Die Herrin der Kathedrale / Uta von Naumburg Bd.1
Roman
Ballenstedt, 11. Jahrhundert: Nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter hat die kleine Uta einen schrecklichen Verdacht: Hat ihr Vater sie etwa umgebracht? Jahre später ist sie Bauzeichnerin der Naumburger Kathedrale. Kann sie nun den Mörder finden und zur Verantwortung ziehen?
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Produktinformationen zu „Die Herrin der Kathedrale / Uta von Naumburg Bd.1 “
Ballenstedt, 11. Jahrhundert: Nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter hat die kleine Uta einen schrecklichen Verdacht: Hat ihr Vater sie etwa umgebracht? Jahre später ist sie Bauzeichnerin der Naumburger Kathedrale. Kann sie nun den Mörder finden und zur Verantwortung ziehen?
Klappentext zu „Die Herrin der Kathedrale / Uta von Naumburg Bd.1 “
Ballenstedt im 11. Jahrhundert: Hochadlige Gäste suchen die Burg für politische Gespräche auf. Uta, die Tochter des verarmten Burgherrn, genießt das Fest. Doch dann kommt ihre Mutter auf geheimnisvolle Weise ums Leben, und Uta schwört, nicht eher zu ruhen, bis sie der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen hat. Dieses Versprechen begleitet sie von nun an ihr ganzes Leben lang. Ihr brennender Wunsch nach Wissen und ihre zeichnerische Begabung lassen sie Jahre später als Bauzeichnerin die Errichtung der Naumburger Kathedrale unterstützen. Uta wagt, was keine vor ihr jemals tat: Sie errichtet ihren eigenen Gerichtssaal und schafft so einen Raum für Frieden und Gerechtigkeit im Heiligen Römischen Reich - die erste Naumburger Kathedrale.Lese-Probe zu „Die Herrin der Kathedrale / Uta von Naumburg Bd.1 “
Die Herrin der Kathedrale von Claudia & Nadja Beinert ... mehr
1
D er Frühlingswind trug Blütenstaub von Hasel und Narzisse an Utas Nase heran. »Esiko, ich wünschte, diese Düfte zögen mit uns zur Burg, so dass die Mutter sie auch riechen könnte.« Genießerisch sog sie die Luft ein und streifte sich in Gedanken ein Gewand aus verwobenen Narzissen über. Sie spürte, dass heute ein ganz besonderer Tag werden würde. Gemeinsam mit Esiko, ihrem fünf Jahre älteren Bruder, durfte sie dem Mittagsmahl beiwohnen, zu dem der Meißener Markgraf geladen war. Mit Vorliebe lauschte sie bei solch seltenen Gelegenheiten den Erzählungen der Besucher, die stets von Königsaudienzen, Festen und anderen Geschehnissen aus fremden Gegenden berichteten. »Schwesterlein, du träumst zu viel!«, scherzte Esiko und führte sein Ross neben ihres. »Aber ich könnte das Grünzeug köpfen, dann kannst du es mitnehmen.« Unter ihrem entsetzten Blick zerteilte er die Luft zwischen ihnen mit dem Kurzschwert. »Tu ihnen keine Gewalt an«, bat Uta und schaute ihn herzerweichend an, während ihr der Wind durch das lose Haar fuhr. Sie merkte, dass er gereizt war, aber das würde sich während des Mahls sicherlich geben. Nur selten wurde auf dem Ballenstedter Burgberg so festlich getafelt. »Wie ängstlich du bist, Schwesterlein.« Esiko hob das Kinn. »Viel zu ängstlich!« Uta betrachtete den Bruder, wie er mit Harnisch und Beinschutz auf seinem Ross thronte, sein weizenblondes Haar und die festen Bartstoppeln. »Wir müssen zurück zur Burg.« Auch Esiko betrachtete die Schwester eindringlich. »Die Gäste reiten bald ein.«
Uta begegnete dem Blick des Bruders mit einem Strahlen. »Wer zuerst an der Zugbrücke ist, einverstanden?« Esiko ließ von ihrem Gesicht ab und prüfte, ob sich beide Beine seiner Schwester auf der linken Seite des Tieres befanden. »Aber gerne doch!«, bestätigte er dann. »Dann los!« Uta presste sich fest an ihre Stute und preschte davon. Derweil beugte sich Esiko seitlich hinab und schlug mit einem einzigen Hieb zwei Dutzend Narzissen die Köpfe ab. »So gefallt ihr mir schon besser!«, beschied er und gab seinem Hengst die Sporen. Voller Freude atmete Uta tief durch. »Lauf Lisa, lauf!«, trieb sie die Stute an. Wie schön es doch war, durch die Frühlingswiesen zu reiten. Ein Vergnügen, das sie seit einiger Zeit immer seltener genießen durfte. Auch sonst hatte sich jüngst viel in ihrem Leben verändert. Denn war der Vater, Graf Adalbert von Ballenstedt, früher noch nach der Schneeschmelze zu den Schlachtfeldern aufgebrochen und erst bei einsetzendem Frost wieder heimgekehrt, war ihm dies aufgrund einer Kampfverletzung seit dem vergangenen Jahr verwehrt. In der Abwesenheit des Vaters hatte die Mutter ihr das Lesen und etwas Schreiben beigebracht und jede ihrer Fragen mit einer geduldigen Antwort befriedigt. Doch nun, seitdem der Vater ganzjährig auf der Burg weilte, musste Uta sich wesensmäßig das gesamte Jahr über zurücknehmen. Der mächtige Klang der Doppelglocke, der weit über die umliegenden Felder und Wiesen der Burg hinaus zu hören war, holte Uta aus ihren Gedanken zurück. »Die Glocke vom elterlichen Bergfried!« Dreimaliges Läuten war das Zeichen dafür, dass die Gäste am Horizont in Sicht waren. »Eil nur, Schwesterlein!« Esiko zog an ihr vorbei. »Mich holst du nie ein!«
»Lauf Lisa, schneller!«, trieb sie ihre Stute an. So leicht würde sie sich nicht geschlagen geben. Doch Esikos Vorsprung vergrößerte sich, und erst vor der Zugbrücke stoppte er seinen Hengst mit einem triumphalen Aufbäumen. »Ob du jemals richtig reiten lernen wirst?«, kommentierte er die spätere Ankunft seiner Schwester heftig atmend. »Wenn ich doch nur breitbeinig reiten dürfte«, erwiderte Uta und schaute Esiko fragend an. »Aber du bist doch ein Weib!«, entgegnete er und winkte ab. Esiko achtete stets darauf, dass sie - wie es sich für eine Frau geziemte - nur mit Satteldecke und beiden Beinen auf ein und derselben Seite ritt. »Ich vermag vielleicht noch nicht so schnell zu reiten wie du, dafür kann ich aber Schriftzeichen lesen, die mit echter Tinte geschrieben sind.« »Was ist schon Tinte«, entgegnete er abfällig und versetzte seinem Pferd einen Tritt in die Seite, um es zum Eintraben in den Hof der Burg zu bewegen. »Damit kann man keinen Kampf gewinnen!« »Die Mutter sagt, dass Buchstaben mehr Macht haben als Schwerter.« Utas Augen leuchteten beim Gedanken an die funkelnden Minuskeln des Psalmenbüchleins, aus dem die Mutter ihr manchmal vorlas. Mit einem kurzen Pfiff scheuchte Esiko eine Wäscherin beiseite. »Was die Mutter so sagt. Sie hat doch noch nie ein Schwert geführt. Kennt dessen Macht also gar nicht!« Erschrocken schlug Uta die Hände vor den Mund. »Wie kannst du so über unsere Mutter reden?« Anstatt einer Antwort kümmerte sich Esiko um die Versorgung der Pferde. »Stallbursche, hierher!« Trotz der regen Betriebsamkeit reichte seine Stimme mühelos bis zu den Stallungen hinüber. Im Hof herrschte ein aufgeregtes Durcheinander. Mägde hasteten mit riesigen Krügen auf das Küchenhaus zu. Knechte trugen Hocker und Tafeln in Richtung des Wohnturms. Zwischen ihnen erblickte Uta Hazecha, ihre jüngere Schwester, die eifrig einer mit Wasser gefüllten Kuhblase hinterherlief, und ihren kleinen Bruder Wigbert auf den Armen seiner Amme. Der junge Linhart bahnte sich etwas ungelenk seinen Weg zu den Geschwistern. Er war die linke Hand des Stallmeisters und eine unübersehbare Erscheinung auf dem Burgberg. Sein Körper war schon in die Höhe geschossen, als die mit ihm gleichaltrigen Knechte noch von den ersten Barthärchen geträumt hatten; zudem trug er sein Haupthaar ungewöhnlich lang. »Kümmere dich um die Tiere und vergiss das Abreiben nicht«, wies Esiko ihn an. Uta schenkte Linhart ein Lächeln. Sie wusste, dass er jedes Tier im Stall mit der gleichen Hingabe versorgte. Dann rutschte sie schwungvoll aus dem Sattel, erschrak jedoch, noch bevor sie festen Boden unter den Füßen spürte. »Oh, nein!« Ihre Finger glitten über einen Riss im Obergewand, der sich von ihrer Hüfte bis zum Knie hinabzog. »Ausgerechnet jetzt.« »Schwesterlein«, begann Esiko und schwang sich, sich der bewundernden Blicke der Umstehenden versichernd, vom Rücken seines Rosses. »Bist selbst im Damensattel zu stürmisch «, dabei warf er Linhart, der mit offenem Mund auf Utas Gewand starrte, einen drohenden Blick zu. Der Stallbursche wendete sich augenblicklich ab. »Zu stürmisch?« Uta blickte vom Riss ihres Kleides zu Esiko auf, der sie beinahe um zwei Köpfe überragte. »Ich muss jetzt zum Vater«, sagte er. »Er erwartet meine Unterstützung beim Empfang der Gäste.«
»Warte!«, bat sie eindringlich und griff nach seinem Arm. »Sage ihm nichts von meiner Unachtsamkeit.« Uta blickte zur Tür des Wohnturmes, aus welcher der Vater jeden Moment treten konnte. »Ich wechsele schnell noch mein Gewand.« Uta schaute ihn bittend an. Esiko setzte einen strengen Blick auf. »Der Vater wird nicht akzeptieren, wenn du zu spät erscheinst!« Uta nickte und erklomm - von Esikos Mahnung getrieben - die Treppen des Wohnturms. Da sie nicht mehr die Zeit hatte, ihr Kammermädchen Erna zu Hilfe zu rufen, trat sie vor ihre Bettstatt und streifte sich rasch das eingerissene Obergewand ab. Dabei blieb ihr Blick an ihren Brüsten hängen, die sich seit dem vergangenen Winter zu wölben begonnen hatten und sich nun leicht gegen das Untergewand hindurch abdrückten. Der Veränderung ihres Körpers hatte sie jedoch erst Aufmerksamkeit geschenkt, nachdem ihr vor wenigen Wochen gleich nach dem Osterfest auch ein schwarzer Haarflaum unter den Armen und zwischen den Beinen gewachsen war. »Was ist das?« Uta schreckte zusammen. Ein roter walnussgroßer Fleck zeichnete sich in Höhe ihres Schoßes auf ihrem Unterkleid ab. Sie raffte den Stoff bis zur Taille, um nachzusehen, und bemerkte, dass die Innenseiten ihrer Oberschenkel mit einem Blutschleim überzogen waren. »Der Monatsfluss? « Utas Gesicht verdunkelte sich. Die Burgregeln ordneten an, dass sich unreine Frauen Tag und Nacht vom Rest der Burgbewohner getrennt halten mussten, damit sie ihre Blutspur nicht in der gesamten Burg hinterließen. Uta kniete nieder und faltete die Hände. »Lieber Herrgott im Himmel, lass das nicht den Monatsfluss sein!« Als die Doppelglocke zweimal läutete, erhob sie sich wieder, sprang ans Fenster und schob das Leder beiseite. Sie vernahm, dass der Stallmeister seinen Knechten Anweisung gab, im Hof Aufstellung zu nehmen. In der Ferne, weit hinter den Burgmauern, machte sie einen Tross von Berittenen aus, zog sich darauf hastig das befleckte Unterkleid über den Kopf und versteckte das blutige Gewand tief unten in der Gewandtruhe. Über das frische Unterkleid zog sie ein knöchellanges blaues Oberkleid. Jetzt musste sie nur noch die Haare binden. Mit ihrem vom Wind zerzausten Schopf ähnelte sie eher einer Wilden. Sie, eine Wilde? Uta lächelte und sah sich breitbeinig auf dem Rücken ihrer Stute durch die Felder galoppieren. Ein Klopfen riss Uta aus ihrer Träumerei. Sie blinzelte sich in die Realität zurück, dann öffnete sie die Tür. »Wo bleibst du denn?«, erkundigte sich Erna atemlos. Das pausbäckige Mädchen mit den von der Haube kaum zu bändigenden hellen Locken schaute ihre Herrin sorgenvoll an. »Das Gewand sitzt«, entgegnete Uta und schaute prüfend an sich hinunter. »Dein Kopf«, deutete Erna, die sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte, mit dem Zeigefinger. »Man könnte meinen, du hättest mit Lisa die Haare getauscht.« Uta musste nun auch schmunzeln und fuhr sich mit den Fingern durch die langen Strähnen, um sie zu entwirren. Mit wenigen gekonnten Handgriffen flocht sie das Haar auf dem Rücken zu einem dicken Zopf. Sie ergriff die auf der Fensterbank liegende Spange und steckte damit eine widerspenstige Locke über dem Ohr fest. Das Schmuckstück mit den hellgrünen Vierkantsteinen war ein Geschenk ihrer Mutter. Vielleicht mochte sie es deswegen besonders gern. Dass es ihre Augen so wunderbar zum Leuchten brächte, sagte die Mutter stets, wenn sie das Schmückstück an Uta entdeckte, und strich ihr dabei liebevoll über die Wangen. Uta war stolz, die grünen Augen ihrer Mutter geerbt zu haben, zumal Esiko, der manchmal etwas eigen war, die gleiche Augenfarbe besaß. Auch die zierliche Gestalt und die Konturen ihres Gesichts mit den geschwungenen Brauen, der schmalen Nase mit dem breiten Nasenrücken und den kleinen Mund mit den vollen Lippen hatte die Mutter ihr in die Wiege gelegt. Besonders stolz war Uta jedoch auf den kleinen braunen Fleck, einen Fingerbreit unter ihrem linken Auge. Den besaßen alle vier Geschwister an genau der gleichen Stelle, was sie mit der Mutter auf eine besondere Weise verband. »Du siehst hübsch aus«, sagte Erna und richtete Uta die Spange. In diesem Moment erklang der letzte Schlag der Doppelglocke: Die Gäste waren also angekommen. »Komm! Sonst schimpft der Vater.« Uta ergriff Ernas Hand und zog sie hinter sich aus der Kemenate.
Zur Begrüßung der hohen Besucher hatten die Burgbewohner in drei Reihen Aufstellung genommen. An der Spitze der Versammlung stand der Burgherr Graf Adalbert von Ballenstedt mit seinem Stammhalter Esiko. Adalberts einst blaue Augen waren vor Verbitterung über die Jahre hinweg verblasst. Als Graf war er ein Lehnsmann des Königs und als solcher zum Schutz seiner Untertanen verpflichtet. Die Untertanen brachten im Gegenzug dafür halbjährlich Naturalien und Brennholz auf die Burg. Mittlerweile erzielte er Einkünfte aus zahlreichen Lehnsdörfern im Schwaben- und im Harzgau, im Nordthüringengau und im Serimunt. Außerdem hatte er durch die Heirat mit Hidda, der Tochter des Markgrafen Gero aus der Ostmark, noch umfangreiches, freies Landeigentum hinzugewonnen. Nichtsdestotrotz konnte er dem König aufgrund seiner vergleichsweise immer noch kleinen Lehen nur geringe Kriegsdienste leisten. Die Markgrafen der östlichsten Reichsgebiete stellten dem König für den Krieg zwanzigmal so viele Krieger, Pferde und Waffen zur Verfügung wie er und wurden deshalb auch in Angelegenheiten des Reiches von Kaiser Heinrich zur Beratung und Mitsprache herangezogen. Adalbert war ihnen an Macht und Einfluss deutlich unterlegen, aber das - so hatte er sich vorgenommen - würde er heute, so gut es ging, zu überspielen wissen. Keine leichte Aufgabe, wenn es um Gebietsstreitigkeiten mit dem Meißner Markgrafen Ekkehard dem Älteren ging. Adalbert richtete sein Wams und fixierte das Eingangstor, vor dem nun deutlich Pferdegetrappel zu vernehmen war. Diesen Moment der Konzentration nutzte Uta und sprang am Küchenmeister vorbei an die Seite ihrer Mutter, die in der zweiten Reihe hinter dem Grafen Aufstellung genommen hatte. Erna trat zu den Mägden. »Entschuldigt, Mutter«, flüsterte Uta und knickste. Gräfin Hidda, die dem besonderen Anlass entsprechend einen Schleier mit edler Borte angelegt hatte, ergriff unauffällig die Hand ihrer Tochter. Esiko, der neben dem Vater stand, wandte sich um und mahnte mit dem Finger auf dem Mund zur Ruhe. Als er sah, dass die Schwester liebevoll lächelnd von der Mutter zu ihm schaute, wandte er sich wieder dem Geschehen vor sich zu. Auf Schlachtrössern zogen an der Spitze des Zugs nun Markgraf Ekkehard und sein Sohn Hermann, gefolgt von einer Schar von Rittern, Knappen, Bannerträgern und Bläsern ein. Die Zugbrücke knarrte unter dem Gewicht des Gästezugs. Adalbert wandte sich dem Stallmeister zu, der sich zusammen mit dem Burggeistlichen, dem Küchenmeister nebst Mägden, dem Schmiedemeister und weiterem Gesinde hinter der Ballenstedter Familie versammelt hatte. »Versorgt die Tiere unserer Gäste. Sofort!«, befahl er. Die Besucher saßen ab. »Vielen Dank für die Einladung«, grüßte der Markgraf, dem ein Fahnenträger folgte, auf dessen Banner ein Adler prangte.
© 2013 by Knaur Taschenbuch
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D er Frühlingswind trug Blütenstaub von Hasel und Narzisse an Utas Nase heran. »Esiko, ich wünschte, diese Düfte zögen mit uns zur Burg, so dass die Mutter sie auch riechen könnte.« Genießerisch sog sie die Luft ein und streifte sich in Gedanken ein Gewand aus verwobenen Narzissen über. Sie spürte, dass heute ein ganz besonderer Tag werden würde. Gemeinsam mit Esiko, ihrem fünf Jahre älteren Bruder, durfte sie dem Mittagsmahl beiwohnen, zu dem der Meißener Markgraf geladen war. Mit Vorliebe lauschte sie bei solch seltenen Gelegenheiten den Erzählungen der Besucher, die stets von Königsaudienzen, Festen und anderen Geschehnissen aus fremden Gegenden berichteten. »Schwesterlein, du träumst zu viel!«, scherzte Esiko und führte sein Ross neben ihres. »Aber ich könnte das Grünzeug köpfen, dann kannst du es mitnehmen.« Unter ihrem entsetzten Blick zerteilte er die Luft zwischen ihnen mit dem Kurzschwert. »Tu ihnen keine Gewalt an«, bat Uta und schaute ihn herzerweichend an, während ihr der Wind durch das lose Haar fuhr. Sie merkte, dass er gereizt war, aber das würde sich während des Mahls sicherlich geben. Nur selten wurde auf dem Ballenstedter Burgberg so festlich getafelt. »Wie ängstlich du bist, Schwesterlein.« Esiko hob das Kinn. »Viel zu ängstlich!« Uta betrachtete den Bruder, wie er mit Harnisch und Beinschutz auf seinem Ross thronte, sein weizenblondes Haar und die festen Bartstoppeln. »Wir müssen zurück zur Burg.« Auch Esiko betrachtete die Schwester eindringlich. »Die Gäste reiten bald ein.«
Uta begegnete dem Blick des Bruders mit einem Strahlen. »Wer zuerst an der Zugbrücke ist, einverstanden?« Esiko ließ von ihrem Gesicht ab und prüfte, ob sich beide Beine seiner Schwester auf der linken Seite des Tieres befanden. »Aber gerne doch!«, bestätigte er dann. »Dann los!« Uta presste sich fest an ihre Stute und preschte davon. Derweil beugte sich Esiko seitlich hinab und schlug mit einem einzigen Hieb zwei Dutzend Narzissen die Köpfe ab. »So gefallt ihr mir schon besser!«, beschied er und gab seinem Hengst die Sporen. Voller Freude atmete Uta tief durch. »Lauf Lisa, lauf!«, trieb sie die Stute an. Wie schön es doch war, durch die Frühlingswiesen zu reiten. Ein Vergnügen, das sie seit einiger Zeit immer seltener genießen durfte. Auch sonst hatte sich jüngst viel in ihrem Leben verändert. Denn war der Vater, Graf Adalbert von Ballenstedt, früher noch nach der Schneeschmelze zu den Schlachtfeldern aufgebrochen und erst bei einsetzendem Frost wieder heimgekehrt, war ihm dies aufgrund einer Kampfverletzung seit dem vergangenen Jahr verwehrt. In der Abwesenheit des Vaters hatte die Mutter ihr das Lesen und etwas Schreiben beigebracht und jede ihrer Fragen mit einer geduldigen Antwort befriedigt. Doch nun, seitdem der Vater ganzjährig auf der Burg weilte, musste Uta sich wesensmäßig das gesamte Jahr über zurücknehmen. Der mächtige Klang der Doppelglocke, der weit über die umliegenden Felder und Wiesen der Burg hinaus zu hören war, holte Uta aus ihren Gedanken zurück. »Die Glocke vom elterlichen Bergfried!« Dreimaliges Läuten war das Zeichen dafür, dass die Gäste am Horizont in Sicht waren. »Eil nur, Schwesterlein!« Esiko zog an ihr vorbei. »Mich holst du nie ein!«
»Lauf Lisa, schneller!«, trieb sie ihre Stute an. So leicht würde sie sich nicht geschlagen geben. Doch Esikos Vorsprung vergrößerte sich, und erst vor der Zugbrücke stoppte er seinen Hengst mit einem triumphalen Aufbäumen. »Ob du jemals richtig reiten lernen wirst?«, kommentierte er die spätere Ankunft seiner Schwester heftig atmend. »Wenn ich doch nur breitbeinig reiten dürfte«, erwiderte Uta und schaute Esiko fragend an. »Aber du bist doch ein Weib!«, entgegnete er und winkte ab. Esiko achtete stets darauf, dass sie - wie es sich für eine Frau geziemte - nur mit Satteldecke und beiden Beinen auf ein und derselben Seite ritt. »Ich vermag vielleicht noch nicht so schnell zu reiten wie du, dafür kann ich aber Schriftzeichen lesen, die mit echter Tinte geschrieben sind.« »Was ist schon Tinte«, entgegnete er abfällig und versetzte seinem Pferd einen Tritt in die Seite, um es zum Eintraben in den Hof der Burg zu bewegen. »Damit kann man keinen Kampf gewinnen!« »Die Mutter sagt, dass Buchstaben mehr Macht haben als Schwerter.« Utas Augen leuchteten beim Gedanken an die funkelnden Minuskeln des Psalmenbüchleins, aus dem die Mutter ihr manchmal vorlas. Mit einem kurzen Pfiff scheuchte Esiko eine Wäscherin beiseite. »Was die Mutter so sagt. Sie hat doch noch nie ein Schwert geführt. Kennt dessen Macht also gar nicht!« Erschrocken schlug Uta die Hände vor den Mund. »Wie kannst du so über unsere Mutter reden?« Anstatt einer Antwort kümmerte sich Esiko um die Versorgung der Pferde. »Stallbursche, hierher!« Trotz der regen Betriebsamkeit reichte seine Stimme mühelos bis zu den Stallungen hinüber. Im Hof herrschte ein aufgeregtes Durcheinander. Mägde hasteten mit riesigen Krügen auf das Küchenhaus zu. Knechte trugen Hocker und Tafeln in Richtung des Wohnturms. Zwischen ihnen erblickte Uta Hazecha, ihre jüngere Schwester, die eifrig einer mit Wasser gefüllten Kuhblase hinterherlief, und ihren kleinen Bruder Wigbert auf den Armen seiner Amme. Der junge Linhart bahnte sich etwas ungelenk seinen Weg zu den Geschwistern. Er war die linke Hand des Stallmeisters und eine unübersehbare Erscheinung auf dem Burgberg. Sein Körper war schon in die Höhe geschossen, als die mit ihm gleichaltrigen Knechte noch von den ersten Barthärchen geträumt hatten; zudem trug er sein Haupthaar ungewöhnlich lang. »Kümmere dich um die Tiere und vergiss das Abreiben nicht«, wies Esiko ihn an. Uta schenkte Linhart ein Lächeln. Sie wusste, dass er jedes Tier im Stall mit der gleichen Hingabe versorgte. Dann rutschte sie schwungvoll aus dem Sattel, erschrak jedoch, noch bevor sie festen Boden unter den Füßen spürte. »Oh, nein!« Ihre Finger glitten über einen Riss im Obergewand, der sich von ihrer Hüfte bis zum Knie hinabzog. »Ausgerechnet jetzt.« »Schwesterlein«, begann Esiko und schwang sich, sich der bewundernden Blicke der Umstehenden versichernd, vom Rücken seines Rosses. »Bist selbst im Damensattel zu stürmisch «, dabei warf er Linhart, der mit offenem Mund auf Utas Gewand starrte, einen drohenden Blick zu. Der Stallbursche wendete sich augenblicklich ab. »Zu stürmisch?« Uta blickte vom Riss ihres Kleides zu Esiko auf, der sie beinahe um zwei Köpfe überragte. »Ich muss jetzt zum Vater«, sagte er. »Er erwartet meine Unterstützung beim Empfang der Gäste.«
»Warte!«, bat sie eindringlich und griff nach seinem Arm. »Sage ihm nichts von meiner Unachtsamkeit.« Uta blickte zur Tür des Wohnturmes, aus welcher der Vater jeden Moment treten konnte. »Ich wechsele schnell noch mein Gewand.« Uta schaute ihn bittend an. Esiko setzte einen strengen Blick auf. »Der Vater wird nicht akzeptieren, wenn du zu spät erscheinst!« Uta nickte und erklomm - von Esikos Mahnung getrieben - die Treppen des Wohnturms. Da sie nicht mehr die Zeit hatte, ihr Kammermädchen Erna zu Hilfe zu rufen, trat sie vor ihre Bettstatt und streifte sich rasch das eingerissene Obergewand ab. Dabei blieb ihr Blick an ihren Brüsten hängen, die sich seit dem vergangenen Winter zu wölben begonnen hatten und sich nun leicht gegen das Untergewand hindurch abdrückten. Der Veränderung ihres Körpers hatte sie jedoch erst Aufmerksamkeit geschenkt, nachdem ihr vor wenigen Wochen gleich nach dem Osterfest auch ein schwarzer Haarflaum unter den Armen und zwischen den Beinen gewachsen war. »Was ist das?« Uta schreckte zusammen. Ein roter walnussgroßer Fleck zeichnete sich in Höhe ihres Schoßes auf ihrem Unterkleid ab. Sie raffte den Stoff bis zur Taille, um nachzusehen, und bemerkte, dass die Innenseiten ihrer Oberschenkel mit einem Blutschleim überzogen waren. »Der Monatsfluss? « Utas Gesicht verdunkelte sich. Die Burgregeln ordneten an, dass sich unreine Frauen Tag und Nacht vom Rest der Burgbewohner getrennt halten mussten, damit sie ihre Blutspur nicht in der gesamten Burg hinterließen. Uta kniete nieder und faltete die Hände. »Lieber Herrgott im Himmel, lass das nicht den Monatsfluss sein!« Als die Doppelglocke zweimal läutete, erhob sie sich wieder, sprang ans Fenster und schob das Leder beiseite. Sie vernahm, dass der Stallmeister seinen Knechten Anweisung gab, im Hof Aufstellung zu nehmen. In der Ferne, weit hinter den Burgmauern, machte sie einen Tross von Berittenen aus, zog sich darauf hastig das befleckte Unterkleid über den Kopf und versteckte das blutige Gewand tief unten in der Gewandtruhe. Über das frische Unterkleid zog sie ein knöchellanges blaues Oberkleid. Jetzt musste sie nur noch die Haare binden. Mit ihrem vom Wind zerzausten Schopf ähnelte sie eher einer Wilden. Sie, eine Wilde? Uta lächelte und sah sich breitbeinig auf dem Rücken ihrer Stute durch die Felder galoppieren. Ein Klopfen riss Uta aus ihrer Träumerei. Sie blinzelte sich in die Realität zurück, dann öffnete sie die Tür. »Wo bleibst du denn?«, erkundigte sich Erna atemlos. Das pausbäckige Mädchen mit den von der Haube kaum zu bändigenden hellen Locken schaute ihre Herrin sorgenvoll an. »Das Gewand sitzt«, entgegnete Uta und schaute prüfend an sich hinunter. »Dein Kopf«, deutete Erna, die sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte, mit dem Zeigefinger. »Man könnte meinen, du hättest mit Lisa die Haare getauscht.« Uta musste nun auch schmunzeln und fuhr sich mit den Fingern durch die langen Strähnen, um sie zu entwirren. Mit wenigen gekonnten Handgriffen flocht sie das Haar auf dem Rücken zu einem dicken Zopf. Sie ergriff die auf der Fensterbank liegende Spange und steckte damit eine widerspenstige Locke über dem Ohr fest. Das Schmuckstück mit den hellgrünen Vierkantsteinen war ein Geschenk ihrer Mutter. Vielleicht mochte sie es deswegen besonders gern. Dass es ihre Augen so wunderbar zum Leuchten brächte, sagte die Mutter stets, wenn sie das Schmückstück an Uta entdeckte, und strich ihr dabei liebevoll über die Wangen. Uta war stolz, die grünen Augen ihrer Mutter geerbt zu haben, zumal Esiko, der manchmal etwas eigen war, die gleiche Augenfarbe besaß. Auch die zierliche Gestalt und die Konturen ihres Gesichts mit den geschwungenen Brauen, der schmalen Nase mit dem breiten Nasenrücken und den kleinen Mund mit den vollen Lippen hatte die Mutter ihr in die Wiege gelegt. Besonders stolz war Uta jedoch auf den kleinen braunen Fleck, einen Fingerbreit unter ihrem linken Auge. Den besaßen alle vier Geschwister an genau der gleichen Stelle, was sie mit der Mutter auf eine besondere Weise verband. »Du siehst hübsch aus«, sagte Erna und richtete Uta die Spange. In diesem Moment erklang der letzte Schlag der Doppelglocke: Die Gäste waren also angekommen. »Komm! Sonst schimpft der Vater.« Uta ergriff Ernas Hand und zog sie hinter sich aus der Kemenate.
Zur Begrüßung der hohen Besucher hatten die Burgbewohner in drei Reihen Aufstellung genommen. An der Spitze der Versammlung stand der Burgherr Graf Adalbert von Ballenstedt mit seinem Stammhalter Esiko. Adalberts einst blaue Augen waren vor Verbitterung über die Jahre hinweg verblasst. Als Graf war er ein Lehnsmann des Königs und als solcher zum Schutz seiner Untertanen verpflichtet. Die Untertanen brachten im Gegenzug dafür halbjährlich Naturalien und Brennholz auf die Burg. Mittlerweile erzielte er Einkünfte aus zahlreichen Lehnsdörfern im Schwaben- und im Harzgau, im Nordthüringengau und im Serimunt. Außerdem hatte er durch die Heirat mit Hidda, der Tochter des Markgrafen Gero aus der Ostmark, noch umfangreiches, freies Landeigentum hinzugewonnen. Nichtsdestotrotz konnte er dem König aufgrund seiner vergleichsweise immer noch kleinen Lehen nur geringe Kriegsdienste leisten. Die Markgrafen der östlichsten Reichsgebiete stellten dem König für den Krieg zwanzigmal so viele Krieger, Pferde und Waffen zur Verfügung wie er und wurden deshalb auch in Angelegenheiten des Reiches von Kaiser Heinrich zur Beratung und Mitsprache herangezogen. Adalbert war ihnen an Macht und Einfluss deutlich unterlegen, aber das - so hatte er sich vorgenommen - würde er heute, so gut es ging, zu überspielen wissen. Keine leichte Aufgabe, wenn es um Gebietsstreitigkeiten mit dem Meißner Markgrafen Ekkehard dem Älteren ging. Adalbert richtete sein Wams und fixierte das Eingangstor, vor dem nun deutlich Pferdegetrappel zu vernehmen war. Diesen Moment der Konzentration nutzte Uta und sprang am Küchenmeister vorbei an die Seite ihrer Mutter, die in der zweiten Reihe hinter dem Grafen Aufstellung genommen hatte. Erna trat zu den Mägden. »Entschuldigt, Mutter«, flüsterte Uta und knickste. Gräfin Hidda, die dem besonderen Anlass entsprechend einen Schleier mit edler Borte angelegt hatte, ergriff unauffällig die Hand ihrer Tochter. Esiko, der neben dem Vater stand, wandte sich um und mahnte mit dem Finger auf dem Mund zur Ruhe. Als er sah, dass die Schwester liebevoll lächelnd von der Mutter zu ihm schaute, wandte er sich wieder dem Geschehen vor sich zu. Auf Schlachtrössern zogen an der Spitze des Zugs nun Markgraf Ekkehard und sein Sohn Hermann, gefolgt von einer Schar von Rittern, Knappen, Bannerträgern und Bläsern ein. Die Zugbrücke knarrte unter dem Gewicht des Gästezugs. Adalbert wandte sich dem Stallmeister zu, der sich zusammen mit dem Burggeistlichen, dem Küchenmeister nebst Mägden, dem Schmiedemeister und weiterem Gesinde hinter der Ballenstedter Familie versammelt hatte. »Versorgt die Tiere unserer Gäste. Sofort!«, befahl er. Die Besucher saßen ab. »Vielen Dank für die Einladung«, grüßte der Markgraf, dem ein Fahnenträger folgte, auf dessen Banner ein Adler prangte.
© 2013 by Knaur Taschenbuch
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Autoren-Porträt von Claudia Beinert, Nadja Beinert
Dr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Leipzig.Dr. Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause.Besuchen Sie die Autorinnen unter:www.beinertschwestern.dewww.facebook.com/beinertschwestern Beinert, NadjaDr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Würzburg und Leipzig.Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause.Besuchen Sie die Autorinnen unter:www.beinertschwestern.dewww.facebook.com/beinertschwestern
Bibliographische Angaben
- Autoren: Claudia Beinert , Nadja Beinert
- 2013, 6. Aufl., 768 Seiten, 2 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426514044
- ISBN-13: 9783426514047
- Erscheinungsdatum: 01.11.2013
Rezension zu „Die Herrin der Kathedrale / Uta von Naumburg Bd.1 “
"Die beiden Autorinnen, gebürtig in Staßfurt, haben ein opulentes, prachtvolles Debüt vorgelegt." General-Anzeiger 20131210
Pressezitat
"Die beiden Autorinnen, gebürtig in Staßfurt, haben ein opulentes, prachtvolles Debüt vorgelegt." General-Anzeiger 20131210
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