Ring frei für die Liebe
Roman
Eventmanagerin Talli soll für ihren Bruder und dessen verwöhnte Verlobte die Hochzeit des Jahres schmeißen. Mit 500 Gästen. Und Tauben. Und das alles in nur acht Wochen. Und Personal-Trainer Zac muss gleichzeitig eine reiche Klientin für ihre Traumhochzeit "in Form" bringen
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Produktinformationen zu „Ring frei für die Liebe “
Eventmanagerin Talli soll für ihren Bruder und dessen verwöhnte Verlobte die Hochzeit des Jahres schmeißen. Mit 500 Gästen. Und Tauben. Und das alles in nur acht Wochen. Und Personal-Trainer Zac muss gleichzeitig eine reiche Klientin für ihre Traumhochzeit "in Form" bringen
Klappentext zu „Ring frei für die Liebe “
Was für ein Albtraum! Eventmanagerin Talli soll für ihren Bruder und dessen verwöhnte Verlobte die Hochzeit des Jahres schmeißen. Mit 500 Gästen. Und Tauben. Und das alles in nur acht Wochen - Personaltrainer Zac braucht dringend eine Finanzspritze. Was für ein Glück, dass ihm eine reiche Klientin einen fetten Bonus verspricht - sollte er es schaffen, sie für ihre Traumhochzeit auf Figur zu trimmen. In nur acht Wochen! Wenn ihm bloß nicht ständig diese nervige Hochzeitsplanerin in die Quere käme -
Lese-Probe zu „Ring frei für die Liebe “
RING FREI FÜR DIE LIEBE von Shari Low Prolog
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Januar 2013
Verträge! Darin war sie noch nie gut gewesen. Nicht, dass sie damit viel Erfahrung hätte.
Der Mann vor ihr hüstelte ungeduldig. Wenn er sie damit einschüchtern wollte, hatte er Erfolg. Sie sollte unterschreiben. Unbedingt. Aber . . .
Ihr Blick fiel auf die große schwarze Uhr an der gelben Wand. Zwölf Uhr mittags.
Der Füllfederhalter grub sich in die Haut ihres Zeigefingers, aber sie konnte nicht entspannen. Mit der Unterschrift würde sich so viel verändern. Alles eigentlich. Es ging zu schnell. Sie brauchte noch Zeit. Aber den ungeduldigen Gesichtern um sie herum war anzusehen, dass sie nur diese eine Chance hatte.
Kleine Schweißperlen sammelten sich in ihren Handflächen, sie passten perfekt zu ihrem hochroten Gesicht und ihrem wild hämmernden Herzen.
Diese verdammte Uhr.
Eine Minute nach zwölf.
Also gut, es musste sein. Sie musste jetzt unterschreiben, ganz gleich, was das für Folgen haben würde.
Der Füller berührte das Papier, bewegte sich zögernd, formte den ersten Buchstaben ihres Namens.
Plötzlich stockte sie. Schaute auf. Der Typ mit dem nervtötenden Husten starrte sie an.
»Es tut mir leid, aber ich glaube, dieser Stift schreibt nicht.«
Er sah auf das Papier, starrte dann wieder sie an, ehe er hektisch in seinen Jackentaschen wühlte. Alle im Raum machten es ihm nach, sie durchsuchten ihre Taschen. Absurd sah das aus, wie eine Formationstanzgruppe im Superstress.
Seltsamerweise hatte die Situation bei ihr genau die gegenteilige Wirkung. Zum ersten Mal, seit sie am Morgen aufgewacht war, überkam sie ein Gefühl ungeheurer Ruhe. Es begann bei ihren perfekt pedikürten Zehen und setzte sich von dort langsam nach oben fort. Das Papier vor ihr war noch immer nicht unterschrieben.
Das musste ein Zeichen sein.
1. Kapitel
Der Klingelton ihres Handys versetzte Talli in Panik. Hektisch durchwühlte sie den ihr am nächsten liegenden Papierstapel auf dem Schreibtisch. Ein Stapel Kataloge, stürzte polternd zu Boden.
Das Handy klingelte unerbittlich.
Als sie sich bückte, um die Bücher aufzuheben, stieß sie mit dem Ellbogen gegen den Venti Coffee Frappuccino mit Sahnehaube, den sie sich zehn Minuten zuvor bei Starbucks geholt hatte. Der Kaffee ergoss sich über ihre nackten Füße, sodass sie vor Schmerz aufschrie und instinktiv die Knie hochzog. Damit erschütterte sie den gesamten Schreibtisch, wodurch ein weiterer Stapel Dokumente, Proben und eine große Achtzehn aus Kristall ins Rutschen gerieten. Das Kristall zerschellte. Und das Handy klingelte immer noch.
Mit nassen Füßen und völlig entnervt stellte Talli fest, dass ihre rechte Brust vibrierte. Seufzend angelte sie das Handy aus der Tasche ihres kaffeebefleckten Calvin-Klein-Shirts.
»Guten Morgen. Grand Affairs of Chelsea, Event Agentur. Was kann ich für Sie tun?«
»Tallulah Caston-Jones, bitte.« Die Stimme war schrill und fordernd.
Beim Klang ihres vollständigen Namens musste Talli sich instinktiv schütteln. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie ihn auf ihre Visitenkarten druckte, dabei wollte Talli, seit sie zwölf war, nur Talli Jones genannt werden.
»Am Apparat«, antwortete sie ungeduldig.
Sie musste das Gespräch rasch hinter sich bringen, damit sie sich wieder der sie so in Panik versetzenden Party zum achtzehnten Geburtstag widmen konnte. Kleine Anmerkung an sie selbst: Dringend neue Kristall-Achtzehn bestellen. Die Party fand schon in einer knappen Woche statt, und das Geburtstagskind, Cosima Carlton, hatte ihr soeben mitgeteilt, das Motto »Schneekönigin«, das sie sich in den Kopf gesetzt hatte, sei »völlig outdated«, und sie habe sich stattdessen für »Vampire und Dämonen« entschieden. Jetzt musste Talli eine Schneekanone, zwölf Iglus, sechsunddreißig Eisfiguren und ein Dutzend heulender Wölfe loswerden. Und in weniger als fünf Tagen Särge, Kreuze und mehrere Hektoliter falsches Blut auftreiben . . .
»Hier ist Tabitha Deloite. Ich bin die beste Freundin von Cosima Carlton. Können Sie mir einen Riesengefallen tun? Ein paar von uns Mädels möchten Cosima gern ein Schmuckstück zum Geburtstag schenken. Eine Überraschung, versteht sich. Könnten Sie mir vielleicht ein Foto des Kleids schicken, das sie auf der Party tragen wird? Wir wollen natürlich, dass der Schmuck perfekt dazu passt.«
»Äh . . . ja. Na klar.«
»Sie sind super. Echt super.«
Klick.
Sofort machte Talli sich auf die Suche nach dem Laufstegfoto des Dior-Fummels. Wenn sie es nicht gleich tat, würde sie es vergessen - das war so sicher wie deprimierend. Wo hatte sie es bloß? Verdammt! Hastig blätterte sie einen Stapel Prospekte, Rechnungen und herausgerissene Zeitungsartikel durch. Ordnung hatte noch nie zu ihren Stärken gehört.
»Ja!«, rief sie triumphierend aus, als sie endlich fand, wonach sie gesucht hatte: eine Amazonengöttin, die in einem Outfit, das so extravagant war, dass es an Kunst grenzte, über einen Laufsteg stöckelte.
Ein zugegeben atemberaubendes Kleid, aber Talli würde so was niemals tragen. Sie war zwar fast so groß wie das Model und würde sich zur Not auch in Größe 36 quetschen können, aber so ein Look war ihr viel zu anstrengend. Ihr Schönheitsprogramm beschränkte sich auf Seife, Feuchtigkeitscreme und einen Fettstift für die Lippen. Und was ihren Stil anging: Jeans und T-Shirts, sonst nichts.
Mit ihrem I-Phone machte sie schnell ein Foto von dem Kleid und schickte es an die Handynummer der Anruferin. Aufgabe erledigt. Die Ironie dieses Augenblicks würde ihr erst viel später klar werden. Sie hielt sich für besonders effizient. Als sie ihr dickes honigblondes Haar zu einem Knoten drehte und einen Bleistift hineinsteckte, ahnte sie jedenfalls nicht im Mindesten, dass ihre Aktion insofern perfekt zum Thema der Party passte, als sie damit das Tor zur Hölle aufstieß.
2. Kapitel
Celebrity-Magazin, 15. Oktober 2012 Sensationelle Neuigkeiten für die gesamte Lovin'-Essex-Crew: Die Show toppte erstmals seit dem Start vor zwei Jahren die Quote von einer Million Fernsehzuschauern. Die Serie, entstanden als Konkurrenzformat zu Großbritanniens beliebtester Reality-Doku-Soap The Only Way Is Essex (oder wie wir in der Redaktion sagen: TOWIE - das lässt sich nach ein paar Gläsern Prosecco leichter schreiben), zeigt, dass man auch mit kleinen Mitteln Großes erreichen kann. Die Soap wird in Chelmsford produziert, mit einem überschaubaren Produktionsteam, kleiner Besetzung und einem Budget, das mit dem von TOWIE nicht zu vergleichen ist. Trotzdem wird jede Menge Drama geboten.
Der Erfolg von Lovin' Essex beweist, dass sich die Reality-Doku- Soap auch hierzulande endgültig durchgesetzt hat. In den USA haben Jersey Shore und The Hills in den letzten Jahren atemberaubende Quoten erzielt. Bei uns in Großbritannien wurden falsche Sonnenbräune, Extensions, künstliche Wimpern und Designer-Blingbling auf den TV-Sendeplätzen um die vornehmere, zurückhaltendere Note der Besetzung von Made in Chelsea ergänzt. Die beiden Welten könnten kaum unterschiedlicher sein. Standesgemäß für einen der teuersten Stadtteile Londons gibt es bei Chelsea Milliardenerbinnen und -erben und Schauspieler, die mit Mitgliedern des Königshauses zur Schule gegangen sind und für die es das Normalste der Welt ist, mal eben übers Wochenende nach Monaco zu jetten.
Kiki Spooner, Hauptdarstellerin von Lovin' Essex, sagt dazu: »Wir sind vielleicht nicht so schickimicki wie die Mädels von Made in Chelsea, aber ich gönne ihnen ihren Champagner und ihre vornehmen Clubs, denn dafür haben wir die süßeren Jungs. Und was TOWIE betrifft: Wir freuen uns, das Rampenlicht mit ihnen zu teilen. Essex ist definitiv groß genug für uns alle.«
Vier der fünf weiblichen Stars von Lovin' Essex waren in eine Unterhaltung vertieft; ihre langen künstlichen Wimpern klimperten aufgeregt.
»Haltet die Klappe! Echt, haltet die Klappe! O mein Gott, ist das idiotisch! Ich hab so die Nase voll von Porsche. Sie bildet sich ein, hier die Oberchefin zu sein, dabei ist sie das echt kein bisschen! Ich kannte sie schon, als sie es diesem DJ von der Beach Box regelmäßig mit dem Mund besorgt hat.« Wie mit einer Kalaschnikow feuerte Shiraz lipglossglänzende Wortsalven durch den Raum.
Die anderen nickten zustimmend. Sie sehen aus wie Barbie- Puppen im Regal eines Spielzeugladens, dachte Zac. Lena und Minx zum Beispiel, seine atemberaubenden Schwestern. Sie waren Zwillinge und bis auf einen minimalen Unterschied in Schnitt und Farbton ihrer Haare und Klamotten absolut identisch. Lenas pinkfarbene Extensions reichten ihr bis zur Hüfte, sie trug wie üblich Girlie-Pastelltöne. Minx dagegen hatte eine hellrosafarbene Pagenfrisur. Sie war eher der burschikose Typ - zumindest das, was sie für burschikos hielt: komplettes Make-up, hautenge Denim-Shorts und Sportschuhe mit zehn Zentimeter Keilabsatz.
Zacs Freundin Kiki war die Variante Sexy-Barbie: eine Brünette mit Smokey Eyes, die die Rolle der ungezähmten Draufgängerin spielte. Dann war da noch Glamour-Barbie Porsche, die heute nicht mit am Set war, was den anderen die perfekte Gelegenheit zum Ablästern gab. Porsche brüstete sich (im Wortsinn) gern damit, dass sie ihre Ausstattung regelmäßig in sämtlichen Klatschmagazinen öffentlich zur Schau stellte.
Die rassige Shiraz war die Domina-Barbie: pechschwarze Locken, kurzer Lederrock, Besitzerin eines Beauty-Spas, das ihr Vater finanzierte, ein Immobilienmogul, dem mehr Häuser und Grundstücke gehörten als der Stadt. Shiraz' Spa war eine Art Heimathafen für die Mädels und natürlich die beste Adresse für Extensions, falsche Wimpern, Gelnägel und künstliche Sonnenbräune.
Für eine Reality Show, die inzwischen über eine Million Zuschauer pro Folge hatte, war bei Lovin' Essex nicht allzu viel real, aber genau das hatte Zac immer beeindruckt. Diese Mädels wussten was aus sich zu machen. Sie sahen sensationell aus, und die meisten waren auch noch richtig süß. Er kannte Shiraz und Porsche seit Ewigkeiten, weil sie schon als kleine Mädchen mit seinen Schwestern befreundet gewesen waren. Schon damals war Lena immer die Vernünftige, Diplomatische gewesen, und daran hatte sich bis heute nicht viel geändert.
»Es lohnt sich doch nicht, sich darüber aufzuregen!«
Das kam von Lena, die ihren Part als Friedensstifterin innerhalb der Gruppe perfekt spielte. Es gab kein Drehbuch. Jedem Mädchen war eine bestimmte Rolle zugeschrieben, die ihrem tatsächlichen Charakter entsprach.
Shiraz, die Knallharte, war mal wieder auf dem Kriegspfad. »Aber es wird höchste Zeit, dass sie jemand in die Schranken weist. Kommt, lasst uns ins Studio rüberfahren.« Sie sprang auf, dabei rutschte ihr Versace-Mini hoch und gestattete einen kurzen Blick auf ihren goldenen Pailetten-String. »Wenn ich die Schlampe treffe, wird das jedenfalls sehr unangenehm für sie, das schwöre ich euch.«
»Und CUT!« Edwina, die Regisseurin, bellte ihre Anweisung. Alle am Set gehorchten sofort. »Okay, gut gemacht, Mädels. Shiraz, dein Frust ist echt gut rübergekommen.« Sie stand von ihrem Stuhl auf. »Kiki, können wir noch kurz reden, Schätzchen? Zac, mein heißer Hengst, kommst du auch mit?«
Zac zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Er hoffte nur, dass Edwina nicht wieder versuchte, ihn zum Mitmachen in der Show zu bewegen. Sie sagte dauernd, mit seinem Body sei er ein echter Quotentreiber, aber das kam für ihn nicht infrage. Schon der Gedanke an die Publicity war ihm ein Graus. Er wollte definitiv im Hintergrund bleiben. Auch heute war er nur am Set erschienen, weil er Lena und Minx zum Shoppen abholen wollte. Sie mussten ein Geburtstagsgeschenk für Tante Dottie besorgen.
Sie folgten Edwina in eines der Nebenzimmer, einen Massage- raum, in dem esoterische Musik dudelte, obwohl kein Mensch da war. Zac kam sich vor, als müsste er ins Büro der Schuldirektorin, dabei war er sich gar keines Verstoßes gegen die Schulordnung bewusst. Edwina hatte so was Autoritäres, schon allein durch ihre Größe, die stämmige Figur und die kurzen dunklen Haare mit den grauen Strähnchen. Eine Sünde, dass sie sie nicht färben ließ. Machte sie um Jahre älter, dabei war sie höchstens dreißig. Sie war auch nicht geschminkt. Und diese Nase konnte nun wirklich ein bisschen Abtönung vertragen . . .
Verdammt, er war viel zu viel mit den Mädels zusammen. Er wurde ja schon richtig bilingual: fließend Englisch und Max Factor.
Edwina hingegen sprach gerade reinstes Londonerisch. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und verlangte ihre gesamte Aufmerksamkeit.
»Ich komme gleich zur Sache. Wir haben schon wieder so einen beschissenen Brief bekommen. Wir haben ihn gleich an die Polizei weitergeleitet, weil ein Foto von deiner Buchsignierung letzte Woche dabei war, Kiki.«
Kiki fing an zu zittern. »Zeig mal.«
»Ich glaube nicht . . .«, begann Edwina.
»Ich möchte ihn sehen. Bitte.«
Edwina nahm eine schwarze Kladde vom Counter hinter sich, blätterte kurz darin und zog ein Din-A4-Blatt heraus. In der Mitte war deutlich ein Bild von Kiki zu erkennen: Sie saß im Lakeside Shopping Center bei Waterstones an einem Tisch, vor sich einen Stapel Lovin'-Essex-Weihnachtsbücher. Das Foto stammte vom vergangenen Mittwoch. Zac wusste das so genau, weil er auch dort gewesen war. Und er war unschwer zu erkennen. Er stand direkt hinter Kiki und sah aus wie einer der Security- Typen, die ihr Management angeheuert hatte.
Aber es war nicht das Bild, das ihn so besorgte, es waren die Worte, die darüberstanden, zusammengesetzt aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben.
Stirb, Bitch! Stirb!
3. Kapitel
Tallis Mutter bedachte sie mit einem derart tödlichen Blick, dass sich Tallis Zehennägel in den Burberry Biker Boots zusammenkrallten.
Zumindest deutete sie es als tödlichen Blick. Seit der OP zwei Wochen zuvor hatte Arabella Caston-Jones' Gesicht immer den gleichen Ausdruck, egal ob sie gerade wütend, glücklich, ängstlich oder traurig war. Es war wie zu einer Maske erstarrt und so geschwollen, dass es bestürzenderweise dem eines Kugelfisches nicht unähnlich war. Mit einem menschlichen Gesicht hatte es jedenfalls noch immer nicht die geringste Ähnlichkeit, schon gar nicht mit dem ihres Idols Carole Middleton, Mutter des jüngsten Neuzugangs des englischen Königshauses. Offenbar hatte der Schönheitschirurg einen kurzen Blick auf das Foto geworfen (ein Bild aus der Daily Mail, das die Familien Windsor und Middleton bei Wills und Kates Hochzeit zeigte), das Arabella ihm bei ihrem ersten Besuch vor die Nase gehalten hatte, und fälschlicherweise angenommen, seine neue Patientin böte ihm mehrere Tausend Pfund ihres Barvermögens für die Umwandlung in Prince Andrew.
»Tallulah, wie konnte das passieren? Die Carltons weigern sich, ihre Rechnung zu begleichen. Sie behaupten, sie hätten dem Dorchester Hotel ein Vermögen als Entschädigung zahlen müssen, und die kleine Cosima sei so verstört, dass sie in ihr Haus auf den Bahamas flüchten musste. Die arme Kleine! Du weißt, wie empfindlich dieses Kind ist.«
Talli biss die Zähne zusammen, um die Bemerkung, die ihr auf den Lippen lag, irgendwie zurückzuhalten. Die arme Kleine? Cosima war eine unerzogene, verwöhnte Göre, die ein Riesentheater veranstaltet hatte, nur weil Tabitha Deloite, ihre beste Exfreundin (mit großem E wie Edelschlampe), auf ihrer Geburtstagsparty dasselbe Kleid angehabt hatte wie sie: einen abgefahrenen knallroten Dior-Fummel, der mehr gekostet hatte, als das gesamte anwesende Catering-Personal in einem halben Jahr verdiente. Für jede andere wäre das eine kleine Panne an einem ansonsten sensationellen Abend gewesen. Aber nicht für die arme kleine Cosima. O nein! Man hatte ihre spitzen Schreie noch in weit entfernten Londoner Stadtteilen hören können, ebenso die Sirenen des Löschzugs, der sich in Bewegung gesetzt hatte, nachdem die arme kleine Cosima in ihrem Wutanfall einen ihrer Jimmy Choos gegen die Wand geschleudert und dadurch den Feueralarm ausgelöst hatte.
Die Hotelleitung hatte sich daraufhin gezwungen gesehen, alle Gäste zu evakuieren, darunter auch drei amerikanische Rapper, verschiedene Kabinettsmitglieder und Gwyneth Paltrow.
Alle, außer der armen kleinen Cosima, die sich mit mehreren Gramm Kokain und einer Flasche Tequila in ein Bad verzogen hatte und dort erst entdeckt wurde, nachdem ihr Vater eine Suchaktion verlangt und angedroht hatte, notfalls ein Spezialistenteam des Geheimdienstes anzufordern. Das konnte man offenbar, wenn man so jemand Wichtiges im Verteidigungsministerium war wie er.
Talli hatte sich jedenfalls schon im Knast gesehen, in Guantanamo oder wohin auch immer die britische Regierung Leute schickte, die sie so richtig ankotzten.
Zugegeben: Sie hatte blöderweise eine der heiligsten Regeln der Party-Organisation missachtet: das Outfit des Gastgebers unter allen Umständen geheim zu halten - notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens. Da half es auch nicht, dass das Debakel weiter eskaliert war. Tabitha hatte nämlich über Facebook, Twitter und E-Mail - genau genommen war das einzige Kommunikationsmittel, das sie ausgelassen hatte, ein Flugzeug mit einem Spruchband - verbreitet, dass ihr das Kleid viel besser gestanden habe als Cosima. Ach, und danke an das nette Mädchen von der Veranstaltungsagentur, das ihr das Foto von dem Kleid des Geburtstagskinds geschickt habe . . .
Talli war nicht sicher, was mehr schmerzte - die Tatsache, dass die Party so ein Desaster gewesen war, oder die Schmach darüber, dass sie sich von einer Achtzehnjährigen so hatte hinters Licht führen lassen. Aber diese Tabitha hatte sich am Telefon so überzeugend angehört. Und irgendwie traf auch Cosima eine gewisse Teilschuld. Wenn sie sich nicht dabei hätte erwischen lassen, als sie es Tabithas Freund in der Marmortoilette des Privatjets der Carltons besorgte, wäre das alles nicht passiert.
Gott, seit wann sind schon Teenies so bösartig?, überlegte Talli und seufzte frustriert.
Ihre Mutter setzte nun ihr ungeduldiges Gesicht auf. Vermutlich. Jedenfalls kam Talli zu dem Schluss, dass es keinen Sinn machte, einen Streit vom Zaun zu brechen, der zu einer Familienfehde und möglicherweise zum Aufreißen der Naht hinter den Ohrläppchen ihrer Mutter führen würde.
»Tut mir leid, Mum, aber du weißt doch, dass ich in so was nicht besonders gut bin.«
Arabella betrachtete ihre Tochter mit offener Enttäuschung. Oder war es Mitleid?
»Wag es ja nicht, wieder mit diesem Unsinn anzufangen«, zischte sie. »Grand Affairs braucht dich jetzt, Darling.« Also doch Enttäuschung.
Das vierte Kind ihrer Mutter, die Veranstaltungsagentur. Grand Affairs of Chelsea (ja, über die Website kamen auch Anfragen von zweiundzwanzigjährigen Damen, die einen Wohltäter aus einem der begehrtesten Viertel Londons suchten) war ein weiteres Phänomen im Leben der Familie Caston-Jones, das sie den Royals verdankten. Arabella hatte glücklich und zufrieden eine kleine, feine Hobby-Event-Agentur betrieben und hauptsächlich exklusive Partys für Freunde organisiert - bis Carole Middleton aufgetaucht war. Seit diesem Tag war Arabellas Ehrgeiz erwacht, und sie tat alles, um immer größere und Aufsehen erregendere Aufträge an Land zu ziehen. Dabei griff sie, wann immer nötig, auf Tallis Hilfe zurück.
»Ich erinnere dich nur daran, dass wir eine Familie sind. Da hilft man sich gegenseitig in Zeiten der Not . . .«
Und der misslungenen Schönheitsoperationen. Das sprach Talli natürlich nicht laut aus. Ebenso wenig wie die Frage, warum sie die Einzige der Geschwister war, die dauernd aushelfen musste. Okay, sie war aktuell arbeitslos, zumindest im strengen Arbeiten- gleich-Geld-verdienen-Sinn. Nachdem sie vor zwei Jahren die Uni mit einem Sportdiplom verlassen hatte, hatte sie für ein Sozialprojekt gearbeitet, das sich um Jugendprogramme und Gesundheitseinrichtungen in Äthiopien kümmerte. Seit sie von dort zurück war, hatte sie nichts wirklich geschafft. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Erwerb einer Zusatzqualifikation als Lehrerin und ehrenamtlichen Trainerjobs, die ihren Lebenslauf etwas aufhübschten. Sie hatte sich nämlich bei insgesamt siebenundzwanzig Fußball-, Rugby-und Tennisvereinen beworben und nur eine einzige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommen - von einem Footballteam in Bolton, dessen Manager sie als Schickimickimieze bezeichnet hatte und überrascht gewesen war, dass sie einen Torschuss von einer Leistenzerrung unterscheiden konnte. Sie hatte den Job nicht bekommen.
Ihr Bruder Persimmon hatte wenigstens eine Entschuldigung, warum er ihrer Mutter nicht zu Hilfe kam: Schließlich war er Stellvertretender Vorstandsvorsitzender bei Gambond Paper, dem größten Toilettenpapierhersteller des Landes und seit fünf Generationen im Besitz der Familie seiner Verlobten, der TV- Regisseurin Edwina Gambond. Tallis einundzwanzigjährige Schwester Dessi (eigentlich Desdemona) war ununterbrochen damit beschäftigt, sich selbst zu finden. Bisher hatte sie herausgefunden, dass sie Kaffeetrinken und Champagnerfrühstück in den schicken kleinen Bistros an der King's Road liebte und Wochenenden in Cap Ferrat. Talli hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Dessi derselben Meinung war wie ihre Mutter: dass nur Talli den Job übernehmen könne. So war es immer gewesen. Ihre Geschwister waren durchsetzungsfähig, selbstbewusst und zielstrebig, während Tallis Entschlusskraft eher die Konsistenz von Zahnpasta hatte. Schon allein um des lieben Friedens willen wollte sie es immer allen recht machen. Allerdings hatte sie das Gefühl, dass ihr das im Augenblick nicht so gut gelang.
»Bambi Abercrombie war auch auf der Party und hat alles hautnah mitbekommen«, fuhr Arabella fort. »Jetzt haben die Abercrombies ihre Weihnachtsfeier storniert. Ich muss dir nicht sagen, dass es sich dabei um unseren größten Event handelt.«
Talli schwankte zwischen der Sorge, dass die Nähte jeden Augenblick aufreißen könnten, und dem Wunsch, vor Freude einen Luftsprung zu machen. Damit blieben bis Weihnachten nur noch ein paar kleinere Veranstaltungen - Nullachtfünfzehn- Geburtstagsfeiern, die selbst sie nicht so leicht vermasseln konnte.
Eine unangenehme Pause entstand, deren Stille nur kurz durchbrochen wurde, als ihre Mutter den Fellüberwurf richtete, der lässig über die Louis-XVI-Chaiselongue drapiert war. Würde Marie Antoinette heute leben, in einem eleganten Stadthaus am Chelsea Square wohnen, Halston tragen und eine obsessive Leidenschaft für plastische Chirurgie entwickeln - ihr Name wäre Arabella Caston-Jones.
Talli bemerkte, dass Marie Antoinette noch immer weiterredete. »Natürlich bin ich nicht sehr erfreut darüber, dass sie ihre Feier nun von jemand anderem organisieren lassen wollen. Aber vielleicht ist es am Ende ein Segen. Persimmon hat nämlich heute Morgen angerufen. Er ist völlig aus dem Häuschen. Wie du weißt, haben er und Edwina sich in den Kopf gesetzt, auf Highdrow Castle zu heiraten. Leider gibt es dort eine dreijährige Warteliste . . .«
Talli nickte vorsichtshalber. Insgeheim fragte sie sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis sie sich unter irgendeinem Vorwand entschuldigen und aus dem Schussfeld retten konnte.
»Wie auch immer, es gab offenbar eine Absage eines anderen Pärchens, und Lord Highdrow muss sich an mich erinnert haben. Wir hatten eine kurze Affäre, ehe ich deinen Vater kennengelernt habe. Und jetzt können Edwina und Simmy . . .«
Talli frohlockte innerlich. Das würde nicht nur das Carlton- Debakel neutralisieren, ihre Mutter würde sich ab sofort so sehr in die Hochzeitsvorbereitungen stürzen, dass sie sich ihrem anstrengenden Regiment bestimmt etwas entziehen konnte.
»Guten Morgen! Wie geht es meinen beiden Lieblingsdamen?«
Persimmons ölige Stimme brachte das Gesicht ihrer Mutter zum Strahlen. Vielleicht. Schwer zu sagen.
»Persimmon, mein Liebling, wie schön, dich zu sehen. Oh, dieser Anzug ist einfach göttlich.«
Persimmon küsste Talli auf die Wange und zwickte sie kurz in die Schulter. Sie schüttelte den Kopf. Ihr Bruder war zweifellos das Lieblingskind ihrer Mutter, eine Position, auf die Talli sehr gern verzichtete. In dieser Familie war es definitiv ein Segen, nicht so sehr im Fokus zu stehen. Aber der arme Simmy kam mit dem Erwartungsdruck ganz gut klar. Er war nicht unbedingt gut aussehend, konnte das aber mit seinem Humor und seinem Geschäftssinn mit Leichtigkeit ausgleichen. Außerdem hatte er durch die Beziehung zu Edwina, der Alleinerbin des Toilettenpapierimperiums, viele Zusatzpunkte gesammelt. Die beiden Familien besaßen benachbarte Sommerhäuser in Brighton, ein Strandhauskuss mit vierzehn hatte eine Beziehung gezündet, die auch heute noch hielt.
Persimmon begrüßte seine Mutter mit einem Kuss, der nach Tallis Einschätzung ein paar Zentimeter über ihrem Kopf landete. Vermutlich war es klüger, ohne Krankenschwester in der Nähe oder zumindest einer Packung antiseptischer Tücher, vorerst Abstand zu Arabella zu halten.
Seufzend ließ Simmy sich in ein vergoldetes Louis-XVI-Sesselchen fallen und legte seine teuer beschuhten Füße auf einen Beistelltisch, der aus Napoleons Kleinkindzeit stammen musste.
»Hast du Talli die Neuigkeiten schon mitgeteilt, Mum?«
»O ja, hat sie. Äh . . . herzlichen Glückwunsch.« Talli grinste. »Eine Hochzeit in Highdrow ist wirklich großartig.«
»Ich wusste, dass du es so sehen würdest. Danke, Talli. Du bist ein echter Fels in der Brandung.«
Ein seltsam ungutes Gefühl sagte ihr, dass ihr irgendetwas entgangen sein musste. Noch vor wenigen Tagen hatte man sie als Star bezeichnet, und das hatte böse geendet. Jetzt war sie plötzlich ein Stein?
»Ja, zu dem Teil wollte ich gerade kommen.« Arabella drehte sich langsam zu Talli um. »Es gibt einen kleinen Haken an der Sache. Die Hochzeit soll Heiligabend stattfinden.«
»Aber das ist fantastisch! Ein perfekter Tag für eine Hochzeit - und wir haben doch seit Neuestem beste Kontakte zu Eisskulpturenherstellern. «
Talli dachte an die übrig gebliebenen Dekoteile. Na ja, vielleicht passten Iglus und heulende Wölfe doch nicht so recht zum Anlass.
»Es geht nur so schnell«, meinte Simmy entschuldigend.
Talli runzelte erstaunt die Stirn. Vierzehn Monate waren hinreichend Zeit für die Planung einer Hochzeit. Ihre Mutter würde in ein paar Wochen wiederhergestellt sein, und dann konnte sie sich das gesamte nächste Jahr um die Hochzeit kümmern.
Talli sah ihre Mutter fragend an. »Ich verstehe nicht so ganz.«
»Tallulah, zieh die Stirn nicht so in Falten. Du solltest wirklich mal über Botox nachdenken. Wie auch immer . . . Heiligabend ist vielleicht nicht ideal, aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an die Arbeit zu machen. Du übernimmst die Sache. Ich würde ja helfen, aber ich fahre morgen in die Schweiz. Wenn ich in acht Wochen unter die Menschheit gehen soll, muss ich jetzt dringend ins Spa.«
Acht Wochen?
Talli wiederholte es in Gedanken ein paarmal und hoffte, sie würde endlich statt zu hyperventilieren begreifen. Heiligabend. Sie meinte tatsächlich dieses Jahr Heiligabend. Und offenbar wurde sie mit den Vorbereitungen allein gelassen, weil ihre Mutter ins Spa verschwand - ein Deckname für eine sündhaft teure Schweizer Klinik, in der sie hungerte, sich reinigte und sich Fettzellen von Schafen ins Gesicht spritzen ließ.
»Darling, mach dir keine Sorgen, du kriegst das schon hin. Wenn Pippa Middleton es geschafft hat, den ganzen Weg zum Altar zu laufen, ohne dem Erzbischof von Canterbury vor die Füße zu fallen, wirst du ja wohl eine simple Hochzeit organisieren können. «
Eine simple Hochzeit. Der Gedanke gab Talli Hoffnung. Vielleicht sollte es eine ganz kleine Feier werden, nur die engste Familie und der Schweizer Arzt ihrer Mutter.
»Wir werden nur zweihundert Gäste einladen«, informierte Persimmon sie mit lässiger Handbewegung. »Ach, und Schwesterherz, vielleicht buchst du sicherheitshalber schon mal die Tauben. Edwina wünscht sich für jeden Gast eine. Blöde Idee. Diese Viecher scheißen alles voll.«
Talli schloss gequält die Augen. Die Tauben waren noch gar nicht da, und sie fühlte sich schon jetzt total beschissen.
Aus dem Englischen von Barbara Ritterbach
2014 by Bastei Lübbe AG, Köln
Januar 2013
Verträge! Darin war sie noch nie gut gewesen. Nicht, dass sie damit viel Erfahrung hätte.
Der Mann vor ihr hüstelte ungeduldig. Wenn er sie damit einschüchtern wollte, hatte er Erfolg. Sie sollte unterschreiben. Unbedingt. Aber . . .
Ihr Blick fiel auf die große schwarze Uhr an der gelben Wand. Zwölf Uhr mittags.
Der Füllfederhalter grub sich in die Haut ihres Zeigefingers, aber sie konnte nicht entspannen. Mit der Unterschrift würde sich so viel verändern. Alles eigentlich. Es ging zu schnell. Sie brauchte noch Zeit. Aber den ungeduldigen Gesichtern um sie herum war anzusehen, dass sie nur diese eine Chance hatte.
Kleine Schweißperlen sammelten sich in ihren Handflächen, sie passten perfekt zu ihrem hochroten Gesicht und ihrem wild hämmernden Herzen.
Diese verdammte Uhr.
Eine Minute nach zwölf.
Also gut, es musste sein. Sie musste jetzt unterschreiben, ganz gleich, was das für Folgen haben würde.
Der Füller berührte das Papier, bewegte sich zögernd, formte den ersten Buchstaben ihres Namens.
Plötzlich stockte sie. Schaute auf. Der Typ mit dem nervtötenden Husten starrte sie an.
»Es tut mir leid, aber ich glaube, dieser Stift schreibt nicht.«
Er sah auf das Papier, starrte dann wieder sie an, ehe er hektisch in seinen Jackentaschen wühlte. Alle im Raum machten es ihm nach, sie durchsuchten ihre Taschen. Absurd sah das aus, wie eine Formationstanzgruppe im Superstress.
Seltsamerweise hatte die Situation bei ihr genau die gegenteilige Wirkung. Zum ersten Mal, seit sie am Morgen aufgewacht war, überkam sie ein Gefühl ungeheurer Ruhe. Es begann bei ihren perfekt pedikürten Zehen und setzte sich von dort langsam nach oben fort. Das Papier vor ihr war noch immer nicht unterschrieben.
Das musste ein Zeichen sein.
1. Kapitel
Der Klingelton ihres Handys versetzte Talli in Panik. Hektisch durchwühlte sie den ihr am nächsten liegenden Papierstapel auf dem Schreibtisch. Ein Stapel Kataloge, stürzte polternd zu Boden.
Das Handy klingelte unerbittlich.
Als sie sich bückte, um die Bücher aufzuheben, stieß sie mit dem Ellbogen gegen den Venti Coffee Frappuccino mit Sahnehaube, den sie sich zehn Minuten zuvor bei Starbucks geholt hatte. Der Kaffee ergoss sich über ihre nackten Füße, sodass sie vor Schmerz aufschrie und instinktiv die Knie hochzog. Damit erschütterte sie den gesamten Schreibtisch, wodurch ein weiterer Stapel Dokumente, Proben und eine große Achtzehn aus Kristall ins Rutschen gerieten. Das Kristall zerschellte. Und das Handy klingelte immer noch.
Mit nassen Füßen und völlig entnervt stellte Talli fest, dass ihre rechte Brust vibrierte. Seufzend angelte sie das Handy aus der Tasche ihres kaffeebefleckten Calvin-Klein-Shirts.
»Guten Morgen. Grand Affairs of Chelsea, Event Agentur. Was kann ich für Sie tun?«
»Tallulah Caston-Jones, bitte.« Die Stimme war schrill und fordernd.
Beim Klang ihres vollständigen Namens musste Talli sich instinktiv schütteln. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie ihn auf ihre Visitenkarten druckte, dabei wollte Talli, seit sie zwölf war, nur Talli Jones genannt werden.
»Am Apparat«, antwortete sie ungeduldig.
Sie musste das Gespräch rasch hinter sich bringen, damit sie sich wieder der sie so in Panik versetzenden Party zum achtzehnten Geburtstag widmen konnte. Kleine Anmerkung an sie selbst: Dringend neue Kristall-Achtzehn bestellen. Die Party fand schon in einer knappen Woche statt, und das Geburtstagskind, Cosima Carlton, hatte ihr soeben mitgeteilt, das Motto »Schneekönigin«, das sie sich in den Kopf gesetzt hatte, sei »völlig outdated«, und sie habe sich stattdessen für »Vampire und Dämonen« entschieden. Jetzt musste Talli eine Schneekanone, zwölf Iglus, sechsunddreißig Eisfiguren und ein Dutzend heulender Wölfe loswerden. Und in weniger als fünf Tagen Särge, Kreuze und mehrere Hektoliter falsches Blut auftreiben . . .
»Hier ist Tabitha Deloite. Ich bin die beste Freundin von Cosima Carlton. Können Sie mir einen Riesengefallen tun? Ein paar von uns Mädels möchten Cosima gern ein Schmuckstück zum Geburtstag schenken. Eine Überraschung, versteht sich. Könnten Sie mir vielleicht ein Foto des Kleids schicken, das sie auf der Party tragen wird? Wir wollen natürlich, dass der Schmuck perfekt dazu passt.«
»Äh . . . ja. Na klar.«
»Sie sind super. Echt super.«
Klick.
Sofort machte Talli sich auf die Suche nach dem Laufstegfoto des Dior-Fummels. Wenn sie es nicht gleich tat, würde sie es vergessen - das war so sicher wie deprimierend. Wo hatte sie es bloß? Verdammt! Hastig blätterte sie einen Stapel Prospekte, Rechnungen und herausgerissene Zeitungsartikel durch. Ordnung hatte noch nie zu ihren Stärken gehört.
»Ja!«, rief sie triumphierend aus, als sie endlich fand, wonach sie gesucht hatte: eine Amazonengöttin, die in einem Outfit, das so extravagant war, dass es an Kunst grenzte, über einen Laufsteg stöckelte.
Ein zugegeben atemberaubendes Kleid, aber Talli würde so was niemals tragen. Sie war zwar fast so groß wie das Model und würde sich zur Not auch in Größe 36 quetschen können, aber so ein Look war ihr viel zu anstrengend. Ihr Schönheitsprogramm beschränkte sich auf Seife, Feuchtigkeitscreme und einen Fettstift für die Lippen. Und was ihren Stil anging: Jeans und T-Shirts, sonst nichts.
Mit ihrem I-Phone machte sie schnell ein Foto von dem Kleid und schickte es an die Handynummer der Anruferin. Aufgabe erledigt. Die Ironie dieses Augenblicks würde ihr erst viel später klar werden. Sie hielt sich für besonders effizient. Als sie ihr dickes honigblondes Haar zu einem Knoten drehte und einen Bleistift hineinsteckte, ahnte sie jedenfalls nicht im Mindesten, dass ihre Aktion insofern perfekt zum Thema der Party passte, als sie damit das Tor zur Hölle aufstieß.
2. Kapitel
Celebrity-Magazin, 15. Oktober 2012 Sensationelle Neuigkeiten für die gesamte Lovin'-Essex-Crew: Die Show toppte erstmals seit dem Start vor zwei Jahren die Quote von einer Million Fernsehzuschauern. Die Serie, entstanden als Konkurrenzformat zu Großbritanniens beliebtester Reality-Doku-Soap The Only Way Is Essex (oder wie wir in der Redaktion sagen: TOWIE - das lässt sich nach ein paar Gläsern Prosecco leichter schreiben), zeigt, dass man auch mit kleinen Mitteln Großes erreichen kann. Die Soap wird in Chelmsford produziert, mit einem überschaubaren Produktionsteam, kleiner Besetzung und einem Budget, das mit dem von TOWIE nicht zu vergleichen ist. Trotzdem wird jede Menge Drama geboten.
Der Erfolg von Lovin' Essex beweist, dass sich die Reality-Doku- Soap auch hierzulande endgültig durchgesetzt hat. In den USA haben Jersey Shore und The Hills in den letzten Jahren atemberaubende Quoten erzielt. Bei uns in Großbritannien wurden falsche Sonnenbräune, Extensions, künstliche Wimpern und Designer-Blingbling auf den TV-Sendeplätzen um die vornehmere, zurückhaltendere Note der Besetzung von Made in Chelsea ergänzt. Die beiden Welten könnten kaum unterschiedlicher sein. Standesgemäß für einen der teuersten Stadtteile Londons gibt es bei Chelsea Milliardenerbinnen und -erben und Schauspieler, die mit Mitgliedern des Königshauses zur Schule gegangen sind und für die es das Normalste der Welt ist, mal eben übers Wochenende nach Monaco zu jetten.
Kiki Spooner, Hauptdarstellerin von Lovin' Essex, sagt dazu: »Wir sind vielleicht nicht so schickimicki wie die Mädels von Made in Chelsea, aber ich gönne ihnen ihren Champagner und ihre vornehmen Clubs, denn dafür haben wir die süßeren Jungs. Und was TOWIE betrifft: Wir freuen uns, das Rampenlicht mit ihnen zu teilen. Essex ist definitiv groß genug für uns alle.«
Vier der fünf weiblichen Stars von Lovin' Essex waren in eine Unterhaltung vertieft; ihre langen künstlichen Wimpern klimperten aufgeregt.
»Haltet die Klappe! Echt, haltet die Klappe! O mein Gott, ist das idiotisch! Ich hab so die Nase voll von Porsche. Sie bildet sich ein, hier die Oberchefin zu sein, dabei ist sie das echt kein bisschen! Ich kannte sie schon, als sie es diesem DJ von der Beach Box regelmäßig mit dem Mund besorgt hat.« Wie mit einer Kalaschnikow feuerte Shiraz lipglossglänzende Wortsalven durch den Raum.
Die anderen nickten zustimmend. Sie sehen aus wie Barbie- Puppen im Regal eines Spielzeugladens, dachte Zac. Lena und Minx zum Beispiel, seine atemberaubenden Schwestern. Sie waren Zwillinge und bis auf einen minimalen Unterschied in Schnitt und Farbton ihrer Haare und Klamotten absolut identisch. Lenas pinkfarbene Extensions reichten ihr bis zur Hüfte, sie trug wie üblich Girlie-Pastelltöne. Minx dagegen hatte eine hellrosafarbene Pagenfrisur. Sie war eher der burschikose Typ - zumindest das, was sie für burschikos hielt: komplettes Make-up, hautenge Denim-Shorts und Sportschuhe mit zehn Zentimeter Keilabsatz.
Zacs Freundin Kiki war die Variante Sexy-Barbie: eine Brünette mit Smokey Eyes, die die Rolle der ungezähmten Draufgängerin spielte. Dann war da noch Glamour-Barbie Porsche, die heute nicht mit am Set war, was den anderen die perfekte Gelegenheit zum Ablästern gab. Porsche brüstete sich (im Wortsinn) gern damit, dass sie ihre Ausstattung regelmäßig in sämtlichen Klatschmagazinen öffentlich zur Schau stellte.
Die rassige Shiraz war die Domina-Barbie: pechschwarze Locken, kurzer Lederrock, Besitzerin eines Beauty-Spas, das ihr Vater finanzierte, ein Immobilienmogul, dem mehr Häuser und Grundstücke gehörten als der Stadt. Shiraz' Spa war eine Art Heimathafen für die Mädels und natürlich die beste Adresse für Extensions, falsche Wimpern, Gelnägel und künstliche Sonnenbräune.
Für eine Reality Show, die inzwischen über eine Million Zuschauer pro Folge hatte, war bei Lovin' Essex nicht allzu viel real, aber genau das hatte Zac immer beeindruckt. Diese Mädels wussten was aus sich zu machen. Sie sahen sensationell aus, und die meisten waren auch noch richtig süß. Er kannte Shiraz und Porsche seit Ewigkeiten, weil sie schon als kleine Mädchen mit seinen Schwestern befreundet gewesen waren. Schon damals war Lena immer die Vernünftige, Diplomatische gewesen, und daran hatte sich bis heute nicht viel geändert.
»Es lohnt sich doch nicht, sich darüber aufzuregen!«
Das kam von Lena, die ihren Part als Friedensstifterin innerhalb der Gruppe perfekt spielte. Es gab kein Drehbuch. Jedem Mädchen war eine bestimmte Rolle zugeschrieben, die ihrem tatsächlichen Charakter entsprach.
Shiraz, die Knallharte, war mal wieder auf dem Kriegspfad. »Aber es wird höchste Zeit, dass sie jemand in die Schranken weist. Kommt, lasst uns ins Studio rüberfahren.« Sie sprang auf, dabei rutschte ihr Versace-Mini hoch und gestattete einen kurzen Blick auf ihren goldenen Pailetten-String. »Wenn ich die Schlampe treffe, wird das jedenfalls sehr unangenehm für sie, das schwöre ich euch.«
»Und CUT!« Edwina, die Regisseurin, bellte ihre Anweisung. Alle am Set gehorchten sofort. »Okay, gut gemacht, Mädels. Shiraz, dein Frust ist echt gut rübergekommen.« Sie stand von ihrem Stuhl auf. »Kiki, können wir noch kurz reden, Schätzchen? Zac, mein heißer Hengst, kommst du auch mit?«
Zac zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Er hoffte nur, dass Edwina nicht wieder versuchte, ihn zum Mitmachen in der Show zu bewegen. Sie sagte dauernd, mit seinem Body sei er ein echter Quotentreiber, aber das kam für ihn nicht infrage. Schon der Gedanke an die Publicity war ihm ein Graus. Er wollte definitiv im Hintergrund bleiben. Auch heute war er nur am Set erschienen, weil er Lena und Minx zum Shoppen abholen wollte. Sie mussten ein Geburtstagsgeschenk für Tante Dottie besorgen.
Sie folgten Edwina in eines der Nebenzimmer, einen Massage- raum, in dem esoterische Musik dudelte, obwohl kein Mensch da war. Zac kam sich vor, als müsste er ins Büro der Schuldirektorin, dabei war er sich gar keines Verstoßes gegen die Schulordnung bewusst. Edwina hatte so was Autoritäres, schon allein durch ihre Größe, die stämmige Figur und die kurzen dunklen Haare mit den grauen Strähnchen. Eine Sünde, dass sie sie nicht färben ließ. Machte sie um Jahre älter, dabei war sie höchstens dreißig. Sie war auch nicht geschminkt. Und diese Nase konnte nun wirklich ein bisschen Abtönung vertragen . . .
Verdammt, er war viel zu viel mit den Mädels zusammen. Er wurde ja schon richtig bilingual: fließend Englisch und Max Factor.
Edwina hingegen sprach gerade reinstes Londonerisch. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und verlangte ihre gesamte Aufmerksamkeit.
»Ich komme gleich zur Sache. Wir haben schon wieder so einen beschissenen Brief bekommen. Wir haben ihn gleich an die Polizei weitergeleitet, weil ein Foto von deiner Buchsignierung letzte Woche dabei war, Kiki.«
Kiki fing an zu zittern. »Zeig mal.«
»Ich glaube nicht . . .«, begann Edwina.
»Ich möchte ihn sehen. Bitte.«
Edwina nahm eine schwarze Kladde vom Counter hinter sich, blätterte kurz darin und zog ein Din-A4-Blatt heraus. In der Mitte war deutlich ein Bild von Kiki zu erkennen: Sie saß im Lakeside Shopping Center bei Waterstones an einem Tisch, vor sich einen Stapel Lovin'-Essex-Weihnachtsbücher. Das Foto stammte vom vergangenen Mittwoch. Zac wusste das so genau, weil er auch dort gewesen war. Und er war unschwer zu erkennen. Er stand direkt hinter Kiki und sah aus wie einer der Security- Typen, die ihr Management angeheuert hatte.
Aber es war nicht das Bild, das ihn so besorgte, es waren die Worte, die darüberstanden, zusammengesetzt aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben.
Stirb, Bitch! Stirb!
3. Kapitel
Tallis Mutter bedachte sie mit einem derart tödlichen Blick, dass sich Tallis Zehennägel in den Burberry Biker Boots zusammenkrallten.
Zumindest deutete sie es als tödlichen Blick. Seit der OP zwei Wochen zuvor hatte Arabella Caston-Jones' Gesicht immer den gleichen Ausdruck, egal ob sie gerade wütend, glücklich, ängstlich oder traurig war. Es war wie zu einer Maske erstarrt und so geschwollen, dass es bestürzenderweise dem eines Kugelfisches nicht unähnlich war. Mit einem menschlichen Gesicht hatte es jedenfalls noch immer nicht die geringste Ähnlichkeit, schon gar nicht mit dem ihres Idols Carole Middleton, Mutter des jüngsten Neuzugangs des englischen Königshauses. Offenbar hatte der Schönheitschirurg einen kurzen Blick auf das Foto geworfen (ein Bild aus der Daily Mail, das die Familien Windsor und Middleton bei Wills und Kates Hochzeit zeigte), das Arabella ihm bei ihrem ersten Besuch vor die Nase gehalten hatte, und fälschlicherweise angenommen, seine neue Patientin böte ihm mehrere Tausend Pfund ihres Barvermögens für die Umwandlung in Prince Andrew.
»Tallulah, wie konnte das passieren? Die Carltons weigern sich, ihre Rechnung zu begleichen. Sie behaupten, sie hätten dem Dorchester Hotel ein Vermögen als Entschädigung zahlen müssen, und die kleine Cosima sei so verstört, dass sie in ihr Haus auf den Bahamas flüchten musste. Die arme Kleine! Du weißt, wie empfindlich dieses Kind ist.«
Talli biss die Zähne zusammen, um die Bemerkung, die ihr auf den Lippen lag, irgendwie zurückzuhalten. Die arme Kleine? Cosima war eine unerzogene, verwöhnte Göre, die ein Riesentheater veranstaltet hatte, nur weil Tabitha Deloite, ihre beste Exfreundin (mit großem E wie Edelschlampe), auf ihrer Geburtstagsparty dasselbe Kleid angehabt hatte wie sie: einen abgefahrenen knallroten Dior-Fummel, der mehr gekostet hatte, als das gesamte anwesende Catering-Personal in einem halben Jahr verdiente. Für jede andere wäre das eine kleine Panne an einem ansonsten sensationellen Abend gewesen. Aber nicht für die arme kleine Cosima. O nein! Man hatte ihre spitzen Schreie noch in weit entfernten Londoner Stadtteilen hören können, ebenso die Sirenen des Löschzugs, der sich in Bewegung gesetzt hatte, nachdem die arme kleine Cosima in ihrem Wutanfall einen ihrer Jimmy Choos gegen die Wand geschleudert und dadurch den Feueralarm ausgelöst hatte.
Die Hotelleitung hatte sich daraufhin gezwungen gesehen, alle Gäste zu evakuieren, darunter auch drei amerikanische Rapper, verschiedene Kabinettsmitglieder und Gwyneth Paltrow.
Alle, außer der armen kleinen Cosima, die sich mit mehreren Gramm Kokain und einer Flasche Tequila in ein Bad verzogen hatte und dort erst entdeckt wurde, nachdem ihr Vater eine Suchaktion verlangt und angedroht hatte, notfalls ein Spezialistenteam des Geheimdienstes anzufordern. Das konnte man offenbar, wenn man so jemand Wichtiges im Verteidigungsministerium war wie er.
Talli hatte sich jedenfalls schon im Knast gesehen, in Guantanamo oder wohin auch immer die britische Regierung Leute schickte, die sie so richtig ankotzten.
Zugegeben: Sie hatte blöderweise eine der heiligsten Regeln der Party-Organisation missachtet: das Outfit des Gastgebers unter allen Umständen geheim zu halten - notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens. Da half es auch nicht, dass das Debakel weiter eskaliert war. Tabitha hatte nämlich über Facebook, Twitter und E-Mail - genau genommen war das einzige Kommunikationsmittel, das sie ausgelassen hatte, ein Flugzeug mit einem Spruchband - verbreitet, dass ihr das Kleid viel besser gestanden habe als Cosima. Ach, und danke an das nette Mädchen von der Veranstaltungsagentur, das ihr das Foto von dem Kleid des Geburtstagskinds geschickt habe . . .
Talli war nicht sicher, was mehr schmerzte - die Tatsache, dass die Party so ein Desaster gewesen war, oder die Schmach darüber, dass sie sich von einer Achtzehnjährigen so hatte hinters Licht führen lassen. Aber diese Tabitha hatte sich am Telefon so überzeugend angehört. Und irgendwie traf auch Cosima eine gewisse Teilschuld. Wenn sie sich nicht dabei hätte erwischen lassen, als sie es Tabithas Freund in der Marmortoilette des Privatjets der Carltons besorgte, wäre das alles nicht passiert.
Gott, seit wann sind schon Teenies so bösartig?, überlegte Talli und seufzte frustriert.
Ihre Mutter setzte nun ihr ungeduldiges Gesicht auf. Vermutlich. Jedenfalls kam Talli zu dem Schluss, dass es keinen Sinn machte, einen Streit vom Zaun zu brechen, der zu einer Familienfehde und möglicherweise zum Aufreißen der Naht hinter den Ohrläppchen ihrer Mutter führen würde.
»Tut mir leid, Mum, aber du weißt doch, dass ich in so was nicht besonders gut bin.«
Arabella betrachtete ihre Tochter mit offener Enttäuschung. Oder war es Mitleid?
»Wag es ja nicht, wieder mit diesem Unsinn anzufangen«, zischte sie. »Grand Affairs braucht dich jetzt, Darling.« Also doch Enttäuschung.
Das vierte Kind ihrer Mutter, die Veranstaltungsagentur. Grand Affairs of Chelsea (ja, über die Website kamen auch Anfragen von zweiundzwanzigjährigen Damen, die einen Wohltäter aus einem der begehrtesten Viertel Londons suchten) war ein weiteres Phänomen im Leben der Familie Caston-Jones, das sie den Royals verdankten. Arabella hatte glücklich und zufrieden eine kleine, feine Hobby-Event-Agentur betrieben und hauptsächlich exklusive Partys für Freunde organisiert - bis Carole Middleton aufgetaucht war. Seit diesem Tag war Arabellas Ehrgeiz erwacht, und sie tat alles, um immer größere und Aufsehen erregendere Aufträge an Land zu ziehen. Dabei griff sie, wann immer nötig, auf Tallis Hilfe zurück.
»Ich erinnere dich nur daran, dass wir eine Familie sind. Da hilft man sich gegenseitig in Zeiten der Not . . .«
Und der misslungenen Schönheitsoperationen. Das sprach Talli natürlich nicht laut aus. Ebenso wenig wie die Frage, warum sie die Einzige der Geschwister war, die dauernd aushelfen musste. Okay, sie war aktuell arbeitslos, zumindest im strengen Arbeiten- gleich-Geld-verdienen-Sinn. Nachdem sie vor zwei Jahren die Uni mit einem Sportdiplom verlassen hatte, hatte sie für ein Sozialprojekt gearbeitet, das sich um Jugendprogramme und Gesundheitseinrichtungen in Äthiopien kümmerte. Seit sie von dort zurück war, hatte sie nichts wirklich geschafft. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Erwerb einer Zusatzqualifikation als Lehrerin und ehrenamtlichen Trainerjobs, die ihren Lebenslauf etwas aufhübschten. Sie hatte sich nämlich bei insgesamt siebenundzwanzig Fußball-, Rugby-und Tennisvereinen beworben und nur eine einzige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommen - von einem Footballteam in Bolton, dessen Manager sie als Schickimickimieze bezeichnet hatte und überrascht gewesen war, dass sie einen Torschuss von einer Leistenzerrung unterscheiden konnte. Sie hatte den Job nicht bekommen.
Ihr Bruder Persimmon hatte wenigstens eine Entschuldigung, warum er ihrer Mutter nicht zu Hilfe kam: Schließlich war er Stellvertretender Vorstandsvorsitzender bei Gambond Paper, dem größten Toilettenpapierhersteller des Landes und seit fünf Generationen im Besitz der Familie seiner Verlobten, der TV- Regisseurin Edwina Gambond. Tallis einundzwanzigjährige Schwester Dessi (eigentlich Desdemona) war ununterbrochen damit beschäftigt, sich selbst zu finden. Bisher hatte sie herausgefunden, dass sie Kaffeetrinken und Champagnerfrühstück in den schicken kleinen Bistros an der King's Road liebte und Wochenenden in Cap Ferrat. Talli hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Dessi derselben Meinung war wie ihre Mutter: dass nur Talli den Job übernehmen könne. So war es immer gewesen. Ihre Geschwister waren durchsetzungsfähig, selbstbewusst und zielstrebig, während Tallis Entschlusskraft eher die Konsistenz von Zahnpasta hatte. Schon allein um des lieben Friedens willen wollte sie es immer allen recht machen. Allerdings hatte sie das Gefühl, dass ihr das im Augenblick nicht so gut gelang.
»Bambi Abercrombie war auch auf der Party und hat alles hautnah mitbekommen«, fuhr Arabella fort. »Jetzt haben die Abercrombies ihre Weihnachtsfeier storniert. Ich muss dir nicht sagen, dass es sich dabei um unseren größten Event handelt.«
Talli schwankte zwischen der Sorge, dass die Nähte jeden Augenblick aufreißen könnten, und dem Wunsch, vor Freude einen Luftsprung zu machen. Damit blieben bis Weihnachten nur noch ein paar kleinere Veranstaltungen - Nullachtfünfzehn- Geburtstagsfeiern, die selbst sie nicht so leicht vermasseln konnte.
Eine unangenehme Pause entstand, deren Stille nur kurz durchbrochen wurde, als ihre Mutter den Fellüberwurf richtete, der lässig über die Louis-XVI-Chaiselongue drapiert war. Würde Marie Antoinette heute leben, in einem eleganten Stadthaus am Chelsea Square wohnen, Halston tragen und eine obsessive Leidenschaft für plastische Chirurgie entwickeln - ihr Name wäre Arabella Caston-Jones.
Talli bemerkte, dass Marie Antoinette noch immer weiterredete. »Natürlich bin ich nicht sehr erfreut darüber, dass sie ihre Feier nun von jemand anderem organisieren lassen wollen. Aber vielleicht ist es am Ende ein Segen. Persimmon hat nämlich heute Morgen angerufen. Er ist völlig aus dem Häuschen. Wie du weißt, haben er und Edwina sich in den Kopf gesetzt, auf Highdrow Castle zu heiraten. Leider gibt es dort eine dreijährige Warteliste . . .«
Talli nickte vorsichtshalber. Insgeheim fragte sie sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis sie sich unter irgendeinem Vorwand entschuldigen und aus dem Schussfeld retten konnte.
»Wie auch immer, es gab offenbar eine Absage eines anderen Pärchens, und Lord Highdrow muss sich an mich erinnert haben. Wir hatten eine kurze Affäre, ehe ich deinen Vater kennengelernt habe. Und jetzt können Edwina und Simmy . . .«
Talli frohlockte innerlich. Das würde nicht nur das Carlton- Debakel neutralisieren, ihre Mutter würde sich ab sofort so sehr in die Hochzeitsvorbereitungen stürzen, dass sie sich ihrem anstrengenden Regiment bestimmt etwas entziehen konnte.
»Guten Morgen! Wie geht es meinen beiden Lieblingsdamen?«
Persimmons ölige Stimme brachte das Gesicht ihrer Mutter zum Strahlen. Vielleicht. Schwer zu sagen.
»Persimmon, mein Liebling, wie schön, dich zu sehen. Oh, dieser Anzug ist einfach göttlich.«
Persimmon küsste Talli auf die Wange und zwickte sie kurz in die Schulter. Sie schüttelte den Kopf. Ihr Bruder war zweifellos das Lieblingskind ihrer Mutter, eine Position, auf die Talli sehr gern verzichtete. In dieser Familie war es definitiv ein Segen, nicht so sehr im Fokus zu stehen. Aber der arme Simmy kam mit dem Erwartungsdruck ganz gut klar. Er war nicht unbedingt gut aussehend, konnte das aber mit seinem Humor und seinem Geschäftssinn mit Leichtigkeit ausgleichen. Außerdem hatte er durch die Beziehung zu Edwina, der Alleinerbin des Toilettenpapierimperiums, viele Zusatzpunkte gesammelt. Die beiden Familien besaßen benachbarte Sommerhäuser in Brighton, ein Strandhauskuss mit vierzehn hatte eine Beziehung gezündet, die auch heute noch hielt.
Persimmon begrüßte seine Mutter mit einem Kuss, der nach Tallis Einschätzung ein paar Zentimeter über ihrem Kopf landete. Vermutlich war es klüger, ohne Krankenschwester in der Nähe oder zumindest einer Packung antiseptischer Tücher, vorerst Abstand zu Arabella zu halten.
Seufzend ließ Simmy sich in ein vergoldetes Louis-XVI-Sesselchen fallen und legte seine teuer beschuhten Füße auf einen Beistelltisch, der aus Napoleons Kleinkindzeit stammen musste.
»Hast du Talli die Neuigkeiten schon mitgeteilt, Mum?«
»O ja, hat sie. Äh . . . herzlichen Glückwunsch.« Talli grinste. »Eine Hochzeit in Highdrow ist wirklich großartig.«
»Ich wusste, dass du es so sehen würdest. Danke, Talli. Du bist ein echter Fels in der Brandung.«
Ein seltsam ungutes Gefühl sagte ihr, dass ihr irgendetwas entgangen sein musste. Noch vor wenigen Tagen hatte man sie als Star bezeichnet, und das hatte böse geendet. Jetzt war sie plötzlich ein Stein?
»Ja, zu dem Teil wollte ich gerade kommen.« Arabella drehte sich langsam zu Talli um. »Es gibt einen kleinen Haken an der Sache. Die Hochzeit soll Heiligabend stattfinden.«
»Aber das ist fantastisch! Ein perfekter Tag für eine Hochzeit - und wir haben doch seit Neuestem beste Kontakte zu Eisskulpturenherstellern. «
Talli dachte an die übrig gebliebenen Dekoteile. Na ja, vielleicht passten Iglus und heulende Wölfe doch nicht so recht zum Anlass.
»Es geht nur so schnell«, meinte Simmy entschuldigend.
Talli runzelte erstaunt die Stirn. Vierzehn Monate waren hinreichend Zeit für die Planung einer Hochzeit. Ihre Mutter würde in ein paar Wochen wiederhergestellt sein, und dann konnte sie sich das gesamte nächste Jahr um die Hochzeit kümmern.
Talli sah ihre Mutter fragend an. »Ich verstehe nicht so ganz.«
»Tallulah, zieh die Stirn nicht so in Falten. Du solltest wirklich mal über Botox nachdenken. Wie auch immer . . . Heiligabend ist vielleicht nicht ideal, aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an die Arbeit zu machen. Du übernimmst die Sache. Ich würde ja helfen, aber ich fahre morgen in die Schweiz. Wenn ich in acht Wochen unter die Menschheit gehen soll, muss ich jetzt dringend ins Spa.«
Acht Wochen?
Talli wiederholte es in Gedanken ein paarmal und hoffte, sie würde endlich statt zu hyperventilieren begreifen. Heiligabend. Sie meinte tatsächlich dieses Jahr Heiligabend. Und offenbar wurde sie mit den Vorbereitungen allein gelassen, weil ihre Mutter ins Spa verschwand - ein Deckname für eine sündhaft teure Schweizer Klinik, in der sie hungerte, sich reinigte und sich Fettzellen von Schafen ins Gesicht spritzen ließ.
»Darling, mach dir keine Sorgen, du kriegst das schon hin. Wenn Pippa Middleton es geschafft hat, den ganzen Weg zum Altar zu laufen, ohne dem Erzbischof von Canterbury vor die Füße zu fallen, wirst du ja wohl eine simple Hochzeit organisieren können. «
Eine simple Hochzeit. Der Gedanke gab Talli Hoffnung. Vielleicht sollte es eine ganz kleine Feier werden, nur die engste Familie und der Schweizer Arzt ihrer Mutter.
»Wir werden nur zweihundert Gäste einladen«, informierte Persimmon sie mit lässiger Handbewegung. »Ach, und Schwesterherz, vielleicht buchst du sicherheitshalber schon mal die Tauben. Edwina wünscht sich für jeden Gast eine. Blöde Idee. Diese Viecher scheißen alles voll.«
Talli schloss gequält die Augen. Die Tauben waren noch gar nicht da, und sie fühlte sich schon jetzt total beschissen.
Aus dem Englischen von Barbara Ritterbach
2014 by Bastei Lübbe AG, Köln
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Shari Low
- 2014, 352 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Barbara Ritterbach
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404168771
- ISBN-13: 9783404168774
- Erscheinungsdatum: 14.02.2014
Rezension zu „Ring frei für die Liebe “
"Köstlich geht es in Shari Lows neuem Taschenbuch-Roman zu!" Evangelische Gemeinde-Magazine der Nordkirche
Kommentar zu "Ring frei für die Liebe"
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