Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention
Soziolosgische, theologische und politische Zugänge
Die UN-Behindertenrechtskonvention bedeutet für den Sport weitaus mehr als nur die Sicherstellung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zu Sportstätten. Sportverbände und -vereine sind dazu aufgefordert, Menschen mit Behinderungen zu ermutigen und zu...
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Produktinformationen zu „Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention “
Klappentext zu „Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention “
Die UN-Behindertenrechtskonvention bedeutet für den Sport weitaus mehr als nur die Sicherstellung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zu Sportstätten. Sportverbände und -vereine sind dazu aufgefordert, Menschen mit Behinderungen zu ermutigen und zu befähigen, in der allgemein üblichen Weise am Breitensport selbstbestimmt zu partizipieren. Darüber hinaus sieht die Konvention die Möglichkeit vor, dass Menschen mit Behinderungen behinderungsspezifische Sportaktivitäten selbst entwickeln, sofern sie dies wollen. Die Beiträge des Bandes untersuchen dieses Thema aus dem Blickwinkel der Soziologie, der Theologie und der Politikwissenschaften. Neben theoretischen Grundlagen und rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen werden Handlungsräume und Bewährungsfelder in Politik, Kirche und Öffentlichkeit diskutiert.
Lese-Probe zu „Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention “
Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention von Florian Kiuppis und Stefan Kurzke-Maasmeier (Hrsg.)EINLEITUNG
Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention - zum Thema des Bandes
Florian Kiuppis / Stefan Kurzke-Maasmeier
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„Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention" ist - zumal im Titel eines Buches, das „Interdisziplinäre Zugänge und politische Positionen" als Untertitel trägt - in zweifacher Hinsicht zu verstehen. Zum einen kommen im vorliegenden Band Personen als Autorinnen und Autoren zu Wort, die im weitesten Sinne im Sport eingebunden sind: neben sportlich Aktiven sind dies Vertreter/-innen von Verbänden und Mitglieder von Vereinen, sowie Sportwissenschaftler/-innen. Bei einem Teil der Beiträge (die Geleitworte inbegriffen) handelt es sich also um (Selbst-)Reflexionen aus dem Sport, die hier in Anbetracht jener Herausforderungen vorgenommen werden, vor die sich dieses Handlungsfeld durch das in Deutschland seit März 2009 gültige „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" der Vereinten Nationen gestellt sieht.
Zum anderen werden von Standpunkten außerhalb des Sports - in erster Linie aus der Theologie, Sozialethik und Politik - die Organisation und Durchführung diverser Bewegungs-, Spiel-und Wettkampfformen im Lichte der UN-BRK diskutiert. Dabei wird den im Sport aktiven individuellen und kollektiven Akteurinnen und Akteuren gewissermaßen die UN-BRK als Spiegel vorgehalten, der beispielsweise vor Augen führt, dass zahlreiche tradierte Organisationsstrukturen im Sport den aus der UN-BRK hervorgehenden rechtlich-verbindlichen Vorgaben für die inklusive Ausrichtung von Lebensbereichen und Handlungsfeldern zum Teil nicht entsprechen, weil sie Menschen mit Behinderungen nicht die Möglichkeit einräumen, selbstbestimmt und gleichberechtigt mit anderen an Sportaktivitäten teilzuhaben.
1. Sport und Behinderung
Das Thema „Sport und Behinderung" ist nicht neu. Mittlerweile kann in Deutschland als Regelfall vorausgesetzt werden, dass Sportverbände und Sportvereine die Interessen von Menschen mit Behinderungen in ihren Profilen, Strukturen und Aktivitäten standardmäßig mitberücksichtigen. Auf der Ebene des Breitensports gibt es sowohl Institutionen, die sich darauf spezialisiert haben, Menschen mit Behinderungen die Teilnahme am Sport zu ermöglichen, als auch solche, deren Angebote integrativ sind, also Menschen mit Behinderungen die Gelegenheit bieten, gemeinsam mit Menschen ohne Behinderungen Sport zu treiben. Bei einem genaueren Blick auf die mediale Berichterstattung zu Ereignissen im Spitzensport lässt sich feststellen, dass es mit zunehmender Häufigkeit und Detailliertheit - so etwa in Berichten über „Spiele" wie z.B. die Paralympics und Special Olympics (weniger über die Deaflympics, die Weltspiele der gehörlosen und hörbehinderten Sportler /-innen) - Debatten zu der Frage gibt, ob - und unter Berücksichtigung welcher Kriterien - Sportler/-innen mit Behinderungen (die entsprechende Funktionsfähigkeit vorausgesetzt) an regulären Wettbewerben teilnehmen können beziehungsweise die Erlaubnis dafür erteilt bekommen. Insofern ist „Sport und Behinderung" ein Thema, das sich in Deutschland, zumindest ein Stück weit, in der öffentlichen Wahrnehmung etabliert hat.
Der Zusammenhang zwischen Sport und Behinderung ist derzeit im Wandel begriffen. Wie dieser Wandel zu beurteilen ist, hängt vom jeweiligen Standpunkt der Betrachtung ab. Rückblickend ließe sich etwa feststellen, dass dieser Zusammenhang immer dann in Veränderung begriffen war, wenn sich Sichtweisen auf „Behinderung" weiterentwickelten. So war z.B. in Zeiten, in denen unter „Behinderung" - im Sinne medizinischer Erklärungsmodelle - ein Attribut verstanden wurde, das Menschen gleichsam wie ein Makel anhaftet und das es nach Möglichkeit zu beseitigen bzw. abzuschwächen gilt, von Sport für behinderte Menschen als Rehabilitationsmaßnahme die Rede. Demgegenüber müsste die Herangehensweise an dieses Thema im Kontext des aktuellen Verständnisses von „Behinderung" - wonach Behinderungen entstehen können, wenn Menschen, die z.B. körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, mit Barrieren konfrontiert sind und aus dieser Wechselwirkung ihre volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft behindert wird - eine andere sein: nunmehr geht es um Sport von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen und im Zusammenhang mit der selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft.
In den Sportwissenschaften und in der Pädagogik ist „Sport und Behinderung" mittlerweile ein großes Forschungs-und Lehrfeld, das in den letzten Jahren eine Anzahl von Arbeiten hervorgebracht hat, in denen es auch um Fragen der Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geht. Untersuchungen erstrecken sich hier zum Beispiel von Analysen der Bedeutung des Sports für Menschen mit Behinderungen sowie Studien zu anderen, direkt beim sporttreibenden Menschen ansetzenden Fragestellungen; über pädagogische Fragen, etwa zur Nachwuchsförderung im sogenannten Behindertensport oder zum Sport in heterogenen Gruppen bis hin zu „technischen" Fragen wie zum Beispiel der Vermarktung oder der Klassifizierung von Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderungen. Aus den Fachbereichen der Theologie und christlichen Sozialethik gibt es wiederum zahlreiche Arbeiten zum Thema Sport, die hingegen selten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, „Behinderung" als thematischen Schwerpunkt haben - während Arbeiten zu „Behinderung" in diesem Zusammenhang in der Regel nicht das Thema Sport aufgreifen. In jenen Beiträgen, die bei der Auseinandersetzung mit dem Thema „Sport und Behinderung" auf die UNBRK verweisen, wird in der Regel auf den Bildungsbereich Bezug genommen. Die Debatten zu „inklusiver Bildung", die sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Wissenschaften im Zusammenhang mit der UN-BRK geführt werden, gelten gemeinhin als Referenzdiskussionen für den Sportbereich. So ist in neueren Arbeiten zum Thema „Sport und Behinderung" häufig die Rede von „inklusivem Sport", der nach den Prinzipien des im Bildungsbereich emergierten Inklusionsparadigmas umorientiert und umstrukturiert werden solle.
Vor diesem Hintergrund versteht sich der vorliegende Band sowohl als Beitrag zu jener Literatur, die sich - aus Sicht von Menschen mit und ohne Behinderungen - mit der Umsetzung der UN-BRK in verschiedenen Bereichen und Aspekten des Lebens befasst und hier, mit ihrem Blick auf den Sport ausbuchstabiert, welche Herausforderungen von der UN-BRK ausgehen, als auch als thematische Einführung in die UN-BRK für diejenigen, die sich zwar theoretisch oder praktisch mit Sport befassen, aber mit dem Thema „Sport und Behinderung" entweder bisher garnicht oder noch nicht im Kontext der Konvention in Verbindung gekommen sind.
Im vorliegenden Sammelband geht es um die Thematisierung der neuen Herausforderungen, die die UN-BRK an sämtliche individuelle und kollektive Akteurinnen und Akteure im Sport stellt. Das Buch steuert aus verschiedenen disziplinären Perspektiven einen neuen Einblick in das Thema „Sport und Behinderung" bei, bietet Einsichten aus dem Sport selbst und ergänzt diese um unterschiedliche politische Positionsbestimmungen. Zudem befasst es sich mit einem Konzept, das derzeit „Hochkonjunktur" hat und das inzwischen - nachdem es nach dem Bildungssystem auch den Arbeitsmarkt und die Kirche ergriffen hat - auch die Zukunft des Sports mitbestimmt: Inklusion. In diesem Kontext befassen sich die Beiträge sowohl mit Sport im Allgemeinen als auch mit „behinderungsspezifischen Sportaktivitäten", sei es im Spitzensport (z.B. Special Olympics, Paralympics, Deaflympics) oder im Breitensport. Nicht zuletzt rekurriert das Buch auf Menschenrechte. Obwohl die UN-BRK auf ihnen aufbaut, heben sie sich aus der Konstruktion des Konventionstextes noch einmal plastischer und in konkretisierter Form hervor - und tauchen den Sport in ein anderes Licht.
2. Welche Herausforderungen stellt die UN-BRK an den Sport?
Unter Heranziehung der UN-BRK als Spiegel wird „Sport und Behinderung" im vorliegenden Band anders beleuchtet als in herkömmlichen Arbeiten. Während es in frühen Arbeiten zu diesem Thema in Bezugnahme auf Breitensport um die Diskussion und Erprobung von Möglichkeiten zur Teilnahme von Menschen mit Behinderungen am Sport (erst im Sinne des sogenannten Behindertensports und ab den 1970er Jahren im Zusammenhang der Integration von Menschen mit Behinderungen, z.B. in reguläre Sportvereine oder in den gemeinsamen Unterricht mit Kindern ohne Behinderungen) gegangen war, wuchs mit der Emergenz der UN-BRK die Bedeutung der Inklusion und der Gleichberechtigung mit Menschen ohne Behinderungen, sowie der Selbstbestimmung im Hinblick auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an Sportaktivitäten. War es mit anderen Worten bei der Thematisierung der Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in Sportaktivitäten gemeinsam mit Menschen ohne Behinderungen früher um die Ebene des Zugangs und folglich um den Abbau von Barrieren im Sinne einer Zielvorstellung gegangen, steht mittlerweile die Ebene der Partizipation, also die Frage nach dem „wie" der Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund theoretischer Überlegungen. Wie genau Einstellungen und Strukturen im Sport neu justiert werden müssten, damit sie den Vorgaben der UN-BRK entsprechen, ist bisher nicht theoretisch ausgearbeitet worden.
Die UN-BRK stellt den Sport - und nicht ausschließlich den Behindertensport - vor zahlreiche Herausforderungen. Ein Hauptgrundsatz dieses Rechtsrahmens ist die Gleichberechtigung der Menschen mit Behinderungen mit anderen, sei es - allgemeiner formuliert - im Zusammenhang mit ihrer vollen und wirksamen Teilhabe an der Gesellschaft, oder - konkreter ausgedrückt - wenn es, so in Artikel 2 der UN-BRK ausgeführt, um das Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem anderen Bereich geht. Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen ihre Selbstbestimmung und Teilhabe inklusive die vollen Mitspracherechte an Sportaktivitäten zu ermöglichen, bedeutet Auswirkungen auf das Selbstverständnis und Angebotsprofil von Sportverbänden und -vereinen. Ein erstes Ziel könnte die Umorientierung bereits bestehender Sportangebote in Richtung Bedarfsorientierung sein. So könnten Vereinsstrukturen flexibel an spezifische kollektive und/oder individuelle Voraussetzungen angepasst werden. Der Grundidee des „Universellen Design" zufolge, sollten Umgebungen im weitesten Sinne so eingerichtet werden, dass sie möglichst für alle, also nicht insbesondere für Menschen mit Behinderungen, ohne weitere Anpassung oder Spezialisierung zugänglich und nutzbar gemacht werden. Im grundsätzlichen Sinne von Barrierefreiheit würde dies bedeuten, dass zwar nach wie vor jene Lösungen zu wählen sind, mit denen möglichst viele Menschen ein Angebot ohne Unterstützung nutzen können, aber dass nichtsdestotrotz - etwa durch die Einrichtung eines Pools an personellen und materiellen Ressourcen - Assistenzstrukturen eingerichtet werden. Darüber hinaus fordert die UN-BRK die Achtung der Autonomie und Freiheit von Menschen, eigene Entscheidungen zu treffen, z.B. einen bestimmten Sportverein zu wählen und diese Wahl nicht auf die klassischen Angebote des Behindertensports verengt zu wissen. Die Achtung eines solchen Wunsch- und Wahlrechts stärkt Menschen in ihrer Selbstbestimmung und die Chancengleichheit, sowie die Akzeptanz menschlicher Vielfalt (Artikel 3 der UNBRK).
Aus der englischen Originalfassung der UN-BRK gehen Herausforderungen für den Sport hervor, die sich weder in der deutschsprachigen Übersetzung noch in der sogenannten Schattenübersetzung wiederfinden lassen. So beginnt der Artikel 30, der sich u.a. mit Sport befasst, wie folgt: „With a view to enabling persons with disabilities to participate on an equal basis with others in [...] sporting activities". Hier wird eine Perspektive eingenommen, derzufolge davon ausgegangen wird, dass Menschen mit Behinderungen befähigt werden müssten, gleichberechtigt mit anderen an Sportaktivitäten teilzuhaben. Das Verb „to enable", das im deutschsprachigen Passus „Ziel, Menschen mit Behinderungen [...] Teilhabe [...] zu ermöglichen" keine adäquate Entsprechung findet, drückt zugleich Weiterqualifizierung, Schutz, Haltgebung und Entwicklungsförderung aus. Anders als „Ermöglichung", zielt es vielmehr darauf ab, dass Menschen mit Behinderungen - über die Gewährung des Zugangs zu Sportangeboten und die Beseitigung von Barrieren hinaus - je nach Bedarf Hilfe, Unterstützung und Assistenz zukommt. Auch die Ausführungen im Satz danach sind im englischsprachigen Original der Konvention weitreichender als in den Fassungen der Übersetzung ins Deutsche: „(a) To encourage and promote the participation [...] of persons with disabilities in mainstream sporting activities [...]" nimmt - weil es in der übersetzten Version für das Verb „to promote" keine Entsprechung gibt - die Vertragsstaaten weitaus mehr in die Pflicht, Prozesse der Teilhabe begleitend zu unterstützen, zu fördern oder voranzubringen als dies durch folgenden Passus ausgedrückt wäre: „(a) um Menschen mit Behinderungen zu ermutigen [...]". Darüber hinaus geht es der UN-BRK darum - und dies zeigt die Textpassage in Satz b des Artikels 30 Satz 5: „to ensure that persons with disabilities have an opportunity to organize, develop and participate in disability-specific sporting [...] activities" (Art. 30, Satz 5 b) -, dass es in erster Linie sicherzustellen gilt, dass Menschen mit Behinderungen nicht - wie noch in Zeiten einer Politik der Fürsorge - Angebote alternativlos zugewiesen werden, sondern grundsätzlich, für alle Lebensbereiche und Handlungsfelder die Möglichkeit zugestanden werden sollte, Strukturen selbst auswählen oder sich eben gegen solche entscheiden zu können, und ggf. Aktivitäten - mit mehr oder weniger Assistenzleistung - selbst organisieren zu können.
Schon anhand dieser Textstellen wird deutlich, dass die UN-BRK - zumal in ihrer englischsprachigen Originalfassung - weitaus mehr „erwartet" als nur die Sicherstellung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zu Sportstätten und der Möglichkeit ihrer Teilnahme an sportlichen Aktivitäten. Eines der zentralen Ziele der Konvention - und dies geht bereits aus dem ersten ihrer Artikel hervor - besteht darin, den „vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern". Diese Vorgaben sowie weitere Normen der Konvention sind universal gültig. Da sie formal gesehen jedoch nur für Politik, Verwaltung und für die Gerichte als verbindliches Recht gelten, stellt sich die Frage, inwiefern sich die Vereine, Verbände und Organisationen des Sports in die Pflicht genommen fühlen müssen, den Vorgaben der Konvention zu entsprechen.
Die Antwort ist eindeutig: Schon deshalb, weil Angelegenheiten des Sports in vielen Bundesländern Deutschlands auf Verfassungsebene geregelt werden, sind die in diesem Bereich tätigen Akteure qua Verfassungserwartung dazu angehalten, sich im Sinne der vom Staat unterzeichneten und ratifizierten Konvention zu orientieren. Die Rede ist nicht von einer einklagbaren, als „Mussnorm" festgeschriebenen Verpflichtung zur Umsetzung der UN-BRK, sondern vielmehr von einer moralischen Erwartung bzw. Wertzuschreibung an den Sport. Insofern bindet die UN-BRK auch das Handeln von nichtstaatlichen Institutionen sowie von Akteuren der Zivilgesellschaft mitein. Und jene Bundesländer, in denen Sportförderung nicht auf Verfassungsebene festgeschrieben ist, sind hiervon keineswegs ausgenommen: „Die Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten ohne Einschränkung oder Ausnahme für alle Teile eines Bundesstaats", so steht es in Artikel 4.
Über die Frage nach einer Bestimmung konkreter Pflichten für die verschiedenen Akteure des Sports hinaus, ist die Konvention in menschenrechtsethischer Hinsicht von großer Relevanz. Denn hier spielt nicht nur eine Rolle, wer in welcher Weise den Grundsätzen des Konventionstextes entsprechen müsste oder sollte sondern auch wodurch die Geltung der Konvention, sowie die moralischen Erwartungen bzw. die Wertzuschreibungen an den Sport begründet sind. Angesprochen ist hier also die Frage nach dem Warum der Umsetzung der Konvention. Die als formalethisch zu bezeichnende Antwort hierauf ist, angelehnt an die Charta der UN, die Verpflichtung zur „Anerkennung der Würde und des Wertes, die allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnen", und zudem sowohl zur Anerkennung gleicher und unveräußerlicher Rechte, als auch zur Achtung und Förderung und zum Schutz derselben.
Mit dem Ziel, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen im Sport langfristig sichern zu helfen, sollte es in Zukunft nicht nur um die Frage nach bestmöglichem „Gerechtwerden" dieser Gruppe, sondern vielmehr um die Ermutigung und Befähigung dieser Menschen gehen, so umfassend wie möglich an breitensportlichen Aktivitäten auf allen Ebenen teilzunehmen. Was in sozialpolitischen Kontexten als Abkehr vom Prinzip der Fürsorge bereits bekannt und entsprechend benannt ist, sollte auch in der Welt des Sports wirksam werden können. Voraussetzung hierfür ist die systematische Förderung einer respektvollen Einstellung gegenüber den Rechten und Wahlentscheidungen von Menschen mit Behinderungen. Dabeisein ist eben nicht alles. Es muss auch im Sport um die Förderung von Teilhabe im weitesten Sinne gehen, und zwar möglichst vor dem Hintergrund aller oben aufgeführter Grundsätze der Konvention, also nicht nur derer, die Artikel 30 vorsieht.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Sportverbände und -vereine durch Inkrafttreten der UN-BRK dazu aufgefordert sind, über die Gewährleistung von Barrierefreiheit hinaus, Menschen mit Behinderungen zu animieren, zu ermutigen und zu befähigen, so umfassend wie möglich und auf allen Ebenen an breitensportlichen Aktivitäten selbstbestimmt zu partizipieren. Zudem zielt die UN-BRK darauf ab, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, behinderungsspezifische Sportaktivitäten selbst zu organisieren und zu entwickeln. Hierfür solle, so die UN-BRK, die Bereitstellung eines geeigneten Angebots an Anleitung, Training und Ressourcen auf der Grundlage gleicher Rechte und gleicher Chancen mit anderen gefördert werden.
© 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart
„Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention" ist - zumal im Titel eines Buches, das „Interdisziplinäre Zugänge und politische Positionen" als Untertitel trägt - in zweifacher Hinsicht zu verstehen. Zum einen kommen im vorliegenden Band Personen als Autorinnen und Autoren zu Wort, die im weitesten Sinne im Sport eingebunden sind: neben sportlich Aktiven sind dies Vertreter/-innen von Verbänden und Mitglieder von Vereinen, sowie Sportwissenschaftler/-innen. Bei einem Teil der Beiträge (die Geleitworte inbegriffen) handelt es sich also um (Selbst-)Reflexionen aus dem Sport, die hier in Anbetracht jener Herausforderungen vorgenommen werden, vor die sich dieses Handlungsfeld durch das in Deutschland seit März 2009 gültige „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" der Vereinten Nationen gestellt sieht.
Zum anderen werden von Standpunkten außerhalb des Sports - in erster Linie aus der Theologie, Sozialethik und Politik - die Organisation und Durchführung diverser Bewegungs-, Spiel-und Wettkampfformen im Lichte der UN-BRK diskutiert. Dabei wird den im Sport aktiven individuellen und kollektiven Akteurinnen und Akteuren gewissermaßen die UN-BRK als Spiegel vorgehalten, der beispielsweise vor Augen führt, dass zahlreiche tradierte Organisationsstrukturen im Sport den aus der UN-BRK hervorgehenden rechtlich-verbindlichen Vorgaben für die inklusive Ausrichtung von Lebensbereichen und Handlungsfeldern zum Teil nicht entsprechen, weil sie Menschen mit Behinderungen nicht die Möglichkeit einräumen, selbstbestimmt und gleichberechtigt mit anderen an Sportaktivitäten teilzuhaben.
1. Sport und Behinderung
Das Thema „Sport und Behinderung" ist nicht neu. Mittlerweile kann in Deutschland als Regelfall vorausgesetzt werden, dass Sportverbände und Sportvereine die Interessen von Menschen mit Behinderungen in ihren Profilen, Strukturen und Aktivitäten standardmäßig mitberücksichtigen. Auf der Ebene des Breitensports gibt es sowohl Institutionen, die sich darauf spezialisiert haben, Menschen mit Behinderungen die Teilnahme am Sport zu ermöglichen, als auch solche, deren Angebote integrativ sind, also Menschen mit Behinderungen die Gelegenheit bieten, gemeinsam mit Menschen ohne Behinderungen Sport zu treiben. Bei einem genaueren Blick auf die mediale Berichterstattung zu Ereignissen im Spitzensport lässt sich feststellen, dass es mit zunehmender Häufigkeit und Detailliertheit - so etwa in Berichten über „Spiele" wie z.B. die Paralympics und Special Olympics (weniger über die Deaflympics, die Weltspiele der gehörlosen und hörbehinderten Sportler /-innen) - Debatten zu der Frage gibt, ob - und unter Berücksichtigung welcher Kriterien - Sportler/-innen mit Behinderungen (die entsprechende Funktionsfähigkeit vorausgesetzt) an regulären Wettbewerben teilnehmen können beziehungsweise die Erlaubnis dafür erteilt bekommen. Insofern ist „Sport und Behinderung" ein Thema, das sich in Deutschland, zumindest ein Stück weit, in der öffentlichen Wahrnehmung etabliert hat.
Der Zusammenhang zwischen Sport und Behinderung ist derzeit im Wandel begriffen. Wie dieser Wandel zu beurteilen ist, hängt vom jeweiligen Standpunkt der Betrachtung ab. Rückblickend ließe sich etwa feststellen, dass dieser Zusammenhang immer dann in Veränderung begriffen war, wenn sich Sichtweisen auf „Behinderung" weiterentwickelten. So war z.B. in Zeiten, in denen unter „Behinderung" - im Sinne medizinischer Erklärungsmodelle - ein Attribut verstanden wurde, das Menschen gleichsam wie ein Makel anhaftet und das es nach Möglichkeit zu beseitigen bzw. abzuschwächen gilt, von Sport für behinderte Menschen als Rehabilitationsmaßnahme die Rede. Demgegenüber müsste die Herangehensweise an dieses Thema im Kontext des aktuellen Verständnisses von „Behinderung" - wonach Behinderungen entstehen können, wenn Menschen, die z.B. körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, mit Barrieren konfrontiert sind und aus dieser Wechselwirkung ihre volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft behindert wird - eine andere sein: nunmehr geht es um Sport von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen und im Zusammenhang mit der selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft.
In den Sportwissenschaften und in der Pädagogik ist „Sport und Behinderung" mittlerweile ein großes Forschungs-und Lehrfeld, das in den letzten Jahren eine Anzahl von Arbeiten hervorgebracht hat, in denen es auch um Fragen der Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geht. Untersuchungen erstrecken sich hier zum Beispiel von Analysen der Bedeutung des Sports für Menschen mit Behinderungen sowie Studien zu anderen, direkt beim sporttreibenden Menschen ansetzenden Fragestellungen; über pädagogische Fragen, etwa zur Nachwuchsförderung im sogenannten Behindertensport oder zum Sport in heterogenen Gruppen bis hin zu „technischen" Fragen wie zum Beispiel der Vermarktung oder der Klassifizierung von Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderungen. Aus den Fachbereichen der Theologie und christlichen Sozialethik gibt es wiederum zahlreiche Arbeiten zum Thema Sport, die hingegen selten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, „Behinderung" als thematischen Schwerpunkt haben - während Arbeiten zu „Behinderung" in diesem Zusammenhang in der Regel nicht das Thema Sport aufgreifen. In jenen Beiträgen, die bei der Auseinandersetzung mit dem Thema „Sport und Behinderung" auf die UNBRK verweisen, wird in der Regel auf den Bildungsbereich Bezug genommen. Die Debatten zu „inklusiver Bildung", die sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Wissenschaften im Zusammenhang mit der UN-BRK geführt werden, gelten gemeinhin als Referenzdiskussionen für den Sportbereich. So ist in neueren Arbeiten zum Thema „Sport und Behinderung" häufig die Rede von „inklusivem Sport", der nach den Prinzipien des im Bildungsbereich emergierten Inklusionsparadigmas umorientiert und umstrukturiert werden solle.
Vor diesem Hintergrund versteht sich der vorliegende Band sowohl als Beitrag zu jener Literatur, die sich - aus Sicht von Menschen mit und ohne Behinderungen - mit der Umsetzung der UN-BRK in verschiedenen Bereichen und Aspekten des Lebens befasst und hier, mit ihrem Blick auf den Sport ausbuchstabiert, welche Herausforderungen von der UN-BRK ausgehen, als auch als thematische Einführung in die UN-BRK für diejenigen, die sich zwar theoretisch oder praktisch mit Sport befassen, aber mit dem Thema „Sport und Behinderung" entweder bisher garnicht oder noch nicht im Kontext der Konvention in Verbindung gekommen sind.
Im vorliegenden Sammelband geht es um die Thematisierung der neuen Herausforderungen, die die UN-BRK an sämtliche individuelle und kollektive Akteurinnen und Akteure im Sport stellt. Das Buch steuert aus verschiedenen disziplinären Perspektiven einen neuen Einblick in das Thema „Sport und Behinderung" bei, bietet Einsichten aus dem Sport selbst und ergänzt diese um unterschiedliche politische Positionsbestimmungen. Zudem befasst es sich mit einem Konzept, das derzeit „Hochkonjunktur" hat und das inzwischen - nachdem es nach dem Bildungssystem auch den Arbeitsmarkt und die Kirche ergriffen hat - auch die Zukunft des Sports mitbestimmt: Inklusion. In diesem Kontext befassen sich die Beiträge sowohl mit Sport im Allgemeinen als auch mit „behinderungsspezifischen Sportaktivitäten", sei es im Spitzensport (z.B. Special Olympics, Paralympics, Deaflympics) oder im Breitensport. Nicht zuletzt rekurriert das Buch auf Menschenrechte. Obwohl die UN-BRK auf ihnen aufbaut, heben sie sich aus der Konstruktion des Konventionstextes noch einmal plastischer und in konkretisierter Form hervor - und tauchen den Sport in ein anderes Licht.
2. Welche Herausforderungen stellt die UN-BRK an den Sport?
Unter Heranziehung der UN-BRK als Spiegel wird „Sport und Behinderung" im vorliegenden Band anders beleuchtet als in herkömmlichen Arbeiten. Während es in frühen Arbeiten zu diesem Thema in Bezugnahme auf Breitensport um die Diskussion und Erprobung von Möglichkeiten zur Teilnahme von Menschen mit Behinderungen am Sport (erst im Sinne des sogenannten Behindertensports und ab den 1970er Jahren im Zusammenhang der Integration von Menschen mit Behinderungen, z.B. in reguläre Sportvereine oder in den gemeinsamen Unterricht mit Kindern ohne Behinderungen) gegangen war, wuchs mit der Emergenz der UN-BRK die Bedeutung der Inklusion und der Gleichberechtigung mit Menschen ohne Behinderungen, sowie der Selbstbestimmung im Hinblick auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an Sportaktivitäten. War es mit anderen Worten bei der Thematisierung der Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in Sportaktivitäten gemeinsam mit Menschen ohne Behinderungen früher um die Ebene des Zugangs und folglich um den Abbau von Barrieren im Sinne einer Zielvorstellung gegangen, steht mittlerweile die Ebene der Partizipation, also die Frage nach dem „wie" der Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund theoretischer Überlegungen. Wie genau Einstellungen und Strukturen im Sport neu justiert werden müssten, damit sie den Vorgaben der UN-BRK entsprechen, ist bisher nicht theoretisch ausgearbeitet worden.
Die UN-BRK stellt den Sport - und nicht ausschließlich den Behindertensport - vor zahlreiche Herausforderungen. Ein Hauptgrundsatz dieses Rechtsrahmens ist die Gleichberechtigung der Menschen mit Behinderungen mit anderen, sei es - allgemeiner formuliert - im Zusammenhang mit ihrer vollen und wirksamen Teilhabe an der Gesellschaft, oder - konkreter ausgedrückt - wenn es, so in Artikel 2 der UN-BRK ausgeführt, um das Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem anderen Bereich geht. Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen ihre Selbstbestimmung und Teilhabe inklusive die vollen Mitspracherechte an Sportaktivitäten zu ermöglichen, bedeutet Auswirkungen auf das Selbstverständnis und Angebotsprofil von Sportverbänden und -vereinen. Ein erstes Ziel könnte die Umorientierung bereits bestehender Sportangebote in Richtung Bedarfsorientierung sein. So könnten Vereinsstrukturen flexibel an spezifische kollektive und/oder individuelle Voraussetzungen angepasst werden. Der Grundidee des „Universellen Design" zufolge, sollten Umgebungen im weitesten Sinne so eingerichtet werden, dass sie möglichst für alle, also nicht insbesondere für Menschen mit Behinderungen, ohne weitere Anpassung oder Spezialisierung zugänglich und nutzbar gemacht werden. Im grundsätzlichen Sinne von Barrierefreiheit würde dies bedeuten, dass zwar nach wie vor jene Lösungen zu wählen sind, mit denen möglichst viele Menschen ein Angebot ohne Unterstützung nutzen können, aber dass nichtsdestotrotz - etwa durch die Einrichtung eines Pools an personellen und materiellen Ressourcen - Assistenzstrukturen eingerichtet werden. Darüber hinaus fordert die UN-BRK die Achtung der Autonomie und Freiheit von Menschen, eigene Entscheidungen zu treffen, z.B. einen bestimmten Sportverein zu wählen und diese Wahl nicht auf die klassischen Angebote des Behindertensports verengt zu wissen. Die Achtung eines solchen Wunsch- und Wahlrechts stärkt Menschen in ihrer Selbstbestimmung und die Chancengleichheit, sowie die Akzeptanz menschlicher Vielfalt (Artikel 3 der UNBRK).
Aus der englischen Originalfassung der UN-BRK gehen Herausforderungen für den Sport hervor, die sich weder in der deutschsprachigen Übersetzung noch in der sogenannten Schattenübersetzung wiederfinden lassen. So beginnt der Artikel 30, der sich u.a. mit Sport befasst, wie folgt: „With a view to enabling persons with disabilities to participate on an equal basis with others in [...] sporting activities". Hier wird eine Perspektive eingenommen, derzufolge davon ausgegangen wird, dass Menschen mit Behinderungen befähigt werden müssten, gleichberechtigt mit anderen an Sportaktivitäten teilzuhaben. Das Verb „to enable", das im deutschsprachigen Passus „Ziel, Menschen mit Behinderungen [...] Teilhabe [...] zu ermöglichen" keine adäquate Entsprechung findet, drückt zugleich Weiterqualifizierung, Schutz, Haltgebung und Entwicklungsförderung aus. Anders als „Ermöglichung", zielt es vielmehr darauf ab, dass Menschen mit Behinderungen - über die Gewährung des Zugangs zu Sportangeboten und die Beseitigung von Barrieren hinaus - je nach Bedarf Hilfe, Unterstützung und Assistenz zukommt. Auch die Ausführungen im Satz danach sind im englischsprachigen Original der Konvention weitreichender als in den Fassungen der Übersetzung ins Deutsche: „(a) To encourage and promote the participation [...] of persons with disabilities in mainstream sporting activities [...]" nimmt - weil es in der übersetzten Version für das Verb „to promote" keine Entsprechung gibt - die Vertragsstaaten weitaus mehr in die Pflicht, Prozesse der Teilhabe begleitend zu unterstützen, zu fördern oder voranzubringen als dies durch folgenden Passus ausgedrückt wäre: „(a) um Menschen mit Behinderungen zu ermutigen [...]". Darüber hinaus geht es der UN-BRK darum - und dies zeigt die Textpassage in Satz b des Artikels 30 Satz 5: „to ensure that persons with disabilities have an opportunity to organize, develop and participate in disability-specific sporting [...] activities" (Art. 30, Satz 5 b) -, dass es in erster Linie sicherzustellen gilt, dass Menschen mit Behinderungen nicht - wie noch in Zeiten einer Politik der Fürsorge - Angebote alternativlos zugewiesen werden, sondern grundsätzlich, für alle Lebensbereiche und Handlungsfelder die Möglichkeit zugestanden werden sollte, Strukturen selbst auswählen oder sich eben gegen solche entscheiden zu können, und ggf. Aktivitäten - mit mehr oder weniger Assistenzleistung - selbst organisieren zu können.
Schon anhand dieser Textstellen wird deutlich, dass die UN-BRK - zumal in ihrer englischsprachigen Originalfassung - weitaus mehr „erwartet" als nur die Sicherstellung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zu Sportstätten und der Möglichkeit ihrer Teilnahme an sportlichen Aktivitäten. Eines der zentralen Ziele der Konvention - und dies geht bereits aus dem ersten ihrer Artikel hervor - besteht darin, den „vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern". Diese Vorgaben sowie weitere Normen der Konvention sind universal gültig. Da sie formal gesehen jedoch nur für Politik, Verwaltung und für die Gerichte als verbindliches Recht gelten, stellt sich die Frage, inwiefern sich die Vereine, Verbände und Organisationen des Sports in die Pflicht genommen fühlen müssen, den Vorgaben der Konvention zu entsprechen.
Die Antwort ist eindeutig: Schon deshalb, weil Angelegenheiten des Sports in vielen Bundesländern Deutschlands auf Verfassungsebene geregelt werden, sind die in diesem Bereich tätigen Akteure qua Verfassungserwartung dazu angehalten, sich im Sinne der vom Staat unterzeichneten und ratifizierten Konvention zu orientieren. Die Rede ist nicht von einer einklagbaren, als „Mussnorm" festgeschriebenen Verpflichtung zur Umsetzung der UN-BRK, sondern vielmehr von einer moralischen Erwartung bzw. Wertzuschreibung an den Sport. Insofern bindet die UN-BRK auch das Handeln von nichtstaatlichen Institutionen sowie von Akteuren der Zivilgesellschaft mitein. Und jene Bundesländer, in denen Sportförderung nicht auf Verfassungsebene festgeschrieben ist, sind hiervon keineswegs ausgenommen: „Die Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten ohne Einschränkung oder Ausnahme für alle Teile eines Bundesstaats", so steht es in Artikel 4.
Über die Frage nach einer Bestimmung konkreter Pflichten für die verschiedenen Akteure des Sports hinaus, ist die Konvention in menschenrechtsethischer Hinsicht von großer Relevanz. Denn hier spielt nicht nur eine Rolle, wer in welcher Weise den Grundsätzen des Konventionstextes entsprechen müsste oder sollte sondern auch wodurch die Geltung der Konvention, sowie die moralischen Erwartungen bzw. die Wertzuschreibungen an den Sport begründet sind. Angesprochen ist hier also die Frage nach dem Warum der Umsetzung der Konvention. Die als formalethisch zu bezeichnende Antwort hierauf ist, angelehnt an die Charta der UN, die Verpflichtung zur „Anerkennung der Würde und des Wertes, die allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnen", und zudem sowohl zur Anerkennung gleicher und unveräußerlicher Rechte, als auch zur Achtung und Förderung und zum Schutz derselben.
Mit dem Ziel, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen im Sport langfristig sichern zu helfen, sollte es in Zukunft nicht nur um die Frage nach bestmöglichem „Gerechtwerden" dieser Gruppe, sondern vielmehr um die Ermutigung und Befähigung dieser Menschen gehen, so umfassend wie möglich an breitensportlichen Aktivitäten auf allen Ebenen teilzunehmen. Was in sozialpolitischen Kontexten als Abkehr vom Prinzip der Fürsorge bereits bekannt und entsprechend benannt ist, sollte auch in der Welt des Sports wirksam werden können. Voraussetzung hierfür ist die systematische Förderung einer respektvollen Einstellung gegenüber den Rechten und Wahlentscheidungen von Menschen mit Behinderungen. Dabeisein ist eben nicht alles. Es muss auch im Sport um die Förderung von Teilhabe im weitesten Sinne gehen, und zwar möglichst vor dem Hintergrund aller oben aufgeführter Grundsätze der Konvention, also nicht nur derer, die Artikel 30 vorsieht.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Sportverbände und -vereine durch Inkrafttreten der UN-BRK dazu aufgefordert sind, über die Gewährleistung von Barrierefreiheit hinaus, Menschen mit Behinderungen zu animieren, zu ermutigen und zu befähigen, so umfassend wie möglich und auf allen Ebenen an breitensportlichen Aktivitäten selbstbestimmt zu partizipieren. Zudem zielt die UN-BRK darauf ab, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, behinderungsspezifische Sportaktivitäten selbst zu organisieren und zu entwickeln. Hierfür solle, so die UN-BRK, die Bereitstellung eines geeigneten Angebots an Anleitung, Training und Ressourcen auf der Grundlage gleicher Rechte und gleicher Chancen mit anderen gefördert werden.
© 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart
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Autoren-Porträt
Florian Kiuppis ist Doktorand im Fach Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und Promotionsstipendiat des Ev. Studienwerks Villigst. Er war von 2008 bis 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Institut für christliche Ethik und Politik (ICEP) der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB). Stefan Kurzke-Maasmeier war von 2004 bis März 2012 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ICEP und ist Projektreferent im Paul Gerhardt Stift zu Berlin.
Bibliographische Angaben
- 2012, 294 Seiten, 5 Abbildungen, Maße: 15,4 x 23 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Herausgegeben von Kiuppis, Florian; Kurzke-Maasmeier, Stefan; Eurich, Johannes; Lob-Hüdepohl, Andreas
- Herausgegeben: Stefan Kurzke-Maasmeier, Florian Kiuppis
- Verlag: Kohlhammer
- ISBN-10: 3170221566
- ISBN-13: 9783170221567
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