Tod im Pfarrhaus / Kriminalinspektorin Irene Huss Bd.4
Drei Leichen geben der Polizei Rätsel auf - ein Pfarrer und seine Frau wurden im Schlaf erschossen, der gemeinsame Sohn liegt tot im Sommerhaus. Ihre Recherchen führen die Kriminalinspektorin Irene Huss bis nach England zu einem Abgrund aus...
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Drei Leichen geben der Polizei Rätsel auf - ein Pfarrer und seine Frau wurden im Schlaf erschossen, der gemeinsame Sohn liegt tot im Sommerhaus. Ihre Recherchen führen die Kriminalinspektorin Irene Huss bis nach England zu einem Abgrund aus verwirrter Liebe und falsch verstandener Solidarität.
"Von der ersten bis zur letzten Seite an Spannung nicht zu überbieten." -- Bonner Gernalanzeiger
Tod im Pfarrhaus von Helen Tursten
LESEPROBE
Die Wechselsprechanlage auf dem Schreibtisch vonKriminalinspektorin Irene Huss piepste.
»Hier Sven. Ist Tommy bei dir?«
»Nein. Er verhört gerade den Festgenommenen im Speedy-Mord. Vor fünf ist ersicher nicht fertig.«
Kriminalkommissar Sven Andersson schnaubte frustriert:
»Wenn er Asko Pihlainen mürbe machen will, hat er bei Gott zu tun.Wahrscheinlich ist er dann morgen früh um fünf noch nicht fertig!«
Irene Huss nickte zustimmend, obwohl ihr Chef sie nicht sehen konnte.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte sie.
Hoffnung keimte in ihr auf, dass sie den langweiligen Stapeln mit den Berichtendoch noch würde entrinnen können. Unerklärlicherweise türmten sich die immernur auf ihrem Schreibtisch. Möglicherweise hing das aber auch damit zusammen,dass sie Schreibtischarbeit verabscheute und sie vor sich herschob, wann immeres ging.
»Komm zu mir rüber, dann erzähl ich dir alles.«
Der Kommissar hatte den Satz noch nicht beendet und die Wechselsprechanlagenoch nicht abgestellt, da war Irene bereits aufgesprungen. Von ihrem Chef ließsie sich bei Gott nicht zweimal bitten. Dass dabei der eine oder andere Berichtauf der Strecke blieb, war bedauerlich, aber nicht zu vermeiden.
Andersson sah nachdenklich aus. Er hatte sich in seinen Stuhl zurückgelehnt,der unter seinem Gewicht bedenklich ächzte. Er nickte Irene zu und bedeuteteihr, auf dem Besucherstuhl Platz zu nehmen. Lange saß er schweigend da.Offensichtlich wusste er nicht, wie er beginnen sollte. Allmählich wurde dieStille bedrückend. Vielleicht hallten seine asthmatischen Atemzüge auchdeswegen so im Zimmer wider. Grübelnd presste er die Handflächen gegeneinander.Seine Gelenke knackten. Dann legte er sein Doppelkinn auf den Fingerspitzen abund schien einen Punkt über Irenes Kopf zu fixieren. Schließlich knallte er dieHandflächen auf den Schreibtisch, erhob sich ächzend und sagte:
»Da müssen wir wohl oder übel rausfahren.«
Ohne weitere Erklärungen kam er hinter dem Schreibtisch hervor und nahm seinenMantel vom Haken neben der Tür.
»Los geht's«, verkündete er über die Schulter.
Irene sprang auf und eilte in ihr Zimmer, um ihre Jacke zu holen.
Ich bin genau wie Sammie, dachte sie selbstironisch. Er muss nur mit der Leineschwenken und schon komme ich angehechelt, ohne auch nur zu fragen, wohin dieReise geht.
»Erst wollte ich eine Streife schicken, aber es ist ja heutzutage fastunmöglich, eine aufzutreiben. Und sie dann auch noch in die Wälder am Norssjönrauszuschicken|... nein, da kümmere ich mich doch lieber gleich selber drum«,sagte Kommissar Andersson, als sie im Auto saßen und auf die AusfallstraßeRichtung Borås zufuhren.
Irene wollte ihn schon darauf hinweisen, dass sie ihm ja zur Seite stand, abersie kannte ihren Chef nur zu gut und behielt die Bemerkung deswegen lieber fürsich. Sie wollte ihn nicht unnötig reizen, denn sie mochte den Kommissar.
»Ich sollte das Ganze vielleicht erklären«, sagte Andersson plötzlich.
»Ja, bitte«, erwiderte Irene in der Hoffnung, nicht allzu ironisch geklungen zuhaben.
Offensichtlich hatte es Andersson aber nicht so aufgefasst, denn er fuhr fort:
»Mein Cousin hat mich angerufen. Er ist hier in der Stadt Rektor an einerPrivatschule.«
Es war eine Überraschung für Irene, dass Sven Andersson einen Cousin besaß.Fast fünfzehn Jahre lang waren sie nun schon Kollegen, und nie hatten sie überseine Verwandtschaft gesprochen. Sie hatte ihn immer für vollkommen alleinstehend gehalten. Geschieden, ohne Kinder, ohne nähere Angehörige, ohnenennenswerte Freundschaften. Eigenbrötler, dieses Wort fiel ihr ein, wenn siean ihren Chef dachte.
»Georg, also mein Cousin, ist sehr besorgt. Einer seiner Lehrer ist seitgestern nicht zur Arbeit erschienen. Ans Telefon geht er auch nicht. Bei seinenEltern hebt auch niemand ab. Georg macht sich Sorgen, denn dieser Lehrer hatoffensichtlich schwere Zeiten hinter sich und gelegentlich unter Depressionengelitten. Ich weiß nicht, aber ich hatte den Eindruck, er befürchte, derBursche könne Selbstmord begangen haben.«
»Aber das ist doch noch lange kein Grund, zwei Leute vom Dezernat für Gewaltverbrechenloszuschicken? Eine Funkstreife zu rufen, wäre irgendwie angebrachter gewesen«,meinte Irene.
Sie warf einen Seitenblick auf Andersson und sah, wie sich eine hastige Röteauf seinem Hals und seinen runden Wangen breit machte.
»Hier entscheide immer noch ich, was angebracht ist oder nicht«, bellte ergereizt.
Demonstrativ wandte er sich ab und schaute durchs Seitenfenster. Ireneverfluchte innerlich ihr loses Mundwerk. Jetzt war er sauer und würde kein Wortmehr sagen.
Das Schweigen hielt an. Nur das leise Geräusch der Scheibenwischer war zuhören. Es sah nicht so aus, als wolle der Regen, der in der Nacht begonnenhatte, bald schwächer werden. Schließlich meinte Irene:
»Weißt du, wo wir hinmüssen?«
»Ja. Bieg Richtung Hällingsjö ab. Nach ein paar Kilometern steht auf einemSchild Norssjön. Da biegst du wieder ab, und dann zeige ich es dir.«
»Wieso kennst du den Weg so gut?«
»Ich war dort mal auf einem Krebsfest.«
»Bei dem Lehrer?«, fragte Irene erstaunt.
»Nein. Bei seinen Eltern.«
Sie hatte geahnt, dass irgendetwas nicht stimmte. Jetzt wusste sie es. Warumauch immer ihr Chef sich so seltsam benahm, eins war sicher: Er war selbstirgendwie in die Sache verstrickt.
Auf einem Krebsfest bei den Eltern|... Plötzlich tauchten sogar Freunde desKommissars auf! Er hatte also ein Privatleben und besuchte sogar Feste. AlleAchtung! Falls es nicht sogar Verwandtschaft war. Irene beschloss, nachzuhaken.
»Dann kennst du den Lehrer also überhaupt nicht?«, fuhr sie fort.
»Nein. Den habe ich nie getroffen. Nur seine Schwester.«
»Ist sie ebenfalls Lehrerin?«
»Weiß ich nicht. Damals war sie noch ganz klein.«
Er holte tief Luft und sah Irene an.
»Ich weiß, worauf du hinauswillst. Das Ganze ist siebzehn Jahre her. Ich warfrisch geschieden, und mein Cousin fand, dass ich etwas unter die Leute kommenmüsse. So bin ich auf dieses Krebsfest geraten. Es sind Bekannte von Georg undBettan.«
Sie schwiegen eine Weile, und Irene dachte nach. Dieser unerwartete Ausflugweckte ihre kriminalistischen Instinkte. Aber es war weniger die Sorge um dasSchicksal des Lehrers, die sie wachriefen, sondern eher die Neugier auf dasPrivatleben des Kommissars. Jetzt kannten sie sich schon so lange, und siehatte nicht einmal gewusst, dass er überhaupt über ein solches verfügte.
»Hast du sie jemals wiedergesehen?«, fragte sie.
»Nein.«
Offensichtlich war man sich nicht sonderlich sympathisch gewesen.
»Was machen die Eltern dieses Lehrers?«
»Der Vater ist Pfarrer. Sie ist wahrscheinlich Hausfrau. Pfarrfrauen haben wohlzu Hause mehr als genug zu tun. Nach dem Gottesdienst den Kaffee kochen undso«, antwortete Andersson vage.
Irene beschloss, weiterzubohren.
»Wie war das Fest? Ich meine|... bei einem Pfarrer! Auf Krebsfesten wird sonstschließlich immer eine ganze Menge getrunken.«
Zum ersten Mal während der ganzen Fahrt verzog der Kommissar den Mund zu einemLächeln.
»Na, damals wurde auch eine ganze Menge gebechert! Es endete damit, dass derPfarrer vollkommen betrunken in der Hollywoodschaukel lag. Seine Frau hatteschon Stunden vorher aufgegeben und sich im Haus schlafen gelegt. Sie schienüberhaupt nichts zu vertragen. Wir anderen hatten auch ganz schön gebechert.«
»Waren viele Gäste da?«
»Neun, nein, zehn mit mir. Hier musst du abbiegen.«
Er deutete auf das Schild nach Hällingsjö. Irene bog ab, und Andersson lotstesie sofort nach links.
»Fahr etwa zwei Kilometer geradeaus, dann kommen wir zum Norssjön«, sagte er.
Irene war automatisch weitergefahren, während ihr Gehirn die Informationen, diesie bekommen hatte, zu verarbeiten suchte.
»Ist das Sommerhaus groß?«, fragte sie.
»Nein. Normaler Durchschnitt. Georg und Bettan hatten ihren Wohnwagen dabei. Indem schliefen wir. Bettan ist Georgs Frau. Sie ist Lehrerin und unterrichtet ander Schule, an der Georg Rektor ist. Vermutlich war sie es, die fand, dass ichauf das Fest mitgehen sollte. Damals versuchte sie mich immer mit lauterlangweiligen Kolleginnen zu verkuppeln.«
»Ist es ihr denn auf dem Fest geglückt?«, erkundigte sich Irene neugierig.
Andersson kicherte nur leise.
Sie schwiegen, bis die Abzweigung zum Norssjön auftauchte. Der Wald stand dichtzu beiden Seiten des schmalen asphaltierten Weges. Ab und zu tauchte einekleine Lichtung mit einem einzelnen Haus auf, oder eine schmale Schotterstraßeverschwand in der dichten Vegetation.
»Langsam. Hier muss es irgendwo sein«, sagte Andersson plötzlich.
Irene fand, dass das Gehölz um sie herum überall gleich aussah. Dass sichAndersson nach so vielen Jahren immer noch zurechtfand, war beeindruckend.
»Da. Bieg da ein«, sagte er.
Jetzt begriff sie, wie er wissen konnte, wo sie abbiegen mussten. Am Weg standein handgemaltes Schild. In blauen, verblichenen Buchstaben stand dort aufweißem Grund »Lyckan«, »Glück«. Die Blumengirlande, die den Namen umrankte, warkaum mehr zu erkennen.
Irene bog auf einen schmalen Kiesweg ein. Er war voller Schlaglöcher und ineinem schlechten Zustand. Sie fuhren durch dichten Tannenwald. Nach einer Weiletauchten zwischen den Bäumen drei kleine Sommerhäuser auf. Irene bremste, aberder Kommissar sagte:
»Fahr weiter.«
Etwa hundert Meter weiter erreichten sie das Ende des Weges. Irene erblickteeinen Zaun und eine dunkelrot gestrichene Hütte. Sie parkte den Dienstwagen vordem Tor.
Dann stiegen sie aus und vertraten sich nach der langen Autofahrt die Beine.Abgesehen vom Prasseln des Regens war es hier still und friedlich. Hinter demoffenen Holztor stand ein ziemlich neuer schwarzer Skoda. Er war auffallendschmutzig, und ein hochgeschleuderter Stein hatte die Windschutzscheibe aneiner Stelle sternförmig splittern lassen.
Auf glatten, bemoosten Steinplatten gingen sie zur Hütte. Im Haus regte sichnichts. Kommissar Andersson drückte die Klinke, aber die Tür war verschlossen.
»Die Außenbeleuchtung brennt«, stellte er fest.
Irene begann, um das Haus herumzugehen, um durch die Sprossenfenster zuschauen.
Sie entdeckte ihn auf Anhieb, als sie durch das erste Fenster blickte.
»Sven!«, rief sie.
Mühsam kam der Kommissar die Treppe herunter und trottete auf sie zu. Wortlosdeutete sie mit dem Finger.
Sie schauten in eine winzige Küche. Durch die offene Tür konnten sie einen Mannauf dem Rücken in der Diele liegen sehen. Seine Beine und sein Unterkörperwaren verdeckt, seinen Oberkörper und Kopf oder das, was davon noch übrig war,sah man dafür umso besser. Ein einziger Blick genügte, um festzustellen, dasser tot war. Die Vorderseite seines hellen Pullovers war von rostrotem Blutgetränkt. Die eine Hand lag auf der Schwelle zur Küche. Dahinter stand einePlastiktüte mit Lebensmitteln, von denen einige auf den Küchenfußboden gefallenwaren.
Andersson wandte sich mit finsterer Miene an Irene.
»Ruf die Truppe. Das hier ist kein Selbstmord.«
© btb Verlag
Übersetzung: Holger Wolandt
Autoren-Porträt von Helene Tursten
Helene Tursten wurde 1954 in Göteborg geboren. Bereits mit ihremersten Kriminalroman "Der Novembermörder" eroberte sie SchwedensKritiker und Leser im Sturm.
Interview mit Helene Tursten
Haben Sie eine Erklärung dafür, dasses in den letzten Jahren so viele erfolgreiche Krimis aus Schweden gab. Ist dieKriminalitätsrate dort gestiegen?
Dieerfolgreichen schwedischen Krimis haben mit einer wachsenden Zahl guterKrimiautoren zu tun. Nicht mit einer gestiegenen Kriminalitätsrate.
"Der zweite Mord" spieltin einem Krankenhaus. Bevor Sie als Schriftstellerin arbeiteten, waren SieZahnärztin. Hat es Ihnen Freude gemacht, wieder in die Atmosphäre einzutauchen,die Ihnen von früher vertraut ist?
Vor meinen Abschluss in Zahnmedizin habe ich drei Jahre alsKrankenschwester gearbeitet. Ich habe es wirklich genossen, in "Der zweiteMord" wieder in dieses Milieu zurückzukehren.
Der Leser entwickelt sehr schnelleine Art persönlicher Beziehung zu Ihrer Heldin Irene Huss.Welche Rolle spielt diese besondere Beziehung für die Handlung der Geschichte?
Ichschreibe eine Geschichte immer so, wie sie mir persönlich am besten gefällt.Ich überlasse es dem Leser, seine eigene Beziehung zu Irene Hussaufzubauen.
Würden Sie Irene Hussals eine starke Frau bezeichnen?
Ja, sie istsowohl physisch wie psychisch stark. Dadurch haben auch die männlichen KollegenRespekt vor ihr. Diese Stärke gibt ihr das notwendige Selbstbewusstsein, um alsKriminalinspektorin arbeiten zu können.
Könnten Sie sich vorstellen, ihrerArbeit eine andere Richtung zu geben? Beispielsweise eine, die nichts mitKriminalität zu tun hat?
Ja. Wennmir gute Geschichten in den Kopf kommen, schreibe ich sie auf, auch wenn sienichts mit einem Krimi zu tun haben.
- Autor: Helene Tursten
- 2004, 5.Aufl., 349 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Holger Wolandt
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442732336
- ISBN-13: 9783442732333
- Erscheinungsdatum: 01.10.2004
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