Sommergeschichten
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Sommergeschichten von Rosamunde Pilcher
LESEPROBE
Als dieSonne am Himmel sank und sich lange Schatten über die Dünen erstreckten,leerte sich der Strand allmählich. Mütter riefen unwillige Kinder, lockten sieaus den warmen Ausläufern der sommerlichen Flut. Müde, sonnenverbrannteKleinkinder wurden in Sportwagen verfrachtet, Picknickkörbe wieder eingepackt, vermißteSandalen und Handtücher endlich aufgestöbert. Um sieben Uhr war der Strand fastverlassen, bis auf den Bademeister, der vor der Strandhütte in seinemCampingstuhl saß, ein paar unermüdliche Surfer und eine Frau mit einem übermütigenHund.
Und Emilyund Portia.
Emily warvierzehn, Portia war ein Jahr älter. Emily wohnte im Dorf - sie war hiergeboren und hatte ihr ganzes Leben in dem weitläufigen alten Haus gleich hinterder Kirche verbracht. Portia aber kam aus London. Solange Emily zurückdenkenkonnte, hatten Portias Eltern für den August das Haus der Luscombes gemietet,während die Luscombes ihre Tochter besuchten, die in einer abgelegenen Gegendvon Schottland mit einem unaussprechlichen Namen wohnte.
Als kleineKinder hatten Emily und Portia jeden Sommer zusammen gespielt. Normalerweisehätten sie einander vermutlich kaum beachtet, denn sie hatten wenig miteinandergemein. Aber Portias Geschwister waren alle älter als sie, und Emily war einEinzelkind. Von ihren Eltern ermuntert, hatten sie eine Gemeinschaft gebildet,die für beide ganz befriedigend war. Sie vertrauten sich gegenseitig.
Portia wares gewesen, die den heutigen Ausflug an den Strand vorgeschlagen hatte. Siehatte Emily nach dem Mittagessen angerufen.
«... ich bin mutterseelenallein. Giles und seine Freundesehen sich das Stock-Car-Rennen an ...» Giles war ihr Bruder, er studierte inCambridge und war schrecklich geistreich und gebildet. «... und ich wolltenicht mit. Es ist zu heiß, und dort stinkt es so.» Emily antwortete nichtgleich, und Portia bemerkte ihr Zögern. «Du hast doch nichts anderes vor,oder?»
DenTelefonhörer in der Hand, lauschte Emily der Stille im Haus, das in derNachmittagshitze döste. Als Mrs. Wattis nach dem Mittagessen aufgeräumt hatte,war sie nach Fourbourne zu ihrer Schwester gefahren, wo sie über Nacht zu bleibengedachte. Emilys Vater war in Bristol. Er hatte heute morgen eineGeschäftsreise angetreten und würde erst in zwei Tagen zurück sein. Stephanieruhte sich oben in ihrem Schlafzimmer aus.
«Nein, ichhab nichts weiter vor», sagte Emily. «Ich komm gerne mit.»
«Nimm einpaar Kekse oder belegte Brote mit. Ich habe eine Flasche Limonade. Wir treffenuns an der Kirche.»
Emily hattePortia ein Jahr nicht gesehen, und kaum erblickte sie sie, wurde ihr beklommenzumute. Immer das gleiche. All ihre Schulfreundinnen schienen erwachsen zu werdenund Emily zu überflügeln, sie wurden versetzt, schafften ihreZwischenprüfungen, während Emily hinterdreinstolperte, sich an dieGeborgenheit der Kindheit klammerte, an das Bekannte, Vertraute. Sie sehntesich danach, mit den anderen voranzukommen, hatte aber nicht den Mut, denersten, entschlossenen Schritt zu tun.
Und jetztPortia.
Portiawurde erwachsen. Sie hatte eine gute Figur. In nur zwölf Monaten hatte sie sichvom Kind in eine junge Frau verwandelt. Ihre knappen Shorts und dasenganliegende T-Shirt zeigten eine schmale Taille, schlanke Hüften, lange, brauneBeine. Sie hatte die dunklen Locken schulterlang wachsen lassen, sie hatte sichOhrlöcher stechen lassen und trug goldene Ohrringe. Sie glitzerten, wenn siedie Haare zurückwarf, verfingen sich in den glänzenden Locken. Sie hatte sichdie Zehennägel rosa lackiert und die Beine rasiert.
Als sieüber den Golfplatz zum Meer schlenderten, kamen sie an einigen jungen Männernvorbei, Golfspieler auf dem Weg zum nächsten Abschlag. Letztes Jahr hätten diejungen Männer Portia und Emily gar nicht beachtet, aber heute sah Emily derenAugen auf Portia ruhen, und sie beobachtete Portias Reaktion: die Pantomime,die bewundernden Blicke nicht zu bemerken, ihren plötzlichen selbstbewußtenGang, das Zurückwerfen des Kopfes, als ein Windstoß ihr die Haare in die Augenwehte. Die jungen Männer sahen Emily nicht an, und Emily erwartete es auchnicht. Denn wer mochte schon eine sehnige Vierzehnjährige beachten, ohne Formenund Kurven, mit strohblonden Haaren und einer gräßlichen Brille?
(...)
© RowohltVerlag GmbH
Übersetzung:Dorothee Asendorf und Margarete Längsfeld
- Autor: Rosamunde Pilcher
- 2002, Neuausg., 176 Seiten, Maße: 12,6 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Dorothee Asendorf, Margarete Längsfeld
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499232162
- ISBN-13: 9783499232169
- Erscheinungsdatum: 01.06.2002
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