Tiere essen
'Tiere essen' ist ein leidenschaftliches Buch über die Frage, was wir essen und warum. Als Jonathan Safran Foer Vater wurde, bekamen seine Fragen eine neue Dringlichkeit: Warum essen wir Tiere? Würden wir sie auch essen, wenn wir wüssten, wo...
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Produktinformationen zu „Tiere essen “
'Tiere essen' ist ein leidenschaftliches Buch über die Frage, was wir essen und warum. Als Jonathan Safran Foer Vater wurde, bekamen seine Fragen eine neue Dringlichkeit: Warum essen wir Tiere? Würden wir sie auch essen, wenn wir wüssten, wo sie herkommen? Foer stürzt sich mit Leib und Seele in sein Thema. Er recherchiert auf eigene Faust, bricht nachts in Tierfarmen ein, konsultiert einschlägige Studien und spricht mit zahlreichen Akteuren und Experten. Vor allem aber geht er der Frage auf den Grund, was Essen für den Menschen bedeutet.
Klappentext zu „Tiere essen “
'Tiere essen' ist ein leidenschaftliches Buch über die Frage, was wir essen und warum. Als Jonathan Safran Foer Vater wurde, bekamen seine Fragen eine neue Dringlichkeit: Warum essen wir Tiere? Würden wir sie auch essen, wenn wir wüssten, wo sie herkommen?Foer stürzt sich mit Leib und Seele in sein Thema. Er recherchiert auf eigene Faust, bricht nachts in Tierfarmen ein, konsultiert einschlägige Studien und spricht mit zahlreichen Akteuren und Experten. Vor allem aber geht er der Frage auf den Grund, was Essen für den Menschen bedeutet.
Lese-Probe zu „Tiere essen “
Tiere essen von Jonathan Safran FoerDie Früchte von Stammbäumen
Als ich klein war, verbrachte ich das Wochenende oft bei meiner Großmutter. Wenn ich freitagabends ankam, hob sie mich vom Boden hoch und drückte mich so fest, dass mir fast die Luft wegblieb. Und wenn ich am Sonntagnachmittag fuhr, wurde ich wieder in die Luft gehievt. Erst Jahre später wurde mir klar, dass sie mein Gewicht kontrollierte.
Meine Großmutter überlebte den Krieg, weil sie barfuß in den Abfällen anderer Leute nach Nahrung suchte: nach vergammelten Kartoffeln, weggeworfenen Fleischstücken, Schalen und den Resten, die an Knochen und Obstkernen hingen. Deshalb störte es sie nie, wenn ich über die Ränder malte, solange ich nur Gutscheine entlang den gestrichelten Linien ausschnitt. Wenn wir uns am Hotelfrühstück labten, schmierte sie ein Sandwich ums andere, wickelte sie in Servietten und verstaute sie als Mittagessen in ihrer Tasche. Von meiner Großmutter lernte ich, dass ein Teebeutel so viele Tassen Tee ergibt, wie man braucht, und dass alles am Apfel essbar ist.
Um Geld ging es dabei nicht. (Viele der von mir ausgeschnittenen Gutscheine waren für Lebensmittel, die sie nie kaufte.)
Um Gesundheit ging es dabei auch nicht. (Sie wollte immer, dass ich Cola trinke.)
Meine Großmutter deckte nie für sich auf, wenn die ganze Familie zusammen aß. Selbst wenn es nichts mehr zu tun gab - keine Suppe mehr verteilt, kein Topf mehr gerührt und kein Herd im Auge behalten werden musste -, blieb sie wie ein Wachposten (oder eine Gefangene) in der Küche. Für mich sah es so aus, als ob sie schon vom Zubereiten der Speisen satt würde und deshalb nicht mehr essen musste.
... mehr
In den Wäldern Europas aß sie, um lange genug am Leben zu bleiben, bis sie wieder Gelegenheit hatte zu essen, um am Leben zu bleiben. 50 Jahre später in Amerika aßen wir alles, was uns schmeckte. Unsere Schränke waren voll mit nach Lust und Laune gekauften Lebensmitteln, überteuerte Feinschmeckerkost, Essen, das wir nicht brauchten. Und wenn das Verfallsdatum abgelaufen war, warfen wir es weg, ohne daran zu riechen. Essen war etwas Sorgenfreies. Meine Großmutter hatte uns dieses Leben ermöglicht. Sie selbst konnte die Verzweiflung allerdings nicht abschütteln.
Als Kinder hielten meine Brüder und ich unsere Großmutter für die tollste Köchin aller Zeiten. Wir sagten es ihr, wenn das Essen auf den Tisch kam, und wieder nach dem ersten Bissen, und noch einmal am Ende: »Du bist die tollste Köchin aller Zeiten.« Dabei waren wir klug genug, um zu wissen, dass die tollste Köchin aller Zeiten vermutlich mehr als nur ein Rezept (Hühnchen mit Möhren) beherrschen sollte und dass zu den meisten tollen Rezepten mehr als zwei Zutaten gehörten.
Und warum fragten wir nicht nach, als sie uns sagte, dass dunkle Lebensmittel grundsätzlich gesünder seien als helle oder dass sich die meisten Nährstoffe in der Schale oder Kruste befänden? (Die Sandwiches bei unseren Wochenendbesuchen bestanden aus aufbewahrten Pumpernickelenden.) Sie brachte uns bei, dass Tiere, die größer sind als wir, sehr gut für uns sind, Tiere, die kleiner sind als wir, auch gut für uns sind, dann kommen Fische (die keine Tiere sind), dann Thunfisch (der kein Fisch ist), dann Gemüse, Obst, Kuchen, Kekse und Limonade. Kein Nahrungsmittel schadet. Fette sind gesund - alle Fette, immer, in jeder Menge. Zucker ist sehr gesund. Je dicker ein Kind, umso gesünder - vor allem, wenn es ein Junge ist. Das Mittagessen besteht nicht aus einer, sondern aus drei Mahlzeiten, die um 11.00, 12.30 und 15.00 Uhr gegessen werden. Hunger hat man immer.
Ihr Hühnchen mit Möhren gehört vermutlich wirklich zum Köstlichsten, was ich je gegessen habe. Doch das hatte nichts mit der Art der Zubereitung zu tun oder gar damit, wie es schmeckte. Ihr Essen war köstlich, weil wir glaubten, dass es köstlich war. Wir glaubten glühender an die Kochkünste unserer Großmutter als an Gott. Ihr kulinarisches Können war eine unserer frühesten Geschichten, genau wie die Schläue des Großvaters, den ich nie kennengelernt hatte, oder der einzige Streit in der Ehe meiner Eltern. Wir hielten an diesen Geschichten fest und brauchten sie, um uns zu definieren. Wir waren eine Familie, die sich ihre Kämpfe mit Bedacht aussuchte, die sich mit Geschick aus der Klemme zog und die das Essen ihrer Matriarchin liebte.
Es war einmal eine Person, deren Leben war so gut, dass sich darüber keine Geschichte erzählen ließ. Über meine Großmutter könnte ich mehr Geschichten erzählen als über jeden anderen Menschen, den ich kenne - ihre weltferne Kindheit, ihr knappes Überleben, der alles umfassende Verlust, ihre Immigration in die USA und noch mehr Verlust, der Triumph und die Tragödie ihrer Assimilation -, und auch wenn ich eines Tages versuchen werde, all diese Geschichten meinen Kindern zu erzählen, haben wir sie uns untereinander nie erzählt. Ebenso wenig, wie wir meine Großmutter so angeredet haben, wie es naheliegend und passend gewesen wäre. Wir nannten sie die tollste Köchin.
Ihre anderen Geschichten waren vielleicht zu schwer, um erzählt zu werden. Oder vielleicht hatte sie ihre Geschichte so gewählt, weil sie die Versorgerin und nicht die Überlebende sein wollte. Oder vielleicht beinhaltet ihr Versorgen auch ihr Überleben: Die Geschichte ihrer Beziehung zu Essen umfasst alle anderen Geschichten, die sich über sie erzählen ließen. Für sie ist Essen nicht gleich Essen, sondern Schrecken, Würde, Dankbarkeit, Rache, Fröhlichkeit, Demütigung, Religion, Geschichte und natürlich Liebe. Als wären die Früchte, die sie uns immer anbot, von den zerstörten Ästen unseres Stammbaums gepflückt.
Wieder möglich
Als ich erfuhr, dass ich Vater werde, regten sich unerwartete Impulse in mir. Ich fing an, das Haus aufzuräumen, tauschte längst kaputte Glühbirnen aus, putzte Fenster und ordnete Papiere. Ich ließ meine Brille richten, kaufte mir ein Dutzend Paar weiße Socken, montierte einen Dachgepäckträger aufs Auto und innen ein Trenngitter für den Hund, ließ mich zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder gründlich untersuchen ... und beschloss, ein Buch über das Essen von Tieren zu schreiben.
Meine Vaterschaft war der unmittelbare Anstoß für die Reise, die dieses Buch werden sollte, aber die Koffer dafür hatte ich schon fast mein ganzes Leben lang gepackt. Als ich zwei war, waren alle Helden in meinen Gutenachtgeschichten Tiere. Als ich vier war, hüteten wir einen Sommer lang den Hund eines Cousins. Ich trat ihn. Mein Vater erklärte mir, dass man Hunde nicht tritt. Als ich sieben war, betrauerte ich den Tod meines Goldfischs. Ich erfuhr, dass mein Vater ihn die Toilette hinuntergespült hatte. Ich erklärte ihm - mit anderen, weniger höflichen Worten -, dass man Fische nicht die Toilette hinunterspült. Als ich neun war, hatte ich eine Babysitterin, die niemandem wehtun wollte. Sie sagte das einfach so, als ich sie fragte, ob sie nicht mit meinem älteren Bruder und mir Hühnchen essen wollte: »Ich möchte niemandem wehtun.«
»Wehtun?«, fragte ich.
»Du weißt doch, ein Huhn ist ein Huhn, oder?«
Frank warf mir einen Blick zu: Und dieser dummen Frau vertrauen Mum und Dad ihren kostbaren Nachwuchs an?
Ob sie uns bekehren wollte, sei dahingestellt - nur weil Vegetarier sich bei Gesprächen über Fleisch leicht in die Enge gedrängt fühlen, müssen sie nicht alle Missionare sein. Aber da sie ein Teenager war, nahm sie kein Blatt vor den Mund, was sonst oft verhindert, dass etwas so erzählt wird, wie es wirklich ist. Sie sagte ohne Umschweife, was sie wusste.
Mein Bruder und ich sahen uns an, den Mund voll mit Hühnchen, dem wir wehtaten, und dachten beide gleichzeitig: Wie kommt es, dass ich daran noch nie gedacht habe, und warum hat mir das noch nie jemand gesagt? Ich legte meine Gabel auf den Tisch. Frank aß alles auf und isst vermutlich gerade ein Hühnchen, während ich diese Zeilen schreibe.
Was unsere Babysitterin sagte, leuchtete mir nicht nur ein, weil es richtig schien, sondern weil es alles, was meine Eltern mir beigebracht hatten, auf Essen übertrug. Wir tun Familienangehörigen nicht weh. Wir tun Freunden oder Fremden nicht weh. Wir tun nicht einmal Polstermöbeln weh. Nur weil ich nicht daran gedacht hatte, Tiere in diese Liste aufzunehmen, hieß dies nicht, dass sie davon ausgenommen waren. Es hieß nur, dass ich ein Kind war, das nicht wusste, wie die Welt funktioniert. Bis ich es dann wusste. An diesem Punkt musste ich mein Leben ändern.
Und änderte es nicht. Mein anfangs so vehementer und unnachgiebiger Vegetarismus dauerte ein paar Jahre, flackerte auf und verging dann leise. Ich hatte dem Grundsatz unserer Babysitterin nichts entgegenzusetzen, aber ich fand Wege, ihn zu verwischen, herunterzuspielen und zu vergessen. Eigentlich verursachte ich ja kein Leid. Eigentlich bemühte ich mich, das Richtige zu tun. Eigentlich hatte ich ein reines Gewissen. Gib mir das Hühnchen, ich sterbe vor Hunger.
Mark Twain sagte, das Rauchen aufzugeben sei eine der leichtesten Übungen, er täte es ständig. Ich würde auch den Vegetarismus auf die Liste der leichten Übungen setzen. Während meiner Highschoolzeit wurde ich öfter Vegetarier, als ich mich heute erinnern kann, meistens, um mich abzugrenzen in einer Welt voller Menschen, denen eine Identität offenbar mühelos zuflog. Ich wollte ein Motto, das ich vor mir hertragen konnte, ein Thema, um die peinliche halbstündige Schulpause zu überbrücken, eine Gelegenheit, um den Brüsten von Aktivistinnen näher zu kommen. (Und ich fand es immer noch falsch, Tieren wehzutun.) Was mich nicht davon abhielt, Fleisch zu essen. Nur in der Öffentlichkeit hielt es mich davon ab. Zu Hause ging es weiter hin und her. Viele Abendessen in jenen Jahren begannen mit der Frage meines Vaters: »Gibt es heute irgendwelche kulinarischen Einschränkungen, von denen ich wissen sollte?«
Am College begann ich, viel Fleisch zu essen. Nicht, dass ich davon überzeugt war - was immer das bedeutete -, aber ich verbannte die Zweifel bewusst aus meinem Kopf. Ich hatte keine Lust, mich über ein Thema zu definieren. Und da mich in meinem Umfeld niemand als Vegetarier kannte, musste ich in der Öffentlichkeit nicht so tun als ob oder eine veränderte Haltung erklären.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
In den Wäldern Europas aß sie, um lange genug am Leben zu bleiben, bis sie wieder Gelegenheit hatte zu essen, um am Leben zu bleiben. 50 Jahre später in Amerika aßen wir alles, was uns schmeckte. Unsere Schränke waren voll mit nach Lust und Laune gekauften Lebensmitteln, überteuerte Feinschmeckerkost, Essen, das wir nicht brauchten. Und wenn das Verfallsdatum abgelaufen war, warfen wir es weg, ohne daran zu riechen. Essen war etwas Sorgenfreies. Meine Großmutter hatte uns dieses Leben ermöglicht. Sie selbst konnte die Verzweiflung allerdings nicht abschütteln.
Als Kinder hielten meine Brüder und ich unsere Großmutter für die tollste Köchin aller Zeiten. Wir sagten es ihr, wenn das Essen auf den Tisch kam, und wieder nach dem ersten Bissen, und noch einmal am Ende: »Du bist die tollste Köchin aller Zeiten.« Dabei waren wir klug genug, um zu wissen, dass die tollste Köchin aller Zeiten vermutlich mehr als nur ein Rezept (Hühnchen mit Möhren) beherrschen sollte und dass zu den meisten tollen Rezepten mehr als zwei Zutaten gehörten.
Und warum fragten wir nicht nach, als sie uns sagte, dass dunkle Lebensmittel grundsätzlich gesünder seien als helle oder dass sich die meisten Nährstoffe in der Schale oder Kruste befänden? (Die Sandwiches bei unseren Wochenendbesuchen bestanden aus aufbewahrten Pumpernickelenden.) Sie brachte uns bei, dass Tiere, die größer sind als wir, sehr gut für uns sind, Tiere, die kleiner sind als wir, auch gut für uns sind, dann kommen Fische (die keine Tiere sind), dann Thunfisch (der kein Fisch ist), dann Gemüse, Obst, Kuchen, Kekse und Limonade. Kein Nahrungsmittel schadet. Fette sind gesund - alle Fette, immer, in jeder Menge. Zucker ist sehr gesund. Je dicker ein Kind, umso gesünder - vor allem, wenn es ein Junge ist. Das Mittagessen besteht nicht aus einer, sondern aus drei Mahlzeiten, die um 11.00, 12.30 und 15.00 Uhr gegessen werden. Hunger hat man immer.
Ihr Hühnchen mit Möhren gehört vermutlich wirklich zum Köstlichsten, was ich je gegessen habe. Doch das hatte nichts mit der Art der Zubereitung zu tun oder gar damit, wie es schmeckte. Ihr Essen war köstlich, weil wir glaubten, dass es köstlich war. Wir glaubten glühender an die Kochkünste unserer Großmutter als an Gott. Ihr kulinarisches Können war eine unserer frühesten Geschichten, genau wie die Schläue des Großvaters, den ich nie kennengelernt hatte, oder der einzige Streit in der Ehe meiner Eltern. Wir hielten an diesen Geschichten fest und brauchten sie, um uns zu definieren. Wir waren eine Familie, die sich ihre Kämpfe mit Bedacht aussuchte, die sich mit Geschick aus der Klemme zog und die das Essen ihrer Matriarchin liebte.
Es war einmal eine Person, deren Leben war so gut, dass sich darüber keine Geschichte erzählen ließ. Über meine Großmutter könnte ich mehr Geschichten erzählen als über jeden anderen Menschen, den ich kenne - ihre weltferne Kindheit, ihr knappes Überleben, der alles umfassende Verlust, ihre Immigration in die USA und noch mehr Verlust, der Triumph und die Tragödie ihrer Assimilation -, und auch wenn ich eines Tages versuchen werde, all diese Geschichten meinen Kindern zu erzählen, haben wir sie uns untereinander nie erzählt. Ebenso wenig, wie wir meine Großmutter so angeredet haben, wie es naheliegend und passend gewesen wäre. Wir nannten sie die tollste Köchin.
Ihre anderen Geschichten waren vielleicht zu schwer, um erzählt zu werden. Oder vielleicht hatte sie ihre Geschichte so gewählt, weil sie die Versorgerin und nicht die Überlebende sein wollte. Oder vielleicht beinhaltet ihr Versorgen auch ihr Überleben: Die Geschichte ihrer Beziehung zu Essen umfasst alle anderen Geschichten, die sich über sie erzählen ließen. Für sie ist Essen nicht gleich Essen, sondern Schrecken, Würde, Dankbarkeit, Rache, Fröhlichkeit, Demütigung, Religion, Geschichte und natürlich Liebe. Als wären die Früchte, die sie uns immer anbot, von den zerstörten Ästen unseres Stammbaums gepflückt.
Wieder möglich
Als ich erfuhr, dass ich Vater werde, regten sich unerwartete Impulse in mir. Ich fing an, das Haus aufzuräumen, tauschte längst kaputte Glühbirnen aus, putzte Fenster und ordnete Papiere. Ich ließ meine Brille richten, kaufte mir ein Dutzend Paar weiße Socken, montierte einen Dachgepäckträger aufs Auto und innen ein Trenngitter für den Hund, ließ mich zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder gründlich untersuchen ... und beschloss, ein Buch über das Essen von Tieren zu schreiben.
Meine Vaterschaft war der unmittelbare Anstoß für die Reise, die dieses Buch werden sollte, aber die Koffer dafür hatte ich schon fast mein ganzes Leben lang gepackt. Als ich zwei war, waren alle Helden in meinen Gutenachtgeschichten Tiere. Als ich vier war, hüteten wir einen Sommer lang den Hund eines Cousins. Ich trat ihn. Mein Vater erklärte mir, dass man Hunde nicht tritt. Als ich sieben war, betrauerte ich den Tod meines Goldfischs. Ich erfuhr, dass mein Vater ihn die Toilette hinuntergespült hatte. Ich erklärte ihm - mit anderen, weniger höflichen Worten -, dass man Fische nicht die Toilette hinunterspült. Als ich neun war, hatte ich eine Babysitterin, die niemandem wehtun wollte. Sie sagte das einfach so, als ich sie fragte, ob sie nicht mit meinem älteren Bruder und mir Hühnchen essen wollte: »Ich möchte niemandem wehtun.«
»Wehtun?«, fragte ich.
»Du weißt doch, ein Huhn ist ein Huhn, oder?«
Frank warf mir einen Blick zu: Und dieser dummen Frau vertrauen Mum und Dad ihren kostbaren Nachwuchs an?
Ob sie uns bekehren wollte, sei dahingestellt - nur weil Vegetarier sich bei Gesprächen über Fleisch leicht in die Enge gedrängt fühlen, müssen sie nicht alle Missionare sein. Aber da sie ein Teenager war, nahm sie kein Blatt vor den Mund, was sonst oft verhindert, dass etwas so erzählt wird, wie es wirklich ist. Sie sagte ohne Umschweife, was sie wusste.
Mein Bruder und ich sahen uns an, den Mund voll mit Hühnchen, dem wir wehtaten, und dachten beide gleichzeitig: Wie kommt es, dass ich daran noch nie gedacht habe, und warum hat mir das noch nie jemand gesagt? Ich legte meine Gabel auf den Tisch. Frank aß alles auf und isst vermutlich gerade ein Hühnchen, während ich diese Zeilen schreibe.
Was unsere Babysitterin sagte, leuchtete mir nicht nur ein, weil es richtig schien, sondern weil es alles, was meine Eltern mir beigebracht hatten, auf Essen übertrug. Wir tun Familienangehörigen nicht weh. Wir tun Freunden oder Fremden nicht weh. Wir tun nicht einmal Polstermöbeln weh. Nur weil ich nicht daran gedacht hatte, Tiere in diese Liste aufzunehmen, hieß dies nicht, dass sie davon ausgenommen waren. Es hieß nur, dass ich ein Kind war, das nicht wusste, wie die Welt funktioniert. Bis ich es dann wusste. An diesem Punkt musste ich mein Leben ändern.
Und änderte es nicht. Mein anfangs so vehementer und unnachgiebiger Vegetarismus dauerte ein paar Jahre, flackerte auf und verging dann leise. Ich hatte dem Grundsatz unserer Babysitterin nichts entgegenzusetzen, aber ich fand Wege, ihn zu verwischen, herunterzuspielen und zu vergessen. Eigentlich verursachte ich ja kein Leid. Eigentlich bemühte ich mich, das Richtige zu tun. Eigentlich hatte ich ein reines Gewissen. Gib mir das Hühnchen, ich sterbe vor Hunger.
Mark Twain sagte, das Rauchen aufzugeben sei eine der leichtesten Übungen, er täte es ständig. Ich würde auch den Vegetarismus auf die Liste der leichten Übungen setzen. Während meiner Highschoolzeit wurde ich öfter Vegetarier, als ich mich heute erinnern kann, meistens, um mich abzugrenzen in einer Welt voller Menschen, denen eine Identität offenbar mühelos zuflog. Ich wollte ein Motto, das ich vor mir hertragen konnte, ein Thema, um die peinliche halbstündige Schulpause zu überbrücken, eine Gelegenheit, um den Brüsten von Aktivistinnen näher zu kommen. (Und ich fand es immer noch falsch, Tieren wehzutun.) Was mich nicht davon abhielt, Fleisch zu essen. Nur in der Öffentlichkeit hielt es mich davon ab. Zu Hause ging es weiter hin und her. Viele Abendessen in jenen Jahren begannen mit der Frage meines Vaters: »Gibt es heute irgendwelche kulinarischen Einschränkungen, von denen ich wissen sollte?«
Am College begann ich, viel Fleisch zu essen. Nicht, dass ich davon überzeugt war - was immer das bedeutete -, aber ich verbannte die Zweifel bewusst aus meinem Kopf. Ich hatte keine Lust, mich über ein Thema zu definieren. Und da mich in meinem Umfeld niemand als Vegetarier kannte, musste ich in der Öffentlichkeit nicht so tun als ob oder eine veränderte Haltung erklären.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Jonathan Safran Foer
Jonathan Safran Foer wurde 1977 geboren und studierte in Princeton Philosophie und Literatur. Seine ersten beiden Romane »Alles ist erleuchtet« und »Extrem laut und unglaublich nah« waren sensationelle Erfolge. Sie wurden mehrfach ausgezeichnet und in 38 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschienen sein Roman »Hier bin ich« (2016) sowie das Sachbuch »Wir sind das Klima!« (2019). Foer gilt als einer der bedeutendsten amerikanischen Gegenwartsautoren. Er lebt in New York. Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Sie lebt in Hamburg und arbeitet als Übersetzerin u.a. von Jane Gardam, Jonathan Safran Foer, Nick Hornby und als Autorin und Herausgeberin. 2011 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für Literatur, 2006 den für literarische Übersetzung. 2014 wurde sie zusammen mit Maximilian Buddenbohm zur Bloggerin des Jahres gewählt (wasmachendieda.de). Brigitte Jakobeit, Jahrgang 1955, lebt in Hamburg und übersetzt seit 1990 englischsprachige Literatur, darunter die Autobiographien von Miles Davis und Milos Forman sowie Bücher von John Boyne, Paula Fox, Alistair MacLeod, Audrey Niffenegger, J. R. Moehringer und Jonathan Safran Foer.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jonathan Safran Foer
- 2013, 3. Aufl., 576 Seiten, Maße: 9,3 x 14,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Isabel Bogdan, Ingo Herzke, Brigitte Jakobeit
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596512859
- ISBN-13: 9783596512850
- Erscheinungsdatum: 15.05.2013
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