Telefongespräche
Erzählungen
Ein Mann ruft eine alte Flamme an, sie treffen sich wieder, trennen sich erneut, telefonieren noch ein paarmal miteinander. Dann wird die Frau ermordet: von einem ehemaligen Liebhaber, der sie mit anonymen Anrufen belästigt hat. In seinen traurigen und...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Telefongespräche “
Ein Mann ruft eine alte Flamme an, sie treffen sich wieder, trennen sich erneut, telefonieren noch ein paarmal miteinander. Dann wird die Frau ermordet: von einem ehemaligen Liebhaber, der sie mit anonymen Anrufen belästigt hat. In seinen traurigen und schrecklich komischen Geschichten entführt uns Roberto Bolaño immer wieder in die Labyrinthe des Lebens: entlang der Grenze zwischen Fiktion und Realität.
Klappentext zu „Telefongespräche “
Ein Mann ruft eine alte Flamme an, sie treffen sich wieder, trennen sich erneut, telefonieren noch ein paarmal miteinander. Dann wird die Frau ermordet: von einem ehemaligen Liebhaber, der sie mit anonymen Anrufen belästigt hat. In seinen traurigen und schrecklich komischen Geschichten entführt uns Roberto Bolano immer wieder in die Labyrinthe des Lebens: entlang der Grenze zwischen Fiktion und Realität.
Lese-Probe zu „Telefongespräche “
Telefongespräche von Roberto BolanoDen Wettbewerb von Plasencia schaffte ich nicht mehr, aber an dem von Écija nahm ich teil. Kaum hatte ich die Kopien meiner Erzählung (Pseudonym: Aloysius Acker) zur Post gebracht, als mir klar wurde, daß herumsitzen und auf das Ergebnis warten alles noch schlimmer machte. Ich beschloß, mich nach weiteren Wettbewerben umzuschauen und nebenbei Sensinis Bitte zu erfüllen. Die folgenden Tage, an denen ich nach Girona hineinfuhr, verbrachte ich damit, die Zeitungen der letzten Tage zu durchforsten: in einigen fanden sich die Ausschreibungen im Gesellschaftsteil, in anderen zwischen den Ereignissen vom Tage und dem Sport, das seriöseste Blatt plazierte sie genau zwischen Wetterbericht und Todesanzeigen – im Kulturteil natürlich keine einzige. Ich entdeckte auch eine Zeitung der katalanischen Autonomieregierung, die zwischen Stipendien, Austauschprogrammen, Jobangeboten, Postgraduiertenkollegs Anzeigen von Literaturwettbewerben einstreute, die meisten für den katalanischen Raum und für katalanische Sprache, aber nicht alle. Bald hatte ich drei aktuelle Wettbewerbe, an denen Sensini und ich teilnehmen konnten, und ich schrieb ihm einen Brief. Wie immer erhielt ich postwendend Antwort. Sensinis Brief war kurz. Er beantwortete einige meiner Fragen, die sich zumeist auf den kürzlich erworbenen Band mit seinen Erzählungen bezogen, und legte seinerseits die fotokopierten Unterlagen dreier Kurzprosa-Wettbewerbe bei, von denen einer von der Staatlichen Eisenbahngesellschaft gesponsert wurde, ein Hauptgewinn und zehn zweite Preise mit 50000 Peseten pro Nase, sagte er wörtlich, und: Wer sich nicht bewirbt, der nicht gewinnt, guter Wille allein genügt nicht. Ich schrieb ihm zurück, daß ich nicht genug Erzählungen hätte, um sie für die sechs laufenden Wettbewerbe einzureichen, vor allem aber versuchte ich,
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andere Themen anzuschneiden, der Brief geriet mir außer Kontrolle, ich sprach über Reisen, Walsh, Conti, Francisco Urondo, fragte ihn nach Gelman, den er zweifellos kannte, und zum Schluß erzählte ich ihm in groben Zügen mein Leben, wenn ich mit Argentiniern rede, verstricke ich mich am Ende immer in Labyrinth und Tango, das geht vielen Chilenen so. Sensini antwortete umgehend und ausführlich, zumindest was die Produktivität und die Wettbewerbe betraf. Auf einem beidseitig und über die ganze Länge und Breite beschriebenen Blatt entwarf er eine Art Strategieplan für Literaturpreise in der Provinz. Ich spreche aus Erfahrung, schrieb er.
Der Brief begann damit, daß er sie heilig sprach (ich erfuhr nie, ob zum Spaß oder im Ernst) als Einnahmequelle im täglichen Überlebenskampf. Wenn er von den Schirmherren sprach, den Kommunen und Sparkassen, nannte er sie »diese guten Leute, die an die Literatur glauben« oder »diese lauteren und ein wenig unfreiwilligen Leser«. Er machte sich keine Illusionen bezüglich der Bildung der »guten Leute«, der Leser, die voraussichtlich (oder doch nicht so voraussichtlich) diese unsichtbaren Bücher konsumieren würden. Er bestand darauf, man solle sich für so viele Preise wie möglich bewerben, empfahl allerdings, die Titel vorsichtshalber abzuwandeln, wenn man eine Erzählung gleichzeitig bei drei Wettbewerben einreichte, deren Entscheidungen am selben Tag bekanntgegeben wurden. Als Beispiel erwähnte er seine Erzählung Im Morgengrauen, einen Text, den ich nicht kannte und den er gleichsam probehalber bei verschiedenen Wettbewerben eingereicht hatte, wie ein Versuchskaninchen, an dem man die Auswirkungen eines neuen Impfstoffs überprüft. Am ersten und bestdotierten Wettbewerb nahm Im Morgengrauen als Im Morgengrauen teil, dem zweiten Wettbewerb präsentierte er die Erzählung als Die Gauchos, im dritten Wettbewerb trug sie den Titel In der anderen Pampa, und im letzten hieß sie Ohne Reue. Er gewann den zweiten und vierten Wettbewerb und konnte mit dem Preisgeld die Miete für anderthalb Monate bezahlen, in Madrid sind die Mieten astronomisch. Natürlich fiel niemandem auf, daß Die Gauchos und Ohne Reue dieselbe Erzählung mit unterschiedlichen Titeln waren, obwohl immer das Risiko bestand, bei mehreren Wettbewerben derselben Jury zu begegnen – ein einzigartiges Amt, an das sich in Spanien eine Plejade von Schriftstellern, zweitklassigen Dichtern und bei früherer Gelegenheit prämierten Autoren klammert. Die Welt der Literatur ist furchtbar und obendrein lächerlich, sagte er. Und fügte hinzu, daß nicht einmal die mehrmalige Begegnung mit derselben Jury ein echtes Problem darstelle, da diese die eingereichten Werke im allgemeinen nicht oder nur oberflächlich oder nur zur Hälfte lese. Im übrigen, sagte er, wer weiß, ob Die Gauchos und Ohne Reue nicht zwei verschiedene Erzählungen sind, deren Einzigartigkeit gerade auf dem Titel beruht. Ähnlich, sogar sehr ähnlich, jedoch verschieden.
Am Ende des Briefes betonte er, daß es Erstrebenswerteres im Leben gäbe, zum Beispiel in Buenos Aires leben und schreiben, daran bestand für ihn kein Zweifel, aber die Realität war so und nicht anders, und man mußte sich seine Brötchen oder, wie man in Chile sagen würde, seine Böhnchen verdienen, und im Augenblick war das die Lösung. Es ist wie ein Spaziergang durch die spanische Geographie, sagte er. Ich werde bald sechzig, aber ich fühle mich wie fünfundzwanzig, meinte er am Schluß des Briefes oder schon im Postskriptum. Anfangs schien mir das eine sehr traurige Äußerung, aber nach dem zweiten oder dritten Lesen begriff ich, daß er mir gleichsam sagte: Wie alt bist du denn, Junge? Meine Antwort, erinnere ich mich, kam spontan. Ich sagte ihm, ich sei achtundzwanzig, drei Jahre älter als er. An jenem Morgen kam es mir so vor, als hätte ich vielleicht nicht das Glück, aber immerhin meine Energie zurückgewonnen, eine Energie, die große Ähnlichkeit mit dem Humor hatte, einem Humor, der große Ähnlichkeit mit der Erinnerung hatte.
Übersetzung: Christian Hansen
Der Brief begann damit, daß er sie heilig sprach (ich erfuhr nie, ob zum Spaß oder im Ernst) als Einnahmequelle im täglichen Überlebenskampf. Wenn er von den Schirmherren sprach, den Kommunen und Sparkassen, nannte er sie »diese guten Leute, die an die Literatur glauben« oder »diese lauteren und ein wenig unfreiwilligen Leser«. Er machte sich keine Illusionen bezüglich der Bildung der »guten Leute«, der Leser, die voraussichtlich (oder doch nicht so voraussichtlich) diese unsichtbaren Bücher konsumieren würden. Er bestand darauf, man solle sich für so viele Preise wie möglich bewerben, empfahl allerdings, die Titel vorsichtshalber abzuwandeln, wenn man eine Erzählung gleichzeitig bei drei Wettbewerben einreichte, deren Entscheidungen am selben Tag bekanntgegeben wurden. Als Beispiel erwähnte er seine Erzählung Im Morgengrauen, einen Text, den ich nicht kannte und den er gleichsam probehalber bei verschiedenen Wettbewerben eingereicht hatte, wie ein Versuchskaninchen, an dem man die Auswirkungen eines neuen Impfstoffs überprüft. Am ersten und bestdotierten Wettbewerb nahm Im Morgengrauen als Im Morgengrauen teil, dem zweiten Wettbewerb präsentierte er die Erzählung als Die Gauchos, im dritten Wettbewerb trug sie den Titel In der anderen Pampa, und im letzten hieß sie Ohne Reue. Er gewann den zweiten und vierten Wettbewerb und konnte mit dem Preisgeld die Miete für anderthalb Monate bezahlen, in Madrid sind die Mieten astronomisch. Natürlich fiel niemandem auf, daß Die Gauchos und Ohne Reue dieselbe Erzählung mit unterschiedlichen Titeln waren, obwohl immer das Risiko bestand, bei mehreren Wettbewerben derselben Jury zu begegnen – ein einzigartiges Amt, an das sich in Spanien eine Plejade von Schriftstellern, zweitklassigen Dichtern und bei früherer Gelegenheit prämierten Autoren klammert. Die Welt der Literatur ist furchtbar und obendrein lächerlich, sagte er. Und fügte hinzu, daß nicht einmal die mehrmalige Begegnung mit derselben Jury ein echtes Problem darstelle, da diese die eingereichten Werke im allgemeinen nicht oder nur oberflächlich oder nur zur Hälfte lese. Im übrigen, sagte er, wer weiß, ob Die Gauchos und Ohne Reue nicht zwei verschiedene Erzählungen sind, deren Einzigartigkeit gerade auf dem Titel beruht. Ähnlich, sogar sehr ähnlich, jedoch verschieden.
Am Ende des Briefes betonte er, daß es Erstrebenswerteres im Leben gäbe, zum Beispiel in Buenos Aires leben und schreiben, daran bestand für ihn kein Zweifel, aber die Realität war so und nicht anders, und man mußte sich seine Brötchen oder, wie man in Chile sagen würde, seine Böhnchen verdienen, und im Augenblick war das die Lösung. Es ist wie ein Spaziergang durch die spanische Geographie, sagte er. Ich werde bald sechzig, aber ich fühle mich wie fünfundzwanzig, meinte er am Schluß des Briefes oder schon im Postskriptum. Anfangs schien mir das eine sehr traurige Äußerung, aber nach dem zweiten oder dritten Lesen begriff ich, daß er mir gleichsam sagte: Wie alt bist du denn, Junge? Meine Antwort, erinnere ich mich, kam spontan. Ich sagte ihm, ich sei achtundzwanzig, drei Jahre älter als er. An jenem Morgen kam es mir so vor, als hätte ich vielleicht nicht das Glück, aber immerhin meine Energie zurückgewonnen, eine Energie, die große Ähnlichkeit mit dem Humor hatte, einem Humor, der große Ähnlichkeit mit der Erinnerung hatte.
Übersetzung: Christian Hansen
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Autoren-Porträt von Roberto Bolaño
Roberto Bolaño, 1953 in Chile geboren und nach dem Militärputsch von 1973 inhaftiert, ging ins Exil nach Mexiko und 1976 nach Spanien. 2003 starb er in Barcelona. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise, darunter den National Book Critics Circle Award für die amerikanische Ausgabe seines Romans 2666. Bei Hanser erschienen zuletzt die Romane 2666 (2009), Lumpenroman (2010), Das Dritte Reich (2011) und Die Nöte des wahren Polizisten (2013) sowie der Erzählungsband Mörderische Huren (2014) und der Gedichtband Die romantischen Hunde (2017).Christian Hansen, 1962 in Köln geboren, lebt in Berlin und Sóller. Er übersetzt u. a. Werke von Roberto Bolaño, José; Pablo Feinmann, Juan Goytisolo, Amin Maalouf, Alan Pauls, Sergio Pitol, Guillermo Rosales und Vizconde de Lascano Tegui.
Bibliographische Angaben
- Autor: Roberto Bolaño
- 2004, 234 Seiten, Maße: 13,6 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung:Hansen, Christian
- Übersetzer: Christian Hansen
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446205268
- ISBN-13: 9783446205260
- Erscheinungsdatum: 20.08.2004
Rezension zu „Telefongespräche “
"Mal mit melancholischer Komik, mal mit unverhohlenem Sarkasmus legt Roberto Bolano das fragile Geflecht falscher Gewissheiten bloß. Und schafft es jedes Mal, mit sparsamsten Mitteln ein ganzes Leben zu erzählen." Sonntagszeitung, 5.12.2004"Die Kunst der effektvollen Überraschung beherrscht er ebenso wie das Erzählen von extrem gewöhnlichen Dingen. ... Bolano bleibt immer dicht am Individuum und seinen Rätseln." Franz Haas, Neue Zürcher Zeitung, 5.10.2004
"Ein einzigartiger Erzähler der Weltliteratur" Ijoma Mangold, Süddeutsche Zeitung, 30.11.2004
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