Sehnsucht der Dunkelheit / The Immortals After Dark Bd.9
Roman. Deutsche Erstausgabe
Malkom Slaine trägt die Eigenschaften eines Dämons und eines Vampirs in sich. Im Laufe seines langen Lebens ist er schon oft hintergangen worden. Es fällt ihm deshalb schwer, Vertrauen zu fassen. Als er jedoch der schönen Carrow Graie...
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Produktinformationen zu „Sehnsucht der Dunkelheit / The Immortals After Dark Bd.9 “
Malkom Slaine trägt die Eigenschaften eines Dämons und eines Vampirs in sich. Im Laufe seines langen Lebens ist er schon oft hintergangen worden. Es fällt ihm deshalb schwer, Vertrauen zu fassen. Als er jedoch der schönen Carrow Graie begegnet, schlägt er alle Vorsicht in den Wind. Sie weckt eine beinahe unstillbare Sehnsucht in ihm. Um so schwerer trifft es ihn, als auch Carrow ihn verrät ...
Klappentext zu „Sehnsucht der Dunkelheit / The Immortals After Dark Bd.9 “
Malkom Slaine trägt die Eigenschaften eines Dämons und eines Vampirs in sich. Im Laufe seines langen Lebens ist er schon oft hintergangen worden. Es fällt ihm deshalb schwer, Vertrauen zu fassen. Als er jedoch der schönen Carrow Graie begegnet, schlägt er alle Vorsicht in den Wind. Sie weckt eine beinahe unstillbare Sehnsucht in ihm. Um so schwerer trifft es ihn, als auch Carrow ihn verrät ...
Lese-Probe zu „Sehnsucht der Dunkelheit / The Immortals After Dark Bd.9 “
Sehnsucht der Dunkelheit von Kresley Cole2
Internierungslager für Unsterbliche Gegenwart
... mehr
Als Carrow Graie nach ihrer Entführung vor einer Woche aufwachte, quälten sie rasende Kopfschmerzen, ihr Mund war trocken, und sie trug ein metallenes Halsband.
Von da ab ging es nur noch bergab.
Heute Abend könnte der absolute Tiefpunkt sein, dachte sie, als Aufseher Fegley - ein Loser mit Gummiknüppel, aber ohne Eier - sie über den Korridor zwischen den Zellen ihrem Schicksal entgegentrieb.
»Achtung, hier kommt eine Wicca, die nicht mehr lange unter den Lebenden weilen wird«, spottete der Anführer der Zentauren, als Carrow an deren Zelle vorbeikam. Er ging davon aus - wie wohl jedes andere Mythenweltgeschöpf, das hier in dieser Menagerie Unsterblicher gefangen gehalten wurde -, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte.
»Halt bloß dein blödes Maul, Mr Ed«, sagte sie, was ihr einen harten Ruck an ihrem Halsband einbrachte. Wütend starrte sie den Sterblichen an und wehrte sich gegen ihre Fesseln. »Sobald ich meine Kräfte zurückhabe, Fickley, werde ich dich dazu verfluchen, dich zu verlieben. Und zwar in deine eigenen Körperfunktionen. Was auch immer deinen Körper verlässt, dein Herz wird sich danach verzehren.«
»Dann hab ich wohl echt Glück, dass du das hier trägst.« Wieder zerrte er an dem Metallband um ihren Hals, das die Sterblichen Wendelring nannten. Er nahm ihr auf mystische Weise ihre Fähigkeiten und schwächte sie auch körperlich. Jede Spezies in den Zellen war auf irgendeine Weise ihrer Kräfte beraubt worden und damit praktisch wehrlos, sodass sie sogar einem Sterblichen wie Fegley ausgeliefert war. »Außerdem, Hexe, was macht dich eigentlich so sicher, dass du die nächste Stunde überleben wirst?«
Wenn diese Leute mich umbringen, bin ich so was von scheiß-sauer! Doch leider schien genau das in ihren Sternen zu stehen. Zumindest erwartete sie vermutlich Folter oder ein paar Experimente.
Zur Hölle, vielleicht würde sie dann wenigstens herausfinden, wieso sich jemand die Mühe gemacht hatte, sie zu entführen.
Carrow war eine jener seltenen Hexen, die drei Kasten zugleich angehören, doch sie war weit davon entfernt, die mächtigste unter den Hexen zu sein. Das war ihre beste Freundin, Mariketa die Langersehnte. Und wenn sie auch glücklich darüber war, dass es nicht Mari war, die man entführt hatte, so begriff Carrow dennoch nicht, warum es ausgerechnet sie getroffen hatte.
Was würde Ripley tun? Wenn sie in der Klemme saß, überlegte Carrow oft, wie sich Ellen Ripley, die legendäre knallharte Heldin der Alien-Quadrologie, wohl daraus befreien würde.
Ripley würde den Feind analysieren, eine Bestandsaufnahme ihrer Umgebung und ihrer Ressourcen machen, ihren Verstand dazu benutzen, den Feind zu besiegen und alles in die Luft jagen, ehe sie sich aus dem Staub machte.
Den Feind analysieren. Wenn es stimmte, was Carrow von den anderen Insassen erfahren hatte, gehörte dieser Ort dem sogenannten Orden, einer mysteriösen Gruppe sterblicher Soldaten und Wissenschaftler, die von einem Magister namens De-clan Chase, alias Messermann, und seiner getreuen Vertrauten, Dr. Dixon, geleitet wurde.
Carrows Zellengenossin, eine Zauberin, hatte ihr berichtet, dass sich der Orden zum Ziel gesetzt hatte, sämtliche unsterblichen Geschöpfe zu vernichten.
Meine Umgebung? Sie befand sich in einem Gefängnis, das ein teuflisch genialer Verstand geschaffen zu haben schien, mit Zellen, deren Rück- und Seitenwände aus dreißig Zentimeter dickem Stahl und deren Vorderseite aus unzerbrechlichem, sechzig Zentimeter dickem Glas bestanden. Jede Zelle war mit vier Schlafkojen und einer Toilette samt Waschbecken hinter einer Art Paravent ausgestattet, was den Insassen nicht das kleinste bisschen Privatsphäre ließ, da der Orden sämtliche Aktivitäten mithilfe von Kameras an der Decke aufzeichnete.
Diese Kerkerhaft war mit nichts zu vergleichen, was Carrow je erlebt hatte, und sie saß wahrhaftig nicht zum ersten Mal hinter Gittern. Carrow hatte nicht einmal duschen oder die Kleidung wechseln können. Sie trug immer noch ihr Partyoutfit: ein Neckholder-Top, einen schwarzen Lederminirock und Stiefel, die bis zu den Oberschenkeln reichten.
Jeder Tag hier drin bedeutete nur noch mehr beschissenes Essen und schlechte Beleuchtung. Ganz abgesehen von den Experimenten an Unsterblichen, von denen einige zu ihren Freunden zählten.
Ressourcen? Carrow verfügte über exakt null Komma null Ressourcen. Auch wenn sie normalerweise imstande war, Gefängniswächter zu bezirzen, schienen diese sterblichen Soldaten ihrem Charme gegenüber immun zu sein. Fegley jedoch schien sie aus irgendeinem Grund aus tiefstem Herzen zu verabscheuen, als ob zwischen ihnen mal etwas vorgefallen wäre.
Obwohl sie jeder Schritt möglicherweise ihrem Ende entgegentrug, bemühte sie sich, alles so aufmerksam wie möglich zu beobachten. Nach wie vor war sie wild entschlossen, zu fliehen. Doch ein massiv verstärkter Korridor nach dem anderen dämpfte ihre Hoffnungen auf eine baldige Flucht.
Das Ganze war wie ein Labyrinth angelegt, die Gänge wurden mit einer Vielzahl von Kameras überwacht, und sämtliche Zellen waren voll. Lykae, Walküren und Feyden - die man als Verbündete bezeichnen konnte -, bunt gemischt mit den bösen Invidia, gefallenen Vampiren und Feuerdämonen.
In einer Zelle schnappten ansteckende Ghule nach einander und rissen sich gegenseitig Stücke aus ihrer gelblichen Haut. In einer anderen siechten Sukkuben aus Mangel an Sex dahin.
Der Orden hatte mehr Wesen in die Falle gelockt, als man aufzählen konnte, und viele von ihnen waren berüchtigt und tödlich.
Wie zum Beispiel der brutale Werwolf Uilleam MacRieve. Die Lykae gehörten zu den stärksten Mythenweltkreaturen, doch mit dem Wendelring um den Hals war Uilleam nicht in der Lage, die Bestie in ihm zu entfesseln.
Nur zum Spaß klopfte der Wärter mit seinem Schlagstock gegen das Glas. Durch die Gefangenschaft an den Rand des Wahnsinns getrieben, griff Uilleam an und rammte den Kopf mit solcher Wucht gegen die Glasscheibe, dass die Haut aufplatzte und sein Schädel direkt vor ihren Augen sichtbar wurde. Das Glas war unversehrt, während ihm das Blut über das grimmige Gesicht strömte.
In der nächsten Zelle stand ein riesiger Berserker, ein wilder Krieger, den Carrow schon öfter in der Gegend von New Orleans gesehen hatte. Er sah so aus, als ob er kurz davorstünde, Amok zu laufen.
Carrow schluckte, als sie seine Zellennachbarin erblickte: eine Furie, mit unheimlichen violetten Augen und gefletschten Fängen. Die Furien waren weibliche Rächerinnen, der fleischgewordene Zorn. Und diese hier war eine der seltenen Erzfurien - tödlich und mit Rabenschwingen.
Zurückhaltung war für den Orden offensichtlich ein Fremdwort. Einige der hier versammelten Wesen waren regelrecht berühmt-berüchtigt, wie der Vampir Lothaire, der Erzfeind, mit seinem weißblonden Haar, der auf ebenso unheimliche wie düstere Art und Weise sexy war. Jedes Mal wenn die Wachen ihn mit Beruhigungsmitteln ausknockten und durch die Abteilung schleppten, versprachen seine roten Augen jedem unermesslichen Schmerz, der es wagte, ihn zu berühren.
»Leg mal 'n Zahn zu, Hexe«, sagte Fegley. »Oder du machst mit meinem Kumpel hier Bekanntschaft.« Er hob seinen Schlagstock.
»Vielleicht finde ich ihn ja sogar ganz nett. Hab gehört, er hat jedenfalls mehr Grips als du.« Sie biss die Zähne zusammen, als er sie erneut schubste.
Als sie den Haupteingang des Gefängnisses erreicht hatten, öffnete sich ein weiterer langer Korridor vor ihnen, von dem Büros und Labore abgingen. Ohne ein Wort zerrte Fegley sie in das hinterste Zimmer, einer Art modernistisch eingerichtetem Arbeitszimmer. Kein Labor? Keine Elektroden oder Knochensägen?
Hinter einem riesigen Schreibtisch saß eine unscheinbare Brünette. Die Augen hinter ihrer altmodischen Brille sagten: Ich bin dein schlimmster Albtraum, find dich damit ab. Das musste wohl Dr. Dixon sein.
Hinter ihr stand ein hoch aufragender dunkelhaariger Mann am Fenster. Er sah in die stürmische Nacht hinaus, sodass Carrow nur sein im Schatten liegendes Profil sehen konnte.
Carrow versuchte, einen Blick nach draußen zu werfen, um vielleicht herauszufinden, wo sie sich befanden, aber Regen prasselte gegen das Fenster. Den Gerüchten unter den Insassen zufolge stand diese Einrichtung auf einer riesigen Insel, in jeder Richtung Tausende von Meilen vom Festland entfernt. Was sonst.
»Mach ihre Hände los«, sagte der große Mann, ohne sich umzudrehen. Auch wenn er nur vier Wörter gesagt hatte, erkannte Carrow Declan Chases Stimme, diesen leisen, verhassten Ton mit dem Hauch eines irischen Akzents.
Fegley löste ihre Handschellen auf dieselbe Weise, wie er sie verschlossen hatte - mit seinem Daumenabdruck -, und verließ den Raum anschließend durch eine gut getarnte Tür, die in eine der getäfelten Seitenwände eingelassen war.
Alles an diesem Ort, ihr Wendelring eingeschlossen, wurde mit dem Abdruck eines rechten Daumens verschlossen. Was bedeutete, dass Carrow Fegley seinen Daumen würde abschneiden müssen. Bezaubernd. Darauf konnte sie sich freuen.
»Ich erinnere mich an dich, Messermann«, sagte sie zu Chase. »Oh ja, deine Männer und du, ihr habt mich mit Stromschlägen gegrillt.«
Diese Mistkerle hatten Kaution gestellt, nachdem Carrow wieder einmal wegen ungebührlichen Benehmens - eine wohlverdiente Anklage, auf die sie stolz war - hinter Gittern gelandet war, und ihr dann vor dem Gefängnis von New Orleans aufgelauert. Als sie sich auf den Heimweg machen wollte, hatten sie sie mithilfe von Elektroschockern einen ganzen Block weit katapultiert, sie geknebelt und ihr einen schwarzen Sack über den Kopf gestülpt. »Sollte die Kapuze mir vielleicht Angst einjagen oder was?«
Das hatte jedenfalls funktioniert.
Ohne sich zu einer Antwort herabzulassen, richtete Chase kurz seinen Blick auf sie, auch wenn er sie nicht direkt ansah, sondern eher durch sie hindurchsah. Sein pechschwarzes Haar war glatt und ziemlich lang. Einige Strähnen hingen ihm seitlich ins Gesicht, und sie glaubte, darunter Narben erkennen zu können. Seine Augen - oder zumindest das eine, das sie sehen konnte - waren grau.
Er war von Kopf bis Fuß in düstere Farben gekleidet, sodass dank lederner Handschuhe und einer hochgeschlossenen Jacke auch nicht ein Quadratzentimeter nackter Haut zu sehen war. Dem äußerlichen Erscheinungsbild zufolge war er eiskalt, während seine Aura allen, die die Zeichen zu lesen wussten, ins Gesicht brüllte: Ich hab nicht alle Tassen im Schrank!
Dies war der Mann, der Carrows Freundin Regin die Ränkevolle immer und immer wieder aus ihrer Zelle holte, um sie zu foltern. Jedes Mal wenn er Regin wehtat, schlugen ihre Walkürenblitze draußen ein, und die Lampen innerhalb des Gebäudes leuchteten hell auf von der Energie, die sie ausstrahlte.
Er tat ihr oft weh.
»Und, Chase, macht es dich an, Frauen zu foltern?« Auf eine kranke Art und Weise ergab es sogar einen Sinn, dass ein so kalter Mann sich auf die normalerweise stets fröhliche Regin mit ihrer strahlenden Schönheit und Lebenslust versteifte.
Carrow glaubte zu sehen, wie sich seine Lippen verzogen, als ob ihre Frage für ihn von besonderer Bedeutung wäre. »Frauen? Ich foltere nie mehr als eine Frau.«
»Und du hast dich dazu entschlossen, deine ganze Aufmerksamkeit Regin der Ränkevollen zu schenken?« Aus den Augenwinkeln heraus sah Carrow, dass Dixon Chase mit gerunzelter Stirn musterte, so als ob auch sie unangemessenes Interesse vermutete. Aha, so war das also: Dixon stand auf den Messermann.
Vermutlich würden manche Frauen seine Züge durchaus als attraktiv bezeichnen - für einen sadistischen Menschen zumindest -, aber sein zur Hälfte verborgenes Gesicht glich einer bleichen, toten Maske. Viel Glück, ihr verrückten Hühner.
Chase zuckte lediglich mit den Achseln und drehte sich wieder zum Fenster um. Doch die Anspannung in seinen Schultern war so auffällig, dass sie sich fragte, wie es ihm gelang, aufrecht stehen zu bleiben.
»Ihr habt echt Mumm, dass ihr es wagt, eine Walküre zu kidnappen, das muss ich euch lassen«, sagte Carrow. »Aber ihre Schwestern werden kommen und sie holen. Und was das angeht, ihr hättet euch lieber nicht mit dem Haus der Hexen anlegen sollen. Die Koven werden euer kleines Gefängnis finden und dann Kleinholz daraus machen.« Obwohl sie recht zuversichtlich klang, hatte sie inzwischen den Verdacht, dass die Insel auf irgendeine Art getarnt war. Mittlerweile musste Mariketa längst erfahren haben, dass Carrow entführt worden war, und wenn ihre mächtige Freundin ihren Aufenthaltsort noch nicht hatte entdecken können - oder auch eine Hellseherin nicht -, dann war es wohl unmöglich, ihn zu finden.
»Werden sie das?« Sein Tonfall war selbstzufrieden. Viel zu selbstzufrieden. »Dann werde ich meine Sammlung wohl erweitern können.«
»Sammlung?«
»Magister Chase tut nur, was getan werden muss«, mischte sich Dixon hastig ein. »So wie wir alle. Immer wenn die Unsterblichen eine Verschwörung anzetteln, erheben wir uns, die Wächter, so wie wir es schon seit Jahrhunderten tun.«
»Verschwörung?«
Dixon nickte. »Ihr plant, die Menschheit auszulöschen und die Weltherrschaft zu übernehmen.«
Carrows Mund öffnete sich ungläubig. »Darum geht es hier also? Meine Götter, das ist einfach lächerlich! Wollt ihr ein Geheimnis erfahren? Es gibt keinen Plan, euch zu töten, weil ihr unserer Beachtung gar nicht wert seid!«
Igitt - fanatische Menschen! Manchmal hasste sie sie wirklich von ganzem Herzen.
»Wir wissen, dass ein Krieg zwischen uns bevorsteht«, widersprach Dixon. »Wenn wir euch nicht unter Kontrolle halten, werdet ihr uns alle vernichten.«
Carrow starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Langsam gefällt mir die Idee - vor allem wenn ich dann gegen Sterbliche wie euch kämpfen kann. Kapiert ihr das denn nicht? Menschliche Fanatiker sind viel größere Ungeheuer als jedes Mythenweltgeschöpf.«
»Größere Ungeheuer als die Libitinae?«
Die Libitinae zwangen Männer häufig, sich selbst zu kastrieren oder sich umzubringen. Nur so zum Spaß.
»Oder die Neoptera vielleicht?«, fuhr Dixon fort.
Insektenartige Humanoide - der Stoff, aus dem Albträume bestehen. Als Dixon Letztere erwähnte, versteifte sich Chase sogar noch mehr, und die Muskeln an seinen Kiefern traten hervor. Interessant.
Carrow beobachtete Chase, um ja keine Reaktion zu verpassen, als sie langsam antwortete. »Nein, ich muss zugeben, dass die Neoptera wirklich abartig sind. Sie töten ihre Beute nicht, sondern behalten sie und quälen sie Stunde um Stunde.«
Bildeten sich da etwa Schweißtropfen auf seiner Oberlippe? Wenn diese Kreaturen Chase in die Finger bekommen hatten ... Carrow wusste, was diese Wesen unter Spaß verstanden, was sie mit der Haut ihrer Opfer anstellten. Bei dem Gedanken drehte sich ihr der Magen um.
War das etwa der Grund, wieso Chase seinen Körper nahezu vollständig verhüllte? Aber wie war es möglich, dass er noch bei Verstand war? Oder war er das eben nicht mehr?
Die Gerüchteküche innerhalb des Gefängnisses brodelte, wenn es um diesen Mann ging. Offensichtlich hasste er jegliche Berührung und hatte sogar einmal einen Untergebenen umgehauen, der den Fehler begangen hatte, ihm auf die Schulter zu tippen.
Das würde die Handschuhe erklären.
Beinahe hätte sie einen Hauch Mitleid für ihn verspürt, bis er mit heiserer Stimme hervorstieß: »Die Hexe hält sich für etwas Besseres.«
Die Hexe spricht mit einem Wahnsinnigen. »Okay, offensichtlich kann man mit euch nicht mehr vernünftig reden, also kommen wir gleich zum springenden Punkt: Warum habt ihr mich gekidnappt?«
»Unser Ziel ist nicht nur, dich zu studieren«, antwortete Dixon, »sondern deine Existenz zu verbergen. Die meisten Unsterblichen bewegen sich unter dem Radar, während du dich hingegen vor den Menschen mit deiner Macht brüstest.«
Genau aus diesem Grund war Carrow schon wiederholt von ihrem Koven ermahnt worden. Aber sie benutzte ihre Kräfte niemals in Gegenwart nüchterner Menschen, wie sie nie müde wurde zu erklären. »Und warum habt ihr mich heute Nacht herbringen lassen?«
»Du wirst uns dabei helfen, einen vampirischen Dämon namens Malkom Slaine zu fangen.«
Heh. Ich wette zwanzig Riesen, dass ich das nicht tue. »Einen Vämon? Ihr glaubt wirklich, dass so was existiert?«, fragte sie unschuldig. Niemand in der Mythenwelt hatte die Existenz von Vämonen für möglich gehalten, und sie hatten immer als »wahrer Mythos« - Oxymoron, hallo? - gegolten, bis im letzten Jahr einer in New Orleans aufgetaucht war.
Er war unvorstellbar stark gewesen. So stark, dass er sogar eine ganze Gruppe wilder Walküren besiegt hatte, die nur mit viel Glück dem Tod entronnen waren. Beinahe wäre er von dem mächtigen König der Lykae vernichtet worden, und das auch nur, weil der Vämon die Gefährtin des Werwolfs bedroht hatte.
»Sie sind selten, aber wir wissen, dass einer existiert«, sagte Dixon. »Du wirst ihn aufsuchen und zu uns führen.«
»Ihr erwartet von mir, dass ich hier rausspaziere, und irgend so einen armen Trottel dazu bringe, in den sicheren Tod zu gehen?«
»Wir haben nicht vor, ihn zu töten«, sagte sie. »Wir wollen seine Schwächen erforschen ...«
»Und wie er entstanden ist, oder was?«
Dixon hob ihre Handflächen nach oben. »Wir sind in der Tat an den anormalen Wesen der Mythenwelt interessiert.« Anormal. Was für eine vornehme Ausdrucksweise.
»Er lebt in Oblivion, einer höllischen Dämonenebene.«
Die Dämonenebenen waren keine Paralleluniversen, sondern eigenständige, verborgene Territorien mit eigenen Klimaverhältnissen, Kulturen und Dämonarchien. Die meisten ihrer Gesellschaften waren feudal und altmodisch. Sie waren nicht unbedingt bekannt für ihre fortschrittlichen Technologien - oder auch Frauenrechte.
»Ich hab schon mal davon gehört«, sagte Carrow. Oblivion war ein Ödland, das einst als Gulag für kriminelle Mythianer benutzt wurde. Außerdem war es die frühere Heimat der trothianischen Dämonarchie, ehe die Vampire deren königliche Blutlinie unterbrochen hatten.
»Es ist uns gelungen, von inhaftierten trothianischen Dämonen einige Informationen über deine Zielperson zu sammeln.«
Carrow hob die Augenbrauen. »Ihr foltert sie, damit sie das Maul aufmachen?«
»Sie haben uns die Informationen nur zu gerne und aus freien Stücken gegeben. Er ist seinem eigenen Volk verhasst, eine Art schwarzes Schaf. Dir wird er sicher genauso wenig gefallen. Er ist ungebildet, schmutzig und brutal. Außerdem ist er schwer geistesgestört.«
»Du willst mir was von Geistesgestörten erzählen, wo du mit diesem Kerl da zusammenarbeitest?« Carrow zeigte mit dem Daumen auf Chase. Die Anspannung in seinen Schultern und seinem Nacken nahm noch weiter zu, wenn das überhaupt möglich war. »Weißt du was, Dix, das Ganze wirkt nicht gerade sehr überzeugend auf mich.«
Dixon schürzte die Lippen. »Um Erfolg zu haben, musst du genau wissen, womit du es zu tun hast.«
»Warum ich?«
»Du gehörst der Kaste der Zauberinnen an, und du bist attraktiv. Die Männer auf dieser Ebene haben vermutlich noch nie im Leben eine Frau wie dich gesehen.«
»Auf dieser Ebene? Ach, Schätzchen, sagen wir doch lieber in diesem Universum. Oh, und ganz gewiss in diesem Raum.«
»Wir wissen alles über dich«, fuhr Dixon sie an. Sie schien langsam die Geduld zu verlieren. »In deinen neunundvierzig Lebensjahren hast du immer wieder Dinge getan, die sehr mutig - und sehr dumm - waren. Also dürfte dies die perfekte Aufgabe für dich sein.«
Dagegen ließ sich nichts sagen. Und seit sie vor dreiundzwanzig Jahren endgültig unsterblich geworden war, war sie sogar noch tollkühner geworden. »Warum geht ihr denn nicht selber dorthin und holt ihn euch?«
»Er hat sich tief in die Minen eines Berges zurückgezogen und die wenigen Durchgänge mit Fallen gespickt. Er bewacht sein Reich unbarmherzig. Wenn wir ihn nicht ausschalten können, müssen wir ihn eben herauslocken.«
Und sie sollte dabei die Delilah spielen? Das glaube ich eher nicht. »Sosehr ich das Angebot auch zu schätzen weiß, euch bei eurer Vämonsuchaktion auszuhelfen, muss ich euch doch leider einen Korb geben.«
»Ist das dein letztes Wort?«, fragte Chase über die Schulter hinweg.
»Ja. Selbst wenn ich euch helfen wollte - Spezialoperationen sind einfach nicht mein Ding, mein Platz ist an der Frontlinie.« Innerhalb ihrer Spezies nahm sie die Position einer Generalin ein, die Armeen von Hexen anführte. »Wenn es sich um einen Kampf in irgendeiner Stadt handeln würde, könnten wir noch darüber reden, aber auf einer Höllenebene durch die Berge zu latschen, das liegt mir nicht so.« Carrow hasste die freie Natur - Palmenstrände ausgenommen.
»Wir hatten uns schon gedacht, dass du so reagieren könntest«, sagte Chase. Waren seine Pupillen geweitet? »Ich verfüge über etwas, das dir dabei helfen wird, die Dinge in der richtigen Perspektive zu betrachten.« Er ging zur Gegensprechanlage an der Wand und drückte einen Knopf.
Wieder öffnete sich diese verborgene Tür, und Fegley kam hereinspaziert. Aber er war nicht allein, sondern ein Mädchen lag bewusstlos und schlaff in seinen Armen. Ihr Gesicht war von einer Mähne langer schwarzer Haare verdeckt. Sie trug ein dunkles T-Shirt und Leggins, dazu ein aufgebauschtes Ballettröckchen und winzige Kampfstiefel.
Carrow überkam eine böse Vorahnung. Lasst es nicht Ruby sein. Sie warf Chase einen wütenden Blick zu. »Seit wann nehmt ihr jetzt schon Kinder gefangen?« Wie viele kleine Mädchen ziehen sich wohl so an?
Fegley grinste sie frech an. »Wenn eines von ihnen zwanzig Soldaten foltert und ermordet?« Dann warf er das Kind Carrow zu.
Sie machte einen Satz nach vorn, um es aufzufangen, und warf dem Mann noch einen bitterbösen Blick zu, ehe sie das Mädchen betrachtete. Bitte sei jemand anders.
Zischend sog Carrow die Luft ein. Ruby. Ein sieben Jahre altes Kind aus ihrem eigenen Koven, das mit ihr blutsverwandt war.
»Wo ist ihre Mutter?« Amanda, eine Hexe, die der Kriegerinnenkaste angehörte, hätte sich unter keinen Umständen von ihrem kleinen Mädchen trennen lassen. »Antworte mir, du Wurm!«
»Sie hat den Kopf verloren«, erwiderte Fegley höhnisch.
Amanda war tot? »Ich hatte sowieso vor, dich zu erledigen, Fegley«, brachte Carrow mit erstickter Stimme heraus. »Aber jetzt werde ich dafür sorgen, dass du ganz langsam krepierst.«
Fegley zuckte lediglich mit den Schultern und schlenderte wieder hinaus, sodass Carrow stumm vor Wut die Zähne zusammenbiss. Normalerweise könnte sie ihm mit einer einzigen Berührung einen tödlichen Stromschlag versetzen, und wenn ihr danach wäre, könnte sie ihn anschließend noch in ein Häufchen Staub verwandeln.
Sie kämpfte mit aller Kraft darum, ihre Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen, und wandte sich dem Kind zu, streichelte sein Gesicht. »Ruby, wach auf!«
Nichts.
»Sie steht nur unter Beruhigungsmitteln«, sagte Dixon.
Carrow zog das Mädchen noch enger an sich heran. Ihre Atemzüge und Herzschläge klangen regelmäßig. »Ruby, Süße, mach die Augen auf.« Dass sie sich ausgerechnet diese kleine Hexe geschnappt hatten...
Innerhalb des Kovens gab es sogenannte Tanda, Gruppen von Gleichaltrigen. Ruby gehörte zu der Gruppe der Babyhexen beziehungsweise zu einer »Gang«, wie sie sich selbst nannten. Ihre Gang war zwar eher mit den Kleinen Strolchen zu vergleichen als mit den Crisps oder Bloods, aber es war sehr niedlich.
Carrow und Mariketa nahmen sie oft mit in Süßigkeitenläden und stopften sie mit Zucker voll, ehe sie sie auf den Koven losließen. Sie stellten die Kleinen auf der Türschwelle ab, klingelten und rannten weg, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre, während sie vor Lachen Seitenstiche bekamen.
Carrow und Mariketa, oder auch Crow und Kettle - Krähe und Kessel -, so lauteten ihre Spitznahmen, waren die Lieblingstanten der Gang. Insgeheim war Ruby Carrows Liebling. Wie hätte es auch anders sein können? Ruby war furchtlos und schlau, ein wunderbares kleines Mädchen, das sich gerne als Punkballerina verkleidete.
Dixon legte die Stirn in Falten. »Sie könnte deine Tochter sein.«
Wie viele Hexen innerhalb eines Kovens waren auch Carrow und Ruby verwandt, wenn auch enger als gewöhnlich. Das Mädchen war ihre Cousine zweiten Grades und gehörte genau denselben drei Kasten an wie Carrow, wobei ihre Stärken als Kriegerin am besten zur Geltung kamen. Genau wie bei mir.
Rubys grüne Augen öffneten sich blinzelnd. »Crow?«
»Ich bin ja hier, mein Schatz.« Als Rubys Augen sich mit Tränen füllten, spürte Carrow einen Stich im Herzen. »Ich bin bei dir.«
Rubys Körper versteifte sich. »Mommy hat mir gesagt, ich soll sie nicht ... nicht umbringen«, rief sie mit wildem Blick, »aber ... aber als sie ihr wehgetan haben ... ist es einfach ... passiert.« Ihre Atmung wurde schnell und flach.
»Schhhh. Jetzt bist du in Sicherheit. Schön weiteratmen.« Wenn sich Ruby übermäßig aufregte, begann sie immer zu hyperventilieren. Manchmal fiel sie auch in Ohnmacht. »Es ist schon okay, alles wird wieder gut«, log Carrow, während sie sie wiegte. »Atme ruhig weiter.«
»Sie haben ihr mit einem Schwert den Kopf abgeschlagen!« Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig bei jedem Atemzug. »Ich hab gesehen, wie sie ... gestorben ist. Sie ist tot!« Rubys kleiner Körper erschlaffte wieder, und ihr Kopf sackte in den Nacken. Sie hatte das Bewusstsein verloren.
»Ruby! Oh ihr Götter!« Amanda war tatsächlich tot? Und Rubys Vater war von bösartigen Hexenmeistern ermordet worden, noch ehe sie überhaupt auf der Welt gewesen war.
Eine Waise.
Normalerweise machte man sich im Koven keine Gedanken über Patenschaften oder Sorgerecht. Unsterbliche mussten eigentlich nicht fürchten, dass ihre Kinder Waisen werden könnten, solange sie sich nicht aktiv im Krieg befanden. Aber wenn Amanda in die Schlacht gezogen wäre, hätte sie erwartet, dass ihre nächste Blutsverwandte im Koven sich um ihre Tochter kümmern würde.
Und das war Carrow, der Teufelsbraten im Haus der Hexen. Arme Ruby.
Auch wenn Carrow von ihren eigenen Eltern sehr herzlos behandelt worden war, würde sie das Richtige tun und die Verantwortung übernehmen. Sie betrachtete das kreidebleiche Gesicht des Mädchens mit ganz anderem Blick, mit dem bedeutungsschweren Gefühl einer gemeinsamen Zukunft.
Carrow besaß schon seit Langem ein ebenso einzigartiges wie merkwürdiges Talent: Sie spürte, wenn eine andere Person für alle Zeit zu einem Teil ihres Lebens wurde und ihrer beider Schicksale sich miteinander verbanden.
Ab diesem Moment würde es Carrow für immer nur noch im Doppelpack geben.
Aber sie war ja nicht mal fähig, sich selbst aus diesem Scheiß-loch zu befreien, geschweige denn ein Kind!
»Aktion und Reaktion«, sagte Chase. »Wenn du uns unsere Zielperson bringst, seid ihr frei - du und das Kind.« Obwohl er vor Anspannung geradezu summte, war seine Stimme monoton, sein Akzent kaum wahrnehmbar. »Wenn nicht, stirbt sie.«
Carrow erstarrte. Das Gesicht in Rubys Haar gedrückt, murmelte sie: »Ich werde dich bald nach Hause bringen, Baby.« Dann wandte sie sich Chase zu. »Werde ich meine Kräfte benutzen können?«
»Dein Wendelring wird während dieser Mission deaktiviert werden«, sagte er.
Doch selbst ohne den Wendelring würde Carrow im Moment nicht in der Lage sein, zu zaubern. Sie brauchte Volksmassen und Gelächter, die ihren Zaubersprüchen erst die nötige Macht verliehen. Hier im Kerker hatte sie sich vollkommen ausgesaugt gefühlt, so nutzlos wie ein leeres Bierfass.
»Du wirst morgen abreisen und sechs Tage lang in Oblivion bleiben«, fuhr Dixon fort, während Carrow noch wütend vor sich hinmurmelte. »Heute Abend werde ich dir dabei helfen, deine Ausrüstung zusammenzustellen. Es ist dir erlaubt, zu duschen, und wir werden dir ein Dossier über deine Zielperson zur Verfügung stellen.«
»Beinahe eine Woche in der Hölle? Wie zum Teufel soll ich überhaupt nach Oblivion kommen?«
»Deine Zellengenossin, die Zauberin Melanthe, die Königin der Überzeugungskünste, kann ein Portal erschaffen.«
Das stimmt. Lanthe besaß die Fähigkeit, Portale zu jedem nur denkbaren Ort zu schaffen.
»Wir werden ihren Wendelring einen Moment lang deaktivieren - natürlich unter Aufsicht des Sondereinsatzkommandos. Und selbstverständlich werden wir Ruby hierbehalten, um sicherzustellen, dass alles gemäß unseren Plänen abläuft.«
So viel zu ihrer Idee. »Ich will, dass auch Lanthe und Regin freigelassen werden.«
Dixon schüttelte den Kopf. »Unmöglich.«
Wenn sie Carrow tatsächlich freilassen würden, würde sie so schnell wie möglich zurückkehren und die beiden holen. »Ich will das Wort des Ordens, dass ihr mich und Ruby freilasst.«
»Das hast du«, erwiderte die Frau.
»Deins will ich nicht«, sagte Carrow verächtlich. »Ich will seins.«
Erneut wandte sich Chase zu ihr um. Nach kurzem Zögern nickte er einmal.
»Dann sind wir im Geschäft«, sagte Carrow.
Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als ob sie ihm soeben den Beweis für eine seiner Theorien geliefert hätte. »Hast du denn gar keine Gewissensbisse, wenn du einen Angehörigen deiner eigenen Spezies verrätst?«
»Ein Dämon ist kein Angehöriger meiner Spezies«, fuhr Carrow ihn an. »Das klingt ja, als ob du uns für Tiere hältst.«
Ohne einen weiteren Blick auf sie oder das Mädchen verließ er den Raum. Seine letzten Worte waren: »Aber genau das seid ihr.«
...
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Als Carrow Graie nach ihrer Entführung vor einer Woche aufwachte, quälten sie rasende Kopfschmerzen, ihr Mund war trocken, und sie trug ein metallenes Halsband.
Von da ab ging es nur noch bergab.
Heute Abend könnte der absolute Tiefpunkt sein, dachte sie, als Aufseher Fegley - ein Loser mit Gummiknüppel, aber ohne Eier - sie über den Korridor zwischen den Zellen ihrem Schicksal entgegentrieb.
»Achtung, hier kommt eine Wicca, die nicht mehr lange unter den Lebenden weilen wird«, spottete der Anführer der Zentauren, als Carrow an deren Zelle vorbeikam. Er ging davon aus - wie wohl jedes andere Mythenweltgeschöpf, das hier in dieser Menagerie Unsterblicher gefangen gehalten wurde -, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte.
»Halt bloß dein blödes Maul, Mr Ed«, sagte sie, was ihr einen harten Ruck an ihrem Halsband einbrachte. Wütend starrte sie den Sterblichen an und wehrte sich gegen ihre Fesseln. »Sobald ich meine Kräfte zurückhabe, Fickley, werde ich dich dazu verfluchen, dich zu verlieben. Und zwar in deine eigenen Körperfunktionen. Was auch immer deinen Körper verlässt, dein Herz wird sich danach verzehren.«
»Dann hab ich wohl echt Glück, dass du das hier trägst.« Wieder zerrte er an dem Metallband um ihren Hals, das die Sterblichen Wendelring nannten. Er nahm ihr auf mystische Weise ihre Fähigkeiten und schwächte sie auch körperlich. Jede Spezies in den Zellen war auf irgendeine Weise ihrer Kräfte beraubt worden und damit praktisch wehrlos, sodass sie sogar einem Sterblichen wie Fegley ausgeliefert war. »Außerdem, Hexe, was macht dich eigentlich so sicher, dass du die nächste Stunde überleben wirst?«
Wenn diese Leute mich umbringen, bin ich so was von scheiß-sauer! Doch leider schien genau das in ihren Sternen zu stehen. Zumindest erwartete sie vermutlich Folter oder ein paar Experimente.
Zur Hölle, vielleicht würde sie dann wenigstens herausfinden, wieso sich jemand die Mühe gemacht hatte, sie zu entführen.
Carrow war eine jener seltenen Hexen, die drei Kasten zugleich angehören, doch sie war weit davon entfernt, die mächtigste unter den Hexen zu sein. Das war ihre beste Freundin, Mariketa die Langersehnte. Und wenn sie auch glücklich darüber war, dass es nicht Mari war, die man entführt hatte, so begriff Carrow dennoch nicht, warum es ausgerechnet sie getroffen hatte.
Was würde Ripley tun? Wenn sie in der Klemme saß, überlegte Carrow oft, wie sich Ellen Ripley, die legendäre knallharte Heldin der Alien-Quadrologie, wohl daraus befreien würde.
Ripley würde den Feind analysieren, eine Bestandsaufnahme ihrer Umgebung und ihrer Ressourcen machen, ihren Verstand dazu benutzen, den Feind zu besiegen und alles in die Luft jagen, ehe sie sich aus dem Staub machte.
Den Feind analysieren. Wenn es stimmte, was Carrow von den anderen Insassen erfahren hatte, gehörte dieser Ort dem sogenannten Orden, einer mysteriösen Gruppe sterblicher Soldaten und Wissenschaftler, die von einem Magister namens De-clan Chase, alias Messermann, und seiner getreuen Vertrauten, Dr. Dixon, geleitet wurde.
Carrows Zellengenossin, eine Zauberin, hatte ihr berichtet, dass sich der Orden zum Ziel gesetzt hatte, sämtliche unsterblichen Geschöpfe zu vernichten.
Meine Umgebung? Sie befand sich in einem Gefängnis, das ein teuflisch genialer Verstand geschaffen zu haben schien, mit Zellen, deren Rück- und Seitenwände aus dreißig Zentimeter dickem Stahl und deren Vorderseite aus unzerbrechlichem, sechzig Zentimeter dickem Glas bestanden. Jede Zelle war mit vier Schlafkojen und einer Toilette samt Waschbecken hinter einer Art Paravent ausgestattet, was den Insassen nicht das kleinste bisschen Privatsphäre ließ, da der Orden sämtliche Aktivitäten mithilfe von Kameras an der Decke aufzeichnete.
Diese Kerkerhaft war mit nichts zu vergleichen, was Carrow je erlebt hatte, und sie saß wahrhaftig nicht zum ersten Mal hinter Gittern. Carrow hatte nicht einmal duschen oder die Kleidung wechseln können. Sie trug immer noch ihr Partyoutfit: ein Neckholder-Top, einen schwarzen Lederminirock und Stiefel, die bis zu den Oberschenkeln reichten.
Jeder Tag hier drin bedeutete nur noch mehr beschissenes Essen und schlechte Beleuchtung. Ganz abgesehen von den Experimenten an Unsterblichen, von denen einige zu ihren Freunden zählten.
Ressourcen? Carrow verfügte über exakt null Komma null Ressourcen. Auch wenn sie normalerweise imstande war, Gefängniswächter zu bezirzen, schienen diese sterblichen Soldaten ihrem Charme gegenüber immun zu sein. Fegley jedoch schien sie aus irgendeinem Grund aus tiefstem Herzen zu verabscheuen, als ob zwischen ihnen mal etwas vorgefallen wäre.
Obwohl sie jeder Schritt möglicherweise ihrem Ende entgegentrug, bemühte sie sich, alles so aufmerksam wie möglich zu beobachten. Nach wie vor war sie wild entschlossen, zu fliehen. Doch ein massiv verstärkter Korridor nach dem anderen dämpfte ihre Hoffnungen auf eine baldige Flucht.
Das Ganze war wie ein Labyrinth angelegt, die Gänge wurden mit einer Vielzahl von Kameras überwacht, und sämtliche Zellen waren voll. Lykae, Walküren und Feyden - die man als Verbündete bezeichnen konnte -, bunt gemischt mit den bösen Invidia, gefallenen Vampiren und Feuerdämonen.
In einer Zelle schnappten ansteckende Ghule nach einander und rissen sich gegenseitig Stücke aus ihrer gelblichen Haut. In einer anderen siechten Sukkuben aus Mangel an Sex dahin.
Der Orden hatte mehr Wesen in die Falle gelockt, als man aufzählen konnte, und viele von ihnen waren berüchtigt und tödlich.
Wie zum Beispiel der brutale Werwolf Uilleam MacRieve. Die Lykae gehörten zu den stärksten Mythenweltkreaturen, doch mit dem Wendelring um den Hals war Uilleam nicht in der Lage, die Bestie in ihm zu entfesseln.
Nur zum Spaß klopfte der Wärter mit seinem Schlagstock gegen das Glas. Durch die Gefangenschaft an den Rand des Wahnsinns getrieben, griff Uilleam an und rammte den Kopf mit solcher Wucht gegen die Glasscheibe, dass die Haut aufplatzte und sein Schädel direkt vor ihren Augen sichtbar wurde. Das Glas war unversehrt, während ihm das Blut über das grimmige Gesicht strömte.
In der nächsten Zelle stand ein riesiger Berserker, ein wilder Krieger, den Carrow schon öfter in der Gegend von New Orleans gesehen hatte. Er sah so aus, als ob er kurz davorstünde, Amok zu laufen.
Carrow schluckte, als sie seine Zellennachbarin erblickte: eine Furie, mit unheimlichen violetten Augen und gefletschten Fängen. Die Furien waren weibliche Rächerinnen, der fleischgewordene Zorn. Und diese hier war eine der seltenen Erzfurien - tödlich und mit Rabenschwingen.
Zurückhaltung war für den Orden offensichtlich ein Fremdwort. Einige der hier versammelten Wesen waren regelrecht berühmt-berüchtigt, wie der Vampir Lothaire, der Erzfeind, mit seinem weißblonden Haar, der auf ebenso unheimliche wie düstere Art und Weise sexy war. Jedes Mal wenn die Wachen ihn mit Beruhigungsmitteln ausknockten und durch die Abteilung schleppten, versprachen seine roten Augen jedem unermesslichen Schmerz, der es wagte, ihn zu berühren.
»Leg mal 'n Zahn zu, Hexe«, sagte Fegley. »Oder du machst mit meinem Kumpel hier Bekanntschaft.« Er hob seinen Schlagstock.
»Vielleicht finde ich ihn ja sogar ganz nett. Hab gehört, er hat jedenfalls mehr Grips als du.« Sie biss die Zähne zusammen, als er sie erneut schubste.
Als sie den Haupteingang des Gefängnisses erreicht hatten, öffnete sich ein weiterer langer Korridor vor ihnen, von dem Büros und Labore abgingen. Ohne ein Wort zerrte Fegley sie in das hinterste Zimmer, einer Art modernistisch eingerichtetem Arbeitszimmer. Kein Labor? Keine Elektroden oder Knochensägen?
Hinter einem riesigen Schreibtisch saß eine unscheinbare Brünette. Die Augen hinter ihrer altmodischen Brille sagten: Ich bin dein schlimmster Albtraum, find dich damit ab. Das musste wohl Dr. Dixon sein.
Hinter ihr stand ein hoch aufragender dunkelhaariger Mann am Fenster. Er sah in die stürmische Nacht hinaus, sodass Carrow nur sein im Schatten liegendes Profil sehen konnte.
Carrow versuchte, einen Blick nach draußen zu werfen, um vielleicht herauszufinden, wo sie sich befanden, aber Regen prasselte gegen das Fenster. Den Gerüchten unter den Insassen zufolge stand diese Einrichtung auf einer riesigen Insel, in jeder Richtung Tausende von Meilen vom Festland entfernt. Was sonst.
»Mach ihre Hände los«, sagte der große Mann, ohne sich umzudrehen. Auch wenn er nur vier Wörter gesagt hatte, erkannte Carrow Declan Chases Stimme, diesen leisen, verhassten Ton mit dem Hauch eines irischen Akzents.
Fegley löste ihre Handschellen auf dieselbe Weise, wie er sie verschlossen hatte - mit seinem Daumenabdruck -, und verließ den Raum anschließend durch eine gut getarnte Tür, die in eine der getäfelten Seitenwände eingelassen war.
Alles an diesem Ort, ihr Wendelring eingeschlossen, wurde mit dem Abdruck eines rechten Daumens verschlossen. Was bedeutete, dass Carrow Fegley seinen Daumen würde abschneiden müssen. Bezaubernd. Darauf konnte sie sich freuen.
»Ich erinnere mich an dich, Messermann«, sagte sie zu Chase. »Oh ja, deine Männer und du, ihr habt mich mit Stromschlägen gegrillt.«
Diese Mistkerle hatten Kaution gestellt, nachdem Carrow wieder einmal wegen ungebührlichen Benehmens - eine wohlverdiente Anklage, auf die sie stolz war - hinter Gittern gelandet war, und ihr dann vor dem Gefängnis von New Orleans aufgelauert. Als sie sich auf den Heimweg machen wollte, hatten sie sie mithilfe von Elektroschockern einen ganzen Block weit katapultiert, sie geknebelt und ihr einen schwarzen Sack über den Kopf gestülpt. »Sollte die Kapuze mir vielleicht Angst einjagen oder was?«
Das hatte jedenfalls funktioniert.
Ohne sich zu einer Antwort herabzulassen, richtete Chase kurz seinen Blick auf sie, auch wenn er sie nicht direkt ansah, sondern eher durch sie hindurchsah. Sein pechschwarzes Haar war glatt und ziemlich lang. Einige Strähnen hingen ihm seitlich ins Gesicht, und sie glaubte, darunter Narben erkennen zu können. Seine Augen - oder zumindest das eine, das sie sehen konnte - waren grau.
Er war von Kopf bis Fuß in düstere Farben gekleidet, sodass dank lederner Handschuhe und einer hochgeschlossenen Jacke auch nicht ein Quadratzentimeter nackter Haut zu sehen war. Dem äußerlichen Erscheinungsbild zufolge war er eiskalt, während seine Aura allen, die die Zeichen zu lesen wussten, ins Gesicht brüllte: Ich hab nicht alle Tassen im Schrank!
Dies war der Mann, der Carrows Freundin Regin die Ränkevolle immer und immer wieder aus ihrer Zelle holte, um sie zu foltern. Jedes Mal wenn er Regin wehtat, schlugen ihre Walkürenblitze draußen ein, und die Lampen innerhalb des Gebäudes leuchteten hell auf von der Energie, die sie ausstrahlte.
Er tat ihr oft weh.
»Und, Chase, macht es dich an, Frauen zu foltern?« Auf eine kranke Art und Weise ergab es sogar einen Sinn, dass ein so kalter Mann sich auf die normalerweise stets fröhliche Regin mit ihrer strahlenden Schönheit und Lebenslust versteifte.
Carrow glaubte zu sehen, wie sich seine Lippen verzogen, als ob ihre Frage für ihn von besonderer Bedeutung wäre. »Frauen? Ich foltere nie mehr als eine Frau.«
»Und du hast dich dazu entschlossen, deine ganze Aufmerksamkeit Regin der Ränkevollen zu schenken?« Aus den Augenwinkeln heraus sah Carrow, dass Dixon Chase mit gerunzelter Stirn musterte, so als ob auch sie unangemessenes Interesse vermutete. Aha, so war das also: Dixon stand auf den Messermann.
Vermutlich würden manche Frauen seine Züge durchaus als attraktiv bezeichnen - für einen sadistischen Menschen zumindest -, aber sein zur Hälfte verborgenes Gesicht glich einer bleichen, toten Maske. Viel Glück, ihr verrückten Hühner.
Chase zuckte lediglich mit den Achseln und drehte sich wieder zum Fenster um. Doch die Anspannung in seinen Schultern war so auffällig, dass sie sich fragte, wie es ihm gelang, aufrecht stehen zu bleiben.
»Ihr habt echt Mumm, dass ihr es wagt, eine Walküre zu kidnappen, das muss ich euch lassen«, sagte Carrow. »Aber ihre Schwestern werden kommen und sie holen. Und was das angeht, ihr hättet euch lieber nicht mit dem Haus der Hexen anlegen sollen. Die Koven werden euer kleines Gefängnis finden und dann Kleinholz daraus machen.« Obwohl sie recht zuversichtlich klang, hatte sie inzwischen den Verdacht, dass die Insel auf irgendeine Art getarnt war. Mittlerweile musste Mariketa längst erfahren haben, dass Carrow entführt worden war, und wenn ihre mächtige Freundin ihren Aufenthaltsort noch nicht hatte entdecken können - oder auch eine Hellseherin nicht -, dann war es wohl unmöglich, ihn zu finden.
»Werden sie das?« Sein Tonfall war selbstzufrieden. Viel zu selbstzufrieden. »Dann werde ich meine Sammlung wohl erweitern können.«
»Sammlung?«
»Magister Chase tut nur, was getan werden muss«, mischte sich Dixon hastig ein. »So wie wir alle. Immer wenn die Unsterblichen eine Verschwörung anzetteln, erheben wir uns, die Wächter, so wie wir es schon seit Jahrhunderten tun.«
»Verschwörung?«
Dixon nickte. »Ihr plant, die Menschheit auszulöschen und die Weltherrschaft zu übernehmen.«
Carrows Mund öffnete sich ungläubig. »Darum geht es hier also? Meine Götter, das ist einfach lächerlich! Wollt ihr ein Geheimnis erfahren? Es gibt keinen Plan, euch zu töten, weil ihr unserer Beachtung gar nicht wert seid!«
Igitt - fanatische Menschen! Manchmal hasste sie sie wirklich von ganzem Herzen.
»Wir wissen, dass ein Krieg zwischen uns bevorsteht«, widersprach Dixon. »Wenn wir euch nicht unter Kontrolle halten, werdet ihr uns alle vernichten.«
Carrow starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Langsam gefällt mir die Idee - vor allem wenn ich dann gegen Sterbliche wie euch kämpfen kann. Kapiert ihr das denn nicht? Menschliche Fanatiker sind viel größere Ungeheuer als jedes Mythenweltgeschöpf.«
»Größere Ungeheuer als die Libitinae?«
Die Libitinae zwangen Männer häufig, sich selbst zu kastrieren oder sich umzubringen. Nur so zum Spaß.
»Oder die Neoptera vielleicht?«, fuhr Dixon fort.
Insektenartige Humanoide - der Stoff, aus dem Albträume bestehen. Als Dixon Letztere erwähnte, versteifte sich Chase sogar noch mehr, und die Muskeln an seinen Kiefern traten hervor. Interessant.
Carrow beobachtete Chase, um ja keine Reaktion zu verpassen, als sie langsam antwortete. »Nein, ich muss zugeben, dass die Neoptera wirklich abartig sind. Sie töten ihre Beute nicht, sondern behalten sie und quälen sie Stunde um Stunde.«
Bildeten sich da etwa Schweißtropfen auf seiner Oberlippe? Wenn diese Kreaturen Chase in die Finger bekommen hatten ... Carrow wusste, was diese Wesen unter Spaß verstanden, was sie mit der Haut ihrer Opfer anstellten. Bei dem Gedanken drehte sich ihr der Magen um.
War das etwa der Grund, wieso Chase seinen Körper nahezu vollständig verhüllte? Aber wie war es möglich, dass er noch bei Verstand war? Oder war er das eben nicht mehr?
Die Gerüchteküche innerhalb des Gefängnisses brodelte, wenn es um diesen Mann ging. Offensichtlich hasste er jegliche Berührung und hatte sogar einmal einen Untergebenen umgehauen, der den Fehler begangen hatte, ihm auf die Schulter zu tippen.
Das würde die Handschuhe erklären.
Beinahe hätte sie einen Hauch Mitleid für ihn verspürt, bis er mit heiserer Stimme hervorstieß: »Die Hexe hält sich für etwas Besseres.«
Die Hexe spricht mit einem Wahnsinnigen. »Okay, offensichtlich kann man mit euch nicht mehr vernünftig reden, also kommen wir gleich zum springenden Punkt: Warum habt ihr mich gekidnappt?«
»Unser Ziel ist nicht nur, dich zu studieren«, antwortete Dixon, »sondern deine Existenz zu verbergen. Die meisten Unsterblichen bewegen sich unter dem Radar, während du dich hingegen vor den Menschen mit deiner Macht brüstest.«
Genau aus diesem Grund war Carrow schon wiederholt von ihrem Koven ermahnt worden. Aber sie benutzte ihre Kräfte niemals in Gegenwart nüchterner Menschen, wie sie nie müde wurde zu erklären. »Und warum habt ihr mich heute Nacht herbringen lassen?«
»Du wirst uns dabei helfen, einen vampirischen Dämon namens Malkom Slaine zu fangen.«
Heh. Ich wette zwanzig Riesen, dass ich das nicht tue. »Einen Vämon? Ihr glaubt wirklich, dass so was existiert?«, fragte sie unschuldig. Niemand in der Mythenwelt hatte die Existenz von Vämonen für möglich gehalten, und sie hatten immer als »wahrer Mythos« - Oxymoron, hallo? - gegolten, bis im letzten Jahr einer in New Orleans aufgetaucht war.
Er war unvorstellbar stark gewesen. So stark, dass er sogar eine ganze Gruppe wilder Walküren besiegt hatte, die nur mit viel Glück dem Tod entronnen waren. Beinahe wäre er von dem mächtigen König der Lykae vernichtet worden, und das auch nur, weil der Vämon die Gefährtin des Werwolfs bedroht hatte.
»Sie sind selten, aber wir wissen, dass einer existiert«, sagte Dixon. »Du wirst ihn aufsuchen und zu uns führen.«
»Ihr erwartet von mir, dass ich hier rausspaziere, und irgend so einen armen Trottel dazu bringe, in den sicheren Tod zu gehen?«
»Wir haben nicht vor, ihn zu töten«, sagte sie. »Wir wollen seine Schwächen erforschen ...«
»Und wie er entstanden ist, oder was?«
Dixon hob ihre Handflächen nach oben. »Wir sind in der Tat an den anormalen Wesen der Mythenwelt interessiert.« Anormal. Was für eine vornehme Ausdrucksweise.
»Er lebt in Oblivion, einer höllischen Dämonenebene.«
Die Dämonenebenen waren keine Paralleluniversen, sondern eigenständige, verborgene Territorien mit eigenen Klimaverhältnissen, Kulturen und Dämonarchien. Die meisten ihrer Gesellschaften waren feudal und altmodisch. Sie waren nicht unbedingt bekannt für ihre fortschrittlichen Technologien - oder auch Frauenrechte.
»Ich hab schon mal davon gehört«, sagte Carrow. Oblivion war ein Ödland, das einst als Gulag für kriminelle Mythianer benutzt wurde. Außerdem war es die frühere Heimat der trothianischen Dämonarchie, ehe die Vampire deren königliche Blutlinie unterbrochen hatten.
»Es ist uns gelungen, von inhaftierten trothianischen Dämonen einige Informationen über deine Zielperson zu sammeln.«
Carrow hob die Augenbrauen. »Ihr foltert sie, damit sie das Maul aufmachen?«
»Sie haben uns die Informationen nur zu gerne und aus freien Stücken gegeben. Er ist seinem eigenen Volk verhasst, eine Art schwarzes Schaf. Dir wird er sicher genauso wenig gefallen. Er ist ungebildet, schmutzig und brutal. Außerdem ist er schwer geistesgestört.«
»Du willst mir was von Geistesgestörten erzählen, wo du mit diesem Kerl da zusammenarbeitest?« Carrow zeigte mit dem Daumen auf Chase. Die Anspannung in seinen Schultern und seinem Nacken nahm noch weiter zu, wenn das überhaupt möglich war. »Weißt du was, Dix, das Ganze wirkt nicht gerade sehr überzeugend auf mich.«
Dixon schürzte die Lippen. »Um Erfolg zu haben, musst du genau wissen, womit du es zu tun hast.«
»Warum ich?«
»Du gehörst der Kaste der Zauberinnen an, und du bist attraktiv. Die Männer auf dieser Ebene haben vermutlich noch nie im Leben eine Frau wie dich gesehen.«
»Auf dieser Ebene? Ach, Schätzchen, sagen wir doch lieber in diesem Universum. Oh, und ganz gewiss in diesem Raum.«
»Wir wissen alles über dich«, fuhr Dixon sie an. Sie schien langsam die Geduld zu verlieren. »In deinen neunundvierzig Lebensjahren hast du immer wieder Dinge getan, die sehr mutig - und sehr dumm - waren. Also dürfte dies die perfekte Aufgabe für dich sein.«
Dagegen ließ sich nichts sagen. Und seit sie vor dreiundzwanzig Jahren endgültig unsterblich geworden war, war sie sogar noch tollkühner geworden. »Warum geht ihr denn nicht selber dorthin und holt ihn euch?«
»Er hat sich tief in die Minen eines Berges zurückgezogen und die wenigen Durchgänge mit Fallen gespickt. Er bewacht sein Reich unbarmherzig. Wenn wir ihn nicht ausschalten können, müssen wir ihn eben herauslocken.«
Und sie sollte dabei die Delilah spielen? Das glaube ich eher nicht. »Sosehr ich das Angebot auch zu schätzen weiß, euch bei eurer Vämonsuchaktion auszuhelfen, muss ich euch doch leider einen Korb geben.«
»Ist das dein letztes Wort?«, fragte Chase über die Schulter hinweg.
»Ja. Selbst wenn ich euch helfen wollte - Spezialoperationen sind einfach nicht mein Ding, mein Platz ist an der Frontlinie.« Innerhalb ihrer Spezies nahm sie die Position einer Generalin ein, die Armeen von Hexen anführte. »Wenn es sich um einen Kampf in irgendeiner Stadt handeln würde, könnten wir noch darüber reden, aber auf einer Höllenebene durch die Berge zu latschen, das liegt mir nicht so.« Carrow hasste die freie Natur - Palmenstrände ausgenommen.
»Wir hatten uns schon gedacht, dass du so reagieren könntest«, sagte Chase. Waren seine Pupillen geweitet? »Ich verfüge über etwas, das dir dabei helfen wird, die Dinge in der richtigen Perspektive zu betrachten.« Er ging zur Gegensprechanlage an der Wand und drückte einen Knopf.
Wieder öffnete sich diese verborgene Tür, und Fegley kam hereinspaziert. Aber er war nicht allein, sondern ein Mädchen lag bewusstlos und schlaff in seinen Armen. Ihr Gesicht war von einer Mähne langer schwarzer Haare verdeckt. Sie trug ein dunkles T-Shirt und Leggins, dazu ein aufgebauschtes Ballettröckchen und winzige Kampfstiefel.
Carrow überkam eine böse Vorahnung. Lasst es nicht Ruby sein. Sie warf Chase einen wütenden Blick zu. »Seit wann nehmt ihr jetzt schon Kinder gefangen?« Wie viele kleine Mädchen ziehen sich wohl so an?
Fegley grinste sie frech an. »Wenn eines von ihnen zwanzig Soldaten foltert und ermordet?« Dann warf er das Kind Carrow zu.
Sie machte einen Satz nach vorn, um es aufzufangen, und warf dem Mann noch einen bitterbösen Blick zu, ehe sie das Mädchen betrachtete. Bitte sei jemand anders.
Zischend sog Carrow die Luft ein. Ruby. Ein sieben Jahre altes Kind aus ihrem eigenen Koven, das mit ihr blutsverwandt war.
»Wo ist ihre Mutter?« Amanda, eine Hexe, die der Kriegerinnenkaste angehörte, hätte sich unter keinen Umständen von ihrem kleinen Mädchen trennen lassen. »Antworte mir, du Wurm!«
»Sie hat den Kopf verloren«, erwiderte Fegley höhnisch.
Amanda war tot? »Ich hatte sowieso vor, dich zu erledigen, Fegley«, brachte Carrow mit erstickter Stimme heraus. »Aber jetzt werde ich dafür sorgen, dass du ganz langsam krepierst.«
Fegley zuckte lediglich mit den Schultern und schlenderte wieder hinaus, sodass Carrow stumm vor Wut die Zähne zusammenbiss. Normalerweise könnte sie ihm mit einer einzigen Berührung einen tödlichen Stromschlag versetzen, und wenn ihr danach wäre, könnte sie ihn anschließend noch in ein Häufchen Staub verwandeln.
Sie kämpfte mit aller Kraft darum, ihre Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen, und wandte sich dem Kind zu, streichelte sein Gesicht. »Ruby, wach auf!«
Nichts.
»Sie steht nur unter Beruhigungsmitteln«, sagte Dixon.
Carrow zog das Mädchen noch enger an sich heran. Ihre Atemzüge und Herzschläge klangen regelmäßig. »Ruby, Süße, mach die Augen auf.« Dass sie sich ausgerechnet diese kleine Hexe geschnappt hatten...
Innerhalb des Kovens gab es sogenannte Tanda, Gruppen von Gleichaltrigen. Ruby gehörte zu der Gruppe der Babyhexen beziehungsweise zu einer »Gang«, wie sie sich selbst nannten. Ihre Gang war zwar eher mit den Kleinen Strolchen zu vergleichen als mit den Crisps oder Bloods, aber es war sehr niedlich.
Carrow und Mariketa nahmen sie oft mit in Süßigkeitenläden und stopften sie mit Zucker voll, ehe sie sie auf den Koven losließen. Sie stellten die Kleinen auf der Türschwelle ab, klingelten und rannten weg, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre, während sie vor Lachen Seitenstiche bekamen.
Carrow und Mariketa, oder auch Crow und Kettle - Krähe und Kessel -, so lauteten ihre Spitznahmen, waren die Lieblingstanten der Gang. Insgeheim war Ruby Carrows Liebling. Wie hätte es auch anders sein können? Ruby war furchtlos und schlau, ein wunderbares kleines Mädchen, das sich gerne als Punkballerina verkleidete.
Dixon legte die Stirn in Falten. »Sie könnte deine Tochter sein.«
Wie viele Hexen innerhalb eines Kovens waren auch Carrow und Ruby verwandt, wenn auch enger als gewöhnlich. Das Mädchen war ihre Cousine zweiten Grades und gehörte genau denselben drei Kasten an wie Carrow, wobei ihre Stärken als Kriegerin am besten zur Geltung kamen. Genau wie bei mir.
Rubys grüne Augen öffneten sich blinzelnd. »Crow?«
»Ich bin ja hier, mein Schatz.« Als Rubys Augen sich mit Tränen füllten, spürte Carrow einen Stich im Herzen. »Ich bin bei dir.«
Rubys Körper versteifte sich. »Mommy hat mir gesagt, ich soll sie nicht ... nicht umbringen«, rief sie mit wildem Blick, »aber ... aber als sie ihr wehgetan haben ... ist es einfach ... passiert.« Ihre Atmung wurde schnell und flach.
»Schhhh. Jetzt bist du in Sicherheit. Schön weiteratmen.« Wenn sich Ruby übermäßig aufregte, begann sie immer zu hyperventilieren. Manchmal fiel sie auch in Ohnmacht. »Es ist schon okay, alles wird wieder gut«, log Carrow, während sie sie wiegte. »Atme ruhig weiter.«
»Sie haben ihr mit einem Schwert den Kopf abgeschlagen!« Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig bei jedem Atemzug. »Ich hab gesehen, wie sie ... gestorben ist. Sie ist tot!« Rubys kleiner Körper erschlaffte wieder, und ihr Kopf sackte in den Nacken. Sie hatte das Bewusstsein verloren.
»Ruby! Oh ihr Götter!« Amanda war tatsächlich tot? Und Rubys Vater war von bösartigen Hexenmeistern ermordet worden, noch ehe sie überhaupt auf der Welt gewesen war.
Eine Waise.
Normalerweise machte man sich im Koven keine Gedanken über Patenschaften oder Sorgerecht. Unsterbliche mussten eigentlich nicht fürchten, dass ihre Kinder Waisen werden könnten, solange sie sich nicht aktiv im Krieg befanden. Aber wenn Amanda in die Schlacht gezogen wäre, hätte sie erwartet, dass ihre nächste Blutsverwandte im Koven sich um ihre Tochter kümmern würde.
Und das war Carrow, der Teufelsbraten im Haus der Hexen. Arme Ruby.
Auch wenn Carrow von ihren eigenen Eltern sehr herzlos behandelt worden war, würde sie das Richtige tun und die Verantwortung übernehmen. Sie betrachtete das kreidebleiche Gesicht des Mädchens mit ganz anderem Blick, mit dem bedeutungsschweren Gefühl einer gemeinsamen Zukunft.
Carrow besaß schon seit Langem ein ebenso einzigartiges wie merkwürdiges Talent: Sie spürte, wenn eine andere Person für alle Zeit zu einem Teil ihres Lebens wurde und ihrer beider Schicksale sich miteinander verbanden.
Ab diesem Moment würde es Carrow für immer nur noch im Doppelpack geben.
Aber sie war ja nicht mal fähig, sich selbst aus diesem Scheiß-loch zu befreien, geschweige denn ein Kind!
»Aktion und Reaktion«, sagte Chase. »Wenn du uns unsere Zielperson bringst, seid ihr frei - du und das Kind.« Obwohl er vor Anspannung geradezu summte, war seine Stimme monoton, sein Akzent kaum wahrnehmbar. »Wenn nicht, stirbt sie.«
Carrow erstarrte. Das Gesicht in Rubys Haar gedrückt, murmelte sie: »Ich werde dich bald nach Hause bringen, Baby.« Dann wandte sie sich Chase zu. »Werde ich meine Kräfte benutzen können?«
»Dein Wendelring wird während dieser Mission deaktiviert werden«, sagte er.
Doch selbst ohne den Wendelring würde Carrow im Moment nicht in der Lage sein, zu zaubern. Sie brauchte Volksmassen und Gelächter, die ihren Zaubersprüchen erst die nötige Macht verliehen. Hier im Kerker hatte sie sich vollkommen ausgesaugt gefühlt, so nutzlos wie ein leeres Bierfass.
»Du wirst morgen abreisen und sechs Tage lang in Oblivion bleiben«, fuhr Dixon fort, während Carrow noch wütend vor sich hinmurmelte. »Heute Abend werde ich dir dabei helfen, deine Ausrüstung zusammenzustellen. Es ist dir erlaubt, zu duschen, und wir werden dir ein Dossier über deine Zielperson zur Verfügung stellen.«
»Beinahe eine Woche in der Hölle? Wie zum Teufel soll ich überhaupt nach Oblivion kommen?«
»Deine Zellengenossin, die Zauberin Melanthe, die Königin der Überzeugungskünste, kann ein Portal erschaffen.«
Das stimmt. Lanthe besaß die Fähigkeit, Portale zu jedem nur denkbaren Ort zu schaffen.
»Wir werden ihren Wendelring einen Moment lang deaktivieren - natürlich unter Aufsicht des Sondereinsatzkommandos. Und selbstverständlich werden wir Ruby hierbehalten, um sicherzustellen, dass alles gemäß unseren Plänen abläuft.«
So viel zu ihrer Idee. »Ich will, dass auch Lanthe und Regin freigelassen werden.«
Dixon schüttelte den Kopf. »Unmöglich.«
Wenn sie Carrow tatsächlich freilassen würden, würde sie so schnell wie möglich zurückkehren und die beiden holen. »Ich will das Wort des Ordens, dass ihr mich und Ruby freilasst.«
»Das hast du«, erwiderte die Frau.
»Deins will ich nicht«, sagte Carrow verächtlich. »Ich will seins.«
Erneut wandte sich Chase zu ihr um. Nach kurzem Zögern nickte er einmal.
»Dann sind wir im Geschäft«, sagte Carrow.
Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als ob sie ihm soeben den Beweis für eine seiner Theorien geliefert hätte. »Hast du denn gar keine Gewissensbisse, wenn du einen Angehörigen deiner eigenen Spezies verrätst?«
»Ein Dämon ist kein Angehöriger meiner Spezies«, fuhr Carrow ihn an. »Das klingt ja, als ob du uns für Tiere hältst.«
Ohne einen weiteren Blick auf sie oder das Mädchen verließ er den Raum. Seine letzten Worte waren: »Aber genau das seid ihr.«
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Autoren-Porträt von Kresley Cole
Nach einer Karriere als Athletin und Trainerin veröffentlichte Kresley Cole 2003 ihren ersten Roman und ist seither eine der international erfolgreichsten Autorinnen historischer und fantastischer Liebesromane.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kresley Cole
- 2012, 1. Aufl., 480 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Bettina Oder
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802588789
- ISBN-13: 9783802588785
- Erscheinungsdatum: 08.10.2012
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