Weltmacht im Treibsand
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Peter Scholl-Latour (geb. 1924) ist einer der renommiertesten deutschen Journalisten. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Grimme-Preis und der Goldenen Kamera ausgezeichnet.
''Das Monumentalgemälde eines politischen Desasters - spannend wie ein Abenteuerbericht''
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Weltmacht im Treibsand von PeterScholl-Latour
LESEPROBE
Tour dHorizon
Gotteskrieger in Ost und West
Menetekel in Bagdad
Paris, im Januar 2004
»Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin«, so heißtes angeblich bei Bertolt Brecht. Die deutschen Pazifisten, von denen einige inder jetzigen Regierung als Minister amtieren, hatten diese Losung begeistertübernommen, obwohl sie verfälscht ist. Heute müßte sie wohl anders lauten:»Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner weiß es!« Welchem Bundesbürger istdenn wirklich bewußt, daß mit Inkrafttreten des Artikels V der AtlantischenAllianz nach dem 11.September 2001 die europäischen Staaten weiterhin aufseiten des amerikanischen Verbündeten in einen globalen Feldzug gegen denTerrorismus verwickelt sind, der weder zeitliche noch räumliche Grenzen kennt?
Es ist ein absurder,ein Phantom-Krieg, der da in Gang gekommen ist. Der Feind ist in keiner Weise definiert.Da verschiedentlich versucht wird, mich immer wieder in die Ecke des»Anti-amerikanismus« abzudrängen, will ich zur Einleitung wie auch bei späterenBetrachtungen vorzugsweise auf berufene Stimmen aus den USA zurückgreifen. Sozitiere ich hier Zbigniew Brzezinski, den einstigen »National Security Advisor«des Präsidenten Jimmy Carter:
»In den vergangenen Monaten haben die Vereinigten Staaten eine Erfahrunggemacht, die wir als das ungewöhnlichste Versagen der Intelligenz in unsererGeschichte bezeichnen können. Dieses Versagen wurde durch extreme Demagogie ausgelöst,die schlimmste Katastrophen-Szenarien entwirft, Ängste schürt und eine äußerstsimplifizierte Sicht, eine Zweiteilung (Dichotomie) der weltweiten Wirklichkeitsuggeriert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer seriösen Debatte überAmerikas Rolle in der Welt. Kann eine Weltmacht global leadership ausüben aufder Basis von Furcht und Angst? Können die Vereinigten Staaten Unterstützunganfordern, zumal die Unterstützung von Freunden, wenn denen gesagt wird: Ihrseid gegen uns, wenn ihr nicht mit uns seid? ... Die Notwendigkeit einersolchen Debatte kann nicht ausgeräumt werden, indem man die Herausforderung mittheologischem Akzent als Terrorismus qualifiziert, ein Terrorismus, dendiejenigen ausüben, die die Dinge hassen (who hate things), während wirMenschen sind, die die Dinge lieben (people who love things). So hat esAmerikas höchster Wortführer ausgedrückt.«
Darauf folgt das zentrale Argument des ehemaligen Sicherheitsberaters:»Terrorismus ist eine Technik, um Menschen zu töten. Er kann nicht der Feindsein. Das klingt so, als würden wir behaupten, der Zweite Weltkrieg sei nichtgegen die Nazis geführt worden, sondern gegen den Blitzkrieg. Wir müssen dieFrage stellen, wer der Feind ist und was ihn zu seinen Aktionen gegen unsmotiviert.«
*
Dieses Buch ist nicht der Polemik, sondern derBetrachtung gewidmet. Dabei beziehe ich mich immer wieder auf das persönlicheErlebnis vor Ort, auf die Tuchfühlung mit dem realen Geschehen, was imZeitalter einer perfektionierten Meinungsmanipulation durch die Medienunentbehrlicher ist denn je.
Wir sind bei der inDeutschland praktizierten Selbstzensur, der braven Anpassung an die »politicalcorrectness« so weit gekommen, daß es sich nur noch ein israelischerMilitärhistoriker in einer hiesigen Gazette leisten kann, in aller Nüchternheitfestzustellen, daß Amerika den Irak-Krieg bereits verloren hat. Ich will hiernicht die klugen Argumente Martin van Crevelds übernehmen, sondern meine eigeneErkenntnis beisteuern, warum der Feldzug »Iraqi Freedom« zum Scheiternverurteilt ist. Die USA werden zwar niemals eine Schlacht oder auch nur einGefecht verlieren. Dennoch bieten sich der Strategie Washingtons auf längereSicht nur zwei Optionen, und beide sind negativ.
Entweder versteiftsich die Bush-Administration auf die Schaffung eines proamerikanischen Regimesin Bagdad, das unter Mißachtung des Wählerwillens mit einem Lippenbekenntniszur Demokratie und Meinungsfreiheit die Weltöffentlichkeit - ähnlich wie HamedKarzai in Afghanistan - zu betrügen sucht. Da eine solche selektierteMannschaft, die man sehr bald der Autorität eines »starken Mannes« unterstellenmüßte, den Forderungen der Petroleum-Konzerne der USA nachgeben, einen Friedensvertragmit Israel abschließen und den Führungsanspruch der schiitischenBevölkerungsmehrheit mißachten müßte, besäße sie nur geringe Überlebenschancen.Die US Army würde sich - der ständigen Guerrilla-Überfälle überdrüssig - ausdem Zweistromland zurückziehen wie seinerzeit die Sowjetrussen aus Afghanistan.Dabei könnte sie nicht einmal davon ausgehen, daß der von ihr eingesetzteirakische Statthalter es seinem Schicksalsgefährten Nadschibullah in Kabulgleich täte, der nach der sowjetischen Räumung immerhin drei Jahre lang demwachsenden Druck der Mudschahidin standhielt.
Die andere Option,deren kritische Bewertung ein wesentlicher Teil dieses Buches ist, lautet wiefolgt: Die USA erkennen an, daß die Schiiten im Irak den Schlüssel zur Zukunftbesitzen und der zentrale Faktor einer eventuellen Stabilisierung sind. Damitmüßte der Präsident jedoch hinnehmen, daß im Irak eine »Islamische Republik«ausgerufen wird. Das wäre nicht unbedingt eine Kopie des Gottesstaates, den derAyatollah Khomeini im benachbarten Iran errichtete. Aber eine strengkoranische, stark schiitisch geprägte Grundausrichtung der neuen Verfassungwäre angesichts der religiösen Massenbegeisterung gar nicht zu vermeiden.
Wird George W. Bushüber den eigenen Schatten springen können? Er hatte in der Vorbereitungsphaseseines Irak-Feldzuges angekündigt, das Terror-Regime Saddam Husseins nachdessen Sturz in einen »beacon of democracy«, einen Leuchtturm der Freiheitumzuwandeln, der mit allen Errungenschaften der parlamentarischen Demokratieund der freien Marktwirtschaft gesegnet wäre. Dieses idyllische Vorbild sollteauf alle arabisch-islamischen Staaten ausstrahlen, die weiterhin der Willkürvon Despoten oder religiösen Fanatikern ausgeliefert sind, und sie zuroffiziellen Heilslehre des Westens bekehren.
Diese extrem naiveAbsicht - so sie denn überhaupt ernst gemeint war - würde durch das Entsteheneiner islamischen Theokratie an Euphrat und Tigris in ihr Gegenteil verkehrt.Trotz des Überdrusses an der »Mullahkratie«, der sich inzwischen bei weitenBevölkerungsschichten, vor allem bei der Jugend in Teheran, breitmacht, kämeunweigerlich zwischen den beiden mehrheitlich schiitischen NachbarstaatenIran und Irak eine unterschwellige Komplizenschaft zustande. Die religiöse Wiedergeburtin Bagdad und Nedschef könnte eine Brücke schlagen zu jener schiitischen»Hizbullah« des Libanon, die die weit überlegene Armee Israels zum Rückzug aufdie Grenzen Galiläas gezwungen hat und trotz ihrer legalen Repräsentanz imParlament von Beirut von den USA als »verbrecherische Organisation«gebrandmarkt wurde.
Mit den internenQuerelen, dem begeisterten Aufbegehren, der mystischen Opferstimmung desschiitischen Glaubenszweiges des Islam, der »Partei Alis« oder »Schiat Ali«zwischen Hindukusch und Mittelmeer, beschäftigt sich ein wesentlicher Teildieser Veröffentlichung. Ich habe den Untertitel: »Bush gegen die Ayatollahs«gewählt, weil man sich nur sehr schwer eine vertrauensvolle Zusammenarbeitzwischen den imperialen Interventionisten in Washington und der hohenschiitischen Geistlichkeit vorstellen kann. Sollten die USA sichzähneknirschend und aus purer Not dennoch bereit finden, der sich bislangfriedlich und passiv verhaltenden »Hawza« von Nedschef, der höchstentheologischen Instanz der irakischen Schia, das Schicksal Mesopotamiensanzuvertrauen, dann könnten vielleicht Chaos und Bürgerkrieg eingedämmt, einegeordnete Evakuierung der US-Truppen abgesichert werden. Aber die Ideologie der»Neokonservativen« und Evangelikaner, die Interessen der Ölmagnaten und derFreunde Israels würden dabei unwiderruflich zu Schaden kommen.
Das Menetekel desKönigs Belsazar von Babylon leuchtet in flammenden Lettern. Zbigniew Brzezinskiinterpretiert es wie folgt: »Die Amerikaner werden sich damit abfinden müssen, daßsie in einer unsicheren Welt leben. Das ist gar nicht zu vermeiden. Wie alleanderen müssen wir lernen, damit zu existieren.«
Rumsfeld gegen das »Alte Europa«
Wie weit die klassische Bildung des amerikanischenVerteidigungsministers Donald Rumsfeld reicht, ist mir nicht bekannt.Vielleicht hat er jedoch den lateinischen Ausspruch des Poeten Attius gehört,der von Cicero übernommen wurde: »Oderint dum metuant - mögen sie uns hassen,Hauptsache, sie fürchten uns.« Zweifellos handelt Rumsfeld nach diesem Prinzip.Wenn der dynamische und begabte Politiker, der sich in seiner Rundum-Androhungvon »preemptive strikes« in der Filmrolle des »Dr. Strangelove« zu gefallenscheint, seine renitenten europäischen Partner systematisch beleidigt, fälltdas am Ende auf ihn selbst zurück. Deutschland wurde mit Libyen und Kubaverglichen. Vermutlich hat der Secretary of Defense aus vollem Herzen derAussage der nationalen Sicherheitsberaterin, Condoleezza Rice, zugestimmt, alsdiese die Deutschen wegen ihrer Verweigerungshaltung im Weltsicherheitsratignorieren, die Franzosen sogar bestrafen wollte: »We shall punish France.«Hatte diese brillante Intellektuelle und begnadete Pianistin nicht bedacht, daßLeonid Breschnew sich in ähnlicher Weise gegenüber dem unbotmäßigen TschechoslowakenAlexander Dubcˇek hätte äußern können?
Rumsfeld hatte vorallem die glorreiche Idee, das »neue, innovative, tapfere,fortschrittsorientierte« Osteuropa gegen »Old Europe« auszuspielen, das inwirtschaftlicher Stagnation, in kultureller Erstarrung und mit feigenBeschwichtigungsgesten den eigenen Niedergang beschleunigt. Als leuchtendesVorbild wurden Franzosen und Deutschen die Polen, die Rumänen, die Albanerentgegengehalten. Der Fall Warschau mag ausgeklammert bleiben. Dort erinnertman sich schmerzhaft an das Jahr 1939, als Polen von Deutschen und Russenaufgeteilt, von den Franzosen im Stich gelassen wurde. Für den Fall künftigerKomplikationen jenseits des Bug erscheint deshalb die Supermacht USA alsletzter rettender Rekurs, obwohl es nachdenklich stimmt, daß PremierministerLeszek Miller, der sich an die Spitze der Koalition der »Willigen« stellte, einin der Wolle gefärbter Kommunist, sich bis zuletzt als Vasall Moskaus erwiesenhat.
Und Rumänien? Dortgeht noch das Dracula-Gespenst Ceausescus um, und die Regierungsmannschaft vonBukarest hat sich längst nicht von ihren spätstalinistischen Reflexen befreit.Oder Albanien? Das stolze Land der Skipetaren ist nun einmal zum zentralenUmschlagsort aller nur denkbaren Mafia-Aktivitäten des Balkans und nicht nurdes Balkans geworden. Was Rumsfeld mit seinem Trompetenstoß bewirkt hat, istdie Aufwertung des Wortes »Old Europe«. Nur ein Dummkopf kann sich heuteschämen, ein »alter Europäer« zu sein. Daß so viele andere Kleinstaaten, vor allemdie jüngsten Kandidaten der EU-Erweiterung, sich lieber in die »Stars andStripes« der USA als in das Sternenbanner - die »Dornenkrone«, wie die Spöttersagen - der Europäischen Union hüllen, mag sich aus einem angestammtenUnterwürfigkeitsreflex gegenüber der jeweils vorherrschenden Großmacht und -für die Balten - aus der fortdauernden Angst vor dem russischen Bären erklären.Die Finanzierung ihrer wirtschaftlichen Sanierung erwarten diese Länder jedochaus Brüssel.
Die Attacken gegendas »alte Europa« zielten eindeutig auf Schwächung, auf Spaltung eines bislangbefreundeten Kontinents hin, der in den Verdacht geraten war, ein potentiellerRivale der USA zu werden. Die überraschend geglückte Stabilisierung der neuenEuro-Währung dürfte dazu beigetragen haben. Die Verbal-Entgleisung Rumsfeldshatte sogar einen der treuesten Paladine der amerikanischen Hegemonie, denbritischen Außenminister Jack Straw, bewogen, auf die Zugehörigkeit Englandszum »alten Europa« zu verweisen und hinzuzufügen, sein Staat sei durchFranzosen - vermutlich meinte er die Normannen Wilhelms des Eroberers -gegründet worden. Italien und Spanien, die ja wirklich dazugehören, enthieltensich jeden Kommentars und befleißigten sich endlich jenes Schweigens, das ihnenJacques Chirac nach Veröffentlichung ihrer proamerikanischen Separat-Erklärungmit einiger Arroganz geboten hatte: »Ils auraient mieux fait de se taire.«
Jenseits desAtlantik wird die Kampagne gegen die degenerierten Nachkommen des Marquis deLafayette vehement weitergeführt. Seltsamerweise steigern sich da die angeblichso gelassenen und wortkargen Nachfolger der Präriereiter zu verbaler Hysterie,während die sonst so geschwätzigen und aufgeregten Gallier sich nicht aus derRuhe bringen lassen. Ob der Auvergnate Chirac sich an dem Kelten Asterixorientiert? Jedenfalls sind an der Seine keine Schreie der Entrüstung lautgeworden, als auf Capitol Hill die »French fries« in »Freedom fries« umbenanntwurden. Ein Kabarettist könnte die Frage stellen, ob logischerweise nicht auchdie »French letters« in Zukunft »Freedom letters« heißen müßten.
*
Genug der Scherze. Es hat eine tragische Entfremdungstattgefunden seit »Nine Eleven«. Nach dem Verbrechen am World Trade Centerhatte nicht nur die Bild-Zeitung mit dem Titel aufgemacht »Wir sind alleAmerikaner«. Auch die seriöse, gar nicht proatlantische Pariser Zeitung »LeMonde« erschien unter der Schlagzeile: »Nous sommes tous des Américains«. Esmüssen wohl sehr gravierende Fehler auf beiden Seiten gemacht worden sein, umeinen radikalen Stimmungswechsel herbeizuführen. Laut Meinungsumfrage äußernneuerdings zwanzig Prozent der Deutschen - überwiegend Jugendliche - denunhaltbaren Verdacht, am Terroranschlag von Manhattan seien die amerikanischenGeheimdienste beteiligt gewesen. Unglaublich auch die Tatsache, daß dieBestsellerliste des deutschen Buchhandels seit zwei Jahren durch dieMillionenauflagen Michael Moores mit seinem plumpen Anti-Bush-Pamphletangeführt wird. Wenn eine Polemik, die unter dem amerikanischen Titel »Stupid WhiteMen« erscheint, zur Lieblingslektüre Germaniens wird, sollte man das nicht nurmit ein paar süffisanten Glossen abtun.
Nicht die Injurieneiniger angelsächsischer Heißsporne stimmen mich bedenklich, sondern dieReaktionen, die sie bei vielen deutschen Publizisten und Parlamentariernausgelöst haben. Natürlich wäre es zutiefst töricht gewesen, die »beleidigteLeberwurst« zu spielen oder sich auf eine Erwiderung dieser Beschimpfungeneinzulassen. Doch der Eindruck entsteht immer wieder, daß eine Vielzahl unterwürfigerPolitiker und Journalisten sich mit den amerikanischen Anwürfen solidarisiert,daß sie in den anklagenden Chor gegen die »verräterischen Europäer«, die»Euro-Whimps«, einstimmen, daß sie - man entschuldige den Ausdruck - eine wahreWollust empfinden, wenn man ihnen in den Hintern tritt. Man hätte eine Sammlungjener Äußerungen und Kommentare aufbewahren sollen, die über den deutschenEinsatz in Afghanistan und den sich abzeichnenden Krieg im Irak vonhochangesehenen Abgeordneten und renommierten Kolumnisten geschrieben wurdenmit der Absicht, Europa zu erniedrigen und Amerika zu glorifizieren.
Seltsamerweise fühleich mich heute im Kreise amerikanischer Politiker oder Geschäftsleute, mitdenen man sehr offen reden kann und muß, besser aufgehoben als bei gewissenKollegen, denen der obsolete Abhängigkeitszwang der NATO mehr am Herzen zuliegen scheint als die Verteidigungskapazität des eigenen Kontinents, ja dereigenen Nation. Die Angelsachsen wissen um den Spruch Winston Churchills überdie Deutschen: »Either you have them at your feet or at your throat. Entwedersie liegen euch zu Füßen, oder sie springen euch an die Gurgel.« Persönlichhabe ich häufig die Erfahrung gemacht, daß mit dem Totschlag-Vorwurf desAntiamerikanismus ein deutscher McCarthyismus geschürt wird. Pikanterweisezeichnen sich dabei Regierungsmitglieder und »opinion leaders« aus, die sich1983 noch vor den amerikanischen Kasernen festketten ließen, um dieDislozierung der Pershing II zu verhindern und jene Nachrüstung des Westens zusabotieren, die zum Auseinanderbrechen des Sowjetimperiums entscheidendbeigetragen hat.
Ganz zu schweigenvon jenen Opportunisten, die sich heute an die Brust Uncle Sams werfen, nachdemsie in den sechziger Jahren zu dem kindischen Schlachtruf »Ho Ho Ho Tschi Minh«durch die deutschen Straßen trabten, sich Arafat-Tücher, dieschwarz-weiß-gefleckte »Keffieh«, um den Hals knüpften und schändlicherweiseamerikanische Fahnen verbrannten. Wie kommt es nur, daß die dezidiertestenMedienanwälte einer Total-Ausrichtung Deutschlands und Europas auf die USA soselten am Ort des Geschehens anzutreffen sind? In Bagdad und Kabul würde ihnenein Anschauungsunterricht erteilt, der vielleicht ihren Verlegern undChefredakteuren nicht genehm wäre, aber ihrem kriegerischen Hurra-Geschrei einjähes Ende setzen sollte.
Erteilen wir demamerikanischen Kolumnisten William Pfaff das Wort, der alles andere als ein»peacenik« ist und dem jetzigen amerikanischen Präsidenten nicht verzeihenkann, daß er auf Grund seiner exzellenten Beziehungen seinen Militärdienst fernvon Vietnam in der National Guard ableistete und »Texas gegen den Vietcongverteidigte«.
»Amerika haterklärt, daß alles sich verändert habe und nichts mehr so sein könne wievorher«, schreibt Pfaff. »Die Nation befand sich im Krieg gegen den Terror ...also waren Präventivkriege notwendig. Afghanistan und Irak mußtenniedergeworfen werden, um die Anführer des Terrorismus mitsamt ihren nuklearenund biologischen Waffen auszuschalten. Auf Völkerrecht konnte unter diesenUmständen keine Rücksicht genommen werden. Was jedoch wirklich passiert ist inden vergangenen Monaten, das haben die Amerikaner noch nicht begriffen, und dieanderen wagen es nicht laut auszusprechen: Die Menschen außerhalb der USAhaben ihren Glauben an die amerikanische Story verloren. Sie glauben nicht,daß der Terrorismus eine Kraft des Bösen ist, die die Vereinigten Staatenbezwingen werde. Sie stellen statt dessen fest, daß Terrorismus eine Form derKriegführung für Völker ist, die über keine F-16-Kampfflugzeuge undPanzerdivisionen verfügen. Sie ahnen, daß die Tschetschenen, die Moros, dieTaleban, die kolumbianischen Aufständischen, die palästinensischen Bombenwerferund die irakischen Feinde der US-Besatzung durchaus nicht jenes einheitliche,globale Phänomen sind, zu dessen Bewältigung die ganze Welt mobilisiert werdenmuß. Die Menschen außerhalb der USA haben der amerikanischen Darstellung derDinge von Anfang an nicht wirklich geglaubt. Sie haben trotzdem aufmerksamzugehört, weil Washington es so darstellte und sie Washington respektierten.Das ist heute nicht mehr der Fall. Hier sehe ich den Grund der Verstimmung, diezwischen den USA und den Ländern, die ihre Verbündeten waren, aufgekommen ist.Am Ende mag sich dann tatsächlich herausstellen, daß nichts mehr so sein kannwie vorher.«
© Propyläen Verlag
- Autor: Peter Scholl-Latour
- 2005, 6. Aufl., 368 Seiten, 30 farbige Abbildungen, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548367828
- ISBN-13: 9783548367828
- Erscheinungsdatum: 14.09.2005
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