Odd Thomas Band 2: Seelenlos
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Produktinformationen zu „Odd Thomas Band 2: Seelenlos “
Odd Thomas ist außer sich - sein kranker Freund wurde entführt. Sofort macht er sich auf die Suche nach ihm. Dabei gerät er in ein ausgebranntes Indianercasino in der kalifornischen Wüste. Eine mörderische Falle: Denn dort erwartet ihn Datura, die Schamanin eines Kultes, der Odd das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Klappentext zu „Odd Thomas Band 2: Seelenlos “
Der zweite Roman um Odd ThomasAls sein kranker Freund entführt wird, macht sich Odd Thomas fieberhaft auf die Suche nach ihm. Die Spur führt Odd in ein ausgebranntes Indianercasino in der kalifornischen Wüste. Eine mörderische Falle, wie sich bald herausstellt. Denn dort erwartet ihn Dattura, die selbst ernannte Schamanin eines Kultes, der Odd das Blut in den Adern gefrieren lässt.
"Mit Odd Thomas hat Dean Koontz seine faszinierendste Figur geschaffen." -- The New York Times
"Ein Autor voller Einfallsreichtum und ein absolut mitreißender Held." -- The Washington Post
"Odd Thomas ist durch seine besondere Begabung, seine Intelligenz und seinen Humor eine der eindringlichsten modernen Romanfiguren." -- Publishers Weekly, starred Review
"Ein Autor voller Einfallsreichtum und ein absolut mitreißender Held." -- The Washington Post
"Odd Thomas ist durch seine besondere Begabung, seine Intelligenz und seinen Humor eine der eindringlichsten modernen Romanfiguren." -- Publishers Weekly, starred Review
Lese-Probe zu „Odd Thomas Band 2: Seelenlos “
Seelenlos von Dean Koontz1
Beim Aufwachen hörte ich, wie ein warmer Windstoß das lose Fliegengitter am offenen Fenster klappern ließ, und ich dachte: Stormy. Doch sie war es nicht.
Die Wüstenluft roch schwach nach Rosen, die nirgendwo blühten, und nach Staub, der in der Mojave zwölf Monate pro Jahr gedeiht. Niederschlag fällt in Pico Mundo, meiner Heimatstadt, nur während des kurzen Winters. Dies war zwar eine Februarnacht, doch die milde Luft war nicht vom angenehmen Duft des Regens erfüllt.
Ich hoffte, ein abklingendes Grollen zu hören, aber wenn mich tatsächlich ein lauter Schlag aufgeweckt hatte, dann musste er in meinem Traum vorgekommen sein.
Mit angehaltenem Atem lag ich da, lauschte der Stille und spürte, wie die Stille mir lauschte.
Der Wecker auf dem Nachttisch malte glühende Ziffern in die Dunkelheit – zwei Uhr einundvierzig. Eine kleine Weile überlegte ich, ob ich im Bett bleiben sollte, aber inzwischen schlafe ich nicht mehr so gut wie damals, als ich jung war. Ich bin einundzwanzig und doch viel älter als noch vor einem Jahr.
Bestimmt hatte ich Gesellschaft. In der Erwartung, dass ein doppelter Elvis über mich wachte, einer mit mutwilligem Lächeln und der andere mit trauriger Besorgtheit, setzte ich mich auf und knipste die Lampe an.
Nur ein einzelner Elvis stand in der Ecke, als lebensgroße Pappfigur, die einmal im Kino Werbung für Blue Hawaii gemacht hatte. Mit seinem Hawaiihemd und seiner Blumenkette sah er selbstbewusst und glücklich aus.
Damals, 1961, hatte er gute Gründe, glücklich zu sein. Blue Hawaii lief fantastisch, und das dazugehörige Album schoss an die Spitze der Hitparade. In diesem Jahr erhielt er sechs goldene Schallplatten, unter anderem für »Can’t Help Falling in Love«, und im Einklang mit genanntem Titel verliebte er sich in
... mehr
Priscilla Beaulieu.
Weniger glücklich war, dass er auf Drängen seines Managers Tom Parker die Titelrolle in West Side Story zugunsten mittelmäßiger Filmkost wie Ein Sommer in Florida ausgeschlagen hatte. Gladys Presley, seine geliebte Mutter, war zwar schon drei Jahre tot, doch er litt noch immer sehr unter dem Verlust. Obwohl er erst sechsundzwanzig war, bekam er bereits Gewichtsprobleme.
Der Papp-Elvis lächelt auf ewig; er ist immer jung, unfähig, sich zu irren oder etwas zu bedauern, unberührt von Gram, fern jeder Verzweiflung.
Ich beneide ihn. Es gibt kein Pappmodell von mir, wie ich einmal war und wie ich nie wieder sein kann. Im Lampenlicht war jemand anders sichtbar, der ebenso geduldig wie verzweifelt wirkte. Offenbar hatte er mich im Schlaf beobachtet und gewartet, bis ich aufwachte. »Hallo, Dr. Jessup«, sagte ich.
Dr.Wilbur Jessup war nicht in der Lage, mir zu antworten.
Kummer überzog sein Gesicht. Seine Augen waren trostlose Tümpel, in deren einsamer Tiefe jede Hoffnung ertrunken war. »Tut mir leid, Sie hier zu sehen«, sagte ich.
Er ballte die Hände zur Faust, nicht mit der Absicht, auf irgendetwas einzuschlagen, sondern als Ausdruck der Frustration. Die Fäuste presste er an seine Brust.
Bisher hatte Dr. Jessup meine Wohnung noch nie aufgesucht, und im Herzen wusste ich, dass er nicht mehr nach Pico Mundo gehörte. Dennoch hätte ich das lieber geleugnet, weshalb ich ihn erneut ansprach, während ich aus dem Bett kroch. »Habe ich die Tür nicht abgeschlossen?«
Er schüttelte den Kopf. Tränen standen in seinen Augen, doch ich hörte ihn nicht heulen, ja nicht einmal wimmern. Ich holte ein Paar Jeans aus dem Kleiderschrank und schlüpfte hinein. »In letzter Zeit bin ich vergesslich«, sagte ich.
Er öffnete die Fäuste und starrte seine Handflächen an. Die Hände zitterten. Er vergrub das Gesicht darin. »Es gibt so viel, was ich vergessen möchte«, fuhr ich fort, während ich Socken und Schuhe anzog, »aber leider entfällt mir nur irgendwelcher Kleinkram – zum Beispiel, wo ich den Schlüsselbund hingelegt habe, ob die Tür abgeschlossen ist, dass ich Milch besorgen muss …«
Dr. Jessup, von Beruf Radiologe am örtlichen Krankenhaus, war ein sanfter, stiller Mensch. So still war er allerdings noch nie gewesen.
Weil ich im Bett kein T-Shirt getragen hatte, zog ich ein weißes aus einer Schublade.
Ich besitze ein paar schwarze T-Shirts, aber vor allem weiße. Abgesehen von einer Auswahl Bluejeans habe ich zwei Paar leichte weiße Baumwollhosen.
In diese Wohnung ist nur ein kleiner Kleiderschrank eingebaut. Er steht zur Hälfte leer. Das gilt auch für die unteren Schubladen meiner Kommode.
Ich besitze weder einen Anzug noch eine Krawatte. Schuhe, die gewienert werden müssen, ebenfalls nicht. Für kühles Wetter habe ich zwei Rundhalspullover. Einmal habe ich mir einen Pullunder gekauft. Vorübergehender Wahnsinn. Als mir am nächsten Tag klar wurde, dass meine Garderobe dadurch undenkbar kompliziert geworden war, brachte ich ihn sofort in den Laden zurück.
Mein hundertachtzig Kilo schwerer Freund und Mentor P. Oswald Boone hat warnend bemerkt, mein Kleidungsstil stelle eine ernsthafte Bedrohung für die Textilindustrie dar.
Wie ich daraufhin schon mehr als einmal angemerkt habe, besitzt Ozzie eine Garderobe von derart gewaltigen Dimensionen, dass er die von mir angeblich bedrohten Textilfabriken problemlos über Wasser halten kann.
Dr. Jessup war barfuß und trug einen Baumwollpyjama, der aussah, als hätte sein Besitzer sich die ganze Nacht ruhelos im Bett gewälzt.
»Ich wünschte, Sie würden mit mir sprechen«, sagte ich zu ihm. »Das wäre wirklich schön.«
Statt mir zu gehorchen, nahm der Radiologe die Hände vom Gesicht, drehte sich um und verließ das Schlafzimmer. Ich warf einen Blick auf die Wand über dem Bett. Dort hängt eine unter Glas gerahmte Karte aus einem Wahrsageautomaten auf dem Rummelplatz. Sie verspricht: ES IST EUCH BESTIMMT, FÜR IMMER ZUSAMMEN ZU SEIN.
Jeden Morgen beginne ich meinen Tag damit, diesen Satz zu lesen. Jeden Abend lese ich ihn wieder, manchmal mehr als einmal, vor dem Einschlafen, falls ich überhaupt einschlafen kann. Was mich aufrecht hält, ist die Gewissheit, dass das Leben einen Sinn hat. Wie der Tod.
Ich nahm mein Handy vom Nachttisch. Die erste Kurzwahlnummer verbindet mich mit dem Büro von Wyatt Porter, dem Polizeichef von Pico Mundo. Die zweite ist seine Privatnummer und die dritte die seines Mobiltelefons.
Wahrscheinlich musste ich mich noch vor der Morgendämmerung mit Chief Porter in Verbindung setzen, auf der einen oder anderen Nummer.
Als ich im Wohnzimmer das Licht anknipste, stellte ich fest, dass Dr. Jessup dort im Dunkeln gestanden hatte, zwischen den aus Secondhandläden stammenden Schätzen, mit denen die Wohnung möbliert ist.
Ich ging zur Wohnungstür und zog sie auf, doch Dr. Jessup reagierte nicht. Er hatte zwar bei mir Hilfe gesucht, brachte jedoch offenbar nicht genügend Mut für das auf, was uns erwartete. Offenbar gefiel ihm die eklektische Einrichtung, die vom rötlichen Licht einer alten Bronzelampe beschienen wurde: nüchterne Holzsessel, plumpe viktorianische Fußschemel, Drucke von Maxfield Parrish, bunte Glasvasen.
»Nehmen Sie’s mir nicht übel«, sagte ich, »aber Sie gehören nicht hierher, Sir.«
Dr. Jessup betrachtete mich schweigend und mit flehentlicher Miene. »Dieser Ort ist bis zum Rand mit Vergangenheit angefüllt. Hier ist Raum für Elvis und mich – und für Erinnerungen –, aber nicht für jemand Neuen.«
Damit trat ich in den Flur und zog die Tür zu. Ich lebe in einer von zwei Wohnungen, die man im ersten Stock einer feudalen viktorianischen Villa untergebracht hat. Trotz des Umbaus besitzt der weitläufige Bau noch immer beträchtlichen Charme.
Jahrelang habe ich in einer Einzimmerwohnung oberhalb einer Garage gelebt. Mein Bett war nur wenige Schritte vom Kühlschrank entfernt. Damals war das Leben einfacher und die Zukunft klar.
Umgezogen bin ich nicht, weil ich mehr Platz brauchte, sondern weil mein Herz nun hierher gehört, für immer. In die Haustür ist ein ovales Bleiglasfenster eingesetzt. Die Nacht dahinter war zu einem Muster verzerrt, das jedermann verstehen konnte. Als ich auf die Veranda trat, zeigte sich, dass diese Nacht wie alle anderen war: tief, geheimnisvoll zitternd, vom Potenzial für Chaos erfüllt.
Während ich die Treppe hinab und über die Steinplatten des Gartenwegs zur Straße ging, blickte ich mich nach Dr. Jessup um, sah ihn jedoch nirgendwo. In den höher gelegenen Regionen der Wüste, die sich weit östlich von Pico Mundo erheben, kann der Winter frostig sein, doch hier unten bleiben die Nächte selbst im Februar mild. Die Bäume am Straßenrand, Indischer Lorbeer, seufzten und wisperten im sanften Wind; Motten umschwirrten die Straßenlaternen. In den Häusern ringsum war es still, die Fenster waren dunkel. Kein Hund bellte. Keine Eule schrie.
Auch Fußgänger waren nicht unterwegs, und auf den Straßen herrschte keinerlei Verkehr. Die Stadt sah aus, als hätte das Jüngste Gericht schon stattgefunden, und nur ich wäre noch übrig geblieben, um die Herrschaft der Hölle auf Erden zu ertragen. Als ich die Straßenecke erreichte, gesellte Dr. Jessup sich wieder zu mir. Sein Aufzug und die späte Stunde wiesen darauf hin, dass er sich vor dem Besuch in meiner Wohnung in seinem Haus am Jacaranda Way aufgehalten hatte. Es stand fünf Querstraßen weiter nördlich in einer wohlhabenderen Nachbarschaft. Nun führte er mich in diese Richtung. Er konnte fliegen, doch er trottete schwerfällig daher. Deshalb lief ich voraus.
Obwohl ich mich vor dem, was wir vorfinden würden, nicht weniger fürchtete als er, wollte ich es rasch vor Augen haben. Womöglich war ein weiteres Leben in Gefahr.
Auf halbem Weg fiel mir ein, dass ich den Chevy hätte nehmen können. Seit ich den Führerschein besitze, habe ich meist kein eigenes Auto gehabt, sondern mir eines von Freunden ausgeliehen, wenn ich es brauchte. Im Herbst habe ich aber ein Chevrolet Camaro Berlinetta Coupé, Baujahr 1980, geerbt. Oft verhalte ich mich allerdings noch immer so, als hätte ich keinen fahrbaren Untersatz. Mehrere Tausend Pfund Blech zu besitzen bedrückt mich, wenn ich zu viel darüber nachdenke, und weil ich versuche, nicht darüber nachzudenken, vergesse ich den Wagen manchmal ganz.
Unter dem narbigen Gesicht des blinden Mondes lief ich dahin. Das Domizil von Dr. Jessup ist eine aus weißen Ziegeln erbaute Villa im georgianischen Stil mit eleganten Zierelementen. Flankiert wird sie auf der einen Seite von einem hübschen viktorianischen Bau, der derart mit Gesimsen überladen ist, dass er aussieht wie ein Hochzeitskuchen. Auf der anderen Seite steht ein Haus, das sich barock gibt, aber auf ganz falsche Weise.
Keiner dieser Architekturstile passt zu Gebäuden in der Wüste, die von Palmen beschattet und von bunter Bougainvillea umrankt sind. Meine Heimatstadt wurde um 1900 von Leuten gegründet, die vor dem harten Winter der Ostküste geflohen waren, jedoch die Architektur und die Geisteshaltung jener kühleren Klimazone mitgebracht hatten.
Meine Chefin Terri Stambaugh, Besitzerin des Pico Mundo Grills, die mir auch eine gute Freundin ist, meint immer, diese gedankenlos hierher verpflanzte Architektur sei besser als die öden, von Kiesdächern überragten Stuckfassaden in vielen anderen Wüstenstädten Kaliforniens.
Wahrscheinlich hat sie recht. Wissen kann ich das nicht, denn ich habe die Stadtgrenze von Pico Mundo nur selten überquert.
Über die Grenzen von Maravilla County bin ich überhaupt nicht hinausgekommen.
Mein Leben ist zu ausgefüllt, um eine Spritztour oder gar eine Reise zu erlauben. Ich sehe mir nicht mal Reisesendungen im Fernsehen an.
Die Freuden des Lebens kann man überall finden. Ferne Orte bieten nur exotische Arten zu leiden.
Außerdem wird die Welt jenseits von Pico Mundo von Fremden heimgesucht, und ich finde es schon schwierig genug, mit den Toten fertig zu werden, die ich kannte, als sie noch lebten.
Hinter einigen der Fenster von Dr. Jessups Haus brannte weiches Lampenlicht, oben und im Erdgeschoss. Die meisten Scheiben waren dunkel.
Als ich die Treppe zur Veranda erreichte, erwartete Dr. Wilbur Jessup mich bereits.
Der Wind zerzauste sein Haar und ließ seinen Pyjama flattern, obwohl ich nicht recht wusste, weshalb der Wind eine Wirkung auf ihn hatte. Auch Mondlicht und Schatten erfassten ihn. Offenbar brauchte der trauernde Radiologe Trost, bevor er die Kraft aufbringen konnte, mich in sein Haus zu führen, wo sich zweifellos seine Leiche befand. Vielleicht auch noch eine zweite.
Ich umarmte ihn. Obwohl er ein Geist war, der für alle außer für mich unsichtbar blieb, fühlte er sich warm und solide an. Dass ich sehe, wie die Toten vom Wetter und von Licht und Schatten dieser Welt berührt werden, und dass ich ihren Körper so warm empfinde wie den von Lebenden, liegt vielleicht nicht daran, dass sie so sind, sondern dass ich sie so haben will. Vielleicht versuche ich mit dieser Finte, die Macht des Todes zu leugnen.
Womöglich ist meine übernatürliche Begabung nicht in meinem Geist, sondern in meinem Herzen verwurzelt. Das Herz ist ein Künstler, der alles übermalt, was ihn zutiefst verstört, sodass auf der Leinwand eine weniger dunkle, weniger scharfe Spielart der Wahrheit bleibt.
Dr. Jessup besaß keinerlei Substanz, und doch lehnte er sich schwer an mich. Er bebte von den Seufzern, denen er keine Stimme verleihen konnte.
Die Toten sprechen nicht. Vielleicht wissen sie Dinge über den Tod, von denen die Lebenden nichts erfahren dürfen. In diesem Augenblick hatte ich durch meine Fähigkeit zu sprechen keinen Vorteil. Worte hätten Dr. Jessup nicht getröstet.
Nur die Gerechtigkeit konnte seine Qualen lindern, und vielleicht nicht einmal die.
Als er noch am Leben gewesen war, war ich für ihn der Odd Thomas gewesen, wie ihn viele hier im Ort kennen. Manche Leute halten mich – fälschlich – für einen Helden, und fast jedermann bezeichnet mich als exzentrisch.
Odd ist kein Spitzname; so heiße ich ganz offiziell. Die Geschichte meines Namens ist recht interessant, aber ich habe sie schon mal erzählt. Im Grunde läuft sie darauf hinaus, dass meine Eltern äußerst merkwürdige Persönlichkeiten sind. Ich glaube, als Dr. Jessup noch am Leben gewesen war, hatte er mich faszinierend, amüsant und rätselhaft gefunden. Er hatte mich wohl gemocht.
Erst im Tod hatte er mich als den erkannt, der ich bin: ein Gefährte der in dieser Welt verweilenden Toten.
Ich sehe sie, obwohl ich wünschte, es wäre anders. Allerdings schätze ich das Leben zu sehr, um die Toten abzuweisen, denn sie verdienen mein Mitgefühl, weil sie in dieser Welt gelitten haben.
Als Dr. Jessup sich von mir löste und einen Schritt zurücktrat, hatte er sich verändert. Nun waren seine Wunden sichtbar. Er war mit einem stumpfen Gegenstand, vielleicht einem Rohr oder Hammer, im Gesicht getroffen worden. Mehrfach. Sein Schädel war gebrochen, seine Gesichtszüge waren verzerrt.
Der Zustand seiner aufgerissenen, gebrochenen Hände wies darauf hin, dass er verzweifelt versucht hatte, sich zu verteidigen – oder dass er jemandem zu Hilfe gekommen war. Der einzige Mensch, der bei ihm lebte, war sein Sohn Danny.
Mein Mitleid wurde rasch von rechtschaffenem Zorn übertroffen, einer gefährlichen Emotion, die das Urteilsvermögen trübt und unvorsichtig macht.
Diesen Zustand strebe ich nicht bewusst an, ich habe sogar Angst davor. Wenn er mich überkommt, als wäre ich davon besessen, kann ich das, was getan werden muss, nicht einfach ignorieren. Ich stürze mich hinein. Die wenigen meiner Freunde, die meine Geheimnisse kennen, meinen, dieser zwanghafte Zustand habe etwas mit göttlicher Inspiration zu tun. Vielleicht ist es aber auch einfach vorübergehender Wahnsinn.
Während ich die Treppe hochstieg und über die Veranda ging, überlegte ich bei jedem Schritt, ob ich Chief Wyatt Porter anrufen sollte. Ich hatte jedoch Angst, in dem Zeitraum, in dem ich das Telefongespräch führte und auf die Polizei wartete, könnte Danny zu Tode kommen.
Die Haustür war angelehnt.
Ich sah mich um und stellte fest, dass Dr. Jessup lieber im Garten statt im Haus spukte. Er war auf dem Rasen stehen geblieben. Seine Wunden waren verschwunden. Er sah so aus, wie er ausgesehen hatte, bevor der Tod ihn ereilt hatte – und er hatte offenkundig Angst.
Bis sie diese Welt endgültig verlassen haben, können selbst die Toten Furcht empfinden. Man würde meinen, sie hätten nichts mehr zu verlieren, aber dennoch werden sie manchmal von Angstgefühlen gepeinigt. Diese Gefühle beziehen sich allerdings nicht auf das, was im Jenseits auf sie wartet, sondern auf die Menschen, die sie hinterlassen haben.
Ich drückte die Tür auf. Sie bewegte sich glatt und so lautlos wie der Mechanismus einer sauber gebauten Mausefalle.
Copyright © 2008 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Übersetzung: Bernhard Kleinschmidt
Weniger glücklich war, dass er auf Drängen seines Managers Tom Parker die Titelrolle in West Side Story zugunsten mittelmäßiger Filmkost wie Ein Sommer in Florida ausgeschlagen hatte. Gladys Presley, seine geliebte Mutter, war zwar schon drei Jahre tot, doch er litt noch immer sehr unter dem Verlust. Obwohl er erst sechsundzwanzig war, bekam er bereits Gewichtsprobleme.
Der Papp-Elvis lächelt auf ewig; er ist immer jung, unfähig, sich zu irren oder etwas zu bedauern, unberührt von Gram, fern jeder Verzweiflung.
Ich beneide ihn. Es gibt kein Pappmodell von mir, wie ich einmal war und wie ich nie wieder sein kann. Im Lampenlicht war jemand anders sichtbar, der ebenso geduldig wie verzweifelt wirkte. Offenbar hatte er mich im Schlaf beobachtet und gewartet, bis ich aufwachte. »Hallo, Dr. Jessup«, sagte ich.
Dr.Wilbur Jessup war nicht in der Lage, mir zu antworten.
Kummer überzog sein Gesicht. Seine Augen waren trostlose Tümpel, in deren einsamer Tiefe jede Hoffnung ertrunken war. »Tut mir leid, Sie hier zu sehen«, sagte ich.
Er ballte die Hände zur Faust, nicht mit der Absicht, auf irgendetwas einzuschlagen, sondern als Ausdruck der Frustration. Die Fäuste presste er an seine Brust.
Bisher hatte Dr. Jessup meine Wohnung noch nie aufgesucht, und im Herzen wusste ich, dass er nicht mehr nach Pico Mundo gehörte. Dennoch hätte ich das lieber geleugnet, weshalb ich ihn erneut ansprach, während ich aus dem Bett kroch. »Habe ich die Tür nicht abgeschlossen?«
Er schüttelte den Kopf. Tränen standen in seinen Augen, doch ich hörte ihn nicht heulen, ja nicht einmal wimmern. Ich holte ein Paar Jeans aus dem Kleiderschrank und schlüpfte hinein. »In letzter Zeit bin ich vergesslich«, sagte ich.
Er öffnete die Fäuste und starrte seine Handflächen an. Die Hände zitterten. Er vergrub das Gesicht darin. »Es gibt so viel, was ich vergessen möchte«, fuhr ich fort, während ich Socken und Schuhe anzog, »aber leider entfällt mir nur irgendwelcher Kleinkram – zum Beispiel, wo ich den Schlüsselbund hingelegt habe, ob die Tür abgeschlossen ist, dass ich Milch besorgen muss …«
Dr. Jessup, von Beruf Radiologe am örtlichen Krankenhaus, war ein sanfter, stiller Mensch. So still war er allerdings noch nie gewesen.
Weil ich im Bett kein T-Shirt getragen hatte, zog ich ein weißes aus einer Schublade.
Ich besitze ein paar schwarze T-Shirts, aber vor allem weiße. Abgesehen von einer Auswahl Bluejeans habe ich zwei Paar leichte weiße Baumwollhosen.
In diese Wohnung ist nur ein kleiner Kleiderschrank eingebaut. Er steht zur Hälfte leer. Das gilt auch für die unteren Schubladen meiner Kommode.
Ich besitze weder einen Anzug noch eine Krawatte. Schuhe, die gewienert werden müssen, ebenfalls nicht. Für kühles Wetter habe ich zwei Rundhalspullover. Einmal habe ich mir einen Pullunder gekauft. Vorübergehender Wahnsinn. Als mir am nächsten Tag klar wurde, dass meine Garderobe dadurch undenkbar kompliziert geworden war, brachte ich ihn sofort in den Laden zurück.
Mein hundertachtzig Kilo schwerer Freund und Mentor P. Oswald Boone hat warnend bemerkt, mein Kleidungsstil stelle eine ernsthafte Bedrohung für die Textilindustrie dar.
Wie ich daraufhin schon mehr als einmal angemerkt habe, besitzt Ozzie eine Garderobe von derart gewaltigen Dimensionen, dass er die von mir angeblich bedrohten Textilfabriken problemlos über Wasser halten kann.
Dr. Jessup war barfuß und trug einen Baumwollpyjama, der aussah, als hätte sein Besitzer sich die ganze Nacht ruhelos im Bett gewälzt.
»Ich wünschte, Sie würden mit mir sprechen«, sagte ich zu ihm. »Das wäre wirklich schön.«
Statt mir zu gehorchen, nahm der Radiologe die Hände vom Gesicht, drehte sich um und verließ das Schlafzimmer. Ich warf einen Blick auf die Wand über dem Bett. Dort hängt eine unter Glas gerahmte Karte aus einem Wahrsageautomaten auf dem Rummelplatz. Sie verspricht: ES IST EUCH BESTIMMT, FÜR IMMER ZUSAMMEN ZU SEIN.
Jeden Morgen beginne ich meinen Tag damit, diesen Satz zu lesen. Jeden Abend lese ich ihn wieder, manchmal mehr als einmal, vor dem Einschlafen, falls ich überhaupt einschlafen kann. Was mich aufrecht hält, ist die Gewissheit, dass das Leben einen Sinn hat. Wie der Tod.
Ich nahm mein Handy vom Nachttisch. Die erste Kurzwahlnummer verbindet mich mit dem Büro von Wyatt Porter, dem Polizeichef von Pico Mundo. Die zweite ist seine Privatnummer und die dritte die seines Mobiltelefons.
Wahrscheinlich musste ich mich noch vor der Morgendämmerung mit Chief Porter in Verbindung setzen, auf der einen oder anderen Nummer.
Als ich im Wohnzimmer das Licht anknipste, stellte ich fest, dass Dr. Jessup dort im Dunkeln gestanden hatte, zwischen den aus Secondhandläden stammenden Schätzen, mit denen die Wohnung möbliert ist.
Ich ging zur Wohnungstür und zog sie auf, doch Dr. Jessup reagierte nicht. Er hatte zwar bei mir Hilfe gesucht, brachte jedoch offenbar nicht genügend Mut für das auf, was uns erwartete. Offenbar gefiel ihm die eklektische Einrichtung, die vom rötlichen Licht einer alten Bronzelampe beschienen wurde: nüchterne Holzsessel, plumpe viktorianische Fußschemel, Drucke von Maxfield Parrish, bunte Glasvasen.
»Nehmen Sie’s mir nicht übel«, sagte ich, »aber Sie gehören nicht hierher, Sir.«
Dr. Jessup betrachtete mich schweigend und mit flehentlicher Miene. »Dieser Ort ist bis zum Rand mit Vergangenheit angefüllt. Hier ist Raum für Elvis und mich – und für Erinnerungen –, aber nicht für jemand Neuen.«
Damit trat ich in den Flur und zog die Tür zu. Ich lebe in einer von zwei Wohnungen, die man im ersten Stock einer feudalen viktorianischen Villa untergebracht hat. Trotz des Umbaus besitzt der weitläufige Bau noch immer beträchtlichen Charme.
Jahrelang habe ich in einer Einzimmerwohnung oberhalb einer Garage gelebt. Mein Bett war nur wenige Schritte vom Kühlschrank entfernt. Damals war das Leben einfacher und die Zukunft klar.
Umgezogen bin ich nicht, weil ich mehr Platz brauchte, sondern weil mein Herz nun hierher gehört, für immer. In die Haustür ist ein ovales Bleiglasfenster eingesetzt. Die Nacht dahinter war zu einem Muster verzerrt, das jedermann verstehen konnte. Als ich auf die Veranda trat, zeigte sich, dass diese Nacht wie alle anderen war: tief, geheimnisvoll zitternd, vom Potenzial für Chaos erfüllt.
Während ich die Treppe hinab und über die Steinplatten des Gartenwegs zur Straße ging, blickte ich mich nach Dr. Jessup um, sah ihn jedoch nirgendwo. In den höher gelegenen Regionen der Wüste, die sich weit östlich von Pico Mundo erheben, kann der Winter frostig sein, doch hier unten bleiben die Nächte selbst im Februar mild. Die Bäume am Straßenrand, Indischer Lorbeer, seufzten und wisperten im sanften Wind; Motten umschwirrten die Straßenlaternen. In den Häusern ringsum war es still, die Fenster waren dunkel. Kein Hund bellte. Keine Eule schrie.
Auch Fußgänger waren nicht unterwegs, und auf den Straßen herrschte keinerlei Verkehr. Die Stadt sah aus, als hätte das Jüngste Gericht schon stattgefunden, und nur ich wäre noch übrig geblieben, um die Herrschaft der Hölle auf Erden zu ertragen. Als ich die Straßenecke erreichte, gesellte Dr. Jessup sich wieder zu mir. Sein Aufzug und die späte Stunde wiesen darauf hin, dass er sich vor dem Besuch in meiner Wohnung in seinem Haus am Jacaranda Way aufgehalten hatte. Es stand fünf Querstraßen weiter nördlich in einer wohlhabenderen Nachbarschaft. Nun führte er mich in diese Richtung. Er konnte fliegen, doch er trottete schwerfällig daher. Deshalb lief ich voraus.
Obwohl ich mich vor dem, was wir vorfinden würden, nicht weniger fürchtete als er, wollte ich es rasch vor Augen haben. Womöglich war ein weiteres Leben in Gefahr.
Auf halbem Weg fiel mir ein, dass ich den Chevy hätte nehmen können. Seit ich den Führerschein besitze, habe ich meist kein eigenes Auto gehabt, sondern mir eines von Freunden ausgeliehen, wenn ich es brauchte. Im Herbst habe ich aber ein Chevrolet Camaro Berlinetta Coupé, Baujahr 1980, geerbt. Oft verhalte ich mich allerdings noch immer so, als hätte ich keinen fahrbaren Untersatz. Mehrere Tausend Pfund Blech zu besitzen bedrückt mich, wenn ich zu viel darüber nachdenke, und weil ich versuche, nicht darüber nachzudenken, vergesse ich den Wagen manchmal ganz.
Unter dem narbigen Gesicht des blinden Mondes lief ich dahin. Das Domizil von Dr. Jessup ist eine aus weißen Ziegeln erbaute Villa im georgianischen Stil mit eleganten Zierelementen. Flankiert wird sie auf der einen Seite von einem hübschen viktorianischen Bau, der derart mit Gesimsen überladen ist, dass er aussieht wie ein Hochzeitskuchen. Auf der anderen Seite steht ein Haus, das sich barock gibt, aber auf ganz falsche Weise.
Keiner dieser Architekturstile passt zu Gebäuden in der Wüste, die von Palmen beschattet und von bunter Bougainvillea umrankt sind. Meine Heimatstadt wurde um 1900 von Leuten gegründet, die vor dem harten Winter der Ostküste geflohen waren, jedoch die Architektur und die Geisteshaltung jener kühleren Klimazone mitgebracht hatten.
Meine Chefin Terri Stambaugh, Besitzerin des Pico Mundo Grills, die mir auch eine gute Freundin ist, meint immer, diese gedankenlos hierher verpflanzte Architektur sei besser als die öden, von Kiesdächern überragten Stuckfassaden in vielen anderen Wüstenstädten Kaliforniens.
Wahrscheinlich hat sie recht. Wissen kann ich das nicht, denn ich habe die Stadtgrenze von Pico Mundo nur selten überquert.
Über die Grenzen von Maravilla County bin ich überhaupt nicht hinausgekommen.
Mein Leben ist zu ausgefüllt, um eine Spritztour oder gar eine Reise zu erlauben. Ich sehe mir nicht mal Reisesendungen im Fernsehen an.
Die Freuden des Lebens kann man überall finden. Ferne Orte bieten nur exotische Arten zu leiden.
Außerdem wird die Welt jenseits von Pico Mundo von Fremden heimgesucht, und ich finde es schon schwierig genug, mit den Toten fertig zu werden, die ich kannte, als sie noch lebten.
Hinter einigen der Fenster von Dr. Jessups Haus brannte weiches Lampenlicht, oben und im Erdgeschoss. Die meisten Scheiben waren dunkel.
Als ich die Treppe zur Veranda erreichte, erwartete Dr. Wilbur Jessup mich bereits.
Der Wind zerzauste sein Haar und ließ seinen Pyjama flattern, obwohl ich nicht recht wusste, weshalb der Wind eine Wirkung auf ihn hatte. Auch Mondlicht und Schatten erfassten ihn. Offenbar brauchte der trauernde Radiologe Trost, bevor er die Kraft aufbringen konnte, mich in sein Haus zu führen, wo sich zweifellos seine Leiche befand. Vielleicht auch noch eine zweite.
Ich umarmte ihn. Obwohl er ein Geist war, der für alle außer für mich unsichtbar blieb, fühlte er sich warm und solide an. Dass ich sehe, wie die Toten vom Wetter und von Licht und Schatten dieser Welt berührt werden, und dass ich ihren Körper so warm empfinde wie den von Lebenden, liegt vielleicht nicht daran, dass sie so sind, sondern dass ich sie so haben will. Vielleicht versuche ich mit dieser Finte, die Macht des Todes zu leugnen.
Womöglich ist meine übernatürliche Begabung nicht in meinem Geist, sondern in meinem Herzen verwurzelt. Das Herz ist ein Künstler, der alles übermalt, was ihn zutiefst verstört, sodass auf der Leinwand eine weniger dunkle, weniger scharfe Spielart der Wahrheit bleibt.
Dr. Jessup besaß keinerlei Substanz, und doch lehnte er sich schwer an mich. Er bebte von den Seufzern, denen er keine Stimme verleihen konnte.
Die Toten sprechen nicht. Vielleicht wissen sie Dinge über den Tod, von denen die Lebenden nichts erfahren dürfen. In diesem Augenblick hatte ich durch meine Fähigkeit zu sprechen keinen Vorteil. Worte hätten Dr. Jessup nicht getröstet.
Nur die Gerechtigkeit konnte seine Qualen lindern, und vielleicht nicht einmal die.
Als er noch am Leben gewesen war, war ich für ihn der Odd Thomas gewesen, wie ihn viele hier im Ort kennen. Manche Leute halten mich – fälschlich – für einen Helden, und fast jedermann bezeichnet mich als exzentrisch.
Odd ist kein Spitzname; so heiße ich ganz offiziell. Die Geschichte meines Namens ist recht interessant, aber ich habe sie schon mal erzählt. Im Grunde läuft sie darauf hinaus, dass meine Eltern äußerst merkwürdige Persönlichkeiten sind. Ich glaube, als Dr. Jessup noch am Leben gewesen war, hatte er mich faszinierend, amüsant und rätselhaft gefunden. Er hatte mich wohl gemocht.
Erst im Tod hatte er mich als den erkannt, der ich bin: ein Gefährte der in dieser Welt verweilenden Toten.
Ich sehe sie, obwohl ich wünschte, es wäre anders. Allerdings schätze ich das Leben zu sehr, um die Toten abzuweisen, denn sie verdienen mein Mitgefühl, weil sie in dieser Welt gelitten haben.
Als Dr. Jessup sich von mir löste und einen Schritt zurücktrat, hatte er sich verändert. Nun waren seine Wunden sichtbar. Er war mit einem stumpfen Gegenstand, vielleicht einem Rohr oder Hammer, im Gesicht getroffen worden. Mehrfach. Sein Schädel war gebrochen, seine Gesichtszüge waren verzerrt.
Der Zustand seiner aufgerissenen, gebrochenen Hände wies darauf hin, dass er verzweifelt versucht hatte, sich zu verteidigen – oder dass er jemandem zu Hilfe gekommen war. Der einzige Mensch, der bei ihm lebte, war sein Sohn Danny.
Mein Mitleid wurde rasch von rechtschaffenem Zorn übertroffen, einer gefährlichen Emotion, die das Urteilsvermögen trübt und unvorsichtig macht.
Diesen Zustand strebe ich nicht bewusst an, ich habe sogar Angst davor. Wenn er mich überkommt, als wäre ich davon besessen, kann ich das, was getan werden muss, nicht einfach ignorieren. Ich stürze mich hinein. Die wenigen meiner Freunde, die meine Geheimnisse kennen, meinen, dieser zwanghafte Zustand habe etwas mit göttlicher Inspiration zu tun. Vielleicht ist es aber auch einfach vorübergehender Wahnsinn.
Während ich die Treppe hochstieg und über die Veranda ging, überlegte ich bei jedem Schritt, ob ich Chief Wyatt Porter anrufen sollte. Ich hatte jedoch Angst, in dem Zeitraum, in dem ich das Telefongespräch führte und auf die Polizei wartete, könnte Danny zu Tode kommen.
Die Haustür war angelehnt.
Ich sah mich um und stellte fest, dass Dr. Jessup lieber im Garten statt im Haus spukte. Er war auf dem Rasen stehen geblieben. Seine Wunden waren verschwunden. Er sah so aus, wie er ausgesehen hatte, bevor der Tod ihn ereilt hatte – und er hatte offenkundig Angst.
Bis sie diese Welt endgültig verlassen haben, können selbst die Toten Furcht empfinden. Man würde meinen, sie hätten nichts mehr zu verlieren, aber dennoch werden sie manchmal von Angstgefühlen gepeinigt. Diese Gefühle beziehen sich allerdings nicht auf das, was im Jenseits auf sie wartet, sondern auf die Menschen, die sie hinterlassen haben.
Ich drückte die Tür auf. Sie bewegte sich glatt und so lautlos wie der Mechanismus einer sauber gebauten Mausefalle.
Copyright © 2008 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Übersetzung: Bernhard Kleinschmidt
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Autoren-Porträt von Dean R. Koontz
Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren und lebt heute mit seiner Frau in Kalifornien. Seine zahlreichen Romane Thriller und Horrorromane wurden in 38 Sprachen übersetzt und sämtlich zu internationalen Bestsellern.Rezension zu „Odd Thomas Band 2: Seelenlos “
"Odd Thomas ist durch seine besondere Begabung, seine Intelligenz und seinen Humor eine der eindringlichsten modernen Romanfiguren."Produktdetails
2009, 384 Seiten, Maße: 11,7 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch, Aus d. Amerikan. v. Bernhard Kleinschmidt, Verlag: Heyne, ISBN-10: 3453434137, ISBN-13: 9783453434134
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Dani, 29.07.2009
Ich habe dieses Buch innerhalb drei Tage durchgelesen. Das sagt doch schon alles :-) Ich freu mich schon darauf, das nächste Buch von Odd Thomas zu lesen.
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janein2 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
J. Rüedi, 09.07.2009
Nachdem ich den ersten Roman der Odd-Thomas-Serie verschlungen und den unkonventionellen Helden des Romans sofort ins Herz geschlossen hatte, konnte ich die Fortsetzung kaum erwarten. Der zweite Odd-Thomas-Roman ist genau so spannend und gelungen wie der Erste und besticht wiederum durch den einfach liebenswerten Charakter des Helden mit seinem leicht ironischen Humor. Das Ende ist relativ kurz gehalten, was aber nicht weiter stört. Man darf sich auf Band 3 freuen...
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janein3 von 14 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Kristina K., 21.08.2009
Als Horrorroman kann ich dieses Buch nicht sehen, da mir die schauerliche Atmosphäre fehlt. Doch als unterhaltsame Geschichte ist es gut zu lesen. Odd Thomas ist ein sympathischer, wenn auch nicht besonders eindrücklicher Charakter. Seine Wahrnehmung der Geisterwelt verleiht dem Roman seinen Reiz. Dennoch ist die Geschichte vollkommen durchschnittlich, weil vorhersehbar. Leider bietet auch die Sprache kein Aha-Erlebnis. Sie ist flüssig, allerdings nicht sinnenansprechend geschmeidig. Kein einziger Satz, keine einzige Figur hat sich mir eingeprägt. Dennoch betrachte ich das Buch nicht als Fehlinvestition, denn es handelt sich um einen unterhaltsamen, netten übersinnlichen Roman, den man gut noch einmal lesen kann, weil man die Details schnell vergisst. Mein abschließendes Urteil: Seichte, aber unterhaltende Lektüre, die die Gruselstimmung vermissen lässt.
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janein2 von 5 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Martina, 11.08.2013
Dieser 2. Band der Odd Thomas-Reihe hat mir wieder sehr gut gefallen. Nach Lesen des 1. Bandes war ich gespannt darauf, wie es mit der Hauptperson weitergeht. Es ist im typischen Dean Koontz-Stil geschrieben - nämlich durchaus spannend und aufregend, aber dabei immer witzige Formulierungen dabei, so daß man auch mal lachen kann. Alles in allem ein gut geschriebenes Buch, das Spaß macht und darauf hoffen läßt, das es noch viele weitere Romane mit der sympathischen Figur Odd Thomas geben wird.
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janein