Ausgelöscht / Smoky Barrett Bd.4
Thriller
Während einer Trauung taumelt eine kahlgeschorene Frau im Nachthemd zum Altar und bricht zusammen. Smoky Barrett findet heraus, dass sie seit sieben Jahren vermisst wurde - und dass jemand ihr Gehirn zerstört hat. Sie soll nicht das letzte...
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Produktinformationen zu „Ausgelöscht / Smoky Barrett Bd.4 “
Während einer Trauung taumelt eine kahlgeschorene Frau im Nachthemd zum Altar und bricht zusammen. Smoky Barrett findet heraus, dass sie seit sieben Jahren vermisst wurde - und dass jemand ihr Gehirn zerstört hat. Sie soll nicht das letzte Opfer bleiben.
SPIEGEL Bestseller!
Klappentext zu „Ausgelöscht / Smoky Barrett Bd.4 “
Der Tod war bei dir, und du wünschst,er hätte dich nicht am Leben gelassen ...»Ich habe ein Geschenk für dich, Special Agent Barrett.« Smoky Barrett sieht von ihrem Handy auf. Die anderen Hochzeitsgäste blicken auf das Brautpaar vor dem Altar. Motorenheulen durchbricht die Stille. Ein Lieferwagen hält vor der Kirche, und eine Frau wird auf die Straße gestoßen. Ihr Kopf ist kahl geschoren; sie trägt ein weißes Nachthemd. Sie taumelt auf den Altar zu, fällt auf die Knie und stößt einen lautlosen Schrei aus. Smoky findet heraus, dass die Frau vor sieben Jahren verschwunden ist. Sie kann nicht über das reden, was ihr zugestoßen ist: Jemand hat eine Lobotomie an ihr durchgeführt und die Nervenbahnen ihres Gehirns durchschnitten. Sie ist nicht tot, vegetiert aber als leblose Hülle vor sich hin. Es wird weitere Opfer geben.Mit dem mittlerweile vierten Fall für FBI-Agentin Smoky Barrett entführt Cody Mcfadyen den Leser erneut in die Tiefen menschlicher Abgründe.
Lese-Probe zu „Ausgelöscht / Smoky Barrett Bd.4 “
Ausgelöscht von Cody McfadyenTeil 1 Die Sonne
KAPITEL 1 1974
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»Ich werde das Leben sein«, sagte der Mann zu dem Jungen. Der Junge deutete den Tonfall seines Vaters richtig und machte sich bereit. »Ja, Vater.« »Du wirst du sein, und ich werde das Leben sein.« »Ja, Vater.« Es war ein Rollenspiel. Der Vater streckte die offene Hand aus. Es war eine große, harte Hand. Das wusste der Junge aus eigener Erfahrung, denn er hatte diese Hand häufig zu spüren bekommen.»Gib mir einen Dollar«, verlangte der Vater. »Ich habe keinen Dollar.« Der Vater betrachtete den Jungen, und der Junge schaute seinen Vater an und wartete. Der Vater hatte ein derbes Gesicht, passend zu den Händen; sein ganzer Schädel war grob, als wäre er aus einem Betonblock oder aus Schlacke gehauen. Seine Augen waren eisblau und eiskalt - die Augen eines Philosophen und eines Mörders. »Wird's bald«, sagte der Vater. Er blickte auf den Tisch, tippte mit einem seiner dicken Finger darauf. »Na los. Ich frage nur noch einmal.« Er richtete den Blick wieder auf das Gesicht seines Sohnes. »Gib mir einen Dollar.« Wieder streckte er die Hand aus, schloss und öffnete sie, um seine Forderung zu unterstreichen. »Aber ich habe keinen Dollar, das habe ich doch schon gesagt. Das ändert sich auch nicht, wenn du mich zweimal fragst.« Der Vater entgegnete die Bemerkung mit einem stechenden Blick. Was der Junge gerade getan hatte, war gefährlich gewesen, aber auch mutig, und vor allem der Mut zählte.»Und ich sagte, ich werde das Leben sein«, sprach der Vater gefährlich leise. »Wenn das Leben einen Dollar von dir verlangt, solltest du ihm diesen Dollar geben, oder das Leben bestraft dich so lange, bis du es tust.« Der Tisch war klein, und die Arme des Vaters waren lang. Seine Hand zuckte vor und traf mit furchtbarer Wucht die linke Gesichtshälfte des Jungen, dem augenblicklich schwarz vor Augen wurde. Als er zu sich kam, lag er bäuchlings auf dem Fußboden. Der Stuhl war umgekippt, und die Handflächen des Jungen berührten den Boden dort, wo er seinen Sturz instinktiv abgefangen hatte. Ihm dröhnte der Schädel, und er schmeckte Blut. »Steh auf, Sohn.« Dem Jungen wurde schwindlig. Er suchte nach Worten. »Ja, Vater«, sagte er schließlich. Er war dankbar, so dankbar. Der Junge war erst zehn, hatte aber schon ein bisschen von dem gelernt, wie die Welt funktionierte: Das Leben geht immer weiter und weiter - mit dir, wenn du stark bist, und ohne dich, wenn du schwach bist. Sein Vater wollte, dass er stark war. Konnte ein Vater seinem Sohn seine Liebe deutlicher zeigen? Der Junge mühte sich noch. Er schwankte kurz, riss sich zusammen.
Schwäche war das größte Vergehen, Feigheit das zweitgrößte. »Du darfst niemals nur einstecken, Junge«, sagte sein Vater. »Du musst immer zurückschlagen. Immer. Wenn du einen Kampf zu verlieren drohst, lass den Gegner wenigstens für jeden Schlag, den er dir verpasst, teuer bezahlen.« »Ja, Sir«, sagte der Junge artig. Er brachte die Fäuste hoch und staunte einmal mehr, wie klein seine Hände waren im Vergleich zu den riesigen Pranken seines Vaters.»Das Leben will einen Dollar«, sagte der Vater und schlug zu. Der Junge versuchte sich zu wehren, konnte aber keinen einzigen Treffer landen. Er blieb still, als sein Vater ihn bewusstlos schlug, und vergoss keine Träne. Der Junge kam in seinem Bett zu sich, zitternd und von Schmerzen geplagt. Er wollte stöhnen, verkniff es sich aber, denn sein Vater saß neben ihm auf dem Bettrand, ein Koloss im Dunkeln, versilbert vom Mondlicht, das durch die Vorhänge sickerte.»Ich bin das Leben, und das Leben will einen Dollar, Sohn«, sagte er. »Ich werde jede Woche nach diesem Dollar fragen, bis du ihn mir gibst. Hast du verstanden?« »Ja, Sir«, sagte der Junge durch die aufgeplatzten Lippen und gab sich Mühe, seine Stimme kräftig und deutlich klingen zu lassen.
Sein Vater schaute aus dem Fenster, betrachtete den Mond, als hätten sie beide etwas zu bedauern. Vielleicht war es ja auch so. »Weißt du, was Freude ist, Sohn?« »Nein, Sir.«»Freude ist alles, was nach dem Überleben kommt.« Der Junge prägte sich das ein, legte es dort ab, wo er die großen und bedeutsamen Wahrheiten aufbewahrte. Dann wartete er, denn sein Vater war noch nicht fertig; er konnte es sehen. »Wir haben in diesem Leben nur ein Ziel, und das ist der nächste Atemzug. Alles andere sind bloß Lügen. Man braucht Essen, man braucht einen Unterschlupf, man braucht einen Platz zum Schlafen und ein Loch zum Scheißen.« Der große, schwere Mann blickte den Jungen durchdringend an. Der Junge hatte nie wirklich Angst vor seinem Vater gehabt. Bei all den brutalen und schmerzhaften Lektionen hatte er nie bezweifelt, dass der Mann, der ihm das Leben geschenkt hatte, es auch bewahren würde. Bis jetzt. Diesmal aber war es anders, und der Junge hielt den Atem an und die Zunge im Zaum und wartete, gebannt vom Blick zweier Augen, die so hell brannten wie sterbende Sterne. »Warum will ich einen Dollar?«, sagte der Vater. »Weil Geld die Grundlage von allem ist. Das Leben will einen Dollar, Sohn. Es will ihn jeden Tag, von heute an, bis du unter die Erde kommst. Wenn du nicht zahlen kannst, dann kannst du auch nicht essen. Wenn du nicht essen kannst, kannst du nicht leben. So einfach ist das. Verstehst du, was ich meine?« »Ja, Sir.« »Ich bin mir da nicht so sicher, aber wir werden ja sehen. Das ist eine Prüfung. Ich gebe dir ein paar Versuche. Aber wenn du nicht bald einen Dollar anschleppst, schlag ich dich zu Brei.« Nach einer schier endlosen Minute wandte der Vater sich ab. Er sah durch das Fenster zum Mond hinauf, und es schien beinahe so, als würde er mit ihm in ein stummes Zwiegespräch verfallen. »Es gibt keinen Gott, Junge«, sagte er irgendwann. »Es gibt auch keine Seele. Es gibt nur Blut, Fleisch und Knochen. Du wurdest nicht von einer höheren Macht auf diese Erde gestellt. Du bist hier, weil ich mein Ding in deine Mutter gesteckt habe und dein Fleisch in ihr gewachsen ist. Dieses Fleisch muss gefüttert werden, und dazu brauchst du Dollars, und das ist alles, was wir sind und was wir immer sein werden.« Der große Mann stand auf und ging ohne ein weiteres Wort. Der Junge lag auf dem Bett, betrachtete den Mond und dachte darüber nach, was sein Vater ihm gesagt hatte. Er stellte die Lehren seines Vaters nicht infrage, niemals, und nahm ihm die Schmerzen nicht übel. Das war seit langer Zeit vorbei. Der Junge erinnerte sich, dass er früher wütend und traurig gewesen war, doch inzwischen kam es ihm eher wie ein Traum vor, nicht wie eine echte Erinnerung. Diese Schwäche hatte sein Vater ihm mit den Fäusten ausgetrieben, so wie ein Hammer die Beulen aus einem Blech treibt. Sein Vater war sein Gott, und sein Gott lehrte ihn, wie man überlebte. Er brauchte einen Dollar. Wenn er keinen Dollar anschleppte, würde er sterben. Das war alles, was zählte; nur darauf konzentrierte er sich. Als er einschlief, hatte er einen Plan. Der Junge war gerade in die fünfte Klasse gekommen. Sein Vater betrachtete die Schule als etwas Notwendiges. »Du brauchst Wissen, um das Fleisch zu füttern, Sohn«, sagte er, »und die Schule kostet nichts. Nur ein Schwachkopf würde
dieses Angebot ablehnen.« Nun saß der Junge in seiner Klasse und wartete, dass die Schulglocke klingelte. Er hatte keine Freunde und wollte auch keine. Andere Menschen waren Gegner. Am besten, man blieb für sich, und daran hielt er sich. Der Junge beobachtete Martin O'Brian, den Schulrowdy, maß ihn mit kritischem Blick. O'Brian war groß und ein brutaler Schläger. Er hatte ausdruckslose braune Augen und dünne braune Haare, die immer so aussahen, als wären sie ihm zu Hause geschnitten worden. Er trug ausgelatschte Schuhe, und seine Jeans hatten Löcher an den Knien. Manchmal kam er mit einem blauen Auge zur Schule oder zuckte bei jedem Schritt zusammen. Das waren dann immer schreckliche Tage für die Schwachen, denn an solchen Tagen war Martin O'Brian wie ein Raubtier. Er wurde von allen gefürchtet, sogar von den älteren Sechstklässlern, denn er war gnadenlos. Man konnte nie sicher sein, wie weit er gehen würde. Darin lag das Geheimnis seiner Macht. Groß und kräftig waren viele, aber deshalb waren sie noch lange nicht furchterregend. Martin O'Brian jedoch legte eine Art von Brutalität an den Tag, die Eltern einem Zehnjährigen gar nicht zutrauten (oder, wie im Fall von O'Brians Eltern, lieber ignorierten, da sie den Ursprung dieser Gewalttätigkeit bei sich selbst vermuteten). Von besiegten, schluchzenden Gegnern verlangte er, dass sie die eigene Mutter eine Hure nannten. Gehorchte man nicht, schlug und trat er weiter zu. Einem seiner Gegner hatte er sogar den Arm gebrochen. Und was war die Folge? O'Brian wurde von den Lehrern getadelt, musste nachsitzen oder wurde vorübergehend vom Unterricht ausgeschlossen, mehr aber auch nicht. Das bedeutete, dass er sich weiter austoben konnte wie ein Elefant unter Pygmäen. Die Erwachsenen sahen das Dorf brennen, weigerten sich aber, den Rauch zu riechen. Der Junge aber roch ihn. Und mehr als einmal hatte er gesehen, wie ein seltsames Leuchten in O'Brians Augen trat, wenn er sich mit einem Gegner befasste. Es waren die Augen eines Wahnsinnigen, der genoss, was er tat. Und sein verzerrtes, fiebriges Lächeln ließ ahnen, dass er viel über Schmerz und Tränen wusste, aber nichts über Fröhlichkeit und Lachen. Das war Martin O'Brian. Deshalb war er die Lösung für das Problem des Jungen. Als die Glocke schellte, ging der Junge zu seinem Spind. Er legte seine Schulbücher hinein und ließ sie da; er hatte seine Hausaufgaben während des Unterrichts gemacht, damit er die Hände frei hatte. Nun nahm er aus dem Spind, was er am Morgen hineingelegt hatte, und ging durchs Schultor, ohne sich umzudrehen. Ein Stück weiter setzte er sich auf den Bordstein und wartete. Es war ein schöner Tag. Die Sonne wärmte ihm die Schultern. Ein ungeduldiger Wind wehte, fuhr durch das Laub der nahen Bäume und streifte die Wangen des Jungen mit einem Kuss, bevor er weiter zog. Fast zehn Minuten vergingen, bis Martin O'Brian erschien. Er pfiff vor sich hin, lächelte gedankenverloren und ballte unbewusst die Fäuste in permanentem Zorn. Der Junge sah Martin vorbeigehen. Dann stand er auf und folgte ihm in einigem Abstand. Martin O'Brian blieb fünf Minuten auf der Straße, ehe er in eine Seitengasse abbog. Noch zwei Querstraßen, und O'Brian wäre zu Hause. Jetzt oder nie. Der Junge rannte los, den Gegenstand aus seinem Spind fest in der Hand. Sein Herz schlug langsam und gleichmäßig. Nach zehn Schritten hatte er O'Brian eingeholt und schwenkte den Arm. Der Junge hatte den Besenstiel vor dem Unterricht durchgebrochen. Nun schlug er damit zu, drosch ihn gegen O'Brians linke Niere. Der Rowdy erstarrte; dann schrie er vor Schmerzen. O'Brian ging in die Knie und rang nach Atem. Der nächste Hieb brach ihm die Nase, der übernächste kostete ihn ein paar Zähne. Der Junge zerschlug O'Brian methodisch und mit erschreckender Ruhe, doch ohne Freude oder gar Genuss. Er war kein Sadist. Die Schläge waren Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger. Sie waren nötig, um Martin O'Brian zu zerbrechen, und der Junge würde erst aufhören, wenn dieses Ziel erreicht war. O'Brian fiel hin und krümmte sich, schützte Gesicht und Kopf mit den Armen, versuchte, dem Angreifer möglichst wenig
Körperfläche zu bieten. Der Besenstiel sauste weiter herab. Wieder und wieder und wieder. Auf Arme, Beine, Rücken, Hintern. Nicht fest genug, um Knochenbrüche oder innere Verletzungen zu hinterlassen, aber so schmerzhaft, dass O'Brian in ein hilfloses Bündel verwandelt wurde. Der Junge hörte auf, als O'Brian zu wimmern anfing. »Sieh mich an, Arschloch.« O'Brian sagte nichts, blieb zusammengekrümmt liegen, schluchzte, heulte und furzte hörbar, als er sich in die Hose machte. »Wenn du mich nicht anschaust und mir nicht zuhörst, schlag ich dich tot«, sagte der Junge. Das wirkte. Der Rowdy hob den Kopf, wobei sein ganzer Körper vor Angst und Schmerz zuckte. Seine Augen waren groß und weit aufgerissen, sein sonst so überheblicher Blick war furchtsam und unstet. Der Rotz lief ihm aus der Nase, vermischt mit Blut und Tränen. An einem Wangenknochen wuchs bereits eine Beule, die Lippen würden genäht werden müssen, und die abgebrochenen Zähne mussten raus. Sein Atem ging stoßweise, als er versuchte, seine Hysterie in den Griff zu bekommen. »Martin.« Die Stimme des Jungen war beinahe gelangweilt, sein Blick leer und ausdruckslos. Er atmete ganz ruhig. »Du wirst etwas für mich tun. Wenn du gehorchst, passiert dir nichts. Gehorchst du nicht, muss ich dich bestrafen. Verstehst du?« O'Brian starrte seinen Angreifer an, ohne zu antworten. Der Junge hob den Besenstiel. »Ja! Ja!«, kreischte O'Brian. »Ich hab verstanden!« Der Junge ließ den Besenstiel sinken. »Gut. Du wirst mir drei Dollar die Woche besorgen. Das wird dir nicht schwerfallen, denn ich hab dich beobachtet. Ich weiß, dass du klaust. Essensgeld, Taschengeld und so.« »J-ja ...«, wimmerte O'Brian, am ganzen Körper zitternd. »Du brauchst also nur das zu tun, was du sowieso tust. Der einzige Unterschied ist, dass du mir drei Dollar die Woche gibst. Kapiert?« O'Brian nickte. Er konnte nicht mehr sprechen, denn er klapperte zu sehr mit den blutigen Zähnen. »Gut. Und was ich dir jetzt sage, ist besonders wichtig, also pass gut auf. Wenn du jemals einem erzählst, was ich mit dir gemacht habe, oder von den drei Dollar, oder wenn du mir das Geld nicht gibst, komme ich eines Nachts zu euch nach Hause, bringe zuerst deine Eltern um und dann dich. Und es wird lange dauern und verdammt wehtun.« O'Brian hörte diese Worte, und die Zeit stand still. Etwas Seltsames geschah: Alles wurde deutlicher und unwirklich zugleich. O'Brian sah die Gegenwart und die Zukunft und wurde von einer Erregung erfasst, die alle Furcht wegfegte: Die Sonne steht am wolkenlosen Himmel. Das Pflaster auf dem Bürgersteig ist warm, aber nicht heiß, und er ist nur fünf
Minuten von zu Hause entfernt. Gleich wird er durch die Tür gehen, wird sich eine Cola und eins von Moms Plätzchen mit in sein Zimmer nehmen. Er wird sich die Tennisschuhe von den Füßen treten und das neuste Batman-Comic lesen. Später wird Mom ihn zum Essen rufen (wahrscheinlich Hackbraten). Dad wird wieder nicht dabei sein, denn er ist unterwegs und verkauft Sachen, und das bedeutet, er und Mom würden DIE FÄUSTE nicht spüren (so nannte O'Brian seinen Vater insgeheim). Vielleicht schauen sie sich später zusammen »Happy Days« an, und Mom wird vielleicht sogar lachen. Martin O'Brian dachte an das alles, und für einen Augenblick hörte es sich albern an, was sein Angreifer soeben gesagt hatte.Umbringen? Blödsinn. Sie waren erst zehn! Die Sonne schien, und ...
Der Junge starrte ihn an. Und als O'Brian in die Augen seines Bezwingers blickte, wurde ihm etwas bewusst - mit einer Klarheit, wie er es nie zuvor erlebt hatte. O'Brian war nicht besonders schlau, aber klug genug, dass er wusste, was er von sich selbst zu halten hatte. Er tat anderen weh, beklaute sie, terrorisierte sie. Er brachte sie zum Schluchzen und zum Flehen, und er genoss es. Es verschaffte ihm Erleichterung. DIE FÄUSTE konnten ihm nicht erklären, warum er sich manchmal so gut fühlte, wenn andere weinten. Er war eine miese Ratte, doch er akzeptierte seine Verderbtheit genauso wie seine Unfähigkeit, etwas daran zu ändern. Doch die Augen, die nun auf ihn hinunterstarrten, gehörten jemandem, der auf einer völlig anderen Stufe des Bösen stand. Es waren leere Augen, in denen weder Trauer noch Freude zu sehen war, keine unvergossenen Tränen und kein Lachen, das auf einen Anlass wartete. Das war kein Junge, der nach Hause ging, um Batman zu lesen, und seine Augen hatten noch nie eine Folge von »Happy Days« gesehen. Diese Augen musterten ihn nun von oben bis unten, warteten mit unerbittlicher Festigkeit. Und in diesem Moment wusste O'Brian, dass es keine Rolle spielte, ob die Sonne schien und ob sie erst zehn waren. Er wusste, dass jedes Wort des Jungen eine Drohung gewesen war, die er wahrmachen würde. »Ich hab verstanden«, flüsterte O'Brian. Die Augen starrten ihn an, suchten nach der Wahrheit, während O'Brian jämmerlich zu schluchzen anfing und sich nichts anderes auf der Welt wünschte, als dass sein Bezwinger ihm glaubte. Irgendwann nickte der Junge und warf den abgebrochenen Besenstiel zur Seite. »Erste Zahlung diesen Freitag«, sagte er. Dann drehte er sich um und ging. Der Junge kam zufrieden nach Hause, doch er pfiff nicht oder lächelte vor sich hin. Wozu auch? Es brachte nichts; es war völlig sinnlos. Doch der Junge war beruhigt: Er hatte sein Problem gelöst und sogar vorgesorgt. Denn was, wenn sein Vater demnächst mehr wollte als einen Dollar? Dieser Gedanke war dem Jungen in der Nacht zuvor gekommen, als er stumm die Schmerzen ertrug und nachdachte. Er war zu dem Schluss gelangt, dass es sehr gut möglich war: Wenn das Leben einen Dollar wollte, konnten es dann nicht auch zwei sein? Oder drei? Das Einfachste war, von denen zu nehmen, die hatten. Das aber warf ein weiteres Problem auf: Wie konnte man vermeiden, dass man geschnappt wurde? Alles hatte auf Martin O'Brian als Lösung des Problems hingedeutet: Er würde die Arbeit tun und den ärger mit der Polizei kriegen, wenn es dazu käme. Und wenn O'Brian den Bullen von einem kleineren Jungen erzählte, der ihn, den gefürchteten Schläger, erpresste - wer würde ihm glauben? Der Rest war eine Rechenaufgabe. Wie viel Schmerzen, wie viel Angst brachten wie viel Sicherheit? Menschliches Kalkül war die einfachste Mathematik überhaupt, wenn man den Bogen raus hatte. Und der Junge hatte ihn raus, das hatte er an diesem Tag erfahren. Nicht alles Böse ist Zufall. Manches wächst in einem finsteren Keller unter einer finsteren Sonne heran, gehegt und gepflegt von einem finsteren Gärtner mit einer Hacke aus Knochen.
KAPITEL 2 Heute
Jeder ist eine Insel, das habe ich früh lernen müssen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe Tommy, und wenn ich nachts aufwache, und er liegt neben mir, sodass ich ihn anfassen, wecken, mit ihm reden und vielleicht mit ihm schlafen kann, gibt es nichts Schöneres für mich. Dieses Gefühl und die intime Kenntnis seines Körpers teile ich mit nur wenigen Frauen (ja, es gibt ein paar, aber nicht viele). Ich genieße meine eigene Begierde ebenso wie Tommys Verlangen nach mir, das mich mit einer Art egoistischem Stolz erfüllt. In solchen Augenblicken bin ich die Besitzerin geheimen Wissens und Hüterin verborgener Dinge. Doch das ändert nichts an der Wahrheit: Trotz aller Intimität weiß Tommy nicht, was ich in meinem Innern empfinde - genauso wenig, wie ich es von ihm weiß. Bei aller Leidenschaft bleibt die Seele in der Dunkelheit verborgen. Inzwischen komme ich damit zurecht, auch wenn es eine Zeit gab, in der ich mich gegen diesen Gedanken gewehrt habe, wie wahrscheinlich jeder von uns. Wir wollen alles über den anderen wissen, die kleinste Kleinigkeit. Wir wollen in ihm lesen wie in einem offenen Buch und selbst gelesen werden. Wir wollen eins mit ihm werden. Aber das geht nicht, jedenfalls nicht bei mir. Jeder ist eine Insel. Wie nahe wir uns auch kommen, eine gewisse Entfernung bleibt. Liebe, so habe ich begriffen, heißt nicht nur, sich mitzuteilen, sondern auch mit dem klarzukommen, was eben nicht mitgeteilt wird. Ich drehe mich auf die Seite, die Wange an der Hand, und betrachte Tommy. Sein Gesicht mit der Narbe an der linken Schläfe ist nicht hübsch, aber sehr attraktiv, auf eine raue und männliche Art. Er ist groß, eins fünfundachtzig, und hat das dunkle Haar und die dunklen Augen eines Latinos. Er hat einen offenen und zugleich vorsichtigen Blick - einen Blick, wie man ihn nur dann bekommt, wenn man ein ehrlicher Mensch ist und zwei Leute getötet hat. Tommy schläft tief und fest, den Mund geschlossen. Ich traue mich nicht, ihn zu lange anzustarren. Er könnte meinen Blick spüren und wach werden, denn er weiß wie ich, dass der Tod immer und überall lauert, und ist deshalb wachsam, selbst im Schlaf. Menschen wie Tommy und ich eignen sich einen leichten Schlaf an. Menschen, die Dinge tun, wie wir sie getan haben. Die sehen, was wir gesehen haben. Ich drehe mich auf den Rücken und blicke durch die offene Balkontür in den Nachthimmel. Wir haben die Tür offen gelassen, damit wir das Meer hören können. Hier auf Hawaii ist es warm genug, um bei offener Tür zu schlafen. Wir machen hier fünf Tage Urlaub. Für mich ist es der erste Urlaub seit mehr als zehn Jahren. Hawaii, Insel aus Feuer und Eis. Als Tommy und ich vom Flughafen Hilo zum Hotel fuhren, haben wir uns gefragt, ob wir bei der Wahl der Insel einen Fehler gemacht haben. So weit das Auge reichte, waren nur schwarzes Vulkangestein, dürre Bäume und spärliches Gras zu sehen, als wären wir auf einem unwirtlichen Mond gelandet. Doch als wir uns der Ferienanlage näherten, legten sich unsere Befürchtungen. In der Ferne konnten wir den schneebedeckten Mauna Kea sehen, über 4000 Meter hoch. Es war merkwürdig, auf Hawaii aus dem offenen Wagenfenster zu schauen und Schnee zu sehen, aber da war er und leuchtete weiß in der Sonne. Wunderschön, genau wie der Rezeptionsbereich der Ferienanlage. Wir hatten einen herrlichen Blick aufs Meer und den makellosen Strand, und ein warmer Wind küsste unsere Wangen, wie um uns willkommen zu heißen. »Aloha«, sagte der junge Mann an der Rezeption, und seine weißen Zähne leuchteten in seinem tiefbraunen Gesicht. Wir sind jetzt seit vier Tagen hier, und unsere Hauptbeschäftigung ist das Faulenzen. Hawaii hat uns freundlich aufgenommen, hat das Blut an unseren Händen ignoriert, hat uns durch seine Schönheit überredet, abzuschalten und auszuruhen. Unser Zimmer ist im dritten Stock, und der Balkon ist nur fünfzig Meter vom Meer entfernt. Wir liegen den ganzen Tag in der Sonne, und abends gehen wir am Strand spazieren, beobachten die fantastischen Sonnenuntergänge und bewundern die Sternenpracht am außergewöhnlich klaren Himmel, der noch nicht von Smog getrübt ist. Doch für uns ist es ein Paradies auf Zeit. Bald fliegen wir nach Los Angeles zurück, wo ich im dortigen FBI-Büro als NCVAC-Koordinatorin arbeite. Das NCVAC ist das US-Bundesamt zur Analyse von Gewaltverbrechen mit Hauptsitz in Washington, D.C., doch in jedem FBI-Büro gibt es einen örtlichen Repräsentanten des NCVAC. In Los Angeles mache ich diesen Job jetzt seit über zwölf Jahren. Ich leite ein vierköpfiges Team (mich eingerechnet), das immer dann gerufen wird, wenn die schlimmste Drecksarbeit getan werden muss - die Aufklärung von Morden, Verstümmelungen, Vergewaltigungen, Folterungen und dergleichen. Es sind Verbrechen, die meist auf das Konto von Psychopathen gehen. Die Täter, die wir jagen, handeln selten im Affekt. Ihre Taten sind keine Absonderlichkeiten eines Augenblicks, sondern die Befreiung von irgendeinem krankhaften Trieb. Die meisten morden aus Lustgewinn, geilen sich auf am Leid und Tod anderer. Ich verbringe mein Leben damit, in die Dunkelheit zu schauen, in der diese Bestien hausen. Es ist eine kalte Schwärze, angefüllt mit Wimmern und huschenden Schatten, mit schrillem Gelächter, gellenden Schreien und dumpfem Stöhnen. Ich habe einige der Ungeheuer getötet, die in dieser Finsternis lauern, und wurde von anderen gejagt - in furchtbaren Träumen, aber auch in der Wirklichkeit, die manchmal schlimmer sein kann als der schrecklichste Alptraum. Doch ich habe mir dieses Leben selbst ausgesucht, also darf ich mich nicht beklagen. Es kommt selten vor, dass ich zum Himmel schaue und die Schönheit der Sterne bewundere. Meist sind sie für mich stumme und gleichgültige Beobachter jener Welt, in der wir leben und sterben, wobei mich selbst eher das Sterben beschäftigt, weil mein Job das mit sich bringt. Hier auf Hawaii habe ich mir endlich mal die Zeit genommen, die Sterne in Ruhe zu betrachten. Jede Nacht habe ich das Gesicht dem Himmel zugekehrt und mir von den Sternen sagen lassen, dass ihre Schönheit schon viel länger besteht als der Mensch und die Abscheulichkeiten, die er zu begehen imstande ist. Ich schließe für einen Moment die Augen und lausche. Das Rauschen der Brandung hört sich an wie der unaufhörliche Atem eines Riesen. Oder wie der Herzschlag Gottes. Doch Gott und ich, wir haben so unsere Probleme miteinander. Obwohl wir uns inzwischen näher sind als noch vor ein paar Jahren, wechseln wir kaum ein Wort. Etwas Gewaltiges, Ewiges schiebt die Wellen vor sich her auf den Sandstrand, im Takt mit dem Metronom der Welt. Das Meer ist unermesslich, so rein an Klang und Farbe, dass es kein Zufall sein kann. Ich bin mir nicht sicher, ob es uns wahrnimmt, aber vielleicht hält es die Welt für immer in Gang, während wir unsere nichtigen Entscheidungen treffen. Ich mache die Augen auf und rücke von Tommy weg, ganz langsam und so leise ich kann. Ich will auf den Balkon, ohne Tommy zu wecken. Die Laken streichen sanft über meine Haut, und meine Füße berühren den Teppichboden. Der Mond leuchtet ins Zimmer, deshalb ist der Bademantel (den ich mitgehen lassen will, wenn wir abreisen) nicht schwer zu finden. Ich ziehe ihn über, binde ihn aber nicht zu. Ich werfe noch einen Blick auf Tommy und gehe nach draußen. Der Mond überzieht alles mit schimmerndem Silber. Ich betrachte ihn mit stummer Bewunderung. Er ist nur eine gigantische Kugel aus Stein, die das kalte Licht der Sonne zurückwirft, doch sobald der Himmel dunkel wird, hat er immense Kraft. Ich strecke den Arm aus und tue so, als könnte ich mit den Fingern durch das Mondlicht greifen. Für einen Moment glaube ich sie tatsächlich zu spüren, die Ströme samtigen Lichts, die mir bei meiner Arbeit oft den Weg erleuchtet haben, der nicht selten ein Weg in eine Welt gewesen ist, in der unsägliche Schrecken lauern. Doch daran will ich jetzt nicht denken. Auf dem Balkon ist es angenehm. Ich lasse den Blick über den Himmel schweifen. In Los Angeles sind die Sterne bloß trübe Lichtpunkte in einem Meer der Schwärze, während sie hier wie Brillanten auf schwarzem Samt aussehen; dieser viel strapazierte Vergleich trifft es ziemlich genau. Über mir kann ich den Gürtel des Orion sehen, und als ich den Blick schweifen lasse, entdecke ich den Großen Bären und den Polarstern. »Stella Polaris«, flüstere ich und denke an meinen Vater. Er gehörte zu den Menschen, die sich für alle möglichen Dinge begeistern konnten. Er spielte ganz ordentlich Gitarre und schrieb Kurzgeschichten, die mir sehr gefielen, die aber nie veröffentlicht wurden. Und er liebte den Nachthimmel und Bücher über Astronomie. »Der Polarstern«, hat er mir einmal in einer kalten Nacht erzählt, »wird auch Nordstern genannt. Er ist nicht der hellste Stern am Himmel, wie manche Leute glauben. Der hellste Stern ist Sirius. Aber der Polarstern ist einer der wichtigsten.« Damals war ich neun und interessierte mich nicht allzu sehr für die Welt der Sterne, und schon gar nicht liebte ich sie, aber ich liebte meinen Vater; deshalb heuchelte ich Interesse und machte ein erstauntes Gesicht. Heute bin ich froh, dass ich es getan habe, denn es hat Dad glücklich gemacht. Er starb, bevor ich einundzwanzig war, und ich hege und pflege jede Erinnerung an ihn. »Woran denkst du?« Die Stimme hinter mir ist belegt vom Schlaf. »An meinen Vater. Er hat die Sterne geliebt.« Tommy kommt zu mir und umfasst mich. Er ist nackt und warm. Ich lege den Kopf an seine Brust. Ich bin nur eins fünfzig, und es gefällt mir, dass er so viel größer ist als ich. »Kannst du nicht schlafen?«, fragt er. »Ich will nicht. Es ist schön, wach zu sein.« Es ist, als könnte ich ihn lächeln hören. Das mag verrückt klingen, aber es ist die Wahrheit. Tommy und ich sind uns so nahe gekommen, dass wir die unsichtbaren Zeichen des anderen lesen können. Wir sind jetzt fast drei Jahre zusammen, und es war eine wunderschöne Zeit. Tommys unerwartete Liebe hat mir damals das Leben gerettet. Vor dreieinhalb Jahren war ein Serienmörder namens Joseph Sands - ein Killer, den meine Leute und ich gejagt hatten - in mein Haus eingebrochen. Er folterte Matt, meinen Mann, vor meinen Augen zu Tode. Dann kam ich an die Reihe. Nachdem Sands mich vergewaltigt hatte, nahm er sich mein Gesicht vor und entstellte es so sehr, dass ich mich später selbst nicht wieder erkannte. Zum Schluss starb Alexa, meine damals zehnjährige Tochter. Sands benutzte sie als lebenden Schutzschild, als ich an eine Waffe kam und auf ihn feuerte. Danach verbrachte ich sechs Monate in einer Welt aus Schmerz und Schock, an die ich mich kaum noch erinnern kann. Die Zeit ist zwar präsent, aber jeder Mensch besitzt eine Art Schutzmechanismus, der das Erinnern an solche Qualen verhindert oder sie zumindest schneller verblassen lässt. Ich weiß nur noch, dass ich damals sterben wollte und nahe daran war, mir das Leben zu nehmen. Dann aber kamen Tommy und ich zusammen. Tommy war damals noch beim Secret Service. Bei einer meiner Ermittlungen kamen wir uns näher und landeten irgendwann im Bett, womit ich nun wirklich nicht gerechnet hatte - nicht nur, weil ich noch um Matt trauerte und weil Tommy ein so gut aussehender Bursche war, sondern wegen meines Aussehens. Joseph Sands hatte mir mit einem rostigen alten Messer das Gesicht zerschnitten - methodisch, voller Hass und perverser Freude. Er hat sich in meinem Gesicht verewigt, hat mich mit Blut und Stahl gezeichnet. Die Narbe beginnt mitten auf der Stirn, am Haaransatz, verläuft zwischen den Augenbrauen hindurch und dann in einem Neunzig-Grad-Winkel nach links und über die Schläfe, wo sie eine schwungvolle Schleife auf der Wange beschreibt. Von dort führt sie wieder nach oben und über den Nasenrücken und dann über die Nasenwurzel hinweg, ehe sie wieder kehrtmacht, eine Diagonale über den linken Nasenflügel zeichnet und schließlich über den Kiefer hinunter bis zum Schlüsselbein führt. Die linke Augenbraue fehlt. Sands hat sie mir weggeschnitten, als er mit der Klinge in meinem Gesicht schnitzte, sabbernd vor perverser Erregung. Ich weiß noch, wie er innehielt, als er mit dem Schneiden fertig war. Ich schrie, während er das, was mein Gesicht gewesen war, aus nächster Nähe betrachtete. Dann nickte er. »Ja«, sagte er, »so ist es gut. Gleich beim ersten Mal ist alles richtig geworden.« Ich habe mich nie für schön gehalten, habe mich aber stets wohl in meiner Haut gefühlt. Nach dieser Nacht jedoch fürchtete ich mich vor dem Spiegel wie das Phantom der Oper. Auch wenn ich es geschafft hatte, am Leben zu bleiben, führte ich von nun an ein Leben im Dunkeln - ein Monstrum, verborgen in den Schatten.
Übersetzung: Angela Koonen und Dietmar Schmidt
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»Ich werde das Leben sein«, sagte der Mann zu dem Jungen. Der Junge deutete den Tonfall seines Vaters richtig und machte sich bereit. »Ja, Vater.« »Du wirst du sein, und ich werde das Leben sein.« »Ja, Vater.« Es war ein Rollenspiel. Der Vater streckte die offene Hand aus. Es war eine große, harte Hand. Das wusste der Junge aus eigener Erfahrung, denn er hatte diese Hand häufig zu spüren bekommen.»Gib mir einen Dollar«, verlangte der Vater. »Ich habe keinen Dollar.« Der Vater betrachtete den Jungen, und der Junge schaute seinen Vater an und wartete. Der Vater hatte ein derbes Gesicht, passend zu den Händen; sein ganzer Schädel war grob, als wäre er aus einem Betonblock oder aus Schlacke gehauen. Seine Augen waren eisblau und eiskalt - die Augen eines Philosophen und eines Mörders. »Wird's bald«, sagte der Vater. Er blickte auf den Tisch, tippte mit einem seiner dicken Finger darauf. »Na los. Ich frage nur noch einmal.« Er richtete den Blick wieder auf das Gesicht seines Sohnes. »Gib mir einen Dollar.« Wieder streckte er die Hand aus, schloss und öffnete sie, um seine Forderung zu unterstreichen. »Aber ich habe keinen Dollar, das habe ich doch schon gesagt. Das ändert sich auch nicht, wenn du mich zweimal fragst.« Der Vater entgegnete die Bemerkung mit einem stechenden Blick. Was der Junge gerade getan hatte, war gefährlich gewesen, aber auch mutig, und vor allem der Mut zählte.»Und ich sagte, ich werde das Leben sein«, sprach der Vater gefährlich leise. »Wenn das Leben einen Dollar von dir verlangt, solltest du ihm diesen Dollar geben, oder das Leben bestraft dich so lange, bis du es tust.« Der Tisch war klein, und die Arme des Vaters waren lang. Seine Hand zuckte vor und traf mit furchtbarer Wucht die linke Gesichtshälfte des Jungen, dem augenblicklich schwarz vor Augen wurde. Als er zu sich kam, lag er bäuchlings auf dem Fußboden. Der Stuhl war umgekippt, und die Handflächen des Jungen berührten den Boden dort, wo er seinen Sturz instinktiv abgefangen hatte. Ihm dröhnte der Schädel, und er schmeckte Blut. »Steh auf, Sohn.« Dem Jungen wurde schwindlig. Er suchte nach Worten. »Ja, Vater«, sagte er schließlich. Er war dankbar, so dankbar. Der Junge war erst zehn, hatte aber schon ein bisschen von dem gelernt, wie die Welt funktionierte: Das Leben geht immer weiter und weiter - mit dir, wenn du stark bist, und ohne dich, wenn du schwach bist. Sein Vater wollte, dass er stark war. Konnte ein Vater seinem Sohn seine Liebe deutlicher zeigen? Der Junge mühte sich noch. Er schwankte kurz, riss sich zusammen.
Schwäche war das größte Vergehen, Feigheit das zweitgrößte. »Du darfst niemals nur einstecken, Junge«, sagte sein Vater. »Du musst immer zurückschlagen. Immer. Wenn du einen Kampf zu verlieren drohst, lass den Gegner wenigstens für jeden Schlag, den er dir verpasst, teuer bezahlen.« »Ja, Sir«, sagte der Junge artig. Er brachte die Fäuste hoch und staunte einmal mehr, wie klein seine Hände waren im Vergleich zu den riesigen Pranken seines Vaters.»Das Leben will einen Dollar«, sagte der Vater und schlug zu. Der Junge versuchte sich zu wehren, konnte aber keinen einzigen Treffer landen. Er blieb still, als sein Vater ihn bewusstlos schlug, und vergoss keine Träne. Der Junge kam in seinem Bett zu sich, zitternd und von Schmerzen geplagt. Er wollte stöhnen, verkniff es sich aber, denn sein Vater saß neben ihm auf dem Bettrand, ein Koloss im Dunkeln, versilbert vom Mondlicht, das durch die Vorhänge sickerte.»Ich bin das Leben, und das Leben will einen Dollar, Sohn«, sagte er. »Ich werde jede Woche nach diesem Dollar fragen, bis du ihn mir gibst. Hast du verstanden?« »Ja, Sir«, sagte der Junge durch die aufgeplatzten Lippen und gab sich Mühe, seine Stimme kräftig und deutlich klingen zu lassen.
Sein Vater schaute aus dem Fenster, betrachtete den Mond, als hätten sie beide etwas zu bedauern. Vielleicht war es ja auch so. »Weißt du, was Freude ist, Sohn?« »Nein, Sir.«»Freude ist alles, was nach dem Überleben kommt.« Der Junge prägte sich das ein, legte es dort ab, wo er die großen und bedeutsamen Wahrheiten aufbewahrte. Dann wartete er, denn sein Vater war noch nicht fertig; er konnte es sehen. »Wir haben in diesem Leben nur ein Ziel, und das ist der nächste Atemzug. Alles andere sind bloß Lügen. Man braucht Essen, man braucht einen Unterschlupf, man braucht einen Platz zum Schlafen und ein Loch zum Scheißen.« Der große, schwere Mann blickte den Jungen durchdringend an. Der Junge hatte nie wirklich Angst vor seinem Vater gehabt. Bei all den brutalen und schmerzhaften Lektionen hatte er nie bezweifelt, dass der Mann, der ihm das Leben geschenkt hatte, es auch bewahren würde. Bis jetzt. Diesmal aber war es anders, und der Junge hielt den Atem an und die Zunge im Zaum und wartete, gebannt vom Blick zweier Augen, die so hell brannten wie sterbende Sterne. »Warum will ich einen Dollar?«, sagte der Vater. »Weil Geld die Grundlage von allem ist. Das Leben will einen Dollar, Sohn. Es will ihn jeden Tag, von heute an, bis du unter die Erde kommst. Wenn du nicht zahlen kannst, dann kannst du auch nicht essen. Wenn du nicht essen kannst, kannst du nicht leben. So einfach ist das. Verstehst du, was ich meine?« »Ja, Sir.« »Ich bin mir da nicht so sicher, aber wir werden ja sehen. Das ist eine Prüfung. Ich gebe dir ein paar Versuche. Aber wenn du nicht bald einen Dollar anschleppst, schlag ich dich zu Brei.« Nach einer schier endlosen Minute wandte der Vater sich ab. Er sah durch das Fenster zum Mond hinauf, und es schien beinahe so, als würde er mit ihm in ein stummes Zwiegespräch verfallen. »Es gibt keinen Gott, Junge«, sagte er irgendwann. »Es gibt auch keine Seele. Es gibt nur Blut, Fleisch und Knochen. Du wurdest nicht von einer höheren Macht auf diese Erde gestellt. Du bist hier, weil ich mein Ding in deine Mutter gesteckt habe und dein Fleisch in ihr gewachsen ist. Dieses Fleisch muss gefüttert werden, und dazu brauchst du Dollars, und das ist alles, was wir sind und was wir immer sein werden.« Der große Mann stand auf und ging ohne ein weiteres Wort. Der Junge lag auf dem Bett, betrachtete den Mond und dachte darüber nach, was sein Vater ihm gesagt hatte. Er stellte die Lehren seines Vaters nicht infrage, niemals, und nahm ihm die Schmerzen nicht übel. Das war seit langer Zeit vorbei. Der Junge erinnerte sich, dass er früher wütend und traurig gewesen war, doch inzwischen kam es ihm eher wie ein Traum vor, nicht wie eine echte Erinnerung. Diese Schwäche hatte sein Vater ihm mit den Fäusten ausgetrieben, so wie ein Hammer die Beulen aus einem Blech treibt. Sein Vater war sein Gott, und sein Gott lehrte ihn, wie man überlebte. Er brauchte einen Dollar. Wenn er keinen Dollar anschleppte, würde er sterben. Das war alles, was zählte; nur darauf konzentrierte er sich. Als er einschlief, hatte er einen Plan. Der Junge war gerade in die fünfte Klasse gekommen. Sein Vater betrachtete die Schule als etwas Notwendiges. »Du brauchst Wissen, um das Fleisch zu füttern, Sohn«, sagte er, »und die Schule kostet nichts. Nur ein Schwachkopf würde
dieses Angebot ablehnen.« Nun saß der Junge in seiner Klasse und wartete, dass die Schulglocke klingelte. Er hatte keine Freunde und wollte auch keine. Andere Menschen waren Gegner. Am besten, man blieb für sich, und daran hielt er sich. Der Junge beobachtete Martin O'Brian, den Schulrowdy, maß ihn mit kritischem Blick. O'Brian war groß und ein brutaler Schläger. Er hatte ausdruckslose braune Augen und dünne braune Haare, die immer so aussahen, als wären sie ihm zu Hause geschnitten worden. Er trug ausgelatschte Schuhe, und seine Jeans hatten Löcher an den Knien. Manchmal kam er mit einem blauen Auge zur Schule oder zuckte bei jedem Schritt zusammen. Das waren dann immer schreckliche Tage für die Schwachen, denn an solchen Tagen war Martin O'Brian wie ein Raubtier. Er wurde von allen gefürchtet, sogar von den älteren Sechstklässlern, denn er war gnadenlos. Man konnte nie sicher sein, wie weit er gehen würde. Darin lag das Geheimnis seiner Macht. Groß und kräftig waren viele, aber deshalb waren sie noch lange nicht furchterregend. Martin O'Brian jedoch legte eine Art von Brutalität an den Tag, die Eltern einem Zehnjährigen gar nicht zutrauten (oder, wie im Fall von O'Brians Eltern, lieber ignorierten, da sie den Ursprung dieser Gewalttätigkeit bei sich selbst vermuteten). Von besiegten, schluchzenden Gegnern verlangte er, dass sie die eigene Mutter eine Hure nannten. Gehorchte man nicht, schlug und trat er weiter zu. Einem seiner Gegner hatte er sogar den Arm gebrochen. Und was war die Folge? O'Brian wurde von den Lehrern getadelt, musste nachsitzen oder wurde vorübergehend vom Unterricht ausgeschlossen, mehr aber auch nicht. Das bedeutete, dass er sich weiter austoben konnte wie ein Elefant unter Pygmäen. Die Erwachsenen sahen das Dorf brennen, weigerten sich aber, den Rauch zu riechen. Der Junge aber roch ihn. Und mehr als einmal hatte er gesehen, wie ein seltsames Leuchten in O'Brians Augen trat, wenn er sich mit einem Gegner befasste. Es waren die Augen eines Wahnsinnigen, der genoss, was er tat. Und sein verzerrtes, fiebriges Lächeln ließ ahnen, dass er viel über Schmerz und Tränen wusste, aber nichts über Fröhlichkeit und Lachen. Das war Martin O'Brian. Deshalb war er die Lösung für das Problem des Jungen. Als die Glocke schellte, ging der Junge zu seinem Spind. Er legte seine Schulbücher hinein und ließ sie da; er hatte seine Hausaufgaben während des Unterrichts gemacht, damit er die Hände frei hatte. Nun nahm er aus dem Spind, was er am Morgen hineingelegt hatte, und ging durchs Schultor, ohne sich umzudrehen. Ein Stück weiter setzte er sich auf den Bordstein und wartete. Es war ein schöner Tag. Die Sonne wärmte ihm die Schultern. Ein ungeduldiger Wind wehte, fuhr durch das Laub der nahen Bäume und streifte die Wangen des Jungen mit einem Kuss, bevor er weiter zog. Fast zehn Minuten vergingen, bis Martin O'Brian erschien. Er pfiff vor sich hin, lächelte gedankenverloren und ballte unbewusst die Fäuste in permanentem Zorn. Der Junge sah Martin vorbeigehen. Dann stand er auf und folgte ihm in einigem Abstand. Martin O'Brian blieb fünf Minuten auf der Straße, ehe er in eine Seitengasse abbog. Noch zwei Querstraßen, und O'Brian wäre zu Hause. Jetzt oder nie. Der Junge rannte los, den Gegenstand aus seinem Spind fest in der Hand. Sein Herz schlug langsam und gleichmäßig. Nach zehn Schritten hatte er O'Brian eingeholt und schwenkte den Arm. Der Junge hatte den Besenstiel vor dem Unterricht durchgebrochen. Nun schlug er damit zu, drosch ihn gegen O'Brians linke Niere. Der Rowdy erstarrte; dann schrie er vor Schmerzen. O'Brian ging in die Knie und rang nach Atem. Der nächste Hieb brach ihm die Nase, der übernächste kostete ihn ein paar Zähne. Der Junge zerschlug O'Brian methodisch und mit erschreckender Ruhe, doch ohne Freude oder gar Genuss. Er war kein Sadist. Die Schläge waren Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger. Sie waren nötig, um Martin O'Brian zu zerbrechen, und der Junge würde erst aufhören, wenn dieses Ziel erreicht war. O'Brian fiel hin und krümmte sich, schützte Gesicht und Kopf mit den Armen, versuchte, dem Angreifer möglichst wenig
Körperfläche zu bieten. Der Besenstiel sauste weiter herab. Wieder und wieder und wieder. Auf Arme, Beine, Rücken, Hintern. Nicht fest genug, um Knochenbrüche oder innere Verletzungen zu hinterlassen, aber so schmerzhaft, dass O'Brian in ein hilfloses Bündel verwandelt wurde. Der Junge hörte auf, als O'Brian zu wimmern anfing. »Sieh mich an, Arschloch.« O'Brian sagte nichts, blieb zusammengekrümmt liegen, schluchzte, heulte und furzte hörbar, als er sich in die Hose machte. »Wenn du mich nicht anschaust und mir nicht zuhörst, schlag ich dich tot«, sagte der Junge. Das wirkte. Der Rowdy hob den Kopf, wobei sein ganzer Körper vor Angst und Schmerz zuckte. Seine Augen waren groß und weit aufgerissen, sein sonst so überheblicher Blick war furchtsam und unstet. Der Rotz lief ihm aus der Nase, vermischt mit Blut und Tränen. An einem Wangenknochen wuchs bereits eine Beule, die Lippen würden genäht werden müssen, und die abgebrochenen Zähne mussten raus. Sein Atem ging stoßweise, als er versuchte, seine Hysterie in den Griff zu bekommen. »Martin.« Die Stimme des Jungen war beinahe gelangweilt, sein Blick leer und ausdruckslos. Er atmete ganz ruhig. »Du wirst etwas für mich tun. Wenn du gehorchst, passiert dir nichts. Gehorchst du nicht, muss ich dich bestrafen. Verstehst du?« O'Brian starrte seinen Angreifer an, ohne zu antworten. Der Junge hob den Besenstiel. »Ja! Ja!«, kreischte O'Brian. »Ich hab verstanden!« Der Junge ließ den Besenstiel sinken. »Gut. Du wirst mir drei Dollar die Woche besorgen. Das wird dir nicht schwerfallen, denn ich hab dich beobachtet. Ich weiß, dass du klaust. Essensgeld, Taschengeld und so.« »J-ja ...«, wimmerte O'Brian, am ganzen Körper zitternd. »Du brauchst also nur das zu tun, was du sowieso tust. Der einzige Unterschied ist, dass du mir drei Dollar die Woche gibst. Kapiert?« O'Brian nickte. Er konnte nicht mehr sprechen, denn er klapperte zu sehr mit den blutigen Zähnen. »Gut. Und was ich dir jetzt sage, ist besonders wichtig, also pass gut auf. Wenn du jemals einem erzählst, was ich mit dir gemacht habe, oder von den drei Dollar, oder wenn du mir das Geld nicht gibst, komme ich eines Nachts zu euch nach Hause, bringe zuerst deine Eltern um und dann dich. Und es wird lange dauern und verdammt wehtun.« O'Brian hörte diese Worte, und die Zeit stand still. Etwas Seltsames geschah: Alles wurde deutlicher und unwirklich zugleich. O'Brian sah die Gegenwart und die Zukunft und wurde von einer Erregung erfasst, die alle Furcht wegfegte: Die Sonne steht am wolkenlosen Himmel. Das Pflaster auf dem Bürgersteig ist warm, aber nicht heiß, und er ist nur fünf
Minuten von zu Hause entfernt. Gleich wird er durch die Tür gehen, wird sich eine Cola und eins von Moms Plätzchen mit in sein Zimmer nehmen. Er wird sich die Tennisschuhe von den Füßen treten und das neuste Batman-Comic lesen. Später wird Mom ihn zum Essen rufen (wahrscheinlich Hackbraten). Dad wird wieder nicht dabei sein, denn er ist unterwegs und verkauft Sachen, und das bedeutet, er und Mom würden DIE FÄUSTE nicht spüren (so nannte O'Brian seinen Vater insgeheim). Vielleicht schauen sie sich später zusammen »Happy Days« an, und Mom wird vielleicht sogar lachen. Martin O'Brian dachte an das alles, und für einen Augenblick hörte es sich albern an, was sein Angreifer soeben gesagt hatte.Umbringen? Blödsinn. Sie waren erst zehn! Die Sonne schien, und ...
Der Junge starrte ihn an. Und als O'Brian in die Augen seines Bezwingers blickte, wurde ihm etwas bewusst - mit einer Klarheit, wie er es nie zuvor erlebt hatte. O'Brian war nicht besonders schlau, aber klug genug, dass er wusste, was er von sich selbst zu halten hatte. Er tat anderen weh, beklaute sie, terrorisierte sie. Er brachte sie zum Schluchzen und zum Flehen, und er genoss es. Es verschaffte ihm Erleichterung. DIE FÄUSTE konnten ihm nicht erklären, warum er sich manchmal so gut fühlte, wenn andere weinten. Er war eine miese Ratte, doch er akzeptierte seine Verderbtheit genauso wie seine Unfähigkeit, etwas daran zu ändern. Doch die Augen, die nun auf ihn hinunterstarrten, gehörten jemandem, der auf einer völlig anderen Stufe des Bösen stand. Es waren leere Augen, in denen weder Trauer noch Freude zu sehen war, keine unvergossenen Tränen und kein Lachen, das auf einen Anlass wartete. Das war kein Junge, der nach Hause ging, um Batman zu lesen, und seine Augen hatten noch nie eine Folge von »Happy Days« gesehen. Diese Augen musterten ihn nun von oben bis unten, warteten mit unerbittlicher Festigkeit. Und in diesem Moment wusste O'Brian, dass es keine Rolle spielte, ob die Sonne schien und ob sie erst zehn waren. Er wusste, dass jedes Wort des Jungen eine Drohung gewesen war, die er wahrmachen würde. »Ich hab verstanden«, flüsterte O'Brian. Die Augen starrten ihn an, suchten nach der Wahrheit, während O'Brian jämmerlich zu schluchzen anfing und sich nichts anderes auf der Welt wünschte, als dass sein Bezwinger ihm glaubte. Irgendwann nickte der Junge und warf den abgebrochenen Besenstiel zur Seite. »Erste Zahlung diesen Freitag«, sagte er. Dann drehte er sich um und ging. Der Junge kam zufrieden nach Hause, doch er pfiff nicht oder lächelte vor sich hin. Wozu auch? Es brachte nichts; es war völlig sinnlos. Doch der Junge war beruhigt: Er hatte sein Problem gelöst und sogar vorgesorgt. Denn was, wenn sein Vater demnächst mehr wollte als einen Dollar? Dieser Gedanke war dem Jungen in der Nacht zuvor gekommen, als er stumm die Schmerzen ertrug und nachdachte. Er war zu dem Schluss gelangt, dass es sehr gut möglich war: Wenn das Leben einen Dollar wollte, konnten es dann nicht auch zwei sein? Oder drei? Das Einfachste war, von denen zu nehmen, die hatten. Das aber warf ein weiteres Problem auf: Wie konnte man vermeiden, dass man geschnappt wurde? Alles hatte auf Martin O'Brian als Lösung des Problems hingedeutet: Er würde die Arbeit tun und den ärger mit der Polizei kriegen, wenn es dazu käme. Und wenn O'Brian den Bullen von einem kleineren Jungen erzählte, der ihn, den gefürchteten Schläger, erpresste - wer würde ihm glauben? Der Rest war eine Rechenaufgabe. Wie viel Schmerzen, wie viel Angst brachten wie viel Sicherheit? Menschliches Kalkül war die einfachste Mathematik überhaupt, wenn man den Bogen raus hatte. Und der Junge hatte ihn raus, das hatte er an diesem Tag erfahren. Nicht alles Böse ist Zufall. Manches wächst in einem finsteren Keller unter einer finsteren Sonne heran, gehegt und gepflegt von einem finsteren Gärtner mit einer Hacke aus Knochen.
KAPITEL 2 Heute
Jeder ist eine Insel, das habe ich früh lernen müssen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe Tommy, und wenn ich nachts aufwache, und er liegt neben mir, sodass ich ihn anfassen, wecken, mit ihm reden und vielleicht mit ihm schlafen kann, gibt es nichts Schöneres für mich. Dieses Gefühl und die intime Kenntnis seines Körpers teile ich mit nur wenigen Frauen (ja, es gibt ein paar, aber nicht viele). Ich genieße meine eigene Begierde ebenso wie Tommys Verlangen nach mir, das mich mit einer Art egoistischem Stolz erfüllt. In solchen Augenblicken bin ich die Besitzerin geheimen Wissens und Hüterin verborgener Dinge. Doch das ändert nichts an der Wahrheit: Trotz aller Intimität weiß Tommy nicht, was ich in meinem Innern empfinde - genauso wenig, wie ich es von ihm weiß. Bei aller Leidenschaft bleibt die Seele in der Dunkelheit verborgen. Inzwischen komme ich damit zurecht, auch wenn es eine Zeit gab, in der ich mich gegen diesen Gedanken gewehrt habe, wie wahrscheinlich jeder von uns. Wir wollen alles über den anderen wissen, die kleinste Kleinigkeit. Wir wollen in ihm lesen wie in einem offenen Buch und selbst gelesen werden. Wir wollen eins mit ihm werden. Aber das geht nicht, jedenfalls nicht bei mir. Jeder ist eine Insel. Wie nahe wir uns auch kommen, eine gewisse Entfernung bleibt. Liebe, so habe ich begriffen, heißt nicht nur, sich mitzuteilen, sondern auch mit dem klarzukommen, was eben nicht mitgeteilt wird. Ich drehe mich auf die Seite, die Wange an der Hand, und betrachte Tommy. Sein Gesicht mit der Narbe an der linken Schläfe ist nicht hübsch, aber sehr attraktiv, auf eine raue und männliche Art. Er ist groß, eins fünfundachtzig, und hat das dunkle Haar und die dunklen Augen eines Latinos. Er hat einen offenen und zugleich vorsichtigen Blick - einen Blick, wie man ihn nur dann bekommt, wenn man ein ehrlicher Mensch ist und zwei Leute getötet hat. Tommy schläft tief und fest, den Mund geschlossen. Ich traue mich nicht, ihn zu lange anzustarren. Er könnte meinen Blick spüren und wach werden, denn er weiß wie ich, dass der Tod immer und überall lauert, und ist deshalb wachsam, selbst im Schlaf. Menschen wie Tommy und ich eignen sich einen leichten Schlaf an. Menschen, die Dinge tun, wie wir sie getan haben. Die sehen, was wir gesehen haben. Ich drehe mich auf den Rücken und blicke durch die offene Balkontür in den Nachthimmel. Wir haben die Tür offen gelassen, damit wir das Meer hören können. Hier auf Hawaii ist es warm genug, um bei offener Tür zu schlafen. Wir machen hier fünf Tage Urlaub. Für mich ist es der erste Urlaub seit mehr als zehn Jahren. Hawaii, Insel aus Feuer und Eis. Als Tommy und ich vom Flughafen Hilo zum Hotel fuhren, haben wir uns gefragt, ob wir bei der Wahl der Insel einen Fehler gemacht haben. So weit das Auge reichte, waren nur schwarzes Vulkangestein, dürre Bäume und spärliches Gras zu sehen, als wären wir auf einem unwirtlichen Mond gelandet. Doch als wir uns der Ferienanlage näherten, legten sich unsere Befürchtungen. In der Ferne konnten wir den schneebedeckten Mauna Kea sehen, über 4000 Meter hoch. Es war merkwürdig, auf Hawaii aus dem offenen Wagenfenster zu schauen und Schnee zu sehen, aber da war er und leuchtete weiß in der Sonne. Wunderschön, genau wie der Rezeptionsbereich der Ferienanlage. Wir hatten einen herrlichen Blick aufs Meer und den makellosen Strand, und ein warmer Wind küsste unsere Wangen, wie um uns willkommen zu heißen. »Aloha«, sagte der junge Mann an der Rezeption, und seine weißen Zähne leuchteten in seinem tiefbraunen Gesicht. Wir sind jetzt seit vier Tagen hier, und unsere Hauptbeschäftigung ist das Faulenzen. Hawaii hat uns freundlich aufgenommen, hat das Blut an unseren Händen ignoriert, hat uns durch seine Schönheit überredet, abzuschalten und auszuruhen. Unser Zimmer ist im dritten Stock, und der Balkon ist nur fünfzig Meter vom Meer entfernt. Wir liegen den ganzen Tag in der Sonne, und abends gehen wir am Strand spazieren, beobachten die fantastischen Sonnenuntergänge und bewundern die Sternenpracht am außergewöhnlich klaren Himmel, der noch nicht von Smog getrübt ist. Doch für uns ist es ein Paradies auf Zeit. Bald fliegen wir nach Los Angeles zurück, wo ich im dortigen FBI-Büro als NCVAC-Koordinatorin arbeite. Das NCVAC ist das US-Bundesamt zur Analyse von Gewaltverbrechen mit Hauptsitz in Washington, D.C., doch in jedem FBI-Büro gibt es einen örtlichen Repräsentanten des NCVAC. In Los Angeles mache ich diesen Job jetzt seit über zwölf Jahren. Ich leite ein vierköpfiges Team (mich eingerechnet), das immer dann gerufen wird, wenn die schlimmste Drecksarbeit getan werden muss - die Aufklärung von Morden, Verstümmelungen, Vergewaltigungen, Folterungen und dergleichen. Es sind Verbrechen, die meist auf das Konto von Psychopathen gehen. Die Täter, die wir jagen, handeln selten im Affekt. Ihre Taten sind keine Absonderlichkeiten eines Augenblicks, sondern die Befreiung von irgendeinem krankhaften Trieb. Die meisten morden aus Lustgewinn, geilen sich auf am Leid und Tod anderer. Ich verbringe mein Leben damit, in die Dunkelheit zu schauen, in der diese Bestien hausen. Es ist eine kalte Schwärze, angefüllt mit Wimmern und huschenden Schatten, mit schrillem Gelächter, gellenden Schreien und dumpfem Stöhnen. Ich habe einige der Ungeheuer getötet, die in dieser Finsternis lauern, und wurde von anderen gejagt - in furchtbaren Träumen, aber auch in der Wirklichkeit, die manchmal schlimmer sein kann als der schrecklichste Alptraum. Doch ich habe mir dieses Leben selbst ausgesucht, also darf ich mich nicht beklagen. Es kommt selten vor, dass ich zum Himmel schaue und die Schönheit der Sterne bewundere. Meist sind sie für mich stumme und gleichgültige Beobachter jener Welt, in der wir leben und sterben, wobei mich selbst eher das Sterben beschäftigt, weil mein Job das mit sich bringt. Hier auf Hawaii habe ich mir endlich mal die Zeit genommen, die Sterne in Ruhe zu betrachten. Jede Nacht habe ich das Gesicht dem Himmel zugekehrt und mir von den Sternen sagen lassen, dass ihre Schönheit schon viel länger besteht als der Mensch und die Abscheulichkeiten, die er zu begehen imstande ist. Ich schließe für einen Moment die Augen und lausche. Das Rauschen der Brandung hört sich an wie der unaufhörliche Atem eines Riesen. Oder wie der Herzschlag Gottes. Doch Gott und ich, wir haben so unsere Probleme miteinander. Obwohl wir uns inzwischen näher sind als noch vor ein paar Jahren, wechseln wir kaum ein Wort. Etwas Gewaltiges, Ewiges schiebt die Wellen vor sich her auf den Sandstrand, im Takt mit dem Metronom der Welt. Das Meer ist unermesslich, so rein an Klang und Farbe, dass es kein Zufall sein kann. Ich bin mir nicht sicher, ob es uns wahrnimmt, aber vielleicht hält es die Welt für immer in Gang, während wir unsere nichtigen Entscheidungen treffen. Ich mache die Augen auf und rücke von Tommy weg, ganz langsam und so leise ich kann. Ich will auf den Balkon, ohne Tommy zu wecken. Die Laken streichen sanft über meine Haut, und meine Füße berühren den Teppichboden. Der Mond leuchtet ins Zimmer, deshalb ist der Bademantel (den ich mitgehen lassen will, wenn wir abreisen) nicht schwer zu finden. Ich ziehe ihn über, binde ihn aber nicht zu. Ich werfe noch einen Blick auf Tommy und gehe nach draußen. Der Mond überzieht alles mit schimmerndem Silber. Ich betrachte ihn mit stummer Bewunderung. Er ist nur eine gigantische Kugel aus Stein, die das kalte Licht der Sonne zurückwirft, doch sobald der Himmel dunkel wird, hat er immense Kraft. Ich strecke den Arm aus und tue so, als könnte ich mit den Fingern durch das Mondlicht greifen. Für einen Moment glaube ich sie tatsächlich zu spüren, die Ströme samtigen Lichts, die mir bei meiner Arbeit oft den Weg erleuchtet haben, der nicht selten ein Weg in eine Welt gewesen ist, in der unsägliche Schrecken lauern. Doch daran will ich jetzt nicht denken. Auf dem Balkon ist es angenehm. Ich lasse den Blick über den Himmel schweifen. In Los Angeles sind die Sterne bloß trübe Lichtpunkte in einem Meer der Schwärze, während sie hier wie Brillanten auf schwarzem Samt aussehen; dieser viel strapazierte Vergleich trifft es ziemlich genau. Über mir kann ich den Gürtel des Orion sehen, und als ich den Blick schweifen lasse, entdecke ich den Großen Bären und den Polarstern. »Stella Polaris«, flüstere ich und denke an meinen Vater. Er gehörte zu den Menschen, die sich für alle möglichen Dinge begeistern konnten. Er spielte ganz ordentlich Gitarre und schrieb Kurzgeschichten, die mir sehr gefielen, die aber nie veröffentlicht wurden. Und er liebte den Nachthimmel und Bücher über Astronomie. »Der Polarstern«, hat er mir einmal in einer kalten Nacht erzählt, »wird auch Nordstern genannt. Er ist nicht der hellste Stern am Himmel, wie manche Leute glauben. Der hellste Stern ist Sirius. Aber der Polarstern ist einer der wichtigsten.« Damals war ich neun und interessierte mich nicht allzu sehr für die Welt der Sterne, und schon gar nicht liebte ich sie, aber ich liebte meinen Vater; deshalb heuchelte ich Interesse und machte ein erstauntes Gesicht. Heute bin ich froh, dass ich es getan habe, denn es hat Dad glücklich gemacht. Er starb, bevor ich einundzwanzig war, und ich hege und pflege jede Erinnerung an ihn. »Woran denkst du?« Die Stimme hinter mir ist belegt vom Schlaf. »An meinen Vater. Er hat die Sterne geliebt.« Tommy kommt zu mir und umfasst mich. Er ist nackt und warm. Ich lege den Kopf an seine Brust. Ich bin nur eins fünfzig, und es gefällt mir, dass er so viel größer ist als ich. »Kannst du nicht schlafen?«, fragt er. »Ich will nicht. Es ist schön, wach zu sein.« Es ist, als könnte ich ihn lächeln hören. Das mag verrückt klingen, aber es ist die Wahrheit. Tommy und ich sind uns so nahe gekommen, dass wir die unsichtbaren Zeichen des anderen lesen können. Wir sind jetzt fast drei Jahre zusammen, und es war eine wunderschöne Zeit. Tommys unerwartete Liebe hat mir damals das Leben gerettet. Vor dreieinhalb Jahren war ein Serienmörder namens Joseph Sands - ein Killer, den meine Leute und ich gejagt hatten - in mein Haus eingebrochen. Er folterte Matt, meinen Mann, vor meinen Augen zu Tode. Dann kam ich an die Reihe. Nachdem Sands mich vergewaltigt hatte, nahm er sich mein Gesicht vor und entstellte es so sehr, dass ich mich später selbst nicht wieder erkannte. Zum Schluss starb Alexa, meine damals zehnjährige Tochter. Sands benutzte sie als lebenden Schutzschild, als ich an eine Waffe kam und auf ihn feuerte. Danach verbrachte ich sechs Monate in einer Welt aus Schmerz und Schock, an die ich mich kaum noch erinnern kann. Die Zeit ist zwar präsent, aber jeder Mensch besitzt eine Art Schutzmechanismus, der das Erinnern an solche Qualen verhindert oder sie zumindest schneller verblassen lässt. Ich weiß nur noch, dass ich damals sterben wollte und nahe daran war, mir das Leben zu nehmen. Dann aber kamen Tommy und ich zusammen. Tommy war damals noch beim Secret Service. Bei einer meiner Ermittlungen kamen wir uns näher und landeten irgendwann im Bett, womit ich nun wirklich nicht gerechnet hatte - nicht nur, weil ich noch um Matt trauerte und weil Tommy ein so gut aussehender Bursche war, sondern wegen meines Aussehens. Joseph Sands hatte mir mit einem rostigen alten Messer das Gesicht zerschnitten - methodisch, voller Hass und perverser Freude. Er hat sich in meinem Gesicht verewigt, hat mich mit Blut und Stahl gezeichnet. Die Narbe beginnt mitten auf der Stirn, am Haaransatz, verläuft zwischen den Augenbrauen hindurch und dann in einem Neunzig-Grad-Winkel nach links und über die Schläfe, wo sie eine schwungvolle Schleife auf der Wange beschreibt. Von dort führt sie wieder nach oben und über den Nasenrücken und dann über die Nasenwurzel hinweg, ehe sie wieder kehrtmacht, eine Diagonale über den linken Nasenflügel zeichnet und schließlich über den Kiefer hinunter bis zum Schlüsselbein führt. Die linke Augenbraue fehlt. Sands hat sie mir weggeschnitten, als er mit der Klinge in meinem Gesicht schnitzte, sabbernd vor perverser Erregung. Ich weiß noch, wie er innehielt, als er mit dem Schneiden fertig war. Ich schrie, während er das, was mein Gesicht gewesen war, aus nächster Nähe betrachtete. Dann nickte er. »Ja«, sagte er, »so ist es gut. Gleich beim ersten Mal ist alles richtig geworden.« Ich habe mich nie für schön gehalten, habe mich aber stets wohl in meiner Haut gefühlt. Nach dieser Nacht jedoch fürchtete ich mich vor dem Spiegel wie das Phantom der Oper. Auch wenn ich es geschafft hatte, am Leben zu bleiben, führte ich von nun an ein Leben im Dunkeln - ein Monstrum, verborgen in den Schatten.
Übersetzung: Angela Koonen und Dietmar Schmidt
Copyright © 2010 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Porträt von Cody McFadyen
Cody Mcfadyen, geboren 1968, unternahm als junger Mann mehrere Weltreisen und arbeitete danach in den unterschiedlichsten Branchen. Er ist verheiratet, Vater einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Kalifornien. Die Blutlinie war sein erster Roman und sorgte weltweit für großes Aufsehen. Mit Der Todeskünstler, Das Böse in uns und Ausgelöscht hat er die außergewöhnliche Thriller-Reihe um Smoky Barrett fortgesetzt. Weitere Romane mit der Protagonistin werden folgen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Cody McFadyen
- 2011, 464 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Angela Koonen, Dietmar Schmidt
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404165810
- ISBN-13: 9783404165810
- Erscheinungsdatum: 10.10.2011
Pressezitat
"Schaurig geht es bei Cody Mcfadyen in seinem neuen Thriller Ausgelöscht zu." Südkurier online "Sie mögen es blutrünstig? Dann sind Sie hier richtig!" Jolie, München "Mcfadyens Fantasie stürzt sich auf alle nur erdenklichen Abgründe, in die die menschliche Seele abtauchen kann." Kölner Stadt-Anzeiger, Köln
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