Reise in die Nacht / Avvocato Guido Guerrieri Bd.1
Der Anwalt Guido Guerriri wird von einer heftigen Lebenskrise geschüttelt, als er einen fast aussichtslosen Fall übernimmt: Die Verteidigung eines Immigranten aus dem Senegal, der des Mordes angeklagt ist. Hier in Bari, dem Tor zum Orient, sind...
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Der Anwalt Guido Guerriri wird von einer heftigen Lebenskrise geschüttelt, als er einen fast aussichtslosen Fall übernimmt: Die Verteidigung eines Immigranten aus dem Senegal, der des Mordes angeklagt ist. Hier in Bari, dem Tor zum Orient, sind rassistische Vorurteile an der Tagesordnung. Guerriri hat einen harten Job.
Avvocato Guido Guerrieri, frisch geschieden und erschüttert von einer tiefen Lebenskrise, übernimmt einen fast aussichtslosen Fall: Er verteidigt einen des Mordes angeklagten Immigranten aus dem Senegal, der ohne seine Hilfe verloren wäre. Es beginnt ein Nerven zerreißender Kampf gegen rassistische Vorurteile, eine voreingenommene Justiz und eine erdrückende Last von Anklagepunkten ...
Reise in die Nacht von GianricoCarofiglio
LESEPROBE
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Tag, oderbesser den Nachmittag, bevor alles begann. Ich war seit einer Viertelstunde in meinerAnwaltskanzlei und hatte nicht die geringste Lust zu arbeiten. Dieelektronische Post und die Briefe waren durchgesehen, ein paar loseherumliegende Blätter aufgeräumt, zwei nutzlose Telefonate geführt. Kurz, ichhatte alle Vorwände erschöpft und mir deshalb eine Zigarette angezündet. Jetztgenießt du erst mal in Ruhe deine Zigarette, dann fängst du an, dachte ich. Bisdie Zigarette zu Ende geraucht war, würde mir schon was Neues einfallen.Vielleicht würde ich noch mal aus dem Haus gehen, um das Buch abzuholen, dasich vor Wochen bei der Feltrinelli-Buchhandlung bestellt und beinahe vergessenhatte. Während ich noch rauchte, klingelte das Telefon. Es war die interneLeitung, sprich, meine Sekretärin aus dem Vorzimmer. Da war ein Herr, er warohne Termin gekommen, es ging um etwas Dringendes. Die meisten kommen ohneTermin. Zum Strafverteidiger geht man nur, wenn man ernste und dringendeProbleme hat. Oder zu haben glaubt, was auf dasselbe hinausläuft. In meinerKanzlei funktioniert es jedenfalls so: Meine Sekretärin ruft mich in Gegenwartdes Herrn oder der Dame an, die das dringende Problem haben. Wenn ichbeschäftigt bin - bei- spielsweise mit einem anderen Klienten - lasse ichwarten, bis ich fertig bin. Wenn ich nicht beschäftigt bin, wie an diesemNachmittag, lasse ich trotzdem warten. In dieser Kanzlei wird gearbeitet, dassdas klar ist. Ich empfange Sie überhaupt nur deshalb, weil es um etwasDringendes geht. Ich bat Maria Teresa dem Herrn zu sagen, dass ich ihn in zehnMinuten empfangen würde, aber nur wenig Zeit hätte, da ich danach zu einerwichtigen Besprechung müsse. Anwälte haben häufig wichtige Besprechungen -denken die Leute. Zehn Minuten später kam der Mann herein. Er hatte lange,schwarze Haare, einen langen, schwarzen Bart und weit aufgerissene Augen. Ersetzte sich, legte die Unterarme auf meinen Schreibtisch und beugte sich zu mirvor. Ich machte mich schon darauf gefasst, gleich etwas zu hören wie: »Ich habegerade meine Frau und ihre Mutter umgebracht. Sie liegen unten im Kofferraummeines Wagens. Ein Glück, dass es ein Kombi ist. Was machen wir jetzt,Avvocato?« Aber es kam anders. Der Mann hatte einen Camper, in dem er Würstchenund Hamburger briet. Die Inspektoren vom Gesundheitsamt hatten diesen Wagenbeschlagnahmt, weil die hygienischen Zustände darin ungefähr denen derAbwasserkanäle von Benares entsprachen. Nun wollte der Bärtige seinen Camperwiederhaben. Er wisse, dass ich ein guter Anwalt sei, das habe ihm ein Freundgesagt, der auch mein Klient war. Mit einem widerlichen, komplizenhaftenGrinsen nannte er den Namen eines Drogendealers, für den ich vor Gericht eineschändlich niedrige Strafe ausgehandelt hatte. Der Vorschuss, den ich daraufhinvon ihm verlangte, war horrend, doch er zog seelenruhig ein Bündelzusammengerollter Banknoten aus der Hosentasche, alles Fünfziger und Hunderter.Bitte ohne Majonäseflecken, dachte ich resigniert. Er zählte mit Daumen undZeigefinger die verlangte Summe ab und legte mir das Beschlagnahmeprotokoll unddie restlichen Papiere auf den Tisch. Die Quittung können Sie sich sparen,Avvocato, was soll ich damit? Wieder das verschwörerische Grinsen. Klar doch,wir Steuerhinterzieher halten zusammen. Vor Jahren hatte mir meine Arbeiteinmal ziemlich gut gefallen. Jetzt verursachte sie mir nur noch einen latentenBrechreiz. Wenn ich mit Typen wie diesem Würstchenverkäufer zu tun hatte,verstärkte sich der Brechreiz. Ich überlegte mir, dass ich es eigentlichverdient hätte, seine Würstchen zu Abend zu essen und danach mit Blaulicht insKrankenhaus eingeliefert zu werden. Dort würde dann schon Doktor Carrassi aufmich warten. Doktor Carrassi war Oberarzt der Notaufnahme und hatte unlängsteine Einundzwanzigjährige an Blinddarmentzündung sterben lassen, weil er aufRegelbeschwerden getippt hatte. Sein Anwalt - ich - hatte auf Freispruchplädiert und diesen auch erwirkt, ohne dass der gute Mann auch nur einenArbeitstag oder eine Lira Lohn verlor. Es war nicht schwierig gewesen. DerStaatsanwalt war ein Idiot und der als Nebenkläger auftretende Anwalt ein hoffnungsloserAnalphabet. Als Carrassi freigesprochen wurde, umarmte er mich. Er hatteMundgeruch, schwitzte vor Aufregung und war überzeugt, dass ihm Gerechtigkeitwiderfahren sei. Beim Verlassen des Gerichtssaals vermied ich es, den Elternder jungen Frau in die Augen zu sehen. Der Bärtige ging, und ich setzte -meinen Brechreiz unterdrückend - die Beschwerde gegen die Beschlagnahme seinesmobilen Gourmettempels auf. Dann fuhr ich nach Hause. Freitagabends gingen wirfür gewöhnlich erst ins Kino und danach zum Abendessen, immer mit derselbenClique. Ich beteiligte mich nie an der Auswahl des Films und des Restaurants.Ich tat, was Sara und die andern beschlossen und ließ den Abend in einer ArtDämmerzustand über mich ergehen, in der Hoffnung, dass er nicht allzu langedauern würde. Nur wenn es zur Abwechslung mal einen Film gab, der mir wirklichgefiel, taute ich ein wenig auf, aber das war immer seltener der Fall. Als ichan diesem Freitagabend nach Hause kam, war Sara bereits ausgehbereit. Ichwollte kurz duschen und mich umziehen, dazu brauchte ich mindestens eineViertelstunde, sagte ich ihr. Ach so, sie ging heute mit ihren Freunden aus.Was das für Freunde wären? Die vom Fotokurs. Das hätte sie mir auch frühersagen können, dann hätte ich mich darauf eingestellt. Sie habe es mir schongestern gesagt, aber wenn ich ihr nicht zuhörte, könne sie nichts dafür. Okay,kein Grund, sich aufzuregen, mir würde schon noch etwas einfallen, was ich tunkönnte, falls es dazu jetzt nicht schon zu spät war. Nein, ich wolle ihr keinschlechtes Gewissen machen, ich wolle nur das sagen, was ich gesagt hatte,sonst nichts. Okay, wir ließen das besser, diese Diskussion führe doch zunichts. Sie ging aus, und ich blieb zu Hause. Zuerst dachte ich daran, dieüblichen Freitagsfreunde anzurufen und mit ihnen auszugehen. Doch dann kam esmir plötzlich extrem schwierig vor, ihnen zu erklären, warum Sara heute nichtmitkam und was sie stattdessen machte; vermutlich würden sie das befremdlichfinden. Ich beschloss, von dieser Aktion abzusehen. Als Alternative versuchteich, eine Freundin zu erreichen, mit der ich mich in dieser Zeit bisweilen(heimlich) traf, aber sie flüsterte ins Handy, dass sie gerade mit ihrem Freundzusammen sei. Was hatte ich an einem Freitagabend auch anderes erwartet? Ichkam mir irgendwie überflüssig vor; das Beste war, ich würde mir eineVideocassette ausleihen - irgendeinen guten Krimi -, eine tiefgefrorene Pizzain den Ofen schieben und dazu ein großes, kaltes Bier trinken. Irgendwie würdeich diesen Freitagabend schon rumbringen. Ich entschied mich für den Film BlackRain, obwohl ich ihn schon zweimal gesehen hatte. Ich schaute ihn mir eindrittes Mal an und fand ihn immer noch gut. Nebenher aß ich die Pizza und trankdas Bier. Danach trank ich noch einen Whisky und rauchte mehrere Zigaretten.Beim anschließenden Herumschalten mit der Fernbedienung stellte ich fest, dassdie Lokalsender neuerdings wieder Hardcorepornos zeigten. Daraus schloss ich,dass es nach ein Uhr war, und so ging ich ins Bett. Ich weiß nicht, wann icheinschlief, und ich weiß auch nicht, wann Sara zurückkam, weil ich sie garnicht hörte. Als ich am nächsten Morgen erwachte, war sie bereits aufgestanden.Ich ging mit verschlafenem Gesicht in die Küche und sie schenkte mir wortloseine Tasse Kaffee ein, keinen Espresso, sondern Filterkaffee. Wir mochten beideFilterkaffee mit viel Wasser nach amerikanischer Art. Ich nippte zweimal daranund wollte sie gerade fragen, wann sie letzte Nacht heimgekommen sei, als siemir mitteilte, dass sie sich scheiden lassen wollte. »Guido, ich möchte, dasswir uns scheiden lassen«, sagte sie. Einfach so. Nach vielen Sekundendröhnenden Schweigens fühlte ich mich zur banalsten aller Fragen genötigt.Warum? Sie erklärte mir, warum. Sie war ganz ruhig und ungerührt. Vielleichtdächte ich, sie hätte nicht gemerkt, wie mein Leben in den letzten, sagen wirmal, zwei Jahren ausgesehen hatte, was ich so trieb. Aber sie hatte es gemerkt,und es hatte ihr überhaupt nicht gefallen. Was sie dabei am meisten demütigte,war gar nicht meine Untreue - dieses Wort spie sie mir förmlich insGesicht -, sondern der Umstand, dass ich sie für dumm verkaufte und damitwirklich respektlos behandelte. Sie wisse nicht, ob ich immer schon so gewesenoder es erst geworden sei; sie wisse auch nicht, welche der beidenMöglichkeiten ihr lieber wäre, vielleicht sei es ihr auch egal. Jedenfalls seiich ein absolut mittelmäßiger Mann geworden oder immer schon gewesen. Und siehabe keine Lust mit einem mittelmäßigen Mann zusammenzuleben. Nicht mehr. Alsecht mittelmäßigem Mann fiel mir nichts Besseres ein, als sie zu fragen, ob sieeinen anderen hätte. Sie antwortete mit einem schlichten Nein und fügte hinzu,dass mich das ab sofort auch gar nichts mehr angehe. Richtig. Unser Gesprächdauerte nicht mehr lang, und zehn Tage später war ich bereits ausgezogen.
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Claudia Schmitt
- Autor: Gianrico Carofiglio
- 2007, 285 Seiten, Maße: 11,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Claudia Schmitt
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442464293
- ISBN-13: 9783442464296
- Erscheinungsdatum: 16.03.2007
4.5 von 5 Sternen
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