Ohne Leib, mit Seele
Ohne Leib, mit Seele wirft viele moralische Fragen an das Leben auf. Georg Fraberger wurde 1973 ohne Arme und ohne Beine geboren, studierte Psychologie und arbeitet seit über zehn Jahren an einem der größten...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Ohne Leib, mit Seele “
Ohne Leib, mit Seele wirft viele moralische Fragen an das Leben auf. Georg Fraberger wurde 1973 ohne Arme und ohne Beine geboren, studierte Psychologie und arbeitet seit über zehn Jahren an einem der größten Krankenhäuser Europas. Es gibt zwei Fragen, die ihn am meisten beschäftigten: Was macht den Menschen aus? Und welchen Körper braucht er dazu? Logik und Verstand helfen bei diesen Fragen nicht weiter. Die Wissenschaft kann den Wert, den Grund und den Sinn eines Lebens nicht erklären. Es muss also mehr geben als Körper und Verstand: Die Seele ist der Kern des Menschen. Sie ist das, was uns ausmacht und steuert. Wir müssen unsere Seele frei entfalten können - erst dann ist es uns möglich, ein sinnvolles und glückliches Leben zu entwickeln. Erst dann sind wir fähig, die scheinbaren Grenzen von Körper und Geist zu überwinden.
Georg Fraberger schafft mit Ohne Leib, mit Seele ein Buch, das sozialkritisch den Körper hinterfragt und zeigt auf, wie wichtig unsere Seele ist.
Klappentext zu „Ohne Leib, mit Seele “
Ich wurde 1973 ohne Arme und ohne Beine geboren, studierte Psychologie und arbeite seit über zehn Jahren an einem der größten Krankenhäuser Europas. Es gibt zwei Fragen, die mich am meisten beschäftigten: Was macht den Menschen aus? Und welchen Körper braucht er dazu? Wie viel Kilogramm darf eine Frau wiegen? Wie groß muss ein Mann sein? Wie symmetrisch soll eine Figur sein? Wozu ist ein Körper überhaupt gut? Logik und Verstand helfen bei diesen Fragen nicht weiter. Die Wissenschaft kann den Wert, den Grund und den Sinn eines Lebens nicht erklären. Es muss also mehr geben als Körper und Verstand: Die Seele ist der Kern des Menschen. Sie ist das, was uns ausmacht und steuert. Wir müssen unsere Seele frei entfalten können - erst dann ist es uns möglich, ein sinnvolles und glückliches Leben zu entwickeln. Erst dann sind wir fähig, die scheinbaren Grenzen von Körper und Geist zu überwinden.
Lese-Probe zu „Ohne Leib, mit Seele “
Ohne Leib, mit Seele von Georg FrabergerWir haben keine Wahl
Ich wurde 1973 ohne Arme und ohne Beine in Wien geboren. Nur auf der linken Seite ist ein kleiner Fuß mit einer Länge von heute insgesamt 25 Zentimetern. Damals war das Ultraschallgerät noch nicht routinemäßig in Betrieb und die Frage nach einem lebenswerten und erfüllten Leben wurde vor der Geburt noch nicht gestellt.
Ich studierte Psychologie, lebte in England und arbeite nun seit über zehn Jahren in Wien an einem der größten Spitäler Europas in der orthopädischen Abteilung. Hauptthema: Was macht den Menschen aus? Welchen Körperteil braucht er für das, was ihn wirklich ausmacht? Bis zu welcher Operation wird ein Leben als lebenswert empfunden? Während bei Patienten mit Krebs das Überleben im Vordergrund steht, konzentriert sich eine andere Gruppe von Patienten auf ästhetische Aspekte wie das Übergewicht, die Narbe, die Fehlstellungen von Armen oder Beinen.
Die Frage, welchen Körper ein Mensch braucht, wie viel Kilogramm beispielsweise eine Frau wiegen soll, wie groß ein Mann sein soll, wie symmetrisch ein Körper gestaltet sein soll, führt unter anderem zur Frage, wozu ein Körper überhaupt gut sein soll.
Die Tatsache, dass ich einen Körper habe, den kaum jemand mit mir tauschen möchte, aber gleichzeitig ein Leben, von dem viele Menschen träumen, stellt gesellschaftliche Anforderungen, Normen und Werte infrage. Wie kann es sein, mit einer Behinderung ein selbstständiges Leben zu führen, ohne Dinge des Alltags allein bewerkstelligen zu können? Wie kann es sein, ohne viele Muskeln, ohne Tanz, Glanz und Grazie keine Probleme zu haben, richtige Partnerschaften und sexuelle Beziehungen aufzubauen? Wie ist es vorstellbar, eine Familie zu gründen, ohne in Haushalt und Garten behilflich zu sein?
Mit
... mehr
Logik und Verstand kann diese Frage in unserer wissenschaftlich-technischen Kultur nicht beantwortet werden. Die Wissenschaft kann den Wert, den Grund und den Sinn eines Lebens nicht erklären.
Es muss also mehr geben als Körper und Geist (= Psyche) – den Kern des Menschen, das, was ihn ausmacht und ihn steuert, seine Seele. Wenn der Kern des Menschen, die Seele, sich frei entfalten kann, ist es möglich, ein sinnvolles und glückliches Leben zu entwickeln und scheinbare Grenzen von Körper und Geist zu überwinden. Dieses Buch will zeigen, wie man das, was jemanden ausmacht, erkennen und fördern kann. Das, was man ist, jenseits körperlicher Perfektion oder körperlicher Schwachstellen. Wenn dieser Kern unseres Wesens gefördert und entwickelt wird, wirkt man schön, stark und gesund, auch wenn der Zahn der Zeit an Körper und Geist nagt. Vergleiche ich die Seele mit einer Puppe, so ist diese zu Beginn bei allen nackt. Die Entwicklung kleidet sie ein. Jeder muss für sich entscheiden: Sport-Barbie, Tanz-Barbie, Classic Look, schön oder hässlich? Wir haben die Wahl, was angezogen wird, nicht aber, dass angezogen wird. Wird auf die Seele vergessen, so sieht man das.
Auf der Suche nach der Seele
Kann ich als naturwissenschaftlich orientierter Psychologe überhaupt von einer Seele schreiben? Handelt es sich hierbei nicht um ein rein theologisches oder philosophisches Konstrukt, an das man glauben kann oder auch nicht? Nach mehr als zwölf Jahren Berufserfahrung als Psychologe, zuerst in einer neurologischen, dann in einer orthopädischen Abteilung, muss ich betonen, dass der Mensch mehr ist als eine Körpermaschine und mehr als eine Fühl- und Denkmaschine.
Ich habe bereits früh bemerkt, dass der Kern eines Menschen, das, was ihn ausmacht – das Ich beziehungsweise die Seele – nicht rein vom Körper und auch nicht allein vom Verstand abhängt.
Zwischen Theorie und Praxis
Als Psychologe erfahre ich einen großen Unterschied zwischen den Theorien darüber, wie Menschen sein sollen, und dem, wie ich diese Menschen erlebe. Im Krankenhaus begegne ich zum größten Teil Menschen, die körperlich krank sind – logisch. In meiner Praxis sehe ich überwiegend körperlich gesunde Menschen, die aufgrund irgendwelcher Sorgen zu mir kommen. In der Theorie müssten sich beide Gruppen in ihrem Wohlbefinden und ihrem psychischen Zustand voneinander unterscheiden. Das tun sie aber nicht.
Das Konzept von Behinderung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der 1980er-Jahre ging davon aus, dass das Ausmaß einer körperlichen Störung zugleich das Ausmaß an Behinderung ist. Somit wurden Einteilungen getroffen. Stark vereinfacht bedeutete das zum Beispiel: Der Verlust eines Beines unterhalb des Knies wurde als zirka 40-prozentige Behinderung eingestuft, der Verlust eines Beines oberhalb des Knies als 80-prozentige und so fort. Hieran wurde ermessen, was eine Person kann oder nicht kann.
Dementsprechend gut oder schlecht sollte die Lebensqualität dieser Menschen sein. Da dieses System nicht ganz der Realität entsprach, wurden neue Modelle vorgestellt. Diese berücksichtigen auch den psychischen Zustand einer Person, etwa wie stark jemand psychisch belastet ist, welche Möglichkeiten zum Ausgleich des Verlusts es gibt, wie sicher und fähig sich jemand fühlt, etwas zu tun. Das Ergebnis dieser Modelle: Behinderung hängt von dem Bild ab, das man von sich selbst hat. Dieses Modell entspricht meines Erachtens dem heutigen Verständnis des Menschen, nicht jedoch der Realität. Wir wissen beispielsweise auch aus der Werbung, was wir brauchen und wie wir leben sollen, um gut, toll und glücklich zu sein. Viele leben auch so, sie gelten als erfolgreich, haben Haus, Garten, Auto, Hund und Kinder, sind aber doch nicht wirklich glücklich. Wie kann das sein? Theoretisch gibt es einen Zusammenhang zwischen Wissen und Bildung.
Wir sind eben nicht nur, was wir glauben zu sein. Wir sind auch etwas, wenn wir es nicht mehr glauben. Diese Tatsache wird leider oft erst sichtbar, wenn jemand alt, krank oder behindert ist. Allein die Armee magersüchtiger Mädchen – viele stammen aus gutem Hause, verstehen, was sie lesen und schreiben, und leiden keine materielle Not – zeigt, dass sie mehr sind als sie glauben. Das, was sie ausmacht allerdings, haben sie ihrer Meinung nach verloren und ist nur über Umwege wiederzufinden. Dieses Selbst, dieses Ich, diesen Kern des Menschen, das, was ihn ausmacht und dem Leben erst Sinn verleiht, will ich Seele nennen. Darauf möchte ich mich konzentrieren.
Dieses Selbst, diese Seele muss meiner Meinung nach auch in naturwissenschaftlichen Theorien verankert sein, um ernst genommen und gefördert werden zu können.
Von der Suche bis zum Modell
Anhand dieses Buches möchte ich folgende Dinge darstellen:
Erstens, dass es neben dem Körper und der Psyche (oder hier oft Geist genannt) auch so etwas wie eine Seele gibt. Diese ist meiner Ansicht nach eine Art Motor, Antrieb und Sinn für unser Leben. Sigmund Freud unterteilte Inhalte des Wissens in unbewusst, bewusst und vorbewusst. Das heißt: Wir verfügen über Wissen, von dem wir wissen. Wir verfügen aber auch über Wissen, von dem wir nichts wissen. Der Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Joachim Bauer nennt dies „das Gedächtnis des Körpers“. Vom Inhalt her unterscheiden wir zwischen Regeln, Normen und Werten, die mit den Gefühlen, Emotionen und Trieben so weit in Einklang stehen müssen, damit ein friedlicher Alltag erlebt werden kann. Wir wissen jedoch noch viel zu wenig, was genau den Menschen antreibt und was ihn großartig werden lässt oder verbrecherisch. Ein neues Konzept, in dem der Kern des Menschen, das, was ihn antreibt oder die Seele enthalten ist, wird vorgeschlagen.
Zweitens wird mehrfach aufgezeigt, wie man seelische Bedürfnisse erkennen und im Alltag berücksichtigen kann. Zusätzlich dazu wird skizziert, weshalb man seelische Bedürfnisse berücksichtigen soll. Die Orientierung seelischer Bedürfnisse an Tugenden und Werten wie beispielsweise an der Liebe soll den Zusammenhang zwischen Schönheit, Krankheit, Geld und Glück erläutern.
Drittens werden ab Kapitel 6 (S. 57 ff.) gesellschaftliche Werte und deren Auswirkungen auf unseren Alltag näher erläutert. An Werten, Normen und Regeln orientieren wir uns oft, ohne diese zu hinterfragen; sich nach Werten zu verhalten ist ein scheinbar sicherer Weg, um auch von Freunden und Bekannten als wertvoll angesehen zu werden. So leicht entkommt man also den Werten nicht. Und Werte übernehmen wir automatisch. Welche Werte und Richtlinien man auch vertreten mag, mit gesellschaftlich gültigen Werten und sogenannten Idealvorstellungen werden wir alle durch Werbung, Nachrichten, Politik etc. mehrmals täglich konfrontiert. Auch die individuellen Bedürfnisse der Seele werden an bestehenden Werten gemessen und anhand dieses Vergleichs wird entschieden, ob ein Bedürfnis befriedigt wird oder eine Norm, ein Wert erhalten bleibt. Die Revolution der 68er-Jahre hat bestehende Werte komplett hinterfragt. Die seinerzeitige Idee, Werte und Idealvorstellungen zu hinterfragen, war gewiss gut. Anhand damals neuer Lebensstrukturen in Form von Wohngemeinschaften und Kommunen beispielsweise war es sicherlich das Ziel der Zeit, neue Gedanken und Werte aufkommen und entwickeln zu lassen. Tatsächlich war jedoch eine wesentliche Folge dieses Infragestellens herkömmlicher Werte, dass Normen und Werte plötzlich ungültig und wertlos waren und nicht nur weniger erstrebenswert. Ein Nebeneffekt dieser friedlichen Revolution, der erst die nachfolgende Generation getroffen hat: In Deutschland war plötzlich die „Null-Bock-Generation“ aufgetaucht, in Österreich zahlreiche Kinder, denen „fad“ geworden ist. Wozu denn noch etwas fragen, etwas entdecken und ausprobieren? Aktivitäten jeglicher Art schienen doch ohnehin wertlos. Zur Bewertung von Aktivitäten, Berufen, Hobbys oder menschlichen Lebensformen blieb hauptsächlich das Geld übrig. Berufe werden anhand des Einkommens verglichen und die Frage „Wozu hast Du studiert, wenn Du so wenig verdienst?“ muss auf einer materialistischen Ebene beantwortet werden. Werte und Normen so zu leben und zu erleben, dass sie mit Logik und Verstand erfassbar sind, verliert hierdurch seinen Sinn. Welchen Sinn hat schon Wissen? Und welchen Wert hat es? Es ist notwendig, Werte genauer zu betrachten, um unterscheiden zu können zwischen logisch erklärbarem Verhalten, das gesellschaftlich als wertvoll, gut oder schlecht gilt, und jenem Verhalten, das der Seele und dem Individuum dient, wie beispielsweise ein Künstler, der seiner Leidenschaft nachgeht. Dieser kann nicht sicher sein, dass sein Verhalten auch gesellschaftlich als wertvoll gilt. Dieser Konflikt zwischen menschlichem Verhalten und den gesellschaftlichen Werten wird meistens erst dann beachtet, wenn Handlungen von Menschen nicht mehr verstanden werden, wie zum Beispiel Quälerei von Menschen, Perversionen, Drogen etc.
Der Exkurs in die Welt der Werte lohnt sich auch aufgrund der derzeitigen technischen Fortschritte in den Industrieländern. Während zahlreiche Maschinen immer mehr Arbeit leisten, steigt die Zahl jener Menschen, die keine Arbeit finden können. Mindestsicherung, Pension und Sozialhilfe sichern zumindest das Überleben. Arbeitslosigkeit jedoch gilt als eine wertlose Existenz. Viele Menschen ohne bezahlte Arbeit fühlen sich nutzlos und wertlos. Dadurch kann die Zeit nicht genutzt und durch sinnvolle Tätigkeiten vertrieben werden. Ist ein Künstler nicht auch nur ein Mensch ohne Arbeit, aber einer, der sich mit Dingen zu beschäftigen weiß? Ein Problem, das mit gesellschaftlichen Werten zusammenhängt und über das es nachzudenken gilt. Das Problem der Umschulung und der Zumutbarkeit von Tätigkeiten ist nicht nur eine Frage des Könnens oder Wollens, sondern auch eine Frage des Wertes einer Tätigkeit, eine Frage des Warum.
Die Art und Weise, anhand derer die Seele dargestellt wird, erfolgt durch eine Systematik, die sich aus meinen Erfahrungen und meiner Ausbildung ergeben hat. Die persönlichen Erfahrungen beziehen sich sowohl auf meine eigene Behinderung als auch auf meinen Weg, den ich nicht ohne Unterstützung gehen könnte (im wahrsten Sinn des Wortes). Erfahrungen als Psychologe, die mir zeigen, dass es mehr im Leben gibt, als man wissenschaftlich erklären und erfassen, sehr wohl aber beobachten und beschreiben kann. Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, werden also ein paar Gedankensprünge zwischen meinem erworbenen Wissen und meinem erfahrenen und erlebten Wissen machen. Das mag nicht immer logisch erscheinen. Jeder Biologe wird mir zustimmen, dass die Blüte einer Blume keine logische Schlussfolgerung des Stängels ist.
Copyright © Ecowin Verlag, Salzburg
Alle Rechte vorbehalten.
Es muss also mehr geben als Körper und Geist (= Psyche) – den Kern des Menschen, das, was ihn ausmacht und ihn steuert, seine Seele. Wenn der Kern des Menschen, die Seele, sich frei entfalten kann, ist es möglich, ein sinnvolles und glückliches Leben zu entwickeln und scheinbare Grenzen von Körper und Geist zu überwinden. Dieses Buch will zeigen, wie man das, was jemanden ausmacht, erkennen und fördern kann. Das, was man ist, jenseits körperlicher Perfektion oder körperlicher Schwachstellen. Wenn dieser Kern unseres Wesens gefördert und entwickelt wird, wirkt man schön, stark und gesund, auch wenn der Zahn der Zeit an Körper und Geist nagt. Vergleiche ich die Seele mit einer Puppe, so ist diese zu Beginn bei allen nackt. Die Entwicklung kleidet sie ein. Jeder muss für sich entscheiden: Sport-Barbie, Tanz-Barbie, Classic Look, schön oder hässlich? Wir haben die Wahl, was angezogen wird, nicht aber, dass angezogen wird. Wird auf die Seele vergessen, so sieht man das.
Auf der Suche nach der Seele
Kann ich als naturwissenschaftlich orientierter Psychologe überhaupt von einer Seele schreiben? Handelt es sich hierbei nicht um ein rein theologisches oder philosophisches Konstrukt, an das man glauben kann oder auch nicht? Nach mehr als zwölf Jahren Berufserfahrung als Psychologe, zuerst in einer neurologischen, dann in einer orthopädischen Abteilung, muss ich betonen, dass der Mensch mehr ist als eine Körpermaschine und mehr als eine Fühl- und Denkmaschine.
Ich habe bereits früh bemerkt, dass der Kern eines Menschen, das, was ihn ausmacht – das Ich beziehungsweise die Seele – nicht rein vom Körper und auch nicht allein vom Verstand abhängt.
Zwischen Theorie und Praxis
Als Psychologe erfahre ich einen großen Unterschied zwischen den Theorien darüber, wie Menschen sein sollen, und dem, wie ich diese Menschen erlebe. Im Krankenhaus begegne ich zum größten Teil Menschen, die körperlich krank sind – logisch. In meiner Praxis sehe ich überwiegend körperlich gesunde Menschen, die aufgrund irgendwelcher Sorgen zu mir kommen. In der Theorie müssten sich beide Gruppen in ihrem Wohlbefinden und ihrem psychischen Zustand voneinander unterscheiden. Das tun sie aber nicht.
Das Konzept von Behinderung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der 1980er-Jahre ging davon aus, dass das Ausmaß einer körperlichen Störung zugleich das Ausmaß an Behinderung ist. Somit wurden Einteilungen getroffen. Stark vereinfacht bedeutete das zum Beispiel: Der Verlust eines Beines unterhalb des Knies wurde als zirka 40-prozentige Behinderung eingestuft, der Verlust eines Beines oberhalb des Knies als 80-prozentige und so fort. Hieran wurde ermessen, was eine Person kann oder nicht kann.
Dementsprechend gut oder schlecht sollte die Lebensqualität dieser Menschen sein. Da dieses System nicht ganz der Realität entsprach, wurden neue Modelle vorgestellt. Diese berücksichtigen auch den psychischen Zustand einer Person, etwa wie stark jemand psychisch belastet ist, welche Möglichkeiten zum Ausgleich des Verlusts es gibt, wie sicher und fähig sich jemand fühlt, etwas zu tun. Das Ergebnis dieser Modelle: Behinderung hängt von dem Bild ab, das man von sich selbst hat. Dieses Modell entspricht meines Erachtens dem heutigen Verständnis des Menschen, nicht jedoch der Realität. Wir wissen beispielsweise auch aus der Werbung, was wir brauchen und wie wir leben sollen, um gut, toll und glücklich zu sein. Viele leben auch so, sie gelten als erfolgreich, haben Haus, Garten, Auto, Hund und Kinder, sind aber doch nicht wirklich glücklich. Wie kann das sein? Theoretisch gibt es einen Zusammenhang zwischen Wissen und Bildung.
Wir sind eben nicht nur, was wir glauben zu sein. Wir sind auch etwas, wenn wir es nicht mehr glauben. Diese Tatsache wird leider oft erst sichtbar, wenn jemand alt, krank oder behindert ist. Allein die Armee magersüchtiger Mädchen – viele stammen aus gutem Hause, verstehen, was sie lesen und schreiben, und leiden keine materielle Not – zeigt, dass sie mehr sind als sie glauben. Das, was sie ausmacht allerdings, haben sie ihrer Meinung nach verloren und ist nur über Umwege wiederzufinden. Dieses Selbst, dieses Ich, diesen Kern des Menschen, das, was ihn ausmacht und dem Leben erst Sinn verleiht, will ich Seele nennen. Darauf möchte ich mich konzentrieren.
Dieses Selbst, diese Seele muss meiner Meinung nach auch in naturwissenschaftlichen Theorien verankert sein, um ernst genommen und gefördert werden zu können.
Von der Suche bis zum Modell
Anhand dieses Buches möchte ich folgende Dinge darstellen:
Erstens, dass es neben dem Körper und der Psyche (oder hier oft Geist genannt) auch so etwas wie eine Seele gibt. Diese ist meiner Ansicht nach eine Art Motor, Antrieb und Sinn für unser Leben. Sigmund Freud unterteilte Inhalte des Wissens in unbewusst, bewusst und vorbewusst. Das heißt: Wir verfügen über Wissen, von dem wir wissen. Wir verfügen aber auch über Wissen, von dem wir nichts wissen. Der Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Joachim Bauer nennt dies „das Gedächtnis des Körpers“. Vom Inhalt her unterscheiden wir zwischen Regeln, Normen und Werten, die mit den Gefühlen, Emotionen und Trieben so weit in Einklang stehen müssen, damit ein friedlicher Alltag erlebt werden kann. Wir wissen jedoch noch viel zu wenig, was genau den Menschen antreibt und was ihn großartig werden lässt oder verbrecherisch. Ein neues Konzept, in dem der Kern des Menschen, das, was ihn antreibt oder die Seele enthalten ist, wird vorgeschlagen.
Zweitens wird mehrfach aufgezeigt, wie man seelische Bedürfnisse erkennen und im Alltag berücksichtigen kann. Zusätzlich dazu wird skizziert, weshalb man seelische Bedürfnisse berücksichtigen soll. Die Orientierung seelischer Bedürfnisse an Tugenden und Werten wie beispielsweise an der Liebe soll den Zusammenhang zwischen Schönheit, Krankheit, Geld und Glück erläutern.
Drittens werden ab Kapitel 6 (S. 57 ff.) gesellschaftliche Werte und deren Auswirkungen auf unseren Alltag näher erläutert. An Werten, Normen und Regeln orientieren wir uns oft, ohne diese zu hinterfragen; sich nach Werten zu verhalten ist ein scheinbar sicherer Weg, um auch von Freunden und Bekannten als wertvoll angesehen zu werden. So leicht entkommt man also den Werten nicht. Und Werte übernehmen wir automatisch. Welche Werte und Richtlinien man auch vertreten mag, mit gesellschaftlich gültigen Werten und sogenannten Idealvorstellungen werden wir alle durch Werbung, Nachrichten, Politik etc. mehrmals täglich konfrontiert. Auch die individuellen Bedürfnisse der Seele werden an bestehenden Werten gemessen und anhand dieses Vergleichs wird entschieden, ob ein Bedürfnis befriedigt wird oder eine Norm, ein Wert erhalten bleibt. Die Revolution der 68er-Jahre hat bestehende Werte komplett hinterfragt. Die seinerzeitige Idee, Werte und Idealvorstellungen zu hinterfragen, war gewiss gut. Anhand damals neuer Lebensstrukturen in Form von Wohngemeinschaften und Kommunen beispielsweise war es sicherlich das Ziel der Zeit, neue Gedanken und Werte aufkommen und entwickeln zu lassen. Tatsächlich war jedoch eine wesentliche Folge dieses Infragestellens herkömmlicher Werte, dass Normen und Werte plötzlich ungültig und wertlos waren und nicht nur weniger erstrebenswert. Ein Nebeneffekt dieser friedlichen Revolution, der erst die nachfolgende Generation getroffen hat: In Deutschland war plötzlich die „Null-Bock-Generation“ aufgetaucht, in Österreich zahlreiche Kinder, denen „fad“ geworden ist. Wozu denn noch etwas fragen, etwas entdecken und ausprobieren? Aktivitäten jeglicher Art schienen doch ohnehin wertlos. Zur Bewertung von Aktivitäten, Berufen, Hobbys oder menschlichen Lebensformen blieb hauptsächlich das Geld übrig. Berufe werden anhand des Einkommens verglichen und die Frage „Wozu hast Du studiert, wenn Du so wenig verdienst?“ muss auf einer materialistischen Ebene beantwortet werden. Werte und Normen so zu leben und zu erleben, dass sie mit Logik und Verstand erfassbar sind, verliert hierdurch seinen Sinn. Welchen Sinn hat schon Wissen? Und welchen Wert hat es? Es ist notwendig, Werte genauer zu betrachten, um unterscheiden zu können zwischen logisch erklärbarem Verhalten, das gesellschaftlich als wertvoll, gut oder schlecht gilt, und jenem Verhalten, das der Seele und dem Individuum dient, wie beispielsweise ein Künstler, der seiner Leidenschaft nachgeht. Dieser kann nicht sicher sein, dass sein Verhalten auch gesellschaftlich als wertvoll gilt. Dieser Konflikt zwischen menschlichem Verhalten und den gesellschaftlichen Werten wird meistens erst dann beachtet, wenn Handlungen von Menschen nicht mehr verstanden werden, wie zum Beispiel Quälerei von Menschen, Perversionen, Drogen etc.
Der Exkurs in die Welt der Werte lohnt sich auch aufgrund der derzeitigen technischen Fortschritte in den Industrieländern. Während zahlreiche Maschinen immer mehr Arbeit leisten, steigt die Zahl jener Menschen, die keine Arbeit finden können. Mindestsicherung, Pension und Sozialhilfe sichern zumindest das Überleben. Arbeitslosigkeit jedoch gilt als eine wertlose Existenz. Viele Menschen ohne bezahlte Arbeit fühlen sich nutzlos und wertlos. Dadurch kann die Zeit nicht genutzt und durch sinnvolle Tätigkeiten vertrieben werden. Ist ein Künstler nicht auch nur ein Mensch ohne Arbeit, aber einer, der sich mit Dingen zu beschäftigen weiß? Ein Problem, das mit gesellschaftlichen Werten zusammenhängt und über das es nachzudenken gilt. Das Problem der Umschulung und der Zumutbarkeit von Tätigkeiten ist nicht nur eine Frage des Könnens oder Wollens, sondern auch eine Frage des Wertes einer Tätigkeit, eine Frage des Warum.
Die Art und Weise, anhand derer die Seele dargestellt wird, erfolgt durch eine Systematik, die sich aus meinen Erfahrungen und meiner Ausbildung ergeben hat. Die persönlichen Erfahrungen beziehen sich sowohl auf meine eigene Behinderung als auch auf meinen Weg, den ich nicht ohne Unterstützung gehen könnte (im wahrsten Sinn des Wortes). Erfahrungen als Psychologe, die mir zeigen, dass es mehr im Leben gibt, als man wissenschaftlich erklären und erfassen, sehr wohl aber beobachten und beschreiben kann. Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, werden also ein paar Gedankensprünge zwischen meinem erworbenen Wissen und meinem erfahrenen und erlebten Wissen machen. Das mag nicht immer logisch erscheinen. Jeder Biologe wird mir zustimmen, dass die Blüte einer Blume keine logische Schlussfolgerung des Stängels ist.
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Autoren-Porträt von Georg Fraberger
Georg Fraberger, geb. 1973, ging nach seinem Studium der Psychologie an der Universität Wien ging für ein Jahr nach England, wo er als Assistent in einer neurologischen Abteilung in Somerset arbeitete. Seit 2002 ist er klinischer Psychologe an einer Universitätsklinik in Wien. Er ist außerdem Lektor an der Universität Wien und arbeitet in eigener Praxis. Georg Fraberger lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Wien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Georg Fraberger
- 2013, 184 Seiten, Maße: 15 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ecoWing
- ISBN-10: 3711000347
- ISBN-13: 9783711000347
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