Wandlungen einer Ehe
"Für den Abend des Galadiners...
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"Für den Abend des Galadiners wählte ich eine reinseidene weiße Robe, legte die Blaufuchs-Stola um, steckte mir das Veilchensträußchen mit dem lila Band in den Ausschnitt - dem gleichen Band, wie ich es kürzlich in der Brieftasche meines Mannes gefunden hatte.
Ich war so schön an jenem Abend, daß selbst er, mein Mann, es bemerkte, als er zufällig meinen Blick im Spiegel streifte. Lßzßr, der Schriftsteller, geleitete mich in den festlich erleuchteten Wintergarten und sprach mich auf meine außergewöhnliche Ausstrahlung an: Sind Sie verliebt? Ja, antwortete ich. In meinen Mann. Und ich habe mir vorgenommen, ihn heute abend zurückzuerobern."
Sándor Márais (1900 - 1989) Werke waren in seiner Heimat lange verboten und werden nun in aller Welt wiederentdeckt.
Wandlungen einer Ehe von Sándor Márai
LESEPROBE
Du, schau dir mal den Mann dort an. Nein, warte, jetztnicht, dreh dich zu mir und laß uns plaudern. Ich möchte nicht, daß erherschaut und mich sieht, ich möchte nicht, daß er mich grüßt. Jetzt kannst dudich wieder umdrehen ... Der Kleine, Untersetzte im Pelzmantel mit demMarderkragen? Aber nein. Der dort, der Große, Bleiche im schwarzen Mantel, derjetzt mit dem mageren blonden Konditoreifräulein redet. Jetzt kauft erkandierte Orangenschalen. Komisch, mir hat er nie kandierte Orangenschalenmitgebracht.
Was mit mir los ist? ... Nichts. Warte, ich muß mir die Nase putzen.
Ist er weg? Sags mir, wenn er weg ist.
Jetzt zahlt er? ... Was hat er für eine Brieftasche? Schau gut hin, ich selbstmag nicht hin sehen. Ist es eine aus braunem Krokodilleder? ... Ja? Siehst du,das freut mich.
Warum? Einfach so. Na ja, die Brieftasche habe ich ihm geschenkt, zumvierzigsten Geburtstag. Das war vor zehn Jahren. Ob ich ihn geliebt habe? ...Da fragst du etwas Schwieriges. Ja, ich glaube, ich habe ihn geliebt. Ist er jetztweg? ...
Gut, daß er gegangen ist. Warte, ich will mir die Nase pudern. Sieht man, daßich geweint habe? ... Blöd, aber so ist man eben. Noch immer bekomme ichHerzklopfen, wenn ich ihn sehe. Ob ich sagen kann, wer das war? Natürlich,Liebes, es ist kein Geheimnis. Das war einmal mein Mann.
Du, laß uns Pistazieneis bestellen. Ich verstehe nicht, warum man sagt, imWinter könne man kein Eis essen. Ich komme am liebsten im Winter in dieseKonditorei, um Eis zu essen. Manchmal denke ich, man kann alles, ganz einfach,weil es möglich ist, es braucht gar nicht gut oder sinnvoll zu sein. Aber seitich allein lebe, komme ich im Winter überhaupt gern hierher, zwischen fünf undsieben. Ich mag diesen roten Salon mit dem Mobiliar aus dem letztenJahrhundert, die alten Konditoreifräuleins, die Spiegelfenster und dasGroßstädtische des Platzes davor, die Leute, die ein und aus gehen. EtwasWarmes ist in alldem, ein Hauch von Jahrhundertwende. Und hier gibt es denbesten Tee, hast du es gemerkt? ...
Ich weiß, heute gehen die Frauen nicht mehr in die Konditorei, sondern ins Espresso,wo alles rasch abgewickelt wird und man sich nicht bequem hinsetzen kann, derKaffee kostet vierzig Fillér, und zu Mittag ißt man einen Salat, das ist dieneue Welt. Ich hingegen gehöre noch zur alten Welt, ich brauche noch diesefeine Konditorei mit ihrem Mobiliar, ihren Seidentapeten und ihren altenGräfinnen und Erzherzoginnen und Spiegelschränken. Ich sitze nicht täglichhier, wie du dir wohl denken kannst, aber im Winter schaue ich ab und zuherein, es ist ein angenehmer Ort. Früher haben wir uns oft hier getroffen,mein Mann und ich, zur Teezeit, nach sechs, wenn er aus dem Büro kam.
Ja, auch jetzt ist er aus dem Büro gekommen. Zwanzig nach sechs, das ist seineZeit. Noch heute kenne ich jeden seiner Schritte so genau, als lebte ich seinLeben. Um fünf vor sechs klingelt er nach dem Diener, sein Mantel und Hutwerden abgebürstet, man hilft ihm hinein, dann macht er sich auf den Weg, läßtden Wagen vorausfahren und folgt zu Fuß, um frische Luft zu schöpfen. Er hatzuwenig Bewegung, deshalb ist er so blaß. Vielleicht auch aus anderen Gründen,was weiß ich. Ich weiß es nicht, weil ich ihn nie sehe, nie mit ihm rede, seitdrei Jahren nicht mehr. Ich mag die zartbitteren Scheidungen nicht, bei denendie Ehehälften Arm in Arm aus dem Gericht kommen, im berühmtenStadtwäldchen-Restaurant gemeinsam zu Mittag essen, aufmerksam und liebevollmiteinander, als wäre nichts geschehen, bis dann nach erfolgter Scheidung underfolgtem Mittagessen jeder seinen Weg geht. Ich bin eine Frau von anderenSitten und anderem Temperament. Ich glaube nicht daran, daß Mann und Frau nachder Scheidung gute Freunde bleiben können. Eine Ehe ist eine Ehe, und eineScheidung ist eine Scheidung. So sehe ich das.
Und du, was meinst du? Allerdings warst du ja nie verheiratet.
Siehst du, ich glaube nicht, daß etwas, das die Menschen erfinden und dannjahrtausendelang bedenkenlos wiederholen, eine reine Formalität ist. Für michist die Ehe wirklich etwas Heiliges. Und die Scheidung halte ich für einSakrileg. So bin ich erzogen worden. Aber ich glaube das auch aus anderenGründen, nicht nur, weil mich meine Erziehung und meine Religion dazu zwingen.Ich glaube es, weil ich eine Frau bin und die Scheidung für mich ebensowenigeine leere Formalität ist wie die Zeremonie auf dem Standesamt und in derKirche, die Körper und Seelen endgültig bindet. Und genauso werden bei derScheidung die Schicksale endgültig getrennt und auseinandergerissen. Als wiruns scheiden ließen, bildete ich mir keinen Augenblick ein, mein Mann und ichkönnten »Freunde« bleiben. Er war natürlich nach wie vor höflich und aufmerksamund auch großzügig, so wie es Sitte und Brauch verlangen. Ich hingegen war wederhöflich noch großzügig, sogar den Flügel habe ich mitgenommen, ja, so richtigrachelüstern; am liebsten hätte ich die ganze Wohnung eingepackt, samtVorhängen und allem. Im Augenblick der Scheidung bin ich zu seiner Feindingeworden, und das bleibe ich auch, solange ich lebe. Mich braucht er nicht zueinem freundschaftlichen Abendessen ins Stadtwäldchen einzuladen, ich bin nichtgewillt, die reizende Frau zu spielen, die zu ihrem Exmann in die Wohnung geht,um nach dem Rechten zu sehen, weil der Diener die Wäsche stiehlt. Meinetwegenmag man ihm alles stehlen, und wenn ich eines Tages höre, er sei krank, danngehe ich trotzdem nicht hin. Warum? ... Weil wir geschieden sind, verstehsdoch. Damit kann man sich nicht abfinden.
Wart mal, das will ich doch zurücknehmen, das mit der Krankheit. Ich möchtenicht, daß er krank wird. Da würde ich ihn doch besuchen, im Sanatorium. Waslachst du? ... Lachst du mich aus? Du meinst, ich hoffe, er würde krank, undich könnte ihn besuchen? Na klar hoffe ich das. Solange ich lebe, werde ichhoffen. Aber sehr krank soll er doch nicht werden. Wie bleich er war, hast dugesehen? ... Seit ein paar Jahren ist er immer so bleich.
Ich erzähle dir alles. Hast du Zeit? Ich habe sehr viel Zeit, leider.
© Piper Verlag
Übersetzung: Christina Viragh.
Autoren-Porträt vonSandor Marai
Sandor Marai, 1900 in Kaschau (KoÜice, heute Slowakei) geboren, lebte und studierte inverschiedenen europäischen Ländern, ehe er 1928 als Journalist nach Budapestzurückkehrte. Er verließ Ungarn 1948 aus politischen Gründen und ging 1952 indie USA, wo er bis zu seinem Freitod 1989 lebte.
- Autor: Sándor Márai
- 2015, 12. Aufl., 464 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christina Viragh
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492241670
- ISBN-13: 9783492241670
- Erscheinungsdatum: 01.07.2004
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