Tod auf der Warteliste / Proteo Laurenti Bd.3
Der Commissario hat andere Sorgen: Beim Gipfeltreffen hat die...
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Der Commissario hat andere Sorgen: Beim Gipfeltreffen hat die Limousine des deutschen Kanzlers einen Mann überrollt. Kurz darauf wird die Leiche eines Arztes der Beauty-Klinik gefunden.
Veit Heinichen, geboren 1957, lebt in Triest. Bevor er sich dem Schreiben widmete, war er selbst Verleger.
Laurenti muss ein Geflecht aus Protektion, Korruption, Denunziation, Mord und Totschlag entwirren. Alle Fäden scheinen in der Klinik auf dem Karst zusammenzulaufen ...
Tod aufder Warteliste von VeitHeinichen
LESEPROBE
Kommando Pharao
Sein Lieblingsplatz war ein alter, gepolsterter Lehnstuhl voreinem niedrigen, runden Tischlein aus Nußwurzelholz, das aus der Einrichtungder Luxuskabine eines alten Überseedampfers stammte. Durch das Fenster nachOsten schaute er auf die Weinberge seiner Nachbarn, die dort die alteneinheimischen Rebsorten Vitovska, Malvasia und Glera anbauten. Und auf dieBahnlinie, die weiter oben verlief. Das andere Fenster öffnete den Blick nachSüden über das Meer. Hier konnte er stundenlang sitzen, egal, ob er über seinenUnterlagen brütete, las oder einfach nur Musik hörte und nachdachte. Das Haushoch über dem Golf von Triest hatten Matilde und er vor drei Jahren gekauftund renovieren lassen.
Kapitänshaus, hatte sie es genannt.
Möwennest! Sein Einwand brachte sie zum Lachen. »Als wennMöwen Nester hätten«, spottete sie. »Möwen sitzen auf dem Meer oder fliegen.«
»Und wohin legen sie ihre Eier?«
»Spielverderber!«
Daran mußte Ramses gerade denken. Das war bei ihrem Einzuggewesen, als das Haus endlich fertig war, an Ostern 1998. Demnächst, anMatildes zweitem Todestag, würde er endlich zuschlagen. In der Pause zwischendem fünften und sechsten Satz des Stabat Mater von Scarlatti, das er in letzterZeit fast ununterbrochen hörte, vernahm er ein Knacksen, das nicht vom Feuerkam. Er hielt den Atem an, legte die Zigarette in den Aschenbecher und warteteeinen Augenblick. Dann schaltete er die Musik aus, stand auf und machte dasgroße Licht im Raum an. Er glaubte Schritte zu hören, die sich rasch auf demWeg entfernten,
der das Grundstück vom Weinberg trennte. Bisher war noch keinMensch, der nicht erwartet wurde, über diesen Pfad zum Haus gekommen. DasMöwennest lag so versteckt, daß mit unangenehmen Besuchern kaum zu rechnen war:Für Einbrecher konnte es nicht von besonderem Reiz sein, mögliches Diebesgutmehrere hundert Meter über das steile Gelände zur Straße hinabzuschleppen.
Matilde stand im Garten einmal einem Luchs gegenüber undkonnte nicht sagen, wer von beiden sich mehr erschreckt hatte. Fasane,Eichhörnchen, Elstern und Möwen und manchmal ein Fuchs zählten zu denBesuchern. Im Sommer kamen frühmorgens sogar Rehe vom ausgetrockneten Karstherab, um ihren Durst an den üppigen Reben zu stillen. Aber das waren andereGeräusche.
Ramses schaltete die Außenbeleuchtung an und trat auf dieTerrasse hinaus, ging einmal ums Haus und überprüfte das hintere Gartentor. Eswar wie immer mit einer starken Kette und einem Vorhängeschloß versperrt. KeineSpuren, kein Geräusch. Er ging in den Salon zurück und steckte eine neueZigarette an, fütterte das Kaminfeuer mit zwei Scheiten Holz, setzte sich inden Sessel und grübelte. Wer sollte kurz vor Mitternacht hierherkommen? Indiesem Moment sah er durch das Fenster nach Osten, wie ein Auto imRückwärtsgang sich rasant auf der engen Via del Pucino entfernte, die parallelzur Bahnlinie lief. Die Rückfahr-Scheinwerfer waren die einzigen Lichter, dieer sehen konnte. Vielleicht doch ein Einbrecher auf Beutezug? Ramsesschüttelte den Kopf. Unwahrscheinlich. Oder waren sie ihm doch auf die Schlichegekommen? Trotz all seiner Verkleidungs- und Verstellungskünste?Ausgeschlossen. Wo es möglich war, hatte er die Ermittlungen unter anderem Namengeführt und war sowenig wie möglich selbst in Erscheinung getreten. Bei allemVersteckspiel jedoch konnte er eines nicht verändern: seine auffallendeKörpergröße.
Es war für Romani ein leichtes gewesen, anhand der Autokennzeichen,die der Arzt notiert hatte, die Personalien des Fahrers zu ermitteln. DieAutoverleiher machten keine Probleme in Sachen Datenschutz, als ein gefälligerPolizist in seinem Auftrag dort anrief. Schnell war klar, um wen es sichhandelte. Die Suchmaschine im Internet spuckte bei dem seltsamen Namen fastdreitausend Einträge aus. Ein Journalist, der in den letzten Jahren oft vonsich reden machte. Enthüllungen über die Korruptionsskandale im Elysee-Palaststanden auf seinem Konto, der Sturz eines Schweizer Bundesrats ebenfalls, undauch die Aufdeckung der Kollaborateursvermögen, die seit 1945 unangetastetgeblieben waren, wies seine Handschrift auf. Er saß im Vorstand einerangesehenen internationalen JournalistenVereinigung und hatte in verschiedenenLändern Vorträge gehalten: »Das Ende der Legitimität - Grenzen des investigativenJounalismus« hieß einer, »Weitermachen oder nicht? Rechtfertigt das öffentlicheInteresse illegale Methoden des Rechercheurs?« ein anderer, oder: »Pressefreiheitund Privacy - Die Pflicht zur Veröffentlichung als Grundrecht derMeinungsfreiheit und der Demokratie«. Romani notierte sich die Titel. Alsletzte große Geschichte, die internationales Aufsehen erregte, hatte derJournalist vor drei Jahren explosive Hintergründe über die sogenannteChina-Route nach Belgrad geliefert, die unter Milosevic zum Hauptschleuserwegnach Westeuropa ausgebaut worden war und über die die Behörden anscheinend nichtdie Hälfte wußten. Man hatte ihn sogar vor einen Ausschuß der neuen europäischenPolizeibehörde geladen. Danach war es still geworden. Die Vermutung lag auf derHand, daß er eine neue Fährte aufgenommen hatte. Der Mann war gefährlich, daserkannte Romani sofort.
Sie hatten ihn ein paar Tage lang beobachtet und schließlichPetrovac in dieser Angelegenheit konsultiert. Es war klar, daß dieserJournalist ihnen gefährlich werden
konnte, wenn er wirklich seine Nase in die Angelegenheitender Klinik steckte. »Zero tolerance«, hatte Petrovac befohlen. »Kein Risikoeingehen. Warum warten, bis Beweise vorliegen? Wir sind schließlich nicht beiGericht.«
Sobald sie seine Lebensgewohnheiten ausgeforscht hatten,sollten die beiden Albaner zuschlagen. Es konnte nicht schwer sein, dennLorenzo Ramses Frei verbrachte die Abende gewöhnlich allein in seinem Haus, dasfernab der Nachbarschaft stand. Ein Feuer dort oben über der Straße wäre nichtzu löschen. Und daß dies niemand überleben könnte, war klar.
© 2003 Paul Zsolnay Verlag, Wien
Autoren-Porträtvon VeitHeinichen
Veit Heinichen, geboren 1957, arbeitete als Buchhändlerund für verschiedene Verlage. 1994 war er Mitbegründer des Berlin Verlags undbis 1999 dessen Geschäftsführer. Er kam 1980 zum ersten Mal nach Triest, wo erheute lebt.
Interview mit Veit Heinichen
"Tod auf der Warteliste"ist bereits der dritte Fall für Proteo Laurenti. Wie sind Sie zu der Figur des Commissariogekommen? Was reizt Sie an ihm, was macht ihn so besonders?
Proteo Laurenti ist 1999 entstanden. Lange Jahre habe ich auspersönlichen Gründen sehr weitgehende Recherchen in Europa durch geführt. ZweiThemen lagen mir damals am Herzen, die nach wie vor brennend sind: internationaleKorruption und der Handel mit Menschen. Letzteres ist ein Delikt, bei dem der Umsatzweltweit seit einigen Jahren den im Drogenhandel deutlich übertrifft. Und beideBereiche hängen in mehrerlei Hinsicht zusammen. Meine Recherchen erstrecktensich in alle betroffenen Bereiche: Täter, Ermittler, Opfer. Mit der Zeit ergabsich eine solche Fülle an konkretem Wissen, so dass es unbedingt einenglaubwürdigen Protagonisten brauchte, der all dies wissen konnte. Am Ende blieblediglich die Rolle des Ermittlers.
Proteo Laurenti hat dieklassische Karriere eines italienischen Polizisten in höherer Laufbahn hintersich gebracht. Geboren im Süden, Versetzungen in den Norden, vom Westen in denOsten, bis er irgendwann in Triest hängen blieb, wo er inzwischen seit 25Jahren Dienst tut. Er ist ein gewissenhafter Mensch mit etlichen Schwächen:hartnäckig aber zerstreut, dem guten Leben nicht abgeneigt, aber oft genugdurch die Arbeit davon abgehalten - und er ist kein Einzelgänger, kein "lonesome hero", sondernsteht mit beiden Beinen fest im Leben. Er ist also ein Protagonist mit Stärkenund Schwächen. Und Laurenti lässt sich ungern etwasvon anderen sagen, die sich ohne die nötige Kompetenz lediglich auf ihrePosition berufen.
Proteo Laurenti hat soebenseinen vierten Fall abgeschlossen (der im Frühjahr 2005 auf Deutsch erscheint).Seine Ermittlungen führen ihn mitten in die europäische Nachkriegsgeschichte.Verbindungen zwischen Politikern aus Deutschland, Österreich, Italien,Ex-Jugoslawien und der Mafia, Geheimbünde und Geldwäsche, die Geheimdienste,die aus dem Hintergrund heraus versuchen, Politik zu machen. Alles sehr genaurecherchiert und detailliert beschrieben - wenn auch immer in der Form desKriminalromans.
Ihr Buch verknüpft mehrereHandlungsstränge, es strotzt nur so von politischen und kulturhistorischenAnspielungen sowie Details aus dem italienischen Polizeiapparat. Wie tragen Sieall diese Dinge zusammen? Wie entstehen Ihre Bücher?
Der genaurecherchierte und psychologisch stimmige Kriminalroman ist ein ideales Mittel,um moderne Gesellschaft zu erzählen. Die Welt, in der wir leben. Als Autor binich Teilnehmer dieser Welt und zugleich neugierig und versuche, meine Umgebungzu begreifen. Erste Grundlage also ist die lange und präzise Recherche, diesich auf alle Betroffenen bezieht. Dies ist nicht immer einfach und vor allemnicht immer angenehm. Oft genug haben mir die Informationen, auf die ichgestoßen bin, schlaflose Nächte bereitet. Recherchieren bedeutet, mit allen Beteiligtenzu sprechen. So unwahrscheinlich es klingt, aber es ist am einfachsten, anInformationen aus dem Kreis der Unterwelt heranzukommen: Überheblichkeit machtleichtsinnig. Dann braucht es gute Verbindungen zum Polizeiapparat, um anInformationen zu kommen, die über das, was in der Zeitung steht, hinausgehen.Und am schwierigsten ist es, von den Opfern etwas zu erfahren. Dort herrschtmeistens nackte Angst und viel grausame Erfahrung. Manchmal hilft der Zufall,manchmal braucht es lange Zeit, weite Reisen und Geduld, bis das nötigeVertrauen hergestellt ist. Für mich als Autor ist es manchmal sehr hart, alldas Elend, die Gewalt und die pure Angst dieser Menschen zu erfahren undfeststellen zu müssen, wie wenig sich die Umwelt und die Politik für dieseTatsachen interessiert, die inzwischen zu unserer alltäglichen Wirklichkeitgehören.
Übrigens haben mich die Behörden bereits mehrfach um meine Meinung oder um Ratbezüglich mancher Machenschaften gebeten. Ferner wurden die beiden bisher ins Italienischeübersetzten Romane "Die Toten vom Karst" und "Tod auf derWarteliste" von einer Jury aus Polizisten, Staatsanwälten und Literaturkritikern2003 und 2004 zu den besten italienischen Kriminalromanen des Jahres gewählt.
1999 sind Sie nach Triest gezogen,im Jahr 2001 erschien bereits Ihr erster Laurenti-Roman.Mit dem Ortswechsel haben Sie so auch gleich eine neue erfolgreiche Karriereals Autor begonnen. War es schon länger einer Ihrer Träume gewesen, Krimis zuschreiben? Und wie empfinden Sie das Leben als Schriftsteller - auch imVergleich zu Ihrer früheren Arbeit in der Verlagsbranche?
Geschrieben habe ich von klein auf, nur blieb mir während meines Berufslebensim Verlag keine Gelegenheit, mich darauf zu konzentrieren. Mit Triest stehe ichseit 25 Jahren in Kontakt und lebte über zehn Jahre als Pendler, zuletztzwischen Berlin und der Stadt am nördlichen Golf der Adria. Irgendwann mussteich mich für einen Ort entscheiden. Der definitive Umzug nach Triest bot alsodie Gelegenheit, mich ausschließlich der Schriftstellerei zu widmen - inklusivedes Risikos zu scheitern, was Gott sei Dank nicht passiert ist. Neben den Proteo Laurenti-Romanen arbeiteich an historischen Stoffen und auch für manche italienische Medien. Der großeUnterschied zu meinem Leben als Verlagsgeschäftsführer ist, dass ich jetzt nurnoch einen Ein-Personen-Betrieb führen und mich nur noch mit einem einzigen Personalproblemherumschlagen muss. Und - das gebe ich gerne zu: Das Autorendasein bietetmanchmal natürlich einige Freiheiten mehr, auch die Möglichkeit zu reisen,nicht nur für Recherchen, sondern auch in die vielen Länder, in deren Sprachenmeine Bücher inzwischen übersetzt werden, um sie dort vorzustellen.
Ihre Bücher spielen in Triest, IhrerWahlheimat. Können Sie uns die Atmosphäre dieser Stadt beschreiben? Was mögenSie ganz besonders an Triest? Und was geht Ihnen manchmal auf die Nerven?
Triest isteine Stadt der Einwanderer und auch die komplexeste europäische Stadt, die esgibt. Ihre heutige Größe und Berühmtheit verdankt sie dem Mitwirken von über 90verschiedenen Ethnien. Sie war einst der Prototyp dereuropäischen Stadt, voller Grenzen, Kontraste, Widersprüche - aber auch derBrücken zwischen diesen Gegensätzen. Triest ist ein Knotenpunkt Europas:Zwischen der mediterranen Welt und der des Nordens, zwischen dem Balkan und derwesteuropäischen Gesellschaft, zwischen Meer und Berg, Kommerz und Kultur,einer immensen historischen Bedeutung und einer ungewissen Zukunft. Hier war esüber zwei Jahrhunderte unwichtig, woher man kam, welcher religiösen oder ethnischenGruppe man angehörte. Wichtig war lediglich, zu was man es gebracht hatte. Dasmuss man sich einmal in unserer heutigen Welt vorstellen!
Schwierig ist hier lediglich eines: Die Lebensqualität ist sehr hoch. Man kanngut leben, auch ohne sich zu bewegen. Es gibt eine Stagnation der Gesellschaft,einer Gesellschaft, die drauf und dran ist, die Zukunftschancen anderen zuüberlassen. Aber ist das nicht doch schon wieder ein Beispiel dafür, wie es imRest Europas zugeht?
Ihr letzter Wohn- und Arbeitsort inDeutschland war Berlin. Vermissen Sie etwas von dieser - wie der Kolumnist HaraldMartenstein formulierte - "harten, gemeinen, unhöflichen, anmaßenden,dreisten und dreckigen" Stadt?
Berlin isteine phantastische Stadt - vielleicht sogar im wirklichen Sinn des Wortes. Wogibt es eine solche Konzentration an Kultur, Politik, Medien, Ausreden, Erwachenund Verpennen auf einmal? Andere deutsche Städte sind gewiss schöner alsBerlin, aber so spannend sind sie sicherlich nicht. Ich freue mich jedes Mal,wieder dorthin zu kommen, vor allem auch um meine alten Freunde wieder zutreffen.
Neben dem Schreiben engagieren Sie sichauch politisch für die Belange Triests. Welche Ziele verfolgen Sie mit dieserArbeit?
Jein, dasist nur halb richtig. Ich habe und will kein Amt, dafür aber klare Ansichtenund noch immer einen präzisen Unternehmergeist, den es schmerzt, wenn Potenzialvergeudet wird. Für uns in Triest geht es heute darum, wieder an die Rolle alsHafen für Zentraleuropa mit einem Einzugsgebiet von 250 Millionen Einwohnernanzuknüpfen. Ferner muss das Renommee der Universität wieder nach oben gebrachtund den zahlreichen internationalen wissenschaftlichen Einrichtungen ihreBedeutung zugesprochen werden. Die "transfrontaliere",also internationale Zusammenarbeit in der Region, muss ausgebaut und von denjeweiligen Zentralregierungen unabhängiger gemacht werden - das betrifft dieGrenzregionen von fünf europäischen Ländern. Alles in allem also geht es darum,Zukunft zu gestalten und sie nicht dem Dilettantismus einer manchmal unwilligenPolitikerkaste allein zu überlassen. Dafür setze ich mich gerne ein undwünschte mir, dass noch viele andere sich intensiver dafür stark machten.
Die Fragen stellte Ulrike Künnecke,literaturtest.de.
- Autor: Veit Heinichen
- 2007, 9. Aufl., 336 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423207566
- ISBN-13: 9783423207560
- Erscheinungsdatum: 01.11.2004
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