Verräter wie wir
Roman
Dima ist die Seele der russischen Mafia. Seit seiner Zeit als Gefangener im Gulag hat er sich an ihre Spitze hochgearbeitet. Sein Spezialgebiet: die Geldwäsche. Doch seine Tage sind gezählt. Er hat Feinde unter den mächtigen...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Verräter wie wir “
Dima ist die Seele der russischen Mafia. Seit seiner Zeit als Gefangener im Gulag hat er sich an ihre Spitze hochgearbeitet. Sein Spezialgebiet: die Geldwäsche. Doch seine Tage sind gezählt. Er hat Feinde unter den mächtigen Weggefährten. Um das Überleben seiner Familie zu sichern, geht er einen Pakt mit dem Westen ein. Er bietet sein Wissen im Tausch gegen ein Leben in England. Eine Sensation für den britischen Geheimdienst, der einwilligt. Aber die Agenten stoßen auf einen bedrohlichen Widerstand. Der lange Arm der Mafia reicht bis weit in den Westen. Wie lange wird Dima seine russischen Freunde täuschen können?
Verräter wie wir ist ein leidenschaftlicher Roman über die Korrumpierbarkeit des Westens und über die Zerbrechlichkeit der Demokratie.
Verräter wie wir ist ein leidenschaftlicher Roman über die Korrumpierbarkeit des Westens und über die Zerbrechlichkeit der Demokratie.
Klappentext zu „Verräter wie wir “
Dima ist die Seele der russischen Mafia. Seit seiner Zeit als Gefangener im Gulag hat er sich an ihre Spitze hochgearbeitet. Sein Spezialgebiet: die Geldwäsche. Doch seine Tage sind gezählt. Er hat Feinde unter den mächtigen Weggefährten. Um das Überleben seiner Familie zu sichern, geht er einen Pakt mit dem Westen ein. Er bietet sein Wissen im Tausch gegen ein Leben in England. Eine Sensation für den britischen Geheimdienst, der einwilligt. Aber die Agenten stoßen auf einen bedrohlichen Widerstand. Der lange Arm der Mafia reicht bis weit in den Westen. Wie lange wird Dima seine russischen Freunde täuschen können? Verräter wie wir ist ein leidenschaftlicher Roman über die Korrumpierbarkeit des Westens und über die Zerbrechlichkeit der Demokratie.Große TV-Doku "Der Taubentunnel" ab 20. Oktober 2023 auf Apple TV+
Lese-Probe zu „Verräter wie wir “
Verräter wie wir von John le Carré1
An einem Karibikmorgen um sieben spielte auf der Insel
Antigua ein gewisser Peregrine Makepiece, kurz Perry,
Universalsportler und Noch-Anglistikdozent an einem renommierten
Oxforder College, drei Sätze Tennis gegen
einen muskulösen Mittfünfziger, einen braunäugigen Russen
mit kahlem Kopf und hoheitsvoller Haltung, der Dima
hieß. Die Ereignisse rund um das Match gerieten schon
bald ins Fadenkreuz britischer Agenten, die von Berufs
wegen nicht an Zufälle glaubten. Da bei war der Hergang,
soweit es Perry betraf, über jeden Vorwurf erhaben.
Sein nahender dreißigster Geburtstag drei Monate zuvor
hatte bei ihm eine Sinnkrise ausgelöst, die sich, von
ihm unbemerkt, schon ein Jahr oder länger an gebahnt hatte.
Den Kopf in den Händen vergraben, hatte er morgens
um acht in seiner bescheidenen Oxforder Wohnung gehockt,
nachdem auch ein Sieben-Meilen-Lauf keine Linderung
gebracht hatte, und sich mit der Frage gequält, was
zum Henker er nach dem ersten Drittel seines Erdendaseins
vorweisen konnte außer einem Freibrief dafür, sich
um die Welt jenseits der träumenden Türme Oxfords
nicht weiter zu kümmern.
* * *
Warum?
... mehr
Jedem Außenstehenden musste seine akademische Laufbahn
als Erfolgsgeschichte sondergleichen erscheinen. Der
Sohn eines Lehrerehepaars, der nie eine Privatschule von
innen gesehen hat, kommt mit einem Abschluss von der
London University und bergeweise akademischen Auszeichnungen
nach Oxford und tritt eine Dreijahresstelle
in einem altehrwürdigen, reichen, erfolgsorientierten College
an. Seinen Taufnamen, traditionsgemäß der englischen
Oberschicht vorbehalten, verdankt er einem aufrührerischen
methodistischen Prälaten des neunzehnten Jahrhunderts,
Arthur Peregrine von Huddersfield.
In seiner Freizeit während des Semesters tut er sich als
Querfeldeinläufer und Sportsmann hervor. Wenn er einen
Abend erübrigen kann, hilft er in einem Oxforder Jugendclub
aus. In den Ferien bezwingt er schwierigste Gipfel
und beweist sich im extremen Fels. Aber als ihm sein
College eine Dauerstelle anbietet - oder, wie es sich seiner
an gesäuerten Wahrnehmung darstellt, die lebenslange
Gefangenschaft -, stemmt er die Fersen ein.
Nochmals: Warum?
Letztes Semester hat er seine Vorlesung über George Orwell
»England in Ketten?« betitelt, und seine eigene Rhetorik
hat ihn erschreckt. Hätte Orwell sich träumen lassen,
dass die gleichen saturierten Stimmen, die ihm die dreißiger
Jahre vergällt hatten, die gleiche lähmende Inkompetenz,
die gleiche koloniale Kriegswut, die gleichen Vormachtallüren
auch 2009 noch fröhliche Urständ feiern?
Und als sich auf den Gesichtern der Studenten, die dasa-
ßen und zu ihm hochstarrten, keinerlei Reaktion abzeichnete,
hat er sie selbst geliefert: Nein, nie im Leben
hätte Orwell sich das träumen lassen. Und wenn doch, dann
wäre er auf die Straße gegangen. Dann hätte er Krawall
geschlagen, aber wie.
* * *
Gegenüber Gail, seiner langjährigen Freundin, hatte er seinem
Groll noch gründlicher Luft gemacht, als sie nach
dem Geburtstagsessen für ihn zusammen in Gails Bett lagen,
in Gails Wohnung in Primrose Hill, die sie von ihrem
an sonsten mittellosen Vater geerbt hatte.
»Collegedozenten kotzen mich an, und dass ich selbst
einer bin, kotzt mich auch an. Der ganze Unibetrieb kotzt
mich an, und je eher ich diesen Scheißtalar in die Ecke
pfeffern kann, desto eher fühle ich mich wieder als freier
Mann«, hatte er in das goldbraune Haar geschimpft, das
sich sanft um seine Schulter ergoss.
Und als er nur ein anteilnehmendes Schnurren zur Antwort
erhielt: »Was soll ich Byron oder Keats oder Wordsworth
irgendwelchen jungen Schnöseln andienen, die nichts
anderes wollen als rauskommen, rumvögeln und reich werden?
War da. Hab mit gemacht. Drecksbande.« Und indem er
noch eins draufsetzte: »So ziemlich das Einzige, was mich in
diesem Scheiß land noch halten könnte, ist eine Revolution.«
Worauf ihm Gail, eine aufgeweckte, ambitionierte junge
Rechtsanwältin, die sowohl mit Schönheit als auch einem
losen Mundwerk gesegnet war - manchmal loser, als ihr
oder Perrylieb sein konnte -, versicherte, keine Revolution
wäre vollständig ohne ihn.
Auch Gail war praktisch elternlos. Aber während Perrys
Eltern ein Muster an hochgesinnter christlich-sozialer Askese
gewesen waren, waren ihre das glatte Gegenteil. Ihren
Vater, einen liebenswert-unbegabten Schauspieler, hatten
Alkohol, sechzig Zigaretten täglich sowie eine verfehlte Passion
für seine launenhafte Frau vor zeitig dahingerafft. Ihre
Mutter, ebenfalls Schauspielerin, nur weniger liebenswert,
hatte sich vom Acker gemacht, als Gail drei zehn war, und
huldigte nun Gerüchten zufolge an der Seite eines zweiten
Kameramannes an der Costa Brava dem ein fachen Leben.
* * *
Perrys Entschluss, den Staub der Gelehrsamkeit von seinen
Füßen abzuschütteln - unwiderruflich, wie alle Entschlüsse
bei Perry -, sollte gekoppelt sein mit einer Rückkehr
zu seinen Wurzeln. Der einzige Sohn von Dora und
Alfred Makepiece würde ihre sämtlichen Überzeugungen
in die Tat um setzen. Er würde seine pädagogische Laufbahn
an dem Punkt neu beginnen, an dem sie gezwungen gewesen
waren, die ihrige auf zu geben.
Er würde nicht länger den intellektuellen Überflieger
spielen, sondern die ganz normale, prosaische Lehrerausbil-
dung nachmachen und, getreu dem elterlichen Vorbild,
Oberschullehrer in einer der sozial schwächsten Regionen
des Landes werden.
Er würde Standardfächer unterrichten und dazu die
einschlägigen Sportarten, bei Kindern, die ihn als Retter
aus der absoluten Chancenlosigkeit brauchten, nicht als
Frei fahr schein zu bürgerlicher Betuchtheit.
Aber Gail fühlte sich durch diese Pläne nicht so beunruhigt
wie vielleicht von ihm beabsichtigt. Bei all seiner
Entschlossenheit, sich den Brennpunkten der Realität zu
stellen, blieben doch Seiten an ihm, die nicht ins Bild passten,
und mit den meisten war Gail mehr als vertraut:
Da war Perry, der verhinderte T. E. Lawrence, der als
Student an der London University, wo die beiden sich kennen
gelernt hatten, zum Zwecke der Selbstkasteiung mit
dem Fahr rad durch Frankreich gestrampelt war, bis er vor
Erschöpfung um kippte.
Da war Perry, der Gipfelstürmer, der Perry, der keinen
Lauf mitlaufen und kein Spiel mit spielen konnte, ob 7erRug-
by oder die Weihnachtsscharaden mit Gails Nichten
und Neffen, ohne zwanghaft gewinnen zu wollen.
Doch da war auch noch Perry, der heimliche Bacchant,
der sich vereinzelte unvorhersehbare Ausbrüche von
Genuss sucht gönnte, bevor er zurückeilte in seine Dachstube.
Und das war der Perry, der an diesem frühen Mai-
morgen auf dem besten Tennisplatz der besten rezessionsgebeutelten
Hotelanlage Antiguas gegen den Russen Dima
antrat, solange es noch kühl genug war zum Spielen, während
Gail in Badeanzug, breit krempigem Sonnenhut und
einem seidenen Überwurf, der mehr freiließ als verhüllte,
von der Tribüne aus zusah, um sie herum ein Sammelsurium
stumpfblickender Zuschauer - nicht alle in Schwarz
zwar, aber offenbar alle miteinander grimmig entschlossen,
nicht zu lächeln, nicht zu sprechen und um Gottes willen
kein Interesse an dem Match zu zeigen, dem sie hier beiwoh-
nen mussten.
* * *
Gail dankte dem Himmel, dass das Karibik-Abenteuer
noch in der Zeit vor Perrys impulsiver Lebensentscheidung
beschlossen worden war. Seine Ursprünge reichten
zurück bis in den tristesten November, als Perrys Vater an
dem gleichen Krebs gestorben war wie zwei Jahre zuvor
seine Mutter, wodurch sich Perry plötzlich als leidlich
gutsituierter Mann wieder fand. Ererbter Reichtum gehört
einem nicht. Perry schwankte ernsthaft, ob er nicht alles,
was er hatte, den Armen geben sollte. Aber nach einer
von Gail inszenierten Zermürbungskampagne einigten sie
sich statt dessen auf einen Tennisurlaub in der Sonne, ein
Schnäppchen, wie es im Leben nicht wiederkam.
Und kein Zeitpunkt hätte besser gewählt sein können,
wie sich zeigte, denn als sie losfuhren, gab es für sie beide
noch weit schwerwiegendere Entscheidungen zu treffen:
Was sollte Perry mit seinem Leben anfangen, und sollten
sie es gemeinsam anfangen?
Sollte Gail die Juristerei an den Nagel hängen und ihm
blindlings hinausfolgen in die blaue Ferne, oder blieb sie
besser London und ihrem kometenhaften Aufstieg dort
treu?
Oder wurde es vielleicht langsam Zeit, sich ein zugeste-
hen, dass ihr Aufstieg nicht kometenhafter war als der
der meisten Junganwälte, und einfach schwanger zu werden,
womit Perry ihr ohnehin schon ständig in den Ohren lag?
Und auch wenn Gail, sei es aus Eigensinn, sei es zum
Selbstschutz, große Fragen gern als kleine abtat, standen
sie doch unzweifelhaft beide, jeder für sich wie auch als
Paar, an einem Scheideweg und mussten erst mal ordentlich
in sich gehen, und ein Urlaub auf Antigua schien dafür
die ideale Gelegenheit.
© Weltbild
Jedem Außenstehenden musste seine akademische Laufbahn
als Erfolgsgeschichte sondergleichen erscheinen. Der
Sohn eines Lehrerehepaars, der nie eine Privatschule von
innen gesehen hat, kommt mit einem Abschluss von der
London University und bergeweise akademischen Auszeichnungen
nach Oxford und tritt eine Dreijahresstelle
in einem altehrwürdigen, reichen, erfolgsorientierten College
an. Seinen Taufnamen, traditionsgemäß der englischen
Oberschicht vorbehalten, verdankt er einem aufrührerischen
methodistischen Prälaten des neunzehnten Jahrhunderts,
Arthur Peregrine von Huddersfield.
In seiner Freizeit während des Semesters tut er sich als
Querfeldeinläufer und Sportsmann hervor. Wenn er einen
Abend erübrigen kann, hilft er in einem Oxforder Jugendclub
aus. In den Ferien bezwingt er schwierigste Gipfel
und beweist sich im extremen Fels. Aber als ihm sein
College eine Dauerstelle anbietet - oder, wie es sich seiner
an gesäuerten Wahrnehmung darstellt, die lebenslange
Gefangenschaft -, stemmt er die Fersen ein.
Nochmals: Warum?
Letztes Semester hat er seine Vorlesung über George Orwell
»England in Ketten?« betitelt, und seine eigene Rhetorik
hat ihn erschreckt. Hätte Orwell sich träumen lassen,
dass die gleichen saturierten Stimmen, die ihm die dreißiger
Jahre vergällt hatten, die gleiche lähmende Inkompetenz,
die gleiche koloniale Kriegswut, die gleichen Vormachtallüren
auch 2009 noch fröhliche Urständ feiern?
Und als sich auf den Gesichtern der Studenten, die dasa-
ßen und zu ihm hochstarrten, keinerlei Reaktion abzeichnete,
hat er sie selbst geliefert: Nein, nie im Leben
hätte Orwell sich das träumen lassen. Und wenn doch, dann
wäre er auf die Straße gegangen. Dann hätte er Krawall
geschlagen, aber wie.
* * *
Gegenüber Gail, seiner langjährigen Freundin, hatte er seinem
Groll noch gründlicher Luft gemacht, als sie nach
dem Geburtstagsessen für ihn zusammen in Gails Bett lagen,
in Gails Wohnung in Primrose Hill, die sie von ihrem
an sonsten mittellosen Vater geerbt hatte.
»Collegedozenten kotzen mich an, und dass ich selbst
einer bin, kotzt mich auch an. Der ganze Unibetrieb kotzt
mich an, und je eher ich diesen Scheißtalar in die Ecke
pfeffern kann, desto eher fühle ich mich wieder als freier
Mann«, hatte er in das goldbraune Haar geschimpft, das
sich sanft um seine Schulter ergoss.
Und als er nur ein anteilnehmendes Schnurren zur Antwort
erhielt: »Was soll ich Byron oder Keats oder Wordsworth
irgendwelchen jungen Schnöseln andienen, die nichts
anderes wollen als rauskommen, rumvögeln und reich werden?
War da. Hab mit gemacht. Drecksbande.« Und indem er
noch eins draufsetzte: »So ziemlich das Einzige, was mich in
diesem Scheiß land noch halten könnte, ist eine Revolution.«
Worauf ihm Gail, eine aufgeweckte, ambitionierte junge
Rechtsanwältin, die sowohl mit Schönheit als auch einem
losen Mundwerk gesegnet war - manchmal loser, als ihr
oder Perrylieb sein konnte -, versicherte, keine Revolution
wäre vollständig ohne ihn.
Auch Gail war praktisch elternlos. Aber während Perrys
Eltern ein Muster an hochgesinnter christlich-sozialer Askese
gewesen waren, waren ihre das glatte Gegenteil. Ihren
Vater, einen liebenswert-unbegabten Schauspieler, hatten
Alkohol, sechzig Zigaretten täglich sowie eine verfehlte Passion
für seine launenhafte Frau vor zeitig dahingerafft. Ihre
Mutter, ebenfalls Schauspielerin, nur weniger liebenswert,
hatte sich vom Acker gemacht, als Gail drei zehn war, und
huldigte nun Gerüchten zufolge an der Seite eines zweiten
Kameramannes an der Costa Brava dem ein fachen Leben.
* * *
Perrys Entschluss, den Staub der Gelehrsamkeit von seinen
Füßen abzuschütteln - unwiderruflich, wie alle Entschlüsse
bei Perry -, sollte gekoppelt sein mit einer Rückkehr
zu seinen Wurzeln. Der einzige Sohn von Dora und
Alfred Makepiece würde ihre sämtlichen Überzeugungen
in die Tat um setzen. Er würde seine pädagogische Laufbahn
an dem Punkt neu beginnen, an dem sie gezwungen gewesen
waren, die ihrige auf zu geben.
Er würde nicht länger den intellektuellen Überflieger
spielen, sondern die ganz normale, prosaische Lehrerausbil-
dung nachmachen und, getreu dem elterlichen Vorbild,
Oberschullehrer in einer der sozial schwächsten Regionen
des Landes werden.
Er würde Standardfächer unterrichten und dazu die
einschlägigen Sportarten, bei Kindern, die ihn als Retter
aus der absoluten Chancenlosigkeit brauchten, nicht als
Frei fahr schein zu bürgerlicher Betuchtheit.
Aber Gail fühlte sich durch diese Pläne nicht so beunruhigt
wie vielleicht von ihm beabsichtigt. Bei all seiner
Entschlossenheit, sich den Brennpunkten der Realität zu
stellen, blieben doch Seiten an ihm, die nicht ins Bild passten,
und mit den meisten war Gail mehr als vertraut:
Da war Perry, der verhinderte T. E. Lawrence, der als
Student an der London University, wo die beiden sich kennen
gelernt hatten, zum Zwecke der Selbstkasteiung mit
dem Fahr rad durch Frankreich gestrampelt war, bis er vor
Erschöpfung um kippte.
Da war Perry, der Gipfelstürmer, der Perry, der keinen
Lauf mitlaufen und kein Spiel mit spielen konnte, ob 7erRug-
by oder die Weihnachtsscharaden mit Gails Nichten
und Neffen, ohne zwanghaft gewinnen zu wollen.
Doch da war auch noch Perry, der heimliche Bacchant,
der sich vereinzelte unvorhersehbare Ausbrüche von
Genuss sucht gönnte, bevor er zurückeilte in seine Dachstube.
Und das war der Perry, der an diesem frühen Mai-
morgen auf dem besten Tennisplatz der besten rezessionsgebeutelten
Hotelanlage Antiguas gegen den Russen Dima
antrat, solange es noch kühl genug war zum Spielen, während
Gail in Badeanzug, breit krempigem Sonnenhut und
einem seidenen Überwurf, der mehr freiließ als verhüllte,
von der Tribüne aus zusah, um sie herum ein Sammelsurium
stumpfblickender Zuschauer - nicht alle in Schwarz
zwar, aber offenbar alle miteinander grimmig entschlossen,
nicht zu lächeln, nicht zu sprechen und um Gottes willen
kein Interesse an dem Match zu zeigen, dem sie hier beiwoh-
nen mussten.
* * *
Gail dankte dem Himmel, dass das Karibik-Abenteuer
noch in der Zeit vor Perrys impulsiver Lebensentscheidung
beschlossen worden war. Seine Ursprünge reichten
zurück bis in den tristesten November, als Perrys Vater an
dem gleichen Krebs gestorben war wie zwei Jahre zuvor
seine Mutter, wodurch sich Perry plötzlich als leidlich
gutsituierter Mann wieder fand. Ererbter Reichtum gehört
einem nicht. Perry schwankte ernsthaft, ob er nicht alles,
was er hatte, den Armen geben sollte. Aber nach einer
von Gail inszenierten Zermürbungskampagne einigten sie
sich statt dessen auf einen Tennisurlaub in der Sonne, ein
Schnäppchen, wie es im Leben nicht wiederkam.
Und kein Zeitpunkt hätte besser gewählt sein können,
wie sich zeigte, denn als sie losfuhren, gab es für sie beide
noch weit schwerwiegendere Entscheidungen zu treffen:
Was sollte Perry mit seinem Leben anfangen, und sollten
sie es gemeinsam anfangen?
Sollte Gail die Juristerei an den Nagel hängen und ihm
blindlings hinausfolgen in die blaue Ferne, oder blieb sie
besser London und ihrem kometenhaften Aufstieg dort
treu?
Oder wurde es vielleicht langsam Zeit, sich ein zugeste-
hen, dass ihr Aufstieg nicht kometenhafter war als der
der meisten Junganwälte, und einfach schwanger zu werden,
womit Perry ihr ohnehin schon ständig in den Ohren lag?
Und auch wenn Gail, sei es aus Eigensinn, sei es zum
Selbstschutz, große Fragen gern als kleine abtat, standen
sie doch unzweifelhaft beide, jeder für sich wie auch als
Paar, an einem Scheideweg und mussten erst mal ordentlich
in sich gehen, und ein Urlaub auf Antigua schien dafür
die ideale Gelegenheit.
© Weltbild
... weniger
Autoren-Porträt von John le Carré
John le Carré, 1931 geboren, schrieb über sechs Jahrzehnte lang Romane, die unsere Epoche ausloten. Als Sohn eines Hochstaplers verbrachte er seine Kindheit zwischen Internat und Londoner Unterwelt. Mit 16 ging er an die Universität Bern (Schweiz), später dann nach Oxford. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. Während seiner Dienstzeit veröffentlichte er 1961 seinen Erstlingsroman Schatten von Gestern. Der Spion, der aus der Kälte kam, sein dritter Roman, brachte ihm weltweite Anerkennung ein, die sich durch den Erfolg seiner Trilogie Dame, König, As, Spion, Eine Art Held und Agent in eigener Sache festigte. Nach dem Ende des Kalten Krieges weitete le Carré sein Themenspektrum auf eine internationale Landschaft aus, die den Waffenhandel ebenso umfasste wie den Kampf gegen den Terrorismus. Seine Autobiografie Taubentunnel erschien 2016, Das Vermächtnis der Spione, der abschließende Roman um George Smiley, 2017. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. Posthum erschien sein Roman Silverview.
Bibliographische Angaben
- Autor: John le Carré
- 2011, 4. Aufl., 416 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Sabine Roth
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548283918
- ISBN-13: 9783548283913
- Erscheinungsdatum: 10.11.2011
Rezension zu „Verräter wie wir “
»Das Herzschlag-Tempo der Erzählung, die Art, wie Figuren und Details nach Art eines Fotoabzugs allmählich hervortreten - Fans dürften alles wiederfinden, was ein le-Carré-Buch ausmacht.« dpa, Andrej Sokolow, 26.10.10 »John le Carré beschreibt könnerhaft und gewitzt, wie aus dem Kalten Krieg ein warmer Händedruck unter Geschäftsmännern wurde.« NDR Kultur, Eva-Maria Lemke, 27.10.10 »Was macht einen erstklassigen Roman aus? Welthaftigkeit, gut geschilderte Charaktere, eine Story ohne Leerlauf sowie - deutschen Autoren sei`s gedonnert und gepfiffen - ein ausgefeilter Plot.« Prisma, 10.11.10 »(Alles) ist in die feine, die zart giftige Ironie Le Carrés gehüllt. « Frankfurter Rundschau, Sylvia Staude, 02.11.10
Kommentare zu "Verräter wie wir"
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