Nietzsche und Wagner
Geschichte einer Hassliebe
Beide hielten sich für Genies, beide wollten Großes schaffen. Der eine hat die Musik, der andere die Philosophie des 19. Jahrhunderts revolutioniert. Als sie sich 1868 erstmals trafen, entspann sich eine geradezu symbiotische Beziehung, bis die innige...
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Produktinformationen zu „Nietzsche und Wagner “
Klappentext zu „Nietzsche und Wagner “
Beide hielten sich für Genies, beide wollten Großes schaffen. Der eine hat die Musik, der andere die Philosophie des 19. Jahrhunderts revolutioniert. Als sie sich 1868 erstmals trafen, entspann sich eine geradezu symbiotische Beziehung, bis die innige Zuneigung in unerbittliche Feindschaft umschlug. Diesem tragikomischen Kapitel im Leben Richard Wagners und Friedrich Nietzsches widmet die erfahrene Biographin Kerstin Decker ihr neues Buch.
Lese-Probe zu „Nietzsche und Wagner “
Nietzsche und Wagner von Kerstin DeckerVorbemerkung
Zwei Sachsen sind verantwortlich für die sublimsten, zartesten Laute, die in ihrem Jahrhundert zu Musik und Sprache wurden, weit hinüberwehend zu uns. Welche bis dahin - und noch immer - unerhörten Einführungen ins Dasein! Beide verstanden sich neben allerleisesten Tönen auch auf Kriegsrufe und fielen durch lang nachwirkende Grobheiten auf.
Nietzsche und Wagner, zwei große Seelen(ver)führer. Wendungen, in denen das Wort »Führer« vorkommt, haben in unseren Ohren keinen guten Klang. Beide gehören bis heute zum Kreis der Personen, vor denen am meisten gewarnt wird. Aber nur wer zurückhaltend von sich denkt, hat Grund zur Sorge. Die anderen entscheiden selbst, ob und wo sie abbiegen. Jedoch: Verführungen sollte man sich überlassen.
Richard Wagner und Friedrich Nietzsche waren befreundet, nein, genauer, sie haben sich geliebt. Wer jetzt fragt »Wieso?«, mag seinen Liebesbegriff überdenken.
Dies ist, um es vorsichtig zu sagen, nicht die erste Publikation über den Bund des Musikers, der auch ein Philosoph war, mit dem Philosophen, der auch ein Musiker war. Jeder Autor, der das soundsovielte Buch über einen Gegenstand schreibt, rechtfertigt dies durch die abenteuerliche Annahme, eine lange Irrfahrt des Geistes zu beenden. Vorliegende Studie macht da keine Ausnahme; Hinweise finden sich zur Schonung des Lesers erst an Ort und Stelle. Hier nur so viel: Nuancierungen sind Grundsatzentscheidungen!
Zeitgenossen erschlugen Richard Wagner und Friedrich Nietzsche mit Titeln schwer wie Granitplatten, vorzugsweise »Geistesheros« oder »Genius«. In der Formulierung kaum, aber in der Sache haben sie recht: Die Begegnung beider ist in der deutschen Geistesgeschichte nur der Goethes und Schillers vergleichbar.
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Doch nicht nur ihr Begriff der Griechen war keineswegs klassisch. Ihr »Bund« war es auch nicht. Mich schaudert immer bei dem Gedanken, ich könnte abseits von Ihnen liegen geblieben sein1, teilte der junge Friedrich Nietzsche dem mehr als dreißig Jahre Älteren mit, um sich fünfzehn Jahre später zu korrigieren: Ist Wagner überhaupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krankheit? Er macht Alles krank, woran er rührt ... Ich habe Lust, ein wenig die Fenster aufzumachen. Luft! Mehr Luft! -2 Es gibt nur eine Entschuldigung für solchen Sinneswandel: vollkommene Aufrichtigkeit.
Was lag hier vor? Ein Rätsel, riefen die einen. Verrat!, meinten die anderen. Konsequenz, höchste Form der Treue: Treue gegen sich selbst!, vermuteten Dritte.
Die Hinterbliebenen der ersten Nach-Nietzsche- und NachWagner- Generation spezialisierten sich zumeist auf bellizistische Untersuchungen des Typs »Wer war der Schuft?«. Zwei Damen bewachten inzwischen den Hort der Toten, Nietzsches Schwester in Weimar und Cosima Wagner in Bayreuth. Letztere hielt schon die Existenz des Konkurrenzhorts Nietzsche für ein Missverständnis und sah mit ohnmächtiger Bestürzung den Resonanzraum des Jüngeren europaweit werden. Einst war er auch ihr Freund; die Lektüre des »Zarathustra« fasste sie gleichwohl in den bündigen und für eine Dame mit aristokratischem Hintergrund erstaunlichen Befund: »Spasmen der Impotenz«. Welch überraschende Evaluationsebene einer Philosophie. Aber die Dame war auf der richtigen Spur.
Die Hauptpersonen dieses Buches stellten nicht zuletzt Fragen der Form: Kann der Unterleib denken? Nietzsches Philosophie ist hierauf eine Antwort. Und wenn er Musik machen würde, wie würde sie klingen? Wagners Musik ist hierauf eine Antwort.
Die exzentrischen Ausflüge der Physis weisen auf ihre akute Erlösungsbedürftigkeit. Oder ist es die des Geistes? Man dürfte von einer Vergeistigung der Sexualität sprechen, vorausgesetzt, das eine verschwindet nicht im anderen. Im Gegenteil!
Wer je den Anfang des »Tristan« gehört hat, weiß es: Zwei gegenläufige chromatische Linien stürzen aufeinander zu, zwei Quarten verharren nur im Abstand einer Terz übereinander. Da können sie unmöglich bleiben. Da können sie aber auch nicht weg, jedenfalls nicht so, wie es die Musik bisher vorsah. Wie dann? Es ist eine schier unerträgliche Anziehung und Abstoßung zugleich. So viel Abgrund, so viel leerer Raum war noch nie in der Musik. Und zur selben Zeit so viel schmerzliche Gebundenheit. Der Tristanakkord, Tor zur Moderne in der Musik, ist eine gute Gelegenheit für einen Selbsttest. Wer Ohren hat, das zu hören, zählt zu den Erlösungsbedürftigen. Anders gesagt: Wer Ohren hat, das zu hören, hört überhaupt etwas.
Ohne Erlösungsbedürftigkeit keine Musik. Das wusste auch Friedrich Nietzsche, fähig zu äußersten Bekenntnissen in aller Beiläufigkeit: Ich weiss keinen Unterschied zwischen Tränen und Musik zu machen.
Die tiefste Differenz zwischen diesen beiden genialen Atheisten muss demnach eine erlösungstheoretische sein.
Nietzsche wollte, wie zu zeigen ist, Wagner in genau zwei Disziplinen überholen, in denen er bis dato ungeschlagen war: als Erlöser und als Erlösungsbedürftiger. Statt Menschenrechte dachte Friedrich Nietzsche Menschenpflichten und entdeckte bei dieser Gelegenheit eine, von der noch niemand wusste: die Pflicht zur Selbsterlösung. Erlösung durch Fremde, durch Frauen gar, ist Unfug.
Das kann nicht sein!, sagt Wagners Musik.
Die folgenden dreihundert Seiten widmen sich der Frage: Wer hat recht? Und warum beide?
Nichts von dem, was hier folgt, ist fiktiv.
Eventuell romanhafte Anmutungen sind allein der Darstellungsweise geschuldet.
Zugrunde liegen Selbstzeugnisse und Briefe Friedrich Nietzsches und Richard Wagners, die maßgebliche biographische Literatur, vor allem aber: beider Werk. Alle Zitate Nietzsches sind kursiv gedruckt.
Leben heißt, beschriftet zu werden. Mit einer Tinte, die unter die Haut geht. Im Fall Richard Wagners sind dieserart Eintragungen ungewöhnlich zahlreich, und der existentielle Kalligraph ist schon 55 Jahre bei der Arbeit, als der Erneuerer der Musik und der conditio humana dem Erneuerer der Philosophie und der conditio humana begegnet. Unmöglich also, den Älteren als leeres Blatt erscheinen zu lassen. Unmöglich aber auch, die fehlenden Seiten einfach nachzuliefern, denn dann ginge es in diesem Buch mehr rück- als vorwärts.
Die Autorin gesteht, an diesem Form-Konflikt beinahe verzweifelt zu sein. Die einzig mögliche Lösung schien eine doppelte. So gibt es im Folgenden Kapitel, die etwa der Frage nachgehen: Wie und bei welcher Gelegenheit wurde Richard Wagner Richard Wagner? Man wird einsehen, dass dies eine dem Thema nicht ganz äußerliche Erkundigung ist, gleichwohl wird der Leser jedes Mal rechtzeitig gewarnt. Weglassen ist möglich! Es soll nicht behauptet werden, dass es ohne Verluste möglich wäre, aber es ist ohne Irritation möglich!
Wir wissen, wie es mit denen, die vor uns waren, weiter- und ausging. Sie aber wussten das nicht. Darum gilt es, etwas zu rekonstruieren, was nicht auf den ersten Blick Aufgabe des Biographen zu sein scheint: die Dunkelheit. Mit Blochs schönem Wort: das Dunkel des gelebten Augenblicks.
© List TB. (Verlag)
Doch nicht nur ihr Begriff der Griechen war keineswegs klassisch. Ihr »Bund« war es auch nicht. Mich schaudert immer bei dem Gedanken, ich könnte abseits von Ihnen liegen geblieben sein1, teilte der junge Friedrich Nietzsche dem mehr als dreißig Jahre Älteren mit, um sich fünfzehn Jahre später zu korrigieren: Ist Wagner überhaupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krankheit? Er macht Alles krank, woran er rührt ... Ich habe Lust, ein wenig die Fenster aufzumachen. Luft! Mehr Luft! -2 Es gibt nur eine Entschuldigung für solchen Sinneswandel: vollkommene Aufrichtigkeit.
Was lag hier vor? Ein Rätsel, riefen die einen. Verrat!, meinten die anderen. Konsequenz, höchste Form der Treue: Treue gegen sich selbst!, vermuteten Dritte.
Die Hinterbliebenen der ersten Nach-Nietzsche- und NachWagner- Generation spezialisierten sich zumeist auf bellizistische Untersuchungen des Typs »Wer war der Schuft?«. Zwei Damen bewachten inzwischen den Hort der Toten, Nietzsches Schwester in Weimar und Cosima Wagner in Bayreuth. Letztere hielt schon die Existenz des Konkurrenzhorts Nietzsche für ein Missverständnis und sah mit ohnmächtiger Bestürzung den Resonanzraum des Jüngeren europaweit werden. Einst war er auch ihr Freund; die Lektüre des »Zarathustra« fasste sie gleichwohl in den bündigen und für eine Dame mit aristokratischem Hintergrund erstaunlichen Befund: »Spasmen der Impotenz«. Welch überraschende Evaluationsebene einer Philosophie. Aber die Dame war auf der richtigen Spur.
Die Hauptpersonen dieses Buches stellten nicht zuletzt Fragen der Form: Kann der Unterleib denken? Nietzsches Philosophie ist hierauf eine Antwort. Und wenn er Musik machen würde, wie würde sie klingen? Wagners Musik ist hierauf eine Antwort.
Die exzentrischen Ausflüge der Physis weisen auf ihre akute Erlösungsbedürftigkeit. Oder ist es die des Geistes? Man dürfte von einer Vergeistigung der Sexualität sprechen, vorausgesetzt, das eine verschwindet nicht im anderen. Im Gegenteil!
Wer je den Anfang des »Tristan« gehört hat, weiß es: Zwei gegenläufige chromatische Linien stürzen aufeinander zu, zwei Quarten verharren nur im Abstand einer Terz übereinander. Da können sie unmöglich bleiben. Da können sie aber auch nicht weg, jedenfalls nicht so, wie es die Musik bisher vorsah. Wie dann? Es ist eine schier unerträgliche Anziehung und Abstoßung zugleich. So viel Abgrund, so viel leerer Raum war noch nie in der Musik. Und zur selben Zeit so viel schmerzliche Gebundenheit. Der Tristanakkord, Tor zur Moderne in der Musik, ist eine gute Gelegenheit für einen Selbsttest. Wer Ohren hat, das zu hören, zählt zu den Erlösungsbedürftigen. Anders gesagt: Wer Ohren hat, das zu hören, hört überhaupt etwas.
Ohne Erlösungsbedürftigkeit keine Musik. Das wusste auch Friedrich Nietzsche, fähig zu äußersten Bekenntnissen in aller Beiläufigkeit: Ich weiss keinen Unterschied zwischen Tränen und Musik zu machen.
Die tiefste Differenz zwischen diesen beiden genialen Atheisten muss demnach eine erlösungstheoretische sein.
Nietzsche wollte, wie zu zeigen ist, Wagner in genau zwei Disziplinen überholen, in denen er bis dato ungeschlagen war: als Erlöser und als Erlösungsbedürftiger. Statt Menschenrechte dachte Friedrich Nietzsche Menschenpflichten und entdeckte bei dieser Gelegenheit eine, von der noch niemand wusste: die Pflicht zur Selbsterlösung. Erlösung durch Fremde, durch Frauen gar, ist Unfug.
Das kann nicht sein!, sagt Wagners Musik.
Die folgenden dreihundert Seiten widmen sich der Frage: Wer hat recht? Und warum beide?
Nichts von dem, was hier folgt, ist fiktiv.
Eventuell romanhafte Anmutungen sind allein der Darstellungsweise geschuldet.
Zugrunde liegen Selbstzeugnisse und Briefe Friedrich Nietzsches und Richard Wagners, die maßgebliche biographische Literatur, vor allem aber: beider Werk. Alle Zitate Nietzsches sind kursiv gedruckt.
Leben heißt, beschriftet zu werden. Mit einer Tinte, die unter die Haut geht. Im Fall Richard Wagners sind dieserart Eintragungen ungewöhnlich zahlreich, und der existentielle Kalligraph ist schon 55 Jahre bei der Arbeit, als der Erneuerer der Musik und der conditio humana dem Erneuerer der Philosophie und der conditio humana begegnet. Unmöglich also, den Älteren als leeres Blatt erscheinen zu lassen. Unmöglich aber auch, die fehlenden Seiten einfach nachzuliefern, denn dann ginge es in diesem Buch mehr rück- als vorwärts.
Die Autorin gesteht, an diesem Form-Konflikt beinahe verzweifelt zu sein. Die einzig mögliche Lösung schien eine doppelte. So gibt es im Folgenden Kapitel, die etwa der Frage nachgehen: Wie und bei welcher Gelegenheit wurde Richard Wagner Richard Wagner? Man wird einsehen, dass dies eine dem Thema nicht ganz äußerliche Erkundigung ist, gleichwohl wird der Leser jedes Mal rechtzeitig gewarnt. Weglassen ist möglich! Es soll nicht behauptet werden, dass es ohne Verluste möglich wäre, aber es ist ohne Irritation möglich!
Wir wissen, wie es mit denen, die vor uns waren, weiter- und ausging. Sie aber wussten das nicht. Darum gilt es, etwas zu rekonstruieren, was nicht auf den ersten Blick Aufgabe des Biographen zu sein scheint: die Dunkelheit. Mit Blochs schönem Wort: das Dunkel des gelebten Augenblicks.
© List TB. (Verlag)
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Autoren-Porträt von Kerstin Decker
Decker, KerstinKerstin Decker, geboren 1962 in Leipzig, ist promovierte Philosophin, Reporterin des Tagesspiegel und Kolumnistin der taz. Sie lebt in Berlin. Im Propyläen Verlag erschienen von ihr Biographien über Heinrich Heine, Paula Modersohn-Becker, Else Lasker-Schüler, Lou Andreas-Salomé und die Doppelbiographie über Nietzsche und Wagner.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kerstin Decker
- 2014, 1. Auflage., Maße: 12,1 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548611982
- ISBN-13: 9783548611983
- Erscheinungsdatum: 08.01.2014
Rezension zu „Nietzsche und Wagner “
"Kerstin Decker schreibt mit federnder Leichtigkeit und leiser, dezenter Ironie." Klaus Bellin Neues Deutschland 20101215
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