Steirerquell
Kriminalroman
Eine Handy-Nachricht lässt LKA-Ermittlerin Sandra Mohr das Blut in den Adern gefrieren. Ihre beste Freundin fleht panisch um Hilfe, ehe die Verbindung abreißt. Sandra begibt sich auf die Suche nach Andrea, die das Wochenende in einem Wellness-Hotel im...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Steirerquell “
Klappentext zu „Steirerquell “
Eine Handy-Nachricht lässt LKA-Ermittlerin Sandra Mohr das Blut in den Adern gefrieren. Ihre beste Freundin fleht panisch um Hilfe, ehe die Verbindung abreißt. Sandra begibt sich auf die Suche nach Andrea, die das Wochenende in einem Wellness-Hotel im Thermenland verbringen wollte. Aber wo genau? Und mit wem? Was ist Andrea zugestoßen? Ist sie untergetaucht? Oder wurde ihr die Vorliebe für verheiratete Männer zum Verhängnis? Als eine verkohlte Frauenleiche auftaucht, muss Sandra das Schlimmste befürchten ...
Lese-Probe zu „Steirerquell “
Steirerquell - Claudia Rossbacher Für alle Leserinnen und Leser, die schon sehnsüchtig auf den
achten Fall für Sandra Mohr und Sascha Bergmann gewartet
haben. Spannende und unterhaltsame Stunden wünscht
Ihre Steirerkrimi-Autorin
Claudia Rossbacher
Reinischkogel, Oktober 2017
Prolog
Geliebt, gequält,
Stunde um Stunde.
Tag für Tag.
Gnadenlos.
Aufegeben,
sich ihm hingeben.
Gezeichnet fürs Leben,
der Anblick unerträglich.
Sein Eigentum
mit Haut und Haar,
mit Leib, aber ohne Seele.
Verloren, verbrannt.
KAPITEL 1
Samstag, 2. August, Graz
1.
Sandra Mohr trennte die Verbindung mit ihrer Sprachmailbox
und wandte sich wieder dem Stehtisch unterm Sonnenschirm
zu. Der Schreck stand der Abteilungsinspektorin
des LKA Steiermark ins Gesicht geschrieben. Die Nachricht
ihrer Freundin hatte sie eben wie ein Fausthieb in die
Magengrube getroffen und den Sektempfang im Park des Plabutscher
Schlössls schlagartig vergessen lassen. »Hilf mir ...
bitte ... komm ... er ist ...«, hallten die Worte in ihrem Kopf
nach. Dem markerschütternden Schrei war ein dumpfer Knall
gefolgt, der Andrea zum Schweigen brachte. Dann war die
Verbindung abgerissen. Trotz der hochsommerlichen Hitze
lief es Sandra eiskalt über den Rücken.
»Was ist denn mit dir los? Du bist ja auf einmal ganz blass.
Ist jemand gestorben?«, witzelte Sascha Bergmann, der sich
mit Sandra den Stehtisch im romantischen Schlosspark teilte.
Mittlerweile waren auch all die anderen Tische von der Hochzeitsgesellschaft
besetzt.
»Hoffentlich nicht«, murmelte Sandra geistesabwesend.
»Tja ... Und wenn doch, dann wird sich halt wer anderer
um die Leiche kümmern müssen«, spielte der Cheinspektor
der Mordgruppe auf sein freies Wochenende an. Demonstrativ
kippte er den restlichen Muskateller Sekt in einem
... mehr
Zug
hinunter.
Abgesehen davon, dass Sandra ohnehin höchst selten über
seine Witze lachen konnte, war ihr momentan überhaupt
nicht zum Scherzen zumute. Seine Worte ignorierend, las sie
die Uhrzeit von ihrem Handy ab. Es war eine gute Stunde
vergangen, seitdem Andrea sie angerufen und um Hilfe angeleht
hatte, rechnete sie zurück. Leider ohne ihr auf der Mailbox
zu hinterlassen, wo sie sich befand, oder wer sie allem
Anschein nach bedrohte. Sandra hatte den lautlosen Anruf
während der Trauungszeremonie in der Göstinger Pfarrkirche
zwar wahrgenommen, ihr vibrierendes Handy jedoch
gelissentlich ignoriert. Ja, sie hatte noch nicht einmal nachgeschaut,
wer sie sprechen wollte. Schließlich war heute nicht
nur Bergmanns freier Tag, sondern auch ihrer. Erst später, hier
im Schlosspark, war ihr der entgangene Anruf wieder eingefallen,
und sie hatte zum Handy gegriffen. Hoffentlich würde
sie diese Verzögerung nicht bis an ihr Lebensende bereuen.
»Darf's für Sie noch ein Glas Sekt sein?«, drängte sich der
Kellner in ihre Gedanken.
Gut gelaunt tauschte Bergmann sein leeres Sektglas gegen
ein volles vom Serviertablett ein.
Sandra lehnte dankend ab und griff stattdessen zu einem
Glas mit Mineralwasser. Einerseits war ihr Sektglas ohnehin
noch halb voll, andererseits machte sich nach dem ersten
Schreck ein laues Gefühl in ihrem Magen breit. Zudem
musste sie einen klaren Kopf behalten, wollte sie Andrea helfen.
Falls es dafür nicht schon zu spät war. Doch wo mit der
Suche nach der Freundin am besten beginnen?
»Seit wann lässt du freiwillig Muskateller Sekt an dir vorüberziehen?
«, unterbrach Bergmann ihre Überlegungen. »Jetzt
mache ich mir aber ernsthaft Sorgen um dich.«
Sandra warf ihm einen genervten Blick zu.
Noch immer grinsend winkte Bergmann die junge Kellnerin
herbei, die ein Tablett mit Häppchen vor sich hertrug,
und langte mit beiden Händen zu. Den weißen Porzellanlöffel
mit der kunstvoll drapierten Garnele schob er sich gleich
in den Mund, um sich im nächsten Augenblick noch einen
Löffel vom Tablett zu nehmen. Erst dann ließ er die Kellnerin
weiterziehen.
Sandra trat von einem Bein auf das andere. »Andrea hat
mir vorhin auf meine Mailbox gesprochen«, verkündete sie.
Bergmann kaute genüsslich auf seiner Garnele herum. Bis
ihm Sandra von der besorgniserregenden Nachricht ihrer
Freundin erzählte. Endlich verlüchtigte sich sein Grinsen.
Das kaviargekrönte Tatar vom Saibling und das Ziegenkäseröllchen
im Speckmantel rührte er vorerst nicht mehr an.
Auch ihm war die Sorge um Andrea jetzt deutlich anzumerken.
Immerhin kannte er Sandras Freundin recht gut.
In den letzten Monaten war sie einige Male als Babysitterin
für seine Tochter eingesprungen, wenn seine Exfrau aus
Wien die Kleine wieder einmal bei ihm abgeliefert hatte,
um mit ihrem Chef in den Süden weiterzufahren, was immer die beiden dort trieben.
Erst heute in aller Herrgottsfrüh hatten Sandra, Bergmann
und Sarah gemeinsam Andrea besucht, die extra hiergeblieben
war, um die beiden Damen - die große wie die
kleine - für die Hochzeit zu frisieren, ehe sie ins Wochenende
aufbrechen wollte. Die schnürlglatten weizenblonden
Haare der Siebenjährigen hatte sie zu »Prinzessinnenlöckchen
« eingedreht, anschließend Sandras halblange hellbraune
Haare - passend zum Dirndl - zu einer Kranzfrisur eingelochten,
die Bergmann ausgiebig belächelte. Aber was verstand
ein zugezogener Wiener schon von Trachtenmode?
Auch wenn der Cheinspektor immerhin vier Jahre lang in
der steirischen Landeshauptstadt lebte, wo volkstümliches
Gewand nun einmal zum Lifestyle dazugehörte, weigerte
er sich beharrlich, Lederhose, Steireranzug und Co zu tragen.
Er käme sich darin verkleidet vor, beteuerte er bei jeder
Gelegenheit. Und so war er auch zur heutigen Trachtenhochzeit
ihrer beiden Kollegen, Miriam Seifert und Stefan Baumgartner,
in einem klassischen hellen Leinenanzug erschienen.
Wenigstens waren seine zerschlissenen Jeans, das schmuddelige
T-Shirt und die ausgelatschten Sneakers, die er meistens
trug, an diesem Festtag zu Hause geblieben.
»Probier doch noch einmal, Andrea anzurufen. Vielleicht
hebt sie ja jetzt ab.« Bergmann schob sich den Löffel mit dem
Fischhäppchen nun doch in den Mund, während Sandra seinem
Vorschlag folgte.
»Wieder nur die Mailbox ...« Mit einem Seufzen trennte
sie die Verbindung. »Verdammt!«
»Lass uns mal in Ruhe überlegen«, sagte Bergmann. »Sie
wollte das Wochenende in einer Therme verbringen«, erinnerte
er sich, was Andrea in der Früh erwähnt hatte. »Hat
sie gesagt, in welcher?«
Sandra zuckte mit den Schultern. »Nein, aber ganz
bestimmt ist sie nicht allein dorthin gefahren.«
»Und mit wem ist sie unterwegs?«
»Wenn ich das wüsste, hätte ich längst versucht, ihre Begleitung
anzurufen.« In Bergmanns Gegenwart hatte Andrea keinen
Namen genannt. Und Sandra war diskret genug gewesen,
nicht nachzufragen. Wenn es etwas zu erzählen gab, war ihre
Freundin üblicherweise die Erste, die ihr das auf die Nase
band. Ob Sandra es nun hören wollte oder nicht. Ausgerechnet
heute war sie jedoch nicht in ihre Pläne eingeweiht. Und
so wusste sie nicht viel mehr als Bergmann. Nämlich, dass
Andrea das Wochenende in einem Wellness-Hotel im steirischen
Thermenland verbringen wollte. Über alles Weitere
konnte sie nur spekulieren.
Ziemlich sicher ging sie davon aus, dass Andrea mit einem
Mann unterwegs war. Wahrscheinlich mit ihrem verheirateten
Zahnarzt, von dem sie zuletzt immer wieder erzählt hatte,
den Sandra jedoch weder persönlich noch namentlich kannte.
Vielleicht gab es aber auch schon wieder einen neuen Mann,
mit dem sich die lebenslustige Andrea vergnügte. Möglicherweise
hatte ihre beste Freundin doch mehr Geheimnisse vor
ihr, als Sandra glaubte.
»Du weißt es also nicht ... Aber du hast doch bestimmt
einen Verdacht.« Bergmann griff zu seinem Sektglas und
nippte daran.
»Ich weiß nur, dass Andrea seit einigen Monaten mit ihrem
Zahnarzt liiert ist. Ein verheirateter Mann wie üblich ...« Sandra
biss sich zu spät auf die Zunge. Die letzten Worte hätte
sie besser nicht ausgesprochen, auch wenn sie der Wahrheit
entsprachen.
Bergmann hakte prompt nach. »Wie üblich?« Er stellte
sein Sektglas ab und rückte die Sonnenbrille auf seiner Nase
zurecht.
Obwohl die blau getönten, verspiegelten Brillengläser
seine Augen verbargen, spürte Sandra den bohrenden Blick,
den er üblicherweise dann aufsetzte, wenn er tatverdächtige
Personen verhörte. Sie räusperte sich erst einmal, ehe
sie ihm antwortete. »Na ja ... Andrea lässt sich meistens mit
verheirateten Männern ein. Auch wenn das nicht unbedingt
absichtlich geschieht. Ihr Unterbewusstsein scheint sie vor
festen Bindungen bewahren zu wollen«, verriet sie ihm nur
zögerlich und angesichts der Notlage.
»Damit sind die Fronten von Anfang an klar«, meinte
Bergmann.
Sandra nickte. »Und die Gefahr, dass die Herren mehr
von Andrea möchten, als sie zu geben bereit ist, hält sich in
Grenzen«, fügte sie hinzu.
»Mehr als Sex?«, fragte Bergmann.
»Du würdest dich damit begnügen, schon klar. Manch
einem reicht das aber nicht. Dummerweise sind auch Ehemänner
nicht davor gefeit, sich zu verlieben. Spätestens dann
fangen die Scherereien an.«
Bergmanns Augenbrauen tauchten kurz über dem silberfarbenen
Rahmen seiner Sonnenbrille auf. »Wer sich in
Gefahr begibt, der kommt darin um«, zitierte er ausgerechnet
aus dem Alten Testament. Dabei hatte der ehemalige
Klosterschüler der katholischen Kirche längst den Rücken
gekehrt.
»Umgekommen ist wegen Andrea, soweit ich weiß, noch
keiner«, erwiderte Sandra. »Wenn es ihr in einer Beziehung
zu eng wird, tritt sie den Rückzug an. Sie sagt immer, dass sie
nicht die ganze Kuh kaufen möchte, wenn sie doch nur ab
und zu ein Glas Milch trinken will.« Sie nahm einen Schluck
Wasser.
»Ich kenne diesen Spruch.« Bergmann schob sich nun doch
noch den dritten und letzten Porzellanlöffel in den Mund.
Sandra hätte schwören können, dass es nicht der Geschmack
des Ziegenkäseröllchens im Speckmantel war, der ihn gedanklich
beschäftigte. »Lebst du seit deiner Scheidung etwa auch
nach dieser Devise?«, fragte sie.
»Kommt ganz auf die Kuh an«, erwiderte Bergmann mit
vollem Mund. »Aber in diesem Fall ...« Er brach den Satz
ab und kaute den Bissen fertig.
»In welchem Fall denn?«, hakte Sandra nach.
Der Cheinspektor schluckte hinunter. »Na, in Andreas
Fall«, antwortete er und spülte mit Sekt nach.
Sandra verstand noch immer nicht.
»Mein Gott, sie hat diesen Spruch auch vor mir ein paarmal
erwähnt.« Bergmann klang auf einmal unwirsch.
Sandra stutzte. Die beiden waren einander offenbar viel
vertrauter, als sie angenommen hatte. »Hat Andrea mit dir
auch über ihren Zahnarzt gesprochen?«, wollte sie wissen.
Bergmann schüttelte den Kopf. »Hätte ich Zahnschmerzen
gehabt, dann vielleicht ...« Sein süfisantes Grinsen verschwand
hinter der geblümten Vliesserviette.
»Sie hat ihn immer ›Herr Doktor‹ genannt, wenn sie von
ihm gesprochen hat. Läutet da vielleicht etwas bei dir?«,
fragte Sandra weiter.
fragte Sandra weiter.
»Warum hätte sie ausgerechnet mit mir über einen anderen
Mann reden sollen?« Bergmann warf seine Serviette genervt
auf den Tisch zurück.
Ausgerechnet? Auf einmal läutete bei Sandra etwas - nämlich
die Alarmglocken. »Sag mal, habt ihr beiden etwa ...?«
Beim bloßen Verdacht krampfte sich ihr ohnehin schon lauer
Magen zusammen. Jetzt war ihr richtig übel. Rasch hob sie
die Hand, um Bergmann von einer Antwort abzuhalten. Den
säuerlichen Geschmack, der ihr in der Kehle brannte, würgte
sie hinunter. »Vergiss meine Frage wieder. Ich will es gar nicht
wissen«, meinte sie gequält.
»Was willst du nicht wissen? Ob ich mit Andrea geschlafen
habe?«, fragte Bergmann, als wäre es das Selbstverständlichste
auf der Welt.
Sandra schloss ihre Augen. »Bitte nicht, Sascha«, stöhnte
sie.
»Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, Liebling?« Der
Gedanke amüsierte ihn hörbar.
Sandra riss die Augen auf und starrte ihn wütend an. »Das
nun ganz bestimmt nicht! Und nenn mich ja nie wieder so!«,
fauchte sie ihn an.
Stehtisch nach ihr um, während die zweite Fremde und deren
beiden männliche Begleiter belustigte Blicke austauschten.
Bergmann grinste bis über beide Ohren.
Nur mit allergrößter Beherrschung konnte Sandra den
unbändigen Drang unterdrücken, ihm ihren mittlerweile
abgestandenen Sekt ins Gesicht zu schütten. Nicht genug,
dass er sie schon wieder mit diesem unverschämten Kosenamen
ansprach - noch dazu in aller Öffentlichkeit und in
der Nähe einiger Polizeikollegen -, fühlte sie sich von ihm
und ihrer besten Freundin hintergangen.
Hatten die beiden tatsächlich miteinander geschlafen?
Andrea hatte den Schwerenöter ja von Anfang an »zuckersüß
« gefunden, erinnerte sich Sandra, die diese Einschätzung
weder damals noch heute teilte. Seine Tochter hatte die beiden
einander wohl näher gebracht, als ihr lieb war. Sie trank
einen weiteren Schluck Mineralwasser.
einen weiteren Schluck Mineralwasser.
Und wenn schon? Was störte sie eigentlich so sehr daran,
fragte sie sich, als sie das Glas wieder absetzte. Bergmann und
Andrea waren beide erwachsene ungebundene Menschen, die
tun und lassen konnten, was sie wollten. Und mit wem sie
wollten. Warum sollte sie also eifersüchtig sein? Nein, das
war sie ganz bestimmt nicht. Sie war lediglich irritiert, dass
ihr die Freundin ausgerechnet von der Affäre mit ihrem Vorgesetzten
nichts erzählt hatte. Falls es eine solche überhaupt
gab. Immerhin war es doch auch möglich, dass Bergmann
sie nur wieder einmal am Schmäh hielt und zur Weißglut
treiben wollte. Was ihm zweifellos gelungen war. Und zwar
zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, während sie um das
Leben ihrer Freundin bangte.
Sandra griff nach der Horsd'oeuvre-Karte, hob ihr Kinn
an und fächelte sich Luft zu. Selbst im Schatten des Sonnenschirms
hatte es inzwischen mehr als 30 schwüle Grad Celsius.
Eine Abkühlung war vorerst nicht in Sicht. So verregnet
dieser Sommer bisher gewesen war, für dieses Wochenende
waren Sonnenschein, tropische Temperaturen und lokale
Gewitter vorhergesagt, von denen hier momentan aber nichts
zu sehen war. »Was du privat treibst, hat mich noch nie interessiert
«, raunte sie Bergmann wild fächelnd zu. »Denk
lieber nach, wie wir Andrea am schnellsten inden können.«
»Kann ich mir ihre Nachricht einmal anhören?«, fragte
Bergmann, endlich wieder mit dem angemessenen Ernst.
»Sicher ...« Noch einmal rief Sandra ihre Mailbox an und
reichte ihm das Handy über den Stehtisch.
Bergmann lauschte Andreas Hilferuf regungslos, ehe er
Sandra das Telefon zurückgab.
»Sollen wir die Fahndung nach ihr rausgeben?«, fragte sie.
Der Cheinspektor fuhr sich mit der Hand übers unrasierte
Kinn. »Wir müssen ja nicht gleich aus dem Vollen schöpfen«,
meinte er. »Auch wenn es so klingt, als würde Andrea bedroht
werden, ist auf der Sprachnachricht doch nur ihre Stimme zu
hören. Keine andere. Vielleicht wurde sie gar nicht bedroht,
sondern hatte einen Verkehrsunfall und beindet sich jetzt in
einem Krankenhaus. Das sollten wir zu allererst überprüfen.«
»Und wer ist dann dieser ›Er‹, auf den sie sich bezieht?«
»Ihr Unfallgegner?«, spekulierte Bergmann. »Oder jemand,
der mit ihr im Auto gesessen ist?«
Auszuschließen war das freilich nicht, musste ihm Sandra
rechtgeben.
»Hat sie denn Verwandte, die in einem Notfall zu verständigen
wären?«, erkundigte sich Bergmann.
»Nicht, dass ich wüsste. Ihre Eltern sind tot. Geschwister
hat Andrea auch keine. Nur eine Tante in Fürstenfeld.
Falls die noch lebt.«
Just in jener Stadt, in der Sandras Vater
nach der Scheidung von ihrer Mutter den Polizeidienst versehen
hatte, schweifte sie gedanklich in die eigene Vergangenheit
ab. Im dortigen Landeskrankenhaus war der starke
Raucher Jahre später seinem Lungenkrebs erlegen. »Andrea
ist in Fürstenfeld aufgewachsen und in die Schule gegangen«,
fuhr sie fort. »Außerdem müsste es noch einen Sohn von
dieser Tante geben, der seit etlichen Jahren in Graz lebt. Zu
ihrem Cousin hat Andrea aber meines Wissens schon ewig
keinen Kontakt mehr.«
»Und wie heißen ihre Verwandten?«
Sandra schüttelte den Kopf. »Die Namen sind mir leider
entfallen. Es ist schon eine Weile her, dass Andrea über sie
gesprochen hat.«
»Hmm ... Vielleicht hat sie sich ja auch mit ihrem Gschamsterer
gestritten, und der ist handgreilich geworden«, überlegte
Bergmann laut.
Ihre Freundin war zwar alles andere als ein armes Hascherl,
das sich von Männern unterdrücken ließ, aber vor Gewaltausbrüchen
waren auch selbstsichere Frauen wie Andrea
nicht gefeit, überlegte Sandra.
»Wenn sie sich in keinem Krankenhaus beindet, sollten
wir schleunigst diesen Zahnarzt ausindig machen«, meinte
Bergmann.
»Ich habe zu Hause einen Reserveschlüssel von ihrer Wohnung.
Den hol ich mir jetzt und schau mich dann mal dort um.
Vielleicht indet sich ein Hinweis auf ihren ›Doktor‹ oder die
Therme, in der sie das Wochenende verbringen wollte. Oder
auch irgendeine andere Spur ...« Sandra legte ihren provisorischen
Fächer auf den Tisch zurück.
»Heißt das, ich soll allein hierbleiben?«
»Du bist doch gar nicht allein hier. Deine Tochter läuft
dort drüben mit ihrer neuen Freundin herum. Kann Sarah
eigentlich schwimmen?« Mit einer Kopfbewegung deutete
Sandra zu den beiden kleinen Mädchen hinüber, die etwas
abseits zwischen den Büschen und Bäumen herumtollten.
»Ja, kann sie. Warum?«
»Weil sich dort drüben ein Teich beindet«, warnte Sandra.
Sie war zwar noch nie hier gewesen, doch hatte ihr Miriam
diese und andere Hochzeits-Locations im Internet gezeigt,
ehe sie sich fürs Plabutscher Schlössl entschied.
»Um Sarah musst du dir keine Sorgen machen«, meinte
Bergmann.
Sandra nickte. Umso mehr sorgte sie sich um Andrea.
»Ich erkundige mich mal, ob es in den letzten Stunden
Unfälle gegeben hat«, versprach Bergmann. »Danach rufe
ich dich an. Und du meldest dich bei mir, wenn du in Andreas
Wohnung auf Hinweise stößt. Keine Alleingänge, ist
das klar?«
Was sollte das jetzt wieder heißen? Glaubte der Cheinspektor
etwa, dass sie nicht Herrin der Lage war, nur weil es
sich um ihre Freundin handelte, die mutmaßlich in Gefahr
schwebte?
Wortlos wandte sich Sandra ab und stakste auf ihren ungewohnt
hohen Absätzen durchs Gras - direkt auf die großgewachsene
Blondine im Brautdirndl und deren Bräutigam
zu. Wenigstens von ihren frischvermählten Kollegen wollte
sie sich noch verabschieden und ihnen eine schöne Hochzeitsreise
wünschen.
©Gmeiner
hinunter.
Abgesehen davon, dass Sandra ohnehin höchst selten über
seine Witze lachen konnte, war ihr momentan überhaupt
nicht zum Scherzen zumute. Seine Worte ignorierend, las sie
die Uhrzeit von ihrem Handy ab. Es war eine gute Stunde
vergangen, seitdem Andrea sie angerufen und um Hilfe angeleht
hatte, rechnete sie zurück. Leider ohne ihr auf der Mailbox
zu hinterlassen, wo sie sich befand, oder wer sie allem
Anschein nach bedrohte. Sandra hatte den lautlosen Anruf
während der Trauungszeremonie in der Göstinger Pfarrkirche
zwar wahrgenommen, ihr vibrierendes Handy jedoch
gelissentlich ignoriert. Ja, sie hatte noch nicht einmal nachgeschaut,
wer sie sprechen wollte. Schließlich war heute nicht
nur Bergmanns freier Tag, sondern auch ihrer. Erst später, hier
im Schlosspark, war ihr der entgangene Anruf wieder eingefallen,
und sie hatte zum Handy gegriffen. Hoffentlich würde
sie diese Verzögerung nicht bis an ihr Lebensende bereuen.
»Darf's für Sie noch ein Glas Sekt sein?«, drängte sich der
Kellner in ihre Gedanken.
Gut gelaunt tauschte Bergmann sein leeres Sektglas gegen
ein volles vom Serviertablett ein.
Sandra lehnte dankend ab und griff stattdessen zu einem
Glas mit Mineralwasser. Einerseits war ihr Sektglas ohnehin
noch halb voll, andererseits machte sich nach dem ersten
Schreck ein laues Gefühl in ihrem Magen breit. Zudem
musste sie einen klaren Kopf behalten, wollte sie Andrea helfen.
Falls es dafür nicht schon zu spät war. Doch wo mit der
Suche nach der Freundin am besten beginnen?
»Seit wann lässt du freiwillig Muskateller Sekt an dir vorüberziehen?
«, unterbrach Bergmann ihre Überlegungen. »Jetzt
mache ich mir aber ernsthaft Sorgen um dich.«
Sandra warf ihm einen genervten Blick zu.
Noch immer grinsend winkte Bergmann die junge Kellnerin
herbei, die ein Tablett mit Häppchen vor sich hertrug,
und langte mit beiden Händen zu. Den weißen Porzellanlöffel
mit der kunstvoll drapierten Garnele schob er sich gleich
in den Mund, um sich im nächsten Augenblick noch einen
Löffel vom Tablett zu nehmen. Erst dann ließ er die Kellnerin
weiterziehen.
Sandra trat von einem Bein auf das andere. »Andrea hat
mir vorhin auf meine Mailbox gesprochen«, verkündete sie.
Bergmann kaute genüsslich auf seiner Garnele herum. Bis
ihm Sandra von der besorgniserregenden Nachricht ihrer
Freundin erzählte. Endlich verlüchtigte sich sein Grinsen.
Das kaviargekrönte Tatar vom Saibling und das Ziegenkäseröllchen
im Speckmantel rührte er vorerst nicht mehr an.
Auch ihm war die Sorge um Andrea jetzt deutlich anzumerken.
Immerhin kannte er Sandras Freundin recht gut.
In den letzten Monaten war sie einige Male als Babysitterin
für seine Tochter eingesprungen, wenn seine Exfrau aus
Wien die Kleine wieder einmal bei ihm abgeliefert hatte,
um mit ihrem Chef in den Süden weiterzufahren, was immer die beiden dort trieben.
Erst heute in aller Herrgottsfrüh hatten Sandra, Bergmann
und Sarah gemeinsam Andrea besucht, die extra hiergeblieben
war, um die beiden Damen - die große wie die
kleine - für die Hochzeit zu frisieren, ehe sie ins Wochenende
aufbrechen wollte. Die schnürlglatten weizenblonden
Haare der Siebenjährigen hatte sie zu »Prinzessinnenlöckchen
« eingedreht, anschließend Sandras halblange hellbraune
Haare - passend zum Dirndl - zu einer Kranzfrisur eingelochten,
die Bergmann ausgiebig belächelte. Aber was verstand
ein zugezogener Wiener schon von Trachtenmode?
Auch wenn der Cheinspektor immerhin vier Jahre lang in
der steirischen Landeshauptstadt lebte, wo volkstümliches
Gewand nun einmal zum Lifestyle dazugehörte, weigerte
er sich beharrlich, Lederhose, Steireranzug und Co zu tragen.
Er käme sich darin verkleidet vor, beteuerte er bei jeder
Gelegenheit. Und so war er auch zur heutigen Trachtenhochzeit
ihrer beiden Kollegen, Miriam Seifert und Stefan Baumgartner,
in einem klassischen hellen Leinenanzug erschienen.
Wenigstens waren seine zerschlissenen Jeans, das schmuddelige
T-Shirt und die ausgelatschten Sneakers, die er meistens
trug, an diesem Festtag zu Hause geblieben.
»Probier doch noch einmal, Andrea anzurufen. Vielleicht
hebt sie ja jetzt ab.« Bergmann schob sich den Löffel mit dem
Fischhäppchen nun doch in den Mund, während Sandra seinem
Vorschlag folgte.
»Wieder nur die Mailbox ...« Mit einem Seufzen trennte
sie die Verbindung. »Verdammt!«
»Lass uns mal in Ruhe überlegen«, sagte Bergmann. »Sie
wollte das Wochenende in einer Therme verbringen«, erinnerte
er sich, was Andrea in der Früh erwähnt hatte. »Hat
sie gesagt, in welcher?«
Sandra zuckte mit den Schultern. »Nein, aber ganz
bestimmt ist sie nicht allein dorthin gefahren.«
»Und mit wem ist sie unterwegs?«
»Wenn ich das wüsste, hätte ich längst versucht, ihre Begleitung
anzurufen.« In Bergmanns Gegenwart hatte Andrea keinen
Namen genannt. Und Sandra war diskret genug gewesen,
nicht nachzufragen. Wenn es etwas zu erzählen gab, war ihre
Freundin üblicherweise die Erste, die ihr das auf die Nase
band. Ob Sandra es nun hören wollte oder nicht. Ausgerechnet
heute war sie jedoch nicht in ihre Pläne eingeweiht. Und
so wusste sie nicht viel mehr als Bergmann. Nämlich, dass
Andrea das Wochenende in einem Wellness-Hotel im steirischen
Thermenland verbringen wollte. Über alles Weitere
konnte sie nur spekulieren.
Ziemlich sicher ging sie davon aus, dass Andrea mit einem
Mann unterwegs war. Wahrscheinlich mit ihrem verheirateten
Zahnarzt, von dem sie zuletzt immer wieder erzählt hatte,
den Sandra jedoch weder persönlich noch namentlich kannte.
Vielleicht gab es aber auch schon wieder einen neuen Mann,
mit dem sich die lebenslustige Andrea vergnügte. Möglicherweise
hatte ihre beste Freundin doch mehr Geheimnisse vor
ihr, als Sandra glaubte.
»Du weißt es also nicht ... Aber du hast doch bestimmt
einen Verdacht.« Bergmann griff zu seinem Sektglas und
nippte daran.
»Ich weiß nur, dass Andrea seit einigen Monaten mit ihrem
Zahnarzt liiert ist. Ein verheirateter Mann wie üblich ...« Sandra
biss sich zu spät auf die Zunge. Die letzten Worte hätte
sie besser nicht ausgesprochen, auch wenn sie der Wahrheit
entsprachen.
Bergmann hakte prompt nach. »Wie üblich?« Er stellte
sein Sektglas ab und rückte die Sonnenbrille auf seiner Nase
zurecht.
Obwohl die blau getönten, verspiegelten Brillengläser
seine Augen verbargen, spürte Sandra den bohrenden Blick,
den er üblicherweise dann aufsetzte, wenn er tatverdächtige
Personen verhörte. Sie räusperte sich erst einmal, ehe
sie ihm antwortete. »Na ja ... Andrea lässt sich meistens mit
verheirateten Männern ein. Auch wenn das nicht unbedingt
absichtlich geschieht. Ihr Unterbewusstsein scheint sie vor
festen Bindungen bewahren zu wollen«, verriet sie ihm nur
zögerlich und angesichts der Notlage.
»Damit sind die Fronten von Anfang an klar«, meinte
Bergmann.
Sandra nickte. »Und die Gefahr, dass die Herren mehr
von Andrea möchten, als sie zu geben bereit ist, hält sich in
Grenzen«, fügte sie hinzu.
»Mehr als Sex?«, fragte Bergmann.
»Du würdest dich damit begnügen, schon klar. Manch
einem reicht das aber nicht. Dummerweise sind auch Ehemänner
nicht davor gefeit, sich zu verlieben. Spätestens dann
fangen die Scherereien an.«
Bergmanns Augenbrauen tauchten kurz über dem silberfarbenen
Rahmen seiner Sonnenbrille auf. »Wer sich in
Gefahr begibt, der kommt darin um«, zitierte er ausgerechnet
aus dem Alten Testament. Dabei hatte der ehemalige
Klosterschüler der katholischen Kirche längst den Rücken
gekehrt.
»Umgekommen ist wegen Andrea, soweit ich weiß, noch
keiner«, erwiderte Sandra. »Wenn es ihr in einer Beziehung
zu eng wird, tritt sie den Rückzug an. Sie sagt immer, dass sie
nicht die ganze Kuh kaufen möchte, wenn sie doch nur ab
und zu ein Glas Milch trinken will.« Sie nahm einen Schluck
Wasser.
»Ich kenne diesen Spruch.« Bergmann schob sich nun doch
noch den dritten und letzten Porzellanlöffel in den Mund.
Sandra hätte schwören können, dass es nicht der Geschmack
des Ziegenkäseröllchens im Speckmantel war, der ihn gedanklich
beschäftigte. »Lebst du seit deiner Scheidung etwa auch
nach dieser Devise?«, fragte sie.
»Kommt ganz auf die Kuh an«, erwiderte Bergmann mit
vollem Mund. »Aber in diesem Fall ...« Er brach den Satz
ab und kaute den Bissen fertig.
»In welchem Fall denn?«, hakte Sandra nach.
Der Cheinspektor schluckte hinunter. »Na, in Andreas
Fall«, antwortete er und spülte mit Sekt nach.
Sandra verstand noch immer nicht.
»Mein Gott, sie hat diesen Spruch auch vor mir ein paarmal
erwähnt.« Bergmann klang auf einmal unwirsch.
Sandra stutzte. Die beiden waren einander offenbar viel
vertrauter, als sie angenommen hatte. »Hat Andrea mit dir
auch über ihren Zahnarzt gesprochen?«, wollte sie wissen.
Bergmann schüttelte den Kopf. »Hätte ich Zahnschmerzen
gehabt, dann vielleicht ...« Sein süfisantes Grinsen verschwand
hinter der geblümten Vliesserviette.
»Sie hat ihn immer ›Herr Doktor‹ genannt, wenn sie von
ihm gesprochen hat. Läutet da vielleicht etwas bei dir?«,
fragte Sandra weiter.
fragte Sandra weiter.
»Warum hätte sie ausgerechnet mit mir über einen anderen
Mann reden sollen?« Bergmann warf seine Serviette genervt
auf den Tisch zurück.
Ausgerechnet? Auf einmal läutete bei Sandra etwas - nämlich
die Alarmglocken. »Sag mal, habt ihr beiden etwa ...?«
Beim bloßen Verdacht krampfte sich ihr ohnehin schon lauer
Magen zusammen. Jetzt war ihr richtig übel. Rasch hob sie
die Hand, um Bergmann von einer Antwort abzuhalten. Den
säuerlichen Geschmack, der ihr in der Kehle brannte, würgte
sie hinunter. »Vergiss meine Frage wieder. Ich will es gar nicht
wissen«, meinte sie gequält.
»Was willst du nicht wissen? Ob ich mit Andrea geschlafen
habe?«, fragte Bergmann, als wäre es das Selbstverständlichste
auf der Welt.
Sandra schloss ihre Augen. »Bitte nicht, Sascha«, stöhnte
sie.
»Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, Liebling?« Der
Gedanke amüsierte ihn hörbar.
Sandra riss die Augen auf und starrte ihn wütend an. »Das
nun ganz bestimmt nicht! Und nenn mich ja nie wieder so!«,
fauchte sie ihn an.
Stehtisch nach ihr um, während die zweite Fremde und deren
beiden männliche Begleiter belustigte Blicke austauschten.
Bergmann grinste bis über beide Ohren.
Nur mit allergrößter Beherrschung konnte Sandra den
unbändigen Drang unterdrücken, ihm ihren mittlerweile
abgestandenen Sekt ins Gesicht zu schütten. Nicht genug,
dass er sie schon wieder mit diesem unverschämten Kosenamen
ansprach - noch dazu in aller Öffentlichkeit und in
der Nähe einiger Polizeikollegen -, fühlte sie sich von ihm
und ihrer besten Freundin hintergangen.
Hatten die beiden tatsächlich miteinander geschlafen?
Andrea hatte den Schwerenöter ja von Anfang an »zuckersüß
« gefunden, erinnerte sich Sandra, die diese Einschätzung
weder damals noch heute teilte. Seine Tochter hatte die beiden
einander wohl näher gebracht, als ihr lieb war. Sie trank
einen weiteren Schluck Mineralwasser.
einen weiteren Schluck Mineralwasser.
Und wenn schon? Was störte sie eigentlich so sehr daran,
fragte sie sich, als sie das Glas wieder absetzte. Bergmann und
Andrea waren beide erwachsene ungebundene Menschen, die
tun und lassen konnten, was sie wollten. Und mit wem sie
wollten. Warum sollte sie also eifersüchtig sein? Nein, das
war sie ganz bestimmt nicht. Sie war lediglich irritiert, dass
ihr die Freundin ausgerechnet von der Affäre mit ihrem Vorgesetzten
nichts erzählt hatte. Falls es eine solche überhaupt
gab. Immerhin war es doch auch möglich, dass Bergmann
sie nur wieder einmal am Schmäh hielt und zur Weißglut
treiben wollte. Was ihm zweifellos gelungen war. Und zwar
zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, während sie um das
Leben ihrer Freundin bangte.
Sandra griff nach der Horsd'oeuvre-Karte, hob ihr Kinn
an und fächelte sich Luft zu. Selbst im Schatten des Sonnenschirms
hatte es inzwischen mehr als 30 schwüle Grad Celsius.
Eine Abkühlung war vorerst nicht in Sicht. So verregnet
dieser Sommer bisher gewesen war, für dieses Wochenende
waren Sonnenschein, tropische Temperaturen und lokale
Gewitter vorhergesagt, von denen hier momentan aber nichts
zu sehen war. »Was du privat treibst, hat mich noch nie interessiert
«, raunte sie Bergmann wild fächelnd zu. »Denk
lieber nach, wie wir Andrea am schnellsten inden können.«
»Kann ich mir ihre Nachricht einmal anhören?«, fragte
Bergmann, endlich wieder mit dem angemessenen Ernst.
»Sicher ...« Noch einmal rief Sandra ihre Mailbox an und
reichte ihm das Handy über den Stehtisch.
Bergmann lauschte Andreas Hilferuf regungslos, ehe er
Sandra das Telefon zurückgab.
»Sollen wir die Fahndung nach ihr rausgeben?«, fragte sie.
Der Cheinspektor fuhr sich mit der Hand übers unrasierte
Kinn. »Wir müssen ja nicht gleich aus dem Vollen schöpfen«,
meinte er. »Auch wenn es so klingt, als würde Andrea bedroht
werden, ist auf der Sprachnachricht doch nur ihre Stimme zu
hören. Keine andere. Vielleicht wurde sie gar nicht bedroht,
sondern hatte einen Verkehrsunfall und beindet sich jetzt in
einem Krankenhaus. Das sollten wir zu allererst überprüfen.«
»Und wer ist dann dieser ›Er‹, auf den sie sich bezieht?«
»Ihr Unfallgegner?«, spekulierte Bergmann. »Oder jemand,
der mit ihr im Auto gesessen ist?«
Auszuschließen war das freilich nicht, musste ihm Sandra
rechtgeben.
»Hat sie denn Verwandte, die in einem Notfall zu verständigen
wären?«, erkundigte sich Bergmann.
»Nicht, dass ich wüsste. Ihre Eltern sind tot. Geschwister
hat Andrea auch keine. Nur eine Tante in Fürstenfeld.
Falls die noch lebt.«
Just in jener Stadt, in der Sandras Vater
nach der Scheidung von ihrer Mutter den Polizeidienst versehen
hatte, schweifte sie gedanklich in die eigene Vergangenheit
ab. Im dortigen Landeskrankenhaus war der starke
Raucher Jahre später seinem Lungenkrebs erlegen. »Andrea
ist in Fürstenfeld aufgewachsen und in die Schule gegangen«,
fuhr sie fort. »Außerdem müsste es noch einen Sohn von
dieser Tante geben, der seit etlichen Jahren in Graz lebt. Zu
ihrem Cousin hat Andrea aber meines Wissens schon ewig
keinen Kontakt mehr.«
»Und wie heißen ihre Verwandten?«
Sandra schüttelte den Kopf. »Die Namen sind mir leider
entfallen. Es ist schon eine Weile her, dass Andrea über sie
gesprochen hat.«
»Hmm ... Vielleicht hat sie sich ja auch mit ihrem Gschamsterer
gestritten, und der ist handgreilich geworden«, überlegte
Bergmann laut.
Ihre Freundin war zwar alles andere als ein armes Hascherl,
das sich von Männern unterdrücken ließ, aber vor Gewaltausbrüchen
waren auch selbstsichere Frauen wie Andrea
nicht gefeit, überlegte Sandra.
»Wenn sie sich in keinem Krankenhaus beindet, sollten
wir schleunigst diesen Zahnarzt ausindig machen«, meinte
Bergmann.
»Ich habe zu Hause einen Reserveschlüssel von ihrer Wohnung.
Den hol ich mir jetzt und schau mich dann mal dort um.
Vielleicht indet sich ein Hinweis auf ihren ›Doktor‹ oder die
Therme, in der sie das Wochenende verbringen wollte. Oder
auch irgendeine andere Spur ...« Sandra legte ihren provisorischen
Fächer auf den Tisch zurück.
»Heißt das, ich soll allein hierbleiben?«
»Du bist doch gar nicht allein hier. Deine Tochter läuft
dort drüben mit ihrer neuen Freundin herum. Kann Sarah
eigentlich schwimmen?« Mit einer Kopfbewegung deutete
Sandra zu den beiden kleinen Mädchen hinüber, die etwas
abseits zwischen den Büschen und Bäumen herumtollten.
»Ja, kann sie. Warum?«
»Weil sich dort drüben ein Teich beindet«, warnte Sandra.
Sie war zwar noch nie hier gewesen, doch hatte ihr Miriam
diese und andere Hochzeits-Locations im Internet gezeigt,
ehe sie sich fürs Plabutscher Schlössl entschied.
»Um Sarah musst du dir keine Sorgen machen«, meinte
Bergmann.
Sandra nickte. Umso mehr sorgte sie sich um Andrea.
»Ich erkundige mich mal, ob es in den letzten Stunden
Unfälle gegeben hat«, versprach Bergmann. »Danach rufe
ich dich an. Und du meldest dich bei mir, wenn du in Andreas
Wohnung auf Hinweise stößt. Keine Alleingänge, ist
das klar?«
Was sollte das jetzt wieder heißen? Glaubte der Cheinspektor
etwa, dass sie nicht Herrin der Lage war, nur weil es
sich um ihre Freundin handelte, die mutmaßlich in Gefahr
schwebte?
Wortlos wandte sich Sandra ab und stakste auf ihren ungewohnt
hohen Absätzen durchs Gras - direkt auf die großgewachsene
Blondine im Brautdirndl und deren Bräutigam
zu. Wenigstens von ihren frischvermählten Kollegen wollte
sie sich noch verabschieden und ihnen eine schöne Hochzeitsreise
wünschen.
©Gmeiner
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Autoren-Porträt von Claudia Rossbacher
Claudia Rossbacher, geboren in Wien, zog es nach ihrem Tourismusmanagementstudium in die Modemetropolen der Welt, wo sie als Model im Scheinwerferlicht stand. Danach war sie Texterin, später Kreativdirektorin in internationalen Werbeagenturen. Seit 2006 arbeitet sie als freie Schriftstellerin in Wien und in der Steiermark und schreibt vorwiegend Kriminalromane und Kurzkrimis. Ihre Steirerkrimis mit den LKA-Ermittlern Sandra Mohr und Sascha Bergmann waren allesamt Bestseller in Österreich. »Steirerblut« und »Steirerkind« wurden als Landkrimis für ORF und ARD verfilmt, der vierte Band »Steirerkreuz« - ausgezeichnet mit dem österreichischen »Buchliebling 2014« - soll demnächst folgen. www.claudia-rossbacher.com
Bibliographische Angaben
- Autor: Claudia Rossbacher
- 2018, 2. Aufl., 279 Seiten, Maße: 13,6 x 21,1 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Gmeiner-Verlag
- ISBN-10: 3839222656
- ISBN-13: 9783839222652
- Erscheinungsdatum: 31.01.2018
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