Voll streng, Frau Freitag!
Neues aus dem Schulalltag. Originalausgabe
Die geniale Fortsetzung des Bestsellers "Chill mal, Frau Freitag"!
Während Frau Freitag ihre Schüler nachts auf Facebook an ihre Bewerbungen erinnert und tagsüber durch die Prüfungen schleust, haben Bibal, Emre und Miriam ganz andere...
lieferbar
versandkostenfrei
Taschenbuch
10.30 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Voll streng, Frau Freitag! “
Die geniale Fortsetzung des Bestsellers "Chill mal, Frau Freitag"!
Während Frau Freitag ihre Schüler nachts auf Facebook an ihre Bewerbungen erinnert und tagsüber durch die Prüfungen schleust, haben Bibal, Emre und Miriam ganz andere Probleme: "Hab ich Selbstbräuner aufgesprüht und heute morgen voll Schock ..."
Klappentext zu „Voll streng, Frau Freitag! “
»Ich schwöre, ich habe perfekt deutsch gesprochen. Ich glaube, ich habe sogar gesagt: Ich habe mein Praktikum absolviert. So spreche ich sonst nie. «Frau Freitags Klasse ist jetzt in der Zehnten. Alles dreht sich um den Abschluss. Wirklich alles? Während Frau Freitag ihre Schüler nachts auf Facebook an ihre Bewerbungen erinnert und tagsüber durch die Prüfungen schleust, haben Bilal, Emre und Mariam ganz andere Probleme: »Wie kam man eigentlich ins Internet, als es noch keine Computer gab?« - »Moment noch Frau Freitag, gleich fertig mit Handy.« - »Hab ich Selbstbräuner raufgesprüht und heute Morgen voll Schock: volldunkelbraun.« Aber wie soll eigentlich Frau Freitag ohne ihre Klasse überleben?Lese-Probe zu „Voll streng, Frau Freitag! “
Voll streng, Frau Freitag! von Frau FreitagIntro
... mehr
»Frau Freitag, du hast Besuch!«, ruft mir Frau Schwalle entgegen. Ich hetze durch den Verwaltungstrakt. »Wie - Besuch?« »Der Ronnie rennt hier rum und sucht dich.« Ronnie. Ronnie ist ein Reflexwort. Sofort denke ich: Oh Gott, Schlägerei, Polizei, Sitzungen, Gespräche, Ärger, Frust und Arbeit, Arbeit, Arbeit. Dann wird mir plötzlich klar: Ronnie ist gar nicht mehr mein Schüler. Ich bin jetzt die Klassenlehrerin von dieser entzückenden, leistungswilligen, netten Siebten. Die, die in Geschichte so super-duper-gut mitgemacht haben. Die, von denen der Mathelehrer total begeistert war. Die, die ich seiner Meinung nach »gut eingestellt« habe. Abdul, Samira, Fatma und Ronnie, das sind Namen aus längst vergangenen Zeiten.
Was will Ronnie hier? Oh Mann, wahrscheinlich ist irgendwas mit seinem Zeugnis nicht in Ordnung. Dann kann ich wieder stundenlang am Computer sitzen und mit dem Zeugnisprogramm kämpfen. Ich gehe in meine Klasse. Wir haben Kunst. Plötzlich steht Ronnie in der Tür und grinst mich an. »Ronnie, hi. Was machst du denn hier?«
»Ich wollte Sie besuchen. Wie geht es Ihnen?« Er kommt zu mir, gibt mir die Hand und guckt sich die Schüler an. »Ist das Ihre neue Klasse?« Ich nicke und erkläre den Kindern, wer Ronnie ist. Dann bitte ich ihn, meiner Klasse was Wissenswertes für deren Schullaufbahn zu erzählen. Ronnie will seinen Realschulabschluss nachholen, an einem Oberstufenzentrum. »OSZ - weiß jemand, was das ist?«, frage ich meine Klasse - die sollen so viel wie möglich lernen. In jeder Minute sollen die was lernen.
Orhan meldet sich. »Ich weiß! Ist so was wie GEZ.« »Ja, na ja, fast. Nicht ganz richtig. Wer hat denn noch eine Idee?« Die Schüler fragen. Ronnie erklärt. Geduldig und erwachsen teilt er seine Erfahrungen. Ich bin ganz gerührt. »Ronnie, wenn du jetzt so auf deine Schulzeit zurückguckst, was würdest du sagen, ist das Wichtigste?«
Ronnie stellt sich gerade hin, holt tief Luft. Die Siebtklässler starren ihn gebannt an. »Ihr müsst von Anfang an richtig ranklotzen. Jetzt denkt ihr noch, die Schule ist leicht. Aber glaubt mir mal, das wird richtig hart.« Keiner sagt was. Es wird Zeit, dass wir mit dem Unterricht anfangen. »Habt ihr noch Fragen an den Ronnie?« Anil meldet sich. »Ja, Anil?« »Wann hast du Geburtstag?« Ronnie guckt mich leicht verwirrt an. »Anil, warum willst du das wissen? Willst du ihm was schenken? Haben die anderen noch Fragen?« Hamid reißt seine Hand in die Luft. »Ja, Hamid?« »Ist deine Hose von Puma?« Ronnie nickt. Jetzt meldet sich Anil wieder. »Anil?« »Frau Freitag, wie viel Jahre haben Sie?« »Das heißt, wie alt sind Sie!«, schreit Yunus von hinten. »Okay, Kinder. Ich glaube, wir beenden das jetzt und fangen mit Kunst an.«
Ich verabschiede mich von Ronnie und unterrichte die Stunde zu Ende. Draußen wartet Ronnie auf mich. Wir gehen einen Kaffee trinken und reden. Er ist müde, sagt er. Er war die ganze Nacht wach, weil vor seinem Haus eine Autoalarmanlage übelst laute Töne gemacht hat und er die Polizei gerufen hat. Hätte ja sein können, dass jemand das Auto anzünden wollte.
»Die Polizei hat mich auch gelobt. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig, haben sie gesagt.« Ich bin beeindruckt. Ronnie ist ein richtiger Bürger geworden. Das war vor einem Jahr noch nicht abzusehen.
Massiver Kopffick
»Frau Freitag, ich hatte die ganzen Ferien massiven Kopffick! Das glauben Sie gar nicht«, begrüßt mich Ronnie am ersten Schultag. Sein Sommer war erlebnisreich. Er erzählt mir die seltsamsten Storys und schraubt sich dabei auf ein Wutlevel hoch, das ihn den Rest des Tages schlecht gelaunt und latent aggressiv vor mir sitzen lässt. Gleich zu Beginn der Ferien wurde ihm im Internetcafé sein Portemonnaie geklaut. Dann war er Zeuge bei einer Schlägerei vor Aldi, und als er bei der Polizei aussagen wollte, hat man ihn plötzlich beschuldigt, mit den Tätern unter einer Decke zu stecken, und vor zwei Tagen bekam er auch noch eine viel zu hohe Handyrechnung. Und überhaupt.
Schon nach zwei Stunden mit meinen Schülern bin ich völlig fertig. Klitschnasse Kniekehlen habe ich. Meine Klasse ist jetzt in der Zehnten. Dieses Jahr wird es ernst. Die letzten gemeinsamen zwölf Monate. Letzte Chance für die, noch einen Abschluss zu machen. Im Mai werden die Realschulprüfungen geschrieben. Im Winter müssen sie anfangen, sich auf Ausbildungsplätze zu bewerben. Jetzt heißt es erwachsen werden.
Ich freue mich, die Schüler wiederzusehen. Mehmet ist nicht mehr dabei. Er wiederholt die 9. Klasse. Gut für meine Nerven. Und Samira musste leider die Klasse wechseln. Sie hatte im zweiten Halbjahr der Neunten beschlossen, ihre Konflikte mit Mädchen aus zwei Parallelklassen nicht nur verbal zu bearbeiten. Sie sehe ich jetzt nur noch auf dem Hof. Samira findet ihre neue Klasse doof. »Ich kann mit niemandem quatschen. Ich bin die ganze Zeit still! Das ist so schrecklich!« »Ist doch super, dann kannst du dich auf den Unterricht konzentrieren!« Sie sieht das irgendwie anders.
Abdul fastet. »Ist easy, Frau Freitag! Ich bin einfach die ganze Nacht wach und schlafe tagsüber.« Wird interessant, wie er das ab jetzt mit dem Schulbesuch macht. Und jedes Jahr bekommt man auch ein paar neue Schüler. Das ist ein äußerst spannendes Glücksspiel. Es können ehrgeizige und nette Schüler sein, aber auch totale Nieten, die dir die ganze Klasse kaputtmachen. Mit meinen drei neuen Mädchen habe ich direkt Glück. Sie sind freundlich und teilen mir überzeugend mit, dass sie alles geben wollen, damit sie in diesem Schuljahr den Realschulabschluss schaffen.
Aber dann habe ich noch die absolute Knalltüte in die Klasse bekommen. Bilal. Kommentar von Kollege Werner, als er auf meine Klassenliste guckt: »Bilal? Wer hat dem denn erlaubt zu wiederholen? Und warum?« Bilal ist zwei Meter groß, total dünn und hibbelig. Er kommentiert alles, was man sagt, und findet sich unheimlich lustig. Ich frage ihn am Ende der Stunde: »Bilal, warum wiederholst du die Klasse? Möchtest du hier einen besseren Abschluss machen, oder möchtest du hier der Spaßvogel werden?« »Abschluss.«
»Okay, dann verhalte dich ab jetzt ruhig!« Alles in allem war es eigentlich ein recht normaler Start. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich noch nie einen ruhigen ersten Schultag mit meiner Klasse verbracht habe. Vielleicht den allerersten in der 7. Klasse, als sie sich noch nicht kannten. Aber seit sie sich kennen, wird in der ersten Stunde erst mal gequatscht. Für meine Klasse war es wahrscheinlich ein schöner Einstieg ins neue Schuljahr. Nur Frau Freitag hat irgendwie wieder voll mies gestresst.
Meine Freundin Fräulein Krise sagt immer: »Jeder blamiert sich, so gut er kann.« Am zweiten Schultag blamiere ich mich nicht nur vor meinen neuen Schülern, sondern schäme mich auch noch in Grund und Boden für meine verdorbene Klasse. Eine von den drei netten neuen Schülerinnen kommt nach der Klassenleiterstunde, in der Hausaufgaben gemacht werden sollen, zu mir: »Frau Freitag, das geht ja gaaar nicht in dieser Klasse! Ich will einen guten Abschluss machen, und ich glaube nicht, dass ich hier was lernen kann. Hier kann ich ja noch nicht mal in Ruhe meine Schularbeiten machen.«
Ich bin peinlich berührt und total sauer auf die Quasseltaschen in meiner Klasse, die immer noch nicht gerafft haben, dass es in der Schule um was geht.
Meine Schüler können nicht still sein. Nie! Ständig unterbrechen sie mich, andere Schüler, sich selbst ... Die gackern rum, weil in ihren Köpfen nur Hormone rumfliegen, die sich auf alle Synapsen gesetzt haben. Keine Möglichkeit, dass da Vernunft andockt, geschweige denn Wissenswertes. Licht an, aber keiner zu Hause. Kann ich es den fleißigen Wiederholerinnen übelnehmen, dass sie die Klasse wechseln wollen? Ich habe gesagt: »Ich verstehe euch total. Mir ist es auch zu laut. Geht ruhig.«
Wären da doch nur Lautstärkeregler an den Schülern. Mit einer Universalfernsteuerung stünde ich vorne: »So, Marcella, du jetzt mal auf MUTE! Absolute Ruhe bitte, und Hausaufgaben machen!« Aber das gucke ich mir jetzt nicht noch ein Jahr lang an. Nächste Woche sind sie dran. Dann kommt Frau Gnadenlos.
Nicht mit mir! So geht das nicht! Nicht am Anfang der 10. Klasse!
Steiles Gefälle
»Also, ihr Lieben, in der letzten Englischstunde hat mir der Unterricht nicht gefallen. Ich habe gemerkt, dass es hier doch ein sehr starkes Leistungsgefälle in der Klasse gibt.« Die Schüler: »Häh?« Manchmal muss ich einfach über ihre Köpfe hinweg reden. Wenn sie jetzt noch nicht wissen, was ein Gefälle ist, dann macht das auch nichts. Irgendwann hören sie das Wort noch mal und denken: Äh, das kenne ich doch. Das hat doch Frau Freitag in dieser total verkackten Endlosstunde gesagt, als wir in diesen Gruppen arbeiten sollten ... Sie wissen dann zwar immer noch nicht, was es bedeutet, aber was soll's. Ich kann ja auch nicht immer nur so sprechen, dass sie mich verstehen. Sonst hätte ich gesagt: »Letzte Stunde, ja, war Unterricht voll mies scheiße, weil manche so null Checkung und andere erst voll Professor und voll mies abgestrebt und dann - gähn, weil zu leicht.«
»Jedenfalls habe ich mir etwas überlegt. Ich möchte euch in Gruppen aufteilen. Jeweils drei Leute sitzen zusammen. Ich will, dass der Zufall entscheidet. Wir losen die Gruppen aus!«
Und ab da geht es mit der Stunde bergab. Steil bergab! Ich weiß nicht, wie, aber der Zufall, dieser miese Hund, lost doch tatsächlich Abdul, Bilal und Emre in eine Gruppe. Die anderen Schüler lachen. »Das wird eh nichts mit denen, Frau Freitag.« Dann die drei Gackermädchen Elif, Asmaa und Fatma - alle in einer Gruppe. Für sie gleich wieder ein Grund los zu kichern. Die anderen Gruppen gingen so.
Der erste Aufgabenzettel steckt in einer Klarsichtfolie, die Aufgabenbeschreibung steht auf der Rückseite. Zunächst sollen die Schüler mündlich einen englischen Text anhand von Fakten über Frau Freitag ausarbeiten. Späterer Transfer - Fakten über sich selbst aufschreiben. Noch späterer Transfer - einen Text aus diesen Fakten SCHREIBEN. 100 Wörter. »Äh, was sollen wir machen?«
Mustafa legt gleich den Kopf auf den Tisch, ohne etwas zu lesen, und macht die Augen zu. Die Schüler, die sich nicht gleich auf den Tisch legen, holen ein Blatt raus. »Ihr sollt jetzt noch gar nichts schreiben. Da steht: Erst mündlich!« Ich gehe von Tisch zu Tisch und erkläre die Aufgabe. Dann gehe ich von Tisch zu Tisch und zwinge jeden, mindestens einen Satz zu formulieren. Dann gehe ich von Tisch zu Tisch und erkläre die zweite Aufgabe. Dann bin ich das von Tisch zu Tisch rennende Deutsch-Englisch-Wörterbuch. Dann bin ich Zeitmahner und Ideengeber: »Dir fallen keine 100 Wörter zu deinem Leben ein? Was willst du denn später mal arbeiten?« Dann bin ich Korrekturleser und Welterklärer. »Nein, Emre, Bordell wird anders geschrieben. Da gibt es ein englisches Wort für. Meinst du hier, du hast pupils gekillt oder people? Und du denkst, dafür bekommst du nur vier Jahre Haft?«
Am Ende der Stunde hat eine Handvoll Schüler einen Text mit 100 Wörtern und die meisten nicht mehr als: I live in Germany. I have one brother and one sister. My hobby is football play and basketball play. Beim Klingeln bin ich fix und fertig. Aber wenigstens habe ich meinen Unterricht bis zu den Herbstferien vorbereitet, denn wir haben heute nur eine von sechs Aufgaben geschafft.
(c) Ullstein TB Verlag
»Frau Freitag, du hast Besuch!«, ruft mir Frau Schwalle entgegen. Ich hetze durch den Verwaltungstrakt. »Wie - Besuch?« »Der Ronnie rennt hier rum und sucht dich.« Ronnie. Ronnie ist ein Reflexwort. Sofort denke ich: Oh Gott, Schlägerei, Polizei, Sitzungen, Gespräche, Ärger, Frust und Arbeit, Arbeit, Arbeit. Dann wird mir plötzlich klar: Ronnie ist gar nicht mehr mein Schüler. Ich bin jetzt die Klassenlehrerin von dieser entzückenden, leistungswilligen, netten Siebten. Die, die in Geschichte so super-duper-gut mitgemacht haben. Die, von denen der Mathelehrer total begeistert war. Die, die ich seiner Meinung nach »gut eingestellt« habe. Abdul, Samira, Fatma und Ronnie, das sind Namen aus längst vergangenen Zeiten.
Was will Ronnie hier? Oh Mann, wahrscheinlich ist irgendwas mit seinem Zeugnis nicht in Ordnung. Dann kann ich wieder stundenlang am Computer sitzen und mit dem Zeugnisprogramm kämpfen. Ich gehe in meine Klasse. Wir haben Kunst. Plötzlich steht Ronnie in der Tür und grinst mich an. »Ronnie, hi. Was machst du denn hier?«
»Ich wollte Sie besuchen. Wie geht es Ihnen?« Er kommt zu mir, gibt mir die Hand und guckt sich die Schüler an. »Ist das Ihre neue Klasse?« Ich nicke und erkläre den Kindern, wer Ronnie ist. Dann bitte ich ihn, meiner Klasse was Wissenswertes für deren Schullaufbahn zu erzählen. Ronnie will seinen Realschulabschluss nachholen, an einem Oberstufenzentrum. »OSZ - weiß jemand, was das ist?«, frage ich meine Klasse - die sollen so viel wie möglich lernen. In jeder Minute sollen die was lernen.
Orhan meldet sich. »Ich weiß! Ist so was wie GEZ.« »Ja, na ja, fast. Nicht ganz richtig. Wer hat denn noch eine Idee?« Die Schüler fragen. Ronnie erklärt. Geduldig und erwachsen teilt er seine Erfahrungen. Ich bin ganz gerührt. »Ronnie, wenn du jetzt so auf deine Schulzeit zurückguckst, was würdest du sagen, ist das Wichtigste?«
Ronnie stellt sich gerade hin, holt tief Luft. Die Siebtklässler starren ihn gebannt an. »Ihr müsst von Anfang an richtig ranklotzen. Jetzt denkt ihr noch, die Schule ist leicht. Aber glaubt mir mal, das wird richtig hart.« Keiner sagt was. Es wird Zeit, dass wir mit dem Unterricht anfangen. »Habt ihr noch Fragen an den Ronnie?« Anil meldet sich. »Ja, Anil?« »Wann hast du Geburtstag?« Ronnie guckt mich leicht verwirrt an. »Anil, warum willst du das wissen? Willst du ihm was schenken? Haben die anderen noch Fragen?« Hamid reißt seine Hand in die Luft. »Ja, Hamid?« »Ist deine Hose von Puma?« Ronnie nickt. Jetzt meldet sich Anil wieder. »Anil?« »Frau Freitag, wie viel Jahre haben Sie?« »Das heißt, wie alt sind Sie!«, schreit Yunus von hinten. »Okay, Kinder. Ich glaube, wir beenden das jetzt und fangen mit Kunst an.«
Ich verabschiede mich von Ronnie und unterrichte die Stunde zu Ende. Draußen wartet Ronnie auf mich. Wir gehen einen Kaffee trinken und reden. Er ist müde, sagt er. Er war die ganze Nacht wach, weil vor seinem Haus eine Autoalarmanlage übelst laute Töne gemacht hat und er die Polizei gerufen hat. Hätte ja sein können, dass jemand das Auto anzünden wollte.
»Die Polizei hat mich auch gelobt. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig, haben sie gesagt.« Ich bin beeindruckt. Ronnie ist ein richtiger Bürger geworden. Das war vor einem Jahr noch nicht abzusehen.
Massiver Kopffick
»Frau Freitag, ich hatte die ganzen Ferien massiven Kopffick! Das glauben Sie gar nicht«, begrüßt mich Ronnie am ersten Schultag. Sein Sommer war erlebnisreich. Er erzählt mir die seltsamsten Storys und schraubt sich dabei auf ein Wutlevel hoch, das ihn den Rest des Tages schlecht gelaunt und latent aggressiv vor mir sitzen lässt. Gleich zu Beginn der Ferien wurde ihm im Internetcafé sein Portemonnaie geklaut. Dann war er Zeuge bei einer Schlägerei vor Aldi, und als er bei der Polizei aussagen wollte, hat man ihn plötzlich beschuldigt, mit den Tätern unter einer Decke zu stecken, und vor zwei Tagen bekam er auch noch eine viel zu hohe Handyrechnung. Und überhaupt.
Schon nach zwei Stunden mit meinen Schülern bin ich völlig fertig. Klitschnasse Kniekehlen habe ich. Meine Klasse ist jetzt in der Zehnten. Dieses Jahr wird es ernst. Die letzten gemeinsamen zwölf Monate. Letzte Chance für die, noch einen Abschluss zu machen. Im Mai werden die Realschulprüfungen geschrieben. Im Winter müssen sie anfangen, sich auf Ausbildungsplätze zu bewerben. Jetzt heißt es erwachsen werden.
Ich freue mich, die Schüler wiederzusehen. Mehmet ist nicht mehr dabei. Er wiederholt die 9. Klasse. Gut für meine Nerven. Und Samira musste leider die Klasse wechseln. Sie hatte im zweiten Halbjahr der Neunten beschlossen, ihre Konflikte mit Mädchen aus zwei Parallelklassen nicht nur verbal zu bearbeiten. Sie sehe ich jetzt nur noch auf dem Hof. Samira findet ihre neue Klasse doof. »Ich kann mit niemandem quatschen. Ich bin die ganze Zeit still! Das ist so schrecklich!« »Ist doch super, dann kannst du dich auf den Unterricht konzentrieren!« Sie sieht das irgendwie anders.
Abdul fastet. »Ist easy, Frau Freitag! Ich bin einfach die ganze Nacht wach und schlafe tagsüber.« Wird interessant, wie er das ab jetzt mit dem Schulbesuch macht. Und jedes Jahr bekommt man auch ein paar neue Schüler. Das ist ein äußerst spannendes Glücksspiel. Es können ehrgeizige und nette Schüler sein, aber auch totale Nieten, die dir die ganze Klasse kaputtmachen. Mit meinen drei neuen Mädchen habe ich direkt Glück. Sie sind freundlich und teilen mir überzeugend mit, dass sie alles geben wollen, damit sie in diesem Schuljahr den Realschulabschluss schaffen.
Aber dann habe ich noch die absolute Knalltüte in die Klasse bekommen. Bilal. Kommentar von Kollege Werner, als er auf meine Klassenliste guckt: »Bilal? Wer hat dem denn erlaubt zu wiederholen? Und warum?« Bilal ist zwei Meter groß, total dünn und hibbelig. Er kommentiert alles, was man sagt, und findet sich unheimlich lustig. Ich frage ihn am Ende der Stunde: »Bilal, warum wiederholst du die Klasse? Möchtest du hier einen besseren Abschluss machen, oder möchtest du hier der Spaßvogel werden?« »Abschluss.«
»Okay, dann verhalte dich ab jetzt ruhig!« Alles in allem war es eigentlich ein recht normaler Start. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich noch nie einen ruhigen ersten Schultag mit meiner Klasse verbracht habe. Vielleicht den allerersten in der 7. Klasse, als sie sich noch nicht kannten. Aber seit sie sich kennen, wird in der ersten Stunde erst mal gequatscht. Für meine Klasse war es wahrscheinlich ein schöner Einstieg ins neue Schuljahr. Nur Frau Freitag hat irgendwie wieder voll mies gestresst.
Meine Freundin Fräulein Krise sagt immer: »Jeder blamiert sich, so gut er kann.« Am zweiten Schultag blamiere ich mich nicht nur vor meinen neuen Schülern, sondern schäme mich auch noch in Grund und Boden für meine verdorbene Klasse. Eine von den drei netten neuen Schülerinnen kommt nach der Klassenleiterstunde, in der Hausaufgaben gemacht werden sollen, zu mir: »Frau Freitag, das geht ja gaaar nicht in dieser Klasse! Ich will einen guten Abschluss machen, und ich glaube nicht, dass ich hier was lernen kann. Hier kann ich ja noch nicht mal in Ruhe meine Schularbeiten machen.«
Ich bin peinlich berührt und total sauer auf die Quasseltaschen in meiner Klasse, die immer noch nicht gerafft haben, dass es in der Schule um was geht.
Meine Schüler können nicht still sein. Nie! Ständig unterbrechen sie mich, andere Schüler, sich selbst ... Die gackern rum, weil in ihren Köpfen nur Hormone rumfliegen, die sich auf alle Synapsen gesetzt haben. Keine Möglichkeit, dass da Vernunft andockt, geschweige denn Wissenswertes. Licht an, aber keiner zu Hause. Kann ich es den fleißigen Wiederholerinnen übelnehmen, dass sie die Klasse wechseln wollen? Ich habe gesagt: »Ich verstehe euch total. Mir ist es auch zu laut. Geht ruhig.«
Wären da doch nur Lautstärkeregler an den Schülern. Mit einer Universalfernsteuerung stünde ich vorne: »So, Marcella, du jetzt mal auf MUTE! Absolute Ruhe bitte, und Hausaufgaben machen!« Aber das gucke ich mir jetzt nicht noch ein Jahr lang an. Nächste Woche sind sie dran. Dann kommt Frau Gnadenlos.
Nicht mit mir! So geht das nicht! Nicht am Anfang der 10. Klasse!
Steiles Gefälle
»Also, ihr Lieben, in der letzten Englischstunde hat mir der Unterricht nicht gefallen. Ich habe gemerkt, dass es hier doch ein sehr starkes Leistungsgefälle in der Klasse gibt.« Die Schüler: »Häh?« Manchmal muss ich einfach über ihre Köpfe hinweg reden. Wenn sie jetzt noch nicht wissen, was ein Gefälle ist, dann macht das auch nichts. Irgendwann hören sie das Wort noch mal und denken: Äh, das kenne ich doch. Das hat doch Frau Freitag in dieser total verkackten Endlosstunde gesagt, als wir in diesen Gruppen arbeiten sollten ... Sie wissen dann zwar immer noch nicht, was es bedeutet, aber was soll's. Ich kann ja auch nicht immer nur so sprechen, dass sie mich verstehen. Sonst hätte ich gesagt: »Letzte Stunde, ja, war Unterricht voll mies scheiße, weil manche so null Checkung und andere erst voll Professor und voll mies abgestrebt und dann - gähn, weil zu leicht.«
»Jedenfalls habe ich mir etwas überlegt. Ich möchte euch in Gruppen aufteilen. Jeweils drei Leute sitzen zusammen. Ich will, dass der Zufall entscheidet. Wir losen die Gruppen aus!«
Und ab da geht es mit der Stunde bergab. Steil bergab! Ich weiß nicht, wie, aber der Zufall, dieser miese Hund, lost doch tatsächlich Abdul, Bilal und Emre in eine Gruppe. Die anderen Schüler lachen. »Das wird eh nichts mit denen, Frau Freitag.« Dann die drei Gackermädchen Elif, Asmaa und Fatma - alle in einer Gruppe. Für sie gleich wieder ein Grund los zu kichern. Die anderen Gruppen gingen so.
Der erste Aufgabenzettel steckt in einer Klarsichtfolie, die Aufgabenbeschreibung steht auf der Rückseite. Zunächst sollen die Schüler mündlich einen englischen Text anhand von Fakten über Frau Freitag ausarbeiten. Späterer Transfer - Fakten über sich selbst aufschreiben. Noch späterer Transfer - einen Text aus diesen Fakten SCHREIBEN. 100 Wörter. »Äh, was sollen wir machen?«
Mustafa legt gleich den Kopf auf den Tisch, ohne etwas zu lesen, und macht die Augen zu. Die Schüler, die sich nicht gleich auf den Tisch legen, holen ein Blatt raus. »Ihr sollt jetzt noch gar nichts schreiben. Da steht: Erst mündlich!« Ich gehe von Tisch zu Tisch und erkläre die Aufgabe. Dann gehe ich von Tisch zu Tisch und zwinge jeden, mindestens einen Satz zu formulieren. Dann gehe ich von Tisch zu Tisch und erkläre die zweite Aufgabe. Dann bin ich das von Tisch zu Tisch rennende Deutsch-Englisch-Wörterbuch. Dann bin ich Zeitmahner und Ideengeber: »Dir fallen keine 100 Wörter zu deinem Leben ein? Was willst du denn später mal arbeiten?« Dann bin ich Korrekturleser und Welterklärer. »Nein, Emre, Bordell wird anders geschrieben. Da gibt es ein englisches Wort für. Meinst du hier, du hast pupils gekillt oder people? Und du denkst, dafür bekommst du nur vier Jahre Haft?«
Am Ende der Stunde hat eine Handvoll Schüler einen Text mit 100 Wörtern und die meisten nicht mehr als: I live in Germany. I have one brother and one sister. My hobby is football play and basketball play. Beim Klingeln bin ich fix und fertig. Aber wenigstens habe ich meinen Unterricht bis zu den Herbstferien vorbereitet, denn wir haben heute nur eine von sechs Aufgaben geschafft.
(c) Ullstein TB Verlag
... weniger
Autoren-Porträt von Frau Freitag
Freitag, FrauFrau Freitag, geboren 1968, wollte schon immer Lehrerin werden. Seit über zehn Jahren unterrichtet sie Englisch und Kunst in lauter überdrehten, dafür recht leistungsschwachen Klassen. Sie lebt in einer deutschen Großstadt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Frau Freitag
- 2012, 5. Aufl., 288 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548374573
- ISBN-13: 9783548374574
- Erscheinungsdatum: 10.07.2012
Kommentare zu "Voll streng, Frau Freitag!"
4 von 5 Sternen
5 Sterne 5Schreiben Sie einen Kommentar zu "Voll streng, Frau Freitag!".
Kommentar verfassen