Opus Dei
Jetzt neu: Band II.5 des Homo-Sacer-Projekts!
Opus dei, das "Werk Gottes", bezeichnet in der Geschichte der katholischen Kirche die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi. Ihre Konsequenzen reichen weit über den Glauben hinaus und...
Opus dei, das "Werk Gottes", bezeichnet in der Geschichte der katholischen Kirche die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi. Ihre Konsequenzen reichen weit über den Glauben hinaus und...
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Produktinformationen zu „Opus Dei “
Klappentext zu „Opus Dei “
Jetzt neu: Band II.5 des Homo-Sacer-Projekts!Opus dei, das "Werk Gottes", bezeichnet in der Geschichte der katholischen Kirche die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi. Ihre Konsequenzen reichen weit über den Glauben hinaus und konstituieren ein ontologisches Paradigma, das unsere Kultur zutiefst bestimmt und die Praxis der Menschen modelliert - wirksamer als das Gesetz, wirklicher als das Sein, absoluter als jegliche menschliche Handlung. Im Anschluss an seine Studie "Herrschaft und Herrlichkeit" treibt Giorgio Agamben die Untersuchung über die theologischen Signaturen wesentlicher Begriffe der Moral und der Politik weiter. An deren Ende steht nichts Geringeres als die Forderung nach einer Philosophie, die sich von den überkommenen Kategorien der Pflicht und des Willens trennt.
Lese-Probe zu „Opus Dei “
Opus Dei von Giorgio Agamben I. Liturgie und Politik
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1. Etymologie und Bedeutung des griechischen Begriffs leitourgia (von dem unser Wort »Liturgie« abstammt) liegen auf der Hand. Leitourgia (von laos, Volk, und ergon, Werk) bedeutet »Dienstleistung für das Gemeinwesen« und bezeichnet, im klassischen Griechenland, die Abgabe, die die Stadt von ihren über ein bestimmtes Einkommen verfügenden Bürgern erhebt, um eine Reihe von Einrichtungen des öffentlichen Lebens zu unterhalten, vom Betrieb der Sportanlagen und der Durchführung der sportlichen Übungen (gymnasiarchia) bis zur Inszenierung der Chordarbietungen bei den städtischen Festen (choregia, zum Beispiel die tragischen Chöre bei den Dionysien), vom Kauf von Öl und Getreide (sitegia) bis zu Bewaffnung und Einsatz einer Triere (triearchia) im Kriegsfall, von der Entsendung einer städtischen Delegation zu den delphischen oder olympischen Spielen (architheoria) bis zum Vorschuss, den die fünfzehn reichsten Bürger auf das Steueraufkommen aller Steuerpflichtigen leisten mussten (proeisfora). Es handelte sich sowohl um dingliche als auch um körperliche Leistungen (»Jeder«, so schreibt Demosthenes, »liturgisiert sowohl mit seinem eigenen Körper als auch mit seinen eigenen Gütern«, tois somasi kai tais ousiais leitourgesai: IV Phil., 28), die, auch wenn sie vom Rat (archai) nicht aufgelistet waren, zur »Sorge um das Gemeinwohl« gehörten (ton koinon epimeleian: Isokrates, 7, 25). Auch wenn die Last der Liturgien bisweilen extrem schwer ausfiel (das Wort kataleitourgeio bedeutete »sich durch Liturgien ruinieren«) und manche Bürger (die aus diesem Grund diadrasipolitai, »Bürger auf der Flucht«, genannt wurden) mit allen Mitteln versuchten, sich ihnen zu entziehen, so galt die Zahlung der Liturgien doch als ein Mittel, um sich Ehre und Ruhm zu erwerben, so dass viele (beispielhaft ist der Fall eines Bürgers, der, wie uns Lysias berichtet, in neun Jahren mehr als 20 000 Drachmen in Liturgien ausgegeben hatte) sogar freiwillig in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Liturgien entrichteten, obwohl sie dazu nicht verpflichtet waren. Aristoteles warnt in der Politik (1309a 18-21) daher vor »kostspieligen und dabei nutzlosen Liturgien, wie Ausrüstungen von Chören, Tragung der Kosten für Fackelläufe und dergleichen«.
Da auch die Ausgaben für den Kultus die Gemeinschaft betreffen (ta pros thous theous dapanemata koina pases tes poleos estin), kann Aristoteles schreiben, dass ein Teil des gemeinschaftlichen Grundbesitzes den Liturgien für die Götter zugewiesen werden soll (pros tous theous leitourgias: ebd., 1330a 13). Dieser Gebrauch des Begriffs im Zusammenhang mit dem Kultus, den wir später, mit einer bemerkenswerten Kontinuität, sowohl im Judentum als auch bei den christlichen Autoren wiederfinden, ist in den Lexika vielfach belegt, aus epigraphischen wie literarischen Quellen. Darüber hinaus wird, wie in solchen Fällen üblich, die technisch-politische Bedeutung des Begriffs, bei der der Bezug zur Gemeinschaft immer im Vordergrund steht, auch auf Dienstleistungen ausgedehnt, die nichts mit der Gemeinschaft zu tun haben, bisweilen auch auf scherzhafte Weise. Wenige Seiten nach der angeführten Stelle spricht Aristoteles in diesem Sinne, bei der Erörterung des richtigen Alters für die geschlechtliche Fortpflanzung, von einem »öffentlichen Dienst der Kindererzeugung« (leitourgein ... pros tecnopoiian: ebd., 1335b 29); mit noch klarer ausgeprägter Ironie erwähnt er in einem Epigramm »die Liturgien« einer Prostituierten (Anth. Pal., 5, 49, I). Es ist nicht ganz korrekt zu behaupten, dass in diesen Fällen »die Bedeutung des Wortelements leitos [also der Bezug zur Öffentlichkeit] völlig verblasst« (Strathmann, S. 224); ganz im Gegenteil, erst durch den Bezug auf die ursprüngliche politische Bedeutung erhält der Ausdruck jedes Mal seinen antiphrastischen Sinn. Wenn Aristoteles es als »Liturgie« bezeichnet, dass eine Hundemutter ihre Welpen säugt (De anim. incessu, 711b 30), oder wenn uns in einem Papyrus die Wendung »zu privaten Liturgien zwingen« begegnet (P. Oxy., III, 475, 18), dann muss man jedes Mal den Bruch heraushören, der mit der metaphorischen Verschiebung von der öffentlichen, gemeinschaftlichen Sphäre in die private einhergeht.
Das System der Liturgien (auf Lateinisch munera) erreicht im Rom der Kaiserzeit ab dem 3. Jahrhundert AD seine größte Verbreitung. Ab dem Moment, in dem das Christentum gleichermaßen zur Staatsreligion wird, kommt der Frage, ob die Kleriker von der Pflicht zu öffentlichen Abgaben befreit werden sollten, ein besonderes Interesse zu. Schon Konstantin hatte verfügt, dass »diejenigen, die für den heiligen Kultus zuständig sind [divini cultui ministeria impendunt], das heißt diejenigen, die Kleriker genannt werden, von allen öffentlichen Dienstleistungen ausgenommen werden müssen [ab omnibus omnino muneribus excusentur]« (Drecoll, S. 56). Wiewohl diese Ausnahme, so zeigt ein weiteres Dekret des Konstantin, das es den decuriones verbietet, Kleriker zu werden, das Risiko mit sich brachte, dass wohlhabende Personen Kleriker wurden, nur um sich den schwerwiegenden munera zu entziehen, so wurde dieses Privileg doch aufrechterhalten, wenn auch mit wechselnden Einschränkungen.
Dies zeigt, dass das Priestertum in gewisser Weise als eine öffentliche Dienstleistung gesehen wurde, und kann einer der Gründe dafür sein, dass der Begriff leitourgia im griechischsprachigen Christentum zunehmend im Zusammenhang mit dem Kultus verwendet wurde.
2. Die Geschichte eines Begriffs fällt oft mit der Geschichte seiner Übersetzungen oder seines Gebrauchs in Übersetzungen zusammen. Die Geschichte des Begriffs leitourgia gelangt daher an einen entscheidenden Punkt, als die alexandrinischen Rabbiner, die die griechische Übersetzung der Bibel ausführen, für das hebräische šeret, das allgemein »dienen« meint, bei jeder Verwendung im Zusammenhang mit dem Kultus das Verb leitourgeo (oft gemeinsam mit leitourgia) wählen. Seit seiner ersten Verwendung in Bezug auf die Funktion Aarons als Priester, wo leitourgeo alleine steht (en toi leitourgein: Ex., 28, 35), wird der Begriff oft in technischer Verbindung mit leitourgia gebraucht, um den Kultus im »Zelt der Begegnung« zu benennen (leitourgein ten leitourgian ... en tei skenei: Num., 8, 22, im Bezug auf die Leviten; leitourgein tas leitourgias tes skenes kyriou: ebd., 16,9).
Die Gelehrten haben sich lange Zeit nach den Gründen für diese Bevorzugung gegenüber anderen möglichen griechischen Begriffen gefragt, zu denen latreuo oder douleo gehören, die in der Septuaginta für gewöhnlich weniger technischen Bedeutungen vorbehalten sind. Dass den Übersetzern diese »politische« Bedeutung des griechischen Begriffs sehr wohl bewusst war, ist mehr als wahrscheinlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Anweisungen des Herrn für die Einrichtung des Kultus in Ex., 25-30 (wo der Begriff leitourgein zum ersten Mal auftaucht) nichts anderes sind als eine genauere Ausführung des Bundesschlusses, durch den wenige Seiten zuvor Israel als erwähltes Volk, als »Königreich von Priestern« (mamleket kohanim) und als »heilige Nation« (goj qados) konstituiert wird. Es ist von Belang, dass die Septuaginta hier auf das griechische Wort laos zurückgreift (esesthe moi laos periousios apo panton ton ethnon, »dann werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein«: Ex. 19, 5) und dessen »politische« Bedeutung sogar noch verstärkt, indem sie das »Königreich der Priester« des Ursprungstexts als »königliches Priestertum« wiedergibt (basileon hierateuma, ein Bild, das bezeichnenderweise im ersten Brief des Petrus, 2,9, wieder aufgegriffen wird - »Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht und ein basileon hierateuma «, D I und ebenso in Ap., 1, 6) und goj qados als ethnos hagion.
Dass Israel als »Volk Gottes« erwählt wird, begründet unmittelbar seine liturgische Funktion (die Priesterschaft ist unmittelbar königlich, also politisch) und heiligt es so auch als Nation (der normale Begriff für Israel ist nicht goj, sondern am qados, laos hagios: Deut., 7, 6).
Im alexandrinischen Judentum ist es geläufig, mit leitourgia und leitourgeo den priesterlichen Kultus zu bezeichnen. So bezieht sich im Brief des Aristeas (2. Jahrhundert v. Chr.) ton hiereon he leitourgia auf die minutiös aufgelisteten Funktionen des Priesters im Kultus, von der Wahl des Opfers bis zur Behandlung des Öls und der Duftstoffe (Aristeas, 92, S. 87); kurz darauf bezeichnet Eleazar en tei leitourgiai den höchsten Priester beim Vollzug des Dienstes, dessen Gewänder und heilige Utensilien ausführlich beschrieben werden. Das Gleiche kann für Flavius Josephus und Philon gelten (der den Begriff jedoch auch im übertragenen Sinne benutzt, zum Beispiel hinsichtlich des Verstandes, der »wenn er Gott ganz rein dient - leitourgei theoi -, nicht menschlich ist, sondern göttlich«: Rer. div. her., 84).
3. Umso bedeutsamer ist die geringe Bedeutung der Wortgruppe im Neuen Testament (mit der auffälligen Ausnahme des Briefs an die Hebräer). Außerhalb des Paulinischen corpus (wo man dem Begriff leitourgos fünfmal begegnet), erscheinen leitourgein und leitourgia nur zweimal, einmal, in sehr allgemeiner Bedeutung, in Bezug auf den Priester- dienst des Zacharias im Tempel (Lk., 1, 23), das zweite Mal in Bezug auf die fünf »Propheten und Lehrer« der ecclesia von Antiochia (Apg., 13, 2). Der Passus in der Apostelgeschichte (leitourgounton de auton toi kyrioi) bedeutet nicht, wie er in einem offensichtlichen Anachronismus oft wiedergegeben wurde, »als sie zu Ehren des Herrn Gottesdienst hielten«. Entsprechend der Interpretation der Vulgata, die die Stelle einfach mit ministrantibus autem illis Domino übersetzt hatte, steht leitourgein hier für »während sie in der Gemeinschaft ihren Dienst zu Ehren des Herrn versahen« (diese Gemeinschaft bestand, wie es der Text kurz zuvor klargestellt hatte, eben aus Propheten und Lehrern - profetai kai didaskaloi: Apg., 13, 1 - und nicht aus Priestern, ebenso wenig wird klar, welche andere leitourgia in diesem Moment gemeint sein könnte; das Gebet jedenfalls bezeichnet Lukas üblicherweise mit dem Wort orare).
Auch in den Paulinischen Briefen hat der Begriff oft die profane Bedeutung der »Dienstleistung für die Gemeinschaft «, so dort, wo die für die Gemeinschaft gesammelte Kollekte als leitourgesai (Röm., 15,27) oder diakonia tes leitourgias (2 Kor., 9,12) bezeichnet wird, oder dort, wo von der Tat des Epaphroditus, der sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, gesagt wird, dass sie vollbracht wurde an der Stelle der »Liturgie«, die die Philipper nicht hatten leisten können (Phil., 2,30). Aber auch in den Passagen, in denen leitourgia absichtlich in die Nähe einer genuin priesterlichen Begrifflichkeit gerückt wird, darf man nicht unachtsam die jeweiligen Bedeutungen verwechseln und dabei die Besonderheit und Originalität des Paulinischen Sprachgebrauchs übersehen, der bewusst verschiedenartige Begriffe nebeneinanderstellt. Beispielhaft dafür steht Röm., 15,16: »ein leitourgos Christi Jesu zu sein für die Nationen, der priesterlich am Evangelium Gottes dient« (hierourgounta to euangelion tou theou). Die Kommentatoren projizieren hier auf leitourgos die dem Kultus zugehörige Bedeutung hierourgeo, wenn sie schreiben: »dass [Paulus] das Wort leitourgos kultisch, geradezu wie ›Priester‹ versteht, zeigt die Fortsetzung. Denn er erläutert es durch die Wendung hierourgein to euaggelion. Am Evangelium übt er einen Priesterdienst aus« (Strathmann, S. 237). Aber der Hapax hierourgein to euaggelion, in dem in einem außerordentlichen Gewaltakt das Evangelium zum unmöglichen Gegenstand eines sacrum facere wird (so wie in Röm., 12,1, in einer vergleichbaren tour de force, latreia, der Opferdienst, neben das Adjektiv logike, »sprachlich«, gerückt wird), ist noch viel wirkungsvoller, wenn leitourgos den Sinn »der mit einer gemeinschaftlichen Aufgabe Betraute« behält (minister übersetzt die Vulgata völlig richtig). Die Kombination von Begriffen, die dem Kultus im Tempel verbunden sind, mit Dingen - die Verkündigung an die Heiden und, wie es gleich darauf heißt, das »Opfer der Nationen«, prosfora ton ethnon -, die keinesfalls im Tempel geschehen könnten, hat offensichtlich eine polemische Bedeutung und keinesfalls die Absicht, der Paulinischen Predigt den Anschein einer Opfergabe zu verleihen.
Ähnliches gilt für Phil., 2,17: »Wenn ich aber auch als Trankopfer [spendomai] über das Opfer und die Liturgie eures Glaubens gesprengt werde [epi tei thysiai kai leitourgiai tes pisteos], so freue ich mich und freue mich mit euch allen.« Wie auch immer man die Verbindung von spendomai mit den darauffolgenden Worten versteht, so gewinnt die Formulierung ihre Prägnanz doch nur dann, wenn man sich vom Anachronismus befreit, der leitourgia als Priesterdienst versteht (offenkundig konnte die Paulinische Gemeinde keine Priester haben), und den Kontrast und gleichermaßen die Spannung wahrnimmt, die Paulus sehr geschickt zwischen der Begrifflichkeit des Kultus und derjenigen der »Liturgie« im eigentlichen Sinne erzeugt.
Es ist seit langem bekannt (Dunin-Borkowski), dass in der urchristlichen Literatur die Begriffe hiereus und archiereus ausschließlich Christus vorbehalten sind, während für die Häupter der Gemeinden keine im eigentlichen Sinne priesterlichen Begriffe verwendet werden (sie wurden einfach episkopoi - Vorsteher -, presbyteroi - Ältere - oder diakonoi - Diener - genannt). Ein priesterliches Vokabular kommt erst bei Tertullian (De bapt., 17, 1; Adv. Jud., 6, 1, 14), Cyprian (Ep., 59, 14; 66, 8) und Origenes (Hom. in Num., 10, 1) vor. In den Paulusbriefen, die episkopoi und diakonoi erwähnen (Paulus selbst nennt sich in Kol., 1,25 diakonos), wird den verschiedenen Aufgaben in den Gemeinden große Aufmerksamkeit zuteil, keine von ihnen aber wird mit priesterlichen Begriffen bezeichnet. (Vgl. 1 Kor., 12,28-31: »Die einen hat Gott in der Gemeinde bestimmt erstens zu Aposteln [apostoplous], zweitens zu Propheten [profetas], drittens zu Lehrern [didaskalous]; ferner gibt es da Wunderkräfte [dynameis], weiter Heilungsaufgaben [charismata iamaton], Gaben zu Diensten [antilepsis], Leitungsaufgaben [kybernesis] und zu verschiedenen Arten der Zungenrede [gene glosson]«; Röm. 12,6-8: »Wir haben verschiedene Gaben entsprechend der Gnade, die uns gegeben wurde: sei es die Gabe, prophetisch zu reden in Ausrichtung auf den Glauben, sei es die Gabe zu dienen, wo es um Dienst geht [diakonian en tei diakoniai], zu lehren, wo es um Lehre geht [didaskon en tei didaskaliai], Trost zu spenden, wo es um Trost geht [parakalon en tei paraklesei]«).
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
1. Etymologie und Bedeutung des griechischen Begriffs leitourgia (von dem unser Wort »Liturgie« abstammt) liegen auf der Hand. Leitourgia (von laos, Volk, und ergon, Werk) bedeutet »Dienstleistung für das Gemeinwesen« und bezeichnet, im klassischen Griechenland, die Abgabe, die die Stadt von ihren über ein bestimmtes Einkommen verfügenden Bürgern erhebt, um eine Reihe von Einrichtungen des öffentlichen Lebens zu unterhalten, vom Betrieb der Sportanlagen und der Durchführung der sportlichen Übungen (gymnasiarchia) bis zur Inszenierung der Chordarbietungen bei den städtischen Festen (choregia, zum Beispiel die tragischen Chöre bei den Dionysien), vom Kauf von Öl und Getreide (sitegia) bis zu Bewaffnung und Einsatz einer Triere (triearchia) im Kriegsfall, von der Entsendung einer städtischen Delegation zu den delphischen oder olympischen Spielen (architheoria) bis zum Vorschuss, den die fünfzehn reichsten Bürger auf das Steueraufkommen aller Steuerpflichtigen leisten mussten (proeisfora). Es handelte sich sowohl um dingliche als auch um körperliche Leistungen (»Jeder«, so schreibt Demosthenes, »liturgisiert sowohl mit seinem eigenen Körper als auch mit seinen eigenen Gütern«, tois somasi kai tais ousiais leitourgesai: IV Phil., 28), die, auch wenn sie vom Rat (archai) nicht aufgelistet waren, zur »Sorge um das Gemeinwohl« gehörten (ton koinon epimeleian: Isokrates, 7, 25). Auch wenn die Last der Liturgien bisweilen extrem schwer ausfiel (das Wort kataleitourgeio bedeutete »sich durch Liturgien ruinieren«) und manche Bürger (die aus diesem Grund diadrasipolitai, »Bürger auf der Flucht«, genannt wurden) mit allen Mitteln versuchten, sich ihnen zu entziehen, so galt die Zahlung der Liturgien doch als ein Mittel, um sich Ehre und Ruhm zu erwerben, so dass viele (beispielhaft ist der Fall eines Bürgers, der, wie uns Lysias berichtet, in neun Jahren mehr als 20 000 Drachmen in Liturgien ausgegeben hatte) sogar freiwillig in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Liturgien entrichteten, obwohl sie dazu nicht verpflichtet waren. Aristoteles warnt in der Politik (1309a 18-21) daher vor »kostspieligen und dabei nutzlosen Liturgien, wie Ausrüstungen von Chören, Tragung der Kosten für Fackelläufe und dergleichen«.
Da auch die Ausgaben für den Kultus die Gemeinschaft betreffen (ta pros thous theous dapanemata koina pases tes poleos estin), kann Aristoteles schreiben, dass ein Teil des gemeinschaftlichen Grundbesitzes den Liturgien für die Götter zugewiesen werden soll (pros tous theous leitourgias: ebd., 1330a 13). Dieser Gebrauch des Begriffs im Zusammenhang mit dem Kultus, den wir später, mit einer bemerkenswerten Kontinuität, sowohl im Judentum als auch bei den christlichen Autoren wiederfinden, ist in den Lexika vielfach belegt, aus epigraphischen wie literarischen Quellen. Darüber hinaus wird, wie in solchen Fällen üblich, die technisch-politische Bedeutung des Begriffs, bei der der Bezug zur Gemeinschaft immer im Vordergrund steht, auch auf Dienstleistungen ausgedehnt, die nichts mit der Gemeinschaft zu tun haben, bisweilen auch auf scherzhafte Weise. Wenige Seiten nach der angeführten Stelle spricht Aristoteles in diesem Sinne, bei der Erörterung des richtigen Alters für die geschlechtliche Fortpflanzung, von einem »öffentlichen Dienst der Kindererzeugung« (leitourgein ... pros tecnopoiian: ebd., 1335b 29); mit noch klarer ausgeprägter Ironie erwähnt er in einem Epigramm »die Liturgien« einer Prostituierten (Anth. Pal., 5, 49, I). Es ist nicht ganz korrekt zu behaupten, dass in diesen Fällen »die Bedeutung des Wortelements leitos [also der Bezug zur Öffentlichkeit] völlig verblasst« (Strathmann, S. 224); ganz im Gegenteil, erst durch den Bezug auf die ursprüngliche politische Bedeutung erhält der Ausdruck jedes Mal seinen antiphrastischen Sinn. Wenn Aristoteles es als »Liturgie« bezeichnet, dass eine Hundemutter ihre Welpen säugt (De anim. incessu, 711b 30), oder wenn uns in einem Papyrus die Wendung »zu privaten Liturgien zwingen« begegnet (P. Oxy., III, 475, 18), dann muss man jedes Mal den Bruch heraushören, der mit der metaphorischen Verschiebung von der öffentlichen, gemeinschaftlichen Sphäre in die private einhergeht.
Das System der Liturgien (auf Lateinisch munera) erreicht im Rom der Kaiserzeit ab dem 3. Jahrhundert AD seine größte Verbreitung. Ab dem Moment, in dem das Christentum gleichermaßen zur Staatsreligion wird, kommt der Frage, ob die Kleriker von der Pflicht zu öffentlichen Abgaben befreit werden sollten, ein besonderes Interesse zu. Schon Konstantin hatte verfügt, dass »diejenigen, die für den heiligen Kultus zuständig sind [divini cultui ministeria impendunt], das heißt diejenigen, die Kleriker genannt werden, von allen öffentlichen Dienstleistungen ausgenommen werden müssen [ab omnibus omnino muneribus excusentur]« (Drecoll, S. 56). Wiewohl diese Ausnahme, so zeigt ein weiteres Dekret des Konstantin, das es den decuriones verbietet, Kleriker zu werden, das Risiko mit sich brachte, dass wohlhabende Personen Kleriker wurden, nur um sich den schwerwiegenden munera zu entziehen, so wurde dieses Privileg doch aufrechterhalten, wenn auch mit wechselnden Einschränkungen.
Dies zeigt, dass das Priestertum in gewisser Weise als eine öffentliche Dienstleistung gesehen wurde, und kann einer der Gründe dafür sein, dass der Begriff leitourgia im griechischsprachigen Christentum zunehmend im Zusammenhang mit dem Kultus verwendet wurde.
2. Die Geschichte eines Begriffs fällt oft mit der Geschichte seiner Übersetzungen oder seines Gebrauchs in Übersetzungen zusammen. Die Geschichte des Begriffs leitourgia gelangt daher an einen entscheidenden Punkt, als die alexandrinischen Rabbiner, die die griechische Übersetzung der Bibel ausführen, für das hebräische šeret, das allgemein »dienen« meint, bei jeder Verwendung im Zusammenhang mit dem Kultus das Verb leitourgeo (oft gemeinsam mit leitourgia) wählen. Seit seiner ersten Verwendung in Bezug auf die Funktion Aarons als Priester, wo leitourgeo alleine steht (en toi leitourgein: Ex., 28, 35), wird der Begriff oft in technischer Verbindung mit leitourgia gebraucht, um den Kultus im »Zelt der Begegnung« zu benennen (leitourgein ten leitourgian ... en tei skenei: Num., 8, 22, im Bezug auf die Leviten; leitourgein tas leitourgias tes skenes kyriou: ebd., 16,9).
Die Gelehrten haben sich lange Zeit nach den Gründen für diese Bevorzugung gegenüber anderen möglichen griechischen Begriffen gefragt, zu denen latreuo oder douleo gehören, die in der Septuaginta für gewöhnlich weniger technischen Bedeutungen vorbehalten sind. Dass den Übersetzern diese »politische« Bedeutung des griechischen Begriffs sehr wohl bewusst war, ist mehr als wahrscheinlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Anweisungen des Herrn für die Einrichtung des Kultus in Ex., 25-30 (wo der Begriff leitourgein zum ersten Mal auftaucht) nichts anderes sind als eine genauere Ausführung des Bundesschlusses, durch den wenige Seiten zuvor Israel als erwähltes Volk, als »Königreich von Priestern« (mamleket kohanim) und als »heilige Nation« (goj qados) konstituiert wird. Es ist von Belang, dass die Septuaginta hier auf das griechische Wort laos zurückgreift (esesthe moi laos periousios apo panton ton ethnon, »dann werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein«: Ex. 19, 5) und dessen »politische« Bedeutung sogar noch verstärkt, indem sie das »Königreich der Priester« des Ursprungstexts als »königliches Priestertum« wiedergibt (basileon hierateuma, ein Bild, das bezeichnenderweise im ersten Brief des Petrus, 2,9, wieder aufgegriffen wird - »Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht und ein basileon hierateuma «, D I und ebenso in Ap., 1, 6) und goj qados als ethnos hagion.
Dass Israel als »Volk Gottes« erwählt wird, begründet unmittelbar seine liturgische Funktion (die Priesterschaft ist unmittelbar königlich, also politisch) und heiligt es so auch als Nation (der normale Begriff für Israel ist nicht goj, sondern am qados, laos hagios: Deut., 7, 6).
Im alexandrinischen Judentum ist es geläufig, mit leitourgia und leitourgeo den priesterlichen Kultus zu bezeichnen. So bezieht sich im Brief des Aristeas (2. Jahrhundert v. Chr.) ton hiereon he leitourgia auf die minutiös aufgelisteten Funktionen des Priesters im Kultus, von der Wahl des Opfers bis zur Behandlung des Öls und der Duftstoffe (Aristeas, 92, S. 87); kurz darauf bezeichnet Eleazar en tei leitourgiai den höchsten Priester beim Vollzug des Dienstes, dessen Gewänder und heilige Utensilien ausführlich beschrieben werden. Das Gleiche kann für Flavius Josephus und Philon gelten (der den Begriff jedoch auch im übertragenen Sinne benutzt, zum Beispiel hinsichtlich des Verstandes, der »wenn er Gott ganz rein dient - leitourgei theoi -, nicht menschlich ist, sondern göttlich«: Rer. div. her., 84).
3. Umso bedeutsamer ist die geringe Bedeutung der Wortgruppe im Neuen Testament (mit der auffälligen Ausnahme des Briefs an die Hebräer). Außerhalb des Paulinischen corpus (wo man dem Begriff leitourgos fünfmal begegnet), erscheinen leitourgein und leitourgia nur zweimal, einmal, in sehr allgemeiner Bedeutung, in Bezug auf den Priester- dienst des Zacharias im Tempel (Lk., 1, 23), das zweite Mal in Bezug auf die fünf »Propheten und Lehrer« der ecclesia von Antiochia (Apg., 13, 2). Der Passus in der Apostelgeschichte (leitourgounton de auton toi kyrioi) bedeutet nicht, wie er in einem offensichtlichen Anachronismus oft wiedergegeben wurde, »als sie zu Ehren des Herrn Gottesdienst hielten«. Entsprechend der Interpretation der Vulgata, die die Stelle einfach mit ministrantibus autem illis Domino übersetzt hatte, steht leitourgein hier für »während sie in der Gemeinschaft ihren Dienst zu Ehren des Herrn versahen« (diese Gemeinschaft bestand, wie es der Text kurz zuvor klargestellt hatte, eben aus Propheten und Lehrern - profetai kai didaskaloi: Apg., 13, 1 - und nicht aus Priestern, ebenso wenig wird klar, welche andere leitourgia in diesem Moment gemeint sein könnte; das Gebet jedenfalls bezeichnet Lukas üblicherweise mit dem Wort orare).
Auch in den Paulinischen Briefen hat der Begriff oft die profane Bedeutung der »Dienstleistung für die Gemeinschaft «, so dort, wo die für die Gemeinschaft gesammelte Kollekte als leitourgesai (Röm., 15,27) oder diakonia tes leitourgias (2 Kor., 9,12) bezeichnet wird, oder dort, wo von der Tat des Epaphroditus, der sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, gesagt wird, dass sie vollbracht wurde an der Stelle der »Liturgie«, die die Philipper nicht hatten leisten können (Phil., 2,30). Aber auch in den Passagen, in denen leitourgia absichtlich in die Nähe einer genuin priesterlichen Begrifflichkeit gerückt wird, darf man nicht unachtsam die jeweiligen Bedeutungen verwechseln und dabei die Besonderheit und Originalität des Paulinischen Sprachgebrauchs übersehen, der bewusst verschiedenartige Begriffe nebeneinanderstellt. Beispielhaft dafür steht Röm., 15,16: »ein leitourgos Christi Jesu zu sein für die Nationen, der priesterlich am Evangelium Gottes dient« (hierourgounta to euangelion tou theou). Die Kommentatoren projizieren hier auf leitourgos die dem Kultus zugehörige Bedeutung hierourgeo, wenn sie schreiben: »dass [Paulus] das Wort leitourgos kultisch, geradezu wie ›Priester‹ versteht, zeigt die Fortsetzung. Denn er erläutert es durch die Wendung hierourgein to euaggelion. Am Evangelium übt er einen Priesterdienst aus« (Strathmann, S. 237). Aber der Hapax hierourgein to euaggelion, in dem in einem außerordentlichen Gewaltakt das Evangelium zum unmöglichen Gegenstand eines sacrum facere wird (so wie in Röm., 12,1, in einer vergleichbaren tour de force, latreia, der Opferdienst, neben das Adjektiv logike, »sprachlich«, gerückt wird), ist noch viel wirkungsvoller, wenn leitourgos den Sinn »der mit einer gemeinschaftlichen Aufgabe Betraute« behält (minister übersetzt die Vulgata völlig richtig). Die Kombination von Begriffen, die dem Kultus im Tempel verbunden sind, mit Dingen - die Verkündigung an die Heiden und, wie es gleich darauf heißt, das »Opfer der Nationen«, prosfora ton ethnon -, die keinesfalls im Tempel geschehen könnten, hat offensichtlich eine polemische Bedeutung und keinesfalls die Absicht, der Paulinischen Predigt den Anschein einer Opfergabe zu verleihen.
Ähnliches gilt für Phil., 2,17: »Wenn ich aber auch als Trankopfer [spendomai] über das Opfer und die Liturgie eures Glaubens gesprengt werde [epi tei thysiai kai leitourgiai tes pisteos], so freue ich mich und freue mich mit euch allen.« Wie auch immer man die Verbindung von spendomai mit den darauffolgenden Worten versteht, so gewinnt die Formulierung ihre Prägnanz doch nur dann, wenn man sich vom Anachronismus befreit, der leitourgia als Priesterdienst versteht (offenkundig konnte die Paulinische Gemeinde keine Priester haben), und den Kontrast und gleichermaßen die Spannung wahrnimmt, die Paulus sehr geschickt zwischen der Begrifflichkeit des Kultus und derjenigen der »Liturgie« im eigentlichen Sinne erzeugt.
Es ist seit langem bekannt (Dunin-Borkowski), dass in der urchristlichen Literatur die Begriffe hiereus und archiereus ausschließlich Christus vorbehalten sind, während für die Häupter der Gemeinden keine im eigentlichen Sinne priesterlichen Begriffe verwendet werden (sie wurden einfach episkopoi - Vorsteher -, presbyteroi - Ältere - oder diakonoi - Diener - genannt). Ein priesterliches Vokabular kommt erst bei Tertullian (De bapt., 17, 1; Adv. Jud., 6, 1, 14), Cyprian (Ep., 59, 14; 66, 8) und Origenes (Hom. in Num., 10, 1) vor. In den Paulusbriefen, die episkopoi und diakonoi erwähnen (Paulus selbst nennt sich in Kol., 1,25 diakonos), wird den verschiedenen Aufgaben in den Gemeinden große Aufmerksamkeit zuteil, keine von ihnen aber wird mit priesterlichen Begriffen bezeichnet. (Vgl. 1 Kor., 12,28-31: »Die einen hat Gott in der Gemeinde bestimmt erstens zu Aposteln [apostoplous], zweitens zu Propheten [profetas], drittens zu Lehrern [didaskalous]; ferner gibt es da Wunderkräfte [dynameis], weiter Heilungsaufgaben [charismata iamaton], Gaben zu Diensten [antilepsis], Leitungsaufgaben [kybernesis] und zu verschiedenen Arten der Zungenrede [gene glosson]«; Röm. 12,6-8: »Wir haben verschiedene Gaben entsprechend der Gnade, die uns gegeben wurde: sei es die Gabe, prophetisch zu reden in Ausrichtung auf den Glauben, sei es die Gabe zu dienen, wo es um Dienst geht [diakonian en tei diakoniai], zu lehren, wo es um Lehre geht [didaskon en tei didaskaliai], Trost zu spenden, wo es um Trost geht [parakalon en tei paraklesei]«).
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Autoren-Porträt von Giorgio Agamben
Giorgio Agamben wurde 1942 in Rom geboren. Er studierte Jura, nebenbei auch Literatur und Philosophie. Der entscheidende Impuls für die Philosophie kam allerdings erst nach Abschluß des Jura-Studiums über zwei Seminare mit Martin Heidegger im Sommer 1966 und 1968. Neben Heidegger waren seitdem Michel Foucault, Hannah Arendt und Walter Benjamin wichtige Bezugspersonen in Agambens Denken. Als Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins fand Agamben eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder auf. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor allem mit politischer Philosophie. Er lehrt zur Zeit Ästhetik und Philosophie an den Universitäten Venedig und Marcerata und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris, Berkeley, Los Angeles, Irvine.Bibliographische Angaben
- Autor: Giorgio Agamben
- 2013, 215 Seiten, Maße: 13,3 x 21 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- ISBN-10:
- ISBN-13: 4250968806756
Rezension zu „Opus Dei “
Agambens Texte sind schwere Kost. Aber eindrucksvoll sind die Wege, die er immer wieder einschlägt Michael Opitz Deutschlandradio Kultur
Kommentar zu "Opus Dei"
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