Neue Schuhe zum Dessert
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Neue Schuhezum Dessert von Marian Keyes
LESEPROBE
AN: Susan_inseattle@yahoo.com
VON: Gemma343@hotmail.com
THEMA: Vater entlaufen
Susan, du wolltest wissen, was es an Neuigkeiten gibt. Ich habewelche für dich. Allerdings wirst du vielleicht bereuen, dass du gefragt hast.Sieht so aus, als hätte mein Vater meine Mutter verlassen. Ich weiß nicht, wie ernstdie Sache ist. Melde mich, sobald ich mehr weiß.
Gemma xxx
Als mich der Anruf erreichte, dachte ich, er wäre gestorben.Aus zwei Gründen: Erstens bin ich in letzter Zeit bei einer beunruhigendgroßen Anzahl von Beerdigungen gewesen - Freunde meiner Eltern und, vielschlimmer, Eltern meiner Freunde. Zweitens, Mam rief mich auf meinem Handy an.Das war das erste Mal, denn sie hält hartnäckig an der Überzeugung fest, dassman ein Handy nur von einem anderen Handy aus anrufen kann, als wären es Funkgeräteoder so. Als ich das Telefon ans Ohr hielt und sie stammeln hörte: »Er hat unsverlassen«, ist es also nicht verwunderlich, dass ich dachte, Dad habe ins Grasgebissen und jetzt seien nur noch wir zwei übrig, sie und ich.
»Er hat eine Tasche gepackt und ist gegangen.«
»Er hat eine ...?« Erst da ging mir auf, dass Dad vielleichtdoch nicht tot war.
»Komm nach Hause«, sagte sie.
»Ja, gut ...« Aber ich war gerade arbeiten. Und zwar nichtim Büro, sondern im Ballsaal eines Hotels, wo ich die letzten Vorbereitungenfür eine Chiropraktiker-Konferenz beaufsichtigte. (Thema: Nie mehrRückenschmerzen.) Es war ein Riesenauftrag, und die Vorbereitungenhatten Wochen gedauert. Am Abend zuvor war ich wegen der Ankunft von hundertenvon Delegierten bis halb eins auf gewesen und hatte mich um ihre Problemegekümmert. (Zum Beispiel musste ich die Teilnehmer, die nach der Buchung undvor Beginn der Konferenz wieder mit dem Rauchen angefangen hatten, vonNichtraucherzimmern in Raucherzimmer umquartieren.) Dies war endlich der Tagder Wahrheit, und in weniger als einer Stunde würden zweihundert Chiropraktikerhereinströmen und erwarten, dass Folgendes für sie vorbereitet war:
A. ein Namensschild und ein Stuhl,
B. um 11 Uhr Kaffee und zwei Kekse (einer mit, einer ohne Schokolade),
C. um 12.45 Uhr ein dreigängiges Mittagessen (alternativer Speiseplanfür Vegetarier),
D. um 15.30 Uhr Kaffee und zwei Kekse (beide ohne Schokolade),
E. Aperitif mit anschließendem Galadiner, danach Musik, Tanzund (wahlweise) Flirt.
Als mein Handy klingelte, dachte ich übrigens, es wäre derTyp mit den Leinwänden, um mir zu sagen, dass er auf dem Weg sei. Mit - dasWichtigste daran - den Leinwänden.
»Was ist passiert?«, fragte ich Mam und fühlte mich hin- undhergerissen. Ich kann hier nicht weg ...
»Das erzähl ich dir, wenn du hier bist. Beeil dich. Ich binganz durcheinander, ich weiß gar nicht mehr, was ich tue.«
Das war genug. Ich klappte mein Telefon zu und sah zu Andreahinüber, die offensichtlich schon mitbekommen hatte, dass was passiert war.
»Alles in Ordnung?«, murmelte sie.
»Es ist was mit meinem Dad.«
Ich sah ihr an, dass sie auch dachte, mein Vater wäre überdie Springe geklungen (wie er selbst zu sagen pflegte). (Jetzt spreche ichauch schon so, als wäre er tot.)
»0 Gott ... ist er ... hat er ...?«
»Nein, nein«, beruhigte ich sie, »er lebt.«
»Geh, geh schon, lost« Sie schob mich zum Ausgang, offensichtlicheine Abschiedszene am Sterbebett vor Augen.
»Das geht nicht. Ich muss doch hier bleiben.« Ich zeigte aufden Ballsaal.
»Ich schaffe das schon, wir schaffen das, Moses und ich, undich rufe im Büro an, dass sie Ruth vorbeischicken. Du hast das so gut vorbereitet,was kann da schon schief gehen?«
Die richtige Antwort darauf lautet natürlich: so gut wiealles. Seit sieben Jahren organisiere ich Events, in der Zeit habe ich soziemlich alles gesehen - von Konferenzteilnehmern, die nach einer exzessivenEinnahme von Erfrischungen vom Podium stürzten, bis hin zu Professoren, diesich über die Verteilung der Schokoladenkekse in die Haare gerieten.
»Ja, aber ...« Ich hatte Andrea und Moses eingebläut, dasssie, tot oder lebendig, zu erscheinen hätten, und jetzt war ich selbst imBegriff, den Schauplatz zu verlassen - weswegen eigentlich? Was für ein Tag? Erhatte kaum begonnen, und so viel war schon schief gegangen. Es fing mit meinemHaar an. In letzter Zeit hatte ich keine Zeit gehabt, zum Friseur zu gehen, undam Morgen hatte ich in einem Anfall von Wahnsinn angefangen, selbst daranherumzuschnipseln. Ich wollte den Pony nur ein bisschen kürzer schneiden, unddann konnte ich nicht aufhören, bis er schließlich ganz verstümmelt war.
Manche Leute finden, dass ich ein bisschen wie Liza Minnelliin Cabaret aussehe, aber als ich im Hotel ankam, begrüßte Moses michmit »Lebe lang und glücklich« und hielt die Hand mit gespreizten Fingern zumVulkanier-Gruß hoch. Und als ich ihn bat, den Mann mit den Leinwänden noch malanzurufen, sagte er ganz ernst: »Das wäre unlogisch, Captain.« Von wegen LizaMinnelli, jetzt war ich anscheinend Mr Spock aus Star Trek. (Nur nebenbei:Moses ist kein bärtiger Pensionär aus der Bibel mit staubigem Gewand undKinderschändersandalen, sondern ein hipper Schwarzer nigerianischen Ursprungsmit scharfen Anzügen.)
»Geh!« Andrea schob mich weiter zur Tür. »Pass gut auf dich auf,und melde dich, wenn wir was tun können.«
Das kriegt man zu hören, wenn jemand gestorben ist. Und imnächsten Moment stand ich auf dem Parkplatz. Ein eisiger Januarwind, der einembis in die Knochen fuhr, fegte um mich herum und machte mir bewusst, dass ichmeinen Mantel im Hotel liegen gelassen hatte. Ich ging nicht zurück, es schien nichtwichtig.
Als ich zu meinem Auto kam, pfiff ein Mann anerkennend - wegendes Autos, nicht meinetwegen. Es ist ein Toyota MR2, ein sportlicher kleiner(sehr kleiner, zum Glück bin ich nur ein Meter fünfundfünfzig) Flitzer. Ichhatte ihn nicht ausgesucht - F&F Dignan hatten darauf bestanden. Er würdemir gut stehen, einer Frau in meiner Position. Ach ja, und ihr Sohn hatte ihnmir billig verkauft. Was man so billig nennt.
Männer reagieren sehr unterschiedlich auf das Auto - am Tagepfeifen und zwinkern sie, aber abends, wenn sie betrunken aus dem Pub kommen,sieht die Sache ganz anders aus; dann schlitzen sie das Stoffdach mit demTaschenmesser auf oder schmeißen einen Stein durch das Seitenfenster. Sie habennoch nie versucht, das Auto zu stehlen, sie wollen es nur tödlich treffen, undso hat es mehr Zeit beim Arzt als auf der Straße verbracht. In der Hoffnung,mich mit diesen bitteren, mysteriösen Männern gut zu stellen, hatte ich einenAufkleber auf der Heckscheibe angebracht, auf dem stand: »Mein anderes Auto,ein 89er Cortina, ist in Reparatur.« (Anton hatte ihn für mich gemacht,vielleicht hätte ich ihn entfernen sollen, als Anton ging, aber jetzt war nichtdie Zeit, darüber nachzudenken.)
Stadtauswärts, in Richtung zu meinen Eltern, war die Straße fastleer, während in der Gegenrichtung, nach Dublin hinein, dichter Verkehr floss.Als ich durch den Nebel fuhr, der wie Trockeneis um mich herum waberte, hatteich auf der leeren Straße das Gefühl, dass dies ein Traum war.
Vor fünf Minuten war es noch ein normaler Dienstagmorgengewesen. Da war ich auf den Beginn einer Konferenz eingestellt. Angespannt undaufgeregt, klar - es tauchen in letzter Minute immer irgendwelche Probleme auf -,aber nichts hatte mich auf das hier vorbereitet.
Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde, wenn ichbeim Haus meiner Eltern ankam. Irgendwas war nicht in Ordnung, so viel standfest, auch wenn es nur darum ging, dass Mam ausgetickt war. Ich hielt sie nichtfür den Typ, aber weiß man's? »Er hat eineTasche gepackt ... « Schon das war so unwahrscheinlich wie dass Schweinefliegen können. Mam packt immer den Koffer für Dad, ob er nun zu einerVerkaufskonferenz oder zu einem Golfturnier fährt. Es war also klar, dass Mamsich geirrt hatte. Und das bedeutete, dass sie ausgetickt war oder dass Dadtatsächlich tot war. In der aufkommenden Panik gab ich heftig Gas.
Ich parkte - miserabel - vor dem Haus. (Unauffällige Doppelhaushälfte,Sechzigerjahre.) Dads Auto war nicht da. Tote fahren keine Autos.
Aber das Gefühl der Erleichterung hielt nur so lange an, bismeine Gedanken wieder am Anfang ankamen und in Panik umschlugen. Dad fuhr niemit dem Auto zur Arbeit, er nahm immer den Bus; das fehlende Auto ließ einsehr ungutes Gefühl in mir aufkommen.
Noch bevor ich ausgestiegen war, machte Mam die Tür auf Sietrug einen flauschigen, pfirsichfarbenen Morgenmantel und hatte ihren Pony aufeinen orangefarbenen Lockenwickler gedreht.
»Er hat uns verlassen!«
Ich eilte ins Haus, Richtung Küche. Ich hatte das Bedürfnis,mich zu setzen. Mir kam der völlig verrückte Gedanke, dass Dad in der Küchesitzen und leicht amüsiert sagen würde: »Ich hab ihr schon tausendmal gesagt,dass ich euch nicht verlassen habe, aber sie hört nicht auf mich.« Doch in derKüche war nichts außer kalt gewordenem Toast, Messern mit Butter dran und anderenFrühstücksrelikten.
»Ist was passiert? Habt ihr euch gestritten?« (...)
© Wilhelm Heyne Verlag
Übersetzung: Susanne Höbel
Marian Keyes, 1963 in Limerick geboren, wuchs in Dublin auf und jobbte nach dem Abbruch ihres Jurastudiums einige Jahre in London, bevor sie mit ihrem Debütroman "Wassermelone" einen phänomenalen Erfolg landete. Alle folgenden Romane wurden zu internationalen Bestsellern. Zuletzt bei Heyne erschienen: "Mittelgroßes Superglück" sowie der Kolumnenband "Ich habe keine Macken ...".
Interview mit Marian Keyes
Vorab eine Frage,die nur ein Mann stellen kann: Hilft Schuhe kaufen wirklich gegen Frust?
Oh, ja! Um bei geschlechterspezifischen Aussagen zu bleiben: Dasist ungefähr so, wie wenn sich ein Mann ein neues Auto kauft - nur dass mansich mehr Schuhe als Autos leisten kann! Aber im Ernst: Die Konsumgesellschaftfunktioniert, weil Konsum Spaß machen kann - und Schuhe machen in vielerleiHinsicht Spaß: Sie können Kunstwerke sein; sie können funktional sein; und füreine Frau, die Schwierigkeiten hat, passende Kleider zu finden, gibt es aberimmer Schuhe. Außerdem: Ich habe Größe 35, und wenn ich passende Schuhe finde,ist das ein ganz besonderer Triumph!
Wie in"Auszeit für einen Engel" haben wir es in "Neue Schuhe zumDessert" mit einer Frau zu tun, die erst alles verliert, um dann ein ganzneues Leben zu gewinnen. Ist das eigentlich eine Erfahrung, die Sie auch schoneinmal gemacht haben? Auf Ihrer Website berichten Sie sehr offen von einemAlkoholproblem!
Ja, ich habe eine solche Erfahrung gemacht. Ich denke, dass allmeine Bücher von einer Art Erlösung erzählen. Meist geht es in ihnen um eineFrau, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander in Einklang bringen muss, umweiter voranzukommen, und darum, wie sie sich während dieses Prozesses fühlt.Ich bin eine Alkoholikerin, die sich von ihrer Sucht verabschiedet hat, unddaher erzähle ich diese "Erlösungsgeschichten". So empfinde ich meineigenes Leben.
Allerdings, mein erster Vertrag kam ganz anders zustande, aberauch ich hatte eine Menge Glück. Ich hatte ein paar Kurzgeschichten geschriebenund sie an einen Verlag geschickt. Um als Autorin ernsthafter zu erscheinen,erzählte ich denen, dass ich auch an einem Roman arbeite - was nicht stimmte.Ich dachte, einen Roman zu schreiben, würde zu lange dauern, und ich mochte diesofortige "Belohnung" durch eine fertige Short Story. Der Verlagantwortete - und wollte meinen Roman sehen! Also schrieb ich die ersten vierKapitel dessen, was später mein Roman "Wassermelone" wurde. DerVerlag legte mir dann einen Vertrag über drei Bücher vor (allerdings mit geradeeinmal 400 Euro pro Buch dotiert).
"Neue Schuhezum Dessert" ist eine temporeiche Komödie mit ziemlich viel Sarkasmus -eben ganz wie Gemmas Briefe. Haben Sie also mit Gemma eine Art alter egoporträtiert?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich versuche es immer zuvermeiden, wirkliche Personen in meinen Büchern auftreten zu lassen - michselbst eingeschlossen. Ich glaube aber, die meisten meiner Figuren haben einenSinn für Humor, der dem meinen ähnlich ist. Wenn ich mir eine Figur aussuchensollte, die ich sein wollte, so wäre das Jojo - sie ist so stark!
Im Nachwort kannman erfahren, dass Sie sehr eifrig für das Buch recherchiert haben. Hält manIhnen inzwischen die Tür auf, wenn Ihr Name fällt, oder müssen Sie manchmalnoch Überzeugungsarbeit leisten - z.B. bei den Männern vom New York FireDepartment?
Ich hatte dabei überhaupt keine Probleme, und ich glaube nicht,dass das etwas mit meinem Namen zu tun hatte. Das lag einfach daran, dass meineSchwester einen Freund bei der New Yorker Feuerwehr hat, und er hat das allesfür mich arrangiert. Es so zu machen, ist oft der beste Weg. Es hat solchenSpaß gemacht, die Feuerwache zu besuchen. Ich war dort mit meiner Schwester undeiner anderen Freundin - während ich meinen Mann dazu verdonnert hatte, zuHause zu bleiben! Für meine früheren Bücher musste ich wenig recherchieren,aber mit jedem Buch wird die Recherche umfangreicher. Es ist nicht immer so,dass mir das wahnsinnig viel Spaß machen würde, aber es ist unbedingtnotwendig.
Ihre fünf erstenBücher wurden weltweit 5 Millionen Mal verkauft. Kommt hier mit jedem neuenTitel eine weitere Million hinzu?
Zum Glück ist es augenblicklich sogar noch mehr! Im Momentverkaufe ich, glaube ich, von den englischsprachigen Ausgaben jedes Buches eineMillion Exemplare, außerdem eine weitere Million von den Ausgaben in anderenSprachen (vor allem Deutsch, Schwedisch und Spanisch). So ist die Gesamtzahlder verkauften Exemplare mittlerweile auf zehn Millionen gestiegen!
Die Fragen stellteHenrik Flor, Literaturtest.
- Autor: Marian Keyes
- 2006, 720 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Hoebel, Susanne
- Übersetzer: Susanne Höbel
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453580192
- ISBN-13: 9783453580190
- Erscheinungsdatum: 02.01.2006
5 von 5 Sternen
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