Sengende Nähe / Gestaltwandler Bd.6
Roman
Obwohl sich Mercy, eine Wächterin der DarkRiver-Leoparden, schon lange nach einem Gefährten sehnt, wehrt sie sich mit Klauen und Zähnen, als der verführerische Riley Kincaid sie für sich zu gewinnen versucht. Auch wenn die...
lieferbar
versandkostenfrei
Taschenbuch
10.30 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Sengende Nähe / Gestaltwandler Bd.6 “
Obwohl sich Mercy, eine Wächterin der DarkRiver-Leoparden, schon lange nach einem Gefährten sehnt, wehrt sie sich mit Klauen und Zähnen, als der verführerische Riley Kincaid sie für sich zu gewinnen versucht. Auch wenn die Gefühle zwischen ihnen lodern, geraten der Wolf und die Wildkatze immer wieder aneinander. Doch als ein brillanter Forscher aus dem Territorium des DarkRiver-Rudels entführt wird, müssen Mercy und Riley zusammenarbeiten, um den jungen Mann zu finden. Und dabei entdecken sie, dass es sich durchaus lohnen kann, einander zu vertrauen.
Klappentext zu „Sengende Nähe / Gestaltwandler Bd.6 “
Obwohl sich Mercy, eine Wächterin der DarkRiver-Leoparden, schon lange nach einem Gefährten sehnt, wehrt sie sich mit Klauen und Zähnen, als der verführerische Riley Kincaid sie für sich zu gewinnen versucht. Auch wenn die Gefühle zwischen ihnen lodern, geraten der Wolf und die Wildkatze immer wieder aneinander. Doch als ein brillanter Forscher aus dem Territorium des DarkRiver-Rudels entführt wird, müssen Mercy und Riley zusammenarbeiten, um den jungen Mann zu finden. Und dabei entdecken sie, dass es sich durchaus lohnen kann, einander zu vertrauen ...
Lese-Probe zu „Sengende Nähe / Gestaltwandler Bd.6 “
Sengende Nähe von Nalini SinghLeseprobe
Mercy wurde eiskalt. „Medialer, Mensch oder Gestaltwandler?"
„Bislang keine Bestätigung für irgendeine Gattung - ruf mich sofort an, wenn du Genaueres weißt", sagte Lucas. „Ein SnowDancer-Wolf ist bereits unterwegs."
„Warum denn?" Der Leopardin sträubte sich das Fell. „Der Hain ist unser Gebiet."
„Einem ihrer Jugendlichen ist der Geruch aufgefallen, als er vorbeikam -"
„Ha", sagte Mercy. „Hatte wahrscheinlich Schlimmes im Sinn." Mercy war das offizielle Verbindungsglied zu den Wölfen, ihr entging kaum etwas von den Revierkämpfen der Jugendlichen - und jungen Erwachsenen -- der beiden Rudel. Wenn nicht unbedingt ein Eingreifen der Alphatiere erforderlich war, lief alles über Mercy ... und Riley. Der Biss an ihrem Hals kitzelte - sie spürte seine Lippen, seine Zähne wieder auf ihrer Haut.
... mehr
„Muss ich mir Sorgen machen?"
Sie konzentrierte sich wieder auf das Telefonat und schüttelte den Kopf. „Nein, die lassen nur Dampf ab, wollen die Rangordnung festlegen." Die Rudel waren sehr diszipliniert - auch die jüngeren Mitglieder wussten sehr genau, wie weit sie gehen durften. „Vielleicht kann ich dem Wolf zuvorkommen."
„Wir sind Verbündete", sagte Lucas geduldig. „Sei nett zu ihm."
Mercy wusste, dass er sich jedes Mal mit Hawke anlegte, wenn sie sich trafen. „So nett wie du?"
„Klappe. Ich bin dein Alphatier. Mach dich endlich auf den Weg."
Sie unterbrach die Verbindung mit einem Lächeln, das schnell wieder aus ihrem Gesicht verschwand, als sie sich überlegte, was sie wohl vorfinden würde. Schnell spritzte sie sich ein wenig Wasser ins Gesicht - das Bad würde warten müssen, bis sie ein paar freie Stunden zur Verfügung hatte. Ihre Muskeln schmerzten zwar immer noch ein wenig, aber das konnte sie nicht aufhalten. Schließlich war sie nicht ohne Grund Wächterin - sie war körper lich fit, tödlich gefährlich und konnte es auch mit Männern aufnehmen, die doppelt so groß waren wie sie selbst.
Mit Riley allerdings nicht.
Sie fletschte die Zähne, als sie daran dachte, wie er sie zu Boden gedrückt hatte - letzte Nacht hatte ihr das gefallen, aber falls der Wolf es ausnutzen wollte, um das Gleichgewicht zwischen Wächtern und Offizieren zu seinen Gunsten zu verschieben, würde es ein böses Erwachen geben.
In Gedanken sah sie vor sich, wie er ihren Angriff abgeblockt und dabei noch versucht hatte, ihr nicht wehzutun. Sie unterdrückte die Wärme, die in ihr aufsteigen wollte. Eines wusste sie genau über Raubtiergestaltwandler: Es war schwierig, sie in ihren Grenzen zu halten - wenn sie nur ein paar Zentimeter nachgab, würde er eine kilometerbreite Bresche schlagen und dennoch versuchen, sie im Kampf zu schützen.
Sie runzelte die Stirn, trocknete ihr Gesicht und nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um eine ganz bestimmte Stelle am Hals mit Make-up abzudecken, dann band sie die Haare zu einem festen Pferdeschwanz zusammen, schlüpfte in Jeans, ein weißes T-Shirt und Stiefel. Ihr Handy lag noch auf dem Nachttisch, sie schnappte es sich auf dem Weg nach draußen und schob es in die Hosentasche. Die Herbstluft duftete süß und prickelte auf der Haut; es war fast ein wenig zu kalt. Mercy genoss sie in vollen Zügen, während sie lief, überließ die Führung der Leopardin, behielt aber ihre menschliche Gestalt. Instinktiv setzte sie ihre
Schritte, duckte sich rechtzeitig, änderte die Richtung, wenn der Weg rechts oder links von ihr einfacher war.
Sie fühlte sich großartig.
Trotz des Bedrohlichen, das vor ihr lag, lächelte sie, als ihr eine Witterung in die Nase stieg. Sie lief langsamer, denn sie hatte das große Areal erreicht, das sie Hain nannten. „So grausam kann Gott nicht sein." Aber er war es doch.
Denn natürlich war es Riley, der da auf sie zukam. Wie immer hatte er diesen gleichmütigen Ausdruck im Gesicht - bei dem sie sofort den Wunsch verspürte, ihn zu piesacken, um eine Reaktion aus ihm hervorzulocken. Wenn sie nicht schon erlebt hätte, wie sich seine Züge vor Leidenschaft verziehen konnten, hätte sie ihn tatsächlich für einen Androiden gehalten. Für einen Raubtiergestaltwandler, noch dazu für einen so dominanten Mann wie Riley, war das eine schauspielerische Glanzleistung.
„Zufall?", fragte sie zuckersüß.
Sein Blick - dunkel und sehr entschlossen - fiel auf ihren Nacken. „Du kannst einen Biss unmöglich so schnell verheilen lassen." Seine Stimme klang kühl, aber sein Kiefer war vorgescho ben.
„Vielleicht doch." Vielleicht besaß sie aber auch nur einen guten Abdeckstift. „Dann mal los." Sie wandte sich nach links und er nach rechts. „Irgendetwas entdeckt?", fragte sie, als sie nach ihrem Streifzug wieder zusammentrafen.
„Nein. Nächste Runde."
Sie knurrte ihn an. „Ich weiß selbst, was ich tun muss. Behalte deine Befehle für dich."
Seine ruhigen Augen wurden nicht ein Stückchen kleiner. „Wie du willst." Und schon war er fort.
Sie war wütend. Und ihr wurde klar, dass er genau das beabsichtigt hatte. Riley wusste ganz genau, auf welche Knöpfe er bei ihr drücken musste. Als hätte er ein Diplom im Ärgern - sie
erstarrte, witterte und nahm einen Geruch wahr, bei dem sich ihr der Magen umdrehte. „Verdammt." Sie steckte zwei Finger in den Mund und pfiff.
Eine Minute später tauchte Riley auf. „Eine Luchsin", sagte er, als er nahe genug bei ihr war.
„Gestaltwandlerluchsin." Sie kauerte sich hin, um sich zu vergewissern, schüttelte den Kopf ... und nahm den Hauch von „Tod" wahr, der den Jugendlichen so irritiert hatte. Ihr wurde innerlich kalt, obwohl die Leopardin in ihr flüsterte, dass es kein menschliches Wesen war. „Es gibt Luchse in der Gegend, deshalb ist sie hier."
Riley spannte die Muskeln an, seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Sie ist wild geworden, eine Einzelgängerin."
„Hoffentlich kommen wir nicht zu spät." Mercy schluckte schwer und richtete sich wieder auf. Einzelgänger waren Gestaltwandler, die sich völlig ihrem Tier überlassen hatten und die menschliche Seite in sich unterdrückten. Wenn sie nur Tiere ge worden wären, wäre es nicht so schlimm gewesen -- natürlich hätte es gebrochene Herzen gegeben, doch man hätte diesen Verstoßenen erlaubt, in Frieden zu leben. Aber Einzelgänger waren intelligenter und schneller als normale Tiere. Und sie machten Jagd auf diejenigen, die vorher zu ihrer Familie gehört hatten. Doch dieser hier ... „Sie ist ein Kind, Riley."
Riley sah sie mit Wolfsaugen an. „Du kennst sie?"
„Es ist Willow. Ihre Familie musste sich die Erlaubnis holen, auf unserem Gebiet zu leben." Raubtiergestaltwandler hatten sehr strenge Regeln. So wurde der Frieden erhalten. Eine Grundregel war, sich nie ohne Erlaubnis in das Territorium eines anderen Raubtiers zu begeben. „Ihre Eltern arbeiten für ein Unternehmen in Tahoe."
„Wie alt ist sie?"
„Ich glaube, acht." Mercy schnupperte kräftig und versuchte, die Quelle des schwachen Hauches nach Blut und Tod ausfindig zu machen. „Ihren Eltern muss etwas geschehen sein." Sie zog ihr Handy heraus und rief Lucas an, während sie Willows Spur folgten.
„Mercy, was hast du ...?"
„Es ist Willow", sagte sie. „Jemand muss im Haus der Bakers nachschauen."
Lucas fluchte leise. „Nathan ist heute Morgen in die Richtung gefahren. Ich werde ihm Bescheid geben."
Riley signalisierte ihr, er werde nach links gehen. Sie nickte, beendete das Gespräch und schlich leise wie eine Leopardin nach rechts, denn Willow musste ganz in der Nähe sein. Aber sie stießen nicht auf das Mädchen, sondern auf etwas, das einmal ein kleiner wilder Hund gewesen war. Klein, aber sehr muskulös. „Wenn sie das getan hat, wird sie bald unwiderruflich verloren sein." Zum Glück war es ein Tier gewesen und kein Gestaltwandler. Denn dann hätte es für das Mädchen keinen Weg zurück in die Gemeinschaft gegeben.
Riley kniete sich neben Mercy. „Sie hat nichts davon gegessen. Das war reine Aggression."
„Armes Kind." Mercys Herz zog sich zusammen - was hatte das Mädchen bloß dazu getrieben? „Sie muss ganz in der Nähe sein. Die Witterung ist sehr deutlich." Mercy überlegte und zog die Stiefel aus. „Es ist bestimmt einfacher, wenn ich mich verwandle."
Riley nickte. „Ich sehe zu, dass ich im Windschatten bleibe."
„Gute Idee." Bei ihrem jetzigen Zustand würde ein Wolf das Mädchen nur ängstigen oder noch aggressiver machen. „Dreh dich um." Gestaltwandler waren nicht prüde, aber Riley hatte sie in einer sehr intimen Situation nackt gesehen ... dadurch hatte sich etwas verändert. Und das irritierte Mercy. „Du sollst dich umdrehen, habe ich gesagt."
Riley verschränkte seine Arme über der Brust und lehnte sich gegen einen Baum. Die dunklen Schokoladenaugen sahen sie unverwandt an.
O ja, Riley wusste wirklich, welche Knöpfe er drücken musste. „Na schön." Sie zuckte die Achseln und zog sich mit gestaltwandlerischer Geschwindigkeit aus, ballte Kleidung und Schuhe zu einem Knäuel, um sie irgendwo zu verstecken.
„Überlass das mir." Er war hinter ihr, legte die Hand auf ihre Schulter.
Es prickelte.
Elektrische Ströme pulsierten durch ihren Körper, selbst als sie die Hand längst abgeschüttelt hatte. „Fass mich nicht an." Die Raubkatze in ihr fuhr die Krallen aus, wollte mehr, aber Mercy biss die Zähne zusammen. Wenn sie jetzt nicht ein paar grundsätzliche Regeln aufstellte, würde Riley keine Ruhe geben, bis etwas in ihr einrastete. Der Mann kannte sich mit Besessenheit besser aus als manche Leoparden.
„Gib mir die Sachen." Seine Verärgerung war nicht laut, ein Sturm, der sich unter der gleichmütigen Oberfläche zusammenbraute, die er der Welt zeigte.
Es hatte ihn wohl unangenehm überrascht, dass sie ihm ihre körperliche Nähe verweigerte. Sie drückte ihm das Kleiderbündel in die Hand. „Mach damit, was du willst." Dann verwandelte sie sich. Schmerz und Ekstase, reiner Genuss und unglaubliche Qual. Einen Augenblick später war alles vorbei.
Riley kniete sich hin und strich über ihren Hals. „Dein ganzer Rücken ist zerschrammt, verdammt noch mal. Warum zum Teufel hast du nicht gesagt, dass es wehtut?"
Weil es das nicht getan hatte, Schlaumeier. Sie schnappte nach ihm, entzog sich seinem Griff und rannte in Richtung Luchs. Riley blieb zurück, um sich um ihre Kleidung zu kümmern. Schließlich nahm sie seine Witterung nicht mehr wahr. Dabei fiel ihr etwas ein. Dem Mädchen würde es sicher nicht gefallen, einen Wolf an ihrem Fell zu riechen. Sie legte sich auf den Boden und wälzte sich in einem Laubhaufen, um Rileys Ge ruch mit dem Aroma des Waldes zu überdecken.
Dann lief sie äußerst vorsichtig zu der kleinen Lichtung, von der der Luchsgeruch kam.
Die wilden Luchse nahmen sie zuerst wahr. Sie begrüßten sie mit leisem Knurren und beachteten sie nicht weiter, als sie keine Anstalten machte, sie zu verscheuchen. Willow saß zwischen ein paar Luchsjungen. Sie war größer und hatte ganz andere, einzigartige Augen. Ihre Körperhaltung und ihr Geruch verrieten die Gestaltwandlerin. Mercy ging zu ihr und drängte die anderen Jungen beiseite, ohne ihnen wehzutun.
Sie trollten sich, ein paar Vorwitzige versuchten noch, an ihren Beinen zu knabbern. Aber Mercy knurrte, und da verschwanden sie. Willow rührte sich nicht vom Fleck. Schon das zeigte, dass sie anders war. Mercy wollte das Junge nicht bedrängen und legte sich neben sie unter einen Baum. Der kleine Körper war kalt, und das Herz schlug viel zu langsam.
Die arme Kleine stand unter Schock.
Mercy lag einfach da, Willow sollte spüren, dass sie in Sicherheit war, dass jemand Stärkeres sie beschützte und nicht bedrohte. Es dauerte einige Zeit, aber schließlich entspannte sich der kleine Körper ein wenig. Dann noch ein wenig mehr. Das Mädchen kuschelte sich an sie, und sie seufzte vor Erleichterung - wenn Willow Trost bei ihr suchte, dann war sie noch nicht verloren.
Eine halbe Stunde später entschloss sich Mercy, den nächsten Schritt zu tun. Sie stand auf, drehte sich um und knabberte an Willows Ohr. Das Luchsjunge gab einen überraschten Laut von sich und kam mit weit aufgerissenen Augen auf die Beine. Mercy hielt ihren Blick fest und nahm menschliche Gestalt an.
Willow war immer noch eine Luchsin, Mercy kauerte sich neben sie, das lange Haar fiel ihr über die Schultern. Verdammt, sie hatte nicht an das Haargummi gedacht, und auch die Bissspur an ihrem Hals war bestimmt wieder zu sehen. Während der Verwandlung löste sich alles auf. Selbst Tätowierungen mussten mit einer speziellen Tinte gemacht werden, die sich auf Zellenebene mit dem Körper verband - wie genau, wollte sie gar nicht wissen. Es reichte ihr, dass sie ihre beiden Tattoos nicht nach jeder Verwandlung neu stechen lassen musste.
„He, Kleines." Sie strich mit der Hand über Willows Kopf, über die hübschen Pinselohren.
Das Mädchen lehnte sich an sie, wollte sich aber nicht verwandeln.
„Ich weiß, dass du Angst hast", sagte Mercy und zog Willow auf ihren Schoß. „Aber jetzt bin ich bei dir und passe auf, dass niemand dir etwas tut."
Das Mädchen rührte sich nicht.
Diese Reaktion schnürte Mercy fast die Luft ab. „Komm schon, Willow. Ich muss wissen, wer es getan hat, sonst kann ich dir nicht helfen." Sie streichelte das weiche Babyfell, küsste die Luchsin auf die kleine kalte Nase. „Jetzt bist du in Sicherheit." Dann legte sie die Dominanz der Wächterin in ihre Stimme. Mercy hatte eine hohe Stellung in ihrem Rudel. Deshalb war es der kleinen Luchsin fast unmöglich, ihrem Befehl nicht zu gehorchen. „Verwandle dich."
Und Willow nahm menschliche Gestalt an.
Mercy bewegte sich nicht, als das Junge im bunten Funkenregen der Verwandlung verschwand. Im nächsten Moment krabbelte das Mädchen von ihrem Schoß und kauerte sich ihr gegenüber hin. Ihre Augen blickten schmerzerfüllt. „Sie haben Nash mitgenommen."
„Deinen Bruder?" Nash studierte an der technischen Hochschule in Massachusetts, hatte aber Besuchsrecht für das Gebiet. Ein zaghaftes Nicken. „Sie haben Mama und Papa wehgetan und Nash mitgenommen." Willow schluckte, offensichtlich versuchte sie verzweifelt, die Tränen zurückzuhalten. „Mama und Papa sind einfach nicht mehr aufgewacht."
Oh Gott.
„Willow, Schätzchen." Mercy strich mit der Hand über den blonden Schopf, war sehr vorsichtig mit ihren Berührungen. Gestaltwandler hatten ihre Eigenheiten. Das Luchsjunge hatte keine Probleme gehabt, sich anzukuscheln, aber das Mädchen würde einer beinahe vollkommen Fremden keine familiären Rechte zugestehen. „Ich werde einen Freund rufen. Es ist ein Wolf."
Willow starrte sie an, Überraschung verdrängte kurzfristig Angst und Schmerz. „Ein Wolf?"
„So ist es." Mercy zuckte die Achseln. „Ich weiß schon, aber er beißt nicht." Das war eine glatte Lüge. „Mach dir keine Sorgen."
Willow sah nicht gerade überzeugt aus, aber sie blieb, wo sie war, als Mercy pfiff. Innerhalb einer Minute war Riley bei ihnen - mit ihren Kleidern und Stiefeln und dem Handy. Er zog sein T-Shirt aus und hielt es Willow hin, doch das Luchsjunge zögerte.
„Keine Angst", sagte Mercy und konnte den Blick nicht von den Kratzspuren auf Rileys Rücken abwenden. „Wolfsbakterien lassen sich leicht abwaschen." Verdammt, sie hatte ihn tüchtig gekratzt. Ihre Wangen wurden ganz heiß, als ihr klar wurde, wie sehr sie sich hatte gehen lassen.
Willow zögerte noch ein paar Sekunden, dann nahm sie das T-Shirt und zog es sich über. Es verdeckte so ziemlich alles. Sie waren zwar Gestaltwandler, aber in Gegenwart von Fremden eben auch Menschen. Das Mädchen stand auf und sah Riley an, Mercy knurrte anerkennend, die Kleine hatte Mut. „Vielen Dank."
„Gern geschehen." Er sah Mercy fragend an.
Sie nickte kurz. „Müde, Kleines?"
Willow schüttelte den Kopf. „Ich habe mich genug ausgeruht."
Aber sie war verdammt weit weg von ihrem Zuhause. Immerhin war sie eine Gestaltwandlerin. Eine kleinere Raubkatze als ein Leopard, aber ebenso ein Raubtier. Die hatten ihren Stolz. Und dieses Mädchen hatte jedes Recht darauf, stolz zu sein. „ In Ordnung. Einen Augenblick noch, dann können wir los." Sie tippte Lucas' Nummer ein.
„Hallo Mercy", meldete er sich, „wir haben die Eltern von Willow gefunden. Sie sind am Leben."
„Wie das?"
„Betäubungsmittel. Stark dosiert." Er schien gleichzeitig mit jemand anderem zu sprechen. „Ein paar Mediziner-Gefährten, die in der Nähe leben, sind gerade dabei, sie durchzuchecken, aber sie werden bald wieder in Ordnung sein. Bring das Junge zu Tammy."
Sie drückte auf den roten Hörer und sah Willow lächelnd an. „Deine Eltern sind wohlauf."
Hoffnung erhellte Willows Gesicht, doch dann folgte Misstrauen. „Aber sie sind nicht aufgewacht und haben ganz schrecklich gerochen."
Bei einer solchen Gelegenheit konnte ein guter Geruchssinn zu einem Fluch werden. Vor allem für die Kleinen. „Man hat ihnen ein Medikament gegeben, das sie sehr schläfrig gemacht hat."
Willow biss sich auf die Lippen.
„Reine Zeitverschwendung", sagte Riley. „Lass uns losgehen, dann kann sie sich selbst davon überzeugen."
Willow nickte wie ein kleiner Roboter.
„Dann komm", sagte Mercy und fragte sich, ob dem Kind klar war, dass es sich soeben mit einem Wolf verbündet hatte. „Laufen wir." Sie führte, Willow lief in der Mitte, und Riley bildete die Nachhut.
Als die Kleine taumelte, nahm Riley sie einfach auf den Rücken und lief weiter. Willow hielt sich an ihm fest. Die Lepardin in Mercy knurrte anerkennend - auch wenn Riley so manchen Fehler hatte (nicht gerade wenige, wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte), schien er doch zu wissen, wie man sich hilfloser Wesen annahm.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
„Muss ich mir Sorgen machen?"
Sie konzentrierte sich wieder auf das Telefonat und schüttelte den Kopf. „Nein, die lassen nur Dampf ab, wollen die Rangordnung festlegen." Die Rudel waren sehr diszipliniert - auch die jüngeren Mitglieder wussten sehr genau, wie weit sie gehen durften. „Vielleicht kann ich dem Wolf zuvorkommen."
„Wir sind Verbündete", sagte Lucas geduldig. „Sei nett zu ihm."
Mercy wusste, dass er sich jedes Mal mit Hawke anlegte, wenn sie sich trafen. „So nett wie du?"
„Klappe. Ich bin dein Alphatier. Mach dich endlich auf den Weg."
Sie unterbrach die Verbindung mit einem Lächeln, das schnell wieder aus ihrem Gesicht verschwand, als sie sich überlegte, was sie wohl vorfinden würde. Schnell spritzte sie sich ein wenig Wasser ins Gesicht - das Bad würde warten müssen, bis sie ein paar freie Stunden zur Verfügung hatte. Ihre Muskeln schmerzten zwar immer noch ein wenig, aber das konnte sie nicht aufhalten. Schließlich war sie nicht ohne Grund Wächterin - sie war körper lich fit, tödlich gefährlich und konnte es auch mit Männern aufnehmen, die doppelt so groß waren wie sie selbst.
Mit Riley allerdings nicht.
Sie fletschte die Zähne, als sie daran dachte, wie er sie zu Boden gedrückt hatte - letzte Nacht hatte ihr das gefallen, aber falls der Wolf es ausnutzen wollte, um das Gleichgewicht zwischen Wächtern und Offizieren zu seinen Gunsten zu verschieben, würde es ein böses Erwachen geben.
In Gedanken sah sie vor sich, wie er ihren Angriff abgeblockt und dabei noch versucht hatte, ihr nicht wehzutun. Sie unterdrückte die Wärme, die in ihr aufsteigen wollte. Eines wusste sie genau über Raubtiergestaltwandler: Es war schwierig, sie in ihren Grenzen zu halten - wenn sie nur ein paar Zentimeter nachgab, würde er eine kilometerbreite Bresche schlagen und dennoch versuchen, sie im Kampf zu schützen.
Sie runzelte die Stirn, trocknete ihr Gesicht und nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um eine ganz bestimmte Stelle am Hals mit Make-up abzudecken, dann band sie die Haare zu einem festen Pferdeschwanz zusammen, schlüpfte in Jeans, ein weißes T-Shirt und Stiefel. Ihr Handy lag noch auf dem Nachttisch, sie schnappte es sich auf dem Weg nach draußen und schob es in die Hosentasche. Die Herbstluft duftete süß und prickelte auf der Haut; es war fast ein wenig zu kalt. Mercy genoss sie in vollen Zügen, während sie lief, überließ die Führung der Leopardin, behielt aber ihre menschliche Gestalt. Instinktiv setzte sie ihre
Schritte, duckte sich rechtzeitig, änderte die Richtung, wenn der Weg rechts oder links von ihr einfacher war.
Sie fühlte sich großartig.
Trotz des Bedrohlichen, das vor ihr lag, lächelte sie, als ihr eine Witterung in die Nase stieg. Sie lief langsamer, denn sie hatte das große Areal erreicht, das sie Hain nannten. „So grausam kann Gott nicht sein." Aber er war es doch.
Denn natürlich war es Riley, der da auf sie zukam. Wie immer hatte er diesen gleichmütigen Ausdruck im Gesicht - bei dem sie sofort den Wunsch verspürte, ihn zu piesacken, um eine Reaktion aus ihm hervorzulocken. Wenn sie nicht schon erlebt hätte, wie sich seine Züge vor Leidenschaft verziehen konnten, hätte sie ihn tatsächlich für einen Androiden gehalten. Für einen Raubtiergestaltwandler, noch dazu für einen so dominanten Mann wie Riley, war das eine schauspielerische Glanzleistung.
„Zufall?", fragte sie zuckersüß.
Sein Blick - dunkel und sehr entschlossen - fiel auf ihren Nacken. „Du kannst einen Biss unmöglich so schnell verheilen lassen." Seine Stimme klang kühl, aber sein Kiefer war vorgescho ben.
„Vielleicht doch." Vielleicht besaß sie aber auch nur einen guten Abdeckstift. „Dann mal los." Sie wandte sich nach links und er nach rechts. „Irgendetwas entdeckt?", fragte sie, als sie nach ihrem Streifzug wieder zusammentrafen.
„Nein. Nächste Runde."
Sie knurrte ihn an. „Ich weiß selbst, was ich tun muss. Behalte deine Befehle für dich."
Seine ruhigen Augen wurden nicht ein Stückchen kleiner. „Wie du willst." Und schon war er fort.
Sie war wütend. Und ihr wurde klar, dass er genau das beabsichtigt hatte. Riley wusste ganz genau, auf welche Knöpfe er bei ihr drücken musste. Als hätte er ein Diplom im Ärgern - sie
erstarrte, witterte und nahm einen Geruch wahr, bei dem sich ihr der Magen umdrehte. „Verdammt." Sie steckte zwei Finger in den Mund und pfiff.
Eine Minute später tauchte Riley auf. „Eine Luchsin", sagte er, als er nahe genug bei ihr war.
„Gestaltwandlerluchsin." Sie kauerte sich hin, um sich zu vergewissern, schüttelte den Kopf ... und nahm den Hauch von „Tod" wahr, der den Jugendlichen so irritiert hatte. Ihr wurde innerlich kalt, obwohl die Leopardin in ihr flüsterte, dass es kein menschliches Wesen war. „Es gibt Luchse in der Gegend, deshalb ist sie hier."
Riley spannte die Muskeln an, seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Sie ist wild geworden, eine Einzelgängerin."
„Hoffentlich kommen wir nicht zu spät." Mercy schluckte schwer und richtete sich wieder auf. Einzelgänger waren Gestaltwandler, die sich völlig ihrem Tier überlassen hatten und die menschliche Seite in sich unterdrückten. Wenn sie nur Tiere ge worden wären, wäre es nicht so schlimm gewesen -- natürlich hätte es gebrochene Herzen gegeben, doch man hätte diesen Verstoßenen erlaubt, in Frieden zu leben. Aber Einzelgänger waren intelligenter und schneller als normale Tiere. Und sie machten Jagd auf diejenigen, die vorher zu ihrer Familie gehört hatten. Doch dieser hier ... „Sie ist ein Kind, Riley."
Riley sah sie mit Wolfsaugen an. „Du kennst sie?"
„Es ist Willow. Ihre Familie musste sich die Erlaubnis holen, auf unserem Gebiet zu leben." Raubtiergestaltwandler hatten sehr strenge Regeln. So wurde der Frieden erhalten. Eine Grundregel war, sich nie ohne Erlaubnis in das Territorium eines anderen Raubtiers zu begeben. „Ihre Eltern arbeiten für ein Unternehmen in Tahoe."
„Wie alt ist sie?"
„Ich glaube, acht." Mercy schnupperte kräftig und versuchte, die Quelle des schwachen Hauches nach Blut und Tod ausfindig zu machen. „Ihren Eltern muss etwas geschehen sein." Sie zog ihr Handy heraus und rief Lucas an, während sie Willows Spur folgten.
„Mercy, was hast du ...?"
„Es ist Willow", sagte sie. „Jemand muss im Haus der Bakers nachschauen."
Lucas fluchte leise. „Nathan ist heute Morgen in die Richtung gefahren. Ich werde ihm Bescheid geben."
Riley signalisierte ihr, er werde nach links gehen. Sie nickte, beendete das Gespräch und schlich leise wie eine Leopardin nach rechts, denn Willow musste ganz in der Nähe sein. Aber sie stießen nicht auf das Mädchen, sondern auf etwas, das einmal ein kleiner wilder Hund gewesen war. Klein, aber sehr muskulös. „Wenn sie das getan hat, wird sie bald unwiderruflich verloren sein." Zum Glück war es ein Tier gewesen und kein Gestaltwandler. Denn dann hätte es für das Mädchen keinen Weg zurück in die Gemeinschaft gegeben.
Riley kniete sich neben Mercy. „Sie hat nichts davon gegessen. Das war reine Aggression."
„Armes Kind." Mercys Herz zog sich zusammen - was hatte das Mädchen bloß dazu getrieben? „Sie muss ganz in der Nähe sein. Die Witterung ist sehr deutlich." Mercy überlegte und zog die Stiefel aus. „Es ist bestimmt einfacher, wenn ich mich verwandle."
Riley nickte. „Ich sehe zu, dass ich im Windschatten bleibe."
„Gute Idee." Bei ihrem jetzigen Zustand würde ein Wolf das Mädchen nur ängstigen oder noch aggressiver machen. „Dreh dich um." Gestaltwandler waren nicht prüde, aber Riley hatte sie in einer sehr intimen Situation nackt gesehen ... dadurch hatte sich etwas verändert. Und das irritierte Mercy. „Du sollst dich umdrehen, habe ich gesagt."
Riley verschränkte seine Arme über der Brust und lehnte sich gegen einen Baum. Die dunklen Schokoladenaugen sahen sie unverwandt an.
O ja, Riley wusste wirklich, welche Knöpfe er drücken musste. „Na schön." Sie zuckte die Achseln und zog sich mit gestaltwandlerischer Geschwindigkeit aus, ballte Kleidung und Schuhe zu einem Knäuel, um sie irgendwo zu verstecken.
„Überlass das mir." Er war hinter ihr, legte die Hand auf ihre Schulter.
Es prickelte.
Elektrische Ströme pulsierten durch ihren Körper, selbst als sie die Hand längst abgeschüttelt hatte. „Fass mich nicht an." Die Raubkatze in ihr fuhr die Krallen aus, wollte mehr, aber Mercy biss die Zähne zusammen. Wenn sie jetzt nicht ein paar grundsätzliche Regeln aufstellte, würde Riley keine Ruhe geben, bis etwas in ihr einrastete. Der Mann kannte sich mit Besessenheit besser aus als manche Leoparden.
„Gib mir die Sachen." Seine Verärgerung war nicht laut, ein Sturm, der sich unter der gleichmütigen Oberfläche zusammenbraute, die er der Welt zeigte.
Es hatte ihn wohl unangenehm überrascht, dass sie ihm ihre körperliche Nähe verweigerte. Sie drückte ihm das Kleiderbündel in die Hand. „Mach damit, was du willst." Dann verwandelte sie sich. Schmerz und Ekstase, reiner Genuss und unglaubliche Qual. Einen Augenblick später war alles vorbei.
Riley kniete sich hin und strich über ihren Hals. „Dein ganzer Rücken ist zerschrammt, verdammt noch mal. Warum zum Teufel hast du nicht gesagt, dass es wehtut?"
Weil es das nicht getan hatte, Schlaumeier. Sie schnappte nach ihm, entzog sich seinem Griff und rannte in Richtung Luchs. Riley blieb zurück, um sich um ihre Kleidung zu kümmern. Schließlich nahm sie seine Witterung nicht mehr wahr. Dabei fiel ihr etwas ein. Dem Mädchen würde es sicher nicht gefallen, einen Wolf an ihrem Fell zu riechen. Sie legte sich auf den Boden und wälzte sich in einem Laubhaufen, um Rileys Ge ruch mit dem Aroma des Waldes zu überdecken.
Dann lief sie äußerst vorsichtig zu der kleinen Lichtung, von der der Luchsgeruch kam.
Die wilden Luchse nahmen sie zuerst wahr. Sie begrüßten sie mit leisem Knurren und beachteten sie nicht weiter, als sie keine Anstalten machte, sie zu verscheuchen. Willow saß zwischen ein paar Luchsjungen. Sie war größer und hatte ganz andere, einzigartige Augen. Ihre Körperhaltung und ihr Geruch verrieten die Gestaltwandlerin. Mercy ging zu ihr und drängte die anderen Jungen beiseite, ohne ihnen wehzutun.
Sie trollten sich, ein paar Vorwitzige versuchten noch, an ihren Beinen zu knabbern. Aber Mercy knurrte, und da verschwanden sie. Willow rührte sich nicht vom Fleck. Schon das zeigte, dass sie anders war. Mercy wollte das Junge nicht bedrängen und legte sich neben sie unter einen Baum. Der kleine Körper war kalt, und das Herz schlug viel zu langsam.
Die arme Kleine stand unter Schock.
Mercy lag einfach da, Willow sollte spüren, dass sie in Sicherheit war, dass jemand Stärkeres sie beschützte und nicht bedrohte. Es dauerte einige Zeit, aber schließlich entspannte sich der kleine Körper ein wenig. Dann noch ein wenig mehr. Das Mädchen kuschelte sich an sie, und sie seufzte vor Erleichterung - wenn Willow Trost bei ihr suchte, dann war sie noch nicht verloren.
Eine halbe Stunde später entschloss sich Mercy, den nächsten Schritt zu tun. Sie stand auf, drehte sich um und knabberte an Willows Ohr. Das Luchsjunge gab einen überraschten Laut von sich und kam mit weit aufgerissenen Augen auf die Beine. Mercy hielt ihren Blick fest und nahm menschliche Gestalt an.
Willow war immer noch eine Luchsin, Mercy kauerte sich neben sie, das lange Haar fiel ihr über die Schultern. Verdammt, sie hatte nicht an das Haargummi gedacht, und auch die Bissspur an ihrem Hals war bestimmt wieder zu sehen. Während der Verwandlung löste sich alles auf. Selbst Tätowierungen mussten mit einer speziellen Tinte gemacht werden, die sich auf Zellenebene mit dem Körper verband - wie genau, wollte sie gar nicht wissen. Es reichte ihr, dass sie ihre beiden Tattoos nicht nach jeder Verwandlung neu stechen lassen musste.
„He, Kleines." Sie strich mit der Hand über Willows Kopf, über die hübschen Pinselohren.
Das Mädchen lehnte sich an sie, wollte sich aber nicht verwandeln.
„Ich weiß, dass du Angst hast", sagte Mercy und zog Willow auf ihren Schoß. „Aber jetzt bin ich bei dir und passe auf, dass niemand dir etwas tut."
Das Mädchen rührte sich nicht.
Diese Reaktion schnürte Mercy fast die Luft ab. „Komm schon, Willow. Ich muss wissen, wer es getan hat, sonst kann ich dir nicht helfen." Sie streichelte das weiche Babyfell, küsste die Luchsin auf die kleine kalte Nase. „Jetzt bist du in Sicherheit." Dann legte sie die Dominanz der Wächterin in ihre Stimme. Mercy hatte eine hohe Stellung in ihrem Rudel. Deshalb war es der kleinen Luchsin fast unmöglich, ihrem Befehl nicht zu gehorchen. „Verwandle dich."
Und Willow nahm menschliche Gestalt an.
Mercy bewegte sich nicht, als das Junge im bunten Funkenregen der Verwandlung verschwand. Im nächsten Moment krabbelte das Mädchen von ihrem Schoß und kauerte sich ihr gegenüber hin. Ihre Augen blickten schmerzerfüllt. „Sie haben Nash mitgenommen."
„Deinen Bruder?" Nash studierte an der technischen Hochschule in Massachusetts, hatte aber Besuchsrecht für das Gebiet. Ein zaghaftes Nicken. „Sie haben Mama und Papa wehgetan und Nash mitgenommen." Willow schluckte, offensichtlich versuchte sie verzweifelt, die Tränen zurückzuhalten. „Mama und Papa sind einfach nicht mehr aufgewacht."
Oh Gott.
„Willow, Schätzchen." Mercy strich mit der Hand über den blonden Schopf, war sehr vorsichtig mit ihren Berührungen. Gestaltwandler hatten ihre Eigenheiten. Das Luchsjunge hatte keine Probleme gehabt, sich anzukuscheln, aber das Mädchen würde einer beinahe vollkommen Fremden keine familiären Rechte zugestehen. „Ich werde einen Freund rufen. Es ist ein Wolf."
Willow starrte sie an, Überraschung verdrängte kurzfristig Angst und Schmerz. „Ein Wolf?"
„So ist es." Mercy zuckte die Achseln. „Ich weiß schon, aber er beißt nicht." Das war eine glatte Lüge. „Mach dir keine Sorgen."
Willow sah nicht gerade überzeugt aus, aber sie blieb, wo sie war, als Mercy pfiff. Innerhalb einer Minute war Riley bei ihnen - mit ihren Kleidern und Stiefeln und dem Handy. Er zog sein T-Shirt aus und hielt es Willow hin, doch das Luchsjunge zögerte.
„Keine Angst", sagte Mercy und konnte den Blick nicht von den Kratzspuren auf Rileys Rücken abwenden. „Wolfsbakterien lassen sich leicht abwaschen." Verdammt, sie hatte ihn tüchtig gekratzt. Ihre Wangen wurden ganz heiß, als ihr klar wurde, wie sehr sie sich hatte gehen lassen.
Willow zögerte noch ein paar Sekunden, dann nahm sie das T-Shirt und zog es sich über. Es verdeckte so ziemlich alles. Sie waren zwar Gestaltwandler, aber in Gegenwart von Fremden eben auch Menschen. Das Mädchen stand auf und sah Riley an, Mercy knurrte anerkennend, die Kleine hatte Mut. „Vielen Dank."
„Gern geschehen." Er sah Mercy fragend an.
Sie nickte kurz. „Müde, Kleines?"
Willow schüttelte den Kopf. „Ich habe mich genug ausgeruht."
Aber sie war verdammt weit weg von ihrem Zuhause. Immerhin war sie eine Gestaltwandlerin. Eine kleinere Raubkatze als ein Leopard, aber ebenso ein Raubtier. Die hatten ihren Stolz. Und dieses Mädchen hatte jedes Recht darauf, stolz zu sein. „ In Ordnung. Einen Augenblick noch, dann können wir los." Sie tippte Lucas' Nummer ein.
„Hallo Mercy", meldete er sich, „wir haben die Eltern von Willow gefunden. Sie sind am Leben."
„Wie das?"
„Betäubungsmittel. Stark dosiert." Er schien gleichzeitig mit jemand anderem zu sprechen. „Ein paar Mediziner-Gefährten, die in der Nähe leben, sind gerade dabei, sie durchzuchecken, aber sie werden bald wieder in Ordnung sein. Bring das Junge zu Tammy."
Sie drückte auf den roten Hörer und sah Willow lächelnd an. „Deine Eltern sind wohlauf."
Hoffnung erhellte Willows Gesicht, doch dann folgte Misstrauen. „Aber sie sind nicht aufgewacht und haben ganz schrecklich gerochen."
Bei einer solchen Gelegenheit konnte ein guter Geruchssinn zu einem Fluch werden. Vor allem für die Kleinen. „Man hat ihnen ein Medikament gegeben, das sie sehr schläfrig gemacht hat."
Willow biss sich auf die Lippen.
„Reine Zeitverschwendung", sagte Riley. „Lass uns losgehen, dann kann sie sich selbst davon überzeugen."
Willow nickte wie ein kleiner Roboter.
„Dann komm", sagte Mercy und fragte sich, ob dem Kind klar war, dass es sich soeben mit einem Wolf verbündet hatte. „Laufen wir." Sie führte, Willow lief in der Mitte, und Riley bildete die Nachhut.
Als die Kleine taumelte, nahm Riley sie einfach auf den Rücken und lief weiter. Willow hielt sich an ihm fest. Die Lepardin in Mercy knurrte anerkennend - auch wenn Riley so manchen Fehler hatte (nicht gerade wenige, wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte), schien er doch zu wissen, wie man sich hilfloser Wesen annahm.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
... weniger
Autoren-Porträt von Nalini Singh
Nalini Singh wurde auf den Fidschi-Inseln geboren und ist in Neuseeland aufgewachsen. Nach verschiedenen Tätigkeiten, unter anderem als Rechtsanwältin und Englischlehrerin, begann sie 2003 eine Karriere als Autorin von Liebesromanen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nalini Singh
- Altersempfehlung: Ab 16 Jahre
- 2010, 2. Aufl., 416 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Nora Lachmann
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 380258273X
- ISBN-13: 9783802582738
- Erscheinungsdatum: 05.10.2010
Kommentare zu "Sengende Nähe / Gestaltwandler Bd.6"
5 von 5 Sternen
5 Sterne 9Schreiben Sie einen Kommentar zu "Sengende Nähe / Gestaltwandler Bd.6".
Kommentar verfassen