sich nach einem sehr romantischen Spaziergang unter einem erstaunlich gelben Mond von Marco verabschiedet hatte, erwarteten sie die zwei Freundinnen zu einem klärenden Gespräch. Dass ihnen die ständige Anwesenheit dieses Mannsbilds, so nannten sie den amüsanten, ja charmanten Marco auf einmal, in ihrer Abwesenheit nicht recht sei. Und dass sie es leid seien, seine Barthaare in der Waschmuschel vorzufinden und die Klobrille in der falschen (frauenfeindlichen) Position.
Am nächsten Tag begann Julia ihre Sachen zu packen. Und am übernächsten fuhr sie mit Marco nach Süden. Es traf sich, dass das Seminar über französischen Film beinahe zu Ende war. So hatte alles begonnen. Und so kamen sie nach San Vito.
5
Aus Siena waren sie gegen zehn aufgebrochen. Mit dem Citroën 2CV, Le Canard, der Ente, die so gut zu Marco passte. Marco mit seiner Baskenmütze, Marco mit seiner auch bei sommerlichen Temperaturen selten abgelegten Windjacke. Er sah damals tatsächlich ein bisschen aus wie der Regisseur, der er gern geworden wäre.
Vorläufig war er beinahe medico. Wenn Julia ihn richtig verstanden hatte, hatte er sein Medizinstudium im Mai abgeschlossen. Im September sollte er ein Turnusjahr antreten. An irgendeinem Krankenhaus in einer Stadt in der Region Piemont.
Er machte allerdings nicht den Eindruck, dass er das wirklich wollte. Seine Mutter wollte es. Und das war offenbar sein Problem. Er hatte zuerst etwas anderes studiert (Vergleichende Literaturwissenschaften oder so etwas Ähnliches), doch seiner Mutter zuliebe habe er umgesattelt, und das hatte er nun davon.
Er hatte die Abschlussprüfungen, die er als Mediziner machen musste, möglichst lang hinausgezögert. Doch jetzt war es so weit, es gab keine Ausreden mehr. Und wenn nicht ein Wunder geschah ... na ja, Arzt war ja kein schlechter Beruf ... Bloß war es nicht der, zu dem er sich berufen fühlte.
C'est comme ça, sagte er, aber lassen wir das. Davon wollte er nicht mehr reden an einem so schönen Tag wie diesem. Carpe diem, sagte er, heute ist heute. Und was morgen ist, werden wir schon sehen, hab ich nicht Recht?
Oui, sagte Julia. Was sollte sie sonst sagen? Sie saß auf dem Beifahrersitz neben ihm, sie fühlte sich wohl. Wenn sie zu ihm hinüberschaute, sah sie sein Profil. Es erinnerte sie an irgendjemanden, aber sie wusste noch nicht, an wen.
Sie fuhren auf der Via Cassia, die, wie die meisten alten italienischen Staatsstraßen, nach einem altrömischen Senator benannt war, nach Süden. Sie hatten kein konkretes Ziel, sie fuhren ins Blaue. Das heißt: Der Himmel war blau - die Landschaft darunter war ocker, gelb und grün. Die Landschaft lag offen vor ihnen. Ein Hügel hinter dem anderen. Eine verführerische Landschaft. Sie verführte erstens dazu, immer wieder von der Hauptstraße abzuzweigen. Auf Sandstraßen, die meist vielversprechend begannen, aber dann oft im Nichts endeten. Sie verführte zweitens dazu, immer wieder auszusteigen und zu fotografieren. Und das tat Marco, der seine Minolta dabeihatte, leidenschaftlich gern.
Die Landschaft brachte einen drittens auf schöne Gedanken. Jedenfalls einen wie Marco, der auf poetische Weise von ihr schwärmte. Wie es sich hebt und senkt, dieses Land, sagte er, erotisch. Vom Wind gekämmt und vom Wind zerzaust.
Auf Französisch klang das womöglich noch besser. Oder sagte er es auf Italienisch?
Jedenfalls klang es ein wenig wie ein Gedicht.
Stimmt, sagte Marco. Das habe er irgendwo gelesen.
Natürlich fotografierte er nicht nur die Landschaft, sondern auch Julia. Zum Beispiel am Rand eines alten Brunnens, auf dessen Grund sie ihr Spiegelbild suchte. Oder inmitten einer Herde von Schafen, deren Wolle sie zupfte. Oder laufend, mit fliegenden Haaren, in einer von Pinien gesäumten Allee.
Das war hübsch, und die Komplimente, die er ihr zwischendurch machte, brachten sie immer wieder zum Lachen. Doch auf die Dauer war es auch etwas strapaziös. Schluss jetzt, basta, sagte sie und ließ sich in den Schatten einer Steineiche fallen. Und das fotografierte er zwar auch noch, wie sie dalag mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen, aber dann hängte er die Kamera an einen Ast und legte sich zu ihr.
La belle au bois dormant, sagte er - nun ja, das war wohl etwas übertrieben. Nicht nur was Julias Schönheit betraf, die sie bis dahin eher realistisch eingeschätzt hatte. Weit und breit kein Wald, sondern eben nur diese Steineiche. Die allerdings vibrierte vom Chor der Zikaden in ihrer Krone.
Und Marco küsste Julia, er küsste sie von oben bis unten. Er war ein begabter und fantasievoller Liebhaber. Ganz anders als der, mit dem sie sich die letzten zwei Jahre geplagt hatte. Ein Mann namens Hans, auf den sie aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht nennen hätte können, fixiert gewesen war, aber das hatte auch nichts genützt, eher im Gegenteil, und jetzt war sie auf dem besten Weg, diese Fixierung loszuwerden.
Das tat gut, aber danach hatten sie Hunger und Durst. Sie hatten Lust auf eine kleine merenda. Aber es war schon viel später, als sie dachten. Sie hätten geschätzt, es sei Viertel vor zwölf, doch es war schon halb drei.
Dass ihnen die Zeit miteinander so schnell verging, war ja schön. Nun aber hatten sie ein kleines Problem. Ihre Mägen knurrten. Und ihre Kehlen waren trocken. Doch es war die Zeit der Nachmittagsruhe, die damals in der Gegend südlich von Siena noch streng eingehalten wurde.
Das merkten sie, sobald sie auf die Via Cassia zurückgefunden hatten. Wozu sie übrigens auch noch ein Weilchen brauchten. Es muss dann schon gegen drei gewesen sein. Kilometer um Kilometer kein offenes Lokal.
Keine Pizzeria, keine Bar, kein Alimentari-Laden. Nicht einmal eine Imbissstube an einer Tankstelle. Und je weiter die beiden nach Süden kamen, desto häufiger waren die Hügel links und rechts der Straße schon abgemäht. Wie Dünen sahen die aus. Sie kamen sich vor wie in der Wüste.
Doch dann erschien rechter Hand auf einer kleinen Anhöhe die Oase. Von der Straße aus sah man vorerst den Kirchturm und ein Stück Mauer. Man sah auch die mit viel Sinn für ästhetische Wirkung gesetzten Zypressen. San Vito Nuovo mit seinen an Lego-Spielzeug erinnernden Reihenhäusern gab es noch nicht.
Bei diesem Anblick schöpften sie wieder Hoffnung. Vielleicht gab es ja da drin eine kleine Osteria. Es sah danach aus, es machte auf sie diesen Eindruck. So fuhren sie also von der Via Cassia ab und hielten an der Porta Pellegrini.
In den späteren Jahren, in denen Julia und Marco noch immer und dann (nach einer mehrjährigen Abstinenz, die sie beide, jeder für sich, nur schwer ertragen hatten) wieder nach San Vito kamen, versuchten sie immer aufs Neue, sich diesen ersten Tag, an dem sie hier eingetroffen waren, zu vergegenwärtigen. Von der ersten Stunde an, von den ersten Schritten, die sie in den Ort hineingingen. Sie kamen also durch die Porta Pellegrini, das nördliche Stadttor. So benannt, weil San Vito nicht nur an der Via Cassia, sondern auch an der Via Francigena, der mittelalterlichen Pilgerstraße, lag, und weil die von Norden kommenden Pilger durch dieses Tor die Stadt betreten hatten.
Sie tauchten kurz durch die Kühle des Stadttors, die Straße, auf der sie auf der anderen Seite herauskamen, zitterte vor Hitze. Nur ein schmaler Streifen Schatten fiel auf die alten Pflastersteine. Kein Mensch war zu sehen, nur ein paar blinzelnde Katzen, sagte Julia. War nicht auch ein Hund dabei? Also gut, ein paar blinzelnde Katzen und ein auf einem Fußabstreifer lungernder Hund.
Eventuell auch eine Ratte im Rinnsal?
Nein, sagte Julia, das war erst am Abend.
Aber die Tauben natürlich, die zwischen den Sandsteinfiguren der alten Kirche saßen. Und im Schlaf oder im Traum gurrten. Falls Tauben träumen.
Aber natürlich träumen Tauben, sagte Marco.
Und was träumen sie deiner Ansicht nach?
Flugträume, sagte Marco. Wunderschöne Flugträume. Gerade, wenn sie schon alt und hässlich sind und kaum mehr fliegen können.
Hatte er das schon damals gesagt, oder sagte er es erst Jahre später? Die Erinnerung, sagte Marco, ist eine immer wieder aufgenommene Montage. Wie ein Film, den man immer aufs Neue schneidet. Manche Szenen nimmt man vielleicht heraus, andere dreht man nach und fügt sie hinzu.
Sie waren also zuerst bis zu der Kirche gekommen, der in den ältesten Bauteilen tausend Jahre alten Collegiata. Und Marco hatte die Minolta gezückt. Zuerst einmal angesichts der zwei Figuren von Pisano. Oder aus der Schule des Pisano - die Kunsthistoriker waren diesbezüglich vorsichtig. Wie dem auch sei, sie flankierten das Südportal der Kirche. Zwar hatte die Zeit ihre Gesichter verwischt und die Falten ihrer Gewänder. Aber die Anmut ihrer Haltung wurde dadurch vielleicht noch deutlicher. Che grazia, sagte Marco, che bellezza!
Das hätte er gern fotografisch festgehalten. Mit oder ohne träumende Tauben im Bild. Aber das Licht war um diese Stunde noch schlecht. Absolut knallig. Es gab fast keine Kontraste.
Das betraf leider auch das Westportal. Mit seinen kaum weniger interessanten Motiven. Zwei vom Zahn der Zeit beharrlich abgenagte Löwen, die nichtsdestoweniger immer noch die verknoteten Säulen trugen, die man, auf ihre steinerne Geduld vertrauend, auf ihre Rücken gestellt hatte. Und die Relieffiguren über dem Architrav - einander lasziv bezüngelnde Ungeheuer, die bei aller beabsichtigten Grausigkeit etwas Witziges hatten, zumindest aus der Gegenwart betrachtet: ein romanischer Comicstrip.
Aber die Sonne war einfach ein Desaster. Jedenfalls vom fotografischen Standpunkt aus. Es nützte nichts, das wurde jetzt einfach nichts Gutes. Vielleicht später, sagte Marco, wenn wir uns gestärkt haben.
Denn das hatten sie ja nicht aus dem Sinn verloren. Dass sie etwas essen und trinken wollten. Ganz im Gegenteil. Nur wo, war die Frage. Womöglich wurde die Nachmittagsruhe in diesem Städtchen noch strenger eingehalten als draußen.
Alles schlief. Oder schien zumindest zu schlafen. Fensterläden geschlossen, Rollläden dicht. Auch in der Via Dante - und die sah immerhin aus wie die Hauptstraße. Die Hoffnung, die sie zuvor, noch im Auto, in diesen von außen gesehen so sympathischen Ort gesetzt hatten, die Hoffnung auf eine kleine, offene Osteria, war drauf und dran, in Enttäuschung umzuschlagen.
Dachten sie später daran, so mussten sie lächeln. In diesem Ort, der ihnen mit der Zeit so vertraut werden sollte, kannten sie sich schlicht und einfach noch nicht aus. Das war logisch und trotzdem, aus der Distanz betrachtet, komisch. Sie hatten noch keine Ahnung von den örtlichen Verhältnissen.
Das Ca!è Italiano, in dessen kleinem Hinterhof sie später so gern saßen, hielten sie für geschlossen. Obwohl Pietro und Bruna, die beiden alten Leute, die in den folgenden Tagen und Wochen so nett zu ihnen waren, bestimmt da drinnen unter dem Ventilator dösten. Die Bar Centrale auf der Piazza hatte tatsächlich zu. Doch es war Mittwoch, und das war dort der traditionelle Ruhetag. Bis zur Bar Osenna im unteren Teil der Via Dante drangen sie gar nicht vor. Stattdessen bogen sie links ab und verliefen sich in den Seitengassen. Sie gingen im Kreis und kamen genau an der Stelle, wo sie abgebogen waren, wieder heraus. Dort gab es damals noch die kleine Coop-Filiale neben der Casa del Popolo, aber die sperrte erst um halb sechs wieder auf.
Schon waren sie entschlossen, zum Auto zurückzukehren, in dem in einer noch in Siena gekauften Plastikflasche ein Rest Mineralwasser sein musste. Schön warm von der Sonne, aber - darüber waren sie sich einig - besser als nichts. Sie mussten was trinken, und nach dem ersten, rettenden Schluck konnten sie ja weiterfahren. Etwa nach Pienza oder Montepulciano, wo die Mittagsruhe vielleicht nicht ganz so lang dauerte.
Wären sie weitergefahren, so hätten sie nie die geringste Ahnung davon gehabt, was ihnen in (oder an) San Vito entgangen wäre. Es wäre für sie ein Ort geblieben, in dem sie eine kurze Pause gemacht, einige Tiere, aber keinen Menschen getroffen und kein Lokal gefunden hatten. Ein Ort, der weiter nichts für sie bedeutet hätte, ein Ort, dessen Name ihnen entfallen wäre. Und bestimmt hätten sie dann nie etwas von der Geschichte von Mortimer und Molly gehört.
Copyright © Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien.
Dass der Kreis, in dem er vorläufig noch mit dem Fallschirm kämpft, beinahe so aussieht wie das Zentrum einer Zielscheibe, kommt ihm erst später zu Bewusstsein. Reiner Zufall, dass er darin gelandet ist - oder war es am Ende doch Fügung? Auf jeden Fall, so wird er später erzählen, ist er in diesem Kreis gelandet. Unter den Augen oder zu Füßen von Miss Molly.
2
Der alte Amerikaner im Albergo Fantini. Als Marco und Julia das erste Mal dort hinkamen, war er außer ihnen der einzige Gast. Er bewohnte das Zimmer 9 im zweiten Stock, sie bewohnten das Zimmer ((. Von beiden Zimmern sah man hinüber in den giardino.
Aus Zimmer 9 sah man mehr vom Garten als aus Zimmer 11. Aus dem Fenster des Zimmers, in dem Marco und Julia wohnten, sah man ja eigentlich nur das Tor. Aus dem Fenster von Zimmer 9 hatte man, was den Garten betraf, den besseren Blickwinkel. Von dort aus sah man etwas von der Geometrie der Beete, und vor allem sah man das schmale Haus in der Stadtmauer.
Sie hatten ihn gar nicht von Beginn an bemerkt. Die ersten paar Tage, die sie in diesem etwas ramponierten, aber sympathischen kleinen Hotel verbrachten, hatten sie geglaubt, sie wären allein. Zumindest dort oben im zweiten Stock. Das war ihnen sehr recht. Da benahmen sie sich sehr unbefangen.
Manchmal liefen sie nackt aus ihrem Zimmer zum Etagenbad, wo sie in der großen, mitten im Raum stehenden Blechwanne miteinander badeten. Und dann liefen sie, nur in Handtücher gewickelt, zurück in ihr Zimmer, in dem sie meist gleich wieder ins Bett fielen. Auch was Geräusche betraf, taten sie sich keinen Zwang an. Vor allem lachten sie viel, denn sie hatten es lustig miteinander.
Den alten Amerikaner bemerkten sie erst nach etwa einer Woche. Schon eigenartig, dass er ihnen nicht früher aufgefallen war. Es war gegen Abend, sie kamen vom Fluss zurück, an dem sie einen heißen Nachmittag verbracht hatten, auf einem der großen, flachen Steine, auf denen sie so gern lagen. Ihre Haut glühte noch nach. Sie überquerten die Piazza. Und da sahen sie ihn zum ersten Mal dort oben am Fenster stehen.
Schau, sagte Julia. Der alte Mann dort oben.
Che tipo, sagte Marco. Sieht ein bisschen aus wie der alte Hemingway.
Das sagte Marco allerdings auf Französisch, nicht auf Italienisch und sicher nicht auf Deutsch. Französisch war die Sprache, in der sie sich anfangs am besten verständigen konnten.
3
Marco war aus Turin, Julia aus Wien. Kennengelernt hatten sie einander in Siena. Dort hatte Julia einen Italienischkurs begonnen. Marco hatte an einem Seminar über französischen Film teilgenommen.
Alle Filme in Originalfassung, ohne Untertitel. Aber Französisch konnte er offenbar gut. Sie konnte es weniger gut, obwohl sie es in der Oberstufe des Realgymnasiums gelernt hatte. Ihr Französisch, sagte sie mit dem Charme, der sich manchmal daraus ergibt, dass man in einer nicht perfekt beherrschten Sprache nach Wörtern sucht, ihr Französisch sei ein bisschen eingeschlafen, aber durch den Umgang mit Marco werde es wieder erweckt.
Der alte Mann am Fenster war also für sie zuerst einmal Le vieux Hemingway. Tatsächlich sah er Hemingway irgendwie ähnlich. Der weiße Bart, die hohe Stirn, die, soweit man das von unten, von der Piazza aus, sehen konnte, kräftige, aber schon etwas korpulente Statur.
Ein neuer Gast?, fragte Marco den padrone, der wie meist um diese Zeit auf einem Klappsessel vor dem Portal saß. - Der da oben? Ach was! Der ist doch schon lang da.
Seltsam, tatsächlich, dass sie ihn nicht eher bemerkt hatten. Wohnte er doch, wie ihnen nun bewusst wurde, nur wenige Meter von ihnen entfernt. Das war ihnen jetzt beinahe ein bisschen peinlich. Aber Mortimer war ein dezenter Nachbar.
Signore Mortimer. Un americano. Stammgast in diesem Hotel seit vielen Jahren. Die einzigen Gäste waren sie also nicht. Doch so viel ist wahr, dass das Albergo Fantini, dessen Name auf der abgeblätterten Fassade kaum mehr zu lesen war, nicht zu den besuchtesten gehörte - der Ort, in dem es ihnen von Tag zu Tag besser gefiel, war vom Tourismus noch so gut wie unentdeckt.
Ein Ort in der Südtoskana, mit teilweise noch sehr gut erhaltener Stadtmauer. Obwohl die Deutschen vor ihrem Rückzug einiges gesprengt hatten. Die Porta Romana im Südosten zum Beispiel. Und den Turm im oberen Teil des Gartens, der ausgesehen hat wie die Türme auf den Bildern des Malers de Chirico.
Anderswo, etwa in San Gimignano, gab es mehr von dieser Sorte. Hier hatte es nur diesen einen gegeben. Kein besonders schönes Exemplar, aber immerhin fast vierzig Meter hoch. Ein Turm ist ein Turm. Aber dann war da nur mehr ein Trümmerhaufen.
Im Süden und Osten ist die Parkmauer identisch mit der Stadtmauer. Im unteren Teil des Gartens ist ein schmales Haus in die Mauer eingepasst. Das Dach gedeckt mit blassroten, von der Zeit etwas grau gewordenen Ziegeln. So sieht man es auf den Fotos, die sie heute vom Hubschrauber aus schießen, so wird es auch Mortimer bei seinem Absprung gesehen haben.
Aber nur kurz, in den paar Augenblicken zwischen Absprung und Landung. Bei solchen Einsätzen geht alles viel schneller, als man glaubt. Kaum hat sich der Fallschirm geöffnet, bist du auch schon unten. Und dann hast du andere Sorgen, als die Geometrie der Gartenanlage zu bewundern - seitlich abrollen, Fallschirm einziehen, möglichst rasch Deckung suchen.
Und was bietet sich dazu besser an als das Gewölbe unter dem Haus in der Mauer? Das Gewölbe, auf dessen immer wieder vergebens geweißte Wände die ragazzi von heute, respekt- und pietätlos, wie sie sind, ihre Zoten schreiben. Just unter dem Fenster, aus dem Miss Molly geschaut hat, den Vorhang bloß einen Spaltbreit beiseite ziehend oder schiebend, wird Mortimer Deckung suchen. Und nur bei dem Krach, den der Absturz des Flugzeugs verursacht hat, da draußen irgendwo in den crete, nur bei der Detonation hat sie kurz die Augen geschlossen.
Von dem Punkt, an dem Mortimer gelandet ist, bis zu diesem Gewölbe sind es vielleicht zwanzig Meter. Für einen gut trainierten Soldaten kaum mehr als zwölf Schritte, das heißt eher Sprünge. Und das muss schnell gehen, verdammt schnell, das dauert nicht mehr als ein paar Sekunden. Danach ist der soeben Aufgetauchte fürs Erste schon wieder aus Miss Mollys Blickfeld verschwunden.
Miss Molly ist also am Fenster gestanden, obwohl sie eigentlich im Luftschutzkeller hätte sein sollen, denn gewiss haben die Sirenen geheult. Aber um in den großen Keller unter der Casa del Popolo zu kommen, hätte sie nicht nur zwei Treppen aus dem Obergeschoß des Mauerhauses hinunterlaufen müssen, sondern danach noch schätzungsweise hundert Meter durch den Park bis zum Tor. Und das Tor, das immer verschlossen ist - denn zu diesem Zeitpunkt ist der giardino noch kein öffentlicher Garten -, das Tor mit dem schweren Schloss hätte sie aufsperren müssen. Und dann quer über die Piazza laufen - aber das hat sie, seit es in diesem Städtchen Bombenalarm gibt, nur einmal getan und danach nie wieder.
Während sie über den Platz gelaufen ist, hat sie Sünden abgebüßt, die sie nie begangen hat. Und im Keller der Casa del Popolo hat sie erst recht nichts als Angst ausgestanden. Erst Platzangst, dann Raumangst. Traumangst. Denn von so etwas hat sie vielleicht schon als Kind geträumt. Träume, aus denen sie stets mit schwerer Atemnot erwacht ist.
So könnte es gewesen sein. Als junges Mädchen hat sie Asthmaanfälle gehabt. Miss Molly, die englische Gouvernante der Familie Bianchi. Das war vielleicht der Grund, warum sie nach Italien gegangen ist. Ins bessere Wetter. Aber das ist zu dem Zeitpunkt, als ihre Geschichte mit Mortimer beginnt, schon ungefähr zwanzig Jahre her.
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Die Geschichte von Mortimer und Miss Molly. Sie beginnt im Mai 1944, als Mortimer mit dem Fallschirm dort oben im Garten landet. Aber da ist auch die Geschichte von Marco und Julia. Die beginnt fast vierzig Jahre später, als die beiden zum ersten Mal im Albergo Fantini wohnen.
Oder nein, sie begann schon ein bisschen früher. Als die beiden einander in Siena über den Weg liefen. Julia und ihre Freundinnen Susanne und Marianne besuchten dort einen Italienischkurs. Sie lernten den Basiswortschatz und ein paar Grundbegriffe der italienischen Grammatik, sie begannen den Pinocchio zu lesen, aber nachdem Julia Marco kennengelernt hatte, $ng sie an, den Kurs zu schwänzen.
Das lag einerseits daran, dass Marco ihr gesagt hatte, mit ihm lerne sie sicher besser Italienisch. Anderseits lag es daran, dass in den Stunden, in denen Susanne und Marianne an der Uni saßen, die Wohnung in der Via del Giglio, in der sich die drei Mädchen einquartiert hatten, frei war. Sturmfreie Bude, sagte Julia, Marco versuchte das nachzusprechen. Damals bestand noch die Möglichkeit, dass nicht nur sie von ihm Italienisch lernte, sondern auch er von ihr ein bisschen Deutsch.
Damals bestanden noch viele Möglichkeiten. Und sie verstanden einander auch ohne Worte. Vor allem in Liebesdingen, die gar nicht so viele Worte brauchten. In der Dreizimmerwohnung in der Via del Giglio gab es zwar keine Betten, sondern nur Matratzen, aber als Unterlage waren diese Matratzen ganz in Ordnung.
Wenn Marco und Julia nach ihren erfreulichen Umarmungen auf dem Rücken nebeneinander lagen, wirkte der ohnehin hohe Raum mit dem stuckverzierten Plafond noch um einiges höher. Durch die grünen Läden an den hohen Fenstern fiel ein schönes Licht, draußen, wo auf dem kleinen Platz vor der Kirche ein grüner Baum stand, zwitscherten vormittags die Spatzen, die auf Italienisch passeri hießen, und nachmittags sangen die Amseln, die Marco merli nannte. So lernte Julia wirklich ein wenig Italienisch, insbesondere die Bezeichnungen für diverse Körperpartien, vom Kopf bis zur Zehe, mit allem dazwischen. Einige von den Worten, die ihr Marco zärtlich beibrachte, hätte sie im Italienischkurs wahrscheinlich nicht gelernt.
Doch auf die Dauer war das kein haltbarer Zustand. Die Freundinnen waren nicht prüde, aber irgendwie gehörte sich das denn doch nicht. Sie hatten den Kurs gemeinsam gebucht, sie hatten sich ihre Dreiweiberwohngemeinschaft in Siena so schön ausgemalt. Und nun wurde ihre Dreisamkeit durch diesen Mann gestört.
Der war zwar ganz nett, o doch, das fanden sie auch. An zwei oder drei Abenden saßen sie zu viert auf dem Campo und aßen Pizza. Da war er (so Marianne) ganz amüsant, ja sogar (so Susanne) ganz charmant. Aber dass er seine virile Aufmerksamkeit hauptsächlich Julia schenkte und ihnen, bei allem scherzhaften Geplänkel, doch nur nebenbei, verstimmte sie.
Erst recht, wenn die beiden sich dann bald wieder absetzten. Einmal um Mitternacht, nachdem Julia sich nach einem sehr romantischen Spaziergang unter einem erstaunlich gelben Mond von Marco verabschiedet hatte, erwarteten sie die zwei Freundinnen zu einem klärenden Gespräch. Dass ihnen die ständige Anwesenheit dieses Mannsbilds, so nannten sie den amüsanten, ja charmanten Marco auf einmal, in ihrer Abwesenheit nicht recht sei. Und dass sie es leid seien, seine Barthaare in der Waschmuschel vorzufinden und die Klobrille in der falschen (frauenfeindlichen) Position.
Am nächsten Tag begann Julia ihre Sachen zu packen. Und am übernächsten fuhr sie mit Marco nach Süden. Es traf sich, dass das Seminar über französischen Film beinahe zu Ende war. So hatte alles begonnen. Und so kamen sie nach San Vito.
5
Aus Siena waren sie gegen zehn aufgebrochen. Mit dem Citroën 2CV, Le Canard, der Ente, die so gut zu Marco passte. Marco mit seiner Baskenmütze, Marco mit seiner auch bei sommerlichen Temperaturen selten abgelegten Windjacke. Er sah damals tatsächlich ein bisschen aus wie der Regisseur, der er gern geworden wäre.
Vorläufig war er beinahe medico. Wenn Julia ihn richtig verstanden hatte, hatte er sein Medizinstudium im Mai abgeschlossen. Im September sollte er ein Turnusjahr antreten. An irgendeinem Krankenhaus in einer Stadt in der Region Piemont.
Er machte allerdings nicht den Eindruck, dass er das wirklich wollte. Seine Mutter wollte es. Und das war offenbar sein Problem. Er hatte zuerst etwas anderes studiert (Vergleichende Literaturwissenschaften oder so etwas Ähnliches), doch seiner Mutter zuliebe habe er umgesattelt, und das hatte er nun davon.
Er hatte die Abschlussprüfungen, die er als Mediziner machen musste, möglichst lang hinausgezögert. Doch jetzt war es so weit, es gab keine Ausreden mehr. Und wenn nicht ein Wunder geschah ... na ja, Arzt war ja kein schlechter Beruf ... Bloß war es nicht der, zu dem er sich berufen fühlte.
C'est comme ça, sagte er, aber lassen wir das. Davon wollte er nicht mehr reden an einem so schönen Tag wie diesem. Carpe diem, sagte er, heute ist heute. Und was morgen ist, werden wir schon sehen, hab ich nicht Recht?
Oui, sagte Julia. Was sollte sie sonst sagen? Sie saß auf dem Beifahrersitz neben ihm, sie fühlte sich wohl. Wenn sie zu ihm hinüberschaute, sah sie sein Profil. Es erinnerte sie an irgendjemanden, aber sie wusste noch nicht, an wen.
Sie fuhren auf der Via Cassia, die, wie die meisten alten italienischen Staatsstraßen, nach einem altrömischen Senator benannt war, nach Süden. Sie hatten kein konkretes Ziel, sie fuhren ins Blaue. Das heißt: Der Himmel war blau - die Landschaft darunter war ocker, gelb und grün. Die Landschaft lag offen vor ihnen. Ein Hügel hinter dem anderen. Eine verführerische Landschaft. Sie verführte erstens dazu, immer wieder von der Hauptstraße abzuzweigen. Auf Sandstraßen, die meist vielversprechend begannen, aber dann oft im Nichts endeten. Sie verführte zweitens dazu, immer wieder auszusteigen und zu fotografieren. Und das tat Marco, der seine Minolta dabeihatte, leidenschaftlich gern.
Die Landschaft brachte einen drittens auf schöne Gedanken. Jedenfalls einen wie Marco, der auf poetische Weise von ihr schwärmte. Wie es sich hebt und senkt, dieses Land, sagte er, erotisch. Vom Wind gekämmt und vom Wind zerzaust.
Auf Französisch klang das womöglich noch besser. Oder sagte er es auf Italienisch?
Jedenfalls klang es ein wenig wie ein Gedicht.
Stimmt, sagte Marco. Das habe er irgendwo gelesen.
Natürlich fotografierte er nicht nur die Landschaft, sondern auch Julia. Zum Beispiel am Rand eines alten Brunnens, auf dessen Grund sie ihr Spiegelbild suchte. Oder inmitten einer Herde von Schafen, deren Wolle sie zupfte. Oder laufend, mit fliegenden Haaren, in einer von Pinien gesäumten Allee.
Das war hübsch, und die Komplimente, die er ihr zwischendurch machte, brachten sie immer wieder zum Lachen. Doch auf die Dauer war es auch etwas strapaziös. Schluss jetzt, basta, sagte sie und ließ sich in den Schatten einer Steineiche fallen. Und das fotografierte er zwar auch noch, wie sie dalag mit ausgebreiteten Armen und geschlossenen Augen, aber dann hängte er die Kamera an einen Ast und legte sich zu ihr.
La belle au bois dormant, sagte er - nun ja, das war wohl etwas übertrieben. Nicht nur was Julias Schönheit betraf, die sie bis dahin eher realistisch eingeschätzt hatte. Weit und breit kein Wald, sondern eben nur diese Steineiche. Die allerdings vibrierte vom Chor der Zikaden in ihrer Krone.
Und Marco küsste Julia, er küsste sie von oben bis unten. Er war ein begabter und fantasievoller Liebhaber. Ganz anders als der, mit dem sie sich die letzten zwei Jahre geplagt hatte. Ein Mann namens Hans, auf den sie aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht nennen hätte können, fixiert gewesen war, aber das hatte auch nichts genützt, eher im Gegenteil, und jetzt war sie auf dem besten Weg, diese Fixierung loszuwerden.
Das tat gut, aber danach hatten sie Hunger und Durst. Sie hatten Lust auf eine kleine merenda. Aber es war schon viel später, als sie dachten. Sie hätten geschätzt, es sei Viertel vor zwölf, doch es war schon halb drei.
Dass ihnen die Zeit miteinander so schnell verging, war ja schön. Nun aber hatten sie ein kleines Problem. Ihre Mägen knurrten. Und ihre Kehlen waren trocken. Doch es war die Zeit der Nachmittagsruhe, die damals in der Gegend südlich von Siena noch streng eingehalten wurde.
Das merkten sie, sobald sie auf die Via Cassia zurückgefunden hatten. Wozu sie übrigens auch noch ein Weilchen brauchten. Es muss dann schon gegen drei gewesen sein. Kilometer um Kilometer kein offenes Lokal.
Keine Pizzeria, keine Bar, kein Alimentari-Laden. Nicht einmal eine Imbissstube an einer Tankstelle. Und je weiter die beiden nach Süden kamen, desto häufiger waren die Hügel links und rechts der Straße schon abgemäht. Wie Dünen sahen die aus. Sie kamen sich vor wie in der Wüste.
Doch dann erschien rechter Hand auf einer kleinen Anhöhe die Oase. Von der Straße aus sah man vorerst den Kirchturm und ein Stück Mauer. Man sah auch die mit viel Sinn für ästhetische Wirkung gesetzten Zypressen. San Vito Nuovo mit seinen an Lego-Spielzeug erinnernden Reihenhäusern gab es noch nicht.
Bei diesem Anblick schöpften sie wieder Hoffnung. Vielleicht gab es ja da drin eine kleine Osteria. Es sah danach aus, es machte auf sie diesen Eindruck. So fuhren sie also von der Via Cassia ab und hielten an der Porta Pellegrini.
In den späteren Jahren, in denen Julia und Marco noch immer und dann (nach einer mehrjährigen Abstinenz, die sie beide, jeder für sich, nur schwer ertragen hatten) wieder nach San Vito kamen, versuchten sie immer aufs Neue, sich diesen ersten Tag, an dem sie hier eingetroffen waren, zu vergegenwärtigen. Von der ersten Stunde an, von den ersten Schritten, die sie in den Ort hineingingen. Sie kamen also durch die Porta Pellegrini, das nördliche Stadttor. So benannt, weil San Vito nicht nur an der Via Cassia, sondern auch an der Via Francigena, der mittelalterlichen Pilgerstraße, lag, und weil die von Norden kommenden Pilger durch dieses Tor die Stadt betreten hatten.
Sie tauchten kurz durch die Kühle des Stadttors, die Straße, auf der sie auf der anderen Seite herauskamen, zitterte vor Hitze. Nur ein schmaler Streifen Schatten fiel auf die alten Pflastersteine. Kein Mensch war zu sehen, nur ein paar blinzelnde Katzen, sagte Julia. War nicht auch ein Hund dabei? Also gut, ein paar blinzelnde Katzen und ein auf einem Fußabstreifer lungernder Hund.
Eventuell auch eine Ratte im Rinnsal?
Nein, sagte Julia, das war erst am Abend.
Aber die Tauben natürlich, die zwischen den Sandsteinfiguren der alten Kirche saßen. Und im Schlaf oder im Traum gurrten. Falls Tauben träumen.
Aber natürlich träumen Tauben, sagte Marco.
Und was träumen sie deiner Ansicht nach?
Flugträume, sagte Marco. Wunderschöne Flugträume. Gerade, wenn sie schon alt und hässlich sind und kaum mehr fliegen können.
Hatte er das schon damals gesagt, oder sagte er es erst Jahre später? Die Erinnerung, sagte Marco, ist eine immer wieder aufgenommene Montage. Wie ein Film, den man immer aufs Neue schneidet. Manche Szenen nimmt man vielleicht heraus, andere dreht man nach und fügt sie hinzu.
Sie waren also zuerst bis zu der Kirche gekommen, der in den ältesten Bauteilen tausend Jahre alten Collegiata. Und Marco hatte die Minolta gezückt. Zuerst einmal angesichts der zwei Figuren von Pisano. Oder aus der Schule des Pisano - die Kunsthistoriker waren diesbezüglich vorsichtig. Wie dem auch sei, sie flankierten das Südportal der Kirche. Zwar hatte die Zeit ihre Gesichter verwischt und die Falten ihrer Gewänder. Aber die Anmut ihrer Haltung wurde dadurch vielleicht noch deutlicher. Che grazia, sagte Marco, che bellezza!
Das hätte er gern fotografisch festgehalten. Mit oder ohne träumende Tauben im Bild. Aber das Licht war um diese Stunde noch schlecht. Absolut knallig. Es gab fast keine Kontraste.
Das betraf leider auch das Westportal. Mit seinen kaum weniger interessanten Motiven. Zwei vom Zahn der Zeit beharrlich abgenagte Löwen, die nichtsdestoweniger immer noch die verknoteten Säulen trugen, die man, auf ihre steinerne Geduld vertrauend, auf ihre Rücken gestellt hatte. Und die Relieffiguren über dem Architrav - einander lasziv bezüngelnde Ungeheuer, die bei aller beabsichtigten Grausigkeit etwas Witziges hatten, zumindest aus der Gegenwart betrachtet: ein romanischer Comicstrip.
Aber die Sonne war einfach ein Desaster. Jedenfalls vom fotografischen Standpunkt aus. Es nützte nichts, das wurde jetzt einfach nichts Gutes. Vielleicht später, sagte Marco, wenn wir uns gestärkt haben.
Denn das hatten sie ja nicht aus dem Sinn verloren. Dass sie etwas essen und trinken wollten. Ganz im Gegenteil. Nur wo, war die Frage. Womöglich wurde die Nachmittagsruhe in diesem Städtchen noch strenger eingehalten als draußen.
Alles schlief. Oder schien zumindest zu schlafen. Fensterläden geschlossen, Rollläden dicht. Auch in der Via Dante - und die sah immerhin aus wie die Hauptstraße. Die Hoffnung, die sie zuvor, noch im Auto, in diesen von außen gesehen so sympathischen Ort gesetzt hatten, die Hoffnung auf eine kleine, offene Osteria, war drauf und dran, in Enttäuschung umzuschlagen.
Dachten sie später daran, so mussten sie lächeln. In diesem Ort, der ihnen mit der Zeit so vertraut werden sollte, kannten sie sich schlicht und einfach noch nicht aus. Das war logisch und trotzdem, aus der Distanz betrachtet, komisch. Sie hatten noch keine Ahnung von den örtlichen Verhältnissen.
Das Ca!è Italiano, in dessen kleinem Hinterhof sie später so gern saßen, hielten sie für geschlossen. Obwohl Pietro und Bruna, die beiden alten Leute, die in den folgenden Tagen und Wochen so nett zu ihnen waren, bestimmt da drinnen unter dem Ventilator dösten. Die Bar Centrale auf der Piazza hatte tatsächlich zu. Doch es war Mittwoch, und das war dort der traditionelle Ruhetag. Bis zur Bar Osenna im unteren Teil der Via Dante drangen sie gar nicht vor. Stattdessen bogen sie links ab und verliefen sich in den Seitengassen. Sie gingen im Kreis und kamen genau an der Stelle, wo sie abgebogen waren, wieder heraus. Dort gab es damals noch die kleine Coop-Filiale neben der Casa del Popolo, aber die sperrte erst um halb sechs wieder auf.
Schon waren sie entschlossen, zum Auto zurückzukehren, in dem in einer noch in Siena gekauften Plastikflasche ein Rest Mineralwasser sein musste. Schön warm von der Sonne, aber - darüber waren sie sich einig - besser als nichts. Sie mussten was trinken, und nach dem ersten, rettenden Schluck konnten sie ja weiterfahren. Etwa nach Pienza oder Montepulciano, wo die Mittagsruhe vielleicht nicht ganz so lang dauerte.
Wären sie weitergefahren, so hätten sie nie die geringste Ahnung davon gehabt, was ihnen in (oder an) San Vito entgangen wäre. Es wäre für sie ein Ort geblieben, in dem sie eine kurze Pause gemacht, einige Tiere, aber keinen Menschen getroffen und kein Lokal gefunden hatten. Ein Ort, der weiter nichts für sie bedeutet hätte, ein Ort, dessen Name ihnen entfallen wäre. Und bestimmt hätten sie dann nie etwas von der Geschichte von Mortimer und Molly gehört.
Copyright © Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien.
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Autoren-Porträt von Peter Henisch
Peter Henisch wurde 1943 in Wien geboren, er studierte Germanistik, Philosophie, Geschichte und Psychologie. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift Wespennest, seit 1971 arbeitet er als freier Schriftsteller und lebt in Wien. Werke u.a.: Die kleine Figur meines Vaters (1975), Pepi Prohaska Prophet (1986), Steins Paranoia (1988), Morrisons Versteck (1991), Vom Wunsch, Indianer zu werden (1994), Schwarzer Peter (2000). Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, mit seinen Romanen Die schwangere Madonna (2005) und Eine sehr kleine Frau (Deuticke, 2007) war er auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. 2009 ist Der verirrte Messias im Deuticke Verlag erschienen, 2013 sein Roman Mortimer & Miss Molly, 2016 Suchbild mit Katze, das auf der Shortlist zum Österreichischen Buchpreis stand, und zuletzt Siebeneinhalb Leben (2018).
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter Henisch
- 2013, 2. Aufl., 320 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- ISBN-10: 3552062254
- ISBN-13: 9783552062252
- Erscheinungsdatum: 22.08.2013
Pressezitat
"Ein raffiniert erzähltes, schönes Märchen, dessen Romantik von der Sehnsucht bestimmt wird, im Leben nicht nur Schrecken und Finsternis zu finden, sondern auch Glück und Geborgenheit." Wolfgang Huber-Lang, Austria Presse Agentur, 20.08.13"Peter Henisch ist ein zauberhafter Roman geglückt, eine luftig-leichte Liebesgeschichte, die von den Abgründen des Kriegs und den Höhenflügen erotischer - und nicht nur erotischer - Begegnung erzählt. Ein Sommerroman mit heiter-melancholischen Zügen." Günter Kaindlstorfer, Ö1, 23.08.13
"Peter Henisch ist einer der grossen Epiker der österreichischen Literatur": Oliver Pfohlmann, Neue Zürcher Zeitung, 27.07.13
"Eine zwischen Heiterkeit und Melancholie in gekonnter Schwebe gehaltene menschliche Komödie, die nicht nur italophile Leser erfreuen wird." Walter Titz, Kleine Zeitung, 14.09.13
"Ein Liebesroman und eine im besten Sinne des Wortes leichte Lektüre. Große Kunst, die einem jegliches Völlegefühl erspart." Heinrich Steinfest, Stuttgarter Zeitung, 20.09.13
"Der Lorbeer für den besten Liebesroman der Saison ist Peter Henisch zu reichen." Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten, 26.09.13
"Eine intensive und prekäre Liebesgeschichte, deren Lektüre Spaß macht und, man möchte es kaum glauben, Hoffnung vermittelt." Walter Grünzweig, Der Standard, 28.09.13
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