Und da kam Frau Kugelmann
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Überraschend erhält Zippi die Nachricht, daß ihre kürzlich verstorbene Tante Halina ihr ein altes Fischbesteck vererbt hat. Sie reist nach Tel Aviv, um ihr Erbe selbst in Empfang zu nehmen. Kaum angekommen, da klopft es an der Tür ihres Hotelzimmers: Eine freundliche, ältere, vor allem sehr dicke Dame bittet darum, eingelassen zu werden. Bella Kugelmann, so stellt sie sich vor. Zippis ungeduldiger Versuch, sie abzuwimmeln, schlägt fehl. Aber dann beginnt Frau Kugelmann zu erzählen: von ihrer Jugend im polnischen Bedzin, von Eltern und Verwandten, Schulfreunden, dem schönen Adam und der stolzen Polin, von Fettauge, von Gonna und Kotek, dem Kätzchen, vom noblen jüdischen Fürstenberg-Gymnasium, von dem trickreichen Mantelverkäufer Teitelbaum, den starken Bachmanns. Es herrscht ein pulsierendes, sorgloses, scheinbar völlig unbeschwertes und fröhliches Leben in dieser Kleinstadt, so kurz bevor die Deutschen Polen überfielen und das Grauen begann. Frau Kugelmann erzählt wunderbare Geschichten von einer längst vergangenen Zeit, denen sich die junge Deutsche nicht entziehen kann. Und als Frau Kugelmann plötzlich ein altes Fischbesteck erwähnt, begreift Zippi, daß es sich hier um ihre eigene Familiengeschichte handelt.
Und da kam Frau Kugelmann von Minka Pradelski
LESEPROBE
DasFischbesteck
Einen Monat nach dem Tod meinerTante, genauer gesagt drei Stunden nach der Testamentseröffnung, informiertenmich meine Verwandten über Halinas Ableben. Sie wissen, dass ich wegen meinerbesonderen Essgewohnheiten fast unbeweglich bin und nicht von einem Tag auf denanderen zu einem Begräbnis nach Tel Aviv reisen kann. So hatten sie michvergessen.
Der Anwalt, der den Nachlass meiner Tante verwaltet, hat mirmein Erbe aufgelistet: ein kleiner brauner Koffer, etwa siebzig Jahre alt,sowie ein mit rotem Samt ausgeschlagener Besteckkasten, in dem sich acht Gabelnund neun Messer eines zwölfteiligen Fischbestecks befinden.
Keines von Halinas vier Kindern begreift, warum sie michüberhaupt bedacht hat, und ich begreife nicht, warum sie mir einen alten Kofferund ein unvollständiges Fischbesteck hinterlassen hat, wo ich doch kaum reiseund auch keinen Fisch anrühre. Seit meiner Kindheit weigere ich mich, Fisch zuessen. Ich wollte mit meiner Mutter, einer notorischen wöchentlichenFischmörderin, nicht gemeinsame Sache machen. Jeden Freitagvormittag schwammein junger Karpfen aufgeregt in unserer Badewanne herum, bis er auf einemHolzbrett von meiner Mutter in kleine Portionen zerhackt wurde. Und ichbeobachtete neugierig mit einem Anflug von Ekel jede Woche aufs Neue, wie diezerlegten Teile eine Stunde lang zuckten, als sei der Fisch noch lebendig.Nachts wünschte ich mir, die zitternden Teile würden wieder zusammenwachsen,der Fisch vom Holzbrett in die Badewanne springen und aus dem Fenster in denFluss, um dann von der Strömung in die schlammige grüne See getragen zu werden.Von dort her käme er freitags zurück in unser Haus.
Den Koffer und den Besteckkasten hätte ich mir schickenlassen können. Aber ich will meine Erbschaft mit eigenen Händen in Empfangnehmen. Der Koffer soll mir Glück bringen, denn ich suche händeringend nacheinem Ehemann. Vielleicht finde ichihn in Tel Aviv. Vor etwa einem halben Jahr überfiel mich der brennende Wunsch zuheiraten. Aus heiterem Himmel sehnte ich mich plötzlich nach überquellendemAbwasch, endloser Bügelwäsche, und nichts erschien mir lieblicher alsohrenbetäubendes Babygeschrei. Zufällig entdeckte ich in der Nähe meinerWohnung einen Kinderspielplatz. Entzückt beobachtete ich Kleinkinder bei ihremunbeholfenen Spiel. Ich starrte neugierig in jeden vorbeigeschobenenKinderwagen und konnte in kürzester Zeit bis auf den Tag genau das Alter derKinder bestimmen. Kurz darauf erlernte ich die Babysprache. Säuglinge strecktendie Ärmchen nach mir aus, Kleinkinder fingen meinetwegen das Krabbeln an oderliefen mir unsicher auf zwei wackeligen Beinchen entgegen, nur um in meinerNähe zu sein. Stutzig wurde ich erst, als das einjährige Kind meiner Nachbarinzum Entsetzen der Eltern, mit denen ich wegen nächtlichen Lärms in Unfriedenlebe, als erstes Wort meinen schwierigen Nachnamen aussprach und mich dabeierwartungsfroh anblickte. Das ist ein Fingerzeig von meinen eigenen Kindern,sagte ich mir, sie wollen zur Welt kommen. Ich werde eine Familie gründen.
Halinas Erbschaft ist ein weiteres Zeichen. Vielleicht seheich am Strand einen Mann, der mir gefällt, und frage ihn, ob er gerne Fischisst, obwohl ich einen Fisch niemals anrühren werde. Wenn er geschickt mitmeinem ererbten Besteck umzugehen versteht und noch dazu schöne Geschichtenerzählen kann, wie die fehlenden Fischgabeln meiner Tante verloren gingen, dannheirate ich ihn auf der Stelle. (...)
© Frankfurter Verlagsanstalt
- Autor: Minka Pradelski
- 2005, 1., Aufl., 256 Seiten, Maße: 13,6 x 20,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
- ISBN-10: 3627001230
- ISBN-13: 9783627001230
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