Onno Viets und der Irre vom Kiez / Onno Viets Bd.1
Roman
Bühne frei für Onno Viets!Es gab Svevos Zeno Cosini, es gab Loriots Herrn Lohse, es gab Henscheids Herrn Jackopp und den Dude in The Big Lebowski. Und jetzt gibt es Onno Viets!
Was passiert, wenn einer wie Onno Viets zum ersten Mal in seinem Leben...
Was passiert, wenn einer wie Onno Viets zum ersten Mal in seinem Leben...
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Produktinformationen zu „Onno Viets und der Irre vom Kiez / Onno Viets Bd.1 “
Klappentext zu „Onno Viets und der Irre vom Kiez / Onno Viets Bd.1 “
Bühne frei für Onno Viets!Es gab Svevos Zeno Cosini, es gab Loriots Herrn Lohse, es gab Henscheids Herrn Jackopp und den Dude in The Big Lebowski. Und jetzt gibt es Onno Viets!Was passiert, wenn einer wie Onno Viets zum ersten Mal in seinem Leben eine richtig gute Idee hat?
Onno, Mitte 50, Hartz-IV-Empfänger, Noppensockenträger und ungeschlagener König einer Hamburg-Eppendorfschen Pingpong-Runde, bekennender Nicht-Schwitzer, leicht phobisch, hat das Finanzamt im Nacken, den Geburtstag seiner Frau Edda vor Augen und eine Eingebung aus dem Fernsehen: Er wird Privatdetektiv!
Seine geplagten Sportsfreunde vom Tischtennis ahnen Ungutes. Aus langjähriger Erfahrung. Dennoch verhilft einer von ihnen Onno zu seinem ersten Fall: Der Popmagnat Nick Dolan argwöhnt Untreue seiner aktuellen Flamme, Onno soll ein Beweisfoto von ihr und dem Liebhaber liefern. Und Onno hat Glück, schon bald wird er Dolans Nebenbuhler ansichtig. Allerdings ist der Kerl mit dem Spitznamen »Händchen« nicht nur zwei Meter groß und 130 Kilo schwer - er ist auch die unberechenbare, gefürchtete rechte Hand eines Hamburger Kiez-Oligarchen. Onno schafft es nicht, den Fall wieder abzugeben, und muss die beiden bis nach Mallorca verfolgen. Dort setzt sich fort, was begann, als einer wie Onno mal eine richtig gute Idee hatte: Der Sog der Katastrophe beschleunigt sich rasend ...
Was passiert, wenn ein Autor wie Frank Schulz zum ersten Mal in seinem Leben seine wild wuchernde Phantasie und Sprachlust mit der spannungsgeladenen Handlung eines Thrillers kombiniert? - Schafft der Leser nicht, das Buch rechtzeitig zuzuschlagen, wird er hineingerissen in einen Strudel aus Verrat und aberwitzigen Dialogen, Hochspannung und unvergesslichen Figuren, Situationskomik und abgründigen Milieustudien.
Bühne frei für Onno Viets! Es gab Svevos Zeno Cosini, es gab Loriots Herrn Lohse, es gab Henscheids Herrn Jackopp und den Dude in The Big Lebowski. Und bald gibt es Onno Viets! Was passiert, wenn einer wie Onno Viets zum ersten Mal in seinem Leben eine richtig gute Idee hat? Onno, Mitte 50, Hartz IV-Empfänger, Noppensockenträger und ungeschlagener König einer Hamburg-Eppendorfschen Pingpong-Runde, bekennender Nicht-Schwitzer, leicht phobisch, hat das Finanzamt im Nacken, den Geburtstag seiner Frau Edda vor Augen und eine Eingebung aus dem Fernsehen: Er wird Privatdetektiv! Seine geplagten Sportsfreunde vom Tischtennis ahnen Ungutes. Aus langjähriger Erfahrung. Dennoch verhilft einer von ihnen Onno zu seinem ersten Fall: Der Popmagnat Nick Dolan argwöhnt Untreue seiner aktuellen Flamme, Onno soll ein Beweisfoto von ihr und dem Liebhaber liefern. Und Onno hat Glück, schon bald wird er Dolans Nebenbuhler ansichtig. Leider. Allerdings ist der Kerl mit dem Spitznamen "Händchen" nicht nur zwei Meter groß und 130 Kilo schwer, er ist auch die unberechenbare, gefürchtete rechte Hand eines Hamburger Kiez-Oligarchen. Onno schafft es nicht, den Fall wieder abzugeben und muss die beiden bis nach Mallorca verfolgen. Dort setzt sich fort, was begann, als einer wie Onno mal eine richtig gute Idee hatte: Der Sog der Katastrophe beschleunigt sich rasend . . . Was passiert, wenn ein Autor wie Frank Schulz zum ersten Mal in seinem Leben seine wild wuchernde Phantasie und Sprachlust mit der spannungsgeladenen Handlung eines Thrillers kombiniert? Schafft der Leser nicht, das Buch rechtzeitig zuzuschlagen, wird er hineingerissen in einen Strudel aus Verrat und aberwitzigen Dialogen, Hochspannung und unvergesslichen Figuren, Situationskomik und abgründigen Milieustudien.n argwöhnt Untreue seiner aktuellen Flamme, Onno soll ein Beweisfoto von ihr und dem Liebhaber liefern. Und Onno hat Glück, schon bald wird er Dolans Nebenbuhler ansichtig. Leider. Allerdings ist der Kerl mit dem Spitznamen "Händchen" nicht nur zwei Meter groß und 130 Ki
Lese-Probe zu „Onno Viets und der Irre vom Kiez / Onno Viets Bd.1 “
Onno Vietz und der Irre vom Kiez von Frank Schulz[1]
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Montag, der 19. April. Sporthalle des Günther-Jauch-Gymnasiums in Hamburg-Eppendorf.
Es wird so gegen acht Uhr abends gewesen sein, als diese weite, elastische Diele von jenem gewissen Schlachtruf widerhallte. Baßtönig, rasend, und doch geradezu infantil gesättigt von Genugtuung, klang er in etwa wie »KABAANAAAaaa ... !«
Blanker, rutschfester Boden; entlang den Wänden Gummimatten und Klettergerüste und Basketballkörbe; taghelles Deckenlicht, himmelhohe Milchglasfenster an der Bankseite. Und doch wirkte die Halle gar nicht karg auf uns Alte Herren. Fühlten uns wohl in diesem etwas schwülen Gemäuer, wo wir unsere chromosomatisch immer noch schwelende Tollheit für ein paar Stunden kontrolliert anzufachen vermochten - momentweise bis zur Verzückung.
Der vierschrötige Bursche, der da losgebölkt hatte wie ein Vandale, wechselte den Schläger in die Linke, um die geballte Rechte für eine triumphale Pleuelgeste freizuhaben. Den restlichen Energieüberschuß baute er ab, indem er schnaubend hin und her stapfte: Ulli Vredemann. Unser Küken.
Sein Pseudonym EP (Elefantenpeitsche) verdankte er solchen Bällen. Durch die schlagartige Beschleunigung auf etwa 140 km/h huschte das Celluloidbällchen wie eine Sternschnuppe durchs Blickfeld. Am plastischsten war es akustisch wahrzunehmen: erst am Hieb mit der Rückseite des Schlägers, dann am Knall, mit dem es in die offene Ecke des Tischtennistisches ein- und in noch spitzerem Winkel wieder herausschoß - täzeng!!
Benommen der Hüpfrhythmus, in dem der Ball nun durch die Halle irrte - und wie üblich hinter den Verstrebungen der langen Bänke verschwand. Hinterdreinschleichen des Gegners.
»Ka... kaba... Wie war das? Ka... bana?« sinnierte ich halblaut - ich, Dr. Christopher Dannewitz, und zwar in meiner Eigenschaft als Rechtsanwalt: Denn § 14 der Vereinssatzung schrieb vor, sich regelmäßig über das Triumph- und Klagewelsch der Sportsfreunde lustig zu machen. Dankbarste Quelle: eben Ulli EP Vredemann.
»Kabana, ja«, bestätigte Raimund. Wir kauerten nebeneinander auf der Bank, seicht schwitzend, so gut wie selig. »Kommt aus dem Umgangsvredonischen. Bedeutet so viel wie: ›Nimm das, Sohn eines Ostfriesen!‹«
»Ah.«
Wiewohl massig an Gestalt, vermochte Ulli eine schon unwahrscheinlich flinke Figur zu machen. Ungerührt von unserem Gefrotzel wechselte er auf die andere Seite der Platte. »So«, schnaufte er. »Zwo null.« Die schütteren Haare waren klatschnaß, und das Hemd strotzte vor Versumpfung.
»Dalli, Noppe!« schnauzte Raimund. Gemeint war Ullis Gegner, der nach erfolgter Ballbergung wieder angelatscht kam. »Wir haben Durst!« Einst hieß das so viel wie Alarmstufe Rot! Doch das war vorbei - noch nicht allzu lang, scheinbar; aber vorbei -, und wir wußten es alle.
Der als ›Noppe‹ angesprochene Mann balancierte den Ball auf der Rückhandseite seines Schlägers denn auch, als probte er fürs Eierlaufen. Folglich schaute er nicht auf, sondern hob nur, da Linkshänder, die Rechte ans Ohr. Beziehungsweise dorthin, wo es verborgen war. Dort, wo das Anthrazitfarbene des strähnigen, nackenlangen Schopfes stufenlos ins Schiefergraue changierte. »Was?«
»Duhurst! Dalli!«
Seine Füße steckten in einem Paar Noppensocken. Schottenkaro. Dazu trug er Shorts, deren manisch-depressives Muster den taffsten Clown in den Suizid triebe. Das T-Shirt mochte - im vergangenen Jahrtausend - blau gewesen sein, oder grau. In Höhe der Schulterblätter gähnte ein Mordsloch. Materialermüdung. »Ja, ja«, versetzte er. »Immer mit der Ruhe.« Sanft rollte das R - ein R wie geschaffen für ein Wort wie ›Ruhe‹. Vervielfältigte man dieses R zu einer Endlosschleife, klänge es wie das Schnurren eines Katers.
Er ließ die Rechte wieder sinken. Sein Arm war schimmelweiß. Wo andere den Trizeps, hatte er eine Art Flechte. Genauer betrachtet, eine Tätowierung. Fünfzehn war er, als sie ihm aufgrund einer verlorenen Wette in einem Keller lokal an der Reeperbahn zugefügt worden war - von einem schwammigen, besoffenen Zwergalbino. Bis heute erschien er in seinen Träumen. Das Motiv vermochte man nur von relativ nahem zu identifizieren: ein männchenmachender Pudel. Farbton: auf der Skala zwischen Schweinsohrstempel und Bluterguß.
Bis an den Tisch jonglierte er den Ball. »Los!« blaffte, nicht locker lassend, der schöne Raimund. »Null zwo! Letzter Satz!«
»Was?«
»Letzter Sahatz!!«
Neckisch. Ulli müßte natürlich auch den kommenden Satz erst mal gewinnen, damit feststünde, daß es der letzte gewesen war. (Sonst hieße es zwo eins. Mit der Gefahr des zwo zwo und, tja, eben auch zwo drei.)
Und so drehte er sich einmal zur Bank, unser alter Sportsfreund Onno ›Noppe‹ Viets, machte »Öff, öff!« und grinste sein gutmütiges, gütiges, ja gutes Grinsen, das er seit jeher zu grinsen pflegte - unverbrüchlich; auch und gerade, wenn weißgott wieder einmal etwas dahinschwand, das wenigstens halbwegs begrinsenswert gewesen wäre.
[2]
Ungefähr Viertel vor neun. Après-Pingpong im Tre tigli. Kaum daß wir unseren Stammtisch mit Beschlag belegt hatten, präsentierte Onno uns sein Husarenstück. »So, Sportsfreunde. Achtung, Achtung. Ich glaub', ich werd' Privatdetektiv. Öff, öff.«
Hatte sich was mit öff, öff. War bitterer Ernst. Und besonders bedenklich, daß sein Gespür für Timing versagte.
Normalerweise garantierten unsere entschlackten Leiber für diese Phase des Montagabends eine Stimmungslage, die Raimund einmal mit »besenrein« umschrieben hatte. Solide geistige Dumpf- sowie Maulfaulheit. Was dringend zu sagen war, hatten wir an der Platte gesagt - Kabaanaaa! -, und bis das erste Bier auf dem Tisch stünde, waren nichts als Seufzer der Zufriedenheit gelitten. Allenfalls noch ein, zwei selbstironische Grunzer der Überforderung durch den Fußmarsch.
Immerhin dauerte er drei Minuten; zwo Minuten zuviel, nach einer zwostündigen Beanspruchung von summa summarum zwohundert Jahre alten Knochen. Auch wenn es ein Weg war, der uns bestärkte in unserer Alters-Schwäche für heimelige Bürgerlichkeit bzw. bürgerliche Heimeligkeit. Im harschen Laub, das unter den Koniferen und winterharten Stauden entlang dem Schulgebäude weste, scharrten Amseln wie die Hühner auf dem Lande. Gegenüber wedelten Eichen mit ihren knotigen, gerupften Flederwischen über den Firsten der vierstöckigen Jugendstilhäuser. Mit dem aufgesogenen Restlicht des Tages leuchteten deren Fassaden in der Dämmerung, während die Falten der Portikusornamente und Pflanzenkapitelle sich bereits verschatteten. Roßkastanien und Birken, denen man seit Tagen beim Ergrünen förmlich zuschauen konnte, kitzelten mit ihrem Junglaub die schwarzen Gerippe noch splitternackter Kirschespen. Zu beiden Seiten der kopfsteingepflasterten Einbahnstraße bissen die Schnauzen von Panda und Jaguar schräg in die steilen Kantsteine der Trottoirs, diese wie jene mit Samenspreu von Besenahornen bestreut.
Genau gegenüber der Einmündung in die Heino-Jaeger-Straße steckte, gemütlich im Souterrain zwischen zwei Hochparterre-Treppen der benachbarten Bürgerhäuser, das Tre tigli. Am heutigen 19. April hätte man bereits - lauschig beleuchtet von schmiedeeisernen Laternen - unter den Laubschirmen jener Linden sitzen können, die dem Lokal den Namen verliehen. (Übrigens gab es nur zwei Exemplare; da Platz für ein drittes kaum je vorhanden gewesen sein dürfte, verdankte sich die Aufrundung mutmaßlich poetischen Erwägungen.) Aus mangelnder Geschäftigkeit war das Gartenmobiliar jedoch noch eingekellert, und die Bodenplatten klebten vom Knospensaft. (Wie der Schwarze Engel Monate später, eine in diesem Jahr erstmals aufgetretene Abnormität, die den Biologen Rätsel aufgab.) Wir stiegen die drei Stufen hinab und traten ein.
Der Kommandostand der Theke verwaist, und die paar Tischchen wie meist übersichtlich besetzt. Wie üblich dominierte ein Aroma, als sei am Vorabend ein Barriquefaß geplatzt. Eng und verqualmt der hiesige Gastraum, der Raucherraum; der Nichtraucher im Hinterzimmer geräumiger. Doch wer ging schon ins Hinterzimmer, wo Carina nur auf Abruf auftauchte?
»Wo ist sie?« rüffelte Raimund einen anonymen Gott der Gewohnheit, während wir unsere Sporttaschen mit den schweißschweren Trikots und nassen Handtüchern in einer reservierten Ecke unterm Tresen stapelten.
Es antwortete aber Schnorf. »Hinten.« Und fügte dieses Katarrhgeräusch hinzu, auf das Raimund ihn getauft hatte.
Schnorf hieß in Wirklichkeit Steamy Little Buffalo. Ogellalah. Alter Fahrensmann, vor Jahren in Hamburg gestrandet. Wann immer wir den Raum betraten, hockte er in der äußersten Ecke der Theke, wo das Schankholz bereits recht abgeliebt war, trank Feuerwasser, rauchte Unkraut und büffelte vor sich hin. Eine Art Freude zeigte er nur beim Eintritt Onnos. Wie manch anderer Zeitgenosse hatte auch er einen Narren an dessen gütigem Lächeln gefressen. Onno verfügte über etwas, das wir im Freundeskreis ›Charisma für Arme‹ nannten.
Womöglich war es die Säumigkeit unserer Montagsfee, die die Unleidlichkeit in der Stimmung an unserem Tisch noch verschärfte, nachdem bereits Onno so ungeschlacht vorgeprescht war. Raimund jedenfalls erwiderte auf dessen Annonce seiner neuesten Geschäftsidee nichts weiter als ein Geräusch, auf das man einen vulgären Scherzartikel taufen konnte, und auch EP und mir fehlten noch der Saft und die Kraft und die Herrlichkeit, uns mit Onnos Flausen zu befassen, bevor auch nur der Schatten Carinas erahnbar war. Außer Onno, der sein liebliches Grinsen grinste (leicht angeranzt allerdings, weil Botschaft verstanden) und, einzig verbliebener Raucher aus unserem Klüngel, sich eine seiner dünnen Zigaretten drehte, blätterten wir grunzend in den laminierten Speisekarten, die wir uns vom Beistelltisch geschnappt hatten. Nur, um uns abzulenken.
Denn die Küche des Tre tigli war widerlich bis mittelmäßig, je nachdem. Je nach wem, das hatten wir ebenso wenig je herausgefunden wie einen angeblichen Inh. Luigi Campone.
Niemand wußte, ob der noch lebte oder tatsächlich, wie Schnorf schwor, längst den Freitod gewählt hatte. »Wenn Selbstmord, dann«, wie ein wiederum anderer Urgast eines Abends behauptet hatte, »aus niederen Motiven! ... Luigi? Luigi war ein Vollblutarschloch.« In den achtziger, neunziger Jahren sei er höchst angesagt gewesen - ungeachtet seiner Wucherpreise, ungeachtet seiner Kinderstube. Ständig lausig gelaunt, behandelte er die illustren Gäste wie Asylanten, und die interpretierten es als authentisch bukolisch. Al dente, al dente. Meine Swanse ieße al dente. Huch! Nein, dieser Luigi! Die Gattin eines Fernsehansagers a. D. hatte er mal - am Samstagabend, vor vollbesetztem Haus - als Schlampe eingestuft. Monatelang habe sie davon geschwärmt.
Endlich erschien Carina auf der Bildfläche, von Kopf bis Fuß in Charme gebadet, und wir wußten wieder, weshalb wir immer wiederkehrten.
»Prachtkind! Wo bleibst du denn!« wimmerte Raimund und hangelte irgendwie kopfüber nach ihrer Hand oder so.
»Na, ihr Sugardaddys?« Sie tätschelte ihm von hinten die Schultern. Lächelte uns über seinen nach wie vor vollgültigen Scheitel hinweg an. Gegen sie war Schneewittchen eine Kuh. Wir wärmten uns an unserem eigenen Augenlicht.
Bis auf Raimund. »Schuggaddd-?« Schnappte nach Luft.
Raimund war wirklich ein schöner Mann mit dichtem dunkelblondem, noch ungefärbtem Burschenhaar, immer noch ausdrucksvollen grauen Augen, nur leicht outriertem Kinn etc., und er hatte es stets waidgerecht eingesetzt. Jahrzehntelang. Erst neun Jahre zuvor hatte er sich entschlossen, Vater eines Stammhalters zu werden, und acht Jahre zuvor die Kindsmutter geheiratet. Liese. Vier Jahre später war auch noch Töchterchen Paula hinzugekommen, in die der Mann derart verschossen war, daß er manchmal von der Arbeit aus zu Haus anrief, um sich ihrer zu versichern. Nichtsdestoweniger, auf freier Wildbahn ließ er sich nach wie vor ungern als Daddy bezeichnen, schon gar nicht als Sugardaddy. »Klingt so nach Altersdiabetes.«
Nachdem die erste Runde Pils angerollt war, hellte die Atmosphäre an unserem Tisch schon mal ein wenig auf. Jeder von uns hatte seinen eigenen Grund, weshalb er die Stimmung mit einem Schuß Mißliebigkeit trübte. Raimund, weil er als Onnos ältester Freund von Onnos jüngstem Berufsplan verstimmt war. Onno, weil er als Raimunds ältester Freund von Raimunds Verstimmung verstimmt war. Ich, weil es mir als Raimunds und Onnos zweitältestem Freund oblag, die Verstimmungen zu beheben.
Doch ich opferte mich - bevor sie aufs neue würden aneinandergeraten können, der schöne Raimund und der unschöne Onno. Und zwar, indem ich mit all der Tücke des geborenen Anwalts die Ursache zur Mißstimmung des Vierten im Bunde aufrührte. Aus heiterem Himmel pinkelte ich ihm ans Bein: Ich, Christopher Dannewitz, nehme »dir, Ulli EP Vredemann«, der die historische Chance, die indolente chinesische Unschlagbarkeit von Celluloidtitan Onno Noppe Viets, unter der wir, die wir bekanntlich nichts als unwürdige Nichtvietse seien, seit Jahren litten, zu durchbrechen, ja zu brechen, um womöglich eine pingpongpolitische Neuordnung, Silberstreifen am Horizont und bla bla, »einzuleiten, verpaßt hast, krumm«.
»Einzuleiten. Verpaßt hast. Krumm«, äffte Ulli kühl. »Winkeladvokat.«
Denn natürlich hatte er die Partie noch verloren. Zwo zu drei. Es war so:
In unserer Jugend hatten wir alle vereinsmäßig Tischtennis gespielt (bis auf Onno). Dieses unser aktuelles montägliches Training aber - wir pflegten von Training zu sprechen, als hätten wir je einen Ernstfall zu erwarten - hatte erst fünf Jahre zuvor begonnen, peu à peu zum »Höhepunkt der Woche« aufzurücken, wie Raimund in einem schwachen Moment gestand (womit er für uns alle sprach).
Aufgrund einer Schnapsidee hatten er und ich unsere Mitgliedschaft im Betriebssportverein Hollerbeck Eppendorf erneuert (ehem. Fabrik für Kupferfittinge). Zuletzt hatten wir dort zwanzig Jahre vorher Volleyball gespielt. Nun wollten wir, dazu taugten die Kniegelenke noch mit Ach und Krach, die Tischtennissparte wiederbeleben. Deren einziger williger Hinterbliebener Ulli Vredemann lautete. Deshalb redeten wir Onno ein, Bewegung tue auch ihm gut. Als wären wir uns nicht sicher, daß ein Onno Viets sich auch beim Sport wie seit jeher bewegen würde: ergonomisch. Ergo wenig.
Zugegeben, offiziell hatten wir Onno als fehlenden Doppelpartner rekrutiert, insgeheim aber als Sparringssack. Nichts gegen allseits gleiche Spielstärke. Doch für die Psychohygiene der Mehrheit, also für eine harmonische Gruppendynamik, leistete kaum etwas bessere Dienste als ein stabiles Opfer. Keine Pfeife, wohlgemerkt. Mithalten sollte es schon. Nur verlieren.
Woran Onno sich dann selten hielt. Das war nicht vorherzusehen gewesen.
Zumal er einen Stil spielte, der mit dem Attribut >unorthodox< nur allzu arg verniedlicht wäre. Raimund nannte ihn »sittenwidrig«. Das traf es exakt. Nicht nur, daß Onno darauf bestand, statt in Sportschuhen auf diesen Noppensokken zu spielen. (»Warum?! Warum?!!« tobte der schöne Raimund. »Warum nicht, nech«, sprach Häuptling Rollendes R.) Sondern darüber hinaus verfügte er über null Vorhand, aber Rückhand konnte man »das« (Raimund) auch nicht nennen. In Anlehnung an den fernöstlichen >Penholder<-Griff prägte wiederum Raimund die genauestmögliche Bezeichnung »Zen-holder«. Onno vermochte damit sogar zu schmettern, indem er den Ellbogen hochriß wie ein abschmierender Flugsaurier. Jeder andere würde sich die Schulter auskugeln. Und das alles auch noch mit links! »Paralympisch ohne Not.« (Raimund)
Onnos Kraftaufwand an der Tischtennisplatte lag also unwesentlich höher als an der Würstchenbude. Flips und Schüsse spielte er nur gelegentlich, doch wenn, dann so sicher wie alle anderen Schläge. Meistens blockte er einfach alles weg, was scharf genug daherkam, und was nicht, das schupfte er. Spielten wir nicht scharf genug, schupfte er uns unser Spiel kaputt. Er schupfte uns zur Weißglut, aber wenn wir entnervt wieder anziehen wollten, blockte er kompromißlos. Er spielte weder definitiv defensiv noch offensiv, er erzwang Fehler oder wartete sie mit der Seelenruhe einer Leiche ab. Es war, wie einmal mehr Raimund es mit der Führungskräften eigenen Präzision ausdrückte, »zum Kotzen«. Nie wurde man das bittere Gefühl los, »sich selber in die Scheiße zu reiten«.
Anfangs dachten wir noch, es liege an Onnos Schläger. Es handelte sich um einen, den Onno von irgendeinem Lehrgang beim Barras anno 1976 hatte mitgehen lassen. Klang mittlerweile wie ein Kochlöffel, doch hatte der Belag Außennoppen (daher Onnos Spitzname, gar nicht mal wegen der Socken). Außennoppen waren nach § 11 verpönt. Außennoppenbelag verleiht dem Ball nicht erst durch raffinierten Ober- oder Unterschnitt konkurrenzfähiges Flugverhalten, sondern schon allein durchs Material. Onno hielt den Schläger einfach hin, und das Noppenprofil katapultierte den Ball zurück, der dabei flatterte wie ein Dum-Dum-Geschoß; es kehrte seinen Schnitt um und machte ihn schwer berechenbar.
Da kam Onnos Fuffzigster gerade recht. Kurzerhand schenkten wir ihm einen hochwertigen Schläger aus Balsa-holz. Mit erstklassigen Belägen. (Wir hatten kurz erwogen, nur die Rückhandseite ... aber das erschien uns dann doch zu vorwitzig.) Außerdem entsprachen sie Onnos Blockstil durchaus. Nur verfügten sie über Innennoppe wie unsere auch, verdammt noch mal.
Tja. Drei, vier Montage Eingewöhnung, und Onno wurde noch stärker. Seither galt er als unschlagbar.
Daß er seine Statistenaufgabe partout nicht erfüllte, war für uns natürlich betrüblich. Lag darin der tiefere Grund, daß wir seine fünfundneunzigprozentige Siegquote im Einzelkampf auf Dauer einfach ignorierten? Es beißt die Maus keinen Faden ab: Für drei Viertel unseres Vereins spielte Onno insgeheim außer Konkurrenz. Die stillschweigende kollektive moralische Umwertung verlief auch individualpsychologisch reibungslos, denn Onnos Erfolge trotz seines ästhetisch verheerenden Spielstils anzuerkennen widersprach jedem einzelnen unserer Selbstbilder. Gut, es gewann, wer Punkte machte.
Aber hatte, wer seinen Florettgegner mit der Fliegenpatsche zum Wahnsinn trieb, Respekt verdient?
Immerhin hatte Onno stets den Anstand besessen, seine Rekorde nicht weiter zu thematisieren. (Wenn er den jeweils jüngsten Triumph einfuhr, beklatschte er fair die Leistung des Gegners. Was für unseren Geschmack allmählich zwar einen Hautgout von Überheblichkeit annahm.)
In Anbetracht all dessen kam es natürlich einem Stich ins Wespennest gleich, als ich die historische, wettkampfmäßige Wahrheit des BSV Hollerbeck Eppendorf ungeschminkt aussprach. Während wir mausetote Spaghetti reingabelten und ein zweites Pils tranken, debattierten wir bei mnemotechnischer Rekonstruktion und Analyse der spektakulären fünf Sätze aufs lebhafteste - was nach einer Stunde zur erwünschten Befriedung des Abends führte:
Ulli genoß die verdiente Rehabilitation als erster Spieler seit langem, der immerhin einen zeitweiligen Zwei-null-Stand gegen Onno vorweisen konnte. Raimund genoß den Umstand, daß er aufgrund der obligatorischen Eins-drei-Niederlage gegen Onno keine historische Chance verpatzt hatte. Onno genoß, daß die Ungeschicktheit seines erwerbsbiographischen Vorstoßes vergessen gemacht war, und ich, daß mein Kalkül aufging. Die Stimmung war stabil.
»Also, nun noch mal«, stöhnte der schöne, geplagte Raimund schließlich, indem er auf Onnos Bierdeckel starrte. »Ist das dein Ernst, Knatterton?«
...
© 2012 Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln
Montag, der 19. April. Sporthalle des Günther-Jauch-Gymnasiums in Hamburg-Eppendorf.
Es wird so gegen acht Uhr abends gewesen sein, als diese weite, elastische Diele von jenem gewissen Schlachtruf widerhallte. Baßtönig, rasend, und doch geradezu infantil gesättigt von Genugtuung, klang er in etwa wie »KABAANAAAaaa ... !«
Blanker, rutschfester Boden; entlang den Wänden Gummimatten und Klettergerüste und Basketballkörbe; taghelles Deckenlicht, himmelhohe Milchglasfenster an der Bankseite. Und doch wirkte die Halle gar nicht karg auf uns Alte Herren. Fühlten uns wohl in diesem etwas schwülen Gemäuer, wo wir unsere chromosomatisch immer noch schwelende Tollheit für ein paar Stunden kontrolliert anzufachen vermochten - momentweise bis zur Verzückung.
Der vierschrötige Bursche, der da losgebölkt hatte wie ein Vandale, wechselte den Schläger in die Linke, um die geballte Rechte für eine triumphale Pleuelgeste freizuhaben. Den restlichen Energieüberschuß baute er ab, indem er schnaubend hin und her stapfte: Ulli Vredemann. Unser Küken.
Sein Pseudonym EP (Elefantenpeitsche) verdankte er solchen Bällen. Durch die schlagartige Beschleunigung auf etwa 140 km/h huschte das Celluloidbällchen wie eine Sternschnuppe durchs Blickfeld. Am plastischsten war es akustisch wahrzunehmen: erst am Hieb mit der Rückseite des Schlägers, dann am Knall, mit dem es in die offene Ecke des Tischtennistisches ein- und in noch spitzerem Winkel wieder herausschoß - täzeng!!
Benommen der Hüpfrhythmus, in dem der Ball nun durch die Halle irrte - und wie üblich hinter den Verstrebungen der langen Bänke verschwand. Hinterdreinschleichen des Gegners.
»Ka... kaba... Wie war das? Ka... bana?« sinnierte ich halblaut - ich, Dr. Christopher Dannewitz, und zwar in meiner Eigenschaft als Rechtsanwalt: Denn § 14 der Vereinssatzung schrieb vor, sich regelmäßig über das Triumph- und Klagewelsch der Sportsfreunde lustig zu machen. Dankbarste Quelle: eben Ulli EP Vredemann.
»Kabana, ja«, bestätigte Raimund. Wir kauerten nebeneinander auf der Bank, seicht schwitzend, so gut wie selig. »Kommt aus dem Umgangsvredonischen. Bedeutet so viel wie: ›Nimm das, Sohn eines Ostfriesen!‹«
»Ah.«
Wiewohl massig an Gestalt, vermochte Ulli eine schon unwahrscheinlich flinke Figur zu machen. Ungerührt von unserem Gefrotzel wechselte er auf die andere Seite der Platte. »So«, schnaufte er. »Zwo null.« Die schütteren Haare waren klatschnaß, und das Hemd strotzte vor Versumpfung.
»Dalli, Noppe!« schnauzte Raimund. Gemeint war Ullis Gegner, der nach erfolgter Ballbergung wieder angelatscht kam. »Wir haben Durst!« Einst hieß das so viel wie Alarmstufe Rot! Doch das war vorbei - noch nicht allzu lang, scheinbar; aber vorbei -, und wir wußten es alle.
Der als ›Noppe‹ angesprochene Mann balancierte den Ball auf der Rückhandseite seines Schlägers denn auch, als probte er fürs Eierlaufen. Folglich schaute er nicht auf, sondern hob nur, da Linkshänder, die Rechte ans Ohr. Beziehungsweise dorthin, wo es verborgen war. Dort, wo das Anthrazitfarbene des strähnigen, nackenlangen Schopfes stufenlos ins Schiefergraue changierte. »Was?«
»Duhurst! Dalli!«
Seine Füße steckten in einem Paar Noppensocken. Schottenkaro. Dazu trug er Shorts, deren manisch-depressives Muster den taffsten Clown in den Suizid triebe. Das T-Shirt mochte - im vergangenen Jahrtausend - blau gewesen sein, oder grau. In Höhe der Schulterblätter gähnte ein Mordsloch. Materialermüdung. »Ja, ja«, versetzte er. »Immer mit der Ruhe.« Sanft rollte das R - ein R wie geschaffen für ein Wort wie ›Ruhe‹. Vervielfältigte man dieses R zu einer Endlosschleife, klänge es wie das Schnurren eines Katers.
Er ließ die Rechte wieder sinken. Sein Arm war schimmelweiß. Wo andere den Trizeps, hatte er eine Art Flechte. Genauer betrachtet, eine Tätowierung. Fünfzehn war er, als sie ihm aufgrund einer verlorenen Wette in einem Keller lokal an der Reeperbahn zugefügt worden war - von einem schwammigen, besoffenen Zwergalbino. Bis heute erschien er in seinen Träumen. Das Motiv vermochte man nur von relativ nahem zu identifizieren: ein männchenmachender Pudel. Farbton: auf der Skala zwischen Schweinsohrstempel und Bluterguß.
Bis an den Tisch jonglierte er den Ball. »Los!« blaffte, nicht locker lassend, der schöne Raimund. »Null zwo! Letzter Satz!«
»Was?«
»Letzter Sahatz!!«
Neckisch. Ulli müßte natürlich auch den kommenden Satz erst mal gewinnen, damit feststünde, daß es der letzte gewesen war. (Sonst hieße es zwo eins. Mit der Gefahr des zwo zwo und, tja, eben auch zwo drei.)
Und so drehte er sich einmal zur Bank, unser alter Sportsfreund Onno ›Noppe‹ Viets, machte »Öff, öff!« und grinste sein gutmütiges, gütiges, ja gutes Grinsen, das er seit jeher zu grinsen pflegte - unverbrüchlich; auch und gerade, wenn weißgott wieder einmal etwas dahinschwand, das wenigstens halbwegs begrinsenswert gewesen wäre.
[2]
Ungefähr Viertel vor neun. Après-Pingpong im Tre tigli. Kaum daß wir unseren Stammtisch mit Beschlag belegt hatten, präsentierte Onno uns sein Husarenstück. »So, Sportsfreunde. Achtung, Achtung. Ich glaub', ich werd' Privatdetektiv. Öff, öff.«
Hatte sich was mit öff, öff. War bitterer Ernst. Und besonders bedenklich, daß sein Gespür für Timing versagte.
Normalerweise garantierten unsere entschlackten Leiber für diese Phase des Montagabends eine Stimmungslage, die Raimund einmal mit »besenrein« umschrieben hatte. Solide geistige Dumpf- sowie Maulfaulheit. Was dringend zu sagen war, hatten wir an der Platte gesagt - Kabaanaaa! -, und bis das erste Bier auf dem Tisch stünde, waren nichts als Seufzer der Zufriedenheit gelitten. Allenfalls noch ein, zwei selbstironische Grunzer der Überforderung durch den Fußmarsch.
Immerhin dauerte er drei Minuten; zwo Minuten zuviel, nach einer zwostündigen Beanspruchung von summa summarum zwohundert Jahre alten Knochen. Auch wenn es ein Weg war, der uns bestärkte in unserer Alters-Schwäche für heimelige Bürgerlichkeit bzw. bürgerliche Heimeligkeit. Im harschen Laub, das unter den Koniferen und winterharten Stauden entlang dem Schulgebäude weste, scharrten Amseln wie die Hühner auf dem Lande. Gegenüber wedelten Eichen mit ihren knotigen, gerupften Flederwischen über den Firsten der vierstöckigen Jugendstilhäuser. Mit dem aufgesogenen Restlicht des Tages leuchteten deren Fassaden in der Dämmerung, während die Falten der Portikusornamente und Pflanzenkapitelle sich bereits verschatteten. Roßkastanien und Birken, denen man seit Tagen beim Ergrünen förmlich zuschauen konnte, kitzelten mit ihrem Junglaub die schwarzen Gerippe noch splitternackter Kirschespen. Zu beiden Seiten der kopfsteingepflasterten Einbahnstraße bissen die Schnauzen von Panda und Jaguar schräg in die steilen Kantsteine der Trottoirs, diese wie jene mit Samenspreu von Besenahornen bestreut.
Genau gegenüber der Einmündung in die Heino-Jaeger-Straße steckte, gemütlich im Souterrain zwischen zwei Hochparterre-Treppen der benachbarten Bürgerhäuser, das Tre tigli. Am heutigen 19. April hätte man bereits - lauschig beleuchtet von schmiedeeisernen Laternen - unter den Laubschirmen jener Linden sitzen können, die dem Lokal den Namen verliehen. (Übrigens gab es nur zwei Exemplare; da Platz für ein drittes kaum je vorhanden gewesen sein dürfte, verdankte sich die Aufrundung mutmaßlich poetischen Erwägungen.) Aus mangelnder Geschäftigkeit war das Gartenmobiliar jedoch noch eingekellert, und die Bodenplatten klebten vom Knospensaft. (Wie der Schwarze Engel Monate später, eine in diesem Jahr erstmals aufgetretene Abnormität, die den Biologen Rätsel aufgab.) Wir stiegen die drei Stufen hinab und traten ein.
Der Kommandostand der Theke verwaist, und die paar Tischchen wie meist übersichtlich besetzt. Wie üblich dominierte ein Aroma, als sei am Vorabend ein Barriquefaß geplatzt. Eng und verqualmt der hiesige Gastraum, der Raucherraum; der Nichtraucher im Hinterzimmer geräumiger. Doch wer ging schon ins Hinterzimmer, wo Carina nur auf Abruf auftauchte?
»Wo ist sie?« rüffelte Raimund einen anonymen Gott der Gewohnheit, während wir unsere Sporttaschen mit den schweißschweren Trikots und nassen Handtüchern in einer reservierten Ecke unterm Tresen stapelten.
Es antwortete aber Schnorf. »Hinten.« Und fügte dieses Katarrhgeräusch hinzu, auf das Raimund ihn getauft hatte.
Schnorf hieß in Wirklichkeit Steamy Little Buffalo. Ogellalah. Alter Fahrensmann, vor Jahren in Hamburg gestrandet. Wann immer wir den Raum betraten, hockte er in der äußersten Ecke der Theke, wo das Schankholz bereits recht abgeliebt war, trank Feuerwasser, rauchte Unkraut und büffelte vor sich hin. Eine Art Freude zeigte er nur beim Eintritt Onnos. Wie manch anderer Zeitgenosse hatte auch er einen Narren an dessen gütigem Lächeln gefressen. Onno verfügte über etwas, das wir im Freundeskreis ›Charisma für Arme‹ nannten.
Womöglich war es die Säumigkeit unserer Montagsfee, die die Unleidlichkeit in der Stimmung an unserem Tisch noch verschärfte, nachdem bereits Onno so ungeschlacht vorgeprescht war. Raimund jedenfalls erwiderte auf dessen Annonce seiner neuesten Geschäftsidee nichts weiter als ein Geräusch, auf das man einen vulgären Scherzartikel taufen konnte, und auch EP und mir fehlten noch der Saft und die Kraft und die Herrlichkeit, uns mit Onnos Flausen zu befassen, bevor auch nur der Schatten Carinas erahnbar war. Außer Onno, der sein liebliches Grinsen grinste (leicht angeranzt allerdings, weil Botschaft verstanden) und, einzig verbliebener Raucher aus unserem Klüngel, sich eine seiner dünnen Zigaretten drehte, blätterten wir grunzend in den laminierten Speisekarten, die wir uns vom Beistelltisch geschnappt hatten. Nur, um uns abzulenken.
Denn die Küche des Tre tigli war widerlich bis mittelmäßig, je nachdem. Je nach wem, das hatten wir ebenso wenig je herausgefunden wie einen angeblichen Inh. Luigi Campone.
Niemand wußte, ob der noch lebte oder tatsächlich, wie Schnorf schwor, längst den Freitod gewählt hatte. »Wenn Selbstmord, dann«, wie ein wiederum anderer Urgast eines Abends behauptet hatte, »aus niederen Motiven! ... Luigi? Luigi war ein Vollblutarschloch.« In den achtziger, neunziger Jahren sei er höchst angesagt gewesen - ungeachtet seiner Wucherpreise, ungeachtet seiner Kinderstube. Ständig lausig gelaunt, behandelte er die illustren Gäste wie Asylanten, und die interpretierten es als authentisch bukolisch. Al dente, al dente. Meine Swanse ieße al dente. Huch! Nein, dieser Luigi! Die Gattin eines Fernsehansagers a. D. hatte er mal - am Samstagabend, vor vollbesetztem Haus - als Schlampe eingestuft. Monatelang habe sie davon geschwärmt.
Endlich erschien Carina auf der Bildfläche, von Kopf bis Fuß in Charme gebadet, und wir wußten wieder, weshalb wir immer wiederkehrten.
»Prachtkind! Wo bleibst du denn!« wimmerte Raimund und hangelte irgendwie kopfüber nach ihrer Hand oder so.
»Na, ihr Sugardaddys?« Sie tätschelte ihm von hinten die Schultern. Lächelte uns über seinen nach wie vor vollgültigen Scheitel hinweg an. Gegen sie war Schneewittchen eine Kuh. Wir wärmten uns an unserem eigenen Augenlicht.
Bis auf Raimund. »Schuggaddd-?« Schnappte nach Luft.
Raimund war wirklich ein schöner Mann mit dichtem dunkelblondem, noch ungefärbtem Burschenhaar, immer noch ausdrucksvollen grauen Augen, nur leicht outriertem Kinn etc., und er hatte es stets waidgerecht eingesetzt. Jahrzehntelang. Erst neun Jahre zuvor hatte er sich entschlossen, Vater eines Stammhalters zu werden, und acht Jahre zuvor die Kindsmutter geheiratet. Liese. Vier Jahre später war auch noch Töchterchen Paula hinzugekommen, in die der Mann derart verschossen war, daß er manchmal von der Arbeit aus zu Haus anrief, um sich ihrer zu versichern. Nichtsdestoweniger, auf freier Wildbahn ließ er sich nach wie vor ungern als Daddy bezeichnen, schon gar nicht als Sugardaddy. »Klingt so nach Altersdiabetes.«
Nachdem die erste Runde Pils angerollt war, hellte die Atmosphäre an unserem Tisch schon mal ein wenig auf. Jeder von uns hatte seinen eigenen Grund, weshalb er die Stimmung mit einem Schuß Mißliebigkeit trübte. Raimund, weil er als Onnos ältester Freund von Onnos jüngstem Berufsplan verstimmt war. Onno, weil er als Raimunds ältester Freund von Raimunds Verstimmung verstimmt war. Ich, weil es mir als Raimunds und Onnos zweitältestem Freund oblag, die Verstimmungen zu beheben.
Doch ich opferte mich - bevor sie aufs neue würden aneinandergeraten können, der schöne Raimund und der unschöne Onno. Und zwar, indem ich mit all der Tücke des geborenen Anwalts die Ursache zur Mißstimmung des Vierten im Bunde aufrührte. Aus heiterem Himmel pinkelte ich ihm ans Bein: Ich, Christopher Dannewitz, nehme »dir, Ulli EP Vredemann«, der die historische Chance, die indolente chinesische Unschlagbarkeit von Celluloidtitan Onno Noppe Viets, unter der wir, die wir bekanntlich nichts als unwürdige Nichtvietse seien, seit Jahren litten, zu durchbrechen, ja zu brechen, um womöglich eine pingpongpolitische Neuordnung, Silberstreifen am Horizont und bla bla, »einzuleiten, verpaßt hast, krumm«.
»Einzuleiten. Verpaßt hast. Krumm«, äffte Ulli kühl. »Winkeladvokat.«
Denn natürlich hatte er die Partie noch verloren. Zwo zu drei. Es war so:
In unserer Jugend hatten wir alle vereinsmäßig Tischtennis gespielt (bis auf Onno). Dieses unser aktuelles montägliches Training aber - wir pflegten von Training zu sprechen, als hätten wir je einen Ernstfall zu erwarten - hatte erst fünf Jahre zuvor begonnen, peu à peu zum »Höhepunkt der Woche« aufzurücken, wie Raimund in einem schwachen Moment gestand (womit er für uns alle sprach).
Aufgrund einer Schnapsidee hatten er und ich unsere Mitgliedschaft im Betriebssportverein Hollerbeck Eppendorf erneuert (ehem. Fabrik für Kupferfittinge). Zuletzt hatten wir dort zwanzig Jahre vorher Volleyball gespielt. Nun wollten wir, dazu taugten die Kniegelenke noch mit Ach und Krach, die Tischtennissparte wiederbeleben. Deren einziger williger Hinterbliebener Ulli Vredemann lautete. Deshalb redeten wir Onno ein, Bewegung tue auch ihm gut. Als wären wir uns nicht sicher, daß ein Onno Viets sich auch beim Sport wie seit jeher bewegen würde: ergonomisch. Ergo wenig.
Zugegeben, offiziell hatten wir Onno als fehlenden Doppelpartner rekrutiert, insgeheim aber als Sparringssack. Nichts gegen allseits gleiche Spielstärke. Doch für die Psychohygiene der Mehrheit, also für eine harmonische Gruppendynamik, leistete kaum etwas bessere Dienste als ein stabiles Opfer. Keine Pfeife, wohlgemerkt. Mithalten sollte es schon. Nur verlieren.
Woran Onno sich dann selten hielt. Das war nicht vorherzusehen gewesen.
Zumal er einen Stil spielte, der mit dem Attribut >unorthodox< nur allzu arg verniedlicht wäre. Raimund nannte ihn »sittenwidrig«. Das traf es exakt. Nicht nur, daß Onno darauf bestand, statt in Sportschuhen auf diesen Noppensokken zu spielen. (»Warum?! Warum?!!« tobte der schöne Raimund. »Warum nicht, nech«, sprach Häuptling Rollendes R.) Sondern darüber hinaus verfügte er über null Vorhand, aber Rückhand konnte man »das« (Raimund) auch nicht nennen. In Anlehnung an den fernöstlichen >Penholder<-Griff prägte wiederum Raimund die genauestmögliche Bezeichnung »Zen-holder«. Onno vermochte damit sogar zu schmettern, indem er den Ellbogen hochriß wie ein abschmierender Flugsaurier. Jeder andere würde sich die Schulter auskugeln. Und das alles auch noch mit links! »Paralympisch ohne Not.« (Raimund)
Onnos Kraftaufwand an der Tischtennisplatte lag also unwesentlich höher als an der Würstchenbude. Flips und Schüsse spielte er nur gelegentlich, doch wenn, dann so sicher wie alle anderen Schläge. Meistens blockte er einfach alles weg, was scharf genug daherkam, und was nicht, das schupfte er. Spielten wir nicht scharf genug, schupfte er uns unser Spiel kaputt. Er schupfte uns zur Weißglut, aber wenn wir entnervt wieder anziehen wollten, blockte er kompromißlos. Er spielte weder definitiv defensiv noch offensiv, er erzwang Fehler oder wartete sie mit der Seelenruhe einer Leiche ab. Es war, wie einmal mehr Raimund es mit der Führungskräften eigenen Präzision ausdrückte, »zum Kotzen«. Nie wurde man das bittere Gefühl los, »sich selber in die Scheiße zu reiten«.
Anfangs dachten wir noch, es liege an Onnos Schläger. Es handelte sich um einen, den Onno von irgendeinem Lehrgang beim Barras anno 1976 hatte mitgehen lassen. Klang mittlerweile wie ein Kochlöffel, doch hatte der Belag Außennoppen (daher Onnos Spitzname, gar nicht mal wegen der Socken). Außennoppen waren nach § 11 verpönt. Außennoppenbelag verleiht dem Ball nicht erst durch raffinierten Ober- oder Unterschnitt konkurrenzfähiges Flugverhalten, sondern schon allein durchs Material. Onno hielt den Schläger einfach hin, und das Noppenprofil katapultierte den Ball zurück, der dabei flatterte wie ein Dum-Dum-Geschoß; es kehrte seinen Schnitt um und machte ihn schwer berechenbar.
Da kam Onnos Fuffzigster gerade recht. Kurzerhand schenkten wir ihm einen hochwertigen Schläger aus Balsa-holz. Mit erstklassigen Belägen. (Wir hatten kurz erwogen, nur die Rückhandseite ... aber das erschien uns dann doch zu vorwitzig.) Außerdem entsprachen sie Onnos Blockstil durchaus. Nur verfügten sie über Innennoppe wie unsere auch, verdammt noch mal.
Tja. Drei, vier Montage Eingewöhnung, und Onno wurde noch stärker. Seither galt er als unschlagbar.
Daß er seine Statistenaufgabe partout nicht erfüllte, war für uns natürlich betrüblich. Lag darin der tiefere Grund, daß wir seine fünfundneunzigprozentige Siegquote im Einzelkampf auf Dauer einfach ignorierten? Es beißt die Maus keinen Faden ab: Für drei Viertel unseres Vereins spielte Onno insgeheim außer Konkurrenz. Die stillschweigende kollektive moralische Umwertung verlief auch individualpsychologisch reibungslos, denn Onnos Erfolge trotz seines ästhetisch verheerenden Spielstils anzuerkennen widersprach jedem einzelnen unserer Selbstbilder. Gut, es gewann, wer Punkte machte.
Aber hatte, wer seinen Florettgegner mit der Fliegenpatsche zum Wahnsinn trieb, Respekt verdient?
Immerhin hatte Onno stets den Anstand besessen, seine Rekorde nicht weiter zu thematisieren. (Wenn er den jeweils jüngsten Triumph einfuhr, beklatschte er fair die Leistung des Gegners. Was für unseren Geschmack allmählich zwar einen Hautgout von Überheblichkeit annahm.)
In Anbetracht all dessen kam es natürlich einem Stich ins Wespennest gleich, als ich die historische, wettkampfmäßige Wahrheit des BSV Hollerbeck Eppendorf ungeschminkt aussprach. Während wir mausetote Spaghetti reingabelten und ein zweites Pils tranken, debattierten wir bei mnemotechnischer Rekonstruktion und Analyse der spektakulären fünf Sätze aufs lebhafteste - was nach einer Stunde zur erwünschten Befriedung des Abends führte:
Ulli genoß die verdiente Rehabilitation als erster Spieler seit langem, der immerhin einen zeitweiligen Zwei-null-Stand gegen Onno vorweisen konnte. Raimund genoß den Umstand, daß er aufgrund der obligatorischen Eins-drei-Niederlage gegen Onno keine historische Chance verpatzt hatte. Onno genoß, daß die Ungeschicktheit seines erwerbsbiographischen Vorstoßes vergessen gemacht war, und ich, daß mein Kalkül aufging. Die Stimmung war stabil.
»Also, nun noch mal«, stöhnte der schöne, geplagte Raimund schließlich, indem er auf Onnos Bierdeckel starrte. »Ist das dein Ernst, Knatterton?«
...
© 2012 Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Porträt von Frank Schulz
Frank Schulz, Jahrgang 1957, wurde für seine Romane vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hubert-Fichte-Preis (2004), dem Irmgard-Heilmann-Preis (2006) und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2015). Zwischen 2012 und 2016 erschienen seine drei Onno Viets-Romane Onno Viets und der Irre vom Kiez, Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen und Onno Viets und der weiße Hirsch. Zuletzt erschien der Erzählband Anmut und Feigheit (2018).
Bibliographische Angaben
- Autor: Frank Schulz
- 2012, 6. Aufl., 368 Seiten, Maße: 13,5 x 21,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Galiani ein Imprint im Kiepenheuer & Witsch Verlag
- ISBN-10: 3869710381
- ISBN-13: 9783869710389
- Erscheinungsdatum: 16.02.2012
Rezension zu „Onno Viets und der Irre vom Kiez / Onno Viets Bd.1 “
Harry Rowohlts erste Reaktion: "Ich kann über Frank Schulz' neuen Thriller nichts sagen ... Ich lese ihn wie gebannt und möchte nicht gestört werden ..." ... zwei Wochen später: "Jetzt kann sich die deutsche Gegenwartsliteratur endgültig warm anziehen!" "Spitzenbuch!" Wolfgang Herrndorf "Wenn der überaus sprachmächtige Frank Schulz einen Krimi vom Stapel lässt, erwartet man natürlich gleich den Krimi aller Krimis - ein saftstrotzendes Wunderding von einem Buch. Das trifft es exakt." Karen Duve "Ein Buch von Frank Schulz ist immer ein Ereignis. Kaum angekündigt, beginne ich mich schon zu freuen!" Roger Willemsen
Kommentar zu "Onno Viets und der Irre vom Kiez / Onno Viets Bd.1"
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