Ich bleib noch ein bissl
Flüssiges und Überflüssiges
In seinem neuen Buch präsentiert Theaterlegende Otto Schenk seinen Lesern eine Fülle pointierter Geschichten, mit wachen Sinnen erlebt und mit unerschöpflichem Wortwitz erzählt. Er lässt uns teilhaben an seinen Erlebnissen und Begegnungen auf und hinter der...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Ich bleib noch ein bissl “
In seinem neuen Buch präsentiert Theaterlegende Otto Schenk seinen Lesern eine Fülle pointierter Geschichten, mit wachen Sinnen erlebt und mit unerschöpflichem Wortwitz erzählt. Er lässt uns teilhaben an seinen Erlebnissen und Begegnungen auf und hinter der Bühne, an seinem reichen Wissen über Oper, Theater, Musik und das Leben.
Wir erfahren, wie Humor entsteht und wie man Musik neu erleben kann, wie Oper funktioniert und wie Gedichte das Leben bereichern. Er führt uns anhand seiner Regiearbeiten nach London und New York, erzählt von seiner bedrohten Kindheit in der Nazizeit, die doch auch an heiteren Erlebnissen nicht arm war, von Kollegen und von Erfolg und Versagen am Theater.
Er schenkt uns köstliche, meist selbst erlebte Schauspieleranekdoten und urkomische, für das Buch extra geschaffene Fotoserien. Auch eine originelle Auseinandersetzung mit mehr oder weniger angenehmen Zeiterscheinungen fehlt nicht in diesem humorvollen und lebensklugen Kaleidoskop, mit dessen Lektüre man vielen Dingen auf die Spur kommt.
Wir erfahren, wie Humor entsteht und wie man Musik neu erleben kann, wie Oper funktioniert und wie Gedichte das Leben bereichern. Er führt uns anhand seiner Regiearbeiten nach London und New York, erzählt von seiner bedrohten Kindheit in der Nazizeit, die doch auch an heiteren Erlebnissen nicht arm war, von Kollegen und von Erfolg und Versagen am Theater.
Er schenkt uns köstliche, meist selbst erlebte Schauspieleranekdoten und urkomische, für das Buch extra geschaffene Fotoserien. Auch eine originelle Auseinandersetzung mit mehr oder weniger angenehmen Zeiterscheinungen fehlt nicht in diesem humorvollen und lebensklugen Kaleidoskop, mit dessen Lektüre man vielen Dingen auf die Spur kommt.
Klappentext zu „Ich bleib noch ein bissl “
In seinem neuen Buch präsentiert Theaterlegende Otto Schenk seinen Lesern eine Fülle pointierter Geschichten, mit wachen Sinnen erlebt und mit unerschöpflichem Wortwitz erzählt. Er lässt uns teilhaben an seinen Erlebnissen und Begegnungen auf und hinter der Bühne, an seinem reichen Wissen über Oper, Theater, Musik und das Leben. Wir erfahren, wie Humor entsteht und wie man Musik neu erleben kann, wie Oper funktioniert und wie Gedichte das Leben bereichern. Er führt uns anhand seiner Regiearbeiten nach London und New York, erzählt von seiner bedrohten Kindheit in der Nazizeit, die doch auch an heiteren Erlebnissen nicht arm war, von Kollegen und von Erfolg und Versagen am Theater. Er schenkt uns köstliche, meist selbst erlebte Schauspieleranekdoten und urkomische, für das Buch extra geschaffene Fotoserien. Auch eine originelle Auseinandersetzung mit mehr oder weniger angenehmen Zeiterscheinungen fehlt nicht in diesem humorvollen und lebensklugen Kaleidoskop, mit dessen Lektüre man vielen Dingen auf die Spur kommt.
Lese-Probe zu „Ich bleib noch ein bissl “
Otto Schenk - Ich bleibe noch ein bisschenVorwort
Es gibt einen Sketch von Gerhard Bronner, der gar nicht zu seinen berühmten Sketchen gehört, aber für mich ein prägendes Wort enthält. Der Sketch beginnt so: Ein mäßig begabter Komponist und ein Begleiter sollen ein Couplet – oder ein Chanson – liefern. Die zwei müden Herren treffen sich, einer sitzt schon am Klavier, und Bronner fragt seinen Partner: »Host du ein’ Einfall?« »Nein.« »Ich auch nicht.« »Also fang mer an.« Mit dieser Einstellung bin ich an alle meine Arbeiten herangetreten. Ich hatte keinerlei Einfall und aus tiefer Unlust kam der innere Befehl: »Also fang mer an.« Der Titel dieses Buches ist eigentlich eine Frechheit. Von wem kann ich verlangen, dass er mich noch ein bissl bleiben lässt? Was ist ein bissl? Was ist überhaupt die verbleibende Zeit? Und das Ganze ist geradezu ein blöder Witz, wenn das bissl, nachdem ich dies hier diktiert habe und das Buch in den Druck kommt, schon vorbei sein sollte. Ich glaube nicht, dass ich es ernst meine mit dem bissl, sondern dieses bissl ist schon eine aparte Zumutung an das Schicksal und eine kokette Bescheidenheit, die nicht ganz aufrichtig ist. Und »Ich bleib«? Das Bleiben ist ja etwas anderes als leben. Leben tut man doch nur, solange man lebt. Und bleiben tut man manchmal länger als man lebt. Und dann will ich auch nicht nur ein bissl bleiben, wenn ich nicht mehr lebe. Also bleib ich halt noch ein bissl.
Zwischentöne und von der Lust des genauen Lesens
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Ich bin traurig, wenn etwas aus der Mode kommt, so, wie ich traurig bin, wenn ein Bauer sein altes Haus abreißt und ein hässliches neues hinstellt, oder wenn die Geduld nachlässt, ausführlich zu lesen. Ich muss mir hier und da Wiederbegegnungen gönnen mit den verehrten Dichtern meiner Lesewahn-Zeit. Zu meiner Matura-Prüfung in Deutsch hatte ich fünfzig Werke in meiner Leseliste angegeben und über jedes Werk hätte man mich ausführlich prüfen können. Die Wiederbegegnung mit den Lieblingsstücken versetzt mich in Euphorie, weil nichts von den alten Meistern mir unheutig oder veraltet erscheint. Und rundherum schau ich in hilflose Augen, wenn ich nur den Titel manches Buches nenne. Vor Kurzem ist mir ein früher etwas langweilig erscheinender Roman von Thomas Mann wieder in die Hände geraten: »Lotte in Weimar«. Ich fand ihn in meiner Sturm-und-Drang-Periode langatmig und undramatisch. Ich war damals dem »Zauberberg« und dem »Doktor Faustus« verfallen. Es war wie ein Fieber, als ich »Lotte in Weimar« wieder zu lesen begann. Der Roman erzählt vom peinlichen Versuch der verwitweten Charlotte Kestner geborene Buff, eine alternde, verflossene Liebschaft, nämlich Goethe, aufzusuchen und die Wirkung noch einmal zu spüren oder auch die Neugierde zu befriedigen, was aus ihm geworden ist. Er war nicht gleich bereit, sie zu empfangen. Sie war angewiesen auf Gespräche mit einem Sekretär, seinem Sohn. Dieses Herantasten an die Vergangenheit und dieses Misslingen, ein freudiges Wiedersehen zu gestalten, das Aufwachen Goethes mit einem Selbstmonolog, der unbeschreiblich ist, diese zwischentonreichen Gebilde, die von Thomas Mann ironisch und verehrend zugleich geschildert werden, der Kellner oder der Wirt des Gasthauses, in dem sie abgestiegen ist, die leicht verlogene Verehrung, die etwas Kitschiges hat, das alles hat mich zu maßloser Begeisterung verführt. Ein Buch, das ich jedem empfehlen möchte, der Geduld hat und der sich freut, wenn die Nägel auf den richtigen Kopf treffen. Es gibt kaum einen Schriftsteller, der so genau über Musik schreiben kann wie Thomas Mann. Wenn er einen fanatischen Klavierlehrer holprig die Beethoven-Sonate schildern lässt, dann kann man dieses Stück nicht mehr anders hören. Wenn er Adrian Leverkühn im »Doktor Faustus« in zwölfton-ähnlichen Gebilden geradezu verwirrend komponieren lässt und das später bei ihm zum Wahnsinn führt: eine erschütternde Szene, da versteht man den ganzen faszinierenden Dschungel der modernen Musik. Leverkühn hat ja vorher mit dem Teufel einen Pakt geschlossen, dem Gefühl zu entsagen – da entstand bereits ein ganzer Kosmos von Musik. Eine Sehnsucht auch, diese Musik zu hören und zu verstehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man von diesem großen Meister nicht mindestens so hingerissen ist wie zum Beispiel der Mann verehrende, leider inzwischen verstorbene Altmeister der Literaturkritik Marcel Reich-Ranicki. Lesen ist wie eine Trance. Man hat das Gefühl einer Verwandlung, wenn man einem Buch verfällt. Ich verfalle nur Büchern, wenn sie so formuliert sind, dass man nicht anders sagen kann, was gesagt wird. Wenn es so ausführlich gesagt wird, wie es ausführlich gesagt werden muss, oder so kurz und prägnant, wie man es nicht kürzer und prägnanter sagen kann. Zwischen diesen beiden Polen schwanken die großen Romane. Es ist erstaunlich, wie auch in einem Drama, ich denke dabei an »Kabale und Liebe«, kurze auf ausufernde Sätze folgen. Es muss ausufern, dort wo es ausufert, und es muss kurz sein, wo es kurz ist. Dieses Wissen ist bei allen Dichtern zutiefst ausgeprägt. Ich lese natürlich theatralisch. Ich lese dramaturgisch. Ich lese, wie ein Schauspieler liest. Ich bin Schauspieler und kann nie anders denken als in schauspielerischen Gesetzen. Alles, was mir passiert, versuche ich nachher krampfhaft zu wiederholen, nachzuspielen sozusagen. Das zeichnet ja unseren Beruf aus, dass wir nicht nur ad hoc etwas liefern, sondern dass es haltbar sein muss. Jede Probe darf, laut Stanislawski, nicht im Glücksmoment abgebrochen werden und auch nicht im Unglücksmoment. Im Unglücksmoment ist es klar, dass man weiter probiert. Aber wenn etwas restlos gelungen ist, ist man verführt, glücklich nach Hause zu gehen. Das ist eine Sünde. Man muss diesem Glück misstrauen und muss versuchen, das, was man als gelungen empfunden hat, auch wiederholbar zu machen. Der Vorteil des Filmes ist, dass man bei einer gelungenen Aufnahme nicht mehr nachdenken muss, ob sie wiederholbar ist. Da ist oft der erste Wurf der beste. Penible Regisseure wiederholen fünfzehn Mal eine Szene, die schon beim ersten Mal durch Glück und Glücksgefühl gelungen ist, weil sie glauben, es wird noch besser. Und dann nehmen sie die erste Version und schmeißen die vierzehn Wiederholungen weg. Die Langeweile ist eines der größten, gefährlichsten Gifte für Kunst und Wissenschaft. Wenn ich meine geliebten Kunstbücher durchblättere, dann schlage ich mir ein vierfaches mea culpa an die Brust, weil ich sämtliche Texte darin kaum gelesen habe. Was da für Mühe und Plage vergeudet wird, das grenzt ans Astronomische. Man müsste ein Kunstbuch anders gestalten. Ich wünsche mir, dass ein Held der Kunstbuchgestaltung aufsteht, der die großartigen Werke mit prägnanten, dazwischen geschmissenen Worten lebendig erklärt, dichterisch kurz und verzichtend auf das wahnsinnige Wissen, das er zur Schau stellt. Ich bin überzeugt, man könnte ein anderes Layout für diese Bücher erfinden. Für die, die es genießen wollen, und für die, die auch das Erklärende genießen wollen, müsste man es dichterischer und dichter gestalten, mit den Bildern in unmittelbare Verbindung bringen und nicht vorher schon 400 Seiten Kleingeschriebenes anbieten, das, ich garantiere den großen Kunstwissenschaftlern, nicht einmal ein Prozent der Leute liest. Eine Reform wäre da unerlässlich. Es gibt einen Hochmut der Unverständlichkeit. Fast in jedem wissenschaftlichen Vortrag, in jedem wissenschaftlichen Buch, in jeder Kunstgeschichte maßen sich die Schreiber eine Maske der Unverständlichkeit an. Sie erfinden Worte, die nicht einmal im Fremdwörterlexikon auffindbar sind. Aber das machen ja nicht nur die Philosophen, sondern sogar die Schrei121 ber von Beipackzetteln, die allerdings so klein gedruckt sind, dass man sie eigentlich nur mit dem Mikroskop lesen kann. Die wissen schon, warum. In einer Zeitung war auf einem Bild vor einem Hintergrund über zwei Seiten ein drei Zentimeter großer Fleck eingezeichnet und darüber stand, dass das Universum vor dem Urknall genau so groß war. Meine Antwort auf diesen Schmäh ist natürlich: »Lieber Herr, das glaub ich nicht.« Aber es gibt zahlreiche hochqualifizierte Wissenschaftler, die dieses Märchen glauben und zu belegen meinen. Babylonische Röhren werden durch ganze Länder gezogen, um dem Urknall ähnliche Simulationen durchzuführen. Teilchen werden entdeckt, die kommen und gehen und machen, was sie wollen. Weltall-Explosionen und Atmungen werden geschildert, Krümmungen mit unendlichem Radius werden erwähnt. Von den schwarzen Löchern will ich gar nicht reden. Das Ganze ist wie ein Märchen aus einer Milliarde und einer Nacht. Gott sei Dank sind sich die Herren Astronomen – man könnte sie, nach Wallensteins Astrolog Seni, die Neo-Senis nennen – in keiner Weise einig. Mein »Das glaub ich nicht« schreien auch sie sich gegenseitig oft zu. Als die Bücher noch nicht gedruckt wurden, sondern handgeschrieben waren, wurde in alten Bibliotheken laut gelesen. Dort herrschte also ein Krawall von Menschen, die laut vor sich hin gesprochen haben. Das hat man durch eine Schrift erfahren, die von einem Mönch erzählte, dem man als großes Können attestierte, dass er, ohne laut zu sprechen, ein Buch zu lesen imstande war. Das war zu einer Zeit, als ein Buch mehr wert war als ein Haus. Und wenn zum Beispiel ein Schloss brannte, war es das Wichtigste, zuerst die Bücher zu retten. Eine Seite musste ja neu geschrieben werden, wenn nur ein Buchstabe falsch war, und Schreiben galt als die größte Qual, die man sich vorstellen konnte. Ich beneide diese Zeiten, weil ich wahnsinnig gern in meiner eigenen Bibliothek wie ein Halbidiot meine Bücher laut vor mich hin lese und dabei erst den großen Genuss an der Formulierung empfinde. Ich bin der Ansicht, dass man, wenn man liest, den Satz mit den Augen vorweg lesen, und wenn man ihn erfasst hat, dann sprechend lesen soll. So lese ich auch vor. Ich weiß bei jedem Satz, wie er ausgeht, und habe bei jedem Satz den richtigen Atem, bis der neue Gedanke kommt. Wenn Leute ihre Reden halten und von Satz zu Satz vorlesen, so ist ein Zuhören ohne Einschlafen geradezu unmöglich. Die gestotterte Rede, wenn sie ohne Manuskript stattfindet, ist aufregender als die gescheiteste heruntergelesene. Der Herunterleser, wenn er schon ablesen will, hat die Verpflichtung, im Voraus zu wissen, wie der Satz geht. Auch hier gilt das Prawy-Wort: »Vom Subjekt zum Prädikat gibt es keine Protektion, meine lieben Politiker und Wissenschaftler.« Ich halte Erich Kästner für einen der gewaltigsten Lyriker. Er vermag, so ähnlich wie ich über die Phrase gesprochen habe, das Schnoddrige zu erhöhen und zu nicht anders sagbarem Ausdruck zu formen.
© Amalthea Signum Verlag
Ich bin traurig, wenn etwas aus der Mode kommt, so, wie ich traurig bin, wenn ein Bauer sein altes Haus abreißt und ein hässliches neues hinstellt, oder wenn die Geduld nachlässt, ausführlich zu lesen. Ich muss mir hier und da Wiederbegegnungen gönnen mit den verehrten Dichtern meiner Lesewahn-Zeit. Zu meiner Matura-Prüfung in Deutsch hatte ich fünfzig Werke in meiner Leseliste angegeben und über jedes Werk hätte man mich ausführlich prüfen können. Die Wiederbegegnung mit den Lieblingsstücken versetzt mich in Euphorie, weil nichts von den alten Meistern mir unheutig oder veraltet erscheint. Und rundherum schau ich in hilflose Augen, wenn ich nur den Titel manches Buches nenne. Vor Kurzem ist mir ein früher etwas langweilig erscheinender Roman von Thomas Mann wieder in die Hände geraten: »Lotte in Weimar«. Ich fand ihn in meiner Sturm-und-Drang-Periode langatmig und undramatisch. Ich war damals dem »Zauberberg« und dem »Doktor Faustus« verfallen. Es war wie ein Fieber, als ich »Lotte in Weimar« wieder zu lesen begann. Der Roman erzählt vom peinlichen Versuch der verwitweten Charlotte Kestner geborene Buff, eine alternde, verflossene Liebschaft, nämlich Goethe, aufzusuchen und die Wirkung noch einmal zu spüren oder auch die Neugierde zu befriedigen, was aus ihm geworden ist. Er war nicht gleich bereit, sie zu empfangen. Sie war angewiesen auf Gespräche mit einem Sekretär, seinem Sohn. Dieses Herantasten an die Vergangenheit und dieses Misslingen, ein freudiges Wiedersehen zu gestalten, das Aufwachen Goethes mit einem Selbstmonolog, der unbeschreiblich ist, diese zwischentonreichen Gebilde, die von Thomas Mann ironisch und verehrend zugleich geschildert werden, der Kellner oder der Wirt des Gasthauses, in dem sie abgestiegen ist, die leicht verlogene Verehrung, die etwas Kitschiges hat, das alles hat mich zu maßloser Begeisterung verführt. Ein Buch, das ich jedem empfehlen möchte, der Geduld hat und der sich freut, wenn die Nägel auf den richtigen Kopf treffen. Es gibt kaum einen Schriftsteller, der so genau über Musik schreiben kann wie Thomas Mann. Wenn er einen fanatischen Klavierlehrer holprig die Beethoven-Sonate schildern lässt, dann kann man dieses Stück nicht mehr anders hören. Wenn er Adrian Leverkühn im »Doktor Faustus« in zwölfton-ähnlichen Gebilden geradezu verwirrend komponieren lässt und das später bei ihm zum Wahnsinn führt: eine erschütternde Szene, da versteht man den ganzen faszinierenden Dschungel der modernen Musik. Leverkühn hat ja vorher mit dem Teufel einen Pakt geschlossen, dem Gefühl zu entsagen – da entstand bereits ein ganzer Kosmos von Musik. Eine Sehnsucht auch, diese Musik zu hören und zu verstehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man von diesem großen Meister nicht mindestens so hingerissen ist wie zum Beispiel der Mann verehrende, leider inzwischen verstorbene Altmeister der Literaturkritik Marcel Reich-Ranicki. Lesen ist wie eine Trance. Man hat das Gefühl einer Verwandlung, wenn man einem Buch verfällt. Ich verfalle nur Büchern, wenn sie so formuliert sind, dass man nicht anders sagen kann, was gesagt wird. Wenn es so ausführlich gesagt wird, wie es ausführlich gesagt werden muss, oder so kurz und prägnant, wie man es nicht kürzer und prägnanter sagen kann. Zwischen diesen beiden Polen schwanken die großen Romane. Es ist erstaunlich, wie auch in einem Drama, ich denke dabei an »Kabale und Liebe«, kurze auf ausufernde Sätze folgen. Es muss ausufern, dort wo es ausufert, und es muss kurz sein, wo es kurz ist. Dieses Wissen ist bei allen Dichtern zutiefst ausgeprägt. Ich lese natürlich theatralisch. Ich lese dramaturgisch. Ich lese, wie ein Schauspieler liest. Ich bin Schauspieler und kann nie anders denken als in schauspielerischen Gesetzen. Alles, was mir passiert, versuche ich nachher krampfhaft zu wiederholen, nachzuspielen sozusagen. Das zeichnet ja unseren Beruf aus, dass wir nicht nur ad hoc etwas liefern, sondern dass es haltbar sein muss. Jede Probe darf, laut Stanislawski, nicht im Glücksmoment abgebrochen werden und auch nicht im Unglücksmoment. Im Unglücksmoment ist es klar, dass man weiter probiert. Aber wenn etwas restlos gelungen ist, ist man verführt, glücklich nach Hause zu gehen. Das ist eine Sünde. Man muss diesem Glück misstrauen und muss versuchen, das, was man als gelungen empfunden hat, auch wiederholbar zu machen. Der Vorteil des Filmes ist, dass man bei einer gelungenen Aufnahme nicht mehr nachdenken muss, ob sie wiederholbar ist. Da ist oft der erste Wurf der beste. Penible Regisseure wiederholen fünfzehn Mal eine Szene, die schon beim ersten Mal durch Glück und Glücksgefühl gelungen ist, weil sie glauben, es wird noch besser. Und dann nehmen sie die erste Version und schmeißen die vierzehn Wiederholungen weg. Die Langeweile ist eines der größten, gefährlichsten Gifte für Kunst und Wissenschaft. Wenn ich meine geliebten Kunstbücher durchblättere, dann schlage ich mir ein vierfaches mea culpa an die Brust, weil ich sämtliche Texte darin kaum gelesen habe. Was da für Mühe und Plage vergeudet wird, das grenzt ans Astronomische. Man müsste ein Kunstbuch anders gestalten. Ich wünsche mir, dass ein Held der Kunstbuchgestaltung aufsteht, der die großartigen Werke mit prägnanten, dazwischen geschmissenen Worten lebendig erklärt, dichterisch kurz und verzichtend auf das wahnsinnige Wissen, das er zur Schau stellt. Ich bin überzeugt, man könnte ein anderes Layout für diese Bücher erfinden. Für die, die es genießen wollen, und für die, die auch das Erklärende genießen wollen, müsste man es dichterischer und dichter gestalten, mit den Bildern in unmittelbare Verbindung bringen und nicht vorher schon 400 Seiten Kleingeschriebenes anbieten, das, ich garantiere den großen Kunstwissenschaftlern, nicht einmal ein Prozent der Leute liest. Eine Reform wäre da unerlässlich. Es gibt einen Hochmut der Unverständlichkeit. Fast in jedem wissenschaftlichen Vortrag, in jedem wissenschaftlichen Buch, in jeder Kunstgeschichte maßen sich die Schreiber eine Maske der Unverständlichkeit an. Sie erfinden Worte, die nicht einmal im Fremdwörterlexikon auffindbar sind. Aber das machen ja nicht nur die Philosophen, sondern sogar die Schrei121 ber von Beipackzetteln, die allerdings so klein gedruckt sind, dass man sie eigentlich nur mit dem Mikroskop lesen kann. Die wissen schon, warum. In einer Zeitung war auf einem Bild vor einem Hintergrund über zwei Seiten ein drei Zentimeter großer Fleck eingezeichnet und darüber stand, dass das Universum vor dem Urknall genau so groß war. Meine Antwort auf diesen Schmäh ist natürlich: »Lieber Herr, das glaub ich nicht.« Aber es gibt zahlreiche hochqualifizierte Wissenschaftler, die dieses Märchen glauben und zu belegen meinen. Babylonische Röhren werden durch ganze Länder gezogen, um dem Urknall ähnliche Simulationen durchzuführen. Teilchen werden entdeckt, die kommen und gehen und machen, was sie wollen. Weltall-Explosionen und Atmungen werden geschildert, Krümmungen mit unendlichem Radius werden erwähnt. Von den schwarzen Löchern will ich gar nicht reden. Das Ganze ist wie ein Märchen aus einer Milliarde und einer Nacht. Gott sei Dank sind sich die Herren Astronomen – man könnte sie, nach Wallensteins Astrolog Seni, die Neo-Senis nennen – in keiner Weise einig. Mein »Das glaub ich nicht« schreien auch sie sich gegenseitig oft zu. Als die Bücher noch nicht gedruckt wurden, sondern handgeschrieben waren, wurde in alten Bibliotheken laut gelesen. Dort herrschte also ein Krawall von Menschen, die laut vor sich hin gesprochen haben. Das hat man durch eine Schrift erfahren, die von einem Mönch erzählte, dem man als großes Können attestierte, dass er, ohne laut zu sprechen, ein Buch zu lesen imstande war. Das war zu einer Zeit, als ein Buch mehr wert war als ein Haus. Und wenn zum Beispiel ein Schloss brannte, war es das Wichtigste, zuerst die Bücher zu retten. Eine Seite musste ja neu geschrieben werden, wenn nur ein Buchstabe falsch war, und Schreiben galt als die größte Qual, die man sich vorstellen konnte. Ich beneide diese Zeiten, weil ich wahnsinnig gern in meiner eigenen Bibliothek wie ein Halbidiot meine Bücher laut vor mich hin lese und dabei erst den großen Genuss an der Formulierung empfinde. Ich bin der Ansicht, dass man, wenn man liest, den Satz mit den Augen vorweg lesen, und wenn man ihn erfasst hat, dann sprechend lesen soll. So lese ich auch vor. Ich weiß bei jedem Satz, wie er ausgeht, und habe bei jedem Satz den richtigen Atem, bis der neue Gedanke kommt. Wenn Leute ihre Reden halten und von Satz zu Satz vorlesen, so ist ein Zuhören ohne Einschlafen geradezu unmöglich. Die gestotterte Rede, wenn sie ohne Manuskript stattfindet, ist aufregender als die gescheiteste heruntergelesene. Der Herunterleser, wenn er schon ablesen will, hat die Verpflichtung, im Voraus zu wissen, wie der Satz geht. Auch hier gilt das Prawy-Wort: »Vom Subjekt zum Prädikat gibt es keine Protektion, meine lieben Politiker und Wissenschaftler.« Ich halte Erich Kästner für einen der gewaltigsten Lyriker. Er vermag, so ähnlich wie ich über die Phrase gesprochen habe, das Schnoddrige zu erhöhen und zu nicht anders sagbarem Ausdruck zu formen.
© Amalthea Signum Verlag
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Autoren-Porträt von Otto Schenk
Schenk, OttoOtto Schenk wurde am 12. Juni 1930 in Wien geboren und erlebte eine von den Schrecken des Naziregimes geprägte Kindheit. Es folgten Matura und Jurastudium. Nach der Ausbildung am Max Reinhardt Seminar debütierte er in Wien als Schauspieler und wirkte als Regisseur am Theater und an führenden Opernhäusern sowie als Direktor am Theater in der Josefstadt. Außerdem war er in zahlreichen Fernsehspielen zu erleben. Erfolgreich auch als Kabarettist und Entertainer. Seit über 20 Jahren umjubelte Lesungen. Zahllose Preise, Auszeichnungen und Orden zeugen von der Anerkennung durch Politik, Medien und vor allem sein Publikum.
Bibliographische Angaben
- Autor: Otto Schenk
- 224 Seiten, Maße: 14,6 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Amalthea
- ISBN-10: 3850028801
- ISBN-13: 9783850028806
- Erscheinungsdatum: 07.10.2014
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