Sieben Tage ohne / Dienstagsfrauen Bd.2
Die Dienstagsfrauen gehen fasten. Roman
Fastenzeit ist angesagt. Zumindest für die fünf Dienstagsfrauen. In einem abgelegenen Hotel heißt es entschlacken und entschleunigen. Doch schon bald führen Heißhunger und nachreisende Probleme zu ziemlichen Differenzen zwischen den Freundinnen.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Sieben Tage ohne / Dienstagsfrauen Bd.2 “
Fastenzeit ist angesagt. Zumindest für die fünf Dienstagsfrauen. In einem abgelegenen Hotel heißt es entschlacken und entschleunigen. Doch schon bald führen Heißhunger und nachreisende Probleme zu ziemlichen Differenzen zwischen den Freundinnen.
Klappentext zu „Sieben Tage ohne / Dienstagsfrauen Bd.2 “
Die Fortsetzung des Bestsellers »Die Dienstagsfrauen«Die Dienstagsfrauen gehen fasten. Fünf ungleiche Freundinnen, ein gemeinsames Ziel: Entschleunigen, entschlacken, abspecken, so lautet das Gebot der Stunde. Zu ihrem jährlichen Ausflug checken die Dienstagsfrauen im einsam gelegenen Burghotel Achenkirch zum Heilfasten ein. Sieben Tage ohne Ablenkung. Kein Telefon, kein Internet, keine Männer, keine familiären Anforderungen und beruflichen Verpflichtungen. Leider auch sieben Tage ohne Essen. Theoretisch jedenfalls. Quälender Heißhunger, starre Regeln und nachreisende Probleme führen zu immer neuen Heimlichkeiten und gefährden jeden Therapieerfolg. Statt Entspannung gibt es Missverständnisse, Streit und schlaflose Nächte. Die schwerste Prüfung jedoch steht Eva bevor. Hinter den dicken Burgmauern begibt sie sich auf die Suche nach ihrem unbekannten Vater. Sie entdeckt, dass man manche Familiengeheimnisse besser ruhen ließe...»Amüsant, aber nicht albern« (WAZ)
Lese-Probe zu „Sieben Tage ohne / Dienstagsfrauen Bd.2 “
Sieben Tage ohne von Monika PeetzEs war einer dieser Tage. Eva hatte den Frühdienst in der Klinik hinter sich, die vier Kinder stritten lautstark, wer an den Computer durfte, und Ehemann Frido, der versprochen hatte, sich um das Abendessen zu kümmern, war im Büro hängen geblieben. In eineinhalb Stunden musste sie im Le Jardin sein, bei »ihrem« Franzosen. Seit Tagen freute Eva sich auf den entspannten Abend mit den Dienstagsfrauen. In sechzehn gemeinsamen Jahren war aus den fünf Frauen, die zu Beginn nichts verband außer dem Wunsch, am Kölner Institut Frangais Französisch zu lernen, eine eingeschworene Gemeinschaft geworden. Die Dienstags frauen hatten Stürme, Schicksalsschläge und eine gemeinsame Pilgerreise nach Lourdes überstanden. Es war nicht immer einfach, mit den Freundinnen auszukommen. Heute hatte Eva das Problem, überhaupt zu ihnen hinzukommen.
... mehr
Eva kämpfte sich durch eine endlose Liste an Aufgaben und die sechsfache Terminplanung ihrer Familie. Sie hatte nach der Pilgerreise wieder angefangen, als Arztin zu arbeiten. Leider hatte das Wasser aus der heiligen Quelle weder Ehemann Frido in einen Küchenprinzen verwandelt noch drei pubertierende Teenager und eine Zehnjährige zu willigen Haushaltshilfen umgeformt. Als die Türklingel schrillte, schwante Eva nichts Gutes. Jeder regelmOige Gast in ihrem Leben wusste, dass die Haustür immer offen stand. Reine Selbstverteidigung bei vier Kindern mit chronischer Neigung zum Verlegen ihrer Schlüssel und ausgeprägtem Sozialleben. Es gab nur einen Menschen, der grundsätzlich klingelte und erwartete, dass die Tür höchstpersönlich für ihn geöffnet wurde. Eva stöhnte auf. Kein Zweifel, das konnte nur ihre Mutter sein. Seit Regine vor eineinhalb Jahren die Rente eingereicht hatte, war sie voll und ganz für Eva da. Zu voll. Zu ganz. Auf kleinbürgerliche Rituale wie die vorherige telefonische Anmeldung von Besuchen verzichtete sie.
Regine klingelte nicht, Regine sandte Morsezeichen, die an den Triumphmarsch aus Aida erinnerten. Eva liebte ihre Mutter. Nur nicht immer. Und ganz sicher nicht an einem ersten Dienstag im Monat, wenn sie wie seit sechzehn Jahren mit ihren Freundinnen im Le Jardin verabredet war. Eva wünschte sich, sie könne entschieden Nein sagen. Stattdessen rang sie sich ein Lächeln ab und öffnete. In der Tür lehnte lässig ein zweiundsechzigjähriges Hippiemädchen in bodenlangem, groß geblümtem Rüschenrock, um den Hals unzählige Ketten mit riesigen Anhängern. Unter einem ausladenden Sommerhut lugten lange blonde Zöpfe hervor. Dazu trug Regine indische Ledersandalen.
»Deine Großmutter hat all meine Sachen von früher aufgehoben«, erklärte Regine. »Das Zeug hat so lange auf dem Dachboden gelegen, dass es wieder modern ist.«
Regine bewohnte seit Jahren das ererbte Elternhaus in Bergisch Gladbach. Als Neu-Rentnerin latent unausgelastet, richtete sich ihr Tatendrang gegenwärtig auf den übervollen Speicher, der jahrzehntelang im Dornröschenschlaf gelegen hatte.
»Typisch Kriegsgeneration. Deine Oma Lore konnte nichts wegwerfen«, sagte Regine. »Alles noch da, meine ganze Vergangenheit. Na, sag schon, wie findest du mein Outfit?«
»Ich muss in einer Stunde im Le Jardin sein«, wehrte sich Eva schwach. Regines Mitteilungsbedürfnis überstieg ihr Einfühlungsvermögen. Sie winkte mit einem vergilbten Ratgeber.
»Ich hab auf dem Speicher ein altes Buch von mir gefunden. Traditionelle chinesische Heilkunst. Sehr erhellend«, sagte Regine und stolperte in Richtung Küche.
»Habe wohl abgenommen«, meinte sie, zog den Rock höher und musterte Evas schlabbrigen Jogginglook. Der Blick genügte, um Evas schlechtes Gewissen zu wecken. Seit Jahren befand sich Eva im täglichen Kampf mit Kalorien, Kilos und dem Konterfei, das ihr aus dem Spiegel entgegenblickte. Eva war glücklich, wenn sie die Hälfte ihrer täglichen Aufgabenliste bewältigt hatte. Grundsätzlich auf der Strecke blieben Programmpunkte wie >mit dem Fahrrad in die Klinik fahren<‚ >anmelden im Fitnesscenter oder >endlich mit der Ananasdiät anfangen. Ihr Kleiderschrank glich einem Museum, gewidmet dem dünnen Mädchen, das sie einst gewesen war. Dummerweise hatte sie von der dünnen Eva nicht viel mitgekriegt. Selbst als sie noch schlank war, hatte sie sich dick gefühlt. Gesellige Einkaufsbummel mit den Dienstagsfrauen waren für Eva eine Qual. Umkleidekabinen ohne Spiegel, Labels, die nur Größe 36 führten, und Hosen, die selbst in XXL kniffen. Während ihre Freundinnen mit vollen Tüten nach Hause kamen, kehrte Eva in der Regel mit einer Sonnenbrille, einem Schal und einem Blech Butterkuchen zurück.
»Von einer Frau, die man liebt, kann man nie genug haben«, tröstete Frido, wenn Eva den Reißverschluss am Kleid nicht mehr zubekam. Ihre Mutter war in der Regel weniger zurückhaltend. Heute beließ sie es bei einem Blick. Sie hatte ein anderes Thema.
»Mir war nicht klar, wie viele Ressourcen der Westen brachliegen lässt«, ereiferte sich Regine. »Unsere Gesellschaft geht zugrunde. Und alles nur, weil wir einen falschen Blick auf das Thema Krankheit haben.«
Eva war es egal, woran das Abendland unterging. Bevor sie ins Le Jardin konnte, musste der Abwasch aus der und die Dreckwäsche in die jeweilige Maschine. Wenn sie sich der Schmutzwäsche nicht vor dem Abendessen widmete, stand Frido jr. morgen früh in Unterwäsche beim Sportunterricht und Frido sr. ohne Hemd in der Vorstandssitzung.
»Ich habe mich informiert«, fuhr Regine fort. »Man kann eine Zusatzausbildung in Chinesischer Naturheilkunde machen. Berufsbegleitend. Das wär was für dich.«
Eva hatte unzählige Seminare besucht, um ihre medizinischen Kenntnisse auf den neuesten Stand zu bringen. Der pure Gedanke an eine weitere Fortbildung ließ sie fast zusammenbrechen.
»Ich fülle die Waschmaschine, du machst dich frisch«, schlug Regine vor, deren Adleraugen den bereitstehenden Wäschekorb erspäht hatten. »Wir trinken eine Tasse Tee, und dann verschwinde ich.« Regine zog ein Päckchen aus ihrem bunt bestickten Stoffbeutel.
»Tee der heiteren Ungezwungenheit«, las sie vor. »Extra besorgt für dich.«
Eva war eine hoch geschätzte Ärztin, sie konnte Patienten beruhigen, aufgeregte Familienangehörige trösten, sie managte neben einer Arbeitszeit von 19,25 Stunden einen sechsköpfigen Haushalt - gegen ihre Mutter war sie wehrlos.
Während sie sich hastig im Schlafzimmer umzog, lauschte sie angestrengt, was Regine in der Küche anstellte. Man konnte nie sicher sein, ob sie nicht nebenbei die Ordnung in den Schränken optimierte. Regine beriet Eva in allen Lebenslagen. Gratis und ungefragt. Bunte Wortgirlanden täuschten darüber hinweg, wie massiv ihre Mutter sich einmischte. Reginesätze begannen mit Floskeln wie: »Du weißt, ich bin tolerant, aber wenn ich dir einen Tipp geben darf ...«
»Du musst das natürlich so machen, wie du willst. Ich gebe allerdings zu bedenken ...«
Regines Spontanbesuche bei Eva entfalteten die Wirkung eines mittleren Tornados. Sie tauchte überfallartig aus dem Nichts auf, fegte durch Evas Leben und hinterließ ein emotionales Trümmerfeld. Bis zum nächsten Mal. Das Schlimmste war: Regine meinte es wirklich gut mit Eva. Nach zwei gescheiterten Kurzehen, traurigen Affären und dem Ende ihrer krummen beruflichen Laufbahn hungerte Regine danach, für jemanden wichtig zu sein.
Flapp, flapp, flapperdiflapp platschten Regines Sandalen über die Küchenfliesen, begleitet vom beständigen Geklimper der Halsketten. Eva hörte, wie Schubladen auf- und zugingen, Wasser rauschte, der Kessel aufgesetzt wurde. Dann quietschte die Kellertür. Regine stieg fröhlich vor sich hin pfeifend die Treppe hinunter zur Waschküche. Plötzlich ein Fluchen, ein markerschütternder Schrei, das Geräusch des fallenden Wäschekorbs, der gegen das Geländer schlug, dumpfes Gepolter, und dann nichts mehr. Kein Schritt. Kein Ton. Nichts. Evas Herz setzte aus. Sie rannte aus dem Schlafzimmer und stürzte zur Treppe, ein Bein schon in der Jeans, das andere Hosenbein schleifte über den Boden hinter ihr her.
»Mama«, schrie sie Richtung Keller. »Sag was. Mama.«
Eva fühlte, wie ihre Beine wegsackten. Regine war anstrengend, aber immer voller Pläne und Leben. Das durfte jetzt nicht passieren. Nicht jetzt. Nie. Warum hatte sie sich nicht einfach mit ihrer Mutter in die Küche gesetzt und Tee getrunken? Warum hatte sie Regine die Wäsche überlassen?
Das monotone Geräusch des Computerspiels, typisches Hintergrundgeräusch vieler Nachmittage, war verstummt. Die vier Kinder hatten sich in der Diele versammelt. Oft kamen sie Eva groß und erwachsen vor. Jetzt blickte sie in vier Paar verängstigte Kinderaugen.
»Ihr bleibt hier«, befahl Eva kurzerhand. Dabei machte keines der Kinder Anstalten, in den Keller zu gehen, um nachzusehen, was mit Oma war.
Diese entsetzliche Stille. Wenn ihr nur nichts passiert war. Wenn nur alles gut war mit Regine. Aus den Tiefen von Evas Unterbewusstsein stieg ein überraschender Gedanke empor: Jetzt werde ich nie mehr erfahren, wer mein Vater ist. Eva erschrak über sich selbst, während sie mit zittrigen Knien in den Keller stieg. Seit Jahren überkam Eva die Frage nach der eigenen Herkunft wie Ebbe und Flut. Es gab Zeiten, da war sie so beschäftigt mit ihrem eigenen Leben, dass es ihr unwichtig vorkam, unter welchen Umständen es begonnen hatte. Dann gab es Phasen, in denen sie glaubte, nicht wachsen zu können, ohne ihre Wurzeln zu kennen. Als Teenager hatte sie ihren Vater schmerzlich vermisst. Dabei kannte sie nicht einmal seinen Namen. Regine erstickte jede Frage mit hartnäckigem Schweigen. War es Enttäuschung, die Regine verstummen ließ? Wut? Trauer? Waren es verletzte Gefühle? Warum wollte ihr Vater kein Vater sein? Es war erstaunlich, wie viele Gedanken gleichzeitig in den winzigen Moment passten, bis sie ihre Mutter erreichte.
Regine lag am Ende der Treppe in merkwürdig verdrehter Haltung. Jäh wurde Eva klar, dass sie ohne Regine nie mehr eine Antwort auf ihre Lebensfrage bekommen würde. Eine Sekunde später fiel ihr ein, dass es auch mit Regine keine Klärung geben würde.
Ihre Mutter krümmte sich vor Schmerzen. Das linke Bein war nach außen gedreht, Regine konnte weder liegen noch sitzen oder stehen. Nur schimpfen: »Ich gehe nicht ins Krankenhaus«, tönte es höchst lebendig, als Eva sich über Regine beugte. »Auf keinen Fall.«
»Ruft einen Krankenwagen«, schrie Eva nach oben.
Eva vergaß, dass es Dienstag war. Der erste Dienstag im Monat. Sie war plötzlich ganz ruhig. Als Ärztin wusste sie, was zu tun war.
© 2012, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Eva kämpfte sich durch eine endlose Liste an Aufgaben und die sechsfache Terminplanung ihrer Familie. Sie hatte nach der Pilgerreise wieder angefangen, als Arztin zu arbeiten. Leider hatte das Wasser aus der heiligen Quelle weder Ehemann Frido in einen Küchenprinzen verwandelt noch drei pubertierende Teenager und eine Zehnjährige zu willigen Haushaltshilfen umgeformt. Als die Türklingel schrillte, schwante Eva nichts Gutes. Jeder regelmOige Gast in ihrem Leben wusste, dass die Haustür immer offen stand. Reine Selbstverteidigung bei vier Kindern mit chronischer Neigung zum Verlegen ihrer Schlüssel und ausgeprägtem Sozialleben. Es gab nur einen Menschen, der grundsätzlich klingelte und erwartete, dass die Tür höchstpersönlich für ihn geöffnet wurde. Eva stöhnte auf. Kein Zweifel, das konnte nur ihre Mutter sein. Seit Regine vor eineinhalb Jahren die Rente eingereicht hatte, war sie voll und ganz für Eva da. Zu voll. Zu ganz. Auf kleinbürgerliche Rituale wie die vorherige telefonische Anmeldung von Besuchen verzichtete sie.
Regine klingelte nicht, Regine sandte Morsezeichen, die an den Triumphmarsch aus Aida erinnerten. Eva liebte ihre Mutter. Nur nicht immer. Und ganz sicher nicht an einem ersten Dienstag im Monat, wenn sie wie seit sechzehn Jahren mit ihren Freundinnen im Le Jardin verabredet war. Eva wünschte sich, sie könne entschieden Nein sagen. Stattdessen rang sie sich ein Lächeln ab und öffnete. In der Tür lehnte lässig ein zweiundsechzigjähriges Hippiemädchen in bodenlangem, groß geblümtem Rüschenrock, um den Hals unzählige Ketten mit riesigen Anhängern. Unter einem ausladenden Sommerhut lugten lange blonde Zöpfe hervor. Dazu trug Regine indische Ledersandalen.
»Deine Großmutter hat all meine Sachen von früher aufgehoben«, erklärte Regine. »Das Zeug hat so lange auf dem Dachboden gelegen, dass es wieder modern ist.«
Regine bewohnte seit Jahren das ererbte Elternhaus in Bergisch Gladbach. Als Neu-Rentnerin latent unausgelastet, richtete sich ihr Tatendrang gegenwärtig auf den übervollen Speicher, der jahrzehntelang im Dornröschenschlaf gelegen hatte.
»Typisch Kriegsgeneration. Deine Oma Lore konnte nichts wegwerfen«, sagte Regine. »Alles noch da, meine ganze Vergangenheit. Na, sag schon, wie findest du mein Outfit?«
»Ich muss in einer Stunde im Le Jardin sein«, wehrte sich Eva schwach. Regines Mitteilungsbedürfnis überstieg ihr Einfühlungsvermögen. Sie winkte mit einem vergilbten Ratgeber.
»Ich hab auf dem Speicher ein altes Buch von mir gefunden. Traditionelle chinesische Heilkunst. Sehr erhellend«, sagte Regine und stolperte in Richtung Küche.
»Habe wohl abgenommen«, meinte sie, zog den Rock höher und musterte Evas schlabbrigen Jogginglook. Der Blick genügte, um Evas schlechtes Gewissen zu wecken. Seit Jahren befand sich Eva im täglichen Kampf mit Kalorien, Kilos und dem Konterfei, das ihr aus dem Spiegel entgegenblickte. Eva war glücklich, wenn sie die Hälfte ihrer täglichen Aufgabenliste bewältigt hatte. Grundsätzlich auf der Strecke blieben Programmpunkte wie >mit dem Fahrrad in die Klinik fahren<‚ >anmelden im Fitnesscenter oder >endlich mit der Ananasdiät anfangen. Ihr Kleiderschrank glich einem Museum, gewidmet dem dünnen Mädchen, das sie einst gewesen war. Dummerweise hatte sie von der dünnen Eva nicht viel mitgekriegt. Selbst als sie noch schlank war, hatte sie sich dick gefühlt. Gesellige Einkaufsbummel mit den Dienstagsfrauen waren für Eva eine Qual. Umkleidekabinen ohne Spiegel, Labels, die nur Größe 36 führten, und Hosen, die selbst in XXL kniffen. Während ihre Freundinnen mit vollen Tüten nach Hause kamen, kehrte Eva in der Regel mit einer Sonnenbrille, einem Schal und einem Blech Butterkuchen zurück.
»Von einer Frau, die man liebt, kann man nie genug haben«, tröstete Frido, wenn Eva den Reißverschluss am Kleid nicht mehr zubekam. Ihre Mutter war in der Regel weniger zurückhaltend. Heute beließ sie es bei einem Blick. Sie hatte ein anderes Thema.
»Mir war nicht klar, wie viele Ressourcen der Westen brachliegen lässt«, ereiferte sich Regine. »Unsere Gesellschaft geht zugrunde. Und alles nur, weil wir einen falschen Blick auf das Thema Krankheit haben.«
Eva war es egal, woran das Abendland unterging. Bevor sie ins Le Jardin konnte, musste der Abwasch aus der und die Dreckwäsche in die jeweilige Maschine. Wenn sie sich der Schmutzwäsche nicht vor dem Abendessen widmete, stand Frido jr. morgen früh in Unterwäsche beim Sportunterricht und Frido sr. ohne Hemd in der Vorstandssitzung.
»Ich habe mich informiert«, fuhr Regine fort. »Man kann eine Zusatzausbildung in Chinesischer Naturheilkunde machen. Berufsbegleitend. Das wär was für dich.«
Eva hatte unzählige Seminare besucht, um ihre medizinischen Kenntnisse auf den neuesten Stand zu bringen. Der pure Gedanke an eine weitere Fortbildung ließ sie fast zusammenbrechen.
»Ich fülle die Waschmaschine, du machst dich frisch«, schlug Regine vor, deren Adleraugen den bereitstehenden Wäschekorb erspäht hatten. »Wir trinken eine Tasse Tee, und dann verschwinde ich.« Regine zog ein Päckchen aus ihrem bunt bestickten Stoffbeutel.
»Tee der heiteren Ungezwungenheit«, las sie vor. »Extra besorgt für dich.«
Eva war eine hoch geschätzte Ärztin, sie konnte Patienten beruhigen, aufgeregte Familienangehörige trösten, sie managte neben einer Arbeitszeit von 19,25 Stunden einen sechsköpfigen Haushalt - gegen ihre Mutter war sie wehrlos.
Während sie sich hastig im Schlafzimmer umzog, lauschte sie angestrengt, was Regine in der Küche anstellte. Man konnte nie sicher sein, ob sie nicht nebenbei die Ordnung in den Schränken optimierte. Regine beriet Eva in allen Lebenslagen. Gratis und ungefragt. Bunte Wortgirlanden täuschten darüber hinweg, wie massiv ihre Mutter sich einmischte. Reginesätze begannen mit Floskeln wie: »Du weißt, ich bin tolerant, aber wenn ich dir einen Tipp geben darf ...«
»Du musst das natürlich so machen, wie du willst. Ich gebe allerdings zu bedenken ...«
Regines Spontanbesuche bei Eva entfalteten die Wirkung eines mittleren Tornados. Sie tauchte überfallartig aus dem Nichts auf, fegte durch Evas Leben und hinterließ ein emotionales Trümmerfeld. Bis zum nächsten Mal. Das Schlimmste war: Regine meinte es wirklich gut mit Eva. Nach zwei gescheiterten Kurzehen, traurigen Affären und dem Ende ihrer krummen beruflichen Laufbahn hungerte Regine danach, für jemanden wichtig zu sein.
Flapp, flapp, flapperdiflapp platschten Regines Sandalen über die Küchenfliesen, begleitet vom beständigen Geklimper der Halsketten. Eva hörte, wie Schubladen auf- und zugingen, Wasser rauschte, der Kessel aufgesetzt wurde. Dann quietschte die Kellertür. Regine stieg fröhlich vor sich hin pfeifend die Treppe hinunter zur Waschküche. Plötzlich ein Fluchen, ein markerschütternder Schrei, das Geräusch des fallenden Wäschekorbs, der gegen das Geländer schlug, dumpfes Gepolter, und dann nichts mehr. Kein Schritt. Kein Ton. Nichts. Evas Herz setzte aus. Sie rannte aus dem Schlafzimmer und stürzte zur Treppe, ein Bein schon in der Jeans, das andere Hosenbein schleifte über den Boden hinter ihr her.
»Mama«, schrie sie Richtung Keller. »Sag was. Mama.«
Eva fühlte, wie ihre Beine wegsackten. Regine war anstrengend, aber immer voller Pläne und Leben. Das durfte jetzt nicht passieren. Nicht jetzt. Nie. Warum hatte sie sich nicht einfach mit ihrer Mutter in die Küche gesetzt und Tee getrunken? Warum hatte sie Regine die Wäsche überlassen?
Das monotone Geräusch des Computerspiels, typisches Hintergrundgeräusch vieler Nachmittage, war verstummt. Die vier Kinder hatten sich in der Diele versammelt. Oft kamen sie Eva groß und erwachsen vor. Jetzt blickte sie in vier Paar verängstigte Kinderaugen.
»Ihr bleibt hier«, befahl Eva kurzerhand. Dabei machte keines der Kinder Anstalten, in den Keller zu gehen, um nachzusehen, was mit Oma war.
Diese entsetzliche Stille. Wenn ihr nur nichts passiert war. Wenn nur alles gut war mit Regine. Aus den Tiefen von Evas Unterbewusstsein stieg ein überraschender Gedanke empor: Jetzt werde ich nie mehr erfahren, wer mein Vater ist. Eva erschrak über sich selbst, während sie mit zittrigen Knien in den Keller stieg. Seit Jahren überkam Eva die Frage nach der eigenen Herkunft wie Ebbe und Flut. Es gab Zeiten, da war sie so beschäftigt mit ihrem eigenen Leben, dass es ihr unwichtig vorkam, unter welchen Umständen es begonnen hatte. Dann gab es Phasen, in denen sie glaubte, nicht wachsen zu können, ohne ihre Wurzeln zu kennen. Als Teenager hatte sie ihren Vater schmerzlich vermisst. Dabei kannte sie nicht einmal seinen Namen. Regine erstickte jede Frage mit hartnäckigem Schweigen. War es Enttäuschung, die Regine verstummen ließ? Wut? Trauer? Waren es verletzte Gefühle? Warum wollte ihr Vater kein Vater sein? Es war erstaunlich, wie viele Gedanken gleichzeitig in den winzigen Moment passten, bis sie ihre Mutter erreichte.
Regine lag am Ende der Treppe in merkwürdig verdrehter Haltung. Jäh wurde Eva klar, dass sie ohne Regine nie mehr eine Antwort auf ihre Lebensfrage bekommen würde. Eine Sekunde später fiel ihr ein, dass es auch mit Regine keine Klärung geben würde.
Ihre Mutter krümmte sich vor Schmerzen. Das linke Bein war nach außen gedreht, Regine konnte weder liegen noch sitzen oder stehen. Nur schimpfen: »Ich gehe nicht ins Krankenhaus«, tönte es höchst lebendig, als Eva sich über Regine beugte. »Auf keinen Fall.«
»Ruft einen Krankenwagen«, schrie Eva nach oben.
Eva vergaß, dass es Dienstag war. Der erste Dienstag im Monat. Sie war plötzlich ganz ruhig. Als Ärztin wusste sie, was zu tun war.
© 2012, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.
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Autoren-Porträt von Monika Peetz
Monika Peetz, studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Philosophie in München. Seit 1998 lebt sie als Drehbuchautorin in Deutschland und den Niederlanden. Monika Peetz ist die Autorin der Bestsellerreihe »Die Dienstagsfrauen«. Ihre Romane um die fünf Freundinnen waren SPIEGEL-Bestseller und verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum über eine Million Mal. Ihre Bücher erscheinen in 26 Ländern und sind auch im Ausland Bestseller. Bei Kindler Jugendbuch hat sie die Romantriologie »Herz der Zeit« vorgelegt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Monika Peetz
- 2012, 7. Auflage, 334 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462044109
- ISBN-13: 9783462044102
- Erscheinungsdatum: 11.05.2012
Rezension zu „Sieben Tage ohne / Dienstagsfrauen Bd.2 “
»Spannend zu lesen! Autorin Monika Peetz schreibt souverän, tiefsinnig und amüsant zugleich.« Laura 20120605
Pressezitat
»Spannend zu lesen! Autorin Monika Peetz schreibt souverän, tiefsinnig und amüsant zugleich.« Laura 201206
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