Wer wir sind
Roman
Sechs Jahre lang schrieb Sabine Friedrich an ihrem Roman über den deutschen Widerstand. Dabei entwickelte sie eine "ungemein innige Beziehung" zu den Widerstandskämpfern.
Die berühmten deutschen Widerstandskämpfer inspirierten...
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Produktinformationen zu „Wer wir sind “
Sechs Jahre lang schrieb Sabine Friedrich an ihrem Roman über den deutschen Widerstand. Dabei entwickelte sie eine "ungemein innige Beziehung" zu den Widerstandskämpfern.
Die berühmten deutschen Widerstandskämpfer inspirierten Sabine Friedrich zu ihrem großen Roman. Sie stellt die Protagonisten als "handelnde, leidende, lebendige Menschen" dar - und dazu ist die Romanform am besten geeignet.
- Der erste große Roman über den deutschen Widerstand
- Ein gewaltiges Panorama bewegender Lebensgeschichten
- Von der Weißen Rose bis zum 20. Juli
Klappentext zu „Wer wir sind “
»Ihr sollt nicht gestorben sein!«So wie in diesem Roman sind sie uns noch nie begegnet, die Moltkes und die Stauffenberg-Brüder, die Bonhoeffers, Lebers und die Dohnanyis, die Schulze-Boyens, die Schumachers, Coppis und all die anderen, die sich - aus den unterschiedlichsten Gründen - entschlossen haben, Hitler und seinem menschenverachtenden Regime die Stirn zu bieten.
Vom Kaiserreich bis in die Nachkriegszeit spannt sich der Bogen, von den Schlössern Ostelbiens zu den Seen Wisconsins, von Künstlerateliers und Kleingartensiedlungen zu den großbürgerlichen Villen des Berliner Westens.
Die Lebensgeschichten all dieser Menschen mit ihren vielfältigen freundschaftlichen, beruflichen oder verwandtschaftlichen Verbindungen treffen uns in diesem Roman mit einer unglaublichen Wucht. Die Erzählung ihrer Schicksale wirft Fragen auf, die universell und zeitlos sind.
Lese-Probe zu „Wer wir sind “
Wer wir sind von Sabine Friedrich Die folgenden Romanauszüge wurden von der Autorin aus dem Zusammenhang gelöst und neu gruppiert.
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»Freyas Wägelchen! Freyas Wägelchen!«
Das Wägelchen ist am 30. März 1911 ins Kinderzimmer gerollt. Hans und Carl Deichmann lagen noch in ihren Gitterbetten. Sie setzten sich auf, verschlafen und erstaunt: So früh kam der Vater sonst niemals ins Kinderzimmer.
»Ihr habt eine Schwester bekommen. Ein kleines Schwesterchen. Es heißt Freya.« Ach? Und wo kam dieses Schwesterchen nun auf einmal her? »Aber das haben wir euch doch gesagt. Mutter und Vater haben es beim Storch für euch bestellt. Nun ist Freya da. Und stellt euch vor, sie hat euch etwas mitgebracht.« Dann kam das Wägelchen. Es ist ein ganz wunderschönes bemaltes Wägelchen, mit einem großen Kasten und vier roten Rädern. »Freyas Wägelchen! Los, wir fahren alle mit Freyas Wägelchen. « Durch die untere Diele des weitläufigen Kölner Bürgerhauses, über den Hof. »Los, alle rein! Nehmt auch Freya mit.Willst du mit, Freya? Los, wir ziehen euch.« Hinaus aus dem Deichmann-Haus, hinaus auf die Straße. Über das Kopfsteinpflaster. »Nach vorn,zum Fluss zu.Da,wo es den Hügel runtergeht.«
Es ist Sonntag, ein Julisonntag 1915. Das Wägelchen ist voll beladen. Wo ist das Personal? Wo ist die Aufsicht? Wo sind die Kindermädchen, die Erzieherinnen? Ist denn keiner da, der Schlimmes verhindert? Freya ist vier. Wieso hat sie mit den Großen mitkommen dürfen? Sie ist aber dabei, mitten unter den anderen. Sie sitzt eingekeilt zwischen Freunden der Brüder, zwischen Vettern und Basen. »Haltet euch fest! Haltet Freya fest!« Schrille frohe Schreie. Hinab, hinab, in wilder und berauschender Fahrt, erst den Hang hinunter, dann unten scharf um die Kurve, Freya sitzt ruhig. Sie hat keine Angst. Ein Arm hält sie von hinten umfasst. Sie weiß nicht, wessen Arm es ist, aber sie fühlt sich ganz sicher. Das Wägelchen holpert und wackelt, springt über einen Stein. »Noch mal, noch mal!« »Freyas Wägelchen!«
Hinauf, hinauf, hinab, hinab. Das Wägelchen kippt. Das Rad zerbirst. Es ist ein verrückter, ewiger Moment: der Moment vor dem Aufprall, wenn noch nichts passiert ist. Der Moment vor dem Schmerz. Freya hat immer noch keine Angst. Etwas geht ihr durch den Kopf. Ein Gefühl, ein Gedanke, der Anruf einer leisen Stimme. Ein gemächlicher Satz, Dir passiert nichts.
Holz splittert und kracht. Sie stürzen übereinander, Beine schrammen, Haut schürft, es gibt Prellungen, aufgeschlagene Knie und Ellenbogen. »Wo ist Freya?«
Sie sitzt auf der Straße. Sie hat nur einen kleinen Kratzer an der Stirn. »Freyas Wägelchen!«
Das ist allerdings kaputt. Es ist zerborsten, nichts als ein Haufen buntbemaltes Brennholz. Hans und Carl kämpfen mit den Tränen. Freyas Wägelchen ist nicht mehr zu retten. »Nicht weinen«, sagt Freya leise zu ihren Brüdern. »Nicht weinen.«
Der Schnee fällt immer dichter. Helmuth James von Moltke ist auf dem Heimweg nach Kreisau, mit Pferd und Wagen: Im Krieg ist der Zugverkehr zwischen Kreisau und Schweidnitz eingestellt und in diesem ersten Winter nach Kriegsende noch nicht wieder aufgenommen worden. Jeden Tag fährt Helmuth mit dem Wägelchen nach Schweidnitz in die Schule und wieder zurück. Jeden Morgen spannt er den Apfelschimmel vor den kleinen Wagen, der Spinne genannt wird, und dann geht es los, über die Landstraße. Freilich könnte Helmuth auch bei den Trothas wohnen.
Tante Ete hat bis vor kurzem mit ihren Kindern auf Kreisau gelebt. Margarethe von Trotha: Sie ist die Schwester von Helmuths Vater. Helmuth und seine Brüder sind mit den Trotha- Kindern großgeworden. Am nächsten steht Helmuth sein Vetter Carl Dietrich. Tante Ete ist Carl Didis wegen nach Schweidnitz gezogen, damit er es nicht so weit bis zur Schule hat. Sie würde auch Helmuth aufnehmen. Aber Kreisau verlassen, Mami verlassen? Niemals. Und es sind ja nur sieben Kilometer nach Schweidnitz.
Sieben Kilometer hin, sieben Kilometer zurück. Im Sommer ist die Fahrt sogar schön. Die Morgenfrische, der Dunst der Wiesen. Der Himmel ganz rein, bevor der Tag heiß wird. Das leise Sirren der Räder, die Linden am Straßenrand, und das Land links und rechts der Allee liegt offen wie ein aufgeschlagenes Buch. Aber jetzt ist alles verdeckt und verschwunden, und Helmuth steckt zum fünften Mal fest.
Heute Morgen lag der Schnee nur wie ein dünnes Laken über dem Land. Aber es hat den ganzen Tag weitergeschneit. Helmuth weiß nicht genau, wo er ist. Jedenfalls ist er noch immer auf der Straße, deren Lauf die Alleebäume deutlich markieren. Es ist noch nicht spät, vielleicht halb vier. Aber es dunkelt schon. Es ist eine Art weißer Dunkelheit, die der stiebende Schnee erzeugt. Helmuth ist kalt.
Ihm ist elend. Dies ist mühsam. Er hat die Spinne freigeschaufelt, und ein paar Meter weiter steckt sie wieder fest. Er wird jetzt natürlich nicht zu heulen anfangen. Er ist elf, und im März wird er zwölf. Er heult nicht. Er wünschte nur, Mami wäre hier. Der Wunsch ist überwältigend. Helmuth darf ihn gar nicht richtig festhalten und in Worte fassen, er darf ihn allenfalls leicht streifen, wie man etwas mit einem Finger berührt, während man gleichzeitig in eine andere Richtung schaut, sonst überschwemmt ihn der Wunsch mit weinerlichem Überdruß. Ohnehin wäre es sinnvoller, sich den Kutscher Hermann herzuwünschen. Hermann würde nicht nur für den kleinen Moltke schaufeln, er würde ihn notfalls auf den Schultern nach Hause tragen. Es geht aber gar nicht darum. Es geht nicht ums Schaufeln. Helmuth würde klaglos schippen und schaufeln, wenn bloß Mami hinten in der Spinne säße. Wenn Mami neben der Spinne herginge, in ihre duftenden Pelze gehüllt: Dann hätte ihr Sohn allen Mut der Welt. Er würde sich befähigt zeigen, mutig, zuversichtlich. Mami würde die Hände zusammenschlagen, vor Stolz auf seine unverdrossene Zuversicht.
Er steckt wieder fest. Er muss wieder schaufeln. Jetzt kommen doch Tränen. Ist das das Leben? Gehen, kämpfen, feststecken, schippen, wieder ein paar Schritte, wieder feststecken? Er hat keine Lust!
Wenn es so ist, hat er keine Lust. Danke bestens, aber Helmuth James von Moltke verzichtet. Ist er etwa verpflichtet? Kann man ihn zwingen? Hat er darum gebeten, auf die Welt zu kommen? Das hat er nicht. Er könnte jetzt aufgeben, wenn er wollte. Er könnte sich in den Schnee werfen und liegenbleiben. Er weiß, was dann passieren würde. Erst friert man entsetzlich. Aber dann wird einem warm, ganz wundervoll warm. Alles ist gut. Und dann stirbt man. Müdigkeit lullt einen ein, Schläfrigkeit wiegt einen in den Tod. Und am nächsten Morgen wird man gefunden, froststeif und halb zugeweht wie ein toter Hase.
Mami Er heult. Er schippt. Er kann die Kinderstimme, die Kleinkindstimme in seiner Kehle spüren, ohne dass er ruft: Mami, Mami, warum bist du nicht da! Er muss aber mindestens das Pferdchen freischippen. Was kann denn das arme Pferdchen für alles? Er muss den Wagen heil heimbringen. Sie brauchen den Wagen auf Kreisau, das weiß er. Alles wird gebraucht, jetzt nach dem Krieg, alles ist knapp. Nichts ist ersetzbar. Und natürlich erwartet Mami von ihm, dass er Pferdchen und Wagen zurückbringt.
Sie erwartet, dass er zurückkommt. Sie wünscht ihn sich zurück. Sie setzt auf ihren Sohn, sie vertraut ihm ganz. Sie hat ihn lieb, sie begleitet ihn mit ihren Gedanken, in gewissem Sinne ist sie also hier.
In gewissem Sinn ist sie tatsächlich hinten in der Spinne. Helmuth James von Moltke schippt. Er beißt die Zähne zusammen. Er steigt nicht wieder in den Wagen. Er zieht das Pferdchen am Zügel weiter, Schritt für Schritt. Mami ist das Zentrum von allem. Ohne sie würde die Welt zerschellen und in Scherben auseinanderfliegen wie eine Tasse auf Steinboden. Helmuth schippt. Er zieht das Pferdchen weiter. Er muss jetzt nur den Gedanken festhalten, dass er das Richtige tut. Er muss sein Bestes geben. Das ist alles. Wenn er sein Bestes gibt, dann wird er auch heil heimfinden. Sein Fäustling ist eingerissen, und Schnee dringt hinein. Schnee fällt ihm in den Kragen. Er zieht das Pferdchen weiter.
Er steckt fest. Er schippt. Er weint jetzt nicht mehr. Er geht, und er schippt, er ist jedenfalls auf dem richtigen Weg.
Er kommt voran: Vor ihm sind die Linden. Die Junilinden von Kreisau. Fast ist es ihm, als würde der Schneefall schwächer. Freilich hängt der Himmel voller Wolken. Aber das kann ihm egal sein. Es geht ihn nichts an. Es obliegt einer anderen Macht, darüber zu befinden, ob es schneit oder friert oder taut. Helmuth James von Moltke muss nur das Pferdchen ausgraben. Er muss dafür sorgen, dass die Spinne fährt. Er friert erbärmlich, und er ist sehr müde. Aber er kann jetzt tapfer sein. Er weiß ja, was er zu tun hat. Er muss Pferd und Wägelchen nach Hause bringen.
Helmuth geht durch Breslau. Das Schneetreiben hat zum Glück aufgehört. Freilich fällt einem nun der Neuschnee in die Schuhe. Helmuth James von Moltke hat nasse Füße, aber das ist die geringste seiner Sorgen. Er geht über den Breslauer Marktplatz. Er ist auf dem Weg zum Zahnarzt. Er hat Zahnweh, schon seit gestern Abend, auch wenn er Mami nichts davon gesagt hat. Und gibt es etwas Unglücklicheres, Überflüssigeres als das Leben? Man ist auf dem Weg zum Zahnarzt, auf dem Weg zum Bäcker. Man ist auf dem Weg zur Post, auf dem Weg in die Universität, man fährt von Potsdam nach Breslau, von Breslau nach Wien, man sitzt oder steht irgendwo mit irgendwem herum und redet über irgendetwas, was soll das Ganze? Was erwartet man vom Leben? Was um Himmelswillen soll man damit anfangen? Und eben damit quält ihn der Vater.
»Bitte, Helmuth, werde dir darüber klar, was du vom Leben willst. Werde dir darüber klar, wovon du leben willst. Natürlich erbst du einmal Kreisau, aber Kreisau stellt keine ausreichende Lebensgrundlage für mehrere Familien dar, bedenke das bitte.«
Mehrere Familien? Helmuth seinerseits gedenkt keinesfalls zu heiraten. Sich an eine Frau binden, die Verantwortung dafür tragen, dass man Kinder in die Welt gesetzt hat? Es kommt nicht in Frage. Und er allein wird sich schon durchschlagen. Er hat sein Studium so gut wie abgeschlossen, er hat seine Examensarbeit abgegeben. Er ist befreundet mit Edgar Mowrer von der ›Chicago Daily News‹ und mit Dorothy Thompson, der Korrespondentin des ›Philadelphia Public Ledger‹ und der ›New York Evening Post.‹ Sie befragen ihn immer wieder nach seiner Meinung zur Lage in Ostdeutschland, zur Lage in Polen. Helmuth könnte jederzeit als Journalist durchkommen, da ist er sicher. Außerdem wird er im nächsten März das Referendarexamen ablegen, im März 1929, gerade zur Zeit des zweiten Löwenberger Arbeitslagers. Er nimmt aber nicht an dem Lager teil. Helmuth hat sich aus der Arbeitsgemeinschaft zurückgezogen. Reichspräsident von Hindenburg und Innenminister Carl Severing sind inzwischen nach Waldenburg gereist, das alles läuft nun also auch ohne ihn. Helmuths Teilnahme ist nicht mehr zwingend nötig. Die Frage ist nur, wo sie nötig ist. Die Frage ist nur, wofür man tut, was man tut. Es ist doch vollkommen nutzlos, morgens aufzustehen und sich dann bis zum Abend abzustrampeln, nur zu dem einen Ziel, sich selbst am Leben zu erhalten. Es ist nicht der Mühe wert. Wozu das Gerenne, wozu der Energieaufwand, wenn es nur darum geht, für sich selbst möglichst viel Ehren oder Reichtümer zusammenzuraffen? Persönlicher, egoistischer Ehrgeiz muss doch auf jede Tätigkeit sinnentleerend wirken. Ein solches Leben kommt einfach nicht in Frage. Sinn verleihen könnte dem Leben ausschließlich eine Anstrengung, von deren Früchten man nicht selbst satt zu werden gedenkt. Aber welchen Beitrag könnte Helmuth James Graf von Moltke leisten, um die Welt zu verbessern? Und was, wenn die Welt gar nicht wünscht, von ihm verbessert zu werden?
Denn das kann geschehen. Man kann sich ja leicht sagen, tu dies oder das, es ist das Gute und Richtige, und du selbst hast nichts als Mühe und Plage davon. Aber was, wenn man am Ende erkennt, dass alles umsonst war? Man hat nichts erreicht. Man ist für nichts und wieder nichts so und so viele Jahre auf dieser Erde herumgelaufen, man hätte es ebensogut bleiben lassen können, es war ganz überflüssig, dass man geboren worden ist. Ist es bei solchen Aussichten nicht besser, gleich zu resignieren? Sollte man nicht einfach in einer Ecke sitzenbleiben und sein Leben lang lesen?
Helmuth hätte nichts dagegen. Er ist einundzwanzig Jahre alt. Er muss sich umsehen. Er muss herausfinden, wo er eine Rolle spielen könnte. Er plant, Polnisch zu lernen. Er wird reisen: Für den kommenden Sommer hat er eine Einladung der polnischen Regierung. Er ist auch den ganzen letzten Sommer unterwegs gewesen, in Polen, in Oberschlesien, in Heidelberg, wo er eine gemeinsame Tagung von Jaspers, Buber, Rosenstock- Huessy und den Löwenbergern angeregt hat. Er hat den kroatischen Bauernführer Stjepan Radic kennengelernt. Er hat Kultusminister Carl Heinrich Becker getroffen. Er muss noch mehr reisen. Er muss mehr lernen: Politische Probleme lassen sich nicht fein säuberlich in rechtliche, historische und wirtschaftliche Teile trennen, man muss nach einer Ausweitung und Vertiefung in jeder Richtung streben. Er findet es anstrengend zu leben. Helmuth James Graf von Moltke würde es begrüßen, wenn das Leben von Helmuth James Graf von Moltke nichts forderte.
Er fände es verlockend, wenn einer zu ihm sagte: Hör zu. Du erhältst ab sofort bis zum Ende deiner Tage diese kleine monatliche Summe, die zuverlässig deine Subsistenz sichert. Dafür musst du nichts weiter tun, als dich zu verpflichten, dein Leben in einer weit östlich liegenden Provinz zu verbringen und dort nicht weiter aufzufallen: Und alle diese Gedanken haben nichts mit Daisy zu tun.
Helmuths Seelenzustand, seine düstere Weltsicht haben überhaupt nichts mit Daisy D'Ora zu tun, das muss Helmuth sich immer wieder sagen. Helmuth steigt die Treppen zur Zahnarztklinik von Herrn Dr. Wilhelm Cohn hinauf. Der Backenzahn links oben pocht. Er pocht seit gestern Abend. Daisy hat seinen Brief von letzter Woche nicht beantwortet. Die Chancen stehen gut, dass sie ihn überhaupt nicht beantwortet. Das Leben ist eng, albern und widerwärtig. Helmuth denkt, dass er für einen freien Ausblick, für einen Moment in freier reiner Luft zwanzig Jahre seines Lebens hingeben würde. Sein ganzes Leben.
Es gibt Momente, die Einschnitte sind, in den Lauf der Zeit, Schluchten, über die keine Brücken führen: Man kann nicht wieder zurückgehen auf die andere Seite und eine andere Abzweigung wählen. Man kann keinen Kreis laufen und so wieder zum Anfang zurückfinden. Freya ist vom Grundlsee zurück. Ihr Leben läuft nun wie auf Schienen. Die Fahrt hat begonnen, die Richtung ist festgelegt. Es ist alles entschieden, mit dieser einen einzigen Entscheidung. Freya steht in der Diele ihres Kölner Elternhauses. Der Vorhang des Dielenfensters ist grün. Der Dielenleuchter ist vielarmig, geschwungen, mit Glühbirnen, die wie Kerzen aussehen. Freya weiß das. Am Türrahmen neben ihr ist ein Kratzer. Freya weiß es, ohne hinzusehen, sie hält Helmuth James von Moltkes Brief in der Hand. Der Brief in ihrer Hand verwandelt das Haus.
Nichts ist mehr, was es war. Alles muss nun erneut betrachtet, alles muss erneut gemessen, erwogen, bewertet werden, im Licht dieses Briefes. Freya ist gerade aus Österreich zurückgekommen, vom Ferienlager in Eugenie Schwarzwalds Villa See- blick. Gleich am allerersten Tag, beinahe in der ersten Minute ihrer Ankunft war schon alles entschieden. Helmuth James von Moltke lehnte am kalten Kamin im Wintergarten, als Freya hereinkam. Freya sah ihn sofort. Er bemerkte sie nicht. Er blätterte in einem Buch, wippte dabei leicht hin und her, von den Fersen zu den Zehen und wieder zurück. Sein Anzug war ein wenig zu elegant, für das Landleben. Die Hose war am Schlag angeschmutzt. Am Ärmel klebte Gras. Er sah skeptisch aus, blätterte die Seite um, dann blickte er auf. Er sah Freya an. Es war Freya, als eröffnete sich zwischen ihnen ein Raum.
Der weite Raum der Zukunft: den sie nun betraten, jeder von seiner Seite. Freya ist achtzehn. Helmuth James von Moltke ist zweiundzwanzig. Freya ist erleichtert. Sie ist jetzt sicher. Sie weiß, was sie will. Sie möchte in Helmuth James von Moltkes Nähe leben. Sie hat es geahnt, noch bevor sie ein Wort miteinander gesprochen hatten. Sie hat es gewusst, noch bevor sie wusste, wer er war: der Junge mit dem zerrissenen Trommelfell.
Ich muss Ihnen sagen, dass ich mir nichts vom Leben erwarte. Ich empfinde eine gewisse Lebensunlust, das leugne ich nicht. Und bin ich denn dazu verpflichtet, dieses Leben zu lieben? Ich habe schließlich nicht darum gebeten, geboren zu werden.
Solche Dinge sagt Helmuth von Moltke. Wahrscheinlich sollte Freya erschüttert sein. Wahrscheinlich sollte sie sich abgeschreckt fühlen: Aber alles, was zählt, ist ja, dass er diesen Brief geschrieben hat.
Dass er sofort geschrieben hat. Dass der Brief Freya hier schon erwartet hat, bei ihrer Ankunft. Sie sieht nun ihren Weg vor sich. Freya war immer gespannt darauf, wann es wohl so weit sein würde. Natürlich hat sie deswegen nicht herum gesesssen und auf eine überirdische Erscheinung gewartet. Freya macht Abitur. Sie wird danach einen Kursus in Stenografie und Schreibmaschine belegen, sie wird vielleicht Geschichte studieren. Wäre das ein Weg?
Es wäre ein Studium. Es würde nicht darüber entscheiden, wo Freya hingehen wird. Aber nun hält sie den Brief in der Hand. Der Brief ist eine Landkarte. Freyas Pfad ist darauf ein- gezeichnet. Natürlich wird er nicht ohne Tücken sein. Aber die schlimmste Gefahr ist hoffentlich gebannt. In den ersten Tagen befand sich ja alles noch in fürchterlicher Schwebe: Daisy D'Ora war da, die schlanke blonde Schönheitskönigin. Daisy liebt Helmuth aber nicht. Das hat Freya sofort gesehen. Jedenfalls liebt sie ihn nicht, wie Freya Helmuth lieben wird, Daisy hat es vielleicht selbst eingesehen.
Sie ist jedenfalls abgefahren. Von da an hatte Freya Helmuth James von Moltke für sich. Sie sind auf dem See Kahn gefahren. Sie haben zusammen Berge erstiegen, nur sie beide, ohne die anderen. Freya hat Helmuth keinen Moment aus den Augen gelassen. Vom Frühstück bis zur Trennung spät am Abend ist sie an seiner Seite geblieben. Freyas Mutter hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. »Freya, Kind, was tust du denn nur! Du wirfst dich ihm an den Hals. Du machst dich billig. Freya, ich dulde das nicht, du wirst morgen den ganzen Tag zu Hause bleiben.«
Es war aber zu spät. Freya war schon fort. Die Mutter verschloss ein leeres Zimmer: Freya war entlaufen, entflogen, und niemand konnte sie mehr zurückrufen, Freya blickt auf den Brief. Sie liest noch einmal, Dieser Sommer ist so zu einem Teil meiner selbst geworden, dass alles Weitere ohne diesen Sommer unverständlich bliebe. Das danke ich Ihnen, ich danke Ihnen alles, was ich je werde erreichen können, ganz gleich, wie die Zukunft mit uns verfährt.
Das hat er geschrieben. Und was kann Freya auf einen solchen Brief antworten? Das ist sehr einfach. Freya wird Helmuth von Köln erzählen. Sie wird vom Lernen schreiben, von ihren Mühen um das Abitur. Es ist ja alles klar. Freyas Weg führt nun nach Kreisau.
Helmuth hat ihr das Gut beschrieben. Es liegt zwischen den Hängen des Eulengebirges und dem Zobten, eingebettet in eine Mulde südlich der alten Landstraße, die den Westen mit dem Osten verbindet. Es ist schön dort. Freya hat Sehnsucht nach Kreisau. Das ist äußerst merkwürdig. Sie ist ja noch niemals dort gewesen. Dennoch sehnt sie sich nicht danach, wie man sich in eine abenteuerliche Ferne sehnt. Sie sehnt sich wie aus der Ferne zurück. Sie sehnt sich wie nach einem verlorenen Ort, an den man endlich heimkehren möchte, vielleicht ist es aber auch gar nicht so merkwürdig.
Zu Hause ist ja nun nicht mehr dieses Haus mit seinen Speise- und Tanzsälen, seinen Kammern und Winkeln, seinen Toren und Höfen und Treppen, in dem Freya aufgewachsen ist, sondern Helmuth von Moltke. Daran lässt sich nichts mehr ändern: Es ist kein Gefühl, sondern eine Tatsache. Freya blickt auf den Brief in ihrer Hand. Sie liest noch einmal die letzten Zeilen, Ich bin frisch, wohl, voller Kraft, voll eines Hochgefühls des Lebens, das ist allein Ihr Werk. Ich hoffe, dass ich in der Lage sein werde, Sie einmal mit aller Intensität zu lieben, denn was ich jetzt empfinde, ist nur Beginn, der Anfang einer Entwicklung, die mir Höhen erschließen wird, die für mich noch vor vier Wochen unerreichbar waren, eine Entwicklung, deren Spitze gar nicht abzusehen und die alles aus mir zu machen imstande ist.
Freya blickt über den Brief hinweg aus dem Fenster. Der Raum der Zukunft liegt offen vor ihr. Es ist ein weiter Raum, dämmerig. Er ist unbekannt, aber nicht vollkommen unvertraut. Einiges im Vordergrund lässt sich sogar ziemlich klar ausmachen: ihr Antwortbrief, dann sein Antwortbrief. Ihr Lederkoffer, den sie noch nicht ausgepackt hat, aufgeklappt, neu gepackt für eine Fahrt von Köln nach Schlesien, von Westen nach Osten durch das ganze Reich. Der Trubel des Kölner Bahnhofs. Ein Ruck, das Schnaufen eines Zugs. Ein Taschentuch im Wind. Die vertrauten Kölner Giebel und Plätze, noch einmal durchs Zugfenster: ein letztes Mal genauso durchs Zugfenster. Ein bisschen weiter hinten im Zukunftsraum beginnen die Dinge schemenhaft zu werden.
Ihr Koffer auf einem fremden Bahnsteig, der schmal ist und ländlich. Ein Wagen mit Pferd, der sie abholen kommt. Ein Haus auf einem Hügel. Gesichter, die sie nicht kennt, Stimmen, ausgestreckte Hände. Und noch weiter hinten im Zukunftsraum verschwindet alles, löst sich auf in einem leuchtenden Dämmer wie in dünner Milch.
Der Regen wispert im Gras, in den jungen Blättern der Linden von Schloss Klein-Oels. Es ist ein kühler Frühlingsnachmittag 1912. Bia und Peter Yorck von Wartenburg sitzen im Kinderhaus, das die Schwäbische Hütte genannt wird. Die Schwäbische Hütte liegt in ihrem eigenen kleinen Garten. Sie hat zwei Stockwerke und eine kleine Küche mit Gerätschaften im Kinderformat, mit denen man richtig kochen kann. Meist bewirten hier die Mädchen die Klein Oelser Hausdamen und Kinderfräuleins mit Tee und Kuchen auf Puppengeschirr. Aber heute sind Bias und Peters Schwestern trotz des kühlen Wetters mit dem Ponywagen nach Mechwitz gefahren, und die Jungen haben die Schwäbische Hütte für sich. Sie sitzen im oberen Stock am Fenster und reden über den neuen Bibliothekar. Schloss Klein Oels verfügt über eine der größten Büchersammlungen in deutschem Privatbesitz. Ihren Grundstock bildet die Bibliothek Ludwig Tiecks, die der Dichter einst dem Großvater des jetzigen Schlossherrn vermacht hat. Dessen Sohn hat das Seine getan, um die Sammlung zu vermehren. Inzwischen ist sie auf über hundertfünfzigtausend Bände angewachsen. Und die soll der Bibliothekar nun katalogisieren.
»Ich finde den Bibliothekar ziemlich nett«, sagt Peter zu seinem älteren Bruder.
»Er kann kein Französisch«, sagt Bia. »Er kann sich nicht mal mit Mademoiselle unterhalten. Und Latein und Griechisch kann er auch nicht. Ich habe ihn gefragt. Er hat nämlich Platos ›Gastmahl‹ in der Übersetzung auf dem Nachttisch liegen, nicht im Original.«
Das ist allerdings verwunderlich. Ein Bibliothekar müsste doch eigentlich gebildet sein. Und ein gebildeter Erwachsener verfügt über profunde Kenntnisse der Alten Sprachen, der Philosophie, Geschichte und Literatur, er beherrscht das Englische und das Französische fließend, er ist mit den Grundlagen mathematischen und naturwissenschaftlichen Denkens vertraut und besitzt wenn nicht angeborenes, so jedenfalls anerzogenes Musik- und Kunstverständnis. Das setzt man auf Klein-Oels als selbstverständlich voraus.
Die Familie hat sich wie jeden Abend zur Lese- und Abfragestunde im Gartensaal versammelt. Gräfin Sophie Yorck von Wartenburg hat ein Fenster öffnen lassen, durch das der Duft der frühlingsfeuchten Erde hereindringt. Graf Yorck von Wartenburg liest heute aus ›Faust zwei‹ vor.
»Ein Paradies wird um mich her die Runde. Hinaufgeschaut! - Der Berge Gipfelriesen Verkünden schon die feierlichste Stunde - « Peter hat einen wunderbaren Platz ergattert. Er kauert auf
einem dicken Kissen direkt zu Füßen des Vaters. Und er darf Hannusch bei sich haben, den kleinen Bruder. Hannusch sitzt auf Peters Schoß. Er hat ein Wollschäfchen im Arm, so klein ist er noch. Seine Haare sind golden und fein, Kleinkinderhaare mit dem süßbitteren Duft von Mandelplätzchen. Der Vater thront in seinem Sessel.
»Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen Ein Flammenübermaß, wir stehn betroffen; Des Lebens Fackel wollten wir entzünden, ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!« Peter gegenüber sitzen Püzze und Davy, die beiden ältesten Schwestern. Zu ihren Seiten reihen sich die Geschwister aneinander, die schon alt genug sind, um bei den abendlichen Lesestunden dabei zu sein. Draußen verschleiern Dämmerung und Regen sanft die vertraute schlesische Landschaft.
Graf Heinrich Yorck von Wartenburg hält mit dem Lesen inne. Er klappt den ›Faust‹ zu, einen Finger zwischen den Seiten. Peter setzt sich auf. Ist nun er an der Reihe? Schnell ruft er sich den Anfang seines Gedichts ins Gedächtnis, Edel sei der Mensch, Hülfreich und gut!
Das Gedicht reimt sich nicht. Es war deswegen nicht leicht zu lernen. Man kann es nicht einfach herunterleiern. Peter hat beim letzten Vortrag geleiert. Genau deswegen sollte er nun ja dieses Gedicht lernen.
Denn unfühlend
Ist die Natur,
Es leuchtet die Sonne
Über Bös' und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
Der Mond und die Sterne -
Herr Otto hat Peter beim Lernen geholfen, der Hauslehrer. Er ist nett. Er neigt zu schwermütigen Scherzen. Er war meist geduldig mit Peter, er hat selten geschimpft. Leider ist Herr Otto aber entlassen. Er hat in stark alkoholisiertem Zustand Voltaires Gipsbüste im Grünen Korridor umgerannt. Es war keine Absicht, aber was hilft das Voltaire? Er liegt in Scherben. So geht es nicht, das sieht Peter ein.Aber um Herrn Otto tut es ihm doch leid. Auch deswegen hat er das Gedicht vorhin noch einmal geübt, ganz für sich allein.
Edel sei der Mensch, Hülfreich und gut!
Der Vater hat den Blick aber auf Bia gerichtet, seinen ältesten Sohn und Erben.
»Also, Bia«, sagt er. »Dann fasse doch bitte einmal zusammen, was Plato in der ›Politeia‹ über das Herrschen gesagt hat.«
Bia setzt sich sehr aufrecht hin. Er hebt das Kinn, er faltet die Hände. »Plato hat gesagt, in einem gerechten Staat müssten Philosophen herrschen, oder die Herrscher müssten philosophieren.«
Der Vater nickt langsam. Er lässt Bia nicht los. Bia setzt neu an. »Das soll heißen, in Platos Idealstaat herrschen die Weisen «, sagt Bia. »Die Weisen sind eine Elite aus hochgebildeten Menschen. Sie wollen Gerechtigkeit und das Gute. Sie handeln ohne Eigennutz. Sie zeigen den Menschen, dass jeder ein Teil des Ganzen ist. Jeder muss seine Pflichten für das Ganze erfüllen. Wenn die Allgemeinheit glücklich ist, wird auch der Einzelne glücklich sein.« Der Vater nickt wieder. »Weiter«, sagt er. » Aber?«
»Das Ideal bleibt nicht bestehen«, sagt Bia. »Früher oder später kommen Menschen an die Macht, die nur aus Eigennutz handeln. Das Wohl der Allgemeinheit ist ihnen gleichgültig. Es sind ungebildete, unvernünftige, mindere Menschen, die nicht verstehen, dass es auch ihnen selbst langfristig nur gut gehen kann, wenn es der Allgemeinheit gut geht. Sie beuten die Menschen aus, bis sich die Verarmten schließlich gegen sie erheben. Die Armen stürzen die Reichen, und so entsteht die Demokratie. In der Demokratie kann jeder tun, was er will. Jeder verfolgt seine selbstischen Zwecke, keiner sieht mehr das große Ganze. Die Vielen herrschen über die Guten. Weisheit und Gerechtigkeit zählen nicht mehr, sondern nur persönliche Wünsche und Begierden. Und deswegen entsteht am Ende die Tyrannis. Ein einzelner Tyrann übertölpelt das Volk. Er verführt es, damit es ihn liebt. Aber sobald er die Macht errungen hat, zeigt er sein wahres Gesicht. Dann kommt ans Licht, dass er ein Verbrecher ist.«
Bia verstummt. Er ist fertig. Der Vater wartet. Bia würde gern noch etwas sagen. Aber was? Das mit dem Verbrecher ist nun einmal das Ende der Geschichte. Der Vater räuspert sich.
»Passabel«, sagt er dann. »Immerhin passabel, für eine erste kindliche Zusammenfassung. Wir werden gleich noch einmal auf die Einzelheiten eingehen. Aber nun, mein Sohn. Was folgt für dich persönlich daraus?«
Bia schweigt. Er sieht zu Boden. Er sieht zur Seite. Der Vater sieht aus dem Fenster. Er kratzt mit dem Fingernagel über die Zunge: ein Stäubchen offenbar oder ein Haar. »Dass ich viel lernen muss?« sagt Bia schließlich. »Dass ich nicht einfach tun kann, wozu ich Lust habe. Dass ich meine Pflichten erfüllen und nach den Regeln der Vernunft leben soll. Dass - « »Ja«, sagt der Vater.
Es knallt wie ein Peitschenschlag. Er schüttelt den Kopf, streift mit der Zunge an den Zähnen entlang:Aber das Fädchen ist offenbar immer noch da.
»Herrschen heißt dienen, mein Sohn, merk dir das«, sagt der Graf. »Du wirst eines Tages Klein Oels erben. Die Ländereien, das Schloss, die Verantwortung für die Leute, die hier leben und von den Yorcks abhängen. Merk dir, dass das eine Aufgabe ist, keine Auszeichnung. Dein Eigentum dient nicht deinem Genuss. Es dient nicht der Förderung deiner persönlichen Macht. Es ist ein höchstes Kulturgut, das du im Interesse der Allgemeinheit zu verwalten hast.«
Der Vater neigt sich ein wenig vor. Er zieht noch einmal die Zunge an den Zähnen entlang. Dann endlich bläst er das Fusselchen von sich, mit einem lustigen kleinen Geräusch, als entkorkte er eine Flasche. »Du wirst nach meinem Tod Mitglied des preußischen Herrenhauses sein«, sagt der Vater zu Bia. »Du gehörst einer Elite an.« Peter sitzt ganz still. Er kann sein Glück kaum fassen: Das Stäubchen von den Lippen des Vaters ist auf seiner Stirn gelandet.
»Das bedeutet Verpflichtung«, sagt der Vater. »Das bedeutet Verantwortung. Es bedeutet, dass das Interesse der Allgemeinheit dein einziger und höchster Maßstab zu sein hat. Lass dir das gesagt sein, mein Sohn.«
Gräfin Sophie Yorck von Wartenburg steht im Empirezimmer, das vom Roten Gang abgeht. Es ist alles in bester Ordnung: Die Möbel sind poliert, die Betten wie angeordnet bezogen, auf den Tischen stehen späte Gladiolen aus den Treibhäusern von Klein Oels. Die Gräfin ist nach oben gekommen, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass das Zimmer ihren Anweisungen entsprechend hergerichtet worden ist. Sie erwartet für morgen den Besuch ihrer Schwägerin Bertha von Kalckreuth, die wie in jedem Jahr mehrere Wochen in Klein-Oels verbringen wird.
Bertha hängt an ihrem alten Zuhause. Sie hat ihrem Vater sehr nahegestanden, womöglich noch näher als ihr Bruder. Von Kindheit an hat sie sich ganz in den Kreis des alten Grafen hineinziehen lassen, und auch später blieb ihre geistige Welt mit der des Vaters aufs innigste verwoben. Entsprechend hart hat sie der Tod dieses überragenden Mannes getroffen, und nicht sie allein. Der Beileidsbrief des großen Geisteswissenschaftlers Wilhelm Dilthey wird in einem eigenen Ordner in der Bibliothek aufbewahrt.
Seit nun fast einem Vierteljahrhundert habe ich mit Ihrem teuren Vater in der innigsten Gemeinschaft aller Ideen gelebt. Er war die genialste größte Natur, die mir außer Helmholtz begegnet ist, aber mehr wog die Herrlichkeit seines Charakters. Allem, was er berührte, verlieh er Adel, Schönheit, Glanz, wenn er erschien, war es, als gehe die Sonne auf. Ich kann mich auch nicht finden, mich dünkt, nichts Philosophisches wird künftig mich wieder mit dem alten Interesse erregen, da ich es mit ihm nicht mehr teilen kann. Welchen Wert soll, was ich noch schreiben könnte, für mich haben, da ich seine Beistimmung, seine Einwendungen, sein Urteil von jetzt ab niemals wieder vernehmen werde. Recht leidend wie ich bin, empfinde ich es, als ob über dem Rest nun tiefe Schatten sich senken.
Bertha war wie von Sinnen über den Verlust des Vaters. Ihr nüchterner Gatte, der allem Demonstrativen abgeneigte Leopold von Kalckreuth, war tief befremdet von ihrer wilden Hingabe an den Schmerz. Womöglich hat damals schon eine gewisse Entfremdung der Ehegatten begonnen? Aber auf immer zerstört hat ihr Glück erst der Selbstmord des ältesten Sohnes.
Wolf von Kalckreuth, aufgewachsen im weltenfernen, schöngeistigen Idyll seiner Familie, eingesponnen in einen Kokon aus Kunst, Philosophie, Musik und Dichtung, hat seiner ersten Begegnung mit der Außenwelt nicht standgehalten. Er hat sich mit neunzehn Jahren erschossen, seinen Tod inszenierend wie der junge Werther. Seine Eltern konnten sich nicht aneinander aufrichten. Der Schmerz, der sie doch zueinander hätte führen sollen, trat zwischen sie. Seitdem geht jeder seine eigenen Wege. Auch morgen wird Bertha nicht in Begleitung ihres Mannes, sondern ihrer Töchter anreisen. Die Gräfin tritt ans Fenster.
Von hier aus geht der Blick weit über die Yorckschen Besitzungen, die mit ihren mehr als dreitausend Hektar zu den größten in Schlesien gehören. Sie umfassen die Herrschaft Klein Oels, die Herrschaften Bischwitz, Kantschwitz, Niehmen und Sparwitz sowie die Rittergüter Gaulau, Krausenau, Kauern, Weigwitz und Höckricht, wo Leopold und Bertha von Kalckreuth einige Jahre lang gelebt haben. Und ist das nicht der Bibliothekar, dort unten auf der Wiese?
Die Gräfin beugt sich vor. Der Bibliothekar scheint dem Walde zuzustreben. Was er wohl vorhat, an diesem wenig freundlichen Novembertag? Der arme Mann muss Klein Oels zu Weihnachten verlassen. Es hat einen bedauerlichen Zwischenfall gegeben. Zwischen ihm und einem altgedienten Angestellten ist es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Natürlich sieht die Gräfin ein, dass der Bibliothekar nun nicht mehr hierbleiben kann. Aber er tut ihr leid. Er ist arm. Er hat ja nicht einmal anständige Stiefel. Angeblich veröffentlicht er Erzählungen und Gedichte, die er mit Pseudonymen wie Pinko Meyer, Fritz Dörry oder Joachim Ringelnatz unterschreibt. Aber wer hat je von einem Schriftsteller namens Ringelnatz gehört? In Wirklichkeit heißt er Hans Bötticher. Was soll aus ihm werden, ohne Arbeit? Nicht dass die Gräfin die Entscheidungen ihres Mannes anzweifeln würde.
Nicht dass sie auf die Idee käme, sich in die Verwaltung von Klein Oels einzumischen. Aber die Gräfin bemüht sich, im Geist christlicher Liebe zu handeln und so auch ihre Kinder zu erziehen. Sie würde niemals den Wert gründlicher Bildung anzweifeln. Sie selbst beherrscht schließlich Latein und Altgriechisch, in Wort und in Schrift. Aber das Allerwichtigste ist doch die Herzensbildung. Agape: Im neutestamentlichen Griechisch Gottes reine und göttliche Liebe, die bedingungslos und ganz auf die Befreiung des anderen gerichtet ist, wobei das griechische Verbagapao doch zuerst einmal bedeutet, sich mit etwas zufrieden zu geben.
Siehe, so fließet aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott, und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, dem Nächsten zu dienen umsonst.
Die Gräfin legt die Hand auf ihren Leib. Das Kind bewegt sich, ihr neuntes, so Gott will. Es soll im März geboren werden. Bisher hat es ihr noch nicht viel abgefordert. Für den kleinen Hannusch hat die Gräfin sieben Monate liegen müssen. Die Gräfin denkt besonders gern an Hannusch. Natürlich liebt sie alle ihre Kinder. Aber Hannusch ist blond, engelhaft, strahlend. Er ist inzwischen drei Jahre alt. Aber es ist, als wäre er immer noch nicht vollständig verankert auf dieser Welt, die er verlassen wollte, noch bevor er auf ihr angekommen war. Und wie hat die arme Bertha nur den Verlust ihres Sohnes ertragen? Er wäre dieses Jahr fünfundzwanzig geworden.
Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles. Das hat Rainer Maria Rilke dem Jungen nachgerufen, in seinem »Requiem auf Wolf von Kalckreuth«. Und ist es ein Trost, das tote Kind wenigstens von einem Dichter besungen zu wissen? Sei nicht beschämt, wenn dich die Toten streifen, die andern Toten, welche bis ans Ende aushielten -
Gräfin Sophie Yorck von Wartenburg steht noch immer am Fenster des Empirezimmers in Schloss Klein Oels. Der glücklose Bibliothekar strebt noch immer durch die Dämmerung dem Wald zu. In der Kastanienallee wirbelt dürres Laub. Ein Dohlenschwarm erhebt sich vom Schlossdach. Eine plötzliche Düsternis senkt sich über die Gräfin. Und da kommen die Jungen.
Da kommen Bia und Peter, ihre großen Söhne, gefolgt von ihrem Freund Fritzi Schulenburg. Sie haben ihre Ponys geholt. Sie jagen auf Ponys hinter dem Bibliothekar her. Sie galoppieren direkt auf ihn zu, wollen sie ihn über den Haufen reiten? Er hat die Gefahr aber bemerkt. Er ist stehengeblieben. Jetzt rennt er. Er sieht sich um, als wollte er vor den Jungen fliehen. Aber es ist nur ein Spiel. Die Jungen sind wild, aber sie sind nicht bösartig. Sie sind gesund und lebensvoll, ohne alle Schlechtigkeit. Und wie lange werden sie noch bei ihrer Mutter bleiben? Der Graf gedenkt Bia nach Roßleben zu schicken, ins Internat, und ein paar Jahre später wird Peter dem Bruder folgen, die Gräfin öffnet das Fenster. Es ist ihr, als müsste sie sich hinauslehnen und laut nach ihren Söhnen rufen. Aber natürlich tut sie nichts dergleichen.
Die Jungen würden sie auch gar nicht hören. Sie produzieren selbst zu viel Lärm. Sie treiben ihre Ponys an, sie jagen den glücklosen Bibliothekar. Die hohen Kinderstimmen klingen durch die kalte Luft zum Schloss herüber, schrill und fröhlich wie Vogelschreie.
So also ist es. Alles ist mit allem verbunden, jeder hängt mit jedem zusammen, auf verborgene und auf offene Weise. Woher stammen diese Verbindungen? Sind es Verabredungen? Im Geräteschuppen des Jenseits hocken die Toten auf dreibeinigen Hockern, ausgemusterten Opfersteinen, Autowracks und leeren Weinkisten und planen die nächste Inkarnation. Wir wollen diesmal Vater und Tochter sein, Lehrer und Schüler, fünf wilde Brüder, Mann und Frau.
You must be he I was seeking,
Or she I was seeking (It comes to me as a dream)
I am not to speak to you, I am to think of you
I am to wait, I do not doubt I am to meet you again
I am to see to it that I do not lose you
Der Maler Stanislaus von Kalckreuth war Paula Bonhoeffers Großvater. Sein Sohn Leopold von Kalckreuth, der 1885 Bertha Yorck von Wartenburg geheiratet hat, war der Bruder von Paula Bonhoeffers Mutter Clara von Hase. Der von Rilke besungene Wolf von Kalckreuth war also Paula Bonhoeffers Cousin, und er war der Cousin der zehn Yorck-Kinder. Und in einigen Jahren wird der kleine Peter Yorck, der soeben dem Dichter Ringelnatz nachjagt, Marion Winter heiraten, die zusammen mit Dietrich Bonhoeffer das Grunewald-Gymnasium besucht.
Marion und Dietrich gehen sogar in dieselbe Klasse. Sie haben denselben Schulweg. Sie begleiten einander oft nach Hause, und der eine bleibt beim anderen zum Mittagessen. Auch an diesem Herbsttag 1921 gehen sie gemeinsam. »Ich würde gerne mal wissen, wie es ist, keine Eltern zu haben«, sagt Dietrich Bonhoeffer. »Wie?«, sagt Marion Winter, aus ihren Gedanken gerissen.
Aber es ist typisch. Es ist typisch Dietrich Bonhoeffer, sich so etwas Merkwürdiges zu wünschen. »Wieso denn?«, sagt Marion. »Es ist doch sicher ganz schrecklich, ohne Eltern leben zu müssen.« »Bestimmt wäre es schrecklich«, sagt Dietrich. »Aber es wäre auch interessant. Es wäre interessant zu wissen, wie es ist, wenn man sich nicht darauf verlassen könnte, dass sich die Eltern schon um einen kümmern werden. Denn darauf verlässt man sich ja. Man kann gar nicht anders. Man weiß, sie wären für einen da, auch wenn man etwas Gefährliches täte. Also kann man nie herausfinden, wie es ist, wenn sie nicht da wären. Wer man dann wäre, für sich allein.«
»Na ja«, sagt Marion. »Aber die wichtigen Sachen kann einem doch sowieso keiner abnehmen. Die schmerzhaften Sachen. Wenn man sich schneidet, oder wenn man sterben muss. Oder wenn man sehr traurig ist.« Aber davon weiß Dietrich natürlich nichts.
Vom Traurigsein kann er nichts wissen, da ist Marion sicher. Jedenfalls nicht von dem Traurigsein, das Marion meint. Marion Winter ist siebzehn Jahre alt. Dietrich ist erst fünfzehn. Sie sind zwei von nur zehn Kindern in ihrer Klasse. Sie mögen einander, sie helfen sich gegenseitig bei Griechisch und Latein. Aber Marion kann sich nicht vorstellen, dass Dietrich Bonhoeffer jemals erleben wird, was Marion Winter gerade erlebt hat.
Marion war im letzten Sommer in Schweden. Sie ist davor schon einmal in Schweden gewesen, mitten im Weltkrieg. Damals hat sie siebzehn Pfund zugenommen. Damals hat die Mast geklappt. Diesmal nicht. Marion hat kein Gramm Fleisch angesetzt. Sie ist nach Schweden gefahren in der festen Überzeugung, von Grund auf hässlich und böse zu sein. Mager, hässlich und böse. Dann hat sie bei den Forsells gewohnt. Die Forsells braten Fisch am offenen Feuer. Sie leben den Sommer lang mit offenen Fenstern. Die Kinder umarmen den Vater, wann immer sie wollen. Sie setzen sich auf seinen Schoß, wenn ihnen danach ist, sie geben einander lustige Kosenamen. Und die ganze Familie springt jeden Tag gemeinsam ins Meer. Nackt. Vater, Mutter, Kinder. Alle splitterfasernackt. Unvorstellbar. Marion hat sofort mitgemacht.
Sie hat sich splitterfasernackt ausgezogen und ist mit den Forsells ins Meer gesprungen. Sie hat Fisch am Feuer gebraten, sie hat den Vater der Forsells umarmt und einen Kosenamen bekommen, bei den Forsells hat Marion sich aus sich selbst herausgeschält wie aus einer zu engen Haut. Und dann hat sie sich verliebt. Marion will seinen Namen nicht denken, auch sein Gesicht nicht. Sie kann das natürlich keinem erklären. Keiner hier würde irgendetwas verstehen. Wie sollten sie auch? Wie sollten sie die Vernichtung verstehen? Wie sollten sie es verstehen, wenn jeder Gedanke schmerzt, jeder Atemzug, jeder Schritt? Wenn jeder wache Moment zur Qual wird und der Schlaf nicht mehr kommt, so dass es keine Erholung gibt, keine Erlösung, keinen Augenblick mehr, der einem selbst gehört? Marion hat sich den Tod gewünscht.
Sie will nicht davon reden, sie will nicht daran denken. Sie ist ja gerade erst mit der Sache fertig geworden. Sie ist noch immer nicht ganz fertig damit. Ein Rest ist noch übrig, kaffeesatzbitter. Aber sie weiß, etwas so Schreckliches wird ihr nie wieder zustoßen. Die Liebe wird Marion Winter von nun an vermeiden.
»Na gut«, sagt Dietrich. »Natürlich. Schmerzen kann einem keiner abnehmen. Auch Entscheidungen nicht. Ich zum Beispiel lerne jetzt Hebräisch, und das findet meine Familie sehr verwunderlich. Aber stell dir doch nur mal vor, du wärst krank oder du kämst ins Gefängnis. Dann ließe dein Vater die besten Ärzte kommen, die besten Anwälte. Er würde all seinen Einfluss geltend machen. Und wir wissen das. Wir haben diesen Rückhalt. Wir haben jeder einen Vater, der etwas bewirken kann. Wir können nicht so tun, als wären wir allein. Wir können nicht wissen, was man dann taugen würde, man selbst, ganz allein.«
Und natürlich ist es etwas unglücklich, dass das Schloss Mond- schütz heißt. Noch dazu ist es ein Wasserschloss. Ein Roman mit einem Wasserschloss Mondschütz darin wäre ein schlechter Roman. Jeder Leser wüsste ja gleich, was die Heldin hier erwartet: Wer die Liebe vermeiden will, darf sich nicht an einen solchen Ort begeben. Aber Marion Winters Leben ist schließlich kein Roman. Und außerdem war dieses Wochenende nur ein Zwischenspiel. Es war nur ein Ausflug zu entfernten Verwandten: Das sagt sich Marion. Sie fährt ja schon wieder zurück.
Sie fährt schon wieder heim, zum Vater nach Berlin. Es ist der 23. April 1928. Marion hat das Abitur am Grunewald- Gymnasium bestanden. Sie studiert Jura. Sie hat Freunde, sie besucht Tanzveranstaltungen. Sie geht ins Theater. Marion bekommt Freikarten für alle Stücke: Ihr Vater ist Generalverwaltungsdirektor der Staatlichen Bühnen Berlins. Marion sitzt im Zug. Draußen ziehen schlesische Felder vorbei, schlesische Wiesen. Marion ist es, als erwachte sie aus einer Betäubung und käme allmählich wieder zu sich, hier in diesem Zugabteil, das sie mit einem etwas missgestimmten Verehrer teilt. Es ist kein Wunder, wenn er schlecht gelaunt ist. Marion hat sich das ganze Wochenende nicht um ihn gekümmert.
Sie hat sich um niemanden gekümmert. Sie könnte nicht einmal genau sagen, wer die anderen Gäste waren. Alles hat damit begonnen, dass der Platz neben ihr an der abendlichen Tafel unbesetzt blieb. Ihr Tischherr verspätete sich offenbar. Man beschloss zu warten: Draußen regnete und stürmte es, und der Gast kam mit dem Motorrad.
Er kam die ganze weite Strecke von Klein Oels herüber: einem der großen Güter Schlesiens, wie jemand Marion zuraunte, als müsste sie davon beeindruckt sein. Marion plauderte mit ihrem Nachbarn zur Rechten. Dann plauderte sie mit ihrem Gegenüber, einem der zahlreichen Vettern von Köckritz. Schließlich erschien der Verspätete. Man stellte ihn vor: Peter Graf Yorck von Wartenburg. Er war groß, mager, beinahe schlaksig. Er wirkte ein wenig hochmütig. Aber das ist er gar nicht.
Marion weiß noch nicht genau, wie oder wer Peter Yorck wirklich ist. Sie weiß nur, dass er sie das ganze Wochenende lang mit Beschlag belegt hat. Er hat ihre gesamte Zeit beansprucht, er hat sie von allen anderen ferngehalten. Sie haben den ganzen Abend miteinander getanzt. Sie sind den ganzen folgenden Tag miteinander spazieren gegangen, immer am Wassergraben von Schloss Mondschütz entlang, immer rund um das Schloss herum, versunken in einem ununterbrochenen Gespräch, bis nichts mehr zu existieren schien als dieser eine Mann, das tiefe Gespräch mit diesem Mann, manchmal zuckt es um seinen Mund. Es hat sie gerührt, dieses unwillkürliche Zucken. Es hat sie herausgefordert, ihm die Hand an die Wange zu legen, um das Zucken zu beruhigen. Natürlich hat sie nichts dergleichen getan. Was wäre denn in sie gefahren? Was ist in sie gefahren?
Marion sieht aus dem Zugfenster. Sie fühlt sich zufrieden und zugleich matt, wie nach einem Tennismatch oder einer langen Wanderung. Wie nach einer glücklich überstandenen Reise. Ist sie wirklich nur zwei Tage fortgewesen? Draußen ziehen noch immer Felder vorüber, Wiesen, Häuser, Bäume, Dörfer. Alles ist von solider, verlässlicher Realität, auch der in seiner Eitelkeit gekränkte junge Mann ihr gegenüber, der schlecht gelaunt aus dem Fenster sieht. Und bald wird Marion wieder daheim sein.
Sie wird bei ihrem Vater sein. Sie wird bei der Mutter sein, den Geschwistern. Sie wird durch die Diele in ihr Zimmer gehen, wo die vertrauten Gegenstände auf sie warten, als wäre sie gar nicht weggewesen. Und dann wird sie die Verabredung mit Peter Yorck absagen.
Sofort nach ihrer Heimkehr wird sie sich hinsetzen und ihm einen Brief schreiben, in dem sie bedauert, ihn Samstag nicht am Bahnhof Halensee treffen zu können. Das Leben ist einfach zu schön für solch enge Verwicklung. Marion Winter hat zu viel vor. Sie kann sich nicht okkupieren lassen, sie er- trägt solche Vereinnahmung nicht.
Sie haben Cottbus hinter sich gelassen. Dies sind schon die Felder der Mark Brandenburg. Marions vertrautes Leben tut sich vor ihr auf, in das sie eintreten kann wie in einen hell erleuchteten Raum: Am Dienstag gibt es eine Tanzerei bei den Stresemanns. Marion wird das Kleid aus Seidentaft tragen, das ihre Mutter ihr aus einem ihrer eigenen Kleider hat schneidern lassen. Sie wird tanzen, mit wem sie will. Sie wird mit allen Anwesenden plaudern. Und für Freitag hat sie Theaterkarten. Sie wird Klaus Curtius mitnehmen, den Sohn des Reichswirtschaftsministers Curtius. Klaus ist ein Kommilitone von Marion. Er ist völlig unkompliziert. Er erwartet nichts. Er verlangt nicht das Geringste von Marion.
Und hat Marion den Brief an Peter Yorck geschrieben? Hat sie ihn abgeschickt? Hat Peter ihn vielleicht nie erhalten? Oder hat er sich die Freiheit genommen, ihn zu ignorieren? Er ist jedenfalls nicht zum Bahnhof Halensee gefahren, wo keine Marion gewesen wäre, sondern er hat sie ein paar Stunden vor dem verabredeten Zeitpunkt angerufen.
»Fräulein Winter? Ich bin schon früher in Berlin angekommen und wollte fragen, ob ich Sie nicht lieber gleich abholen soll.« Marion steht in der Diele. Sie hält den Hörer in der Hand. Sie zögert. Sie probiert mögliche Antworten aus, Haben Sie meinen Brief nicht bekommen Warum respektieren Sie meinen Wunsch nicht
Ich habe Ihnen doch geschrieben, dass ich verhindert bin
Dass ich Sie nicht sehen kann
Dass ich Sie nicht mehr sehen kann
Dass ich Sie niemals wiedersehen will
»Das wäre natürlich sehr schön«, sagt Marion Winter.
Eine halbe Stunde später steht Peter Yorck vor Marions Tür. Und warum auch nicht? Was kann diese eine Begegnung schon verändern? Warum sollte Marion Winter ihren Verehrer nicht hin und wieder treffen, ihn regelmäßig treffen, allabendlich mit ihm telefonieren? Und wenn die Dinge schon so stehen, warum sollte sie dann nicht einmal mit nach Klein Oels fahren? Peter hat sie so nett eingeladen. »Ich organisiere eine Jagd, Fräulein Winter. Ich selbst werde zwar nicht mit jagen, aber wir wahren die Tradition meines verstorbenen Vaters. Und im September ist es sehr schön in Schlesien.«
Am 5. Juni setzt mit der Schlacht um Frankreich die zweite Phase des Blitzkriegs ein. Die Yorcks, die Schulenburgs und Helmuth Moltke sitzen in der Hortensienstraße. Der Abend ist warm. Die Fenster zur Terrasse sind geöffnet. Es wird das Huhn geben, das Marion aus Kauern mitgebracht hat, und danach Pflaumenkompott. Im Moment reden sie nicht über die Ausweitung des Krieges, sondern über Fritzis Zukunft. Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg ist von seinem Amt als schlesischer Regierungspräsident zurückgetreten.
»Es ist ein schwerer Schlag für Schlesien, dass wir dich verlieren, Fritzi«, sagt Peter Yorck.
»Es ist in der Tat ein großer Verlust«, sagt Helmuth Moltke. »Aber nach Abberufung Ihres Vorgesetzten Wagner wäre Ihre Stellung in Breslau natürlich unhaltbar geworden. Haben Sie die Antrittsrede Brachts verfolgt? Er hat gesagt, die Zeit der sachlichen Entscheidungen sei nun vorbei, jetzt werde nationalsozialistisch regiert.«
»Ja«, sagt Fritzi. »Wagner und ich haben die letzten Monate immer darum gekämpft, die neuen schlesischen Zoll- und Verwaltungsgrenzen wieder zurückzuverlegen. Was soll Schlesien mit den neuen galizischen und kongresspolnischen Gebieten? Was soll man mit einer fast rein polnischen Bevölkerung, die alles Deutsche hasst? Und dieser Hass ist wahrlich nicht erstaunlich angesichts unserer Gewalttaten. Eben diese Gewalttaten der SS und des SD in Polen hat Wagner kritisiert, und darüber ist er gestürzt. Er ist Katholik. Man unterstellt ihm, er nähme die Polen in Schutz, weil sie seine Glaubensbrüder sind.«
»Und wenn es so wäre, wäre es höchst achtenswert«, sagt Peter Yorck. »Obgleich es heutzutage in Anbetracht des Umgangs mit den Juden weniger denn je die konfessionelle Gebundenheit unserer Mitmenschen sein darf, die bestimmt, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten.«
»Die Anwendung von Gewalt ist in jedem Fall zu verwerfen «, sagt Fritzi. »Das war von Anfang an mein Standpunkt. Mit Zwang erreicht man im Osten gar nichts. Ohne zu überzeugen, kann niemand herrschen. Man muss die deutschpolnischen Zwischenschichten gewinnen, dann wird die Germanisierung auch bei den polnischen Polen erfolgreich sein. Die Polen haben nun einmal kein Verhältnis zu Städtebau, zu Ordnung, zu Landschaftsgestaltung. Also müssen sie davon überzeugt werden, dass es ihnen unter deutscher Oberhoheit viel besser ginge. Aber Bracht wird auf Terror setzen. Bracht und Woyrsch. SS-Obergruppenführer Udo von Woyrsch, Sonderbefehlshaber der Polizei, Kommandeur der Einsatzgruppe zur besonderen Verwendung. Ein Mörder. Er hat den Röhm- Putsch genutzt, um alle seine persönlichen Gegner umbringen zu lassen. 1935 war er deswegen sogar eine Weile seiner Ämter in Schlesien enthoben.«
»Und wie ist er dann wieder in sie zurückgekehrt?«, sagt Peter.
Fritzis Augen blitzen. »Ich sage es doch. Seine Gegner waren tot. Und Himmler setzt auf ihn. So ist es Woyrsch und Bracht ja gelungen, Wagner zu Fall zu bringen.«
»Dann wird Wagner wohl auch nicht mehr lange Reichskommissar für die Preisbildung sein«, sagt Peter. »Er ist bislang ja auch mein Vorgesetzter. Aber wenn Himmler ihn ablehnt, sind seine Tage sicher gezählt.«
»Deswegen fühle ich mich so befreit«, sagt Fritzi. »Alles das liegt jetzt hinter mir. Ich habe meine Pflicht bis zur Neige getan, ich habe mich mit allen Kräften der Verfaulung des Staatsapparats und der Beamtenschaft entgegengestemmt. Jetzt reicht es. Jetzt werfe ich den politischen Ballast ab.«
Fritzi hat sich freiwillig an die Front gemeldet. In drei Tagen tritt der Leutnant der Reserve Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg seinen Dienst beim Infanterie-Regiment Nr. 9 in Potsdam an: im Graf 9, wie es seiner vielen adeligen Offiziere wegen genannt wird, dem Nachfolgeregiment des Königlich Preußischen 1. Garderegiments zu Fuß, des vornehmsten Regiments der civilisierten Christenheit, in dessen Regimentshaus die deutschen Kaiser ihre Geburtstage zu begehen pflegten.
»Ich freue mich sehr«, sagt Fritzi. »Und ich bin eigentlich recht optimistisch. Ich glaube an die Möglichkeiten der Zukunft. Ich bin nach wie vor vom Nationalsozialismus überzeugt, er muss aber zu sich selbst zurückfinden. Jetzt gewinnen wir erst einmal den Krieg. Das ist der erste Schritt. Und dann wenden wir uns der Neuordnung im Reich und in den besetzten Gebieten zu. Wir werden die Bonzen entfernen, denen es um nichts geht als um ihre Macht und Bereicherung, wir werden die SS-Leute und Himmlers Organisationen strikt von der Verwaltung und den Aufgaben des Staatsapparats trennen. Ich wette mit Ihnen, lieber Moltke, dass wir in zehn Jahren einen Staat haben werden, den wir beide voll billigen können.«
»Die Frage ist allerdings, wie ein solcher Staat aussehen müsste«, sagt Peter Yorck. »Welche Kriterien müsste ein Staat erfüllen, den wir alle voll billigen könnten?« »Grundvoraussetzung wäre die Wiederaufrichtung des zertretenen Rechts«, sagt Helmuth Moltke.
»Ich stimme zu«, sagt Fritzi Schulenburg. »Es geht um die Wiederaufrichtung preußischer Tugend.«
»Dann hätte Fritzi die Wette also gewonnen, wenn in zehn Jahren im Deutschland der Nationalsozialisten ein gerechter Staat entstanden wäre«, sagt Peter. »Natürlich immer in den Grenzen, die die menschliche Unzulänglichkeit setzt. Aber was verstehen wir unter Gerechtigkeit?«
Fritzis Monokel funkelt. »Wenn ich mich recht an die Lehren des vorzüglichen Dr. Georg Rosenthal am Katharineum zu Lübeck erinnere, so herrscht nach Plato Gerechtigkeit, wenn jeder das tut, was seine Aufgabe ist. Eine klare Trennung der Ämter und Zuständigkeiten, mit anderen Worten. Das ist es ja, was ich immer wieder wiederhole.«
»Das genügt mir nicht«, sagt Helmuth Moltke. »Die Befugnisse der Ämter und die Tätigkeit der für sie Zuständigen müssten sich schließlich anhand eines Regelwerks beurteilen lassen. Wann wäre ein solches Regelwerk gerecht? Im Allgemeinen gilt ja als gerecht, was nach äußeren Gesetzen Recht ist. Aber wie wir soeben erleben, muss zwischen formalem und tatsächlichem Recht unterschieden werden. Die Frage wäre also, an welchem höheren Gesetz sich das menschliche Recht messen lassen muss. Gehen wir davon aus, dass Gesetze zeitabhängig, der Mode wechselnder menschlicher Überlegun- gen und Handlungen unterworfen sind? Oder gibt es unveräußerliche Werte, die ewige Bedeutung besitzen, unabhängig von Zeit, Raum und tatsächlich geltendem Recht, wie die Naturrechtler argumentieren?«
»Mir scheint, das Christentum hätte diese unveräußerlichen Werte aufgestellt«, sagt Peter Yorck. »Dem Wortlaut des Dekalogs folgend scheint mir Gerechtigkeit klar mit einem Sollen verbunden. Dieses Sollen ist nicht anders zu denken als im Bezug auf andere. Es geht um das Verhältnis der Menschen zueinander.« »Und da ist Gerechtigkeit ein Gebot der Vernunft«, sagt Helmuth Moltke. »Die praktische Vernunft verlangt, dass wir anständig miteinander umgehen, weil es das Einzige ist, was auf lange Sicht gesehen funktioniert. Aber wir haben auch vor uns selbst eine Verpflichtung. Wir müssen an dem festhalten, was wir einmal als gerecht erkannt haben.«
»Das würde heißen, dass man die unabweisbare Pflicht hätte, ungerechte Zustände zu verändern«, sagt Peter Yorck. »Und man hätte diese Pflicht nicht in erster Linie den Opfern von Ungerechtigkeit gegenüber. Man hätte sie vielmehr vor allem vor sich selbst.«
Bremsen kreischen. Der Zug hält auf offener Strecke. Das Dröhnen der Flieger erfüllt die Luft. Es sind Dutzende, Hunderte vielleicht. Amerikaner. Sie fliegen nach Norden, vollkommen ungehindert. Ihre Flügel blitzen in der Mittagssonne. Die Zugpassagiere sehen aus den Fenstern, beschatten die Augen mit den Händen, die Bomber fliegen offenbar Bitterfeld an, die chemische und elektrochemische Industrie von Bitterfeld. Die Fahrgäste bleiben, wo sie sind. Keiner schimpft, keiner weint, keiner reißt die Türen auf. Auch Marion Yorck bleibt sitzen. Sie würde aber am liebsten laut schreien. Sie muss nach Berlin, sie hat keine Zeit für Bombenangriffe. Ein junger Soldat hat sich erhoben. Er steht auf, er öffnet die Waggontür und springt ins Freie. Nun kommt Bewegung in die Sitzenden. Alles drängt hinaus auf die Wiese. Es ist sehr heiß. Der Lärm des Bombardements klingt deutlich herüber. Bitterfeld brennt.
»Die kriegen es ab.« »Wie lange wir hier wohl feststecken werden.« »Wir sollten einsteigen. Vielleicht geht es gleich weiter.« Bitterfeld brennt. Marion steht auf dem Bahnhof in Halle, im Gedränge und Geschiebe der festsitzenden Fahrgäste. Warum verbreitet der Rundfunk nicht, dass Hitler tot ist? Warum ertönen nicht Schreckens- und Jubelschreie, warum erhebt sich das deutsche Volk nicht und stürmt die Gauämter und Polizeistationen, die SS-Lokale und die Gefängnisse, die Gestapo- Büros und die Parteidienststellen? Warum kommt Marion nicht von der Stelle?
Die Bahnstrecke ist zerstört, heißt es. Aber doch sicher nicht alle Gleise bis Berlin? Man wird doch irgendwie um das Gebiet der Zerstörung herumgelangen und dann weiterfahren können? Man wird wohl nicht warten müssen, bis der Krieg verloren ist, damit jemand die verdammten Gleise repariert. Marion wird nicht für immer hier festsitzen, in dieser hin- und herwogenden Menge: Beamte mit Koffern, Soldaten mit Gepäck, Frauen mit Taschen und Säcken und brüllenden Kindern, alle schiebend und geschoben, im Dampf von Schweiß und Enge, von Angst und verbissenem Zorn, schimpfend und johlend, kreischend, krakeelend, zwitschernd, brabbelnd und krähend, dies ist nicht Deutschland. Dies ist nicht Marions Heimatland. Dies ist ein fremder Planet, und Marion irrt unter Außerirdischen herum. Sie steckt fest, allein unter Larven, schnatternden Gespenstern und seelenlosen Hüllen. Wo um Himmels willen ist sie? Wo ist ihr Mann? Wo ist Peter Graf Yorck von Wartenburg?
Marion hat es nach Berlin geschafft. Sie ist am Anhalter Bahnhof angekommen. Die Hauptstadt scheint ruhig zu sein. Vom Zugfenster aus waren nirgendwo auf den Straßen Kämpfe zu sehen, nirgendwo jubelten und tosten die Massen. Marion geht inmitten der Menge, die den Bahnhofsausgängen zustrebt, den Ruinen, den Kellern. Und dort ist Mariechen, wie ein kleines Licht. Marion ruft laut. Sie hebt die Hand, sie winkt. Sie ist gesehen worden: Mariechen eilt auf Marion zu.
»Mariechen. Ach Mariechen. Wie haben Sie denn herausgefunden, wo und wann ich ankommen werde?« »Ich habe gefragt. Ich habe hier gewartet. Geben Sie mir doch Ihre Tasche.« »Nein, Mariechen, lassen Sie nur.« Sie gehen den Bahnsteig entlang. »Frau Gräfin. Der Graf lässt Ihnen sagen, Sie sollen nicht nach Hause gehen.« Marion bleibt stehen.
»Er hat sich gemeldet?« »Er war frühmorgens ganz kurz zu Hause. Er hat nur das Hemd gewechselt. Er hat gesagt, Sie sollen das Haus gar nicht betreten, sondern gleich weiter nach Schlesien fahren.«
Sie sehen einander an.
»Es hat einen Anschlag auf Hitler gegeben«, sagt Mariechen. »Hitler ist aber nicht umgekommen.«
»Hitler ist nicht umgekommen.«
»Nein. Ich denke, Sie sollten besser nach Schlesien fahren, Frau Gräfin. Wir müssen zum Schlesischen Bahnhof gehen. Wir müssen zu Fuß gehen. Die Engländer waren letzte Nacht in Kreuzberg.«
Vor dem Bahnhof das übliche Gewühl, das sich aber verläuft. Sie gehen an der Prinz-Albrecht-Straße vorüber, dem Hausgefängnis der Gestapo, Sitz des Reichssicherheitshauptamtes und des Reichsführers-SS Heinrich Himmler. Alles ist ruhig. Sie gehen eng nebeneinander: zwei Frauen in hellen Sommerkleidern an einem heißen Berliner Juliabend. Auch in der Wilhelmstraße ist alles wie immer. Keine Soldaten schirmen das Regierungsviertel ab, keine Menschenmenge flutet die Straße hinauf, der Reichskanzlei entgegen.
»Haben Sie Hunger, Frau Gräfin? Ich habe Ihnen ein Brot gemacht, mit echter Butter und Schnittlauch.« »Das ist lieb, Mariechen. Vielleicht später.«
Sie gehen die Kochstraße, dann die Oranienstraße entlang. Zum Teil rauchen die Ruinen noch. Auf einer verkohlten Mauer steht etwas. Alle lebend herausgekommen In der Ferne eine Kolonne von Russen, die in den Trümmern gräbt.
»Hier kommen wir nicht weiter. Ich denke, wir gehen durch die Alte Jakobstraße.« »Es ist also schiefgegangen.« »Ja, Frau Gräfin.«
»Und seit dem Morgen hat der Graf sich nicht mehr gemeldet. « »Nein. Aber er wollte heute Morgen schon, dass Sie gleich weiter nach Schlesien fahren.«
Originalausgabe 2012 © 2012 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
»Freyas Wägelchen! Freyas Wägelchen!«
Das Wägelchen ist am 30. März 1911 ins Kinderzimmer gerollt. Hans und Carl Deichmann lagen noch in ihren Gitterbetten. Sie setzten sich auf, verschlafen und erstaunt: So früh kam der Vater sonst niemals ins Kinderzimmer.
»Ihr habt eine Schwester bekommen. Ein kleines Schwesterchen. Es heißt Freya.« Ach? Und wo kam dieses Schwesterchen nun auf einmal her? »Aber das haben wir euch doch gesagt. Mutter und Vater haben es beim Storch für euch bestellt. Nun ist Freya da. Und stellt euch vor, sie hat euch etwas mitgebracht.« Dann kam das Wägelchen. Es ist ein ganz wunderschönes bemaltes Wägelchen, mit einem großen Kasten und vier roten Rädern. »Freyas Wägelchen! Los, wir fahren alle mit Freyas Wägelchen. « Durch die untere Diele des weitläufigen Kölner Bürgerhauses, über den Hof. »Los, alle rein! Nehmt auch Freya mit.Willst du mit, Freya? Los, wir ziehen euch.« Hinaus aus dem Deichmann-Haus, hinaus auf die Straße. Über das Kopfsteinpflaster. »Nach vorn,zum Fluss zu.Da,wo es den Hügel runtergeht.«
Es ist Sonntag, ein Julisonntag 1915. Das Wägelchen ist voll beladen. Wo ist das Personal? Wo ist die Aufsicht? Wo sind die Kindermädchen, die Erzieherinnen? Ist denn keiner da, der Schlimmes verhindert? Freya ist vier. Wieso hat sie mit den Großen mitkommen dürfen? Sie ist aber dabei, mitten unter den anderen. Sie sitzt eingekeilt zwischen Freunden der Brüder, zwischen Vettern und Basen. »Haltet euch fest! Haltet Freya fest!« Schrille frohe Schreie. Hinab, hinab, in wilder und berauschender Fahrt, erst den Hang hinunter, dann unten scharf um die Kurve, Freya sitzt ruhig. Sie hat keine Angst. Ein Arm hält sie von hinten umfasst. Sie weiß nicht, wessen Arm es ist, aber sie fühlt sich ganz sicher. Das Wägelchen holpert und wackelt, springt über einen Stein. »Noch mal, noch mal!« »Freyas Wägelchen!«
Hinauf, hinauf, hinab, hinab. Das Wägelchen kippt. Das Rad zerbirst. Es ist ein verrückter, ewiger Moment: der Moment vor dem Aufprall, wenn noch nichts passiert ist. Der Moment vor dem Schmerz. Freya hat immer noch keine Angst. Etwas geht ihr durch den Kopf. Ein Gefühl, ein Gedanke, der Anruf einer leisen Stimme. Ein gemächlicher Satz, Dir passiert nichts.
Holz splittert und kracht. Sie stürzen übereinander, Beine schrammen, Haut schürft, es gibt Prellungen, aufgeschlagene Knie und Ellenbogen. »Wo ist Freya?«
Sie sitzt auf der Straße. Sie hat nur einen kleinen Kratzer an der Stirn. »Freyas Wägelchen!«
Das ist allerdings kaputt. Es ist zerborsten, nichts als ein Haufen buntbemaltes Brennholz. Hans und Carl kämpfen mit den Tränen. Freyas Wägelchen ist nicht mehr zu retten. »Nicht weinen«, sagt Freya leise zu ihren Brüdern. »Nicht weinen.«
Der Schnee fällt immer dichter. Helmuth James von Moltke ist auf dem Heimweg nach Kreisau, mit Pferd und Wagen: Im Krieg ist der Zugverkehr zwischen Kreisau und Schweidnitz eingestellt und in diesem ersten Winter nach Kriegsende noch nicht wieder aufgenommen worden. Jeden Tag fährt Helmuth mit dem Wägelchen nach Schweidnitz in die Schule und wieder zurück. Jeden Morgen spannt er den Apfelschimmel vor den kleinen Wagen, der Spinne genannt wird, und dann geht es los, über die Landstraße. Freilich könnte Helmuth auch bei den Trothas wohnen.
Tante Ete hat bis vor kurzem mit ihren Kindern auf Kreisau gelebt. Margarethe von Trotha: Sie ist die Schwester von Helmuths Vater. Helmuth und seine Brüder sind mit den Trotha- Kindern großgeworden. Am nächsten steht Helmuth sein Vetter Carl Dietrich. Tante Ete ist Carl Didis wegen nach Schweidnitz gezogen, damit er es nicht so weit bis zur Schule hat. Sie würde auch Helmuth aufnehmen. Aber Kreisau verlassen, Mami verlassen? Niemals. Und es sind ja nur sieben Kilometer nach Schweidnitz.
Sieben Kilometer hin, sieben Kilometer zurück. Im Sommer ist die Fahrt sogar schön. Die Morgenfrische, der Dunst der Wiesen. Der Himmel ganz rein, bevor der Tag heiß wird. Das leise Sirren der Räder, die Linden am Straßenrand, und das Land links und rechts der Allee liegt offen wie ein aufgeschlagenes Buch. Aber jetzt ist alles verdeckt und verschwunden, und Helmuth steckt zum fünften Mal fest.
Heute Morgen lag der Schnee nur wie ein dünnes Laken über dem Land. Aber es hat den ganzen Tag weitergeschneit. Helmuth weiß nicht genau, wo er ist. Jedenfalls ist er noch immer auf der Straße, deren Lauf die Alleebäume deutlich markieren. Es ist noch nicht spät, vielleicht halb vier. Aber es dunkelt schon. Es ist eine Art weißer Dunkelheit, die der stiebende Schnee erzeugt. Helmuth ist kalt.
Ihm ist elend. Dies ist mühsam. Er hat die Spinne freigeschaufelt, und ein paar Meter weiter steckt sie wieder fest. Er wird jetzt natürlich nicht zu heulen anfangen. Er ist elf, und im März wird er zwölf. Er heult nicht. Er wünschte nur, Mami wäre hier. Der Wunsch ist überwältigend. Helmuth darf ihn gar nicht richtig festhalten und in Worte fassen, er darf ihn allenfalls leicht streifen, wie man etwas mit einem Finger berührt, während man gleichzeitig in eine andere Richtung schaut, sonst überschwemmt ihn der Wunsch mit weinerlichem Überdruß. Ohnehin wäre es sinnvoller, sich den Kutscher Hermann herzuwünschen. Hermann würde nicht nur für den kleinen Moltke schaufeln, er würde ihn notfalls auf den Schultern nach Hause tragen. Es geht aber gar nicht darum. Es geht nicht ums Schaufeln. Helmuth würde klaglos schippen und schaufeln, wenn bloß Mami hinten in der Spinne säße. Wenn Mami neben der Spinne herginge, in ihre duftenden Pelze gehüllt: Dann hätte ihr Sohn allen Mut der Welt. Er würde sich befähigt zeigen, mutig, zuversichtlich. Mami würde die Hände zusammenschlagen, vor Stolz auf seine unverdrossene Zuversicht.
Er steckt wieder fest. Er muss wieder schaufeln. Jetzt kommen doch Tränen. Ist das das Leben? Gehen, kämpfen, feststecken, schippen, wieder ein paar Schritte, wieder feststecken? Er hat keine Lust!
Wenn es so ist, hat er keine Lust. Danke bestens, aber Helmuth James von Moltke verzichtet. Ist er etwa verpflichtet? Kann man ihn zwingen? Hat er darum gebeten, auf die Welt zu kommen? Das hat er nicht. Er könnte jetzt aufgeben, wenn er wollte. Er könnte sich in den Schnee werfen und liegenbleiben. Er weiß, was dann passieren würde. Erst friert man entsetzlich. Aber dann wird einem warm, ganz wundervoll warm. Alles ist gut. Und dann stirbt man. Müdigkeit lullt einen ein, Schläfrigkeit wiegt einen in den Tod. Und am nächsten Morgen wird man gefunden, froststeif und halb zugeweht wie ein toter Hase.
Mami Er heult. Er schippt. Er kann die Kinderstimme, die Kleinkindstimme in seiner Kehle spüren, ohne dass er ruft: Mami, Mami, warum bist du nicht da! Er muss aber mindestens das Pferdchen freischippen. Was kann denn das arme Pferdchen für alles? Er muss den Wagen heil heimbringen. Sie brauchen den Wagen auf Kreisau, das weiß er. Alles wird gebraucht, jetzt nach dem Krieg, alles ist knapp. Nichts ist ersetzbar. Und natürlich erwartet Mami von ihm, dass er Pferdchen und Wagen zurückbringt.
Sie erwartet, dass er zurückkommt. Sie wünscht ihn sich zurück. Sie setzt auf ihren Sohn, sie vertraut ihm ganz. Sie hat ihn lieb, sie begleitet ihn mit ihren Gedanken, in gewissem Sinne ist sie also hier.
In gewissem Sinn ist sie tatsächlich hinten in der Spinne. Helmuth James von Moltke schippt. Er beißt die Zähne zusammen. Er steigt nicht wieder in den Wagen. Er zieht das Pferdchen am Zügel weiter, Schritt für Schritt. Mami ist das Zentrum von allem. Ohne sie würde die Welt zerschellen und in Scherben auseinanderfliegen wie eine Tasse auf Steinboden. Helmuth schippt. Er zieht das Pferdchen weiter. Er muss jetzt nur den Gedanken festhalten, dass er das Richtige tut. Er muss sein Bestes geben. Das ist alles. Wenn er sein Bestes gibt, dann wird er auch heil heimfinden. Sein Fäustling ist eingerissen, und Schnee dringt hinein. Schnee fällt ihm in den Kragen. Er zieht das Pferdchen weiter.
Er steckt fest. Er schippt. Er weint jetzt nicht mehr. Er geht, und er schippt, er ist jedenfalls auf dem richtigen Weg.
Er kommt voran: Vor ihm sind die Linden. Die Junilinden von Kreisau. Fast ist es ihm, als würde der Schneefall schwächer. Freilich hängt der Himmel voller Wolken. Aber das kann ihm egal sein. Es geht ihn nichts an. Es obliegt einer anderen Macht, darüber zu befinden, ob es schneit oder friert oder taut. Helmuth James von Moltke muss nur das Pferdchen ausgraben. Er muss dafür sorgen, dass die Spinne fährt. Er friert erbärmlich, und er ist sehr müde. Aber er kann jetzt tapfer sein. Er weiß ja, was er zu tun hat. Er muss Pferd und Wägelchen nach Hause bringen.
Helmuth geht durch Breslau. Das Schneetreiben hat zum Glück aufgehört. Freilich fällt einem nun der Neuschnee in die Schuhe. Helmuth James von Moltke hat nasse Füße, aber das ist die geringste seiner Sorgen. Er geht über den Breslauer Marktplatz. Er ist auf dem Weg zum Zahnarzt. Er hat Zahnweh, schon seit gestern Abend, auch wenn er Mami nichts davon gesagt hat. Und gibt es etwas Unglücklicheres, Überflüssigeres als das Leben? Man ist auf dem Weg zum Zahnarzt, auf dem Weg zum Bäcker. Man ist auf dem Weg zur Post, auf dem Weg in die Universität, man fährt von Potsdam nach Breslau, von Breslau nach Wien, man sitzt oder steht irgendwo mit irgendwem herum und redet über irgendetwas, was soll das Ganze? Was erwartet man vom Leben? Was um Himmelswillen soll man damit anfangen? Und eben damit quält ihn der Vater.
»Bitte, Helmuth, werde dir darüber klar, was du vom Leben willst. Werde dir darüber klar, wovon du leben willst. Natürlich erbst du einmal Kreisau, aber Kreisau stellt keine ausreichende Lebensgrundlage für mehrere Familien dar, bedenke das bitte.«
Mehrere Familien? Helmuth seinerseits gedenkt keinesfalls zu heiraten. Sich an eine Frau binden, die Verantwortung dafür tragen, dass man Kinder in die Welt gesetzt hat? Es kommt nicht in Frage. Und er allein wird sich schon durchschlagen. Er hat sein Studium so gut wie abgeschlossen, er hat seine Examensarbeit abgegeben. Er ist befreundet mit Edgar Mowrer von der ›Chicago Daily News‹ und mit Dorothy Thompson, der Korrespondentin des ›Philadelphia Public Ledger‹ und der ›New York Evening Post.‹ Sie befragen ihn immer wieder nach seiner Meinung zur Lage in Ostdeutschland, zur Lage in Polen. Helmuth könnte jederzeit als Journalist durchkommen, da ist er sicher. Außerdem wird er im nächsten März das Referendarexamen ablegen, im März 1929, gerade zur Zeit des zweiten Löwenberger Arbeitslagers. Er nimmt aber nicht an dem Lager teil. Helmuth hat sich aus der Arbeitsgemeinschaft zurückgezogen. Reichspräsident von Hindenburg und Innenminister Carl Severing sind inzwischen nach Waldenburg gereist, das alles läuft nun also auch ohne ihn. Helmuths Teilnahme ist nicht mehr zwingend nötig. Die Frage ist nur, wo sie nötig ist. Die Frage ist nur, wofür man tut, was man tut. Es ist doch vollkommen nutzlos, morgens aufzustehen und sich dann bis zum Abend abzustrampeln, nur zu dem einen Ziel, sich selbst am Leben zu erhalten. Es ist nicht der Mühe wert. Wozu das Gerenne, wozu der Energieaufwand, wenn es nur darum geht, für sich selbst möglichst viel Ehren oder Reichtümer zusammenzuraffen? Persönlicher, egoistischer Ehrgeiz muss doch auf jede Tätigkeit sinnentleerend wirken. Ein solches Leben kommt einfach nicht in Frage. Sinn verleihen könnte dem Leben ausschließlich eine Anstrengung, von deren Früchten man nicht selbst satt zu werden gedenkt. Aber welchen Beitrag könnte Helmuth James Graf von Moltke leisten, um die Welt zu verbessern? Und was, wenn die Welt gar nicht wünscht, von ihm verbessert zu werden?
Denn das kann geschehen. Man kann sich ja leicht sagen, tu dies oder das, es ist das Gute und Richtige, und du selbst hast nichts als Mühe und Plage davon. Aber was, wenn man am Ende erkennt, dass alles umsonst war? Man hat nichts erreicht. Man ist für nichts und wieder nichts so und so viele Jahre auf dieser Erde herumgelaufen, man hätte es ebensogut bleiben lassen können, es war ganz überflüssig, dass man geboren worden ist. Ist es bei solchen Aussichten nicht besser, gleich zu resignieren? Sollte man nicht einfach in einer Ecke sitzenbleiben und sein Leben lang lesen?
Helmuth hätte nichts dagegen. Er ist einundzwanzig Jahre alt. Er muss sich umsehen. Er muss herausfinden, wo er eine Rolle spielen könnte. Er plant, Polnisch zu lernen. Er wird reisen: Für den kommenden Sommer hat er eine Einladung der polnischen Regierung. Er ist auch den ganzen letzten Sommer unterwegs gewesen, in Polen, in Oberschlesien, in Heidelberg, wo er eine gemeinsame Tagung von Jaspers, Buber, Rosenstock- Huessy und den Löwenbergern angeregt hat. Er hat den kroatischen Bauernführer Stjepan Radic kennengelernt. Er hat Kultusminister Carl Heinrich Becker getroffen. Er muss noch mehr reisen. Er muss mehr lernen: Politische Probleme lassen sich nicht fein säuberlich in rechtliche, historische und wirtschaftliche Teile trennen, man muss nach einer Ausweitung und Vertiefung in jeder Richtung streben. Er findet es anstrengend zu leben. Helmuth James Graf von Moltke würde es begrüßen, wenn das Leben von Helmuth James Graf von Moltke nichts forderte.
Er fände es verlockend, wenn einer zu ihm sagte: Hör zu. Du erhältst ab sofort bis zum Ende deiner Tage diese kleine monatliche Summe, die zuverlässig deine Subsistenz sichert. Dafür musst du nichts weiter tun, als dich zu verpflichten, dein Leben in einer weit östlich liegenden Provinz zu verbringen und dort nicht weiter aufzufallen: Und alle diese Gedanken haben nichts mit Daisy zu tun.
Helmuths Seelenzustand, seine düstere Weltsicht haben überhaupt nichts mit Daisy D'Ora zu tun, das muss Helmuth sich immer wieder sagen. Helmuth steigt die Treppen zur Zahnarztklinik von Herrn Dr. Wilhelm Cohn hinauf. Der Backenzahn links oben pocht. Er pocht seit gestern Abend. Daisy hat seinen Brief von letzter Woche nicht beantwortet. Die Chancen stehen gut, dass sie ihn überhaupt nicht beantwortet. Das Leben ist eng, albern und widerwärtig. Helmuth denkt, dass er für einen freien Ausblick, für einen Moment in freier reiner Luft zwanzig Jahre seines Lebens hingeben würde. Sein ganzes Leben.
Es gibt Momente, die Einschnitte sind, in den Lauf der Zeit, Schluchten, über die keine Brücken führen: Man kann nicht wieder zurückgehen auf die andere Seite und eine andere Abzweigung wählen. Man kann keinen Kreis laufen und so wieder zum Anfang zurückfinden. Freya ist vom Grundlsee zurück. Ihr Leben läuft nun wie auf Schienen. Die Fahrt hat begonnen, die Richtung ist festgelegt. Es ist alles entschieden, mit dieser einen einzigen Entscheidung. Freya steht in der Diele ihres Kölner Elternhauses. Der Vorhang des Dielenfensters ist grün. Der Dielenleuchter ist vielarmig, geschwungen, mit Glühbirnen, die wie Kerzen aussehen. Freya weiß das. Am Türrahmen neben ihr ist ein Kratzer. Freya weiß es, ohne hinzusehen, sie hält Helmuth James von Moltkes Brief in der Hand. Der Brief in ihrer Hand verwandelt das Haus.
Nichts ist mehr, was es war. Alles muss nun erneut betrachtet, alles muss erneut gemessen, erwogen, bewertet werden, im Licht dieses Briefes. Freya ist gerade aus Österreich zurückgekommen, vom Ferienlager in Eugenie Schwarzwalds Villa See- blick. Gleich am allerersten Tag, beinahe in der ersten Minute ihrer Ankunft war schon alles entschieden. Helmuth James von Moltke lehnte am kalten Kamin im Wintergarten, als Freya hereinkam. Freya sah ihn sofort. Er bemerkte sie nicht. Er blätterte in einem Buch, wippte dabei leicht hin und her, von den Fersen zu den Zehen und wieder zurück. Sein Anzug war ein wenig zu elegant, für das Landleben. Die Hose war am Schlag angeschmutzt. Am Ärmel klebte Gras. Er sah skeptisch aus, blätterte die Seite um, dann blickte er auf. Er sah Freya an. Es war Freya, als eröffnete sich zwischen ihnen ein Raum.
Der weite Raum der Zukunft: den sie nun betraten, jeder von seiner Seite. Freya ist achtzehn. Helmuth James von Moltke ist zweiundzwanzig. Freya ist erleichtert. Sie ist jetzt sicher. Sie weiß, was sie will. Sie möchte in Helmuth James von Moltkes Nähe leben. Sie hat es geahnt, noch bevor sie ein Wort miteinander gesprochen hatten. Sie hat es gewusst, noch bevor sie wusste, wer er war: der Junge mit dem zerrissenen Trommelfell.
Ich muss Ihnen sagen, dass ich mir nichts vom Leben erwarte. Ich empfinde eine gewisse Lebensunlust, das leugne ich nicht. Und bin ich denn dazu verpflichtet, dieses Leben zu lieben? Ich habe schließlich nicht darum gebeten, geboren zu werden.
Solche Dinge sagt Helmuth von Moltke. Wahrscheinlich sollte Freya erschüttert sein. Wahrscheinlich sollte sie sich abgeschreckt fühlen: Aber alles, was zählt, ist ja, dass er diesen Brief geschrieben hat.
Dass er sofort geschrieben hat. Dass der Brief Freya hier schon erwartet hat, bei ihrer Ankunft. Sie sieht nun ihren Weg vor sich. Freya war immer gespannt darauf, wann es wohl so weit sein würde. Natürlich hat sie deswegen nicht herum gesesssen und auf eine überirdische Erscheinung gewartet. Freya macht Abitur. Sie wird danach einen Kursus in Stenografie und Schreibmaschine belegen, sie wird vielleicht Geschichte studieren. Wäre das ein Weg?
Es wäre ein Studium. Es würde nicht darüber entscheiden, wo Freya hingehen wird. Aber nun hält sie den Brief in der Hand. Der Brief ist eine Landkarte. Freyas Pfad ist darauf ein- gezeichnet. Natürlich wird er nicht ohne Tücken sein. Aber die schlimmste Gefahr ist hoffentlich gebannt. In den ersten Tagen befand sich ja alles noch in fürchterlicher Schwebe: Daisy D'Ora war da, die schlanke blonde Schönheitskönigin. Daisy liebt Helmuth aber nicht. Das hat Freya sofort gesehen. Jedenfalls liebt sie ihn nicht, wie Freya Helmuth lieben wird, Daisy hat es vielleicht selbst eingesehen.
Sie ist jedenfalls abgefahren. Von da an hatte Freya Helmuth James von Moltke für sich. Sie sind auf dem See Kahn gefahren. Sie haben zusammen Berge erstiegen, nur sie beide, ohne die anderen. Freya hat Helmuth keinen Moment aus den Augen gelassen. Vom Frühstück bis zur Trennung spät am Abend ist sie an seiner Seite geblieben. Freyas Mutter hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. »Freya, Kind, was tust du denn nur! Du wirfst dich ihm an den Hals. Du machst dich billig. Freya, ich dulde das nicht, du wirst morgen den ganzen Tag zu Hause bleiben.«
Es war aber zu spät. Freya war schon fort. Die Mutter verschloss ein leeres Zimmer: Freya war entlaufen, entflogen, und niemand konnte sie mehr zurückrufen, Freya blickt auf den Brief. Sie liest noch einmal, Dieser Sommer ist so zu einem Teil meiner selbst geworden, dass alles Weitere ohne diesen Sommer unverständlich bliebe. Das danke ich Ihnen, ich danke Ihnen alles, was ich je werde erreichen können, ganz gleich, wie die Zukunft mit uns verfährt.
Das hat er geschrieben. Und was kann Freya auf einen solchen Brief antworten? Das ist sehr einfach. Freya wird Helmuth von Köln erzählen. Sie wird vom Lernen schreiben, von ihren Mühen um das Abitur. Es ist ja alles klar. Freyas Weg führt nun nach Kreisau.
Helmuth hat ihr das Gut beschrieben. Es liegt zwischen den Hängen des Eulengebirges und dem Zobten, eingebettet in eine Mulde südlich der alten Landstraße, die den Westen mit dem Osten verbindet. Es ist schön dort. Freya hat Sehnsucht nach Kreisau. Das ist äußerst merkwürdig. Sie ist ja noch niemals dort gewesen. Dennoch sehnt sie sich nicht danach, wie man sich in eine abenteuerliche Ferne sehnt. Sie sehnt sich wie aus der Ferne zurück. Sie sehnt sich wie nach einem verlorenen Ort, an den man endlich heimkehren möchte, vielleicht ist es aber auch gar nicht so merkwürdig.
Zu Hause ist ja nun nicht mehr dieses Haus mit seinen Speise- und Tanzsälen, seinen Kammern und Winkeln, seinen Toren und Höfen und Treppen, in dem Freya aufgewachsen ist, sondern Helmuth von Moltke. Daran lässt sich nichts mehr ändern: Es ist kein Gefühl, sondern eine Tatsache. Freya blickt auf den Brief in ihrer Hand. Sie liest noch einmal die letzten Zeilen, Ich bin frisch, wohl, voller Kraft, voll eines Hochgefühls des Lebens, das ist allein Ihr Werk. Ich hoffe, dass ich in der Lage sein werde, Sie einmal mit aller Intensität zu lieben, denn was ich jetzt empfinde, ist nur Beginn, der Anfang einer Entwicklung, die mir Höhen erschließen wird, die für mich noch vor vier Wochen unerreichbar waren, eine Entwicklung, deren Spitze gar nicht abzusehen und die alles aus mir zu machen imstande ist.
Freya blickt über den Brief hinweg aus dem Fenster. Der Raum der Zukunft liegt offen vor ihr. Es ist ein weiter Raum, dämmerig. Er ist unbekannt, aber nicht vollkommen unvertraut. Einiges im Vordergrund lässt sich sogar ziemlich klar ausmachen: ihr Antwortbrief, dann sein Antwortbrief. Ihr Lederkoffer, den sie noch nicht ausgepackt hat, aufgeklappt, neu gepackt für eine Fahrt von Köln nach Schlesien, von Westen nach Osten durch das ganze Reich. Der Trubel des Kölner Bahnhofs. Ein Ruck, das Schnaufen eines Zugs. Ein Taschentuch im Wind. Die vertrauten Kölner Giebel und Plätze, noch einmal durchs Zugfenster: ein letztes Mal genauso durchs Zugfenster. Ein bisschen weiter hinten im Zukunftsraum beginnen die Dinge schemenhaft zu werden.
Ihr Koffer auf einem fremden Bahnsteig, der schmal ist und ländlich. Ein Wagen mit Pferd, der sie abholen kommt. Ein Haus auf einem Hügel. Gesichter, die sie nicht kennt, Stimmen, ausgestreckte Hände. Und noch weiter hinten im Zukunftsraum verschwindet alles, löst sich auf in einem leuchtenden Dämmer wie in dünner Milch.
Der Regen wispert im Gras, in den jungen Blättern der Linden von Schloss Klein-Oels. Es ist ein kühler Frühlingsnachmittag 1912. Bia und Peter Yorck von Wartenburg sitzen im Kinderhaus, das die Schwäbische Hütte genannt wird. Die Schwäbische Hütte liegt in ihrem eigenen kleinen Garten. Sie hat zwei Stockwerke und eine kleine Küche mit Gerätschaften im Kinderformat, mit denen man richtig kochen kann. Meist bewirten hier die Mädchen die Klein Oelser Hausdamen und Kinderfräuleins mit Tee und Kuchen auf Puppengeschirr. Aber heute sind Bias und Peters Schwestern trotz des kühlen Wetters mit dem Ponywagen nach Mechwitz gefahren, und die Jungen haben die Schwäbische Hütte für sich. Sie sitzen im oberen Stock am Fenster und reden über den neuen Bibliothekar. Schloss Klein Oels verfügt über eine der größten Büchersammlungen in deutschem Privatbesitz. Ihren Grundstock bildet die Bibliothek Ludwig Tiecks, die der Dichter einst dem Großvater des jetzigen Schlossherrn vermacht hat. Dessen Sohn hat das Seine getan, um die Sammlung zu vermehren. Inzwischen ist sie auf über hundertfünfzigtausend Bände angewachsen. Und die soll der Bibliothekar nun katalogisieren.
»Ich finde den Bibliothekar ziemlich nett«, sagt Peter zu seinem älteren Bruder.
»Er kann kein Französisch«, sagt Bia. »Er kann sich nicht mal mit Mademoiselle unterhalten. Und Latein und Griechisch kann er auch nicht. Ich habe ihn gefragt. Er hat nämlich Platos ›Gastmahl‹ in der Übersetzung auf dem Nachttisch liegen, nicht im Original.«
Das ist allerdings verwunderlich. Ein Bibliothekar müsste doch eigentlich gebildet sein. Und ein gebildeter Erwachsener verfügt über profunde Kenntnisse der Alten Sprachen, der Philosophie, Geschichte und Literatur, er beherrscht das Englische und das Französische fließend, er ist mit den Grundlagen mathematischen und naturwissenschaftlichen Denkens vertraut und besitzt wenn nicht angeborenes, so jedenfalls anerzogenes Musik- und Kunstverständnis. Das setzt man auf Klein-Oels als selbstverständlich voraus.
Die Familie hat sich wie jeden Abend zur Lese- und Abfragestunde im Gartensaal versammelt. Gräfin Sophie Yorck von Wartenburg hat ein Fenster öffnen lassen, durch das der Duft der frühlingsfeuchten Erde hereindringt. Graf Yorck von Wartenburg liest heute aus ›Faust zwei‹ vor.
»Ein Paradies wird um mich her die Runde. Hinaufgeschaut! - Der Berge Gipfelriesen Verkünden schon die feierlichste Stunde - « Peter hat einen wunderbaren Platz ergattert. Er kauert auf
einem dicken Kissen direkt zu Füßen des Vaters. Und er darf Hannusch bei sich haben, den kleinen Bruder. Hannusch sitzt auf Peters Schoß. Er hat ein Wollschäfchen im Arm, so klein ist er noch. Seine Haare sind golden und fein, Kleinkinderhaare mit dem süßbitteren Duft von Mandelplätzchen. Der Vater thront in seinem Sessel.
»Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen Ein Flammenübermaß, wir stehn betroffen; Des Lebens Fackel wollten wir entzünden, ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!« Peter gegenüber sitzen Püzze und Davy, die beiden ältesten Schwestern. Zu ihren Seiten reihen sich die Geschwister aneinander, die schon alt genug sind, um bei den abendlichen Lesestunden dabei zu sein. Draußen verschleiern Dämmerung und Regen sanft die vertraute schlesische Landschaft.
Graf Heinrich Yorck von Wartenburg hält mit dem Lesen inne. Er klappt den ›Faust‹ zu, einen Finger zwischen den Seiten. Peter setzt sich auf. Ist nun er an der Reihe? Schnell ruft er sich den Anfang seines Gedichts ins Gedächtnis, Edel sei der Mensch, Hülfreich und gut!
Das Gedicht reimt sich nicht. Es war deswegen nicht leicht zu lernen. Man kann es nicht einfach herunterleiern. Peter hat beim letzten Vortrag geleiert. Genau deswegen sollte er nun ja dieses Gedicht lernen.
Denn unfühlend
Ist die Natur,
Es leuchtet die Sonne
Über Bös' und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
Der Mond und die Sterne -
Herr Otto hat Peter beim Lernen geholfen, der Hauslehrer. Er ist nett. Er neigt zu schwermütigen Scherzen. Er war meist geduldig mit Peter, er hat selten geschimpft. Leider ist Herr Otto aber entlassen. Er hat in stark alkoholisiertem Zustand Voltaires Gipsbüste im Grünen Korridor umgerannt. Es war keine Absicht, aber was hilft das Voltaire? Er liegt in Scherben. So geht es nicht, das sieht Peter ein.Aber um Herrn Otto tut es ihm doch leid. Auch deswegen hat er das Gedicht vorhin noch einmal geübt, ganz für sich allein.
Edel sei der Mensch, Hülfreich und gut!
Der Vater hat den Blick aber auf Bia gerichtet, seinen ältesten Sohn und Erben.
»Also, Bia«, sagt er. »Dann fasse doch bitte einmal zusammen, was Plato in der ›Politeia‹ über das Herrschen gesagt hat.«
Bia setzt sich sehr aufrecht hin. Er hebt das Kinn, er faltet die Hände. »Plato hat gesagt, in einem gerechten Staat müssten Philosophen herrschen, oder die Herrscher müssten philosophieren.«
Der Vater nickt langsam. Er lässt Bia nicht los. Bia setzt neu an. »Das soll heißen, in Platos Idealstaat herrschen die Weisen «, sagt Bia. »Die Weisen sind eine Elite aus hochgebildeten Menschen. Sie wollen Gerechtigkeit und das Gute. Sie handeln ohne Eigennutz. Sie zeigen den Menschen, dass jeder ein Teil des Ganzen ist. Jeder muss seine Pflichten für das Ganze erfüllen. Wenn die Allgemeinheit glücklich ist, wird auch der Einzelne glücklich sein.« Der Vater nickt wieder. »Weiter«, sagt er. » Aber?«
»Das Ideal bleibt nicht bestehen«, sagt Bia. »Früher oder später kommen Menschen an die Macht, die nur aus Eigennutz handeln. Das Wohl der Allgemeinheit ist ihnen gleichgültig. Es sind ungebildete, unvernünftige, mindere Menschen, die nicht verstehen, dass es auch ihnen selbst langfristig nur gut gehen kann, wenn es der Allgemeinheit gut geht. Sie beuten die Menschen aus, bis sich die Verarmten schließlich gegen sie erheben. Die Armen stürzen die Reichen, und so entsteht die Demokratie. In der Demokratie kann jeder tun, was er will. Jeder verfolgt seine selbstischen Zwecke, keiner sieht mehr das große Ganze. Die Vielen herrschen über die Guten. Weisheit und Gerechtigkeit zählen nicht mehr, sondern nur persönliche Wünsche und Begierden. Und deswegen entsteht am Ende die Tyrannis. Ein einzelner Tyrann übertölpelt das Volk. Er verführt es, damit es ihn liebt. Aber sobald er die Macht errungen hat, zeigt er sein wahres Gesicht. Dann kommt ans Licht, dass er ein Verbrecher ist.«
Bia verstummt. Er ist fertig. Der Vater wartet. Bia würde gern noch etwas sagen. Aber was? Das mit dem Verbrecher ist nun einmal das Ende der Geschichte. Der Vater räuspert sich.
»Passabel«, sagt er dann. »Immerhin passabel, für eine erste kindliche Zusammenfassung. Wir werden gleich noch einmal auf die Einzelheiten eingehen. Aber nun, mein Sohn. Was folgt für dich persönlich daraus?«
Bia schweigt. Er sieht zu Boden. Er sieht zur Seite. Der Vater sieht aus dem Fenster. Er kratzt mit dem Fingernagel über die Zunge: ein Stäubchen offenbar oder ein Haar. »Dass ich viel lernen muss?« sagt Bia schließlich. »Dass ich nicht einfach tun kann, wozu ich Lust habe. Dass ich meine Pflichten erfüllen und nach den Regeln der Vernunft leben soll. Dass - « »Ja«, sagt der Vater.
Es knallt wie ein Peitschenschlag. Er schüttelt den Kopf, streift mit der Zunge an den Zähnen entlang:Aber das Fädchen ist offenbar immer noch da.
»Herrschen heißt dienen, mein Sohn, merk dir das«, sagt der Graf. »Du wirst eines Tages Klein Oels erben. Die Ländereien, das Schloss, die Verantwortung für die Leute, die hier leben und von den Yorcks abhängen. Merk dir, dass das eine Aufgabe ist, keine Auszeichnung. Dein Eigentum dient nicht deinem Genuss. Es dient nicht der Förderung deiner persönlichen Macht. Es ist ein höchstes Kulturgut, das du im Interesse der Allgemeinheit zu verwalten hast.«
Der Vater neigt sich ein wenig vor. Er zieht noch einmal die Zunge an den Zähnen entlang. Dann endlich bläst er das Fusselchen von sich, mit einem lustigen kleinen Geräusch, als entkorkte er eine Flasche. »Du wirst nach meinem Tod Mitglied des preußischen Herrenhauses sein«, sagt der Vater zu Bia. »Du gehörst einer Elite an.« Peter sitzt ganz still. Er kann sein Glück kaum fassen: Das Stäubchen von den Lippen des Vaters ist auf seiner Stirn gelandet.
»Das bedeutet Verpflichtung«, sagt der Vater. »Das bedeutet Verantwortung. Es bedeutet, dass das Interesse der Allgemeinheit dein einziger und höchster Maßstab zu sein hat. Lass dir das gesagt sein, mein Sohn.«
Gräfin Sophie Yorck von Wartenburg steht im Empirezimmer, das vom Roten Gang abgeht. Es ist alles in bester Ordnung: Die Möbel sind poliert, die Betten wie angeordnet bezogen, auf den Tischen stehen späte Gladiolen aus den Treibhäusern von Klein Oels. Die Gräfin ist nach oben gekommen, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass das Zimmer ihren Anweisungen entsprechend hergerichtet worden ist. Sie erwartet für morgen den Besuch ihrer Schwägerin Bertha von Kalckreuth, die wie in jedem Jahr mehrere Wochen in Klein-Oels verbringen wird.
Bertha hängt an ihrem alten Zuhause. Sie hat ihrem Vater sehr nahegestanden, womöglich noch näher als ihr Bruder. Von Kindheit an hat sie sich ganz in den Kreis des alten Grafen hineinziehen lassen, und auch später blieb ihre geistige Welt mit der des Vaters aufs innigste verwoben. Entsprechend hart hat sie der Tod dieses überragenden Mannes getroffen, und nicht sie allein. Der Beileidsbrief des großen Geisteswissenschaftlers Wilhelm Dilthey wird in einem eigenen Ordner in der Bibliothek aufbewahrt.
Seit nun fast einem Vierteljahrhundert habe ich mit Ihrem teuren Vater in der innigsten Gemeinschaft aller Ideen gelebt. Er war die genialste größte Natur, die mir außer Helmholtz begegnet ist, aber mehr wog die Herrlichkeit seines Charakters. Allem, was er berührte, verlieh er Adel, Schönheit, Glanz, wenn er erschien, war es, als gehe die Sonne auf. Ich kann mich auch nicht finden, mich dünkt, nichts Philosophisches wird künftig mich wieder mit dem alten Interesse erregen, da ich es mit ihm nicht mehr teilen kann. Welchen Wert soll, was ich noch schreiben könnte, für mich haben, da ich seine Beistimmung, seine Einwendungen, sein Urteil von jetzt ab niemals wieder vernehmen werde. Recht leidend wie ich bin, empfinde ich es, als ob über dem Rest nun tiefe Schatten sich senken.
Bertha war wie von Sinnen über den Verlust des Vaters. Ihr nüchterner Gatte, der allem Demonstrativen abgeneigte Leopold von Kalckreuth, war tief befremdet von ihrer wilden Hingabe an den Schmerz. Womöglich hat damals schon eine gewisse Entfremdung der Ehegatten begonnen? Aber auf immer zerstört hat ihr Glück erst der Selbstmord des ältesten Sohnes.
Wolf von Kalckreuth, aufgewachsen im weltenfernen, schöngeistigen Idyll seiner Familie, eingesponnen in einen Kokon aus Kunst, Philosophie, Musik und Dichtung, hat seiner ersten Begegnung mit der Außenwelt nicht standgehalten. Er hat sich mit neunzehn Jahren erschossen, seinen Tod inszenierend wie der junge Werther. Seine Eltern konnten sich nicht aneinander aufrichten. Der Schmerz, der sie doch zueinander hätte führen sollen, trat zwischen sie. Seitdem geht jeder seine eigenen Wege. Auch morgen wird Bertha nicht in Begleitung ihres Mannes, sondern ihrer Töchter anreisen. Die Gräfin tritt ans Fenster.
Von hier aus geht der Blick weit über die Yorckschen Besitzungen, die mit ihren mehr als dreitausend Hektar zu den größten in Schlesien gehören. Sie umfassen die Herrschaft Klein Oels, die Herrschaften Bischwitz, Kantschwitz, Niehmen und Sparwitz sowie die Rittergüter Gaulau, Krausenau, Kauern, Weigwitz und Höckricht, wo Leopold und Bertha von Kalckreuth einige Jahre lang gelebt haben. Und ist das nicht der Bibliothekar, dort unten auf der Wiese?
Die Gräfin beugt sich vor. Der Bibliothekar scheint dem Walde zuzustreben. Was er wohl vorhat, an diesem wenig freundlichen Novembertag? Der arme Mann muss Klein Oels zu Weihnachten verlassen. Es hat einen bedauerlichen Zwischenfall gegeben. Zwischen ihm und einem altgedienten Angestellten ist es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Natürlich sieht die Gräfin ein, dass der Bibliothekar nun nicht mehr hierbleiben kann. Aber er tut ihr leid. Er ist arm. Er hat ja nicht einmal anständige Stiefel. Angeblich veröffentlicht er Erzählungen und Gedichte, die er mit Pseudonymen wie Pinko Meyer, Fritz Dörry oder Joachim Ringelnatz unterschreibt. Aber wer hat je von einem Schriftsteller namens Ringelnatz gehört? In Wirklichkeit heißt er Hans Bötticher. Was soll aus ihm werden, ohne Arbeit? Nicht dass die Gräfin die Entscheidungen ihres Mannes anzweifeln würde.
Nicht dass sie auf die Idee käme, sich in die Verwaltung von Klein Oels einzumischen. Aber die Gräfin bemüht sich, im Geist christlicher Liebe zu handeln und so auch ihre Kinder zu erziehen. Sie würde niemals den Wert gründlicher Bildung anzweifeln. Sie selbst beherrscht schließlich Latein und Altgriechisch, in Wort und in Schrift. Aber das Allerwichtigste ist doch die Herzensbildung. Agape: Im neutestamentlichen Griechisch Gottes reine und göttliche Liebe, die bedingungslos und ganz auf die Befreiung des anderen gerichtet ist, wobei das griechische Verbagapao doch zuerst einmal bedeutet, sich mit etwas zufrieden zu geben.
Siehe, so fließet aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott, und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, dem Nächsten zu dienen umsonst.
Die Gräfin legt die Hand auf ihren Leib. Das Kind bewegt sich, ihr neuntes, so Gott will. Es soll im März geboren werden. Bisher hat es ihr noch nicht viel abgefordert. Für den kleinen Hannusch hat die Gräfin sieben Monate liegen müssen. Die Gräfin denkt besonders gern an Hannusch. Natürlich liebt sie alle ihre Kinder. Aber Hannusch ist blond, engelhaft, strahlend. Er ist inzwischen drei Jahre alt. Aber es ist, als wäre er immer noch nicht vollständig verankert auf dieser Welt, die er verlassen wollte, noch bevor er auf ihr angekommen war. Und wie hat die arme Bertha nur den Verlust ihres Sohnes ertragen? Er wäre dieses Jahr fünfundzwanzig geworden.
Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles. Das hat Rainer Maria Rilke dem Jungen nachgerufen, in seinem »Requiem auf Wolf von Kalckreuth«. Und ist es ein Trost, das tote Kind wenigstens von einem Dichter besungen zu wissen? Sei nicht beschämt, wenn dich die Toten streifen, die andern Toten, welche bis ans Ende aushielten -
Gräfin Sophie Yorck von Wartenburg steht noch immer am Fenster des Empirezimmers in Schloss Klein Oels. Der glücklose Bibliothekar strebt noch immer durch die Dämmerung dem Wald zu. In der Kastanienallee wirbelt dürres Laub. Ein Dohlenschwarm erhebt sich vom Schlossdach. Eine plötzliche Düsternis senkt sich über die Gräfin. Und da kommen die Jungen.
Da kommen Bia und Peter, ihre großen Söhne, gefolgt von ihrem Freund Fritzi Schulenburg. Sie haben ihre Ponys geholt. Sie jagen auf Ponys hinter dem Bibliothekar her. Sie galoppieren direkt auf ihn zu, wollen sie ihn über den Haufen reiten? Er hat die Gefahr aber bemerkt. Er ist stehengeblieben. Jetzt rennt er. Er sieht sich um, als wollte er vor den Jungen fliehen. Aber es ist nur ein Spiel. Die Jungen sind wild, aber sie sind nicht bösartig. Sie sind gesund und lebensvoll, ohne alle Schlechtigkeit. Und wie lange werden sie noch bei ihrer Mutter bleiben? Der Graf gedenkt Bia nach Roßleben zu schicken, ins Internat, und ein paar Jahre später wird Peter dem Bruder folgen, die Gräfin öffnet das Fenster. Es ist ihr, als müsste sie sich hinauslehnen und laut nach ihren Söhnen rufen. Aber natürlich tut sie nichts dergleichen.
Die Jungen würden sie auch gar nicht hören. Sie produzieren selbst zu viel Lärm. Sie treiben ihre Ponys an, sie jagen den glücklosen Bibliothekar. Die hohen Kinderstimmen klingen durch die kalte Luft zum Schloss herüber, schrill und fröhlich wie Vogelschreie.
So also ist es. Alles ist mit allem verbunden, jeder hängt mit jedem zusammen, auf verborgene und auf offene Weise. Woher stammen diese Verbindungen? Sind es Verabredungen? Im Geräteschuppen des Jenseits hocken die Toten auf dreibeinigen Hockern, ausgemusterten Opfersteinen, Autowracks und leeren Weinkisten und planen die nächste Inkarnation. Wir wollen diesmal Vater und Tochter sein, Lehrer und Schüler, fünf wilde Brüder, Mann und Frau.
You must be he I was seeking,
Or she I was seeking (It comes to me as a dream)
I am not to speak to you, I am to think of you
I am to wait, I do not doubt I am to meet you again
I am to see to it that I do not lose you
Der Maler Stanislaus von Kalckreuth war Paula Bonhoeffers Großvater. Sein Sohn Leopold von Kalckreuth, der 1885 Bertha Yorck von Wartenburg geheiratet hat, war der Bruder von Paula Bonhoeffers Mutter Clara von Hase. Der von Rilke besungene Wolf von Kalckreuth war also Paula Bonhoeffers Cousin, und er war der Cousin der zehn Yorck-Kinder. Und in einigen Jahren wird der kleine Peter Yorck, der soeben dem Dichter Ringelnatz nachjagt, Marion Winter heiraten, die zusammen mit Dietrich Bonhoeffer das Grunewald-Gymnasium besucht.
Marion und Dietrich gehen sogar in dieselbe Klasse. Sie haben denselben Schulweg. Sie begleiten einander oft nach Hause, und der eine bleibt beim anderen zum Mittagessen. Auch an diesem Herbsttag 1921 gehen sie gemeinsam. »Ich würde gerne mal wissen, wie es ist, keine Eltern zu haben«, sagt Dietrich Bonhoeffer. »Wie?«, sagt Marion Winter, aus ihren Gedanken gerissen.
Aber es ist typisch. Es ist typisch Dietrich Bonhoeffer, sich so etwas Merkwürdiges zu wünschen. »Wieso denn?«, sagt Marion. »Es ist doch sicher ganz schrecklich, ohne Eltern leben zu müssen.« »Bestimmt wäre es schrecklich«, sagt Dietrich. »Aber es wäre auch interessant. Es wäre interessant zu wissen, wie es ist, wenn man sich nicht darauf verlassen könnte, dass sich die Eltern schon um einen kümmern werden. Denn darauf verlässt man sich ja. Man kann gar nicht anders. Man weiß, sie wären für einen da, auch wenn man etwas Gefährliches täte. Also kann man nie herausfinden, wie es ist, wenn sie nicht da wären. Wer man dann wäre, für sich allein.«
»Na ja«, sagt Marion. »Aber die wichtigen Sachen kann einem doch sowieso keiner abnehmen. Die schmerzhaften Sachen. Wenn man sich schneidet, oder wenn man sterben muss. Oder wenn man sehr traurig ist.« Aber davon weiß Dietrich natürlich nichts.
Vom Traurigsein kann er nichts wissen, da ist Marion sicher. Jedenfalls nicht von dem Traurigsein, das Marion meint. Marion Winter ist siebzehn Jahre alt. Dietrich ist erst fünfzehn. Sie sind zwei von nur zehn Kindern in ihrer Klasse. Sie mögen einander, sie helfen sich gegenseitig bei Griechisch und Latein. Aber Marion kann sich nicht vorstellen, dass Dietrich Bonhoeffer jemals erleben wird, was Marion Winter gerade erlebt hat.
Marion war im letzten Sommer in Schweden. Sie ist davor schon einmal in Schweden gewesen, mitten im Weltkrieg. Damals hat sie siebzehn Pfund zugenommen. Damals hat die Mast geklappt. Diesmal nicht. Marion hat kein Gramm Fleisch angesetzt. Sie ist nach Schweden gefahren in der festen Überzeugung, von Grund auf hässlich und böse zu sein. Mager, hässlich und böse. Dann hat sie bei den Forsells gewohnt. Die Forsells braten Fisch am offenen Feuer. Sie leben den Sommer lang mit offenen Fenstern. Die Kinder umarmen den Vater, wann immer sie wollen. Sie setzen sich auf seinen Schoß, wenn ihnen danach ist, sie geben einander lustige Kosenamen. Und die ganze Familie springt jeden Tag gemeinsam ins Meer. Nackt. Vater, Mutter, Kinder. Alle splitterfasernackt. Unvorstellbar. Marion hat sofort mitgemacht.
Sie hat sich splitterfasernackt ausgezogen und ist mit den Forsells ins Meer gesprungen. Sie hat Fisch am Feuer gebraten, sie hat den Vater der Forsells umarmt und einen Kosenamen bekommen, bei den Forsells hat Marion sich aus sich selbst herausgeschält wie aus einer zu engen Haut. Und dann hat sie sich verliebt. Marion will seinen Namen nicht denken, auch sein Gesicht nicht. Sie kann das natürlich keinem erklären. Keiner hier würde irgendetwas verstehen. Wie sollten sie auch? Wie sollten sie die Vernichtung verstehen? Wie sollten sie es verstehen, wenn jeder Gedanke schmerzt, jeder Atemzug, jeder Schritt? Wenn jeder wache Moment zur Qual wird und der Schlaf nicht mehr kommt, so dass es keine Erholung gibt, keine Erlösung, keinen Augenblick mehr, der einem selbst gehört? Marion hat sich den Tod gewünscht.
Sie will nicht davon reden, sie will nicht daran denken. Sie ist ja gerade erst mit der Sache fertig geworden. Sie ist noch immer nicht ganz fertig damit. Ein Rest ist noch übrig, kaffeesatzbitter. Aber sie weiß, etwas so Schreckliches wird ihr nie wieder zustoßen. Die Liebe wird Marion Winter von nun an vermeiden.
»Na gut«, sagt Dietrich. »Natürlich. Schmerzen kann einem keiner abnehmen. Auch Entscheidungen nicht. Ich zum Beispiel lerne jetzt Hebräisch, und das findet meine Familie sehr verwunderlich. Aber stell dir doch nur mal vor, du wärst krank oder du kämst ins Gefängnis. Dann ließe dein Vater die besten Ärzte kommen, die besten Anwälte. Er würde all seinen Einfluss geltend machen. Und wir wissen das. Wir haben diesen Rückhalt. Wir haben jeder einen Vater, der etwas bewirken kann. Wir können nicht so tun, als wären wir allein. Wir können nicht wissen, was man dann taugen würde, man selbst, ganz allein.«
Und natürlich ist es etwas unglücklich, dass das Schloss Mond- schütz heißt. Noch dazu ist es ein Wasserschloss. Ein Roman mit einem Wasserschloss Mondschütz darin wäre ein schlechter Roman. Jeder Leser wüsste ja gleich, was die Heldin hier erwartet: Wer die Liebe vermeiden will, darf sich nicht an einen solchen Ort begeben. Aber Marion Winters Leben ist schließlich kein Roman. Und außerdem war dieses Wochenende nur ein Zwischenspiel. Es war nur ein Ausflug zu entfernten Verwandten: Das sagt sich Marion. Sie fährt ja schon wieder zurück.
Sie fährt schon wieder heim, zum Vater nach Berlin. Es ist der 23. April 1928. Marion hat das Abitur am Grunewald- Gymnasium bestanden. Sie studiert Jura. Sie hat Freunde, sie besucht Tanzveranstaltungen. Sie geht ins Theater. Marion bekommt Freikarten für alle Stücke: Ihr Vater ist Generalverwaltungsdirektor der Staatlichen Bühnen Berlins. Marion sitzt im Zug. Draußen ziehen schlesische Felder vorbei, schlesische Wiesen. Marion ist es, als erwachte sie aus einer Betäubung und käme allmählich wieder zu sich, hier in diesem Zugabteil, das sie mit einem etwas missgestimmten Verehrer teilt. Es ist kein Wunder, wenn er schlecht gelaunt ist. Marion hat sich das ganze Wochenende nicht um ihn gekümmert.
Sie hat sich um niemanden gekümmert. Sie könnte nicht einmal genau sagen, wer die anderen Gäste waren. Alles hat damit begonnen, dass der Platz neben ihr an der abendlichen Tafel unbesetzt blieb. Ihr Tischherr verspätete sich offenbar. Man beschloss zu warten: Draußen regnete und stürmte es, und der Gast kam mit dem Motorrad.
Er kam die ganze weite Strecke von Klein Oels herüber: einem der großen Güter Schlesiens, wie jemand Marion zuraunte, als müsste sie davon beeindruckt sein. Marion plauderte mit ihrem Nachbarn zur Rechten. Dann plauderte sie mit ihrem Gegenüber, einem der zahlreichen Vettern von Köckritz. Schließlich erschien der Verspätete. Man stellte ihn vor: Peter Graf Yorck von Wartenburg. Er war groß, mager, beinahe schlaksig. Er wirkte ein wenig hochmütig. Aber das ist er gar nicht.
Marion weiß noch nicht genau, wie oder wer Peter Yorck wirklich ist. Sie weiß nur, dass er sie das ganze Wochenende lang mit Beschlag belegt hat. Er hat ihre gesamte Zeit beansprucht, er hat sie von allen anderen ferngehalten. Sie haben den ganzen Abend miteinander getanzt. Sie sind den ganzen folgenden Tag miteinander spazieren gegangen, immer am Wassergraben von Schloss Mondschütz entlang, immer rund um das Schloss herum, versunken in einem ununterbrochenen Gespräch, bis nichts mehr zu existieren schien als dieser eine Mann, das tiefe Gespräch mit diesem Mann, manchmal zuckt es um seinen Mund. Es hat sie gerührt, dieses unwillkürliche Zucken. Es hat sie herausgefordert, ihm die Hand an die Wange zu legen, um das Zucken zu beruhigen. Natürlich hat sie nichts dergleichen getan. Was wäre denn in sie gefahren? Was ist in sie gefahren?
Marion sieht aus dem Zugfenster. Sie fühlt sich zufrieden und zugleich matt, wie nach einem Tennismatch oder einer langen Wanderung. Wie nach einer glücklich überstandenen Reise. Ist sie wirklich nur zwei Tage fortgewesen? Draußen ziehen noch immer Felder vorüber, Wiesen, Häuser, Bäume, Dörfer. Alles ist von solider, verlässlicher Realität, auch der in seiner Eitelkeit gekränkte junge Mann ihr gegenüber, der schlecht gelaunt aus dem Fenster sieht. Und bald wird Marion wieder daheim sein.
Sie wird bei ihrem Vater sein. Sie wird bei der Mutter sein, den Geschwistern. Sie wird durch die Diele in ihr Zimmer gehen, wo die vertrauten Gegenstände auf sie warten, als wäre sie gar nicht weggewesen. Und dann wird sie die Verabredung mit Peter Yorck absagen.
Sofort nach ihrer Heimkehr wird sie sich hinsetzen und ihm einen Brief schreiben, in dem sie bedauert, ihn Samstag nicht am Bahnhof Halensee treffen zu können. Das Leben ist einfach zu schön für solch enge Verwicklung. Marion Winter hat zu viel vor. Sie kann sich nicht okkupieren lassen, sie er- trägt solche Vereinnahmung nicht.
Sie haben Cottbus hinter sich gelassen. Dies sind schon die Felder der Mark Brandenburg. Marions vertrautes Leben tut sich vor ihr auf, in das sie eintreten kann wie in einen hell erleuchteten Raum: Am Dienstag gibt es eine Tanzerei bei den Stresemanns. Marion wird das Kleid aus Seidentaft tragen, das ihre Mutter ihr aus einem ihrer eigenen Kleider hat schneidern lassen. Sie wird tanzen, mit wem sie will. Sie wird mit allen Anwesenden plaudern. Und für Freitag hat sie Theaterkarten. Sie wird Klaus Curtius mitnehmen, den Sohn des Reichswirtschaftsministers Curtius. Klaus ist ein Kommilitone von Marion. Er ist völlig unkompliziert. Er erwartet nichts. Er verlangt nicht das Geringste von Marion.
Und hat Marion den Brief an Peter Yorck geschrieben? Hat sie ihn abgeschickt? Hat Peter ihn vielleicht nie erhalten? Oder hat er sich die Freiheit genommen, ihn zu ignorieren? Er ist jedenfalls nicht zum Bahnhof Halensee gefahren, wo keine Marion gewesen wäre, sondern er hat sie ein paar Stunden vor dem verabredeten Zeitpunkt angerufen.
»Fräulein Winter? Ich bin schon früher in Berlin angekommen und wollte fragen, ob ich Sie nicht lieber gleich abholen soll.« Marion steht in der Diele. Sie hält den Hörer in der Hand. Sie zögert. Sie probiert mögliche Antworten aus, Haben Sie meinen Brief nicht bekommen Warum respektieren Sie meinen Wunsch nicht
Ich habe Ihnen doch geschrieben, dass ich verhindert bin
Dass ich Sie nicht sehen kann
Dass ich Sie nicht mehr sehen kann
Dass ich Sie niemals wiedersehen will
»Das wäre natürlich sehr schön«, sagt Marion Winter.
Eine halbe Stunde später steht Peter Yorck vor Marions Tür. Und warum auch nicht? Was kann diese eine Begegnung schon verändern? Warum sollte Marion Winter ihren Verehrer nicht hin und wieder treffen, ihn regelmäßig treffen, allabendlich mit ihm telefonieren? Und wenn die Dinge schon so stehen, warum sollte sie dann nicht einmal mit nach Klein Oels fahren? Peter hat sie so nett eingeladen. »Ich organisiere eine Jagd, Fräulein Winter. Ich selbst werde zwar nicht mit jagen, aber wir wahren die Tradition meines verstorbenen Vaters. Und im September ist es sehr schön in Schlesien.«
Am 5. Juni setzt mit der Schlacht um Frankreich die zweite Phase des Blitzkriegs ein. Die Yorcks, die Schulenburgs und Helmuth Moltke sitzen in der Hortensienstraße. Der Abend ist warm. Die Fenster zur Terrasse sind geöffnet. Es wird das Huhn geben, das Marion aus Kauern mitgebracht hat, und danach Pflaumenkompott. Im Moment reden sie nicht über die Ausweitung des Krieges, sondern über Fritzis Zukunft. Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg ist von seinem Amt als schlesischer Regierungspräsident zurückgetreten.
»Es ist ein schwerer Schlag für Schlesien, dass wir dich verlieren, Fritzi«, sagt Peter Yorck.
»Es ist in der Tat ein großer Verlust«, sagt Helmuth Moltke. »Aber nach Abberufung Ihres Vorgesetzten Wagner wäre Ihre Stellung in Breslau natürlich unhaltbar geworden. Haben Sie die Antrittsrede Brachts verfolgt? Er hat gesagt, die Zeit der sachlichen Entscheidungen sei nun vorbei, jetzt werde nationalsozialistisch regiert.«
»Ja«, sagt Fritzi. »Wagner und ich haben die letzten Monate immer darum gekämpft, die neuen schlesischen Zoll- und Verwaltungsgrenzen wieder zurückzuverlegen. Was soll Schlesien mit den neuen galizischen und kongresspolnischen Gebieten? Was soll man mit einer fast rein polnischen Bevölkerung, die alles Deutsche hasst? Und dieser Hass ist wahrlich nicht erstaunlich angesichts unserer Gewalttaten. Eben diese Gewalttaten der SS und des SD in Polen hat Wagner kritisiert, und darüber ist er gestürzt. Er ist Katholik. Man unterstellt ihm, er nähme die Polen in Schutz, weil sie seine Glaubensbrüder sind.«
»Und wenn es so wäre, wäre es höchst achtenswert«, sagt Peter Yorck. »Obgleich es heutzutage in Anbetracht des Umgangs mit den Juden weniger denn je die konfessionelle Gebundenheit unserer Mitmenschen sein darf, die bestimmt, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten.«
»Die Anwendung von Gewalt ist in jedem Fall zu verwerfen «, sagt Fritzi. »Das war von Anfang an mein Standpunkt. Mit Zwang erreicht man im Osten gar nichts. Ohne zu überzeugen, kann niemand herrschen. Man muss die deutschpolnischen Zwischenschichten gewinnen, dann wird die Germanisierung auch bei den polnischen Polen erfolgreich sein. Die Polen haben nun einmal kein Verhältnis zu Städtebau, zu Ordnung, zu Landschaftsgestaltung. Also müssen sie davon überzeugt werden, dass es ihnen unter deutscher Oberhoheit viel besser ginge. Aber Bracht wird auf Terror setzen. Bracht und Woyrsch. SS-Obergruppenführer Udo von Woyrsch, Sonderbefehlshaber der Polizei, Kommandeur der Einsatzgruppe zur besonderen Verwendung. Ein Mörder. Er hat den Röhm- Putsch genutzt, um alle seine persönlichen Gegner umbringen zu lassen. 1935 war er deswegen sogar eine Weile seiner Ämter in Schlesien enthoben.«
»Und wie ist er dann wieder in sie zurückgekehrt?«, sagt Peter.
Fritzis Augen blitzen. »Ich sage es doch. Seine Gegner waren tot. Und Himmler setzt auf ihn. So ist es Woyrsch und Bracht ja gelungen, Wagner zu Fall zu bringen.«
»Dann wird Wagner wohl auch nicht mehr lange Reichskommissar für die Preisbildung sein«, sagt Peter. »Er ist bislang ja auch mein Vorgesetzter. Aber wenn Himmler ihn ablehnt, sind seine Tage sicher gezählt.«
»Deswegen fühle ich mich so befreit«, sagt Fritzi. »Alles das liegt jetzt hinter mir. Ich habe meine Pflicht bis zur Neige getan, ich habe mich mit allen Kräften der Verfaulung des Staatsapparats und der Beamtenschaft entgegengestemmt. Jetzt reicht es. Jetzt werfe ich den politischen Ballast ab.«
Fritzi hat sich freiwillig an die Front gemeldet. In drei Tagen tritt der Leutnant der Reserve Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg seinen Dienst beim Infanterie-Regiment Nr. 9 in Potsdam an: im Graf 9, wie es seiner vielen adeligen Offiziere wegen genannt wird, dem Nachfolgeregiment des Königlich Preußischen 1. Garderegiments zu Fuß, des vornehmsten Regiments der civilisierten Christenheit, in dessen Regimentshaus die deutschen Kaiser ihre Geburtstage zu begehen pflegten.
»Ich freue mich sehr«, sagt Fritzi. »Und ich bin eigentlich recht optimistisch. Ich glaube an die Möglichkeiten der Zukunft. Ich bin nach wie vor vom Nationalsozialismus überzeugt, er muss aber zu sich selbst zurückfinden. Jetzt gewinnen wir erst einmal den Krieg. Das ist der erste Schritt. Und dann wenden wir uns der Neuordnung im Reich und in den besetzten Gebieten zu. Wir werden die Bonzen entfernen, denen es um nichts geht als um ihre Macht und Bereicherung, wir werden die SS-Leute und Himmlers Organisationen strikt von der Verwaltung und den Aufgaben des Staatsapparats trennen. Ich wette mit Ihnen, lieber Moltke, dass wir in zehn Jahren einen Staat haben werden, den wir beide voll billigen können.«
»Die Frage ist allerdings, wie ein solcher Staat aussehen müsste«, sagt Peter Yorck. »Welche Kriterien müsste ein Staat erfüllen, den wir alle voll billigen könnten?« »Grundvoraussetzung wäre die Wiederaufrichtung des zertretenen Rechts«, sagt Helmuth Moltke.
»Ich stimme zu«, sagt Fritzi Schulenburg. »Es geht um die Wiederaufrichtung preußischer Tugend.«
»Dann hätte Fritzi die Wette also gewonnen, wenn in zehn Jahren im Deutschland der Nationalsozialisten ein gerechter Staat entstanden wäre«, sagt Peter. »Natürlich immer in den Grenzen, die die menschliche Unzulänglichkeit setzt. Aber was verstehen wir unter Gerechtigkeit?«
Fritzis Monokel funkelt. »Wenn ich mich recht an die Lehren des vorzüglichen Dr. Georg Rosenthal am Katharineum zu Lübeck erinnere, so herrscht nach Plato Gerechtigkeit, wenn jeder das tut, was seine Aufgabe ist. Eine klare Trennung der Ämter und Zuständigkeiten, mit anderen Worten. Das ist es ja, was ich immer wieder wiederhole.«
»Das genügt mir nicht«, sagt Helmuth Moltke. »Die Befugnisse der Ämter und die Tätigkeit der für sie Zuständigen müssten sich schließlich anhand eines Regelwerks beurteilen lassen. Wann wäre ein solches Regelwerk gerecht? Im Allgemeinen gilt ja als gerecht, was nach äußeren Gesetzen Recht ist. Aber wie wir soeben erleben, muss zwischen formalem und tatsächlichem Recht unterschieden werden. Die Frage wäre also, an welchem höheren Gesetz sich das menschliche Recht messen lassen muss. Gehen wir davon aus, dass Gesetze zeitabhängig, der Mode wechselnder menschlicher Überlegun- gen und Handlungen unterworfen sind? Oder gibt es unveräußerliche Werte, die ewige Bedeutung besitzen, unabhängig von Zeit, Raum und tatsächlich geltendem Recht, wie die Naturrechtler argumentieren?«
»Mir scheint, das Christentum hätte diese unveräußerlichen Werte aufgestellt«, sagt Peter Yorck. »Dem Wortlaut des Dekalogs folgend scheint mir Gerechtigkeit klar mit einem Sollen verbunden. Dieses Sollen ist nicht anders zu denken als im Bezug auf andere. Es geht um das Verhältnis der Menschen zueinander.« »Und da ist Gerechtigkeit ein Gebot der Vernunft«, sagt Helmuth Moltke. »Die praktische Vernunft verlangt, dass wir anständig miteinander umgehen, weil es das Einzige ist, was auf lange Sicht gesehen funktioniert. Aber wir haben auch vor uns selbst eine Verpflichtung. Wir müssen an dem festhalten, was wir einmal als gerecht erkannt haben.«
»Das würde heißen, dass man die unabweisbare Pflicht hätte, ungerechte Zustände zu verändern«, sagt Peter Yorck. »Und man hätte diese Pflicht nicht in erster Linie den Opfern von Ungerechtigkeit gegenüber. Man hätte sie vielmehr vor allem vor sich selbst.«
Bremsen kreischen. Der Zug hält auf offener Strecke. Das Dröhnen der Flieger erfüllt die Luft. Es sind Dutzende, Hunderte vielleicht. Amerikaner. Sie fliegen nach Norden, vollkommen ungehindert. Ihre Flügel blitzen in der Mittagssonne. Die Zugpassagiere sehen aus den Fenstern, beschatten die Augen mit den Händen, die Bomber fliegen offenbar Bitterfeld an, die chemische und elektrochemische Industrie von Bitterfeld. Die Fahrgäste bleiben, wo sie sind. Keiner schimpft, keiner weint, keiner reißt die Türen auf. Auch Marion Yorck bleibt sitzen. Sie würde aber am liebsten laut schreien. Sie muss nach Berlin, sie hat keine Zeit für Bombenangriffe. Ein junger Soldat hat sich erhoben. Er steht auf, er öffnet die Waggontür und springt ins Freie. Nun kommt Bewegung in die Sitzenden. Alles drängt hinaus auf die Wiese. Es ist sehr heiß. Der Lärm des Bombardements klingt deutlich herüber. Bitterfeld brennt.
»Die kriegen es ab.« »Wie lange wir hier wohl feststecken werden.« »Wir sollten einsteigen. Vielleicht geht es gleich weiter.« Bitterfeld brennt. Marion steht auf dem Bahnhof in Halle, im Gedränge und Geschiebe der festsitzenden Fahrgäste. Warum verbreitet der Rundfunk nicht, dass Hitler tot ist? Warum ertönen nicht Schreckens- und Jubelschreie, warum erhebt sich das deutsche Volk nicht und stürmt die Gauämter und Polizeistationen, die SS-Lokale und die Gefängnisse, die Gestapo- Büros und die Parteidienststellen? Warum kommt Marion nicht von der Stelle?
Die Bahnstrecke ist zerstört, heißt es. Aber doch sicher nicht alle Gleise bis Berlin? Man wird doch irgendwie um das Gebiet der Zerstörung herumgelangen und dann weiterfahren können? Man wird wohl nicht warten müssen, bis der Krieg verloren ist, damit jemand die verdammten Gleise repariert. Marion wird nicht für immer hier festsitzen, in dieser hin- und herwogenden Menge: Beamte mit Koffern, Soldaten mit Gepäck, Frauen mit Taschen und Säcken und brüllenden Kindern, alle schiebend und geschoben, im Dampf von Schweiß und Enge, von Angst und verbissenem Zorn, schimpfend und johlend, kreischend, krakeelend, zwitschernd, brabbelnd und krähend, dies ist nicht Deutschland. Dies ist nicht Marions Heimatland. Dies ist ein fremder Planet, und Marion irrt unter Außerirdischen herum. Sie steckt fest, allein unter Larven, schnatternden Gespenstern und seelenlosen Hüllen. Wo um Himmels willen ist sie? Wo ist ihr Mann? Wo ist Peter Graf Yorck von Wartenburg?
Marion hat es nach Berlin geschafft. Sie ist am Anhalter Bahnhof angekommen. Die Hauptstadt scheint ruhig zu sein. Vom Zugfenster aus waren nirgendwo auf den Straßen Kämpfe zu sehen, nirgendwo jubelten und tosten die Massen. Marion geht inmitten der Menge, die den Bahnhofsausgängen zustrebt, den Ruinen, den Kellern. Und dort ist Mariechen, wie ein kleines Licht. Marion ruft laut. Sie hebt die Hand, sie winkt. Sie ist gesehen worden: Mariechen eilt auf Marion zu.
»Mariechen. Ach Mariechen. Wie haben Sie denn herausgefunden, wo und wann ich ankommen werde?« »Ich habe gefragt. Ich habe hier gewartet. Geben Sie mir doch Ihre Tasche.« »Nein, Mariechen, lassen Sie nur.« Sie gehen den Bahnsteig entlang. »Frau Gräfin. Der Graf lässt Ihnen sagen, Sie sollen nicht nach Hause gehen.« Marion bleibt stehen.
»Er hat sich gemeldet?« »Er war frühmorgens ganz kurz zu Hause. Er hat nur das Hemd gewechselt. Er hat gesagt, Sie sollen das Haus gar nicht betreten, sondern gleich weiter nach Schlesien fahren.«
Sie sehen einander an.
»Es hat einen Anschlag auf Hitler gegeben«, sagt Mariechen. »Hitler ist aber nicht umgekommen.«
»Hitler ist nicht umgekommen.«
»Nein. Ich denke, Sie sollten besser nach Schlesien fahren, Frau Gräfin. Wir müssen zum Schlesischen Bahnhof gehen. Wir müssen zu Fuß gehen. Die Engländer waren letzte Nacht in Kreuzberg.«
Vor dem Bahnhof das übliche Gewühl, das sich aber verläuft. Sie gehen an der Prinz-Albrecht-Straße vorüber, dem Hausgefängnis der Gestapo, Sitz des Reichssicherheitshauptamtes und des Reichsführers-SS Heinrich Himmler. Alles ist ruhig. Sie gehen eng nebeneinander: zwei Frauen in hellen Sommerkleidern an einem heißen Berliner Juliabend. Auch in der Wilhelmstraße ist alles wie immer. Keine Soldaten schirmen das Regierungsviertel ab, keine Menschenmenge flutet die Straße hinauf, der Reichskanzlei entgegen.
»Haben Sie Hunger, Frau Gräfin? Ich habe Ihnen ein Brot gemacht, mit echter Butter und Schnittlauch.« »Das ist lieb, Mariechen. Vielleicht später.«
Sie gehen die Kochstraße, dann die Oranienstraße entlang. Zum Teil rauchen die Ruinen noch. Auf einer verkohlten Mauer steht etwas. Alle lebend herausgekommen In der Ferne eine Kolonne von Russen, die in den Trümmern gräbt.
»Hier kommen wir nicht weiter. Ich denke, wir gehen durch die Alte Jakobstraße.« »Es ist also schiefgegangen.« »Ja, Frau Gräfin.«
»Und seit dem Morgen hat der Graf sich nicht mehr gemeldet. « »Nein. Aber er wollte heute Morgen schon, dass Sie gleich weiter nach Schlesien fahren.«
Originalausgabe 2012 © 2012 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Sabine Friedrich
Sabine Friedrich, 1958 in Coburg geboren, studierte Germanistik und Anglistik und promovierte 1989 in München. Seit 1996 lebt sie mit ihrer Familie wieder in Coburg. Ihr erster Roman 'Das Puppenhaus' wurde 1997 veröffentlicht. Es folgten 'Familiensilber' (2005), 'Immerwahr' (2007), 'Epilog mit Enten' (2016) und 2012 ihr großer Roman über den deutschen Widerstand 'Wer wir sind'.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sabine Friedrich
- 2012, 1. Auflage, 2032 Seiten, Maße: 14,5 x 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423280034
- ISBN-13: 9783423280037
- Erscheinungsdatum: 20.09.2012
Rezension zu „Wer wir sind “
»Sabine Friedrich hat ein umfassendes Opus über den deutschen Widerstand unter Hitler verfasst.« Buchkultur Juni/Juli 2013
Pressezitat
Lassen wir uns um Himmelswillen die Welt nicht vom Gesindel mit seiner Gesindelgesinnung erklären. Das muss man lesen, wirklich! Und zwar jeder! Florian Felix Weyh Deutschlandfunk Kultur 20200704
Kommentar zu "Wer wir sind"