Niemand, der mit mir geht
Sie meint es politisch und weiß, es gilt auch für ihr Leben. Vera trennt sich von ihrem Mann und geht den dornigen Weg der Politik...
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Sie meint es politisch und weiß, es gilt auch für ihr Leben. Vera trennt sich von ihrem Mann und geht den dornigen Weg der Politik alleine weiter.
Nadine Gordimer, geboren 1923 in Transvaal, erhielt 1991 den Nobelpreis für Literatur.
Niemandder mit mir geht von NadineGordimer
LESEPROBE
Und wer war das?
Es gibt immer jemanden,an den sich keiner mehr erinnert. In dem Gruppenfoto nehmen nur jene, dieinzwischen prominent oder berüchtigt geworden sind oder deren Gesichter durchgemeinsam Erlebtes zurückverfolgt werden können, Raum und Zeit ein, glänzendverflacht.
Wer könnte das gewesensein? Die baumelnden Hände und die ordentlich für die Kamera zusammengestelltenFüße, das Halblächeln im Profil, den Kopf der Persönlichkeit zugewandt, die derMittelpunkt des bewahrten Moments sein sollte. Es ist im Grunde ein Einzelbild,zu einer höheren Intensität entwickelt. Am Rande dieses Brennpunktes ist nochetwas, eine Anfügung, man könnte sie bei der Vergrößerung auch weglassen, dadie periphere Gestalt im Akt des Erkennens und in der besonderen Erinnerung,die das Foto auslöst, keine Bedeutung hat.
Wenn aber jemand käme,der - warte mal! - die Gestalt erkennen würde, an die sich niemand erinnert,dann würde sich sofort eine andere Lesart des Fotos entwickeln. Etwas anderes,eine andere Bedeutung wäre da; das, was damals, auf dem Weg, auf sich genommenwurde, wäre wieder gegenwärtig. Etwas Geheimes vielleicht. Das so unscheinbareingefangen wurde.
Vera Stark, mit ihrerAnwaltsausbildung und dem Ordnungsdrang, der mit dem Altern kommt, stieß aufein Foto, das sie seit langem zusammen mit allem, was sie in den verschiedenenNeuanfängen der Jahre abgelegt hatte, weggeworfen glaubte. Aber es war keinBild, das sie übersehen hatte. Es war das Foto, das sie ihrem ersten Mannwährend des Krieges in sein Offiziersquartier in Ägypten geschickt hatte -während ihres Krieges, des richtigen Krieges, nicht jener Kriege, die ihmfolgten und die ohne Siegesparaden kamen und gingen. Er mußtedas Foto aufgehoben haben. Mußte es in seinerFeldausrüstung mit zurückgebracht haben. Es war eine Ansichtskarte - dieAnsichtskarte, die sie ihm von einem Ausflug in die Berge geschickt hatte; einFoto der kleinen Feriengruppe von Freunden, mit denen sie gefahren war. Was sieauf die Rückseite geschrieben hatte (sie drehte das Foto jetzt um, als höhe sie einen alten Stein), waren die üblichentelegrafischen paar Zeilen, die sie hingekritzelt hatte, während sie dieBriefmarke kaufte - das Wetter wunderbar, sie kletterte, wanderte Meilen proTag, schwamm in kleinen, sauberen Teichen, das Hotel so, wie er es kannte, aberziemlich runtergekommen. Grüße von diesem oder jenem - denn die, die dauntergehakt standen, waren ihre gemeinsamen Freunde. Es gab nur ein neuesGesicht: ein Mann zu ihrer Linken, dem sie einen Kreis um den Kopf gemalthatte. Sie nannte ihn in einer Zeile, die senkrecht neben ihren Bericht vomWetter gequetscht war, beim Namen.
Was auf dem Rücken desFotos geschrieben stand, war nicht ihre Botschaft. Ihre Botschaft war derTintenring um das Gesicht des Fremden: dies ist das Bild des Mannes, der meinLiebhaber ist. Ich bin in ihn verliebt, ich schlafe mit diesem Mann, der nebenmir steht; siehst du, ich bin offen und ehrlich zu dir.
Ihr Mann hatte nur denText auf der Rückseite gelesen. Als er nach Hause kam, verstand er nicht, daß er nicht zu ihr zurückkehren konnte. Sie verteidigtesich, überrascht, wieder und wieder: »Ich hab's dir doch gezeigt, ich hab seinFoto neben mir umkringelt. Ich hab geglaubt, daß wiruns zumindest so gut kennen... Wie konntest du das nicht verstehen! Du wolltestdas nicht verstehen.«
Aber ja, er mußte es in allerUnschuld mit seinen anderen Souvenirs zurückgebracht haben, den Dingen ausseinem Krieg. Er brachte es mit, und hier war es, war irgendwie nicht zerrissenoder fortgeworfen worden, als sie im praktischen Teil der Scheidung ihreBesitztümer aufteilten. Fünfundvierzig Jahre später sah sie das Foto wieder an,sah in seiner Existenz - es hatte in einem Regal unter einigen altenPlattenhüllen gelegen und war so zu ihr zurückgekommen -, daßdies die Wahrheit war: die Existenz seiner Unschuld, für immer. ()
© Suhrkamp Verlag
Übersetzung: Aus dem Englischen von Friederike Kuhn
- Autor: Nadine Gordimer
- 1997, 2. Aufl., 362 Seiten, Maße: 10,6 x 17,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Friederike Kuhn
- Verlag: Suhrkamp
- ISBN-10: 351839150X
- ISBN-13: 9783518391501
- Erscheinungsdatum: 25.02.1997
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