Rote Grütze mit Schuss / Thies Detlefsen Bd.1
Ein Küsten-Krimi. Originalausgabe
In Fredenbüll (Nordfriesland) leben dreimal so viele Schafe wie Menschen. Dementsprechend ruhig geht es zu - bis Biobauer Brodersen tot aus dem eigenen Mähdrescher gezogen wird. Und dann verschwindet auch noch Frau Ketels spurlos.
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Produktinformationen zu „Rote Grütze mit Schuss / Thies Detlefsen Bd.1 “
In Fredenbüll (Nordfriesland) leben dreimal so viele Schafe wie Menschen. Dementsprechend ruhig geht es zu - bis Biobauer Brodersen tot aus dem eigenen Mähdrescher gezogen wird. Und dann verschwindet auch noch Frau Ketels spurlos.
Klappentext zu „Rote Grütze mit Schuss / Thies Detlefsen Bd.1 “
Mord auf dem DeichFredenbüll in Nordfriesland hat drei Deiche, 176 Einwohner (inklusive Adelsfamilie), 600 Schafe (Bio!), Bäcker Hansen, Frisörsalon Alexandra, die Kneipe »De Hidde Kist«, eine Feuerwehr und eine Polizeistation mit Polizeiobermeister Thies Detlefsen.
Noch. Denn die kleine Wache ist vom Rotstift des Kieler Innenministeriums bedroht, und Thies setzt alles daran, die Kriminalitätsrate im Kreis hochzuhalten. Hinter jedem toten Schaf wittert er das Werk militanter Ökoaktivisten und bei Falschparkern geht er schon mal von Selbstmordattentätern aus. Doch dann liegt Biobauer Brodersen höchst unappetitlich zugerichtet im eigenen Mähdrescher. Gleichzeitig verschwindet die Gattin von Versicherungsvertreter Ketels spurlos. Ist das friedliche Fredenbüll ein Hort brutalster Kriminalität?
Lese-Probe zu „Rote Grütze mit Schuss / Thies Detlefsen Bd.1 “
Rote Grütze mit Schuss von Krischan Koch1
»Wenn du 'ne Linie ziehst zwischen Amsterdam und Kopenhagen, dann liegt Fredenbüll genau auf der Mitte «, sagt Klaas, der in Fredenbüll die Post austrägt. »Jo, is so.«
Er demonstriert das immer wieder gern anhand eines Bierglases zwischen zwei Jägermeisterfläschchen an einem der beiden Stehtische in dem Fredenbüller Imbiss »De Hidde Kist«.
»Genau genommen zwischen Reusenbüll und Neutönninger Siel«, wendet Piet Paulsen ein, Landmaschinenvertreter im Ruhestand.
Aber das spielt eigentlich keine Rolle, denn für die Fredenbüller ist es der Mittelpunkt der Welt. Der Ort hat drei Deiche, hundertsechsundsiebzig Einwohner, einschließlich einer echten Adelsfamilie, aber ohne die drei Wochenendhäuser, und sechshundert Schafe, hauptsächlich Bio. Es ist alles da, was man braucht: Edeka mit Lotto/Toto, Filiale vom Bäcker Hansen aus Husum, »Salon Alexandra« und natürlich »De Hidde Kist«, wo Wirtin Antje »Internationale Spezialitäten « serviert, vom »Halben Brötchen mit herzhaftem Landmett« über Sauerfleisch in Gelee bis zum »Putenschaschlik Hawaii«. Neuerdings gibt es auch Croque.
»Wird aber noch nich so angenommen«, klagt Antje. »Alle woll'n immer nur meine Rote Grütze mit Schuss.«
Für einen Kammermusikabend auf dem Gut der von Rissens musste Antje kürzlich sogar siebzig Portionen ihrer Roten Grütze anliefern. »Könnt ich mich reinsetzen, in Antje ihre Rode Grütt«, sagt Klaas.
»Jo, is mal wat anderes«, findet auch Piet Paulsen.
... mehr
Fredenbüll hat auch eine Polizeistation. Noch. Und Polizeiobermeister Thies Detlefsen will, dass das so bleibt. Die kleine Wache neben der Freiwilligen Feuerwehr in dem Backsteinbau ist nämlich vom Kieler Rotstift bedroht.
»Ich hab dat Schreiben mal dabei. Hier, Briefkopf, direkt vom Innenminister in Kiel.«
»Na, wat will er denn?«, fragt Klaas. »Antje, machst für Thies erst mal 'n Bier.«
»Hier«, Thies Detlefsen liest langsam vor, »im Zuge einer Weiterentwicklung der Sicherheitsstrukturen im ländlichen Bereich ist eine Zentralisierung regionaler Polizeiposten geplant.«
»Dat hört sich irgendwie nich gut an«, findet auch Antje und zieht energisch den Frittierkorb mit einer Portion Pommes aus dem heißen Fett.
»Dabei hatten sie mir letztes Jahr sogar 'n neues Dienstfahrzeug in Aussicht gestellt.«
»Erst ham sie Klaas sein Postamt plattgemacht und jetzt ... Dat is 'ne Sauerei.« Landmaschinenvertreter a. D. Piet Paulsen zieht die Lederweste, die er das ganze Jahr trägt, stramm, nimmt zwei leere Flachmänner von Stehtisch zwei und stellt sie zu Antje auf den Glastresen.
»Dabei is dieWache mit einem Mann kaum zu schaffen. « Thies setzt seinen Kuhblick auf. Thies Detlefsen sieht eigentlich gut aus in seiner knapp sitzenden Polizeiuniform. Er ist ein Kerl von einem Mann. Kantiger Kopf, kantiges Kinn, kurzgeschnittenes blondes Haar mit hochgegeltem kleinem Struppelspoiler vorne. Die Frisur mit dem Frontigel stammt aus dem »Salon Alexandra«. Aber wenn Thies nach ein paar Bieren nachdenklich wird, bekommt er diesen leichten Kuhblick.
»Na ja, Thies, bist bei der Arbeit auch manchmal 'n büschen übergenau«, sagt Klaas.
»Wat denn, ich hab mein Schreibtisch so hoch mit Akten liegen.« Detlefsen hebt die Hand in Höhe des Bügelverschlusses seiner Bierflasche. »Alles ungelöst.«
»Ja, ja, Thies, neulich dat tote Schaf. Wie war das? Anschlag militanter Ökoaktivisten? Hör auf!«
»Moment, nee, nee, dat war die internationale Futtermittelmafia. Aber ohne Soko hast du dagegen keine Chance.«
»Komm, Thies, nu chill erst mal 'n büschen runter.«
Chillen, das ist das Neuste, was Antje draufhat. Bei Antje ist sowieso alles gerade im Umbruch. Seit der letzten WM hängt gegenüber der Dunstabzugshaube ein 46-Zoll-Flachbildschirm, sehr zur Freude der drei bis vier männlichen Stammkunden, die die meiste Zeit des Jahres bei Antje verbringen. Champions League, Euro League, Pokal, Bundesliga sowieso und zwischendurch immer mal ein kühles Getränk. Aber dann gibt es auch noch eine neue Speisekarte und neue Beleuchtung. Antje hat auf Energiesparröhren umgerüstet. »Machen irgendwie ungemütliches Licht«, findet Klaas. Und jetzt will Antje die »Hidde Kist« umbenennen - in »Croque Lagune«. Neue Leuchtschilder sollen angeblich schon bestellt sein. Damit will sie an die Durchreisenden nach Sylt, Föhr und Amrum ran. »Nur mit Schaschlik kann ich denen nich mehr kommen. «
Nicht nur Antje, auch ihr Hund, Schäfermischling Susi, hat die Ernährung umgestellt.
»Ja, wo ist die Susi?! Susi komm, hier, kriegst 'n Stück Schaschlik!« Piet Paulsen pult ein Fleischstück von seinem Spieß und hält es dem Hund hin. Susi schnuppert interessiert und wendet sich dann ab. »Da is nix zu machen!« Die vollschlanke Antje zuckt resigniert mit den Schultern. »Sauerfleisch, Frikadellen, hat sie doch früher so gern gefressen, rührt sie alles nicht mehr an, seit sie neulich diese Fleischvergiftung hatte.«
»Fleischvergiftung?« Klaas wird leicht mulmig.
»Dabei waren die Schinkenknacker mit Paprika erst zwei Wochen über das Verfallsdatum raus ... Aber drei Pakete auf einmal, das war einfach zu viel.«
»Und seitdem ist der Hund Vegetarier, oder was?«,
fragt Paulsen mit heiserer Raucherstimme. »Ja, kann man so sagen ... Pommes, mal die Reste
vom Kartoffelsalat. Darf aber kein Speck drin sein.« Die Mischlingshündin stellt die Ohren auf. »Ja, Susi, Kartoffelsalat, fein!«
»Antje, sieh lieber zu, dass du dein Frittierfett mal wieder gewechselt kriegst«, brummt Detlefsen. »Komm, lass ma, war wieder eins a dat Putenschaschlik, richtig schön scharf«, krächzt Paulsen.
»Und Thies, du trinkst erstmal ganz sutsche dein Bier.«
Paulsen war auch vor der Rente schon die Ruhe selbst. Und eigentlich hat er auch schon immer so ausgesehen: Lederweste, schweres Brillengestell mit Gleitsicht und deutlich erhöhtes Cholesterin. Und auch die neuen Zähne hat der Bredstedter Zahnarzt irgendwie eine Nummer zu groß bestellt.
Thies schüttelt den Kopf. »Ja, ihr habt gut reden. Ihr sitzt hier schön gemütlich an Tisch zwei. Ich sach euch, ich hab vielleicht wieder so'n Tag hinter mir. Der Hamburger Medizinprofessor in sein' Reetdachschloss hat schon wieder fünfmal angerufen. Füüünfmal! Zweimal wegen den Jauchemief von Dossmann seine Geflügelhalle und dreimal wegen Treckerlärm vom Biohof.«
Thies redet sich richtig in Rage. »Musste ich zu Brodersen hin, Brodersen war nich da, nur seine verrückte Frau. War grad wieder am Meditieren oder so und mit ihre Duftöle zugange. Mann, Mann, Mann. Und dann sieben Falschparker am Deich. Siiieben! Bis auf den Jeep von dem alten von Rissen alles ortsfremde Kennzeichen. Merkt ihr wat?«
»Jetzt erzählt er gleich wieder wat von Selbstmordattentäter.
« Piet Paulsen pult sich die Reste seines Putenschaschlicks
»Hawaii« aus den gewaltigen Zähnen.
»Thies, dat sind Touristen.«
»Ja, wat denn, dieser Mohammed Atta hatte auch Hamburger Nummernschild.«
»Mensch, Thies«, sagt Postbote Klaas, »überlech doch ma, Selbstmordattentäter bei uns in Nordfriesland, dat bringt doch nix!«
»Aber ham wir hier Touristen? Dat Schild ›Zimmer frei‹ bei Renate. Hast du gesehen, dass Renate dat mal reingenommen hat?«
So recht ist es Thies Detlefsen noch nicht gelungen, die Kriminalitätsstatistik von Fredenbüll in Schwung zu bringen. Auch das neue Traffipax-Gerät, der Radarblitzer für Geschwindigkeitskontrollen, hat noch nicht den entscheidenden Durchbruch gebracht. In der platten weiten Marsch springt der Blitzkasten jedem sofort ins Auge. Und wer soll in Fredenbüll schon in die Radarfalle tappen? Der Trecker von Biobauer Brodersen und die antiquarische Zündapp-Zweigang von Bounty, dem übrig gebliebenen Althippie aus der Landkommune, sind vom Erreichen der erlaubten fünfzig km/h innerhalb der geschlossenen Ortschaft von Fredenbüll weit entfernt, das verrostete Hollandrad des Eppendorfer HNO-Professors Müller-Siemsen erst recht.
»Thies, dat is schon rein rechnerisch gar nich möglich «, analysiert Klaas nach vier Jägermeistern und einer doppelten Portion Roter Grütze mit Schuss messerscharf.
Einmal allerdings ist Thies doch ein Hamburger Porsche auf dem Rückweg von Sylt im Ort mit hundertzweiundsiebzig, die Toleranz schon abgerechnet, in die Radarfalle gegangen. Das Traffipax hatte ein gestochen scharfes Bild des Schnösels auf der Gegenfahrbahn beim Überholen von Brodersens Bioschafen geliefert.
»Klarer Fall von Paragraph 315 c«, hatte Thies überhaupt keine Zweifel aufkommen lassen und den Führerschein gleich vor Ort einkassiert. Dann hat er einen holländischen Spediteur mit frischer Ware von Hühnerbaron Dossmann geblitzt, allerdings nur mit zweiundsiebzig, und in den ersten Wochen, als sich die Anschaffung des Blitzgerätes noch nicht herumgesprochen hatte, immer wieder den Schimmelreiter.
Der Schimmelreiter heißt auch Hauke, wie der bei Theodor Storm, allerdings Hauke Schröder, aber er ist auch viel nachts unterwegs und fegt in seinem tiefergelegten Corolla den Deich am Koog entlang. Wie das Pferd im Buch ist auch Hauke Schröders Auto weiß, das heißt, genau genommen, perlmuttmetallic. Die Rückbank hat er rausgenommen und stattdessen zwei stattliche Tausend-Watt-Boxen eingebaut, aus denen ausschließlich AC/DC zu hören ist. So geht es mit dumpfem »Dumb-dumb-dumb-dumb«, dass die grün getönten Scheiben wackeln, immer am Deich entlang.
Die Strecke Fredenbüll nach Neutönninger Siel hinunter kommt der Schimmelreiter kurz auf hundertsiebzig. Die Spoiler halten den Japaner auch bei steifem Nordwest dicht auf der Straße. Vor der Kurve zur Badestelle muss man dann ziemlich zügig runterschalten.
»Ja, Kriminalität is hier genug«, sagt Thies Detlefsen.
»Aber wenn ich ehrlich bin, könnte mehr sein. 'n büschen mehr Unterstützung könnte auch von euch kommen. Denn eins muss euch klar sein, wenn nix passiert, bin ich hier bald weg.« Kuhblick. »Dann schicken sie mich auf die Wache nach Bredstedt oder gleich in die Stadt... nach Husum.« In den Kuhblick mischt sich Panik.
»Soll'n wir hier jetzt den Edeka überfallen, oder wat«, sagt Klaas und zieht seine blau-gelbe Postjacke aus.
Piet Paulsen schraubt mit einem Knacken ein neues Jägermeisterfläschchen auf und schaltet mit der Fernbedienung das 46-Zoll-Flachbildgerät ein, auf dem prompt Gerhard Delling erscheint. »Kannst ja Antje wegen zu altes Bratfett verhaften. Wär' mal wat anderes. «
2
Wie jedes Jahr in den ersten warmen Maitagen, wenn die Frühlingsstürme vorüber sind, liegt auf einmal der schwere Duft von Flieder und Weißdorn über Fredenbüll. Die ersten Apfelblüten regnen über die Dorfstraße, und die drei Deiche sind über und über gelb mit Butterblumen gepunktet. Im Gutshaus der von Rissens werden die Fensterläden gestrichen. Huberta von Rissen rüstet sich für den »Fredenbüller Kultursommer«, in dem sie auf dem Gut wieder eine Reihe von Konzerten und Lesungen veranstalten will.
Ein Schwarm Eiderenten zieht mit ohrenbetäubendem Schnattern im Tiefflug über das Deichvorland hinweg. Die Fredenbüller entrosten ihre Gartengrills und tauschen in den Waschbetonkübeln die Stiefmütterchen gegen Begonien aus. Die Amsel in der Kastanie vor der alten Dorfkirche ist auf Brautschau und macht einen Mordslärm. Auch bei vielen Fredenbüllern scheinen die Hormone verrücktzuspielen, nur bei Thies Detlefsen und seiner Frau Heike irgendwie nicht. Aber dafür gibt es in Fredenbüll jetzt wohl einen echten Entführungsfall.
Thies kommt an diesem Freitag später nach Hause. Mit seinem Traffipax hat er auf der L 157, die von Husum herüberkommt, am Abend noch mal Jagd auf ein paar Ferienhausbesitzer gemacht, die zum Wochenende eilig die letzte Fähre auf die Inseln erwischen wollten. Das Blitzgerät hatte er hinter dem neuen Schild »Feiern im Fachwerk« postiert, gleich am Ortseingang vor der alten Scheune, die man neuerdings für Partys anmieten kann. Tatsächlich sind ihm ein BMW-Coupé und drei Geländewagen, alles Hamburger Ferienhausbesitzer mit NF-Kennzeichen, in die Falle gegangen. Viel mehr als hundertzwanzig hatten die zwar auch nicht auf dem Tacho, aber Thies fährt bester Laune ins Wochenende.
Als er zu Hause vorfährt, fällt er erst mal über die neuen Terrassenplatten, was seine Stimmung deutlich dämpft. Seit Wochen stehen die Paletten mit den Platten in der Auffahrt, dreifarbig, Anthrazit, Mauve und Karmin, Muster »Siena«, gar nicht einfach zu verlegen. Dabei hatte Thies die Garageneinfahrt vor drei Jahren gerade gemacht. Aber als Heike die neue Terrasse von Sandra gesehen hatte, wollte sie auch »Siena« haben. Für Heike muss es immer das Neuste sein. Thies kommt längst nicht mehr hinterher.
Nach einem Abendessen sieht es zu Hause nicht aus. Dafür sitzt Heike grade wieder vor einer ihrer Kochsendungen. Thies' Stimmung sinkt weiter. Statt selbst zu kochen, sieht Heike in letzter Zeit lieber Kochen im Fernsehen und macht in der Mikrowelle Tiefkühlpizzas heiß. Die Zwillinge sind im Gegensatz zu Thies begeistert und werden immer dicker.
Irgendwie kommt Heike ihm heute Abend verändert vor. Aber er weiß zuerst nicht, wieso. Neue Klamotten? Schminke? Oder einfach nur der Frühling?
»Ich will mit Marret, Swaantje und Sandra am Sonntag mal wieder nach Hamburg runter: Queen Mary gucken«, offenbart Heike.
»Sonntag? Is Angrillen am Deich«, sagt Thies.
»Das viele gegrillte Zeug soll gar nicht gut sein.« Die Erkenntnis hat Heike aus ihren Kochsendungen.
»Und wat is mit den Zwillingen?«, fragt Thies.
»Die nimmst du einfach mit zum Grillen. Telje, Tadje, wollt ihr mit Papa grillen?« Die einträchtig nebeneinander auf dem Sofa sitzenden Mädchen, acht Jahre alt und auch von ihren Eltern kaum auseinanderzuhalten, starren weiter wie gebannt auf den Fernsehkoch, der gerade Förmchen für ein Soufflee einbuttert.
»Telje! Tadje!« Thies wird etwas lauter.
»Ich will auch mit Queen Mary gucken«, quakt Telje.
»Geht nich, ihr kommt mit zum Grillen.«
»Sag mal, Thies, fällt dir eigentlich gar nichts auf?«
Heike sieht ihn herausfordernd an.
Daraufhin mustert Thies seine Frau eindringlich. Also doch: die Haare. Sonst hat Heike immer diesen Heuwagen mit Dauerwelle auf dem Kopf, meist mit einem Haargummi gebändigt. Jetzt trägt sie auf einmal glatte Haare mit orangenen Strähnchen.
»Warst du beim Friseur?« Es ist bei den beiden eigentlich immer dasselbe. Thies möchte gern, dass alles so bleibt, Fredenbüll, seine Polizeistation, aber auch Mode und Einrichtung. Seinetwegen müsste Heike nicht unbedingt mit jedem Quartal die Frisur wechseln. Aber Heike ist eben mehr für die Veränderung. Ständig fährt sie ins Möbelcenter nach Flensburg. Dabei haben sie gerade zwei neue Dreisitzer, die kaum ins Wohnzimmer passen. Im Urlaub will Heike immer gleich nach Afrika oder wenigstens Spanien. Neuerdings träumt sie von einer Kreuzfahrt, während Thies die Sommerferien am liebsten einfach nur mit der Fähre nach Amrum rüberfährt. »So'n Strand hast du in ganz Spanien nich.« Piet Paulsen hat das bestätigt, und der muss es wissen. Seit Paulsen Rentner ist, hat er ein Apartment an der Costa del Sol, das allerdings immer noch nicht bezugsfertig ist. Irgendwie stockt der Bau.
Von ihren Shoppingtouren mit ihren Freundinnen schleppt Heike laufend neues Dekozeugs an. An Ostern erst die zweihundert beleuchteten Plastikeier im Vorgarten und drinnen die ganzen Hasen und Hühner aus Ton. Thies hätte das nicht unbedingt haben müssen. Allgemein lässt sich sagen, die Damenwelt von Fredenbüll ist eher für das Moderne, und »Salon Alexandra « geht immer voran. Als die Frauen sich in der Vorweihnachtszeit zum gemeinsamen Backen trafen, war auch dem letzten ihrer Ehemänner aufgefallen, wie gut gebräunt die Damen für die Jahreszeit waren. Um die rückläufigen Dauerwellen zu kompensieren, hatte Alexandra im Hinterraum ihres Salons einen Turbobräuner aufgestellt, Acapulco 28/1 Kombi.
»Drei Trockenhauben raus, Bräuner rein. Fertig.«
Postbote Klaas hatte mitangefasst. Nun muss man wissen, dass der 28/1 Kombi ein ziemlicher Apparat und Klaas eher klein ist. Während Thies' Polizeiuniform in der Schulter immer leicht spannt, wirkt die blau-gelbe Postjacke von Klaas immer zwei Nummern zu groß. Klaas ist keine eins siebzig und eher ein dunkler Typ, äußerlich alles andere als der typische Friese.
Wenn Thies es recht überlegt, hat er den blonden Heuwagen auf Heikes Kopf eigentlich immer gemocht. »Eigentlich gehst du doch wegen der Dauerwelle zum Friseur. Und jetzt warst du da, damit keine Locken mehr drin sind, oder wie seh ich das?«
Heike ist beleidigt und wechselt das Thema. »Und soll ich dir was sagen, Leif saß auch schon wieder bei Alexandra. So schnell wächst doch kein Haar. Ich weiß nich, was er da immer will. Neue Versicherung kann doch wohl bald nich mehr sein.«
»Kann ich dir ganz genau sagen, was der da will«, sagt Thies. »Klarer Fall von überversichert.«
Leif Ketels, Vertreter der Nürnberger, Sektion Nordwest, hat im Kreis alles versichert, was man versichern kann: Haftpflicht, Lebensversicherungen, Landmaschinen, sämtliche Reetdächer sowieso. Klaas behauptet, sogar Schafe. Leif hat damit richtig Geld gemacht. Er fährt immer den dicksten Benz, und die Mädels behaupten, seine Swaantje hat er damals auch nur wegen der Kohle rumgekriegt.
»Swaantje sieht eigentlich 'n büschen zu gut aus«, sagt Sandra. Sie meint, als Partnerin für den unscheinbaren Leif in seiner fliederfarbenen Windjacke und mit der weißen Haut und den paar rotblonden Härchen auf der Oberlippe, die wirklich nicht als Bart durchgehen. Die regelmäßigen Besuche ihres Mannes im »Salon Alexandra« nimmt Swaantje erstaunlich gelassen. Es hält sie keineswegs davon ab, sich von Alexandra die Haare machen zu lassen.
»Morgens war Swaantje da, Schneiden, Dauerwelle, das ganze Programm, sah aus, als wenn sie noch was vorhätte«, sagt Heike. »Und mittags, sie war kaum unter der Trockenhaube raus, da kam Leif rein.«
»Und du warst 'n ganzen Tag da, oder wie?«
»Ja, was denkst du, Entkrausen und Strähnchen, das dauert. Da kriegst du ganz schön was mit, ob du willst oder nich.«
Thies schüttelt den Kopf.
»Alexandra und Leif, die hatten sich ganz schön in der Wolle, hinten in dem Zimmer mit den Waschbecken. Diese Versicherungsheinis sind aber auch hartnäckig. «
»Wieso? Ging dat um Versicherungen?« Thies blickt ungläubig.
»Mensch, Thies, das war hinten bei den Waschbecken. Und gegen die Trockner konnte ich das auch nicht richtig verstehen. Alexandra hat irgendwie gesagt, sie will das nicht mehr, und er soll sie in Ruhe lassen, oder so. Und er wollte sich noch mal mit ihr treffen.«
Thies Detlefsen versteht die Welt nicht mehr. Eigentlich sind die Friesen eher bodenständig und treu, glaubt Thies zumindest. Aber in diesem Mai scheinen alle verrücktzuspielen: Versicherungsvertreter Leif Ketels, seine hübsche Swaantje, die vornehme Huberta von Rissen, Biobauer Jörn Brodersen und dessen durchgedrehte Frau Lara.
© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Fredenbüll hat auch eine Polizeistation. Noch. Und Polizeiobermeister Thies Detlefsen will, dass das so bleibt. Die kleine Wache neben der Freiwilligen Feuerwehr in dem Backsteinbau ist nämlich vom Kieler Rotstift bedroht.
»Ich hab dat Schreiben mal dabei. Hier, Briefkopf, direkt vom Innenminister in Kiel.«
»Na, wat will er denn?«, fragt Klaas. »Antje, machst für Thies erst mal 'n Bier.«
»Hier«, Thies Detlefsen liest langsam vor, »im Zuge einer Weiterentwicklung der Sicherheitsstrukturen im ländlichen Bereich ist eine Zentralisierung regionaler Polizeiposten geplant.«
»Dat hört sich irgendwie nich gut an«, findet auch Antje und zieht energisch den Frittierkorb mit einer Portion Pommes aus dem heißen Fett.
»Dabei hatten sie mir letztes Jahr sogar 'n neues Dienstfahrzeug in Aussicht gestellt.«
»Erst ham sie Klaas sein Postamt plattgemacht und jetzt ... Dat is 'ne Sauerei.« Landmaschinenvertreter a. D. Piet Paulsen zieht die Lederweste, die er das ganze Jahr trägt, stramm, nimmt zwei leere Flachmänner von Stehtisch zwei und stellt sie zu Antje auf den Glastresen.
»Dabei is dieWache mit einem Mann kaum zu schaffen. « Thies setzt seinen Kuhblick auf. Thies Detlefsen sieht eigentlich gut aus in seiner knapp sitzenden Polizeiuniform. Er ist ein Kerl von einem Mann. Kantiger Kopf, kantiges Kinn, kurzgeschnittenes blondes Haar mit hochgegeltem kleinem Struppelspoiler vorne. Die Frisur mit dem Frontigel stammt aus dem »Salon Alexandra«. Aber wenn Thies nach ein paar Bieren nachdenklich wird, bekommt er diesen leichten Kuhblick.
»Na ja, Thies, bist bei der Arbeit auch manchmal 'n büschen übergenau«, sagt Klaas.
»Wat denn, ich hab mein Schreibtisch so hoch mit Akten liegen.« Detlefsen hebt die Hand in Höhe des Bügelverschlusses seiner Bierflasche. »Alles ungelöst.«
»Ja, ja, Thies, neulich dat tote Schaf. Wie war das? Anschlag militanter Ökoaktivisten? Hör auf!«
»Moment, nee, nee, dat war die internationale Futtermittelmafia. Aber ohne Soko hast du dagegen keine Chance.«
»Komm, Thies, nu chill erst mal 'n büschen runter.«
Chillen, das ist das Neuste, was Antje draufhat. Bei Antje ist sowieso alles gerade im Umbruch. Seit der letzten WM hängt gegenüber der Dunstabzugshaube ein 46-Zoll-Flachbildschirm, sehr zur Freude der drei bis vier männlichen Stammkunden, die die meiste Zeit des Jahres bei Antje verbringen. Champions League, Euro League, Pokal, Bundesliga sowieso und zwischendurch immer mal ein kühles Getränk. Aber dann gibt es auch noch eine neue Speisekarte und neue Beleuchtung. Antje hat auf Energiesparröhren umgerüstet. »Machen irgendwie ungemütliches Licht«, findet Klaas. Und jetzt will Antje die »Hidde Kist« umbenennen - in »Croque Lagune«. Neue Leuchtschilder sollen angeblich schon bestellt sein. Damit will sie an die Durchreisenden nach Sylt, Föhr und Amrum ran. »Nur mit Schaschlik kann ich denen nich mehr kommen. «
Nicht nur Antje, auch ihr Hund, Schäfermischling Susi, hat die Ernährung umgestellt.
»Ja, wo ist die Susi?! Susi komm, hier, kriegst 'n Stück Schaschlik!« Piet Paulsen pult ein Fleischstück von seinem Spieß und hält es dem Hund hin. Susi schnuppert interessiert und wendet sich dann ab. »Da is nix zu machen!« Die vollschlanke Antje zuckt resigniert mit den Schultern. »Sauerfleisch, Frikadellen, hat sie doch früher so gern gefressen, rührt sie alles nicht mehr an, seit sie neulich diese Fleischvergiftung hatte.«
»Fleischvergiftung?« Klaas wird leicht mulmig.
»Dabei waren die Schinkenknacker mit Paprika erst zwei Wochen über das Verfallsdatum raus ... Aber drei Pakete auf einmal, das war einfach zu viel.«
»Und seitdem ist der Hund Vegetarier, oder was?«,
fragt Paulsen mit heiserer Raucherstimme. »Ja, kann man so sagen ... Pommes, mal die Reste
vom Kartoffelsalat. Darf aber kein Speck drin sein.« Die Mischlingshündin stellt die Ohren auf. »Ja, Susi, Kartoffelsalat, fein!«
»Antje, sieh lieber zu, dass du dein Frittierfett mal wieder gewechselt kriegst«, brummt Detlefsen. »Komm, lass ma, war wieder eins a dat Putenschaschlik, richtig schön scharf«, krächzt Paulsen.
»Und Thies, du trinkst erstmal ganz sutsche dein Bier.«
Paulsen war auch vor der Rente schon die Ruhe selbst. Und eigentlich hat er auch schon immer so ausgesehen: Lederweste, schweres Brillengestell mit Gleitsicht und deutlich erhöhtes Cholesterin. Und auch die neuen Zähne hat der Bredstedter Zahnarzt irgendwie eine Nummer zu groß bestellt.
Thies schüttelt den Kopf. »Ja, ihr habt gut reden. Ihr sitzt hier schön gemütlich an Tisch zwei. Ich sach euch, ich hab vielleicht wieder so'n Tag hinter mir. Der Hamburger Medizinprofessor in sein' Reetdachschloss hat schon wieder fünfmal angerufen. Füüünfmal! Zweimal wegen den Jauchemief von Dossmann seine Geflügelhalle und dreimal wegen Treckerlärm vom Biohof.«
Thies redet sich richtig in Rage. »Musste ich zu Brodersen hin, Brodersen war nich da, nur seine verrückte Frau. War grad wieder am Meditieren oder so und mit ihre Duftöle zugange. Mann, Mann, Mann. Und dann sieben Falschparker am Deich. Siiieben! Bis auf den Jeep von dem alten von Rissen alles ortsfremde Kennzeichen. Merkt ihr wat?«
»Jetzt erzählt er gleich wieder wat von Selbstmordattentäter.
« Piet Paulsen pult sich die Reste seines Putenschaschlicks
»Hawaii« aus den gewaltigen Zähnen.
»Thies, dat sind Touristen.«
»Ja, wat denn, dieser Mohammed Atta hatte auch Hamburger Nummernschild.«
»Mensch, Thies«, sagt Postbote Klaas, »überlech doch ma, Selbstmordattentäter bei uns in Nordfriesland, dat bringt doch nix!«
»Aber ham wir hier Touristen? Dat Schild ›Zimmer frei‹ bei Renate. Hast du gesehen, dass Renate dat mal reingenommen hat?«
So recht ist es Thies Detlefsen noch nicht gelungen, die Kriminalitätsstatistik von Fredenbüll in Schwung zu bringen. Auch das neue Traffipax-Gerät, der Radarblitzer für Geschwindigkeitskontrollen, hat noch nicht den entscheidenden Durchbruch gebracht. In der platten weiten Marsch springt der Blitzkasten jedem sofort ins Auge. Und wer soll in Fredenbüll schon in die Radarfalle tappen? Der Trecker von Biobauer Brodersen und die antiquarische Zündapp-Zweigang von Bounty, dem übrig gebliebenen Althippie aus der Landkommune, sind vom Erreichen der erlaubten fünfzig km/h innerhalb der geschlossenen Ortschaft von Fredenbüll weit entfernt, das verrostete Hollandrad des Eppendorfer HNO-Professors Müller-Siemsen erst recht.
»Thies, dat is schon rein rechnerisch gar nich möglich «, analysiert Klaas nach vier Jägermeistern und einer doppelten Portion Roter Grütze mit Schuss messerscharf.
Einmal allerdings ist Thies doch ein Hamburger Porsche auf dem Rückweg von Sylt im Ort mit hundertzweiundsiebzig, die Toleranz schon abgerechnet, in die Radarfalle gegangen. Das Traffipax hatte ein gestochen scharfes Bild des Schnösels auf der Gegenfahrbahn beim Überholen von Brodersens Bioschafen geliefert.
»Klarer Fall von Paragraph 315 c«, hatte Thies überhaupt keine Zweifel aufkommen lassen und den Führerschein gleich vor Ort einkassiert. Dann hat er einen holländischen Spediteur mit frischer Ware von Hühnerbaron Dossmann geblitzt, allerdings nur mit zweiundsiebzig, und in den ersten Wochen, als sich die Anschaffung des Blitzgerätes noch nicht herumgesprochen hatte, immer wieder den Schimmelreiter.
Der Schimmelreiter heißt auch Hauke, wie der bei Theodor Storm, allerdings Hauke Schröder, aber er ist auch viel nachts unterwegs und fegt in seinem tiefergelegten Corolla den Deich am Koog entlang. Wie das Pferd im Buch ist auch Hauke Schröders Auto weiß, das heißt, genau genommen, perlmuttmetallic. Die Rückbank hat er rausgenommen und stattdessen zwei stattliche Tausend-Watt-Boxen eingebaut, aus denen ausschließlich AC/DC zu hören ist. So geht es mit dumpfem »Dumb-dumb-dumb-dumb«, dass die grün getönten Scheiben wackeln, immer am Deich entlang.
Die Strecke Fredenbüll nach Neutönninger Siel hinunter kommt der Schimmelreiter kurz auf hundertsiebzig. Die Spoiler halten den Japaner auch bei steifem Nordwest dicht auf der Straße. Vor der Kurve zur Badestelle muss man dann ziemlich zügig runterschalten.
»Ja, Kriminalität is hier genug«, sagt Thies Detlefsen.
»Aber wenn ich ehrlich bin, könnte mehr sein. 'n büschen mehr Unterstützung könnte auch von euch kommen. Denn eins muss euch klar sein, wenn nix passiert, bin ich hier bald weg.« Kuhblick. »Dann schicken sie mich auf die Wache nach Bredstedt oder gleich in die Stadt... nach Husum.« In den Kuhblick mischt sich Panik.
»Soll'n wir hier jetzt den Edeka überfallen, oder wat«, sagt Klaas und zieht seine blau-gelbe Postjacke aus.
Piet Paulsen schraubt mit einem Knacken ein neues Jägermeisterfläschchen auf und schaltet mit der Fernbedienung das 46-Zoll-Flachbildgerät ein, auf dem prompt Gerhard Delling erscheint. »Kannst ja Antje wegen zu altes Bratfett verhaften. Wär' mal wat anderes. «
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Wie jedes Jahr in den ersten warmen Maitagen, wenn die Frühlingsstürme vorüber sind, liegt auf einmal der schwere Duft von Flieder und Weißdorn über Fredenbüll. Die ersten Apfelblüten regnen über die Dorfstraße, und die drei Deiche sind über und über gelb mit Butterblumen gepunktet. Im Gutshaus der von Rissens werden die Fensterläden gestrichen. Huberta von Rissen rüstet sich für den »Fredenbüller Kultursommer«, in dem sie auf dem Gut wieder eine Reihe von Konzerten und Lesungen veranstalten will.
Ein Schwarm Eiderenten zieht mit ohrenbetäubendem Schnattern im Tiefflug über das Deichvorland hinweg. Die Fredenbüller entrosten ihre Gartengrills und tauschen in den Waschbetonkübeln die Stiefmütterchen gegen Begonien aus. Die Amsel in der Kastanie vor der alten Dorfkirche ist auf Brautschau und macht einen Mordslärm. Auch bei vielen Fredenbüllern scheinen die Hormone verrücktzuspielen, nur bei Thies Detlefsen und seiner Frau Heike irgendwie nicht. Aber dafür gibt es in Fredenbüll jetzt wohl einen echten Entführungsfall.
Thies kommt an diesem Freitag später nach Hause. Mit seinem Traffipax hat er auf der L 157, die von Husum herüberkommt, am Abend noch mal Jagd auf ein paar Ferienhausbesitzer gemacht, die zum Wochenende eilig die letzte Fähre auf die Inseln erwischen wollten. Das Blitzgerät hatte er hinter dem neuen Schild »Feiern im Fachwerk« postiert, gleich am Ortseingang vor der alten Scheune, die man neuerdings für Partys anmieten kann. Tatsächlich sind ihm ein BMW-Coupé und drei Geländewagen, alles Hamburger Ferienhausbesitzer mit NF-Kennzeichen, in die Falle gegangen. Viel mehr als hundertzwanzig hatten die zwar auch nicht auf dem Tacho, aber Thies fährt bester Laune ins Wochenende.
Als er zu Hause vorfährt, fällt er erst mal über die neuen Terrassenplatten, was seine Stimmung deutlich dämpft. Seit Wochen stehen die Paletten mit den Platten in der Auffahrt, dreifarbig, Anthrazit, Mauve und Karmin, Muster »Siena«, gar nicht einfach zu verlegen. Dabei hatte Thies die Garageneinfahrt vor drei Jahren gerade gemacht. Aber als Heike die neue Terrasse von Sandra gesehen hatte, wollte sie auch »Siena« haben. Für Heike muss es immer das Neuste sein. Thies kommt längst nicht mehr hinterher.
Nach einem Abendessen sieht es zu Hause nicht aus. Dafür sitzt Heike grade wieder vor einer ihrer Kochsendungen. Thies' Stimmung sinkt weiter. Statt selbst zu kochen, sieht Heike in letzter Zeit lieber Kochen im Fernsehen und macht in der Mikrowelle Tiefkühlpizzas heiß. Die Zwillinge sind im Gegensatz zu Thies begeistert und werden immer dicker.
Irgendwie kommt Heike ihm heute Abend verändert vor. Aber er weiß zuerst nicht, wieso. Neue Klamotten? Schminke? Oder einfach nur der Frühling?
»Ich will mit Marret, Swaantje und Sandra am Sonntag mal wieder nach Hamburg runter: Queen Mary gucken«, offenbart Heike.
»Sonntag? Is Angrillen am Deich«, sagt Thies.
»Das viele gegrillte Zeug soll gar nicht gut sein.« Die Erkenntnis hat Heike aus ihren Kochsendungen.
»Und wat is mit den Zwillingen?«, fragt Thies.
»Die nimmst du einfach mit zum Grillen. Telje, Tadje, wollt ihr mit Papa grillen?« Die einträchtig nebeneinander auf dem Sofa sitzenden Mädchen, acht Jahre alt und auch von ihren Eltern kaum auseinanderzuhalten, starren weiter wie gebannt auf den Fernsehkoch, der gerade Förmchen für ein Soufflee einbuttert.
»Telje! Tadje!« Thies wird etwas lauter.
»Ich will auch mit Queen Mary gucken«, quakt Telje.
»Geht nich, ihr kommt mit zum Grillen.«
»Sag mal, Thies, fällt dir eigentlich gar nichts auf?«
Heike sieht ihn herausfordernd an.
Daraufhin mustert Thies seine Frau eindringlich. Also doch: die Haare. Sonst hat Heike immer diesen Heuwagen mit Dauerwelle auf dem Kopf, meist mit einem Haargummi gebändigt. Jetzt trägt sie auf einmal glatte Haare mit orangenen Strähnchen.
»Warst du beim Friseur?« Es ist bei den beiden eigentlich immer dasselbe. Thies möchte gern, dass alles so bleibt, Fredenbüll, seine Polizeistation, aber auch Mode und Einrichtung. Seinetwegen müsste Heike nicht unbedingt mit jedem Quartal die Frisur wechseln. Aber Heike ist eben mehr für die Veränderung. Ständig fährt sie ins Möbelcenter nach Flensburg. Dabei haben sie gerade zwei neue Dreisitzer, die kaum ins Wohnzimmer passen. Im Urlaub will Heike immer gleich nach Afrika oder wenigstens Spanien. Neuerdings träumt sie von einer Kreuzfahrt, während Thies die Sommerferien am liebsten einfach nur mit der Fähre nach Amrum rüberfährt. »So'n Strand hast du in ganz Spanien nich.« Piet Paulsen hat das bestätigt, und der muss es wissen. Seit Paulsen Rentner ist, hat er ein Apartment an der Costa del Sol, das allerdings immer noch nicht bezugsfertig ist. Irgendwie stockt der Bau.
Von ihren Shoppingtouren mit ihren Freundinnen schleppt Heike laufend neues Dekozeugs an. An Ostern erst die zweihundert beleuchteten Plastikeier im Vorgarten und drinnen die ganzen Hasen und Hühner aus Ton. Thies hätte das nicht unbedingt haben müssen. Allgemein lässt sich sagen, die Damenwelt von Fredenbüll ist eher für das Moderne, und »Salon Alexandra « geht immer voran. Als die Frauen sich in der Vorweihnachtszeit zum gemeinsamen Backen trafen, war auch dem letzten ihrer Ehemänner aufgefallen, wie gut gebräunt die Damen für die Jahreszeit waren. Um die rückläufigen Dauerwellen zu kompensieren, hatte Alexandra im Hinterraum ihres Salons einen Turbobräuner aufgestellt, Acapulco 28/1 Kombi.
»Drei Trockenhauben raus, Bräuner rein. Fertig.«
Postbote Klaas hatte mitangefasst. Nun muss man wissen, dass der 28/1 Kombi ein ziemlicher Apparat und Klaas eher klein ist. Während Thies' Polizeiuniform in der Schulter immer leicht spannt, wirkt die blau-gelbe Postjacke von Klaas immer zwei Nummern zu groß. Klaas ist keine eins siebzig und eher ein dunkler Typ, äußerlich alles andere als der typische Friese.
Wenn Thies es recht überlegt, hat er den blonden Heuwagen auf Heikes Kopf eigentlich immer gemocht. »Eigentlich gehst du doch wegen der Dauerwelle zum Friseur. Und jetzt warst du da, damit keine Locken mehr drin sind, oder wie seh ich das?«
Heike ist beleidigt und wechselt das Thema. »Und soll ich dir was sagen, Leif saß auch schon wieder bei Alexandra. So schnell wächst doch kein Haar. Ich weiß nich, was er da immer will. Neue Versicherung kann doch wohl bald nich mehr sein.«
»Kann ich dir ganz genau sagen, was der da will«, sagt Thies. »Klarer Fall von überversichert.«
Leif Ketels, Vertreter der Nürnberger, Sektion Nordwest, hat im Kreis alles versichert, was man versichern kann: Haftpflicht, Lebensversicherungen, Landmaschinen, sämtliche Reetdächer sowieso. Klaas behauptet, sogar Schafe. Leif hat damit richtig Geld gemacht. Er fährt immer den dicksten Benz, und die Mädels behaupten, seine Swaantje hat er damals auch nur wegen der Kohle rumgekriegt.
»Swaantje sieht eigentlich 'n büschen zu gut aus«, sagt Sandra. Sie meint, als Partnerin für den unscheinbaren Leif in seiner fliederfarbenen Windjacke und mit der weißen Haut und den paar rotblonden Härchen auf der Oberlippe, die wirklich nicht als Bart durchgehen. Die regelmäßigen Besuche ihres Mannes im »Salon Alexandra« nimmt Swaantje erstaunlich gelassen. Es hält sie keineswegs davon ab, sich von Alexandra die Haare machen zu lassen.
»Morgens war Swaantje da, Schneiden, Dauerwelle, das ganze Programm, sah aus, als wenn sie noch was vorhätte«, sagt Heike. »Und mittags, sie war kaum unter der Trockenhaube raus, da kam Leif rein.«
»Und du warst 'n ganzen Tag da, oder wie?«
»Ja, was denkst du, Entkrausen und Strähnchen, das dauert. Da kriegst du ganz schön was mit, ob du willst oder nich.«
Thies schüttelt den Kopf.
»Alexandra und Leif, die hatten sich ganz schön in der Wolle, hinten in dem Zimmer mit den Waschbecken. Diese Versicherungsheinis sind aber auch hartnäckig. «
»Wieso? Ging dat um Versicherungen?« Thies blickt ungläubig.
»Mensch, Thies, das war hinten bei den Waschbecken. Und gegen die Trockner konnte ich das auch nicht richtig verstehen. Alexandra hat irgendwie gesagt, sie will das nicht mehr, und er soll sie in Ruhe lassen, oder so. Und er wollte sich noch mal mit ihr treffen.«
Thies Detlefsen versteht die Welt nicht mehr. Eigentlich sind die Friesen eher bodenständig und treu, glaubt Thies zumindest. Aber in diesem Mai scheinen alle verrücktzuspielen: Versicherungsvertreter Leif Ketels, seine hübsche Swaantje, die vornehme Huberta von Rissen, Biobauer Jörn Brodersen und dessen durchgedrehte Frau Lara.
© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Krischan Koch
Krischan Koch wurde 1953 in Hamburg geboren. Die für einen Autor üblichen Karrierestationen als Seefahrer, Rockmusiker und Kneipenwirt hat er sich geschenkt. Stattdessen macht er Kabarett und Kurzfilme und schreibt seit vielen Jahren Filmkritiken u.a. für die 'DIE ZEIT' und den 'Norddeutschen Rundfunk'. Koch lebt mit seiner Frau in Hamburg und auf der Nordseeinsel Amrum, wo er mit Blick aufs Watt seine Kriminalromane schreibt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Krischan Koch
- 2013, 15. Aufl., 272 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423214333
- ISBN-13: 9783423214339
- Erscheinungsdatum: 01.05.2013
Rezension zu „Rote Grütze mit Schuss / Thies Detlefsen Bd.1 “
»Krischan Koch skizziert die norddeutschen Typen treff- und stilsicher. Schmunzeln bis lautes Lachen garantiert.« Julia Jakob, NDR Info 18.06.2013
Pressezitat
Eine herrlich norddeutsche Krimikomödie mit schrägen schrulligen Charakteren, die man einfach gern haben muss. Verbrechen in Fredenbüll machen richtig Spaß. Cathrin Brackmann WDR 20130803
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