Saftschubse
Roman. Originalausgabe
Stehen wirklich alle Stewardessen auf den Piloten? Und welcher Typ Passagier bestellt Tomatensaft? Das weiß niemand so genau wie Charlotte, ihres Zeichens Chaotikerin und Saftschubse - respektive Stewardess.
Ein humorvoller Blick in die Welt von Cockpit und Kabine.
Ein humorvoller Blick in die Welt von Cockpit und Kabine.
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Taschenbuch
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Saftschubse “
Stehen wirklich alle Stewardessen auf den Piloten? Und welcher Typ Passagier bestellt Tomatensaft? Das weiß niemand so genau wie Charlotte, ihres Zeichens Chaotikerin und Saftschubse - respektive Stewardess.
Ein humorvoller Blick in die Welt von Cockpit und Kabine.
Ein humorvoller Blick in die Welt von Cockpit und Kabine.
Klappentext zu „Saftschubse “
Der Teufel trägt Prada? Der Teufel trinkt Tomatensaft!Tipp des Lektorats:
Was denken Stewardessen über Passagiere, die Tomatensaft bestellen? Sind alle Stewards schwul? Heiraten Flugbegleiterinnen automatisch Piloten? Das sind Fragen, die bestimmt nicht nur mich bei jedem Flug beschäftigten. Bis ich den unterhaltsamen Roman der Stewardess Annette Lies las, die uns mit ihrer chaotischen Heldin (und »Saftschubse«) Charlotte einen exklusiven und sehr humorvollen Blick ins Cockpit und in die Kabine werfen lässt. Ähnlichkeiten mit lebenden Piloten, Flugbegleiterinnen und realen Handlungen sind rein zufällig. In Wahrheit ist alles viel schlimmer ...
Anne Tente, Lektorat
Lese-Probe zu „Saftschubse “
Saftschubse von Annette LiesProlog
»Möchten Sie Milch und Zucker zum Kaffee?« »Kaffee!«
»Ja, aber möchten Sie Milch und Zucker dazu?« »Schwarz.«
»Bitte schön, ein schwarzer Kaffee.«
»Mit Milch, bitte.«
»Reicht Ihnen eine oder möchten Sie zwei?« »Zwei Zucker, danke.«
1.
»Musst du mit der Erkältung nicht am Check-in arbeiten?«
»Rufen Sie bitte meinen Anschlussflug an? Ich
möchte noch in den Duty-free-Shop und werde mich verspäten.« (ATH -- MUC)
... mehr
So habe ich mir mein neues Leben nicht vorgestellt. Ich wollte Glamour, Abenteuer, ab und zu eine Hummerschere und einen Piloten, der mir auf Capri einen Antrag macht. Stattdessen sehe ich in die Augen von Dr. Renner.
»Hatten Sie in letzter Zeit traumatische Erlebnisse?«
Mir ist, als könne die Untersuchung hier ein solches werden. überhaupt habe ich gar kein gutes Gefühl mehr. Ich wollte eigentlich nur, dass er mal kurz einen kleinen Holzspatel aus kanadischer Nadeltanne nimmt, den Zustand meiner Mandeln abnickt und mir ein unverkäufliches Muster zusteckt, das in etwa so klingt wie Broncho Aero forte, damit ich die Druckluftkabine mit Tragflächen besteigen kann.
Aber anstatt Koffer zu packen für Bagdad, sitze ich jetzt hier in der Praxis. Schon wieder mit diesen nervtötenden Hitzewallungen einer Frau in den Wechseljahren und gleichzeitig zitternd wie ein Hund im Regen. Ich meine allen Ernstes, so etwas wie »Sonografie« gehört zu haben. Dabei bin ich unter dreißig. Kein Alter also, in dem man sich die Tage mit Krankheiten vertreibt. Vor allem nicht, wenn ein paar brennende Ölquellen und ein hübscher Pool auf einen warten.
»In den Irak?!«, fragte meine Schwester entsetzt, als ich ihr meinen neuen Dienstplan unter die Nase hielt. »Kannst du nicht nach Dubai?«
»Nicht immer«, antwortete ich betont lässig, spülte meine eigenen Bedenken mit einer Tasse »Tu dir gut«-Eukalyptus-Anis-Fenchel-Tee hinunter und beschloss, wie immer alles positiv zu sehen.
Ich bin Stewardess, und das ist auch gut so! Da muss man eben auch mal an Orte, an denen es keine All-inclusive-Clubs mit Wasserballtoren in den Schwimmbecken gibt. Wobei meine derzeitige körperliche Konstitution es sogar zuließe, dass ich selbst auf der Talabfahrt in Aspen nichts als meinen Bond-Girl-Bikini trage. (Okay, nach Colorado fliegen wir gar nicht, aber rein theoretisch ...)
Nachdenklich blicke ich auf, um Dr. Renners Frage zu beantworten, und löse meinen Blick vom sehr schicken Fischgrätparkett seines Behandlungszimmers. Das letzte Mal, dass ich einem Arzt gegenübersaß, ist Ewigkeiten her und war beileibe kein gesellschaftliches Highlight: Der wohltemperierte Whirlpool des Crewhotels in Tokio bescherte nicht nur mir ein warmes Plätzchen, sondern auch jeder Menge gramnegativer Bakterien, von deren Exotik mein Gynäkologe unverhohlen begeistert war. Ich vermute, wenn man sonst nur Einzeller aus der Therme Erding zu Gesicht bekommt, fällt es wirklich nicht leicht, ein Mittel zu verschreiben, das die seltenen Lebewesen vernichtet.
Ich lasse meine Füße rücksichtsvoll wenige Zentimeter über dem Boden schweben und nehme in Dr. Renners Bauhausstuhl eine sehr verkrampfte Haltung ein. Aus meinem früheren Job weiß ich nämlich, dass nur Schreibtischstuhlrollen resistentes Würfelparkett und Hundepfoten abweisen der rustikaler Walnussschiffboden Pfennigabsätze und heruntergefallene Oil of Olaz-Tiegel vollkommen verzeihen. Dummerweise wird mir von dieser Akrobatik nur noch heißer, meine Wangen glühen.
Dabei ist es in der Praxis eigentlich angenehm kühl. Sie befindet sich im Erdgeschoss, in schönen hohen Altbauräumen mit weißen Wänden und Stuck an der Decke. Vor dem Fenster ist alles grün, und eine große Birke weht sanft im Wind. Ein wohltuender Kontrast zu meinem Arbeitsplatz. Alleine die Luftfeuchtigkeit hier ist bestechend.
Ob ich Dr. Renner einfach mal frage, wie es um den Christian Louboutin-Pumps-Härtegrad seines Bodens bestellt ist? Aber vermutlich wäre eine Gegenfrage eher unhöflich, solange ich nicht einmal seine beantwortet habe.
Ich versuche, meine Beine elegant anders übereinanderzuschlagen, und rutsche wenig galant ab, womit zumindest die Frage der Trittschalldämpfung geklärt ist. Mein neu gewählter Arzt zuckt merklich zusammen. Dann kritzelt er eifrig in eine frische weiße Krankenakte, die er immer weiter nach unten aufklappt. Nun ja, ich vermute, Worte wie Fortgeschrittene Hyperthermie sind eben einfach ein bisschen raumfordernder als Patientin schwitzt.
Noch bevor ich erwähnen kann, dass ich auch kaum noch schlafe und ständig Hunger habe (trotz intensiver und konstanter Kalorienzufuhr durch marzipanhaltige Pudding-Desserts, Bio-Barbarie-Enten und ganze Säcke vorwiegend festkochender Speisekartoffeln der Sorte Saskia), verlegt er sich auf den Computer. Von meinem Anmeldeformular übernimmt er, wie ich sehen kann, die unerfreulichen körperlichen Fakten, die ich sonst nur den Verkäuferinnen bei Victoria's Secret anvertraue.
Langsam ist mir die Stille zwischen uns doch ein wenig unangenehm. Außerdem höre ich mein Herz dadurch umso lauter schlagen. Für gewöhnlich übertönen das die Triebwerke ganz gut, weswegen ich auch erst mal einige Monate mit meinen Problemen herumgelaufen bin, bevor ich sie selbst bemerkte.
Schön, solange Dr. Renner seinen Job macht, tue ich halt auch etwas, das ich gut kann: Ruhe ausstrahlen, Gelassenheit, spürbare Sicherheit und auch ein bisschen Sitzkomfort, jetzt, da meine Schuhe ihre Parkposition erreicht haben. Dinge, auf die ich mich als Stewardess wirklich gut verstehe: fröhlich sein, wenn's ruppig wird, entspannt aussehen, wenn der Blitz ins Flugzeug einschlägt. (übrigens ein Ereignis, das den Passagieren weit mehr ausmacht als dem Flieger. Der muss danach lediglich einmal in die Wartung, während nicht wenige Gäste noch im darauffolgenden Schaltjahr beim Psychologen sitzen.)
Dr. Renner sieht noch immer so beschäftigt aus, dass ich ihn nicht stören will. Und Zeit zum Nachdenken kann ich gut gebrauchen, normalerweise befragt man mich nämlich zu Umsteigeverbindungen, Auswahlessen, der Benutzung ferngesteuerter Autos an Bord oder den Öffnungszeiten des Schwarzwalds. Da ist mir die Frage zur Höhe meines Cortisolspiegels direkt willkommen.
»Traumatische Erlebnisse«, das scheint mir spontan etwas hoch gegriffen - obwohl ich einen ausgeprägten Hang zur Melodramatik besitze, besonders zu Filmen in dieser Richtung. Neben meiner Geisha mit aufklappbarem Sonnenschirm aus Osaka und meinen in Delhi erworbenen Antikörpern gegen Amöbenruhr, erfüllt mich meine Blu-raySammlung durchaus mit Besitzerstolz. Ein gutes Entertainment-System ist einfach ungeheuer wichtig, sowohl in einem Großraumflugzeug, als auch in den eigenen vier Wänden. Zum Beispiel, wenn man krank ist.
Meine letzte Nasennebenhöhlenentzündung ist irgendwo zwischen Staffel zwei und fünf von Sex & the City ausgeheilt, ohne dass ich mich in zwölf Tagen Krankschreibung auch nur einmal gelangweilt hätte hinter meinem Bachblüten-Inhalator. Und Fluggäste kann man damit genauso über Stun den ruhigstellen. Im Grunde ähneln sich Flüge und Krankheiten ja auch: Man wartet, bis es vorbei ist. (Obwohl sich eine Langstrecke in meiner Obhut natürlich nicht wirklich mit einer fortschreitenden Influenza vergleichen lässt.)
Entsprechend ist es ein größeres Problem, wenn das ganze System ausfällt, was im übrigen keine Rückschlüsse auf den sonstigen technischen Zustand der Maschine zulässt, worauf ich auch erst lernen musste zu vertrauen. In solchen Situationen vertreiben sich Geschädigte die verbleibenden Flugstunden gerne mit Segnungen wie dem iSeismometer, mit dem man bei Turbulenzen wunderbar den Grad der Erschütterungen messen kann, um sich dann über mögliche Verletzungen zu beschweren, die man sich jetzt eventuell hätte zuziehen können. Vermutlich gibt es sogar eine App dazu, die bereits im Landeanflug auf Reha-Kliniken und Präzedenzfälle im Großraum Boston, Massachusetts, verweist. Was eben alles nicht passiert, wenn man auf 58D sitzt und gebannt verfolgt, wie der nackte Daniel Craig gefoltert wird oder Harry Potter Quidditsch spielt.
Und auch ich hätte es ohne Filme nie geschafft, ein Skyline-Engel zu werden. Die meisten meiner Leinwandepen allerdings drehen sich nicht um Jagdbomber oder Katastrophenflüge, sondern um Liebesbeziehungen, die über Jahrzehnte hinweg spielen, vor dem Hintergrund politischer Wirrungen und gerne auch der Pest, wo die Leute dann erst mit neunzig feststellen, dass sie im selben Konzentrationslager waren oder in Wahrheit Geschwister sind. Auch den bislang einzigen Weinkrampf meines Lebens hatte ich am Ende einer Geschichte, in der ein Paar vor orangerotem Hintergrund im Bug eines mehrstöckigen Schiffes mit Vollpension steht und die Spannkraft seines Bizeps testet. (Noch Wochen später wagte ich mich nur mit einer Trillerpfeife in den Schaum meines Frei-Öl-Hautpflegebads.)
Aber unter Trauma verstehe selbst ich eher so etwas wie Hungersnöte, Flutkatastrophen, Amokläufe, Waldbrände, über Tage hinweg keinen Internetzugang zu haben oder mit Naturlocken in feuchtwarme Gebiete zu reisen und dann in Hongkong festzustellen, dass das Glätteeisen nicht im Koffer ist. Was will der Arzt also hier wissen?
Dr. Renner scheint zum Ende seiner Aufzeichnungen zu kommen. Ich wette, die einzigen Filme, die er schaut, laufen auf Monitoren im OP. Was natürlich auch nicht einer gewissen Dramatik entbehrt ...
Im Raum ist es weiterhin still, nur leises Knacken aus dem Eingangsbereich ist zu hören, unter den Füßen der gummibesohlten Arzthelferinnen. Sie dürfen auf der Arbeit orthopädisch wertvolle Sandalen mit Fußbett und Korkanteil tragen, während bei mir High Heels quasi zur Grundausstattung gehören.
Dr. Renner wendet sich mir zu, nimmt die Hände von der Tastatur und legt sie andächtig ineinander wie ein Tagesschausprecher. »Meine Damen und Herren«, könnte er sagen, »Charlotte Loos ist erkrankt. Die Achtundzwanzigjährige, die einen (Un-)Ruhepuls von einhundertfünfzig hat, arbeitet seit vier Jahren bei Skyline, einer der renommiertesten Linienfluggesellschaften Deutschlands. Loos war auf zahlreichen nationalen und internationalen Flügen tätig und wurde bekannt durch ihr Engagement in der Economy-, Business- und First Class.«
Jetzt, da er bereit für eine Antwort scheint, versuche ich krampfhaft, erwähnenswerte Stressfaktoren auszumachen, wegen derer ich auf dem Stopp in Montreal dem Eishockey-Match der Pittsburgh Penguins in Flip-Flops beigewohnt habe. (Kam mir klimatisch vor wie die Emirate im August. Aber welche Frau geht bitte gleich zum Arzt, nur weil sie die Einzige auf der Welt ist, die grundsätzlich nicht mehr friert? Das ist, als würde man die Weltherrschaft ablehnen.)
Spontan fällt mir da die Schneider-Schnepfe ein, der ich die aufdringliche Betonung meines gebärfreudigen Beckens durch eine mehr als gut sitzende Uniform in Size Zero verdanke. Und der »Baby-Mann«, der mir in Barcelona auf die Schulter getippt und angemerkt hat, ich würde nur dumm rumstehen statt zu arbeiten. Und meine spektakuläre Flucht von der yacht von Joseph Mizrachi, dem First Class-Passagier ... - nun ja, vielleicht war das ja ein kleines Trauma.
Sicherlich war es meiner inneren Balance auch nicht zuträglich, dass ich meine Calvin-Klein-Pumps neben diesem entwürdigenden Fußabtreter-Igel in Moosburg abstellen musste. Und die Leute, die im Flieger ihre Tabletts stapeln, stressen mich natürlich regelmäßig. Die passen dann nämlich nicht mehr untereinander in den Trolley, es sei denn, man nimmt die mit Schokopudding und Salatdressing beschmierten Schälchen wieder auseinander und verteilt sie erneut flach auf die einzelnen Tabletts, tunlichst ohne dass der Gast es sieht und sich bloßgestellt fühlen könnte. Reicht das für ein Trauma?
»Hatten Sie denn besonders viel Stress in letzter Zeit?«, versucht Dr. Renner jetzt, mir endlich eine Antwort zu entlocken.
Also, beim Stichwort Stress, da sieht die Sache schon anders aus! Ich entscheide auf der Stelle, dass es durchaus als Stress durchgeht, wenn mir ein Japaner am helllichten Tag im öffentlichen Personennahverkehr meine private Zeitschrift entwendet hat. Weil er meinte, dieser Service gehöre schon zum Flug. (Noch dazu nicht irgendeine, sondern ein renommiertes Promi-Magazin mit Vierfarbdruck, Pröbchen des neuesten orientalisch-floralen Duftes, extra mattierendem Jetlag-Make-up und exklusiven Fotos des neuesten Brangelina-Babys!) Allein bei der Erinnerung daran bin ich noch wie gelähmt.
Und dann die unerfreuliche Sache mit Malte auf dem Kilimandscharo, als ich lediglich versucht habe, ein Mindestmaß an Zivilisation zu erzeugen, indem ich mit dem Campingkocher einen Latte macchiato zubereiten wollte. Und diese beschissene kleine Plastikkarte, wegen der ich am Times Square mein Hotel nicht wiedergefunden habe ...
Jetzt weiß ich überhaupt nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen. Ich entscheide mich Dr. Renner gegenüber für eine kompakte anamnesefreundliche Zusammenfassung des Erlebten, die in die letzte freie Ecke meiner Krankenakte passt:
»Ja, ich hatte Stress!«
Deutlich und voller Inbrunst hallt dieses Bekenntnis durch das angenehm leere Behandlungszimmer. Plötzlich fühle ich mich schuldig, weil bestimmt jede Menge andere Leute im Wartezimmer sitzen, mit nichts als dem Lesezirkel.
Dr. Renner aber scheint zufrieden und wendet sich wieder der Tastatur zu. Neben seinem Karohemd und einer Informatiker-Brille, die sicher nicht aus modischen Gründen schwarz umrandet ist, besitzt er zusätzlich einen Doktortitel in Chemie, das habe ich zuvor recherchiert, und irgendwie beruhigt es mich.
In Notsituationen wie dieser sind Streber unabdingbar; das habe ich auch schon in der 4b zu Ruben Willimzyck gesagt: »Kopf hoch, eines Tages gewinnst du die Schachweltmeisterschaft oder den Nobelpreis durch die Erfindung einer chemischen Formel, mit der sich jede Naturkrause in einen Bob verwandeln lässt!«
Allerdings gebe ich zu, dass ich mir für mich, meine Talkshow-taugliche Erkrankung und anschließende Wunderheilung in Lourdes mit eigenem ARD-Brennpunkt, auch durchaus jemanden hätte vorstellen können wie den Landarzt oder Dr. Hofrat aus Sissi - Schicksalsjahre einer Kaiserin, der sie auf Madeira leidenschaftlich über ihre Genesung bzw. im Grunde über die von ganz Österreich-Ungarn informiert.
Aber meine Krankenversichertenkarte und ich konnten froh sein, in München überhaupt jemanden mit Kassenzulassung gefunden zu haben, der die nötige Motivation besitzt, mich noch Freitagnachmittags vor einem drohenden Mitralklappenkollaps zu retten. Charlotte Loos - Schicksalsjahre einer Stewardess.
Copyright © 2011 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
So habe ich mir mein neues Leben nicht vorgestellt. Ich wollte Glamour, Abenteuer, ab und zu eine Hummerschere und einen Piloten, der mir auf Capri einen Antrag macht. Stattdessen sehe ich in die Augen von Dr. Renner.
»Hatten Sie in letzter Zeit traumatische Erlebnisse?«
Mir ist, als könne die Untersuchung hier ein solches werden. überhaupt habe ich gar kein gutes Gefühl mehr. Ich wollte eigentlich nur, dass er mal kurz einen kleinen Holzspatel aus kanadischer Nadeltanne nimmt, den Zustand meiner Mandeln abnickt und mir ein unverkäufliches Muster zusteckt, das in etwa so klingt wie Broncho Aero forte, damit ich die Druckluftkabine mit Tragflächen besteigen kann.
Aber anstatt Koffer zu packen für Bagdad, sitze ich jetzt hier in der Praxis. Schon wieder mit diesen nervtötenden Hitzewallungen einer Frau in den Wechseljahren und gleichzeitig zitternd wie ein Hund im Regen. Ich meine allen Ernstes, so etwas wie »Sonografie« gehört zu haben. Dabei bin ich unter dreißig. Kein Alter also, in dem man sich die Tage mit Krankheiten vertreibt. Vor allem nicht, wenn ein paar brennende Ölquellen und ein hübscher Pool auf einen warten.
»In den Irak?!«, fragte meine Schwester entsetzt, als ich ihr meinen neuen Dienstplan unter die Nase hielt. »Kannst du nicht nach Dubai?«
»Nicht immer«, antwortete ich betont lässig, spülte meine eigenen Bedenken mit einer Tasse »Tu dir gut«-Eukalyptus-Anis-Fenchel-Tee hinunter und beschloss, wie immer alles positiv zu sehen.
Ich bin Stewardess, und das ist auch gut so! Da muss man eben auch mal an Orte, an denen es keine All-inclusive-Clubs mit Wasserballtoren in den Schwimmbecken gibt. Wobei meine derzeitige körperliche Konstitution es sogar zuließe, dass ich selbst auf der Talabfahrt in Aspen nichts als meinen Bond-Girl-Bikini trage. (Okay, nach Colorado fliegen wir gar nicht, aber rein theoretisch ...)
Nachdenklich blicke ich auf, um Dr. Renners Frage zu beantworten, und löse meinen Blick vom sehr schicken Fischgrätparkett seines Behandlungszimmers. Das letzte Mal, dass ich einem Arzt gegenübersaß, ist Ewigkeiten her und war beileibe kein gesellschaftliches Highlight: Der wohltemperierte Whirlpool des Crewhotels in Tokio bescherte nicht nur mir ein warmes Plätzchen, sondern auch jeder Menge gramnegativer Bakterien, von deren Exotik mein Gynäkologe unverhohlen begeistert war. Ich vermute, wenn man sonst nur Einzeller aus der Therme Erding zu Gesicht bekommt, fällt es wirklich nicht leicht, ein Mittel zu verschreiben, das die seltenen Lebewesen vernichtet.
Ich lasse meine Füße rücksichtsvoll wenige Zentimeter über dem Boden schweben und nehme in Dr. Renners Bauhausstuhl eine sehr verkrampfte Haltung ein. Aus meinem früheren Job weiß ich nämlich, dass nur Schreibtischstuhlrollen resistentes Würfelparkett und Hundepfoten abweisen der rustikaler Walnussschiffboden Pfennigabsätze und heruntergefallene Oil of Olaz-Tiegel vollkommen verzeihen. Dummerweise wird mir von dieser Akrobatik nur noch heißer, meine Wangen glühen.
Dabei ist es in der Praxis eigentlich angenehm kühl. Sie befindet sich im Erdgeschoss, in schönen hohen Altbauräumen mit weißen Wänden und Stuck an der Decke. Vor dem Fenster ist alles grün, und eine große Birke weht sanft im Wind. Ein wohltuender Kontrast zu meinem Arbeitsplatz. Alleine die Luftfeuchtigkeit hier ist bestechend.
Ob ich Dr. Renner einfach mal frage, wie es um den Christian Louboutin-Pumps-Härtegrad seines Bodens bestellt ist? Aber vermutlich wäre eine Gegenfrage eher unhöflich, solange ich nicht einmal seine beantwortet habe.
Ich versuche, meine Beine elegant anders übereinanderzuschlagen, und rutsche wenig galant ab, womit zumindest die Frage der Trittschalldämpfung geklärt ist. Mein neu gewählter Arzt zuckt merklich zusammen. Dann kritzelt er eifrig in eine frische weiße Krankenakte, die er immer weiter nach unten aufklappt. Nun ja, ich vermute, Worte wie Fortgeschrittene Hyperthermie sind eben einfach ein bisschen raumfordernder als Patientin schwitzt.
Noch bevor ich erwähnen kann, dass ich auch kaum noch schlafe und ständig Hunger habe (trotz intensiver und konstanter Kalorienzufuhr durch marzipanhaltige Pudding-Desserts, Bio-Barbarie-Enten und ganze Säcke vorwiegend festkochender Speisekartoffeln der Sorte Saskia), verlegt er sich auf den Computer. Von meinem Anmeldeformular übernimmt er, wie ich sehen kann, die unerfreulichen körperlichen Fakten, die ich sonst nur den Verkäuferinnen bei Victoria's Secret anvertraue.
Langsam ist mir die Stille zwischen uns doch ein wenig unangenehm. Außerdem höre ich mein Herz dadurch umso lauter schlagen. Für gewöhnlich übertönen das die Triebwerke ganz gut, weswegen ich auch erst mal einige Monate mit meinen Problemen herumgelaufen bin, bevor ich sie selbst bemerkte.
Schön, solange Dr. Renner seinen Job macht, tue ich halt auch etwas, das ich gut kann: Ruhe ausstrahlen, Gelassenheit, spürbare Sicherheit und auch ein bisschen Sitzkomfort, jetzt, da meine Schuhe ihre Parkposition erreicht haben. Dinge, auf die ich mich als Stewardess wirklich gut verstehe: fröhlich sein, wenn's ruppig wird, entspannt aussehen, wenn der Blitz ins Flugzeug einschlägt. (übrigens ein Ereignis, das den Passagieren weit mehr ausmacht als dem Flieger. Der muss danach lediglich einmal in die Wartung, während nicht wenige Gäste noch im darauffolgenden Schaltjahr beim Psychologen sitzen.)
Dr. Renner sieht noch immer so beschäftigt aus, dass ich ihn nicht stören will. Und Zeit zum Nachdenken kann ich gut gebrauchen, normalerweise befragt man mich nämlich zu Umsteigeverbindungen, Auswahlessen, der Benutzung ferngesteuerter Autos an Bord oder den Öffnungszeiten des Schwarzwalds. Da ist mir die Frage zur Höhe meines Cortisolspiegels direkt willkommen.
»Traumatische Erlebnisse«, das scheint mir spontan etwas hoch gegriffen - obwohl ich einen ausgeprägten Hang zur Melodramatik besitze, besonders zu Filmen in dieser Richtung. Neben meiner Geisha mit aufklappbarem Sonnenschirm aus Osaka und meinen in Delhi erworbenen Antikörpern gegen Amöbenruhr, erfüllt mich meine Blu-raySammlung durchaus mit Besitzerstolz. Ein gutes Entertainment-System ist einfach ungeheuer wichtig, sowohl in einem Großraumflugzeug, als auch in den eigenen vier Wänden. Zum Beispiel, wenn man krank ist.
Meine letzte Nasennebenhöhlenentzündung ist irgendwo zwischen Staffel zwei und fünf von Sex & the City ausgeheilt, ohne dass ich mich in zwölf Tagen Krankschreibung auch nur einmal gelangweilt hätte hinter meinem Bachblüten-Inhalator. Und Fluggäste kann man damit genauso über Stun den ruhigstellen. Im Grunde ähneln sich Flüge und Krankheiten ja auch: Man wartet, bis es vorbei ist. (Obwohl sich eine Langstrecke in meiner Obhut natürlich nicht wirklich mit einer fortschreitenden Influenza vergleichen lässt.)
Entsprechend ist es ein größeres Problem, wenn das ganze System ausfällt, was im übrigen keine Rückschlüsse auf den sonstigen technischen Zustand der Maschine zulässt, worauf ich auch erst lernen musste zu vertrauen. In solchen Situationen vertreiben sich Geschädigte die verbleibenden Flugstunden gerne mit Segnungen wie dem iSeismometer, mit dem man bei Turbulenzen wunderbar den Grad der Erschütterungen messen kann, um sich dann über mögliche Verletzungen zu beschweren, die man sich jetzt eventuell hätte zuziehen können. Vermutlich gibt es sogar eine App dazu, die bereits im Landeanflug auf Reha-Kliniken und Präzedenzfälle im Großraum Boston, Massachusetts, verweist. Was eben alles nicht passiert, wenn man auf 58D sitzt und gebannt verfolgt, wie der nackte Daniel Craig gefoltert wird oder Harry Potter Quidditsch spielt.
Und auch ich hätte es ohne Filme nie geschafft, ein Skyline-Engel zu werden. Die meisten meiner Leinwandepen allerdings drehen sich nicht um Jagdbomber oder Katastrophenflüge, sondern um Liebesbeziehungen, die über Jahrzehnte hinweg spielen, vor dem Hintergrund politischer Wirrungen und gerne auch der Pest, wo die Leute dann erst mit neunzig feststellen, dass sie im selben Konzentrationslager waren oder in Wahrheit Geschwister sind. Auch den bislang einzigen Weinkrampf meines Lebens hatte ich am Ende einer Geschichte, in der ein Paar vor orangerotem Hintergrund im Bug eines mehrstöckigen Schiffes mit Vollpension steht und die Spannkraft seines Bizeps testet. (Noch Wochen später wagte ich mich nur mit einer Trillerpfeife in den Schaum meines Frei-Öl-Hautpflegebads.)
Aber unter Trauma verstehe selbst ich eher so etwas wie Hungersnöte, Flutkatastrophen, Amokläufe, Waldbrände, über Tage hinweg keinen Internetzugang zu haben oder mit Naturlocken in feuchtwarme Gebiete zu reisen und dann in Hongkong festzustellen, dass das Glätteeisen nicht im Koffer ist. Was will der Arzt also hier wissen?
Dr. Renner scheint zum Ende seiner Aufzeichnungen zu kommen. Ich wette, die einzigen Filme, die er schaut, laufen auf Monitoren im OP. Was natürlich auch nicht einer gewissen Dramatik entbehrt ...
Im Raum ist es weiterhin still, nur leises Knacken aus dem Eingangsbereich ist zu hören, unter den Füßen der gummibesohlten Arzthelferinnen. Sie dürfen auf der Arbeit orthopädisch wertvolle Sandalen mit Fußbett und Korkanteil tragen, während bei mir High Heels quasi zur Grundausstattung gehören.
Dr. Renner wendet sich mir zu, nimmt die Hände von der Tastatur und legt sie andächtig ineinander wie ein Tagesschausprecher. »Meine Damen und Herren«, könnte er sagen, »Charlotte Loos ist erkrankt. Die Achtundzwanzigjährige, die einen (Un-)Ruhepuls von einhundertfünfzig hat, arbeitet seit vier Jahren bei Skyline, einer der renommiertesten Linienfluggesellschaften Deutschlands. Loos war auf zahlreichen nationalen und internationalen Flügen tätig und wurde bekannt durch ihr Engagement in der Economy-, Business- und First Class.«
Jetzt, da er bereit für eine Antwort scheint, versuche ich krampfhaft, erwähnenswerte Stressfaktoren auszumachen, wegen derer ich auf dem Stopp in Montreal dem Eishockey-Match der Pittsburgh Penguins in Flip-Flops beigewohnt habe. (Kam mir klimatisch vor wie die Emirate im August. Aber welche Frau geht bitte gleich zum Arzt, nur weil sie die Einzige auf der Welt ist, die grundsätzlich nicht mehr friert? Das ist, als würde man die Weltherrschaft ablehnen.)
Spontan fällt mir da die Schneider-Schnepfe ein, der ich die aufdringliche Betonung meines gebärfreudigen Beckens durch eine mehr als gut sitzende Uniform in Size Zero verdanke. Und der »Baby-Mann«, der mir in Barcelona auf die Schulter getippt und angemerkt hat, ich würde nur dumm rumstehen statt zu arbeiten. Und meine spektakuläre Flucht von der yacht von Joseph Mizrachi, dem First Class-Passagier ... - nun ja, vielleicht war das ja ein kleines Trauma.
Sicherlich war es meiner inneren Balance auch nicht zuträglich, dass ich meine Calvin-Klein-Pumps neben diesem entwürdigenden Fußabtreter-Igel in Moosburg abstellen musste. Und die Leute, die im Flieger ihre Tabletts stapeln, stressen mich natürlich regelmäßig. Die passen dann nämlich nicht mehr untereinander in den Trolley, es sei denn, man nimmt die mit Schokopudding und Salatdressing beschmierten Schälchen wieder auseinander und verteilt sie erneut flach auf die einzelnen Tabletts, tunlichst ohne dass der Gast es sieht und sich bloßgestellt fühlen könnte. Reicht das für ein Trauma?
»Hatten Sie denn besonders viel Stress in letzter Zeit?«, versucht Dr. Renner jetzt, mir endlich eine Antwort zu entlocken.
Also, beim Stichwort Stress, da sieht die Sache schon anders aus! Ich entscheide auf der Stelle, dass es durchaus als Stress durchgeht, wenn mir ein Japaner am helllichten Tag im öffentlichen Personennahverkehr meine private Zeitschrift entwendet hat. Weil er meinte, dieser Service gehöre schon zum Flug. (Noch dazu nicht irgendeine, sondern ein renommiertes Promi-Magazin mit Vierfarbdruck, Pröbchen des neuesten orientalisch-floralen Duftes, extra mattierendem Jetlag-Make-up und exklusiven Fotos des neuesten Brangelina-Babys!) Allein bei der Erinnerung daran bin ich noch wie gelähmt.
Und dann die unerfreuliche Sache mit Malte auf dem Kilimandscharo, als ich lediglich versucht habe, ein Mindestmaß an Zivilisation zu erzeugen, indem ich mit dem Campingkocher einen Latte macchiato zubereiten wollte. Und diese beschissene kleine Plastikkarte, wegen der ich am Times Square mein Hotel nicht wiedergefunden habe ...
Jetzt weiß ich überhaupt nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen. Ich entscheide mich Dr. Renner gegenüber für eine kompakte anamnesefreundliche Zusammenfassung des Erlebten, die in die letzte freie Ecke meiner Krankenakte passt:
»Ja, ich hatte Stress!«
Deutlich und voller Inbrunst hallt dieses Bekenntnis durch das angenehm leere Behandlungszimmer. Plötzlich fühle ich mich schuldig, weil bestimmt jede Menge andere Leute im Wartezimmer sitzen, mit nichts als dem Lesezirkel.
Dr. Renner aber scheint zufrieden und wendet sich wieder der Tastatur zu. Neben seinem Karohemd und einer Informatiker-Brille, die sicher nicht aus modischen Gründen schwarz umrandet ist, besitzt er zusätzlich einen Doktortitel in Chemie, das habe ich zuvor recherchiert, und irgendwie beruhigt es mich.
In Notsituationen wie dieser sind Streber unabdingbar; das habe ich auch schon in der 4b zu Ruben Willimzyck gesagt: »Kopf hoch, eines Tages gewinnst du die Schachweltmeisterschaft oder den Nobelpreis durch die Erfindung einer chemischen Formel, mit der sich jede Naturkrause in einen Bob verwandeln lässt!«
Allerdings gebe ich zu, dass ich mir für mich, meine Talkshow-taugliche Erkrankung und anschließende Wunderheilung in Lourdes mit eigenem ARD-Brennpunkt, auch durchaus jemanden hätte vorstellen können wie den Landarzt oder Dr. Hofrat aus Sissi - Schicksalsjahre einer Kaiserin, der sie auf Madeira leidenschaftlich über ihre Genesung bzw. im Grunde über die von ganz Österreich-Ungarn informiert.
Aber meine Krankenversichertenkarte und ich konnten froh sein, in München überhaupt jemanden mit Kassenzulassung gefunden zu haben, der die nötige Motivation besitzt, mich noch Freitagnachmittags vor einem drohenden Mitralklappenkollaps zu retten. Charlotte Loos - Schicksalsjahre einer Stewardess.
Copyright © 2011 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Annette Lies
Annette Lies wurde 1979 in Herne geboren. Die gelernte Werbekauffrau arbeitete als Texterin und begeisterte Stewardess, bevor sie 2015 ihr Studium der Dramaturgie an der HFF München abschloss. Ihre Romane "Saftschubse" und "Saftschubse - Neue Turbulenzen" werden aktuell für Sat1 verfilmt. Annette Lies lebt in München und Key West.
Bibliographische Angaben
- Autor: Annette Lies
- 2011, Originalausgabe, 270 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453408578
- ISBN-13: 9783453408579
- Erscheinungsdatum: 07.04.2011
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