Rot und Schwarz
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Rot undSchwarz von Stendhal
LESEPROBE
DAS KRÄHEN DES HAHNS
Wäre Julien nur halb so schlau gewesen,wie er grundlos meinte, dann hätte er sich am nächsten Tag zur Wirkung seinesAusflugs nach Verrières gratulieren können. SeineAbwesenheit hatte seine Ungeschicklichkeiten vergessen lassen. Auch an diesemTag war er ziemlich mürrisch; gegen Abend kam ihm ein lachhafter Einfall, under verriet ihn Madame de Rênal mit erstaunlicherKühnheit. Kaum saßen sie im Garten, da näherte Julien, ohne die Dunkelheitabzuwarten, seinen Mund Madame de Rênals Ohr undsagte, auf die Gefahr hin, sie entsetzlich zu kompromittieren:»Madame, heute nacht um zwei komme ich in Ihr Zimmer, ich muß Ihnen etwas sagen.«Julien zitterte, seine Bitte könnteerfüllt werden; die Verführerrolle war ihm eine so schreckliche Last, daß er sich am liebsten für mehrere Tage in sein Zimmerzurückgezogen und die Damen nicht mehr gesehen hätte. Er begriff, daß er durch sein so klug geplantes Betragen von gesternall die guten Eindrücke des vorangegangenen Tages verdorben hatte, und er wußte nicht mehr aus noch ein.Madamede Rênal antwortete mit ehrlicher, kein bißchen übertriebener Entrüstung auf die unverschämte Ankündigung,die Julien ihr zu machen wagte. Er glaubte, aus der knappen Antwort Verachtungherauszuhören. Ganz gewiß war in dieser sehr leisegesprochenen Antwort der Ausdruck Pfui Teufel gefallen. Unter dem Vorwand, denKindern etwas sagen zu müssen, ging Julien in deren Zimmer, und als erzurückkam, setzte er sich neben Madame Derville undweit weg von Madame de Rênal. Auf diese Weise raubteer sich jede Möglichkeit, ihre Hand zu ergreifen. Die Unterhaltung war ernst,und Julien schlug sich recht gut, bis auf ein paar Augenblicke, in denen alleschwiegen und Julien sich das Hirn zermarterte. Kann ich nicht irgendeineschöne List finden, sagte er sich, und Madame de Rênalzwingen, mir wieder diese eindeutigen Zeichen der Zuneigung zu geben wie vordrei Tagen, als ich glaubte, daß sie mir gehört!Der nahezu hoffnungslose Zustand, in den Julienseine Sache gebracht hatte, verstörte ihn zutiefst. Dennoch hätte ihm nichtsgrößere Verlegenheit bereitet als der Erfolg.Als manum Mitternacht auseinanderging, überzeugte ihn seinPessimismus, daß er Madame DervillesVerachtung genoß und bei Madame de Rênal vermutlich in kaum höherer Gunst stand. In übelsterLaune und zutiefst gedemütigt, fand Julien keinen Schlaf. Er war meilenweit vondem Gedanken entfernt, auf alle Finten und Pläne zu verzichten, mit Madame de Rênal in den Tag hineinzulebenund sich wie ein Kind mit dem Glück zu begnügen, das jeder Tag bringen würde.Er zerbrach sich den Kopf und ersann eine geschickteList nach der anderen, im nächsten Augenblick kamen sie ihm töricht vor; erwar, mit einem Wort, sehr unglücklich, als die Schloßuhrzwei schlug.Dieses Geräusch schreckte ihn auf, wiedas Krähen des Hahns Petrus aufgeschreckt hat. Jetzt sah er den schlimmstenAugenblick gekommen. Er hatte an sein unverschämtes Angebot nicht mehr gedacht,seit er es ausgesprochen hatte; es war so schlecht aufgenommen worden!Ich habe ihr gesagt, daßich um zwei komme, sagte er sich und stand auf, ich bin vielleicht unerfahrenund grob, wie es sich für einen Bauernsohn gehört, Madame Dervillehat es mir oft genug zu verstehen gegeben, aber ich werde wenigstens nichtschwach sein. Julien durfte sich mit gutem Grund zu seinem Mut gratulieren,noch nie hatte er sich einen schlimmeren Zwang auferlegt. Als er seine Türöffnete, zitterte er so sehr, daß die Knie ihmversagten, und er mußte sich an die Wand lehnen.Er trug keine Schuhe. Er schlich zu Monsieur de Rênals Tür und lauschte, er hörte ihn schnarchen. Er warverzweifelt. Es gab keinen Vorwand mehr, nicht zu ihr zu gehen. Großer Gott!Was sollte er dort tun? Er hatte keinen Plan, und selbst wenn er einen gehabthätte, er war so durcheinander, daß er nicht imstandegewesen wäre, ihn zu befolgen.Tausendmal gräßlicher leidend, als wenn er in den Tod gegangen wäre,betrat er endlich den kleinen Flur, der zu Madame de RênalsZimmer führte. Mit zitternder Hand öffnete er die Tür und machte dabei einengrauenvollen Lärm.Es war hell, eine Nachtlampebrannte im Kamin; auf dieses neue Mißgeschick war ernicht gefaßt. Als Madame de Rênalihn hereinkommen sah, sprang sie entsetzt aus dem Bett. »Unseliger!« rief sie.Dabei geriet eine Kleinigkeit in Unordnung. Julien vergaß seine eitlen Pläneund fiel zurück in seine natürliche Rolle; einer so bezaubernden Frau nicht zugefallen schien ihm das allergrößte Unglück. Er antwortete auf ihre Vorwürfe,indem er sich ihr zu Füßen warf, ihre Knie umschlang. Und da sie mit großerHärte zu ihm sprach, brach er in Tränen aus.Ein paarStunden später, als er Madame de Rênals Zimmerverließ, gab es für Julien, wie man im Stil von Romanen sagen könnte, nichtsmehr zu wünschen. Er verdankte der Liebe, die er geweckt hatte, und demüberraschenden Eindruck, den verführerische Reize auf ihn gemacht hatten, einenSieg, zu dem all seine dumme Schlauheit ihn nie geführt hätte.Abernoch in den süßesten Augenblicken war er das Opfer eines aberwitzigen Stolzes,und er versuchte die Rolle eines Mannes zu spielen, der es gewohnt ist, Frauenzu erobern: Er gab sich eine schier unglaubliche Mühe, alles zu verderben, wasliebenswert an ihm war. Anstatt auf die Leidenschaft zu achten, die erhervorrief, und auf die Reue, die diese noch steigerte, hatte er unablässig denGedanken an seine Pflicht vor Augen. Er fürchtete schreckliche Reue und ewigeLächerlichkeit, wenn er abwich von dem idealen Bild, dem er unbedingt folgenwollte. Mit einem Wort, gerade das, was Julien zu einem höheren Wesen machte,hinderte ihn daran, das Glück zu genießen, das vor seinen Füßen lag. Er war wieein junges Mädchen von sechzehn Jahren, das eine bezaubernde Gesichtsfarbe hatund so verrückt ist, wenn es tanzen geht, Rouge aufzulegen. Zu Tode erschrockenbei Juliens Erscheinen, wurde Madame de Rênal gleichdarauf von den gräßlichsten Ängsten gepackt. JuliensTränen und seine Verzweiflung brachten sie vollkommen durcheinander.Selbstals sie ihm nichts mehr zu verweigern hatte, stieß sie Julien mit ehrlicherEntrüstung von sich und warf sich ihm sofort wieder in die Arme. Hinter diesemVerhalten stand keinerlei Plan. Sie glaubte sich unwiderruflich verdammt undwollte das Bild der Hölle verdrängen, indem sie Julien mit den stürmischstenZärtlichkeiten überhäufte. Mit einem Wort, nichts hätte unserem Helden zuseinem Glück gefehlt, nicht einmal die glühendstenGefühle der Frau, die er gerade erobert hatte, wenn er nur verstanden hätte,all das zu genießen. Als Julien gegangen war, verebbte die Leidenschaft nicht,die sie gegen ihren Willen durchströmte, und ebensowenigihr Kampf mit der Reue, die ihr das Herz zerriß. MeinGott! Glücklich sein, geliebt werden, mehr ist es nicht? Das war Juliens ersterGedanke, als er sein Zimmer betrat. Er war in jenem Zustand aus Staunen undängstlicher Verwirrung, in den die Seele verfällt, wenn sie etwas langErsehntes erreicht hat. Sie ist an die Sehnsucht gewöhnt, findet nichts mehr,was sie ersehnen könnte, und doch hat sie noch keine Erinnerungen. Wie einSoldat, der von der Parade zurückkommt, ging Julien alle Einzelheiten seinesVerhaltens noch einmal aufmerksam durch. Habe ich nichts versäumt, was ich mirschuldig bin? Habe ich meine Rolle gut gespielt?Undwelche Rolle? Die eines Mannes, der es gewohnt ist, Erfolg zu haben bei denFrauen.
© Hanser Verlag
Übersetzung:Elisabeth Edl
- Autor: Stendhal
- 2004, 872 Seiten, Maße: 12,3 x 19,5 cm, Leinen, Deutsch
- Herausgegeben: Elisabeth Edl
- Übersetzer: Elisabeth Edl
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446204857
- ISBN-13: 9783446204850
- Erscheinungsdatum: 15.03.2004
"Nach 50 Jahren wird diesem Roman endlich wieder eine Neuübersetzung zuteil ... So kommt der psychologische Feinschliff, den der Autor in seinem wichtigsten Buch an den Tag legt, erstmals genau so auf Deutsch zu seinem Recht wie der romantische Überschwang, den er in die Beschreibung der Innenwelt seiner Frauenfiguren gelegt hat. Eine gute Gelegenheit, dieses hinreißend erzählte, spannend komponierte und in so vieler Hinsicht wegweisende Romanwerk der Weltliteratur wiederzulesen." Iris Alanyali, Die Welt, 20.03.04
"Eine Seele unter Hochdruck: Stendhals "Rot und Schwarz", endlich adäquat übersetzt. Vorsicht, explosiv! müßte man diesem Helden, der wirklich einer ist, als Warnhinweis mitgeben. [...] Diesorgfältige Neuübersetzung von Elisabeth Edl bringt den Farbkontrast endlich auch im Deutschen zur Geltung. Erstmals ist die Lakonie der Sprache von "Rot und Schwarz" zu genießen, ohne daß eine anachronistische Modernisierung der Preis dafür wäre. Historisch korrekt und zugleich so frisch, wie nie zuvor - ein übersetzerischer Balanceakt, der eindrucksvoll geglückt ist." Wolfgang Schneider, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.04.04
"Genialisch ist alles an "Rot und Schwarz"... Diese Neuübersetzung war nötig." Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 22.03.04
"Die Neuausgabe von Stendhals "Rot und Schwarz" lässt keine Wünsche offen" Andreas Isenschmid, Die Zeit, 09.06.04
"Ein Schlüsselwerk der Moderne liegt endlich in adäquater neuer Übersetzung vor. ... ein großer Wurf, dessen Ruhm bis heute mit Recht sein gesamtes Werk überstrahlt. Stendhal adäquat ins Deutsche übertragen zu haben, ist das große Verdienst der Übersetzerin Elisabeth Edl. Ihr ist die Eingemeindung eines großen Stilisten gelungen,
"Unbedingt und sofort neu zu entdecken: Stendhals Roman "Rot und Schwarz" in der glänzenden Übersetzung Elisabeth Edls führt in die kalten Tiefen der nachnapoleonischen Ära." Martin Zingg, Frankfurter Rundschau, 07.07.04
"Nach 50 Jahren wird diesem Roman endlich wieder eine Neuübersetzung zuteil ... So kommt der psychologische Feinschliff, den der Autor in seinem wichtigsten Buch an den Tag legt, erstmals genau so auf Deutsch zu seinem Recht wie der romantische Überschwang, den er in die Beschreibung der Innenwelt seiner Frauenfiguren gelegt hat. Eine gute Gelegenheit, dieses hinreißend erzählte, spannend komponierte und in so vieler Hinsicht wegweisende Romanwerk der Weltliteratur wiederzulesen." Iris Alanyali, Die Welt, 20.03.04
"Eine Seele unter Hochdruck: Stendhals "Rot und Schwarz", endlich adäquat übersetzt. Vorsicht, explosiv! müßte man diesem Helden, der wirklich einer ist, als Warnhinweis mitgeben. [...] Die sorgfältige Neuübersetzung von Elisabeth Edl bringt den Farbkontrast endlich auch im Deutschen zur Geltung. Erstmals ist die Lakonie der Sprache von "Rot und Schwarz" zu genießen, ohne daß eine anachronistische Modernisierung der Preis dafür wäre. Historisch korrekt und zugleich so frisch, wie nie zuvor - ein übersetzerischer Balanceakt, der eindrucksvoll geglückt ist." Wolfgang Schneider, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.04.04
"Genialisch ist alles an "Rot und Schwarz"... Diese Neuübersetzung war nötig." Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 22.03.04
"Die Neuausgabe von Stendhals "Rot und Schwarz" lässt keine Wünsche offen" Andreas Isenschmid, Die Zeit, 09.06.04
"Ein Schlüsselwerk der Moderne liegt endlich in adäquater neuer Übersetzung vor. ... ein großer Wurf, dessen Ruhm bis heute mit Recht sein gesamtes Werk überstrahlt. Stendhal adäquat ins Deutsche übertragen zu haben, ist das große Verdienst der Übersetzerin Elisabeth Edl. Ihr ist die Eingemeindung eines großen Stilisten gelungen,
"Unbedingt und sofort neu zu entdecken: Stendhals Roman "Rot und Schwarz" in der glänzenden Übersetzung Elisabeth Edls führt in die kalten Tiefen der nachnapoleonischen Ära." Martin Zingg, Frankfurter Rundschau, 07.07.04
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