Rattenkinder
Thriller. Originalausgabe
Ein brandneuer Tony-Braun-Thriller.
Die Angst hat einen neuen Namen: Viktor Maly.
Wer tötete Amelie Frey?
Die Angst hat einen neuen Namen: Viktor Maly.
Wer tötete Amelie Frey?
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Rattenkinder “
Ein brandneuer Tony-Braun-Thriller.
Die Angst hat einen neuen Namen: Viktor Maly.
Wer tötete Amelie Frey?
Die Angst hat einen neuen Namen: Viktor Maly.
Wer tötete Amelie Frey?
Klappentext zu „Rattenkinder “
Die Angst hat einen neuen Namen: Viktor Maly.Eine junge Mutter wird grausam zugerichtet auf einer Parkbank gefunden, neben sich ihr quicklebendiges Baby - und ein Rattenschädel. Das ist nicht der einzige geheimnisvolle Hinweis, den Chefinspektor Tony Braun erhält: Ausgerechnet Viktor Maly, ein Insasse der Psychiatrie, scheint mehr über den Fall zu wissen. Doch er hat seit über einem Jahr keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Wurde die Frau Opfer eines lange geplanten Komplotts? Da geschieht eine weitere Bluttat. Und es gibt nur einen Zeugen: Viktor Maly ...
Wer seine Ermittler unkonventionell mag, seine Morde blutig und die Dunkelheit der Seelen ganz, ganz tief, der kann sich mit den Thrillern um Chefinspektor Tony Braun auf ein besonderes Lesevergnügen freuen.
Lese-Probe zu „Rattenkinder “
B.C. Schiller - RattenkinderProlog
In einer stürmischen Regennacht schaufelten sie mein Grab.
Auch heute erstrahlt der Himmel im hellen Schein der
Blitze, als würde zu Ehren meines Todes ein Feuerwerk entzündet.
In diesem Licht wirken die Silhouetten der Wohntürme
wie schwarze Kreuze. Auf den Plänen hatten die
Türme beeindruckend ausgesehen, und alle waren stolz darauf
gewesen. Sie symbolisierten eine neue Zeit, in der die
Menschen plötzlich ihre Chance witterten und Aufbruchsstimmung
herrschte. Damals wurde auch ich von dieser
Euphorie erfasst und begann, meine Ideen zu verwirklichen.
Ich wollte beweisen, dass es möglich ist, seine Herkunft hinter
sich zu lassen und endlich akzeptiert zu werden. Als
Fremder war ich aus Rumänien gekommen, hatte nur kurz in
einem der Türme wohnen wollen -mein eigentliches Ziel war
Österreich. Damals ahnte ich noch nicht, dass mich die einflussreichen
Freunde, die ich dort fand, direktwieder hierher,
schicken würden, um mich meinem Schicksal zu stellen. Jeder weiß,
was ich in den vergangenen Jahren getan habe, doch
keiner hat es gewagt, mich zu stoppen.
Bis jetzt.
Der Weg zu meinem Grab auf dem Hügel ist durch den
Regen aufgeweicht, und als ich auf meine hellen Schuhe blicke,
muss ich feststellen, dass sie von Nässe und Schmutz
durchdrungen sind. Als Kind hatte ich nie Schuhe, sondern
lief immer barfuß. Deshalb kaufte ich mir von meinem ersten
Geld ein vernünftiges Paar, gemacht für die Ewigkeit, wie
ich dachte. Dass diese Ewigkeit so schnell kommen würde,
konnte ich damals nicht ahnen. Das Ironische an der Sache
ist, dass sie mich natürlich ohne die Schuhe begraben werden,
die verbrennen sie später, an einem geheimen Ort. Solche
Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich vor dem
rechteckigen schwarzen Loch stehe, das sie bereits gestern
zur Hälfte ausgehoben und mit
... mehr
Flüchen belegt haben.
Wieder erhellt ein greller Blitz den Nachthimmel, und neben
meinem Grab sehe ich die vielen bleichen Rattenschädel
liegen, die sie mir auf meine letzte Reise mitgeben werden.
Ich mache mir nicht die Mühe, sie zu zählen, aber ich bin
stolz, dass es so viele sind. Denn jeder Rattenkopf hat eine
Bedeutung, hinter jedem dieser Schädel steckt eine Tragödie
oder ein Glücksmoment - je nachdem welche Perspektive
man einnimmt.
Langsam hebe ich den Kopf, lasse den Regen über mein
Gesicht rinnen, wünsche mir, er würde alle Schuld von mir
waschen. Aber das ist eine Illusion, wie so vieles in meinem
Leben. Das Wasser hat meinen schwarzen Anzug bereits
völlig durchnässt, und ich spüre die Feuchtigkeit unangenehm
kühl auf der Haut. Ich blicke zu den Wohntürmen
hinüber. Die Lichter vieler Taschenlampen und Laternen
bringen die geschwärzten Häuserfassaden zum Leuchten.
Wahrscheinlich haben sich alle Bewohner auf den Weg gemacht,
um bei meiner Beerdigung dabei zu sein. Es müssen
Hunderte von Familien sein, wenn nicht gar Tausende. Die
Stimmung wird sich wütend hochschaukeln, schließlich
haben in den letzten Jahren viele von ihnen einen meiner Rattenschädel
erhalten.
Die vier Totengräber stehen bis zu den Hüften in der
Grube und führen die letzten Handgriffe aus, ohne auch nur
einmal zur mir aufzusehen. Die beiden Männer links und
rechts von mir haben die Krägen ihrer Sakkos aufgestellt, von
den Krempen ihrer breiten Hüte tropft der Regen. Da der
Wind immer stärker pfeift, haben sie Handschuhe an, um sich
vor der eisigen Kälte zu schützen.
Immer wieder muss ich in Richtung der Wohntürme blicken.
Die Lichterkette, die wie eine leuchtende Schlange
langsam den Hügel nach oben kriecht, hat etwas seltsam Faszinierendes
an sich. Als Erstes werden die Frauen den Hügel
erreichen, die in der Vergangenheit einen Rattenschädel vor
ihrer Haustür gefunden haben. Sie werden sich im Halbkreis
aufstellen und mich zuerst leise, dann immer lauter verfluchen.
Die sorgfältig gesäuberten Rattenknochen werfen sie
auf mich, bevor sich schließlich auch die anderen Weiber beteiligen
- die, die verschont wurden. Es wird Dreck und Knochen
und Erdklumpen auf mich hageln . . . Aber ich werde
keine Miene verziehen. Diesen Gefallen tue ich ihnen nicht,
verspreche ich mir.
Doch es kommt anders. Ich hatte keine Vorstellung vom
Sterben, stelle ich mit Verwunderung fest. Denn als die Frauen
tatsächlich anfangen, mit Knochen und Steinen nach mir zu
werfen, spüre ich plötzlich die Panik, die sich in meinen Eingeweiden
einnistet und mich daran hindern will, mein Ende
aufrecht wie ein Mann durchzustehen. Wie schwer es ist, in
Würde zu sterben, geht es mir durch den Kopf. Aber ich
schiebe diesen Gedanken beiseite, verstecke ihn in der hintersten
Ecke meines Bewusstseins. Lieber will ich an jene
Menschen denken, die ich glücklich gemacht habe. Und das
sind viele. Es gibt also keinen Grund, jetzt Schwäche zu
zeigen.
Endlich sind die Männer mit ihrer Arbeit fertig und klettern
aus der Grube. Der Halbkreis hinter mir wird immer
dichter, ich spüre den Atem einer Frau in meinem Nacken
und höre zwischen zwei Donnerschlägen ihre geflüsterten
Worte: »Du findest niemals Ruhe. Es wird immer weitergehen!
«
In ihrer Wut werfen die Weiber mit allem nach mir, was sie
zwischen die Finger bekommen. Auf einmal nehme ich etwas
hinter mir wahr, drehe den Kopf und erkenne den Schatten
eines kleinen Jungen, der in meinem Rücken steht, mit einem
großen gezackten Stein in der Hand. Er holt aus, und ich
fühle, wie er seine ganze Kraft in diesen einen Wurf legt. Der
Stein trifft mich am Hinterkopf, und die Wucht des Schlags
treibt mich zwei Schritte nach vorn, auf das Grab zu. Ich
spüre, wie mir warmes Blut in den Nacken läuft. Beifälliges
Gemurmel erklingt, das in den rituellen Gesang übergeht, der
unser Volk schon seit Jahrhunderten auf seiner Wanderschaft
begleitet.
Ich weiß, mein Sterben wird sich hinziehen, und mein Tod
wird grausam sein. Einer der Männer wird mir zu guter Letzt
das Herz aus der Brust schneiden - ich kann mir schon denken,
wer das ist. Wie eine Trophäe wird er das blutige Stück
Fleisch in die Höhe halten, um es dann gemeinsam mit meinen
Schuhen und einem der Rattenschädel zu verbrennen.
Doch das kann mir egal sein, denn wenn es so weit ist, bin
ich bereits tot und liege in meinem kalten Grab.
1
In einer Minute und fünfzehn Sekunden werde ich mein
Schweigen brechen. Dann habe ich genau ein Jahr lang kein
Wort gesprochen. Ich werde meine Psychiaterin zu mir rufen
und sie bitten, die Polizei zu alarmieren. Sie wird überrascht
und verwirrt sein, aber sie wird meinen Wunsch erfüllen.
Zu meiner eigenen Sicherheit stecke ich mir die Schere, die
ich vorhin dem Assistenten gestohlen habe, in meinen rechten
Ärmel. Denn mein poröser Verstand sagt mir, dass ich auf
Übergriffe vorbereitet sein muss.
Dann drücke ich auf den Alarmknopf, höre die Sirene und
weiß, dass draußen im Korridor eine rote Signallampe aufleuchtet.
In exakt vierzig Sekunden stürzen die Pfleger herein,
und ich werde schreien. Jawohl, ich werde schreien, und
ich werde mich erinnern.
2
Zehn Minuten, bevor Viktor Maly mit der Schere zustechen
würde, saß er schweigend mit dem Chefinspektor der Mordkommission
Linz an einem Tisch.
Tony Braun war von Dr. Karen Jansen am frühen Morgen
aus dem Bett geklingelt worden. Hektisch hatte sie ihm mitgeteilt,
dass es um Leben und Tod gehe. Dass ihr Patient
Viktor Maly zum ersten Mal seit einem Jahr wieder gesprochen
habe. Dass er über eine Nachricht von größter Wichtigkeit
für die Polizei verfüge und diese Information möglicherweise
ein Verbrechen verhindern könne.
Doch seit Braun an diesem Dezembermorgen todmüde in
der Psychiatrischen Klinik von Linz eingetroffen war, hatte
Maly keinen Ton von sich gegeben. In dem karg eingerichteten
Zimmer wirkte sein Schweigen genauso düster und
bedrohlich wie die Wolken, die tief über der Stadt hingen und
Schnee ankündigten.
Die Zeit verging, und Braun wurde immer unruhiger. Der
Raum war überheizt, und er spürte, wie ihm der Schweiß
auf die Stirn trat. Er fuhr sich durch die halblangen dunklen
Haare, strich sich über den angegrauten Dreitagebart und
tippte ungeduldig mit den Springerstiefeln auf den Boden. Es
war vielleicht doch keine so gute Idee gewesen hierherzukommen.
Welche Information konnte Karens Patient schon
für ihn haben?
Sie hatte ihm am Telefon zwar versichert, dass Maly aus
psychiatrischer Sicht gesund und darüber hinaus ausgespro-
chen intelligent sei, doch davon war in diesem Moment nicht
viel zu bemerken. Je länger Braun über die ganze Situation
nachdachte, desto absurder erschien sie ihm. Natürlich hatte
er sich gefreut, als er Karens Stimme nach all der Zeit so unerwartet
gehört hatte. Und er war neugierig auf die Informationen
gewesen, die Maly angeblich besaß. Aber vor allem
hatte er Karen die Bitte nicht abschlagen können, denn sie
hatte seinem Sohn Jimmy vor ein paar Jahren sehr geholfen.
Nach zwanzig Minuten des Wartens kam er nun aber an
den Punkt, an dem ihn Karens Patient nur noch nervte. Mit
den tief liegenden dunklen Augen, die wach umherblickten,
und den Falten auf der Stirn, die sich wahrscheinlich durch
angestrengtes Grübeln über irgendwelche verrückten Botschaften
so tief in die Haut gegraben hatten, wirkte Maly
nicht wie ein typischer Insasse der Psychiatrie. Doch Braun
war nicht hier, um über den Wahnsinn des Mannes zu urteilen.
»Danke . . . dass Sie . . . gekommen sind.«
Die Stimme von Maly, die urplötzlich erklang, fraß sich
heiß und schneidend durch die Stille. In Brauns Ohren mangelte
es ihr an jeglicher Menschlichkeit. Es war die Stimme
eines Mannes, den schreckliche Bilder in seinem Kopf quälten,
Bilder, die nach draußen wollten - aber wenn er den
Mund öffnete, hatte er sie bereits vergessen. Denn Maly litt
an einer retrograden Amnesie und kannte nur seinen Namen,
wie Karen bei Brauns Ankunft erklärt hatte.
Braun seufzte. »Weshalb wollen Sie mich sprechen?«
»Ich habe . . . eine Information . . . für Sie.« Maly beugte
sich vor und schob langsam den rechten Arm über den Tisch,
auf Braun zu.
»Was ist das für eine Information?«
»Geduld.«
Maly machte lange Pausen zwischen Worten und Sätzen.
Er wirkte wie ein verirrter Wanderer in einer schwarzen Welt,
in der es nur vereinzelte Lichtpunkte am Horizont gab, die
ihm die Richtung wiesen. Braun hatte das Gefühl, als müsste
sein Gegenüber erst nach Worten suchen, als hätte der Mann
in dem Jahr seines Schweigens das Sprechen verlernt.
»Sind . . . wir uns . . . schon einmal . . . begegnet?«, wollte
Maly wissen.
»Nicht dass ich wüsste.« Dieser Typ war Braun gänzlich
unbekannt.
»Braun . . . Der Name . . . sagt mir etwas. Aber vielleicht . . .
bilde ich mir das auch nur . . . ein.«
Wieder verfiel Maly in ein dumpfes Schweigen. Die Falten
auf seiner Stirn wurden tiefer, während er die Lippen zu
einem dünnen Strich zusammenpresste und die Augen zukniff,
als wollte er einen winzigen lichten Streifen seiner Erinnerung
mit den Lidern festhalten.
»Wer will Kaffee? Ich hole uns welchen«, versuchte Karen
die Atmosphäre ein wenig aufzulockern.
An ihrer Tonlage erkannte Braun, dass ihr die Situation unangenehm
war. Am Telefon hatte sie geklungen, als wäre
Maly im Besitz brisanter Nachrichten, jetzt aber erkannte sie
wohl selbst, wie unglaublich das geklungen hatte.
»Kaffee?«, fragte sie erneut und lächelte gequält.
»Ja, warum nicht.«
Braun drehte sich zu ihr und nickte. Seit ihrem letzten
Treffen vor vier Jahren hatte sie sich kaum verändert. Noch
immer trug sie die braunen Haare offen, und ihr leichter Silberblick
irritierte ihn wie eh und je.
»Ich mach das!« Karens Assistent Thomas Just sprang auf
und war bereits aus der Tür, noch ehe jemand reagieren konnte.
Maly drehte den Kopf hin und her, als wäre ihm der Kragen
seiner weißen Jacke mit einem Mal zu eng. Braun lehnte sich
auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der
Brust. Er betrachtete den Mann, der noch immer den Kopf
von links nach rechts bewegte und dabei die Zähne bleckte,
als stünde er kurz vor einem Anfall.
»Die Information hat mich selbst überrascht«, flüsterte
Maly und legte dann seine Wange auf die Tischplatte, als
würde ihm die weiße Plastikoberfläche den Text soufflieren.
Seine Worte kamen jetzt flüssiger, klangen aber immer noch
seltsam monoton. »Plötzlich war diese Botschaft in meinem
Kopf. Es klang fast wie ein Befehl.«
»Hm.« Nur mühsam unterdrückte Braun ein Gähnen. Er
fühlte sich schlapp - und auch deprimiert durch die lähmende
Atmosphäre im Raum. Die seltsame Euphorie, die ihn bei der
Fahrt durch die menschenleeren Straßen von Linz erfüllt
hatte, war verschwunden. Die Wände des Zimmers rückten
zunehmend näher und raubten ihm den Platz zum klaren
Denken. Maly hing jetzt beinahe ganz auf dem Tisch und öffnete
den Mund, zunächst ohne ein Wort hervorzubringen,
wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Kein Wunder, dass der Typ durchdreht, dachte Braun. In
dieser trostlosen Bude muss man ja verrückt werden.
»Sie glauben mir nicht«, murmelte Maly. »Sie denken, ich
will nur Ihre Zeit stehlen. Aber das stimmt nicht.« Er drehte
den Kopf, visierte Braun an und schrie auf einmal laut: »Ich
beweise es Ihnen!«
In Brauns Kopf klappten die Wände des Zimmers auf wie
ein Geschenkkarton, und das Adrenalin durchflutete seinen
Körper. Einen Wimpernschlag später war er auf den Beinen,
sein Stuhl fiel krachend auf den Boden. Doch Maly war eine
Spur schneller. Wie ein geübter Taschenspieler ließ er eine
Schere aus dem rechten Ärmel gleiten und stach sich damit
völlig unvermittelt in die Spitze des linken Zeigefingers.
Obwohl die Wunde tief war, drang kein Laut über Malys Lippen.
Blut spritzte auf die weiße Tischplatte und verteilte sich
dort zu einem abstrakten Muster.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Braun, wie Karen auf
den roten Alarmknopf neben der Tür drückte und ihm etwas
zurief. Doch ihre Stimme ging in dem röhrenden Ton der
Sirene unter, die sich wie eine Schraube in Brauns Gehörgang
fräste. Er packte Maly am Arm und riss ihm die Schere aus der
Hand.
Just, der geradewieder zur Tür hereinkam, ließ vor Schreck
das Tablett mit den Tassen fallen. Wie in Zeitlupe schwappte
der pechschwarze Kaffee über den weißen Boden und suchte
sich mit langen Fingern zwischen den umgestürzten Stühlen
seinen Weg zu Maly, der wimmernd an der Wand lehnte, den
blutigen Finger in den Mund gesteckt. Zwei Pfleger stürzten
herein, rannten auf Maly zu und hielten ihn fest.
»Er will mich umbringen«, gurgelte Maly, riss den linken
Arm aus dem Klammergriff und wischte sich mit dem blutigen
Finger über das Gesicht. Es sah aus wie ein Clownsmund
mit ausgefransten Enden. »Er will mich umbringen«,
wiederholte er und deutete mit dem ausgestreckten Finger
auf Braun.
»Was wollen Sie damit sagen? Dass Sie sich durch mich
bedroht fühlen?«, fragte Braun mit hochgezogenen Augenbrauen.
Er hatte den Mann nicht einmal berührt.
»Woher wissen Sie das?«, fragte Maly verwirrt. »Sie . . . Sie
kennen mich also doch . . .«
»Genug jetzt!« Karen stieß sich von der Wand neben der
Tür ab. Ihr Gesicht hatte plötzlich einen harten Zug angenommen,
den Braun gar nicht an ihr kannte.
»Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Braun. Tut mir leid, dass
ich dich herbestellt habe«, sagte sie entschieden und stellte
sich dann vor Maly. »Viktor, was soll denn das? Reißen Sie
sich zusammen!«
»Eine allumfassende Dunkelheit umgibt mich«, murmelte
Maly. »Ständig muss ich auf der Hut sein, darf niemals die
Kontrolle verlieren . . . Das ist sehr anstrengend.« Maly versuchte
sich erneut aus dem Griff der Pfleger zu befreien, doch
es gelang ihm nicht.
»Lasst ihn los«, wies Karen die Pfleger an, und gleich darauf
rutschte Maly an der Wand entlang auf den Boden, wo er
hocken blieb und seinen Finger betrachtete.
Karen drehte sich zu ihrem Assistenten. »Gibst du Viktor
bitte eine Spritze, damit er sich beruhigt?«
»Aber natürlich.« Just öffnete den weißen Metallkoffer,
den die Pfleger mitgebracht hatten, und nahm eine Spritze heraus.
»Wie geht es Ihrem Finger?«, fragte Karen, ging neben
Maly in die Hocke und sprayte ein blutstillendes Mittel auf
die Wunde. »Sie müssen sich jetzt ausruhen. Die Verletzung
muss nicht genäht werden. Wie sind Sie überhaupt an die
Schere gekommen?«
Maly schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
Karen schickte die Pfleger mit einer ungeduldigen Geste
aus dem Raum und begann einen Verband um Malys Fingerkuppe
zu wickeln. »Braun, ich hab doch gesagt, du sollst verschwinden.
«
»Halt! Er muss bleiben«, stammelte Maly und schüttelte
ihre Hand ab. Er stand auf. »Ich muss die Information weitergeben.
«
»Ich kann das nicht zulassen.« Sie erhob sich und stellte
sich vor ihren Patienten.
»Auf . . . auf meine Verantwortung. „Maly klang erschöpft.
Langsam schob er sich an der weißen Tapete entlang, verschmolz
mit ihr, wirkte mit seiner weißen Kleidung und dem
bleichen Gesicht beinahe wie eine Halluzination. »Sie wollen
mich schlagen«, flüsterte er beinahe unhörbar, ohne den Blick
von Braun zu nehmen.
Der trat ganz nahe an Maly heran, atmete seinen Geruch
ein und fühlte sich sofort verseucht, vergiftet. »Was haben Sie
gesagt?«
»Sie wollen mich schlagen! Sie haben Ihre Aggressionen
nicht unter Kontrolle.« Maly drehte sich zu Just um, der in
der Mitte des Zimmers stand und sich gerade in Richtung des
Patienten in Bewegung setzte, um ihm die Injektion zu verpassen.
»Moment, warten Sie mit der Spritze!«, rief Braun.
Gespannt blickte er in das Gesicht des Patienten, aber
dessen Miene war schon wieder undurchdringlich. Braun
seufzte. Er hatte in seiner Karriere schon einige irre Typen
kennengelernt. Sie gaben sich kühl und souverän, aber in ihnen
brodelte es. Und irgendwann explodierte das Ganze und
wurde zu einer Katastrophe. Maly war eine tickende Zeitbombe.
»Als verantwortliche Psychiaterin muss ich dieses Gespräch
jetzt abbrechen«, meldete sich Karen zu Wort.
Maly hob den Kopf und blähte die Nasenflügel, beinahe
so, als wollte er die Worte seiner behandelnden Ärztin einatmen.
Dann räusperte er sich, packte Brauns Hand und
drückte ihm ein zusammengeknülltes Papier in die Finger.
»Loslassen!«, zischte Braun überrascht und stieß Maly
zurück.
»Braun, raus jetzt!« Karen ging dazwischen und winkte
Just zu sich.
»Nein. Nein! Das ist doch die Botschaft.« Maly wich zurück,
bis er gegen das Bett stieß. Seufzend ließ er sich auf die
Matratze fallen. »Das ist Ihre Information«, flüsterte er.
Braun faltete den Zettel auseinander und drehte sich ratlos
zu Karen um. Doch sie erwiderte den Blick nicht.
»Geh jetzt endlich«, sagte sie stattdessen gereizt.
»Was ist das für ein Fleck auf dem Papier?«, fragte Braun
Maly. »Ist das Ihr Blut?«
»Alles, was ich sehe, ist ein schwarzer Abgrund, an dessen
Rand ich mich entlangtaste.« Der weiße Verband über Malys
linkem Zeigefinger, den Karen noch nicht vollständig hatte
anlegen können, hatte sich wieder blutig rot gefärbt. »Ich
kann mich nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin,
oder sehen, wie ich dieses Dunkel jemals hinter mir lasse.«
»Was sind das für Zahlen auf dem Zettel, und von wem
stammt das Blut?«, wiederholte Braun, und diesmal klang er
noch ungehaltener.
Maly hatte die Augen geschlossen, als würde er schlafen,
doch Braun war sich sicher, dass er jedes Wort genau verstand.
Er sollte recht behalten.
Der durchgeknallte Kerl drehte den Kopf, ohne seine
Augen zu öffnen, und sprachwieder genauso stockend wie zu
Beginn: »Das . . . sind Fragen, die wir . . . uns für später . . . aufheben
sollten.«
3
Braun hatte eine böse Vorahnung, als er beim Park ankam.
Malys bizarres Verhalten hatte ihn zwar ziemlich genervt und,
wenn er ehrlich zu sich selbst war, auch befremdet. Trotzdem
hatte ihm sein Bauchgefühl geraten, Die Andeutungen
und den seltsamen Zettel ernst zu nehmen und nicht als bloßen
Irrsinn eines Durchgeknallten abzutun.
Er fischte sein Handy aus der Hosentasche und betrachtete
erneut das Foto des Zettels: ein Blutstropfen links,
eine Zeichnung rechts und daneben eine Ziffernreihe.
48 18 47 14 17 40.Was sollte das bedeuten? War das ein Code?
Vielleicht eine chiffrierte Botschaft? Noch in der Psychiatrischen Klinik
hatte Braun das Papier fotografiert und an seinen
IT-Spezialisten Jan Faber gemailt.
Jan war ein Ex-Häftling im Rollstuhl, der häufiger als Berater
für Brauns Abteilung arbeitete. Mit seiner unkonventionellen Vorgangsweise hatte
er ihnen schon öfter gute Dienste
geleistet - das hatten Brauns Vorgesetzte bereits mehr
als einmal widerwillig zugeben müssen. Jan hatte natürlich
nicht lange gebraucht, um die Zahlenfolge zu entschlüsseln.
»Es sind Koordinaten«, antwortete er Braun nur Minuten,
nachdem dieser die SMS losgeschickt hatte.
»Koordinaten?«
»Richtig, du Superbulle«, lachte Jan. »Das sind Zahlen von
null bis neun, die dazu dienen, einen bestimmten Ort auf der
Welt zu lokalisieren. Alles klar? 48°18;47?N, 14°17;40?E.«
Braun grunzte zustimmend.
»Die Zeichnung auf dem Zettel passt übrigens genau zu
dem Ort, den die Koordinaten beschreiben. Damit ist wohl
eine Parkbank gemeint.«
»Woher weißt du das alles?«, wollte Braun irritiert wissen.
Jan lachte wieder. »Wenn du das nächste Mal bei mir
bist, alter Mann, erkläre ich dir mal, was Google Streetview
ist, okay? Dein Viktor Maly hat mich übrigens ziemlich
neugierig gemacht, ich sehe zu, was ich über ihn im Netz
finde.«
Jan hatte recht gehabt. Die Koordinaten hatten Braun in
den weitläufigen Park direkt an der Donau geführt. Dichter
Nebel hatte die Stadt fest im Griff, nur manchmal durchbrach
eines der vorbeifahrenden Flussschiffe die undurchsichtige
Welt, während es langsam auf dem Wasser dahinglitt. Auch
der Park selbst wirkte düster und abweisend. Obwohl es
noch nicht einmal acht Uhr morgens war, herrschte ziemlich
viel Betrieb auf den Straßen der Stadt, und auf der Nibelungenbrücke
gleich neben den Grünflächen stauten sich schon
jetzt die Autos. Wie graue Wesen aus einer Zwischenwelt hasteten
die Passanten auf ihrem Weg zur Arbeit an Braun vorbei.
Alle schienen unter Zeitdruck zu stehen, die Hektik war
geradezu greifbar.
Braun blieb am vorderen Eingang des Parks stehen und sah
sich um. Bänke gab es jede Menge. Sie standen links und
rechts eines gekiesten Gehwegs, der wie eine große liegende
Acht den schmutzig-braunen Rasen zerteilte und steil zur
Donau hin abfiel. In einiger Entfernung, auf einer Bank direkt
an der Böschung, saß eine junge Frau, neben sich einen
Kinderwagen. Schräg gegenüber, auf der anderen Seite eines
froststarren Blumenbeets, sah Braun einen Mann und eine
Frau sitzen. Wahrscheinlich ein altes Ehepaar, denn sie trugen
beide die gleiche Windjacke und wirkten sehr vertraut. Sie
unterhielten sich angeregt und blickten dabei ständig zu der
jungen Mutter mit dem Kinderwagen.
Braun ließ den Blick schweifen. Auf einer Parkbank am anderen
Ende des Kieswegs wickelte sich gerade ein Obdachloser
aus einer alten Abdeckplane und sah sich nach allen
Seiten um. Er trug einen dicken verschlissenen Wintermantel
und hatte einen verbeulten Einkaufswagen neben sich stehen,
der bis oben hin mit seinen Habseligkeiten gefüllt war. Unvermittelt
ließ er sich von der Sitzfläche gleiten, kroch auf
allen vieren hinter die Parkbank und suchte hastig den Boden
nach etwas ab.
Braun konnte nicht erkennen, was es war. Er kniff die
Augen zusammen. Jetzt hatte sich der Mann wieder aufgerichtet
und verstaute einen Gegenstand in seiner Manteltasche.
Was hat er dort hinten aus der Erde gebuddelt?, fragte
sich Braun. Plötzlich schien es der Obdachlose ziemlich eilig
zu haben - wahrscheinlich hatte er mitbekommen, dass er
beobachtet wurde.
»Warten Sie einen Augenblick!«, rief Braun und lief über
die steinhart gefrorene Wiese auf ihn zu. Der Nebel legte sich
wie ein feuchtes Tuch über sein Gesicht, während er das
Tempo anzog.
Der Obdachlose begann, mit seinem Einkaufswagen loszurennen,
aber die kleinen Räder verkeilten sich im Schotter
des Gehwegs, der Wagen machte durch den Schwung eine
halbe Drehung und kippte dann vornüber, was auch den
Mann zu Fall brauchte. Braun konnte nur noch seine Umrisse
erkennen, hörte dafür aber ein markerschütterndes Geheul,
das sich langsam in ein schrilles Kreischen verwandelte. Kam
es von vorn, von dem Penner? Es war fast so, als würde der
Nebel nicht nur die Menschen, sondern auch all die Geräusche,
die von ihnen ausgingen, verschlucken und in eine wabernde
akustische Suppe verwandeln.
Als Braun den Obdachlosen erreicht hatte, sah er, wie
dieser inmitten seiner Habseligkeiten lag und wild mit den
Armen um sich schlug. Er bückte sich zu dem Mann hinunter
und klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Ich will
nur mit Ihnen reden«, sagte er, doch der andere schien ihn
nicht zu hören, sondern schlug weiter mit den Händen nach
ihm.
»Stehen Sie endlich auf!« Braun atmete tief durch und
zerrte den Obdachlosen an seinem Mantelkragen hoch. Der
Kerl verströmte einen üblen Gestank nach Schnaps und
ungewaschenen Klamotten, lediglich abgemildert durch den
intensiven Marihuana-Geruch, der ebenfalls von ihm ausging.
Im krassen Gegensatz zu der abgerissenen Kleidung und
seinen widerlichen Ausdünstungen war das Gesicht des Obdachlosen
glatt rasiert, und er sah auch relativ jung aus. Auf
Braun wirkte der Mann wie jemand, der in dieser Turbo-
Gesellschaft den Anschluss verloren hatte und deshalb unter
die Räder gekommen war.
»Machen Sie doch kein Theater. Ich will nur wissen, was
Sie da haben«, versuchte er das Ganze deshalb abzukürzen,
denn insgeheim tat ihm der Mann sogar leid.
Doch der Obdachlose steigerte sich immer weiter in seine
Panik hinein, die in einem lang gezogenen, verzweifelten
Schrei gipfelte, bei dem Braun das Blut in den Adern gefror.
Durch den Lärm, den der Penner mit seiner Schreierei
veranstaltete, war das Baby im Kinderwagen ein paar Meter
weiter aufgewacht und begann nun ebenfalls herzzerreißend
zu brüllen. Warum kümmert sich die Mutter nicht um ihr
Kind?, fragte sich Braun. Den Krach hielt ja kein Mensch
aus.
Er ließ den Obdachlosen los und trat ein paar Schritte zurück,
um zu erkennen, was oben auf der Böschung los war.
Undeutlich sah er, dass der Kinderwagen durch das strampelnde
und wimmernde Baby bedenklich zu wippen begonnen
hatte und langsam die Böschung hinunter zur Donau
rollte.
Wieso reagierte die Mutter nicht?
»Halt endlich die Klappe«, sagte er zu dem Obdachlosen,
der jetzt völlig weggetreten war, laut eine Melodie summte
und sich mit den Fäusten auf die Brust schlug.
Der Kinderwagen hatte inzwischen Fahrt aufgenommen.
Er war ein Modell mit dicken Reifen, das man sogar
zum Joggen verwenden konnte. Das Baby brüllte und
strampelte, sodass der Kinderwagen noch schneller die Böschung
hinunterrollte - direkt auf den breiten Fluss zu.
Gierig leckten die schwarzen Wellen am Ufer, schienen nur
darauf zu warten, den Wagen mitsamt dem Baby zu verschlingen.
»Stoppt den Kinderwagen!«, rief Braun einigen vereinzelten
Passanten auf dem Uferweg zu, die dick vermummt
vorbeieilten, während er lossprintete. Aber in dieser nebeligen
Parallelwelt hörte niemand auf ihn, und keiner reagierte.
Er hastete über die Wiese auf die Böschung zu, konnte nur
knapp einem Radfahrer ausweichen und rannte den Weg hinunter,
der direkt am Kunstmuseum vorbei zu einem Anleger
für Ausflugsschiffe führte. Der Kinderwagen holperte bereits
über den rissigen Beton des Anlegers, prallte gegen einen
Poller, der die Fahrt abbremste, schlingerte bedenklich und
drohte mit dem schreienden Baby umzukippen, doch Braun
sprang rechtzeitig nach vorn und fing den Wagen auf, bevor
er ins Wasser kippen konnte.
»Alles in Ordnung, mein Kleines.« Mit einer Hand strich
er sanft über die pfirsichzarte Wange, aber das Baby brüllte
umso heftiger. Wahrscheinlich hatten es die eiskalten Finger
von Braun erschreckt. Deshalb schob er den Kinderwagen
schnell die Böschung hinauf und bemerkte im selben
Augenblick, als er auf dem Weg oben ankam, dass der
Obdachlose dabei war abzuhauen. Er hatte all seine Habseligkeiten
wieder eingesammelt und in den Einkaufswagen
gestopft.
»Mann, du nervst«, seufzte Braun.
Aber im Moment war das Babywichtiger. Langsam schälte
sich die Parkbank aus dem Nebel, als Braun, den Kinderwagen
vor sich herschiebend, darauf zusteuerte.
»Sind Sie die Mutter?«, fragte er, aber die Frau auf der Bank
schien ihn nicht zu hören. »Hallo? Warum kümmern Sie sich
nicht um Ihr Kind?«
Verständnislos stand Braun vor der Frau, die ihn immer
noch ignorierte. Im grauen Licht des Morgens schien ihr
zusammengesunkener Körper auf der Parkbankmerkwürdig
konturenlos.
»Uns ist auch schon aufgefallen, dass sich die Frau gar
nicht mit ihrem Baby beschäftigt«, hörte Braun eine dünne
Stimme hinter sich.
Das alte Ehepaar von der gegenüberliegenden Parkbank
kam über die Wiese auf ihn zu, das gefrorene Gras knirschte
unter ihren Füßen. Die Frau wirkte ziemlich aufgeregt, und
der Mann tätschelte unentwegt ihren Arm, um sie zu beruhigen.
»Wahrscheinlich ist sie betrunken«, entrüstete sich die
Frau im vertraulichen Ton. »Das geht schon seit längerer
Zeit so. Sie sitzt einfach nur da und rührt sich nicht. Wenn Sie
mich fragen, dann ist sie eine schlechte Mutter.«
»Vielleicht fehlt ihr etwas«, antwortete Braun einsilbig, der
das Gerede der Passantin ziemlich anmaßend fand.
Er drehte sich wieder zu der Frau auf der Parkbank um.
Die trostlose Stimmung, die rings um ihn herrschte, legte sich
wie ein schwerer Mantel auf seine Schultern. Der Nebel
erschien ihm plötzlich noch dichter, der Himmel hing tiefer,
die Luft war schwer und bleiern. Brauns Bauchgefühl schlug
Alarm.
»Hallo, können Sie mich hören?« Vorsichtig beugte er sich
zu der Frau hinunter. Ihre Haut war glatt und weiß wie Porzellan.
Aus der Nähe wirkte die Mutter nicht mehr ganz so
jung, wie er im ersten Moment gedacht hatte. »Ich bin von
der Polizei. Verstehen Sie mich?«
Noch immer keine Reaktion. Die Frau auf der Parkbank
trug einen Kunstpelzmantel und hatte einen dicken Schal mit
rotem Muster mehrmals um den Hals geschlungen. Ihr Kopf
war nach vorn auf die Brust gesunken, und sie trug trotz der
nebligen Wetterverhältnisse eine riesige Sonnenbrille, sodass
Braun kaum etwas von ihrem Gesicht erkennen konnte. Eine
Strähne blonden Haares hatte sich aus ihrem Zopf gelöst und
wehte über Gesicht und Schal, als würde sie ein Eigenleben
führen.
Mit zwei Fingern tippte Braun die Wange der Frau an. Ihre
Haut fühlte sich eiskalt an, und ihr Kopf kippte durch die
Berührung sanft zur Seite. Plötzlich hatte Braun einen Geruch
in der Nase, der ihm allzu vertraut war. Es roch nach
rostigem Metall, nach Angst und Sterben. Braun war dieser
Geruch schon oft begegnet: Es war das Aroma des
Blutes, der Gestank der Hoffnungslosigkeit - der Duft des
Todes.
Langsam beugte sich Braun noch weiter über die Frau.
Strich sacht über den Schal mit dem roten Muster, spürte, wie
vermutet, dickes geronnenes Blut, das sich in die Wolle gesaugt
hatte. Mit zwei Fingern lockerte er den Schal um den
Hals der Frau und hob dazu leicht ihr Kinn an. Doch sofort
kippte ihr Kopf nach hinten, als würde er nur von einigen
wenigen Hautfetzen auf dem Körper gehalten. Wie war das
möglich?
Dann sah er den Draht. Ein dünner Metallfaden hatte so
scharf den Hals der Toten zerteilt, dass er nicht nur Haut,
Knorpel und Sehnen, sondern auch die Nackenwirbel beinahe
vollständig durchtrennt hatte, und der Kopf nun wie bei
einer Puppe fragil hin und her pendelte.
Hinter sich hörte Braun das alte Ehepaar aufgeregt tuscheln,
neben sich das Baby schluchzen, vor sich sah er die
tote Frau. Wahrscheinlich war sie noch gestern voller Stolz
mit ihrem Kind durch die Stadt spaziert, hatte sich über dieses
junge Leben gefreut und keinen Gedanken an das Morgen
verschwendet. Aber die Stunde des Todes war für sie schon
bestimmt gewesen, und ihre Zeit war mit unerbittlicher Hast
dem Ende entgegengerast.
Tief in seinem Inneren wusste Braun, dass er viele Nächte
mit diesem hässlichen Mord verbringen und nicht eher ruhen
würde, bis die Tote Gerechtigkeit erfahren hatte.
Mit der Spitze seines Kugelschreibers schob Braun die riesige
Sonnenbrille der Frau nach oben auf die marmorne Stirn.
Er sah ihr in die Augen, die leblos und starr geradeaus blickten.
Die Panik in ihrem Gesicht, der Ausdruck nackter Angst,
war für immer auf ihrem Antlitz eingefroren. Sie hatte
gewusst, dass es Zeit war zu sterben, dass sie ihr Kind nie
würde aufwachsen sehen, dass sie nie mehr die Liebe erfahren
würde.
Das Baby schien diesen Schmerz zu spüren, denn sein
Schreien war in ein Schluchzen übergegangen, das todtraurig
und leise den Nebel dieses kalten Dezembermorgens zerriss
und einfach nicht enden wollte.
4
Das Handy schrillte, und vor Schreck hätte sie beinahe den
Teller fallen lassen. Im letzten Moment schaffte sie es, ihn der
Frau in die schwieligen Hände zu drücken.
»Hallo. Was? . . .Natürlich bin ich schon wach«, beeilte sie
sich in ihr Handy zu sagen.
Franka drehte sich ein wenig zur Seite und entfernte sich
von der langen Menschenschlange, die abgerissen und erbärmlich
zu einer einzigen menschlichen Tragödie verschmolzen
war. Still und mit hängenden Köpfen warteten Männer
und Frauen darauf, sich mit Tee und Suppe ein wenig aufzuwärmen.
Einer Alten rutschte der heiße Teller aus den Händen
und zersplitterte mit einem lauten Knall auf dem Boden. Ein
leises Raunen im Raum schwappte bis zu Franka herüber.
»Welcher Lärm? Ach so, ja . . . Nein, ich bin nicht zu
Hause.«
Sie redete nicht gern darüber, dass sie ein paar Mal pro
Woche um fünf Uhr morgens in der Oase auftauchte, einer
Zufluchtsstätte für die Obdachlosen von Linz. Hier schenkte
sie unentgeltlich Tee und Suppe aus, um den Menschen, die
am Rand der Gesellschaft lebten, etwas von ihrem unverdienten
Glück zurückzugeben. Sie wollte ihr Engagement nicht
an die große Glocke hängen, frei nach dem Motto: Tu Gutes
und sprich nicht drüber. Franka nahm diese Weisheit sehr
ernst.
»Wo ich bin? Äh . . . Ist doch egal. Gib mir fünfzehn Minuten
«, sagte sie, nachdem sie dem Anrufer schweigend zuge-
hört hatte. »Ich warte daheim auf dich. Lass anklingeln, dann
komm ich runter.«
Hastig steckte sie das Handy ein und ging zu dem übermüdeten
Mann im dicken Wollpullover, der hinter dem großen
Suppenkessel stand. Das war Wolfgang, der die gewöhnliche Oase
ins Leben gerufen hatte.
»Ich kann nicht länger bleiben. Es gibt etwas zu tun.«
Wolfgang nickte ihr wortlos zu, und sie ging ohne Abschiedsgruß
an den Tafeln vorbei, wo Männer und Frauen
heiße Suppe löffelten und sich leise unterhielten. An einem
Tisch direkt neben der Ausgangstür, mit Blick nach draußen
auf die Straße, saß Nana, die wie die meisten anderen hier
obdachlos war. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der
älteren Frau, und Franka hielt trotz aller Eile an, um kurz mit
ihr zu reden.
»Bist du bei dem Arzt gewesen, den ich dir empfohlen
habe?«, fragte sie.
Nana senkte den Kopf und grinste unsicher. »Das mache
ich heute«, flüsterte sie, obwohl beide wussten, dass Nana
niemals diesen Arzt aufsuchen würde, selbst wenn ihr der zu
einer Therapie verhelfen konnte. Nana lebte auf der Straße,
weil sie Angst vor geschlossenen Räumen hatte - und solange
der Arzt seinen Behandlungsraum nicht nach draußen verlegte,
würde das auch so bleiben.
»Ich muss heute früher weg«, sagte Franka und strich der
alten Frau sanft über die dünnen Haare. »Sobald ich Zeit
habe, gehe ich mit dir zum Arzt.«
»Versprochen?« Die Stimme der Älteren war leise und
kraftlos wie ein zarter Windhauch, den man erst bemerkt,
wenn er längst vorüber ist. Sie nuschelte etwas, das Franka
nicht verstand.
»Was hast du gesagt?«
»Du musst mir versprechen, mit mir dorthin zu gehen.«
»Versprochen.«
Nana legte Franka dankbar den Arm um die Hüfte und berührte
aus Versehen die Waffe, die Franka im hinteren Bund
ihrer Jeans stecken hatte.
»Was ist das? Ist das wirklich eine Pistole?«, fragte Nana
mit großen Augen.
»Ja. Denn auch ich habe manchmal Angst.«
Seltsam - mit der Waffe fühlte sie sich nur bei Tag sicher.
Nachts, wenn sie allein in ihrem Bett lag, kam die Erinnerung
auf leisen Sohlen und schlich sich wie ein Dieb in ihre Gedanken.
In der tiefsten Finsternis schreckte Franka dann aus
ihren Schachtelträumen, die ein ständig wiederkehrendes
Thema zum Inhalt hatten: ihre Kindheit. In manchen dieser
mondlosen Nächte war der Traum so intensiv, dass Franka
körperliche Qualen litt. Dann spürte sie die kratzigen Decken
auf der Haut, roch das abgestandene, ranzige Fett, mit dem sie
gleich die gestohlenen Eier in der uralten Pfanne braten würde.
Beim Aufstehen von ihrem Bett stieß sie in Gedanken an die
Wände des winzigen Wohnwagens, und sie zitterte vor Kälte,
wenn sie in ihrer Erinnerung nach draußen in die trostlose
Leere eines Parkplatzes trat, in dessen Nähe es weit und breit
kein fließendes Wasser gab und sie sich oft tagelang nicht den
Dreck aus dem Gesicht waschen konnte.
Energisch verscheuchte sie die schwarzen Wolken aus
ihrem Geist, als sie durch die nebelverhangenen Straßen von
Linz lief. Wie immer führte sie ihre Strecke bei dem Gebrauchtwagenhändler
vorbei, in dessen Reihen das Objekt
ihrer Begierde vor sich hin rostete. Es war das einzige Motorrad
auf dem ganzen Gelände, das mehr einem Schrottplatz als
einer Verkaufsfläche für Fahrzeuge ähnelte. Franka reckte
den Hals. Dort ragte sie aufgebockt aus der Menge, eine Ver-
heißung aus Technik und Schönheit, Geschwindigkeit und
Raserei. Irritierende Eleganz, lockende Freiheit, mit Rostflecken
am Tank und einem notdürftig mit Draht befestigten
Auspuff, dessen Chromoberfläche mittlerweile stumpf geworden
war: eine Moto Guzzi 800 Limited Edition, mattschwarz.
Mit diesem Motorrad würde Franka alles hinter sich
lassen können, selbst ihre Vergangenheit.
Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Verdammt, wenn Bruno
pünktlich war, würde er mitbekommen, dass sie seit einigen
Monaten nicht mehr in ihrer Wohnung wohnte. Und spätestens dann würde
er vielleicht Fragen stellen, die sienichtbeantworten
wollte.
Zum Glück war sein Wagen noch nicht da, als endlich
das markante Hochhaus vor ihr auftauchte, dessen oberste
Stockwerke vom Nebel verschluckt waren. Sie legte den
Kopf in den Nacken und starrte in die siebte Etage. Dort
oben war die Wohnung, von der sie früher immer geträumt
hatte, ihr Rückzugsort nach einem harten Arbeitstag, ihr
Ruhepol, der irgendwann zu einem Albtraum geworden war.
Ihr wurde schonwieder kalt bis ins Mark, wenn sie nur daran
dachte. Deshalb war sie auch in ein billiges Hotel gezogen.
Um sich das Hotel und die Wohnungsmiete leisten zu können,
vermietete sie ihr Apartment an ein Artistenpaar, das in
Linz überwinterte, ehe es im Frühjahr wieder mit seiner
Truppe weiterzog. Die beiden waren Seiltänzer, sie übten
regelmäßig im Donaupark an einer Brücke. Eines Abends
war Franka dort mit ihnen ins Gespräch gekommen und
hatte ihnen spontan ihre Wohnung angeboten, als sie sie nach
einer möglichen Bleibe gefragt hatten.
Manchmal fühlte sich Franka selbst wie eine Seiltänzerin,
die über einem Abgrund balancierte. Es war erstaunlich, wie
leicht ihr die Lügen in letzter Zeit über die Lippen kamen.
Ihre Stimme hörte sich tatsächlich völlig aufrichtig an, wenn
sie Bruno sagte, er solle sie daheim absetzen oder aufgabeln.
Er hatte keine Ahnung, dass sie schon seit dem Sommer nicht
mehr in ihrem Apartment gewesen war. Und das war auch
gut so. Niemand durfte eine Schwäche an ihr entdecken. In
der heutigen Gesellschaft war jedes Nachlassen ein Makel,
in diesem Leben hatte jeder perfekt zu funktionieren. Wer
irgendwann einfach nicht mehr konnte, wurde sofort aussortiert.
Deshalb durfte sich Franka auch keine Schwäche
erlauben. Sie hatte es bis hierher geschafft und wollte noch
weiter kommen.
Als sie die großen Türen zum Foyer aufstieß, wuchs ihre
Beklemmung. Immer wieder warf sie einen Blick auf das
Handy, das sie neben sich gelegt hatte. Als es dann tatsächlich
klingelte, zuckte sie zusammen, atmete tief durch und knipste
ihr Gute-Laune-Lächeln an. Sie flog die wenigen Stufen hinunter,
öffnete die Eingangstür und bog auf den Bordstein
ab. Dann winkte sie dem Mann zu, der in einigen Metern
Entfernung an der Motorhaube eines Autos lehnte und eine
Zigarette rauchte.
»Guten Morgen«, rief er ihr entgegen. »Hast du noch einen
Kaffee für mich?«
»Dafür ist keine Zeit, Bruno. Wir haben schließlich einen
Mord.«
Kaum dass sie auf den Beifahrersitz gesunken war, wiederholte
sie wie jeden Tag ihr Mantra, um sich wieder auf die
Erfolgsspur zurückzubringen: Ich heiße Franka Morgen, bin
vierundzwanzig Jahre alt und bei der Mordkommission Linz.
Ich bin die jüngste Polizeiinspektorin Österreichs und
arbeite im Team von Tony Braun, den ich bereits auf der Polizeiakademie
bewundert habe und der auch jetzt noch mein
Vorbild ist. Zu diesem Team gehört auch Bruno Berger, der
mich gerade abholt. Dieses Team ist meine Familie. Ich darf
mir keinen Fehler erlauben, ich darf mir keinen Fehler erlauben,
ich darf . . .
»Erde an Franka! Schläfst du noch?«
Sie hörte Bruno mit den Fingern schnippen und schreckte
aus ihren Gedanken. »Wie? Was? Ja, na klar«, sagte sie hastig.
Als Bruno den Wagen über die Nibelungenbrücke steuerte,
musste sie sich eingestehen, dass nicht nur ihr Mantra, sondern
auch Brunos Nähe sie beruhigte. Sie warf einen schnellen Blick
zur Seite. Obwohl er bereits Mitte fünfzig war und seine lockigen
Haare langsam weiß wurden, wirkte Bruno wesentlich
jünger, als er tatsächlich war. Das lag an seiner lockeren und frischen Art.
Wie immer trug er seine charakteristische schwarze
Strickmütze, ohne die er niemals aus dem Haus ging.
Während er bei einer Ampel wartete, drehte er sich zu ihr
und fragte unverblümt: »Warum lebst du nichtmehr in deiner
Wohnung, Franka?«
5
Tony Braun stand auf dem gefrorenen Rasen und unterhielt
sich mit dem Gerichtsmediziner Paul Adrian, einem großen
Mann mit rasiertem Schädel und langem schwarzem Mantel.
Adrian war kurz nach Braun gekommen und hatte das Opfer
bereits untersuchen können.
»Der Fundort ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch der
Tatort.«
»Kannst du uns schon etwas über den Todeszeitpunkt
sagen?«
»Wenn man die tiefen Temperaturen in der Nacht berücksichtigt,
würde ich zwischen drei und fünf Uhr morgens tippen.
Aber das lässt sich noch genauer feststellen.«
Ein Wagen fuhr bis zu dem schlapp herabhängenden rotweißen
Absperrband, das man rund um den Tatort gezogen
hatte. Braun hob die Hand zum Gruß, als Bruno und Franka
ausstiegen. Wenn man Bruno so sah, groß und breitschultrig
in seinem Hippielook mit Strickmütze, Jeansjacke und der
selbst gedrehten Kippe im Mundwinkel, würde man nie auf
die Idee kommen, dass er ein über die Landesgrenzen hinaus
anerkannter Verhörspezialist war. Er hatte jahrelang auf der
Straße für das Drogendezernat gearbeitet und dank seiner
unverdächtig entspannten Attitüde reihenweisewertvolle Informationen
über Drogendeals aus seinen Kontakten herausgekitzelt.
Franka war das genaue Gegenteil. Sie war klein, ziemlich
hübsch, hatte aber aus unerfindlichen Gründen ihre dunklen
Haare hellblond gefärbt. Als Polizistin war sie tough und
kontrolliert, konnte mit Stresssituationen gut umgehen und
war eine brillante Analytikerin. Trotzdem wurde Braun den
Verdacht nicht los, dass Franka Angst hatte, eines Tages aus
der Rolle der perfekten Polizistin zu fallen und die Kontrolle
zu verlieren. Wie üblich machte sie sich auch jetzt voller Eifer
an die Arbeit und zupfte sich gleich ein paar Latexhandschuhe
aus einer Schachtel, die ihr ein Polizist hinhielt.
»Ah, Franka, unsere Jahrgangsbeste von der Akademie«,
begrüßte Adrian sie wie üblich.
So wird es vermutlich die nächsten zehn Jahre gehen, dachte
Braun. Für Adrian war Franka immer noch der Grünschnabel
von der Polizeiakademie. Aber wenigstens der jahrgangsbeste
Grünschnabel, das war schon etwas.
»Was habt ihr außerdem herausgefunden?«, nahm Braun
den Faden wieder auf und wandte sich erneut Adrian und
Anthea zu, die ebenfalls herangetreten war. Die junge Assistentin
des Gerichtsmediziners war wie immer kalkweiß geschminkt
und trug eine schwarze Lackjacke.
»Die Tatwaffe ist eine Garrotte«, sagte Anthea und fuhr
sich mit einem dunkelrot lackierten Fingernagel über den
weißen Hals. »Der Täter hat einen besonders dünnen Stahldraht
verwendet, der wie die Klinge eines Rasiermessers
wirkt, wenn man ihn im Nacken fest zusammendreht.« Sie
hielt eine Plastiktüte hoch. »Wie entgegenkommend von
unserem Täter, das Tatwerkzeug gleich hierzulassen. Erleichtert
uns die Arbeit ganz enorm. Denn selbst der dünnste
Draht besitzt winzige Widerhaken, an denen Hautpartikel
hängen bleiben.«
Braun betrachtete die Plastiktüte von allen Seiten. Die Garrotte
darin war nicht mehr als ein blutverschmierter Stahldrahtmit
zwei Griffen aus Metall an den Enden. Dennoch ein
höchst effizientes Mordinstrument, das konnte er auf einen
Blick erkennen. Perfekt geeignet zum lautlosen Töten.
»Ich frage mich, warum jemand mit einem Profiwerkzeug
arbeitet und es dann einfach am Tatort liegen lässt«, sagte
Anthea nachdenklich.
»Muss ein ziemlich kräftiger Mann gewesen sein, um diese
Verletzung zu erzeugen.« Braun deutete auf den fast vollständig
durchtrennten Hals der Frau.
»Nicht unbedingt«, widersprach Adrian. »Bei einer Garrotte
ist die Hebelwirkung entscheidend. Diese Verletzung
könnte auch von einer Frau verursacht worden sein. Vorausgesetzt
natürlich, sie ist extrem kaltblütig und richtig, richtig
wütend.« Er grinste vielsagend in die Runde, worauf aber
niemand reagierte.
»Das heißt, wir können nicht ausschließen, dass unser
Täter eine Frau ist«, brummte Braun und wandte sich an
Bruno, der gerade einen Schluck aus einem Kaffeebecher
trank. »Was ist mit dem Baby?«
»Wird von einer Krankenschwester versorgt. Mit ihm ist
alles in Ordnung. Ist übrigens ein Junge«, antwortete Bruno
und deutete nach hinten zu einem Notarztwagen.
»Franka, kümmere dich um die Spusi. Vielleicht haben die
schon etwas gefunden, das uns weiterhilft.«
Die Leute von der Spurensicherung waren nicht mehr als
helle Punkte in dem gleichförmigen Grau und wirkten in
ihren weißen Plastikanzügen wie Außerirdische auf der Suche
nach neuem Leben. Sie waren schon seit einer gefühlten
Ewigkeit dabei, alle möglichen Spuren zu fotografieren und
verdächtige Gegenstände rund um die Parkbank aufzusammeln
und einzutüten.
Braun steckte die Hände in die Manteltaschen, ging über
die Wiese und stellte sich so hin, dass er das Opfer direkt vor
sich sehen konnte. Durch die vielen Polizisten, die gerade
durch den Park wuselten, hatte der Tatort seinen Schrecken
verloren. Trotzdem umgab die junge Frau nach wie vor eine
Aura der tiefen Trauer.
Plötzlich hörte Braun Frankas Stimme. Der neblige Morgen
schien seine Ohren geschärft zu haben, denn er vernahm
ganz klar den aufgeregten Unterton, als sie einen Mann von
der Spurensicherung fragte: »Was haben Sie da gefunden?«
»Scheint ein Tierschädel zu sein", murmelte der Kollege.
»Ein Tierschädel? Wo haben Sie den her?«
»Lag direkt neben der Leiche auf der Bank. Er könnte von
einer Maus sein oder vielleicht von einer Ratte.«
»Lassen Sie mal sehen!« Frankas Stimme wurde noch
schriller, noch atemloser.
»Hast du etwas entdeckt, Franka?«, rief Braun zu ihr
rüber.
»Einen . . . einen Rattenschädel«, sagte sie stockend, und
Braun glaubte zunächst, nicht richtig gehört zu haben.
Was zum Teufel hatte ein Rattenschädel hier zu suchen?
© Bastei Lübbe
Wieder erhellt ein greller Blitz den Nachthimmel, und neben
meinem Grab sehe ich die vielen bleichen Rattenschädel
liegen, die sie mir auf meine letzte Reise mitgeben werden.
Ich mache mir nicht die Mühe, sie zu zählen, aber ich bin
stolz, dass es so viele sind. Denn jeder Rattenkopf hat eine
Bedeutung, hinter jedem dieser Schädel steckt eine Tragödie
oder ein Glücksmoment - je nachdem welche Perspektive
man einnimmt.
Langsam hebe ich den Kopf, lasse den Regen über mein
Gesicht rinnen, wünsche mir, er würde alle Schuld von mir
waschen. Aber das ist eine Illusion, wie so vieles in meinem
Leben. Das Wasser hat meinen schwarzen Anzug bereits
völlig durchnässt, und ich spüre die Feuchtigkeit unangenehm
kühl auf der Haut. Ich blicke zu den Wohntürmen
hinüber. Die Lichter vieler Taschenlampen und Laternen
bringen die geschwärzten Häuserfassaden zum Leuchten.
Wahrscheinlich haben sich alle Bewohner auf den Weg gemacht,
um bei meiner Beerdigung dabei zu sein. Es müssen
Hunderte von Familien sein, wenn nicht gar Tausende. Die
Stimmung wird sich wütend hochschaukeln, schließlich
haben in den letzten Jahren viele von ihnen einen meiner Rattenschädel
erhalten.
Die vier Totengräber stehen bis zu den Hüften in der
Grube und führen die letzten Handgriffe aus, ohne auch nur
einmal zur mir aufzusehen. Die beiden Männer links und
rechts von mir haben die Krägen ihrer Sakkos aufgestellt, von
den Krempen ihrer breiten Hüte tropft der Regen. Da der
Wind immer stärker pfeift, haben sie Handschuhe an, um sich
vor der eisigen Kälte zu schützen.
Immer wieder muss ich in Richtung der Wohntürme blicken.
Die Lichterkette, die wie eine leuchtende Schlange
langsam den Hügel nach oben kriecht, hat etwas seltsam Faszinierendes
an sich. Als Erstes werden die Frauen den Hügel
erreichen, die in der Vergangenheit einen Rattenschädel vor
ihrer Haustür gefunden haben. Sie werden sich im Halbkreis
aufstellen und mich zuerst leise, dann immer lauter verfluchen.
Die sorgfältig gesäuberten Rattenknochen werfen sie
auf mich, bevor sich schließlich auch die anderen Weiber beteiligen
- die, die verschont wurden. Es wird Dreck und Knochen
und Erdklumpen auf mich hageln . . . Aber ich werde
keine Miene verziehen. Diesen Gefallen tue ich ihnen nicht,
verspreche ich mir.
Doch es kommt anders. Ich hatte keine Vorstellung vom
Sterben, stelle ich mit Verwunderung fest. Denn als die Frauen
tatsächlich anfangen, mit Knochen und Steinen nach mir zu
werfen, spüre ich plötzlich die Panik, die sich in meinen Eingeweiden
einnistet und mich daran hindern will, mein Ende
aufrecht wie ein Mann durchzustehen. Wie schwer es ist, in
Würde zu sterben, geht es mir durch den Kopf. Aber ich
schiebe diesen Gedanken beiseite, verstecke ihn in der hintersten
Ecke meines Bewusstseins. Lieber will ich an jene
Menschen denken, die ich glücklich gemacht habe. Und das
sind viele. Es gibt also keinen Grund, jetzt Schwäche zu
zeigen.
Endlich sind die Männer mit ihrer Arbeit fertig und klettern
aus der Grube. Der Halbkreis hinter mir wird immer
dichter, ich spüre den Atem einer Frau in meinem Nacken
und höre zwischen zwei Donnerschlägen ihre geflüsterten
Worte: »Du findest niemals Ruhe. Es wird immer weitergehen!
«
In ihrer Wut werfen die Weiber mit allem nach mir, was sie
zwischen die Finger bekommen. Auf einmal nehme ich etwas
hinter mir wahr, drehe den Kopf und erkenne den Schatten
eines kleinen Jungen, der in meinem Rücken steht, mit einem
großen gezackten Stein in der Hand. Er holt aus, und ich
fühle, wie er seine ganze Kraft in diesen einen Wurf legt. Der
Stein trifft mich am Hinterkopf, und die Wucht des Schlags
treibt mich zwei Schritte nach vorn, auf das Grab zu. Ich
spüre, wie mir warmes Blut in den Nacken läuft. Beifälliges
Gemurmel erklingt, das in den rituellen Gesang übergeht, der
unser Volk schon seit Jahrhunderten auf seiner Wanderschaft
begleitet.
Ich weiß, mein Sterben wird sich hinziehen, und mein Tod
wird grausam sein. Einer der Männer wird mir zu guter Letzt
das Herz aus der Brust schneiden - ich kann mir schon denken,
wer das ist. Wie eine Trophäe wird er das blutige Stück
Fleisch in die Höhe halten, um es dann gemeinsam mit meinen
Schuhen und einem der Rattenschädel zu verbrennen.
Doch das kann mir egal sein, denn wenn es so weit ist, bin
ich bereits tot und liege in meinem kalten Grab.
1
In einer Minute und fünfzehn Sekunden werde ich mein
Schweigen brechen. Dann habe ich genau ein Jahr lang kein
Wort gesprochen. Ich werde meine Psychiaterin zu mir rufen
und sie bitten, die Polizei zu alarmieren. Sie wird überrascht
und verwirrt sein, aber sie wird meinen Wunsch erfüllen.
Zu meiner eigenen Sicherheit stecke ich mir die Schere, die
ich vorhin dem Assistenten gestohlen habe, in meinen rechten
Ärmel. Denn mein poröser Verstand sagt mir, dass ich auf
Übergriffe vorbereitet sein muss.
Dann drücke ich auf den Alarmknopf, höre die Sirene und
weiß, dass draußen im Korridor eine rote Signallampe aufleuchtet.
In exakt vierzig Sekunden stürzen die Pfleger herein,
und ich werde schreien. Jawohl, ich werde schreien, und
ich werde mich erinnern.
2
Zehn Minuten, bevor Viktor Maly mit der Schere zustechen
würde, saß er schweigend mit dem Chefinspektor der Mordkommission
Linz an einem Tisch.
Tony Braun war von Dr. Karen Jansen am frühen Morgen
aus dem Bett geklingelt worden. Hektisch hatte sie ihm mitgeteilt,
dass es um Leben und Tod gehe. Dass ihr Patient
Viktor Maly zum ersten Mal seit einem Jahr wieder gesprochen
habe. Dass er über eine Nachricht von größter Wichtigkeit
für die Polizei verfüge und diese Information möglicherweise
ein Verbrechen verhindern könne.
Doch seit Braun an diesem Dezembermorgen todmüde in
der Psychiatrischen Klinik von Linz eingetroffen war, hatte
Maly keinen Ton von sich gegeben. In dem karg eingerichteten
Zimmer wirkte sein Schweigen genauso düster und
bedrohlich wie die Wolken, die tief über der Stadt hingen und
Schnee ankündigten.
Die Zeit verging, und Braun wurde immer unruhiger. Der
Raum war überheizt, und er spürte, wie ihm der Schweiß
auf die Stirn trat. Er fuhr sich durch die halblangen dunklen
Haare, strich sich über den angegrauten Dreitagebart und
tippte ungeduldig mit den Springerstiefeln auf den Boden. Es
war vielleicht doch keine so gute Idee gewesen hierherzukommen.
Welche Information konnte Karens Patient schon
für ihn haben?
Sie hatte ihm am Telefon zwar versichert, dass Maly aus
psychiatrischer Sicht gesund und darüber hinaus ausgespro-
chen intelligent sei, doch davon war in diesem Moment nicht
viel zu bemerken. Je länger Braun über die ganze Situation
nachdachte, desto absurder erschien sie ihm. Natürlich hatte
er sich gefreut, als er Karens Stimme nach all der Zeit so unerwartet
gehört hatte. Und er war neugierig auf die Informationen
gewesen, die Maly angeblich besaß. Aber vor allem
hatte er Karen die Bitte nicht abschlagen können, denn sie
hatte seinem Sohn Jimmy vor ein paar Jahren sehr geholfen.
Nach zwanzig Minuten des Wartens kam er nun aber an
den Punkt, an dem ihn Karens Patient nur noch nervte. Mit
den tief liegenden dunklen Augen, die wach umherblickten,
und den Falten auf der Stirn, die sich wahrscheinlich durch
angestrengtes Grübeln über irgendwelche verrückten Botschaften
so tief in die Haut gegraben hatten, wirkte Maly
nicht wie ein typischer Insasse der Psychiatrie. Doch Braun
war nicht hier, um über den Wahnsinn des Mannes zu urteilen.
»Danke . . . dass Sie . . . gekommen sind.«
Die Stimme von Maly, die urplötzlich erklang, fraß sich
heiß und schneidend durch die Stille. In Brauns Ohren mangelte
es ihr an jeglicher Menschlichkeit. Es war die Stimme
eines Mannes, den schreckliche Bilder in seinem Kopf quälten,
Bilder, die nach draußen wollten - aber wenn er den
Mund öffnete, hatte er sie bereits vergessen. Denn Maly litt
an einer retrograden Amnesie und kannte nur seinen Namen,
wie Karen bei Brauns Ankunft erklärt hatte.
Braun seufzte. »Weshalb wollen Sie mich sprechen?«
»Ich habe . . . eine Information . . . für Sie.« Maly beugte
sich vor und schob langsam den rechten Arm über den Tisch,
auf Braun zu.
»Was ist das für eine Information?«
»Geduld.«
Maly machte lange Pausen zwischen Worten und Sätzen.
Er wirkte wie ein verirrter Wanderer in einer schwarzen Welt,
in der es nur vereinzelte Lichtpunkte am Horizont gab, die
ihm die Richtung wiesen. Braun hatte das Gefühl, als müsste
sein Gegenüber erst nach Worten suchen, als hätte der Mann
in dem Jahr seines Schweigens das Sprechen verlernt.
»Sind . . . wir uns . . . schon einmal . . . begegnet?«, wollte
Maly wissen.
»Nicht dass ich wüsste.« Dieser Typ war Braun gänzlich
unbekannt.
»Braun . . . Der Name . . . sagt mir etwas. Aber vielleicht . . .
bilde ich mir das auch nur . . . ein.«
Wieder verfiel Maly in ein dumpfes Schweigen. Die Falten
auf seiner Stirn wurden tiefer, während er die Lippen zu
einem dünnen Strich zusammenpresste und die Augen zukniff,
als wollte er einen winzigen lichten Streifen seiner Erinnerung
mit den Lidern festhalten.
»Wer will Kaffee? Ich hole uns welchen«, versuchte Karen
die Atmosphäre ein wenig aufzulockern.
An ihrer Tonlage erkannte Braun, dass ihr die Situation unangenehm
war. Am Telefon hatte sie geklungen, als wäre
Maly im Besitz brisanter Nachrichten, jetzt aber erkannte sie
wohl selbst, wie unglaublich das geklungen hatte.
»Kaffee?«, fragte sie erneut und lächelte gequält.
»Ja, warum nicht.«
Braun drehte sich zu ihr und nickte. Seit ihrem letzten
Treffen vor vier Jahren hatte sie sich kaum verändert. Noch
immer trug sie die braunen Haare offen, und ihr leichter Silberblick
irritierte ihn wie eh und je.
»Ich mach das!« Karens Assistent Thomas Just sprang auf
und war bereits aus der Tür, noch ehe jemand reagieren konnte.
Maly drehte den Kopf hin und her, als wäre ihm der Kragen
seiner weißen Jacke mit einem Mal zu eng. Braun lehnte sich
auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der
Brust. Er betrachtete den Mann, der noch immer den Kopf
von links nach rechts bewegte und dabei die Zähne bleckte,
als stünde er kurz vor einem Anfall.
»Die Information hat mich selbst überrascht«, flüsterte
Maly und legte dann seine Wange auf die Tischplatte, als
würde ihm die weiße Plastikoberfläche den Text soufflieren.
Seine Worte kamen jetzt flüssiger, klangen aber immer noch
seltsam monoton. »Plötzlich war diese Botschaft in meinem
Kopf. Es klang fast wie ein Befehl.«
»Hm.« Nur mühsam unterdrückte Braun ein Gähnen. Er
fühlte sich schlapp - und auch deprimiert durch die lähmende
Atmosphäre im Raum. Die seltsame Euphorie, die ihn bei der
Fahrt durch die menschenleeren Straßen von Linz erfüllt
hatte, war verschwunden. Die Wände des Zimmers rückten
zunehmend näher und raubten ihm den Platz zum klaren
Denken. Maly hing jetzt beinahe ganz auf dem Tisch und öffnete
den Mund, zunächst ohne ein Wort hervorzubringen,
wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Kein Wunder, dass der Typ durchdreht, dachte Braun. In
dieser trostlosen Bude muss man ja verrückt werden.
»Sie glauben mir nicht«, murmelte Maly. »Sie denken, ich
will nur Ihre Zeit stehlen. Aber das stimmt nicht.« Er drehte
den Kopf, visierte Braun an und schrie auf einmal laut: »Ich
beweise es Ihnen!«
In Brauns Kopf klappten die Wände des Zimmers auf wie
ein Geschenkkarton, und das Adrenalin durchflutete seinen
Körper. Einen Wimpernschlag später war er auf den Beinen,
sein Stuhl fiel krachend auf den Boden. Doch Maly war eine
Spur schneller. Wie ein geübter Taschenspieler ließ er eine
Schere aus dem rechten Ärmel gleiten und stach sich damit
völlig unvermittelt in die Spitze des linken Zeigefingers.
Obwohl die Wunde tief war, drang kein Laut über Malys Lippen.
Blut spritzte auf die weiße Tischplatte und verteilte sich
dort zu einem abstrakten Muster.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Braun, wie Karen auf
den roten Alarmknopf neben der Tür drückte und ihm etwas
zurief. Doch ihre Stimme ging in dem röhrenden Ton der
Sirene unter, die sich wie eine Schraube in Brauns Gehörgang
fräste. Er packte Maly am Arm und riss ihm die Schere aus der
Hand.
Just, der geradewieder zur Tür hereinkam, ließ vor Schreck
das Tablett mit den Tassen fallen. Wie in Zeitlupe schwappte
der pechschwarze Kaffee über den weißen Boden und suchte
sich mit langen Fingern zwischen den umgestürzten Stühlen
seinen Weg zu Maly, der wimmernd an der Wand lehnte, den
blutigen Finger in den Mund gesteckt. Zwei Pfleger stürzten
herein, rannten auf Maly zu und hielten ihn fest.
»Er will mich umbringen«, gurgelte Maly, riss den linken
Arm aus dem Klammergriff und wischte sich mit dem blutigen
Finger über das Gesicht. Es sah aus wie ein Clownsmund
mit ausgefransten Enden. »Er will mich umbringen«,
wiederholte er und deutete mit dem ausgestreckten Finger
auf Braun.
»Was wollen Sie damit sagen? Dass Sie sich durch mich
bedroht fühlen?«, fragte Braun mit hochgezogenen Augenbrauen.
Er hatte den Mann nicht einmal berührt.
»Woher wissen Sie das?«, fragte Maly verwirrt. »Sie . . . Sie
kennen mich also doch . . .«
»Genug jetzt!« Karen stieß sich von der Wand neben der
Tür ab. Ihr Gesicht hatte plötzlich einen harten Zug angenommen,
den Braun gar nicht an ihr kannte.
»Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Braun. Tut mir leid, dass
ich dich herbestellt habe«, sagte sie entschieden und stellte
sich dann vor Maly. »Viktor, was soll denn das? Reißen Sie
sich zusammen!«
»Eine allumfassende Dunkelheit umgibt mich«, murmelte
Maly. »Ständig muss ich auf der Hut sein, darf niemals die
Kontrolle verlieren . . . Das ist sehr anstrengend.« Maly versuchte
sich erneut aus dem Griff der Pfleger zu befreien, doch
es gelang ihm nicht.
»Lasst ihn los«, wies Karen die Pfleger an, und gleich darauf
rutschte Maly an der Wand entlang auf den Boden, wo er
hocken blieb und seinen Finger betrachtete.
Karen drehte sich zu ihrem Assistenten. »Gibst du Viktor
bitte eine Spritze, damit er sich beruhigt?«
»Aber natürlich.« Just öffnete den weißen Metallkoffer,
den die Pfleger mitgebracht hatten, und nahm eine Spritze heraus.
»Wie geht es Ihrem Finger?«, fragte Karen, ging neben
Maly in die Hocke und sprayte ein blutstillendes Mittel auf
die Wunde. »Sie müssen sich jetzt ausruhen. Die Verletzung
muss nicht genäht werden. Wie sind Sie überhaupt an die
Schere gekommen?«
Maly schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
Karen schickte die Pfleger mit einer ungeduldigen Geste
aus dem Raum und begann einen Verband um Malys Fingerkuppe
zu wickeln. »Braun, ich hab doch gesagt, du sollst verschwinden.
«
»Halt! Er muss bleiben«, stammelte Maly und schüttelte
ihre Hand ab. Er stand auf. »Ich muss die Information weitergeben.
«
»Ich kann das nicht zulassen.« Sie erhob sich und stellte
sich vor ihren Patienten.
»Auf . . . auf meine Verantwortung. „Maly klang erschöpft.
Langsam schob er sich an der weißen Tapete entlang, verschmolz
mit ihr, wirkte mit seiner weißen Kleidung und dem
bleichen Gesicht beinahe wie eine Halluzination. »Sie wollen
mich schlagen«, flüsterte er beinahe unhörbar, ohne den Blick
von Braun zu nehmen.
Der trat ganz nahe an Maly heran, atmete seinen Geruch
ein und fühlte sich sofort verseucht, vergiftet. »Was haben Sie
gesagt?«
»Sie wollen mich schlagen! Sie haben Ihre Aggressionen
nicht unter Kontrolle.« Maly drehte sich zu Just um, der in
der Mitte des Zimmers stand und sich gerade in Richtung des
Patienten in Bewegung setzte, um ihm die Injektion zu verpassen.
»Moment, warten Sie mit der Spritze!«, rief Braun.
Gespannt blickte er in das Gesicht des Patienten, aber
dessen Miene war schon wieder undurchdringlich. Braun
seufzte. Er hatte in seiner Karriere schon einige irre Typen
kennengelernt. Sie gaben sich kühl und souverän, aber in ihnen
brodelte es. Und irgendwann explodierte das Ganze und
wurde zu einer Katastrophe. Maly war eine tickende Zeitbombe.
»Als verantwortliche Psychiaterin muss ich dieses Gespräch
jetzt abbrechen«, meldete sich Karen zu Wort.
Maly hob den Kopf und blähte die Nasenflügel, beinahe
so, als wollte er die Worte seiner behandelnden Ärztin einatmen.
Dann räusperte er sich, packte Brauns Hand und
drückte ihm ein zusammengeknülltes Papier in die Finger.
»Loslassen!«, zischte Braun überrascht und stieß Maly
zurück.
»Braun, raus jetzt!« Karen ging dazwischen und winkte
Just zu sich.
»Nein. Nein! Das ist doch die Botschaft.« Maly wich zurück,
bis er gegen das Bett stieß. Seufzend ließ er sich auf die
Matratze fallen. »Das ist Ihre Information«, flüsterte er.
Braun faltete den Zettel auseinander und drehte sich ratlos
zu Karen um. Doch sie erwiderte den Blick nicht.
»Geh jetzt endlich«, sagte sie stattdessen gereizt.
»Was ist das für ein Fleck auf dem Papier?«, fragte Braun
Maly. »Ist das Ihr Blut?«
»Alles, was ich sehe, ist ein schwarzer Abgrund, an dessen
Rand ich mich entlangtaste.« Der weiße Verband über Malys
linkem Zeigefinger, den Karen noch nicht vollständig hatte
anlegen können, hatte sich wieder blutig rot gefärbt. »Ich
kann mich nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin,
oder sehen, wie ich dieses Dunkel jemals hinter mir lasse.«
»Was sind das für Zahlen auf dem Zettel, und von wem
stammt das Blut?«, wiederholte Braun, und diesmal klang er
noch ungehaltener.
Maly hatte die Augen geschlossen, als würde er schlafen,
doch Braun war sich sicher, dass er jedes Wort genau verstand.
Er sollte recht behalten.
Der durchgeknallte Kerl drehte den Kopf, ohne seine
Augen zu öffnen, und sprachwieder genauso stockend wie zu
Beginn: »Das . . . sind Fragen, die wir . . . uns für später . . . aufheben
sollten.«
3
Braun hatte eine böse Vorahnung, als er beim Park ankam.
Malys bizarres Verhalten hatte ihn zwar ziemlich genervt und,
wenn er ehrlich zu sich selbst war, auch befremdet. Trotzdem
hatte ihm sein Bauchgefühl geraten, Die Andeutungen
und den seltsamen Zettel ernst zu nehmen und nicht als bloßen
Irrsinn eines Durchgeknallten abzutun.
Er fischte sein Handy aus der Hosentasche und betrachtete
erneut das Foto des Zettels: ein Blutstropfen links,
eine Zeichnung rechts und daneben eine Ziffernreihe.
48 18 47 14 17 40.Was sollte das bedeuten? War das ein Code?
Vielleicht eine chiffrierte Botschaft? Noch in der Psychiatrischen Klinik
hatte Braun das Papier fotografiert und an seinen
IT-Spezialisten Jan Faber gemailt.
Jan war ein Ex-Häftling im Rollstuhl, der häufiger als Berater
für Brauns Abteilung arbeitete. Mit seiner unkonventionellen Vorgangsweise hatte
er ihnen schon öfter gute Dienste
geleistet - das hatten Brauns Vorgesetzte bereits mehr
als einmal widerwillig zugeben müssen. Jan hatte natürlich
nicht lange gebraucht, um die Zahlenfolge zu entschlüsseln.
»Es sind Koordinaten«, antwortete er Braun nur Minuten,
nachdem dieser die SMS losgeschickt hatte.
»Koordinaten?«
»Richtig, du Superbulle«, lachte Jan. »Das sind Zahlen von
null bis neun, die dazu dienen, einen bestimmten Ort auf der
Welt zu lokalisieren. Alles klar? 48°18;47?N, 14°17;40?E.«
Braun grunzte zustimmend.
»Die Zeichnung auf dem Zettel passt übrigens genau zu
dem Ort, den die Koordinaten beschreiben. Damit ist wohl
eine Parkbank gemeint.«
»Woher weißt du das alles?«, wollte Braun irritiert wissen.
Jan lachte wieder. »Wenn du das nächste Mal bei mir
bist, alter Mann, erkläre ich dir mal, was Google Streetview
ist, okay? Dein Viktor Maly hat mich übrigens ziemlich
neugierig gemacht, ich sehe zu, was ich über ihn im Netz
finde.«
Jan hatte recht gehabt. Die Koordinaten hatten Braun in
den weitläufigen Park direkt an der Donau geführt. Dichter
Nebel hatte die Stadt fest im Griff, nur manchmal durchbrach
eines der vorbeifahrenden Flussschiffe die undurchsichtige
Welt, während es langsam auf dem Wasser dahinglitt. Auch
der Park selbst wirkte düster und abweisend. Obwohl es
noch nicht einmal acht Uhr morgens war, herrschte ziemlich
viel Betrieb auf den Straßen der Stadt, und auf der Nibelungenbrücke
gleich neben den Grünflächen stauten sich schon
jetzt die Autos. Wie graue Wesen aus einer Zwischenwelt hasteten
die Passanten auf ihrem Weg zur Arbeit an Braun vorbei.
Alle schienen unter Zeitdruck zu stehen, die Hektik war
geradezu greifbar.
Braun blieb am vorderen Eingang des Parks stehen und sah
sich um. Bänke gab es jede Menge. Sie standen links und
rechts eines gekiesten Gehwegs, der wie eine große liegende
Acht den schmutzig-braunen Rasen zerteilte und steil zur
Donau hin abfiel. In einiger Entfernung, auf einer Bank direkt
an der Böschung, saß eine junge Frau, neben sich einen
Kinderwagen. Schräg gegenüber, auf der anderen Seite eines
froststarren Blumenbeets, sah Braun einen Mann und eine
Frau sitzen. Wahrscheinlich ein altes Ehepaar, denn sie trugen
beide die gleiche Windjacke und wirkten sehr vertraut. Sie
unterhielten sich angeregt und blickten dabei ständig zu der
jungen Mutter mit dem Kinderwagen.
Braun ließ den Blick schweifen. Auf einer Parkbank am anderen
Ende des Kieswegs wickelte sich gerade ein Obdachloser
aus einer alten Abdeckplane und sah sich nach allen
Seiten um. Er trug einen dicken verschlissenen Wintermantel
und hatte einen verbeulten Einkaufswagen neben sich stehen,
der bis oben hin mit seinen Habseligkeiten gefüllt war. Unvermittelt
ließ er sich von der Sitzfläche gleiten, kroch auf
allen vieren hinter die Parkbank und suchte hastig den Boden
nach etwas ab.
Braun konnte nicht erkennen, was es war. Er kniff die
Augen zusammen. Jetzt hatte sich der Mann wieder aufgerichtet
und verstaute einen Gegenstand in seiner Manteltasche.
Was hat er dort hinten aus der Erde gebuddelt?, fragte
sich Braun. Plötzlich schien es der Obdachlose ziemlich eilig
zu haben - wahrscheinlich hatte er mitbekommen, dass er
beobachtet wurde.
»Warten Sie einen Augenblick!«, rief Braun und lief über
die steinhart gefrorene Wiese auf ihn zu. Der Nebel legte sich
wie ein feuchtes Tuch über sein Gesicht, während er das
Tempo anzog.
Der Obdachlose begann, mit seinem Einkaufswagen loszurennen,
aber die kleinen Räder verkeilten sich im Schotter
des Gehwegs, der Wagen machte durch den Schwung eine
halbe Drehung und kippte dann vornüber, was auch den
Mann zu Fall brauchte. Braun konnte nur noch seine Umrisse
erkennen, hörte dafür aber ein markerschütterndes Geheul,
das sich langsam in ein schrilles Kreischen verwandelte. Kam
es von vorn, von dem Penner? Es war fast so, als würde der
Nebel nicht nur die Menschen, sondern auch all die Geräusche,
die von ihnen ausgingen, verschlucken und in eine wabernde
akustische Suppe verwandeln.
Als Braun den Obdachlosen erreicht hatte, sah er, wie
dieser inmitten seiner Habseligkeiten lag und wild mit den
Armen um sich schlug. Er bückte sich zu dem Mann hinunter
und klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Ich will
nur mit Ihnen reden«, sagte er, doch der andere schien ihn
nicht zu hören, sondern schlug weiter mit den Händen nach
ihm.
»Stehen Sie endlich auf!« Braun atmete tief durch und
zerrte den Obdachlosen an seinem Mantelkragen hoch. Der
Kerl verströmte einen üblen Gestank nach Schnaps und
ungewaschenen Klamotten, lediglich abgemildert durch den
intensiven Marihuana-Geruch, der ebenfalls von ihm ausging.
Im krassen Gegensatz zu der abgerissenen Kleidung und
seinen widerlichen Ausdünstungen war das Gesicht des Obdachlosen
glatt rasiert, und er sah auch relativ jung aus. Auf
Braun wirkte der Mann wie jemand, der in dieser Turbo-
Gesellschaft den Anschluss verloren hatte und deshalb unter
die Räder gekommen war.
»Machen Sie doch kein Theater. Ich will nur wissen, was
Sie da haben«, versuchte er das Ganze deshalb abzukürzen,
denn insgeheim tat ihm der Mann sogar leid.
Doch der Obdachlose steigerte sich immer weiter in seine
Panik hinein, die in einem lang gezogenen, verzweifelten
Schrei gipfelte, bei dem Braun das Blut in den Adern gefror.
Durch den Lärm, den der Penner mit seiner Schreierei
veranstaltete, war das Baby im Kinderwagen ein paar Meter
weiter aufgewacht und begann nun ebenfalls herzzerreißend
zu brüllen. Warum kümmert sich die Mutter nicht um ihr
Kind?, fragte sich Braun. Den Krach hielt ja kein Mensch
aus.
Er ließ den Obdachlosen los und trat ein paar Schritte zurück,
um zu erkennen, was oben auf der Böschung los war.
Undeutlich sah er, dass der Kinderwagen durch das strampelnde
und wimmernde Baby bedenklich zu wippen begonnen
hatte und langsam die Böschung hinunter zur Donau
rollte.
Wieso reagierte die Mutter nicht?
»Halt endlich die Klappe«, sagte er zu dem Obdachlosen,
der jetzt völlig weggetreten war, laut eine Melodie summte
und sich mit den Fäusten auf die Brust schlug.
Der Kinderwagen hatte inzwischen Fahrt aufgenommen.
Er war ein Modell mit dicken Reifen, das man sogar
zum Joggen verwenden konnte. Das Baby brüllte und
strampelte, sodass der Kinderwagen noch schneller die Böschung
hinunterrollte - direkt auf den breiten Fluss zu.
Gierig leckten die schwarzen Wellen am Ufer, schienen nur
darauf zu warten, den Wagen mitsamt dem Baby zu verschlingen.
»Stoppt den Kinderwagen!«, rief Braun einigen vereinzelten
Passanten auf dem Uferweg zu, die dick vermummt
vorbeieilten, während er lossprintete. Aber in dieser nebeligen
Parallelwelt hörte niemand auf ihn, und keiner reagierte.
Er hastete über die Wiese auf die Böschung zu, konnte nur
knapp einem Radfahrer ausweichen und rannte den Weg hinunter,
der direkt am Kunstmuseum vorbei zu einem Anleger
für Ausflugsschiffe führte. Der Kinderwagen holperte bereits
über den rissigen Beton des Anlegers, prallte gegen einen
Poller, der die Fahrt abbremste, schlingerte bedenklich und
drohte mit dem schreienden Baby umzukippen, doch Braun
sprang rechtzeitig nach vorn und fing den Wagen auf, bevor
er ins Wasser kippen konnte.
»Alles in Ordnung, mein Kleines.« Mit einer Hand strich
er sanft über die pfirsichzarte Wange, aber das Baby brüllte
umso heftiger. Wahrscheinlich hatten es die eiskalten Finger
von Braun erschreckt. Deshalb schob er den Kinderwagen
schnell die Böschung hinauf und bemerkte im selben
Augenblick, als er auf dem Weg oben ankam, dass der
Obdachlose dabei war abzuhauen. Er hatte all seine Habseligkeiten
wieder eingesammelt und in den Einkaufswagen
gestopft.
»Mann, du nervst«, seufzte Braun.
Aber im Moment war das Babywichtiger. Langsam schälte
sich die Parkbank aus dem Nebel, als Braun, den Kinderwagen
vor sich herschiebend, darauf zusteuerte.
»Sind Sie die Mutter?«, fragte er, aber die Frau auf der Bank
schien ihn nicht zu hören. »Hallo? Warum kümmern Sie sich
nicht um Ihr Kind?«
Verständnislos stand Braun vor der Frau, die ihn immer
noch ignorierte. Im grauen Licht des Morgens schien ihr
zusammengesunkener Körper auf der Parkbankmerkwürdig
konturenlos.
»Uns ist auch schon aufgefallen, dass sich die Frau gar
nicht mit ihrem Baby beschäftigt«, hörte Braun eine dünne
Stimme hinter sich.
Das alte Ehepaar von der gegenüberliegenden Parkbank
kam über die Wiese auf ihn zu, das gefrorene Gras knirschte
unter ihren Füßen. Die Frau wirkte ziemlich aufgeregt, und
der Mann tätschelte unentwegt ihren Arm, um sie zu beruhigen.
»Wahrscheinlich ist sie betrunken«, entrüstete sich die
Frau im vertraulichen Ton. »Das geht schon seit längerer
Zeit so. Sie sitzt einfach nur da und rührt sich nicht. Wenn Sie
mich fragen, dann ist sie eine schlechte Mutter.«
»Vielleicht fehlt ihr etwas«, antwortete Braun einsilbig, der
das Gerede der Passantin ziemlich anmaßend fand.
Er drehte sich wieder zu der Frau auf der Parkbank um.
Die trostlose Stimmung, die rings um ihn herrschte, legte sich
wie ein schwerer Mantel auf seine Schultern. Der Nebel
erschien ihm plötzlich noch dichter, der Himmel hing tiefer,
die Luft war schwer und bleiern. Brauns Bauchgefühl schlug
Alarm.
»Hallo, können Sie mich hören?« Vorsichtig beugte er sich
zu der Frau hinunter. Ihre Haut war glatt und weiß wie Porzellan.
Aus der Nähe wirkte die Mutter nicht mehr ganz so
jung, wie er im ersten Moment gedacht hatte. »Ich bin von
der Polizei. Verstehen Sie mich?«
Noch immer keine Reaktion. Die Frau auf der Parkbank
trug einen Kunstpelzmantel und hatte einen dicken Schal mit
rotem Muster mehrmals um den Hals geschlungen. Ihr Kopf
war nach vorn auf die Brust gesunken, und sie trug trotz der
nebligen Wetterverhältnisse eine riesige Sonnenbrille, sodass
Braun kaum etwas von ihrem Gesicht erkennen konnte. Eine
Strähne blonden Haares hatte sich aus ihrem Zopf gelöst und
wehte über Gesicht und Schal, als würde sie ein Eigenleben
führen.
Mit zwei Fingern tippte Braun die Wange der Frau an. Ihre
Haut fühlte sich eiskalt an, und ihr Kopf kippte durch die
Berührung sanft zur Seite. Plötzlich hatte Braun einen Geruch
in der Nase, der ihm allzu vertraut war. Es roch nach
rostigem Metall, nach Angst und Sterben. Braun war dieser
Geruch schon oft begegnet: Es war das Aroma des
Blutes, der Gestank der Hoffnungslosigkeit - der Duft des
Todes.
Langsam beugte sich Braun noch weiter über die Frau.
Strich sacht über den Schal mit dem roten Muster, spürte, wie
vermutet, dickes geronnenes Blut, das sich in die Wolle gesaugt
hatte. Mit zwei Fingern lockerte er den Schal um den
Hals der Frau und hob dazu leicht ihr Kinn an. Doch sofort
kippte ihr Kopf nach hinten, als würde er nur von einigen
wenigen Hautfetzen auf dem Körper gehalten. Wie war das
möglich?
Dann sah er den Draht. Ein dünner Metallfaden hatte so
scharf den Hals der Toten zerteilt, dass er nicht nur Haut,
Knorpel und Sehnen, sondern auch die Nackenwirbel beinahe
vollständig durchtrennt hatte, und der Kopf nun wie bei
einer Puppe fragil hin und her pendelte.
Hinter sich hörte Braun das alte Ehepaar aufgeregt tuscheln,
neben sich das Baby schluchzen, vor sich sah er die
tote Frau. Wahrscheinlich war sie noch gestern voller Stolz
mit ihrem Kind durch die Stadt spaziert, hatte sich über dieses
junge Leben gefreut und keinen Gedanken an das Morgen
verschwendet. Aber die Stunde des Todes war für sie schon
bestimmt gewesen, und ihre Zeit war mit unerbittlicher Hast
dem Ende entgegengerast.
Tief in seinem Inneren wusste Braun, dass er viele Nächte
mit diesem hässlichen Mord verbringen und nicht eher ruhen
würde, bis die Tote Gerechtigkeit erfahren hatte.
Mit der Spitze seines Kugelschreibers schob Braun die riesige
Sonnenbrille der Frau nach oben auf die marmorne Stirn.
Er sah ihr in die Augen, die leblos und starr geradeaus blickten.
Die Panik in ihrem Gesicht, der Ausdruck nackter Angst,
war für immer auf ihrem Antlitz eingefroren. Sie hatte
gewusst, dass es Zeit war zu sterben, dass sie ihr Kind nie
würde aufwachsen sehen, dass sie nie mehr die Liebe erfahren
würde.
Das Baby schien diesen Schmerz zu spüren, denn sein
Schreien war in ein Schluchzen übergegangen, das todtraurig
und leise den Nebel dieses kalten Dezembermorgens zerriss
und einfach nicht enden wollte.
4
Das Handy schrillte, und vor Schreck hätte sie beinahe den
Teller fallen lassen. Im letzten Moment schaffte sie es, ihn der
Frau in die schwieligen Hände zu drücken.
»Hallo. Was? . . .Natürlich bin ich schon wach«, beeilte sie
sich in ihr Handy zu sagen.
Franka drehte sich ein wenig zur Seite und entfernte sich
von der langen Menschenschlange, die abgerissen und erbärmlich
zu einer einzigen menschlichen Tragödie verschmolzen
war. Still und mit hängenden Köpfen warteten Männer
und Frauen darauf, sich mit Tee und Suppe ein wenig aufzuwärmen.
Einer Alten rutschte der heiße Teller aus den Händen
und zersplitterte mit einem lauten Knall auf dem Boden. Ein
leises Raunen im Raum schwappte bis zu Franka herüber.
»Welcher Lärm? Ach so, ja . . . Nein, ich bin nicht zu
Hause.«
Sie redete nicht gern darüber, dass sie ein paar Mal pro
Woche um fünf Uhr morgens in der Oase auftauchte, einer
Zufluchtsstätte für die Obdachlosen von Linz. Hier schenkte
sie unentgeltlich Tee und Suppe aus, um den Menschen, die
am Rand der Gesellschaft lebten, etwas von ihrem unverdienten
Glück zurückzugeben. Sie wollte ihr Engagement nicht
an die große Glocke hängen, frei nach dem Motto: Tu Gutes
und sprich nicht drüber. Franka nahm diese Weisheit sehr
ernst.
»Wo ich bin? Äh . . . Ist doch egal. Gib mir fünfzehn Minuten
«, sagte sie, nachdem sie dem Anrufer schweigend zuge-
hört hatte. »Ich warte daheim auf dich. Lass anklingeln, dann
komm ich runter.«
Hastig steckte sie das Handy ein und ging zu dem übermüdeten
Mann im dicken Wollpullover, der hinter dem großen
Suppenkessel stand. Das war Wolfgang, der die gewöhnliche Oase
ins Leben gerufen hatte.
»Ich kann nicht länger bleiben. Es gibt etwas zu tun.«
Wolfgang nickte ihr wortlos zu, und sie ging ohne Abschiedsgruß
an den Tafeln vorbei, wo Männer und Frauen
heiße Suppe löffelten und sich leise unterhielten. An einem
Tisch direkt neben der Ausgangstür, mit Blick nach draußen
auf die Straße, saß Nana, die wie die meisten anderen hier
obdachlos war. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der
älteren Frau, und Franka hielt trotz aller Eile an, um kurz mit
ihr zu reden.
»Bist du bei dem Arzt gewesen, den ich dir empfohlen
habe?«, fragte sie.
Nana senkte den Kopf und grinste unsicher. »Das mache
ich heute«, flüsterte sie, obwohl beide wussten, dass Nana
niemals diesen Arzt aufsuchen würde, selbst wenn ihr der zu
einer Therapie verhelfen konnte. Nana lebte auf der Straße,
weil sie Angst vor geschlossenen Räumen hatte - und solange
der Arzt seinen Behandlungsraum nicht nach draußen verlegte,
würde das auch so bleiben.
»Ich muss heute früher weg«, sagte Franka und strich der
alten Frau sanft über die dünnen Haare. »Sobald ich Zeit
habe, gehe ich mit dir zum Arzt.«
»Versprochen?« Die Stimme der Älteren war leise und
kraftlos wie ein zarter Windhauch, den man erst bemerkt,
wenn er längst vorüber ist. Sie nuschelte etwas, das Franka
nicht verstand.
»Was hast du gesagt?«
»Du musst mir versprechen, mit mir dorthin zu gehen.«
»Versprochen.«
Nana legte Franka dankbar den Arm um die Hüfte und berührte
aus Versehen die Waffe, die Franka im hinteren Bund
ihrer Jeans stecken hatte.
»Was ist das? Ist das wirklich eine Pistole?«, fragte Nana
mit großen Augen.
»Ja. Denn auch ich habe manchmal Angst.«
Seltsam - mit der Waffe fühlte sie sich nur bei Tag sicher.
Nachts, wenn sie allein in ihrem Bett lag, kam die Erinnerung
auf leisen Sohlen und schlich sich wie ein Dieb in ihre Gedanken.
In der tiefsten Finsternis schreckte Franka dann aus
ihren Schachtelträumen, die ein ständig wiederkehrendes
Thema zum Inhalt hatten: ihre Kindheit. In manchen dieser
mondlosen Nächte war der Traum so intensiv, dass Franka
körperliche Qualen litt. Dann spürte sie die kratzigen Decken
auf der Haut, roch das abgestandene, ranzige Fett, mit dem sie
gleich die gestohlenen Eier in der uralten Pfanne braten würde.
Beim Aufstehen von ihrem Bett stieß sie in Gedanken an die
Wände des winzigen Wohnwagens, und sie zitterte vor Kälte,
wenn sie in ihrer Erinnerung nach draußen in die trostlose
Leere eines Parkplatzes trat, in dessen Nähe es weit und breit
kein fließendes Wasser gab und sie sich oft tagelang nicht den
Dreck aus dem Gesicht waschen konnte.
Energisch verscheuchte sie die schwarzen Wolken aus
ihrem Geist, als sie durch die nebelverhangenen Straßen von
Linz lief. Wie immer führte sie ihre Strecke bei dem Gebrauchtwagenhändler
vorbei, in dessen Reihen das Objekt
ihrer Begierde vor sich hin rostete. Es war das einzige Motorrad
auf dem ganzen Gelände, das mehr einem Schrottplatz als
einer Verkaufsfläche für Fahrzeuge ähnelte. Franka reckte
den Hals. Dort ragte sie aufgebockt aus der Menge, eine Ver-
heißung aus Technik und Schönheit, Geschwindigkeit und
Raserei. Irritierende Eleganz, lockende Freiheit, mit Rostflecken
am Tank und einem notdürftig mit Draht befestigten
Auspuff, dessen Chromoberfläche mittlerweile stumpf geworden
war: eine Moto Guzzi 800 Limited Edition, mattschwarz.
Mit diesem Motorrad würde Franka alles hinter sich
lassen können, selbst ihre Vergangenheit.
Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Verdammt, wenn Bruno
pünktlich war, würde er mitbekommen, dass sie seit einigen
Monaten nicht mehr in ihrer Wohnung wohnte. Und spätestens dann würde
er vielleicht Fragen stellen, die sienichtbeantworten
wollte.
Zum Glück war sein Wagen noch nicht da, als endlich
das markante Hochhaus vor ihr auftauchte, dessen oberste
Stockwerke vom Nebel verschluckt waren. Sie legte den
Kopf in den Nacken und starrte in die siebte Etage. Dort
oben war die Wohnung, von der sie früher immer geträumt
hatte, ihr Rückzugsort nach einem harten Arbeitstag, ihr
Ruhepol, der irgendwann zu einem Albtraum geworden war.
Ihr wurde schonwieder kalt bis ins Mark, wenn sie nur daran
dachte. Deshalb war sie auch in ein billiges Hotel gezogen.
Um sich das Hotel und die Wohnungsmiete leisten zu können,
vermietete sie ihr Apartment an ein Artistenpaar, das in
Linz überwinterte, ehe es im Frühjahr wieder mit seiner
Truppe weiterzog. Die beiden waren Seiltänzer, sie übten
regelmäßig im Donaupark an einer Brücke. Eines Abends
war Franka dort mit ihnen ins Gespräch gekommen und
hatte ihnen spontan ihre Wohnung angeboten, als sie sie nach
einer möglichen Bleibe gefragt hatten.
Manchmal fühlte sich Franka selbst wie eine Seiltänzerin,
die über einem Abgrund balancierte. Es war erstaunlich, wie
leicht ihr die Lügen in letzter Zeit über die Lippen kamen.
Ihre Stimme hörte sich tatsächlich völlig aufrichtig an, wenn
sie Bruno sagte, er solle sie daheim absetzen oder aufgabeln.
Er hatte keine Ahnung, dass sie schon seit dem Sommer nicht
mehr in ihrem Apartment gewesen war. Und das war auch
gut so. Niemand durfte eine Schwäche an ihr entdecken. In
der heutigen Gesellschaft war jedes Nachlassen ein Makel,
in diesem Leben hatte jeder perfekt zu funktionieren. Wer
irgendwann einfach nicht mehr konnte, wurde sofort aussortiert.
Deshalb durfte sich Franka auch keine Schwäche
erlauben. Sie hatte es bis hierher geschafft und wollte noch
weiter kommen.
Als sie die großen Türen zum Foyer aufstieß, wuchs ihre
Beklemmung. Immer wieder warf sie einen Blick auf das
Handy, das sie neben sich gelegt hatte. Als es dann tatsächlich
klingelte, zuckte sie zusammen, atmete tief durch und knipste
ihr Gute-Laune-Lächeln an. Sie flog die wenigen Stufen hinunter,
öffnete die Eingangstür und bog auf den Bordstein
ab. Dann winkte sie dem Mann zu, der in einigen Metern
Entfernung an der Motorhaube eines Autos lehnte und eine
Zigarette rauchte.
»Guten Morgen«, rief er ihr entgegen. »Hast du noch einen
Kaffee für mich?«
»Dafür ist keine Zeit, Bruno. Wir haben schließlich einen
Mord.«
Kaum dass sie auf den Beifahrersitz gesunken war, wiederholte
sie wie jeden Tag ihr Mantra, um sich wieder auf die
Erfolgsspur zurückzubringen: Ich heiße Franka Morgen, bin
vierundzwanzig Jahre alt und bei der Mordkommission Linz.
Ich bin die jüngste Polizeiinspektorin Österreichs und
arbeite im Team von Tony Braun, den ich bereits auf der Polizeiakademie
bewundert habe und der auch jetzt noch mein
Vorbild ist. Zu diesem Team gehört auch Bruno Berger, der
mich gerade abholt. Dieses Team ist meine Familie. Ich darf
mir keinen Fehler erlauben, ich darf mir keinen Fehler erlauben,
ich darf . . .
»Erde an Franka! Schläfst du noch?«
Sie hörte Bruno mit den Fingern schnippen und schreckte
aus ihren Gedanken. »Wie? Was? Ja, na klar«, sagte sie hastig.
Als Bruno den Wagen über die Nibelungenbrücke steuerte,
musste sie sich eingestehen, dass nicht nur ihr Mantra, sondern
auch Brunos Nähe sie beruhigte. Sie warf einen schnellen Blick
zur Seite. Obwohl er bereits Mitte fünfzig war und seine lockigen
Haare langsam weiß wurden, wirkte Bruno wesentlich
jünger, als er tatsächlich war. Das lag an seiner lockeren und frischen Art.
Wie immer trug er seine charakteristische schwarze
Strickmütze, ohne die er niemals aus dem Haus ging.
Während er bei einer Ampel wartete, drehte er sich zu ihr
und fragte unverblümt: »Warum lebst du nichtmehr in deiner
Wohnung, Franka?«
5
Tony Braun stand auf dem gefrorenen Rasen und unterhielt
sich mit dem Gerichtsmediziner Paul Adrian, einem großen
Mann mit rasiertem Schädel und langem schwarzem Mantel.
Adrian war kurz nach Braun gekommen und hatte das Opfer
bereits untersuchen können.
»Der Fundort ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch der
Tatort.«
»Kannst du uns schon etwas über den Todeszeitpunkt
sagen?«
»Wenn man die tiefen Temperaturen in der Nacht berücksichtigt,
würde ich zwischen drei und fünf Uhr morgens tippen.
Aber das lässt sich noch genauer feststellen.«
Ein Wagen fuhr bis zu dem schlapp herabhängenden rotweißen
Absperrband, das man rund um den Tatort gezogen
hatte. Braun hob die Hand zum Gruß, als Bruno und Franka
ausstiegen. Wenn man Bruno so sah, groß und breitschultrig
in seinem Hippielook mit Strickmütze, Jeansjacke und der
selbst gedrehten Kippe im Mundwinkel, würde man nie auf
die Idee kommen, dass er ein über die Landesgrenzen hinaus
anerkannter Verhörspezialist war. Er hatte jahrelang auf der
Straße für das Drogendezernat gearbeitet und dank seiner
unverdächtig entspannten Attitüde reihenweisewertvolle Informationen
über Drogendeals aus seinen Kontakten herausgekitzelt.
Franka war das genaue Gegenteil. Sie war klein, ziemlich
hübsch, hatte aber aus unerfindlichen Gründen ihre dunklen
Haare hellblond gefärbt. Als Polizistin war sie tough und
kontrolliert, konnte mit Stresssituationen gut umgehen und
war eine brillante Analytikerin. Trotzdem wurde Braun den
Verdacht nicht los, dass Franka Angst hatte, eines Tages aus
der Rolle der perfekten Polizistin zu fallen und die Kontrolle
zu verlieren. Wie üblich machte sie sich auch jetzt voller Eifer
an die Arbeit und zupfte sich gleich ein paar Latexhandschuhe
aus einer Schachtel, die ihr ein Polizist hinhielt.
»Ah, Franka, unsere Jahrgangsbeste von der Akademie«,
begrüßte Adrian sie wie üblich.
So wird es vermutlich die nächsten zehn Jahre gehen, dachte
Braun. Für Adrian war Franka immer noch der Grünschnabel
von der Polizeiakademie. Aber wenigstens der jahrgangsbeste
Grünschnabel, das war schon etwas.
»Was habt ihr außerdem herausgefunden?«, nahm Braun
den Faden wieder auf und wandte sich erneut Adrian und
Anthea zu, die ebenfalls herangetreten war. Die junge Assistentin
des Gerichtsmediziners war wie immer kalkweiß geschminkt
und trug eine schwarze Lackjacke.
»Die Tatwaffe ist eine Garrotte«, sagte Anthea und fuhr
sich mit einem dunkelrot lackierten Fingernagel über den
weißen Hals. »Der Täter hat einen besonders dünnen Stahldraht
verwendet, der wie die Klinge eines Rasiermessers
wirkt, wenn man ihn im Nacken fest zusammendreht.« Sie
hielt eine Plastiktüte hoch. »Wie entgegenkommend von
unserem Täter, das Tatwerkzeug gleich hierzulassen. Erleichtert
uns die Arbeit ganz enorm. Denn selbst der dünnste
Draht besitzt winzige Widerhaken, an denen Hautpartikel
hängen bleiben.«
Braun betrachtete die Plastiktüte von allen Seiten. Die Garrotte
darin war nicht mehr als ein blutverschmierter Stahldrahtmit
zwei Griffen aus Metall an den Enden. Dennoch ein
höchst effizientes Mordinstrument, das konnte er auf einen
Blick erkennen. Perfekt geeignet zum lautlosen Töten.
»Ich frage mich, warum jemand mit einem Profiwerkzeug
arbeitet und es dann einfach am Tatort liegen lässt«, sagte
Anthea nachdenklich.
»Muss ein ziemlich kräftiger Mann gewesen sein, um diese
Verletzung zu erzeugen.« Braun deutete auf den fast vollständig
durchtrennten Hals der Frau.
»Nicht unbedingt«, widersprach Adrian. »Bei einer Garrotte
ist die Hebelwirkung entscheidend. Diese Verletzung
könnte auch von einer Frau verursacht worden sein. Vorausgesetzt
natürlich, sie ist extrem kaltblütig und richtig, richtig
wütend.« Er grinste vielsagend in die Runde, worauf aber
niemand reagierte.
»Das heißt, wir können nicht ausschließen, dass unser
Täter eine Frau ist«, brummte Braun und wandte sich an
Bruno, der gerade einen Schluck aus einem Kaffeebecher
trank. »Was ist mit dem Baby?«
»Wird von einer Krankenschwester versorgt. Mit ihm ist
alles in Ordnung. Ist übrigens ein Junge«, antwortete Bruno
und deutete nach hinten zu einem Notarztwagen.
»Franka, kümmere dich um die Spusi. Vielleicht haben die
schon etwas gefunden, das uns weiterhilft.«
Die Leute von der Spurensicherung waren nicht mehr als
helle Punkte in dem gleichförmigen Grau und wirkten in
ihren weißen Plastikanzügen wie Außerirdische auf der Suche
nach neuem Leben. Sie waren schon seit einer gefühlten
Ewigkeit dabei, alle möglichen Spuren zu fotografieren und
verdächtige Gegenstände rund um die Parkbank aufzusammeln
und einzutüten.
Braun steckte die Hände in die Manteltaschen, ging über
die Wiese und stellte sich so hin, dass er das Opfer direkt vor
sich sehen konnte. Durch die vielen Polizisten, die gerade
durch den Park wuselten, hatte der Tatort seinen Schrecken
verloren. Trotzdem umgab die junge Frau nach wie vor eine
Aura der tiefen Trauer.
Plötzlich hörte Braun Frankas Stimme. Der neblige Morgen
schien seine Ohren geschärft zu haben, denn er vernahm
ganz klar den aufgeregten Unterton, als sie einen Mann von
der Spurensicherung fragte: »Was haben Sie da gefunden?«
»Scheint ein Tierschädel zu sein", murmelte der Kollege.
»Ein Tierschädel? Wo haben Sie den her?«
»Lag direkt neben der Leiche auf der Bank. Er könnte von
einer Maus sein oder vielleicht von einer Ratte.«
»Lassen Sie mal sehen!« Frankas Stimme wurde noch
schriller, noch atemloser.
»Hast du etwas entdeckt, Franka?«, rief Braun zu ihr
rüber.
»Einen . . . einen Rattenschädel«, sagte sie stockend, und
Braun glaubte zunächst, nicht richtig gehört zu haben.
Was zum Teufel hatte ein Rattenschädel hier zu suchen?
© Bastei Lübbe
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Bibliographische Angaben
- Autor: B. C. Schiller
- Altersempfehlung:
- 2015, 2. Aufl., 446 Seiten, Maße: 12,6 x 19,1 cm, Klappenbroschur, Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404172647
- ISBN-13: 9783404172641
- Erscheinungsdatum: 08.10.2015
Rezension zu „Rattenkinder “
"In einem atemlosen Herzschlag-Stakkato geschrieben, taucht die mit drastischen Szenen gespickte Geschichte um einen osteuropäischen Kinderhandel in düstere Welten ein." Emmanuel van Stein, Neue Westfälische, 03.11.2015 "Sehr spannend, brutal und anfangs schön verwirrend." Kurier, 12.12.2015 "C.B. Schiller hat einen packenden Krimi über Kinderhandel und andere Grausamkeiten abgeliefert." OÖ Nachrichten, 19.12.2015
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