Orient-Express
Nachw. v. Stefan Weidner
1921 reiste der später weltberühmte Schriftstellter John Dos Passos durch die Länder des Nahen Ostens. Die siebenwöchige Tour durch die schon damals hochexplosive Gegend hielt er im Tagebuch fest. Sein packender Bericht liest sich wie eine Mischung aus...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Orient-Express “
1921 reiste der später weltberühmte Schriftstellter John Dos Passos durch die Länder des Nahen Ostens. Die siebenwöchige Tour durch die schon damals hochexplosive Gegend hielt er im Tagebuch fest. Sein packender Bericht liest sich wie eine Mischung aus Abenteuerroman und hellsichtiger Analyse. Erstmals auf Deutsch!
Klappentext zu „Orient-Express “
1921 reiste der später weltberühmte Autor John Dos Passos durch den Orient - schon damals eine hochexplosive Gegend - und hielt seine Eindrücke in einem Tagebuch fest. Diese abenteuerliche Reise führte den damals 25-Jährigen von der Türkei über Georgien, Armenien, den Iran und den Irak bis nach Syrien. Sein packender Bericht liest sich wie eine Mischung aus Abenteuerroman und der hellsichtigen Analyse eines dramatischen Umbruchs, der bis heute fortwirkt. Geschrieben in knapper Präzision, mit ansteckender Neugier und Beobachtungsgabe, ist das Werk, mit dem Dos Passos dabei war, zu einem der wichtigsten Schriftsteller der amerikanischen Moderne zu werden, jetzt erstmals auf Deutsch zu entdecken.
Lese-Probe zu „Orient-Express “
Orient-Express von John Dos Passos Übersetzt von Matthias Fienbork
6. Ouzo
Die runden Blättchen des Basilikumtopfs auf dem Tisch des Cafés verströmen einen zarten Duft. Auf einem von rotem Boi eingerahmten Podium produzieren Musiker, summend und zupfend, endlos auf- und absteigende Arabesken in Moll. es gibt eine Art Laute, eine Zither, eine Violine und eine Sängerin. in der Mitte steht ein Hocker mit Kaffeetassen und einer Flasche Ouzo. Die Zither spielt ein ergrauter Mann mit Hakennase und Brille, der manchmal den Kopf zurückwirft und mit weit geöffnetem Mund eine gregorianische Melodie jodelt, die die anderen aufgreifen und mühsam in das Klanggewebe einfädeln. An den vollbesetzten tischen unter der Robinie, wo am Nachmittag schatten ist, sitzen sie mit Nargilés oder Zigaretten oder deutschen Pfeifen oder amerikanischen Zigarren, trinken Anisschnaps und Bier und Kaffee und sogar Wodka. es riecht nach Tabak und Holzkohle und Anis von dem Pastis und Ouzo und nach gegrilltem Fleisch von den Schisch-Kebab-spießen, dazu das Durcheinander vieler verfeindeter sprachen und die Schritte auf der Straße unterhalb der Terrasse.
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Stütze das Kinn auf die Hände und schaue hinunter auf das rissige und staubige Stückchen Gehweg zwischen den nackten Füßen der Jungen, die an der Mauer stehen und Gebäck und Pistazien und fliegenübersäte Bonbons verkaufen, und die Droschken, deren Fahrer, meist Russen in geflickten Uniformen, in den langen Nachmittagsstunden dasitzen und schlafen und plaudern und auf Kundschaft warten ... Jenseits davon Schuhe, Füße, Beine, verschränkte Arme, schwingende Arme, gebeugte schultern, muskulöse rücken unter dünner Baumwolle, braune, schweißbedeckte Oberkörper, Schals, schwarze Schleier, Yaschmaks, Gesichter. Das ganze Leben spiegelt sich im Gesichtsausdruck. ein Junge, die Haut von der Farbe eines Tonkrugs, Augen und Lippen eines trunkenen Bacchus, geht lässig vorbei, auf dem Kopf ein Tablett mit geröstetem gelben Mais. ein Mädchen trippelt wie ein Mäuschen, das gesenkte Gesicht weiß wie eine Fresie hinter dünnem schwarzen Schleier. ein weißbärtiger Mann in blauem Gewand, die Augen rotgerändert und trüb wie Mondsteine, wird von einem kleinen braunen Knaben geführt. Zwei Hammals, ein jeder stark genug, ein Klavier ganz allein zu tragen, mit ausgeprägt stumpfen Gesichtszügen und dem schwarzen Bart assyrischer Bogenschützen. Drei Russen, blond und breitbrüstig, etwa gleich groß, straffsitzende weiße Leinenbluse unter dem Gürtel, blaue Augen, alles an ihnen wirkt frischgewaschen, das Haar gescheitelt und angeklatscht, wie sonntäglich gekleidete Kinder. ein dicklicher griechischer Geschäftsmann im Strandanzug. Engländer, krebsrot und steif. Aggressive, kantige Marineoffiziere, die mit larvenartigen Bettelkindern spielen. Bleichgesichtige Levantiner mit schmalen Augen und Hakennasen. Armenier mit missmutigem Mund und großen goldbraunen Augen. in der hellen Sonne und den jähen schatten verschwimmen die Gesichter der Passanten. Gesichter glatt und gelb wie Melonen, stählern wie Äxte. Gesichter wie Kürbisse, wie Totenköpfe und Halloweenlaternen und Kokosnüsse und sprießende Kartoffeln. in dem brutal gleißenden Licht verschwimmen braune Gesichter unter einem Fes, gelbe Gesichter unter Strohhüten, blasse nordische Gesichter unter Khakimützen zu einem Gesicht, die Brauen mürrisch und zusammengezogen, die Augen Leidens schwarz, straffe Haut über den Wangenknochen, hungrige Linien um die Mundwinkel, die Lippen unruhig, neidisch, wütend, sinnlich. Das Gesicht eines Mannes, der noch nicht ganz verhungert ist.
Diese Gesichter sind die Noten, die auf den vibrierenden Saiten dieses Gewirrs enttäuschter Existenzen namens Pera gezupft werden. so viele Fäden führen aus diesem Labyrinth heraus. Wenn man nur zurückgehen könnte in die steil ansteigenden, schmutzigen Straßen, vorbei an den überhängenden schwarzen Holzhäusern, von denen dickbeinige Frauen mit kajalgeschminkten Augen hinabschauen zu den Trägern, die unter ihrer schweren Last die ausgetretenen stufen hinaufwanken und dermaßen schwitzen, dass ihnen das rot ihres Fes in streifen über die hageren und unrasierten Wangen läuft; durch plötzlich platanengesäumte Gassen, die gelegentlich einen Blick freigeben auf unglaublich weites blaues Meer oder erdfarbene Hügelketten zwischen schiefen und fein gearbeiteten türkischen Grabsteinen, die hinausführen zu den weglosen Schutthaufen abgebrannter Orte, zu einer eingestürzten Kuppel mit einem bröckelnden Minarett, zu Ruinen oder verfallenen Zisternen, in denen Gelegenheitsdiebe und Obdachlose hausen; oder hinunter durch die Straßen von Galata mit ihren Obstständen und den Griechinnen, die auffordernd in der Tür stehen, und den Matrosenkneipen, in denen mechanische Klaviere klimpern oder eine Blaskapelle spielt und das tanzen der engumschlungenen Paare an die Wellenbewegung des Meeres erinnert; oder durch die kühlen Basare von Stambul, wo im Halbdunkel unter dem azurblauen Gewölbe persische und griechische und jüdische und armenische Händler bedruckte Stoffe und Manchesterware ausbreiten, die ein einzelner stauberfüllter Sonnenstrahl in ein flammendes Farbmeer verwandelt; oder zu den Palastruinen am Bosporus, in denen Flüchtlinge von irgendwoher in lähmendem und beengtem elend hausen; oder in die prachtvollen, protzig eingerichteten Wohnungen an der Grande rue de Pera, in denen griechische Millionäre und syrische Kriegsgewinnler unablässig Gesellschaften geben. Oder zu den Höfen und Durchgängen, in denen die Russen schlafen, zusammengekauert wie Schafe im Schneesturm. eines Tages könnte man irgendwo vielleicht den Kern finden, den Schlüssel, um diese komplizierte Arabeske lesen zu können, die gedankenlos auf einen Grund von schierem schmerz hingeschrieben wurde.
An diesem Nachmittag kann ich nur dasitzen und opalweißen Ouzo mit Wasser trinken, ermattet von dem eigentümlich schönen monotonen Klagen des türkischen Orchesters. Vom schwarzen Meer her ist ein kühler Nordwind aufgekommen, der Staub und Papierschnipsel über den Taksim-Platz wirbelt.
Vorbei an den wartenden Droschken, die er ebenso ignoriert wie die roten Trambahnen und die siegreichen Wickelgamaschen der griechischen Offiziere, den Kopf mit der bestickten Kappe gegen den Wind geneigt, die mandelförmigen Augen wegen des Staubs zu schwarzen schlitzen verengt, mit kleinen Schritten in schwarzen bestickten Pantoffeln, in einem fließenden roten Seidengewand, dessen Ärmel im Wind flattern, geht ein Mandarin aus China.
Cathay!
Copyright © Nagel und Kimche im Carl Hanser Verlag, München
Stütze das Kinn auf die Hände und schaue hinunter auf das rissige und staubige Stückchen Gehweg zwischen den nackten Füßen der Jungen, die an der Mauer stehen und Gebäck und Pistazien und fliegenübersäte Bonbons verkaufen, und die Droschken, deren Fahrer, meist Russen in geflickten Uniformen, in den langen Nachmittagsstunden dasitzen und schlafen und plaudern und auf Kundschaft warten ... Jenseits davon Schuhe, Füße, Beine, verschränkte Arme, schwingende Arme, gebeugte schultern, muskulöse rücken unter dünner Baumwolle, braune, schweißbedeckte Oberkörper, Schals, schwarze Schleier, Yaschmaks, Gesichter. Das ganze Leben spiegelt sich im Gesichtsausdruck. ein Junge, die Haut von der Farbe eines Tonkrugs, Augen und Lippen eines trunkenen Bacchus, geht lässig vorbei, auf dem Kopf ein Tablett mit geröstetem gelben Mais. ein Mädchen trippelt wie ein Mäuschen, das gesenkte Gesicht weiß wie eine Fresie hinter dünnem schwarzen Schleier. ein weißbärtiger Mann in blauem Gewand, die Augen rotgerändert und trüb wie Mondsteine, wird von einem kleinen braunen Knaben geführt. Zwei Hammals, ein jeder stark genug, ein Klavier ganz allein zu tragen, mit ausgeprägt stumpfen Gesichtszügen und dem schwarzen Bart assyrischer Bogenschützen. Drei Russen, blond und breitbrüstig, etwa gleich groß, straffsitzende weiße Leinenbluse unter dem Gürtel, blaue Augen, alles an ihnen wirkt frischgewaschen, das Haar gescheitelt und angeklatscht, wie sonntäglich gekleidete Kinder. ein dicklicher griechischer Geschäftsmann im Strandanzug. Engländer, krebsrot und steif. Aggressive, kantige Marineoffiziere, die mit larvenartigen Bettelkindern spielen. Bleichgesichtige Levantiner mit schmalen Augen und Hakennasen. Armenier mit missmutigem Mund und großen goldbraunen Augen. in der hellen Sonne und den jähen schatten verschwimmen die Gesichter der Passanten. Gesichter glatt und gelb wie Melonen, stählern wie Äxte. Gesichter wie Kürbisse, wie Totenköpfe und Halloweenlaternen und Kokosnüsse und sprießende Kartoffeln. in dem brutal gleißenden Licht verschwimmen braune Gesichter unter einem Fes, gelbe Gesichter unter Strohhüten, blasse nordische Gesichter unter Khakimützen zu einem Gesicht, die Brauen mürrisch und zusammengezogen, die Augen Leidens schwarz, straffe Haut über den Wangenknochen, hungrige Linien um die Mundwinkel, die Lippen unruhig, neidisch, wütend, sinnlich. Das Gesicht eines Mannes, der noch nicht ganz verhungert ist.
Diese Gesichter sind die Noten, die auf den vibrierenden Saiten dieses Gewirrs enttäuschter Existenzen namens Pera gezupft werden. so viele Fäden führen aus diesem Labyrinth heraus. Wenn man nur zurückgehen könnte in die steil ansteigenden, schmutzigen Straßen, vorbei an den überhängenden schwarzen Holzhäusern, von denen dickbeinige Frauen mit kajalgeschminkten Augen hinabschauen zu den Trägern, die unter ihrer schweren Last die ausgetretenen stufen hinaufwanken und dermaßen schwitzen, dass ihnen das rot ihres Fes in streifen über die hageren und unrasierten Wangen läuft; durch plötzlich platanengesäumte Gassen, die gelegentlich einen Blick freigeben auf unglaublich weites blaues Meer oder erdfarbene Hügelketten zwischen schiefen und fein gearbeiteten türkischen Grabsteinen, die hinausführen zu den weglosen Schutthaufen abgebrannter Orte, zu einer eingestürzten Kuppel mit einem bröckelnden Minarett, zu Ruinen oder verfallenen Zisternen, in denen Gelegenheitsdiebe und Obdachlose hausen; oder hinunter durch die Straßen von Galata mit ihren Obstständen und den Griechinnen, die auffordernd in der Tür stehen, und den Matrosenkneipen, in denen mechanische Klaviere klimpern oder eine Blaskapelle spielt und das tanzen der engumschlungenen Paare an die Wellenbewegung des Meeres erinnert; oder durch die kühlen Basare von Stambul, wo im Halbdunkel unter dem azurblauen Gewölbe persische und griechische und jüdische und armenische Händler bedruckte Stoffe und Manchesterware ausbreiten, die ein einzelner stauberfüllter Sonnenstrahl in ein flammendes Farbmeer verwandelt; oder zu den Palastruinen am Bosporus, in denen Flüchtlinge von irgendwoher in lähmendem und beengtem elend hausen; oder in die prachtvollen, protzig eingerichteten Wohnungen an der Grande rue de Pera, in denen griechische Millionäre und syrische Kriegsgewinnler unablässig Gesellschaften geben. Oder zu den Höfen und Durchgängen, in denen die Russen schlafen, zusammengekauert wie Schafe im Schneesturm. eines Tages könnte man irgendwo vielleicht den Kern finden, den Schlüssel, um diese komplizierte Arabeske lesen zu können, die gedankenlos auf einen Grund von schierem schmerz hingeschrieben wurde.
An diesem Nachmittag kann ich nur dasitzen und opalweißen Ouzo mit Wasser trinken, ermattet von dem eigentümlich schönen monotonen Klagen des türkischen Orchesters. Vom schwarzen Meer her ist ein kühler Nordwind aufgekommen, der Staub und Papierschnipsel über den Taksim-Platz wirbelt.
Vorbei an den wartenden Droschken, die er ebenso ignoriert wie die roten Trambahnen und die siegreichen Wickelgamaschen der griechischen Offiziere, den Kopf mit der bestickten Kappe gegen den Wind geneigt, die mandelförmigen Augen wegen des Staubs zu schwarzen schlitzen verengt, mit kleinen Schritten in schwarzen bestickten Pantoffeln, in einem fließenden roten Seidengewand, dessen Ärmel im Wind flattern, geht ein Mandarin aus China.
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Autoren-Porträt von John Dos Passos
John Dos Passos (1896-1970) ist neben Ernest Hemingway und Scott Fitzgerald einer der wichtigsten Autoren der amerikanischen Moderne. Nach seinem Studienabschluss in Harvard reiste Dos Passos 1916 nach Spanien, schrieb seinen ersten Roman und diente freiwillig in der Sanität der französischen Armee. Nach dem Krieg reiste er als Journalist und Schriftsteller durch Europa, den Nahen Osten und den Kaukasus. Dies inspirierte ihn u.a. zum Reisejournal Orient Express, das 1927 erschien. Dos Passos' erster großer Erfolg war der Großstadtroman Manhattan Transfer von 1925. In den Dreißigerjahren folgte die Romantrilogie U.S.A. Der enttäuschte Sozialrevolutionär Dos Passos zeichnet darin ein düsteres Sittengemälde Amerikas. Während des Zweiten Weltkriegs reiste er erneut als Kriegsberichterstatter nach Europa. 1947 wurde er in die Amerikanische Akademie für Kunst und Literatur gewählt. Insgesamt schrieb er mehr als vierzig Romane, daneben Essays, Gedichte und Theaterstücke.
Bibliographische Angaben
- Autor: John Dos Passos
- 2013, 1. Auflage, 208 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Matthias Fienbork
- Verlag: Nagel & Kimche
- ISBN-10: 3312005523
- ISBN-13: 9783312005529
- Erscheinungsdatum: 20.02.2013
Rezension zu „Orient-Express “
Traditionen auf unerwartete Weise neu in unser Bewusstsein. Und es wirft ein interessantes Licht auf die aktuellen Konflikte." Katharina Döbler, RBB Kulturradio, 01.03.13"Ein packender Reisebericht, eine Mischung aus Abenteuerroman und hellsichtiger Analyse. Man kann sich der ungeheuren Leidenschaft, der scharfen und leichten Beobachtungsgabe, dem inneren Jubel wie der Fassungslosigkeit des mit allen Fasern seines Seins mitfühlenden Autors kaum entziehen (...). Mit einem erhellenden wie kompetenten Nachwort. Das Nachwort ist tatsächlich wichtig, um zu verstehen wie einzigartig und ungewöhnlich Dos Passos' Beobachtungen zu dieser Zeit sind." Renee Zucker, RBB Quergelesen, 24.02.13
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