Wer's glaubt, wird selig
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so sagt der Volksmund - und er hat unrecht, wie so oft. Richtig ist: Der Glaube macht, dass Menschen Horoskope lesen, sich in die Luft sprengen oder bei Vollmond Ochsen melken - wer's glaubt, wird selig. Dieter Nuhr ist an den Hinterausgang der Welt gereist: dem Glauben auf der Spur. Und er ist zu erschütternden Ergebnissen gekommen. Zwerchfellerschütternd!
Wers glaubt, wird selig von Dieter Nuhr
LESEPROBE
Einleitung
Am Anfangeines Buches steht eigentlich immer dieselbe Frage. Es ist die Frage, die unser ganzes Leben bestimmt und Grundlageall unserer Erkenntnis ist, es ist die Frage: Worum geht's eigentlich? DieAntwort ist einfach, sie lautet: Keine Ahnung!
Wer weißschon genau Bescheid. Die zentralen Beweggründe menschlichen Handelns sind unsunbekannt. Wir wissen, dass wir über eine begrenzte Menge an Zeit verfügen,bevor es uns in den Orkus reißt, aber selbst diegenaue Zeitspanne lässt sich nur sehr grob abschätzen. Und oft vertut man sich.Man bezahlt noch ein paar Rechnungen, tritt aus der Haustür und schwups! Soein Lastwagen wirkt träge, aber er beendet ein Leben in Sekundenbruchteilen.Und noch während der Geist verwirrt über der eigenen sterblichen Hülle schwebt(um im nächsten Moment den Weg durch den großen Tunnel hin zum gleißenden Lichtder Ewigkeit anzutreten), verlassen Geldbeträge das Konto, die für die Erbenauf ewig verloren sind. Hätte man's gewusst, dass es einen im nächsten Momentin die ewigen Jagdgründe führt, man hätte auf die Überweisung derKlempnerrechnung verzichtet. So ist die Kohle weg. Schade!
Aber werhat schon das Glück, den letzten Rest seiner im Leben angespartenGeldmenge genau an seinem Todestag zu versaufen, um dann mit einem fröhlich angeschickerten «Das war's dann wohl» den letzten Atemzugzu tun. Hier sind uns andere Völker weit voraus, Amerikaner beispielsweise oderAustralier.
Dortstopfen sich die Menschen zu Lebzeiten alles nur erdenklich Essbare in denaufquellenden Körper, um zu vermeiden, dass irgendetwas im Leben ungegessenbleibt, ein Ansatz, der uns bewundernswert philosophisch anmutet. ImMaterialismus der westlichen Gesellschaft ist «mehr» eben nicht, wie häufig behauptet,«weniger», sondern mehr. Dadurch nimmt zwar nicht der Genuss zu, aber dasVolumen. In einer Zeit, in der viele Menschen glauben, dass das Leben nichtmehr sei als Biologie, gilt schließlich die Gleichung: Je mehr biologischeMasse man besitzt, umso mehr Zellen haben gelebt.
Australierleben heute so viel, dass sie immer häufiger zu fett sind für Särge inNormalgröße. Die Übriggebliebenen müssen am Ende den Sarg in Übergrößeberappen. Und damit ist das Problem nicht beseitigt! Viele Krematorien dortmüssen sich aufgrund der immer fetteren Sterbenden größere Brenner kaufen. DieKosten tragen die Lebenden. So muss es sein. Nach mir die Sintflut! Wir habenschließlich nur ein Leben, das sollte man auskosten bis zuletzt. Genug ist nichtgenug so die gängige Meinung.
Da ist wasdran. Wer weiß, ob man im Jenseits noch genießen kann. Lediglich Geistiges istdort existent, einen guten, zehn Jahre alten Rotwein sucht man wahrscheinlich vergebens. Zumindest stelle ich mir so das Jenseits vor. Allerdings beruhtdiese Vorstellung weniger auf Forschung als auf Imagination. Die Jenseitsforschungist bis heute nicht zu überzeugenden Ergebnissen gekommen, nicht zuletzt, weilZeugen so selten sind. Es kommt ja keiner wieder. Und die, die behaupten, schonmal im Jenseits gewesen zu sein, sind oft in schlechtem Zustand, nicht nur körperlich,auch im Geiste ... Gestalten, die behaupten, schon einmal tot gewesen zu sein,sind oft ziemlich zerzauselt. Ob das auf denErfahrungen im Jenseits beruht oder auf vererbter Geistesgestörtheit, kann imGrunde niemand mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. So mancher, der meint,den Tod zu kennen, ist einfach nur zu lange verheiratet. Und andere, diebehaupten, im Jenseits gewesen zu sein, haben bloß ein Alkoholproblem.
Leben undTod sind ein ewiges Rätsel. Wir wissen weder, was der ganze Zauber soll, noch,wie lang das Ganze dauert. Da stellt sich die Frage: Lohnt es sich, für dasAbitur zu pauken, wenn man danach mit dem Motorrad in Urlaub fährt, woerfahrungsgemäß überhöhte Geschwindigkeit den Antritt des Studiums verhindert. Odergerne auch andersrum: Hätte man vielleicht darauf verzichtet, gleich im erstenJahr das komplette Millionenerbe zu versaufen, wenn man geahnt hätte, dass manwirklich das biblische Alter von 3 o Lenzen erreicht? Am Ende sieht manaufgrund von Altersarmut schon mit 4o aus wie 6o. Und mit 120 wirkt man wie 2T0,vor allem aufgrund des strengen Geruchs.
VieleMenschen machen sich darüber lustig, wenn schon junge Menschen an die Rentedenken. Aber die Planungsfähigkeit des Menschen ist genau das, was uns vonKapuzineräffchen oder Silberfischchen unterscheidet. Wir sind in der Lage, fürein Alter vorzusorgen, das wir möglicherweise nie erreichen. Andererseits könnenwir im Hier und Jetzt leben, vor uns hin vegetieren, als gäbe es kein Morgen,rumlungern wie Puffottern oder Kängurus, was zwar im Zweifel sehr entspannt,aber im Falle anhaltender Gesundheit eher kurzsichtig ist. Altersarmut siehtklamottentechnisch cool aus, ist aber unangenehm. Wahrscheinlich werden amEnde wieder genau die am längsten überleben, die am wenigsten vorgesorgthaben.
Die jammerneinem dann die Hosen voll, dass es der Staat versäumt hätte, sie frühzeitig mitallem zu versorgen, was das Leben lebenswert macht. Es gibt Menschen, diehalten es für Gerechtigkeit, wenn alles umsonst ist.
Das istnatürlich nicht grundsätzlich falsch. Hätte nicht ein funktionierendesAllgemeinwesen die Pflicht, jedem seiner Bürger ein Strandgrundstück auf einerBaleareninsel zu besorgen? Das kann man so sehen. Allerdings könnten solcheGrundstücke dann aufgrund der hohen Anzahl der Berechtigten nur sehr klein sein.Teilt man die Strandfläche Mallorcas durch die Anzahl der Deutschen, danndürfte es für nicht mehr als ein paar Quadratzentimeter ausreichen.
Gut so!Gerechtigkeit heißt ja: jedem das Seine, beziehungsweise das, was übrig ist.Elite ist eben ungerecht, es sei denn, zur Elite gehören alle. Auch imolympischen Wettkampf wird erst dann Gerechtigkeit herrschen, wenn auch dieLangsamen gleich schnell sind. Notfalls müssen die Schnellen eben warten. Manlehnt sich an die letzte Hürde und genießt die Sonne. Ist doch auch schön. Mussman denn immer hetzen?
Jetzt binich vom Thema abgekommen. Worum ging es nochmal? Esgeht um Glauben in diesem Buch. Jetzt erinnere ich mich wieder. Und da gehörtGerechtigkeit natürlich dazu. Schließlich glauben wir an Gerechtigkeit. Warumnicht? Es gibt ja auch Menschen, die an Geister glauben, an Schlümpfe oder anvieräugige Fabelwesen. Davon hatte ich mal eins in der U-Bahn neben mir. Ichhabe ihm mitgeteilt, dass ich seine Existenz weder für wahrscheinlich noch fürwünschenswert hielt. Daraufhin verschwand es mit einem blubbernden Geräusch ineiner Rauchwolke. Ich schwöre, es war so! Beziehungsweise ich habe es genau soin Erinnerung. Ich hatte an dem Tag allerdings auch Kreislaufprobleme. EinFläschchen Sekt vor dem Frühstück ist Gift für den Blutdruck.
Woranglauben wir noch? Fassen wir es kurz zusammen: Immer mehr Menschen glauben anWiedergeburt, regenerative Energien und Brustvergrößerung ... Immer wenigerMenschen glauben an Gott, geschlossene Immobilienfonds und die Rente. Daswär's. Damit ist mein Thema im Grunde umfassend abgearbeitet. Den Rest desBuches könnte man weiß lassen und als Notizbuch deklarieren. Aber ich will mirja nicht den Ruf einfangen, ich wäre eine faule Sau. Deshalb will ich nochweiter ins Detail gehen:
Woranglauben wir noch? Schwierig zu sagen, denn der Mensch ist in der Lage, alles zuglauben, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind. Erstens: Es glauben alle dran.Zweitens: Es könnte irgendwie sein. Nehmen wir ein Beispiel: der Klimawandel.Beide Bedingungen treffen zu. Hier trifft der unbedingte Wille des Deutschenzur Angst auf die ungezähmte Panik vor dem ewigen Weltuntergang.
Noch vorJahren hatte man Angst vor einer neuen Eiszeit (Was für eine unangenehmeVorstellung! Ganzjährig Heizungsluft!). Jetzt geht es bis auf weiteres in dieandere Richtung. Klar ist nur eines: Das Wetter ist noch nie geblieben, wie eswar. Die Alternative zur Klimaerwärmung ist dementsprechend nicht, dass allesso bleibt wie heute, die Alternative zur Klimaerwärmung wäre die Abkühlung,vor allem für Frauen ein echter Schocker, da sie ohnehin zu kalten Füßenneigen.
Wenn ich anden April 2007 zurückdenke, den wärmsten seit Menschengedenken, dann stellt sichmir die Frage: Wie oft muss ich mit meinem Auto um den Block fahren, damit dasWetter so bleibt? Natürlich gilt das nicht weltweit. Insgesamt gesehen wird derKlimawandel teuer. Viele Menschen glauben, die Zusatzausgaben belaufen sich aufein paar Euro für Sonnenmilch und einen zusätzlichen Kühlschrank (zumÜbernachten). Das könnte zu knapp gegriffen sein.
Andereverfallen in das Gegenteil. Aus lauter Lust an Dramatik horten sieMalariamittel und beginnen schon mal mit der Grundwasserbohrung für die Zeitder Wasserrationierung. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. Hollandwird überschwemmt, dafür liegt Köln am Meer. Keine schlechten Aussichten ...
Sollte mandeshalb weiter die Luft verpesten? Eher nicht. Schließlich machen Abgase nichtnur den Treibhauseffekt, sondern auch Krebs und ganz doll fiesen Gestank. Aberder Weltuntergang wird ausbleiben. Die Natur braucht nicht wirklich Schutz. Siewird notfalls auch ohne Menschen weitermachen, noch ein paar Millionen andereArten auswechseln und von vorn anfangen, wie sie es schon häufiger gemachthat. Es ist ein großer Irrtum, dass die Natur unserer Hilfe bedarf. Wenn sichjemand schützen muss, dann ist es der Mensch vor der Natur. Wenn der Pegel inder Nordsee steigt, ist das der Natur relativ wurscht.Aber Ajax Amsterdam wird sich einen neuen Heimspielort suchen müssen. KleinerTipp: In Düsseldorf steht ein Superstadion praktisch leer. Der örtliche Vereindümpelt seit Jahren im Niemandsland zwischen Profifußball und bunter Liga. Dagäbe es ein dankbares Publikum.
Was ichdamit sagen will: Der Klimawandel kommt. Es macht also keinen Sinn, jetzt nochdarüber nachzudenken, ob man mit den Wolken diskutieren oder gleich demAzorenhoch einen Bußgeldbescheid schicken sollte. Statt darüber zudiskutieren, ob man Grenzwerte für den Meerwasseranstieg einführen sollte, sollteman vielleicht endlich anfangen, höhere Deiche zu bauen. Das wäre was!
Vor allemdie Leute in Bangladesch würden sich freuen, da sie sich seit Jahrzehnten mitschlechtem Wetter rumschlagen, immer wieder überschwemmt werden und gerne malein paar Jahre nicht ertrinken würden. Das wäre eine große Verbesserung ihrerLebensqualität! Die Menschen dort können von einem Leben als Hartz-IV-Empfänger nur träumen und wären schon mit HartzXXI sehr zufrieden (HartzXXI ist bisher nicht ausgehandelt worden, sollte sich aber, wenn es einmaldazu kommt, um effizienten Hochwasserschutz kümmern).
Das Zeitenende allerdings wird auch bei wechselndem Klima eineDomäne der Zeugen Jehovas bleiben. Irgendwann wird der Klimawandel ohnehin ausden Schlagzeilen raus sein, spätestens wenn das Thema keine Quote mehr macht.Dann müssen neue Weltuntergänge her. Mein Tipp für das nächste Ballyhoo: Viren und Bakterien, Antibiotikaresistenz... Gesundheit ist immer gut für ein gelungenes apokalyptisches Theater.
Ich fürmeinen Teil habe mein Leben lang an den kommenden Weltuntergang geglaubt undnun keine Lust mehr dazu. Waldsterben, Überbevölkerung, Atomkraft, Ozonloch,Aufrüstung ... Ich habe in meinem Leben (ich gehe auf die 5 o zu, habe also daserste Lebensdrittel hinter mir) bereits so viele drohende Weltuntergängeüberlebt, dass ich mittlerweile der Meinung bin, unsterblich zu sein. MachenSie sich also keine Sorgen: Solange ich lebe, wird nichts passieren. Danach solltensich die Überlebenden Gedanken machen...
Wie bin ichdraufgekommen? Über den Glauben! Unsere Grundfrage war ja: Woran glaubt derMensch? Die Antwort lautet: an alles Mögliche. Muss er ja, denn mit dem Genau-Bescheid-Wissen hat er es nicht so.
Er weißnicht genau, fragt dann: Hä? Und die Antwort bleibt meist unbefriedigend. DerMensch ist kein Wissender. Er fragt, zweifelt, glaubt. Aber die Wahrheit bleibtihm doch immer verborgen. Das hat erkenntnisphilosophische Gründe. Selbst wennwir noch so bestimmt zu wissen glauben, wissen wir doch nicht, ob wir nurglauben zu wissen, weil wir völlig bekloppt geworden sind.Mit anderen Worten: Bin ich blöd oder die anderen oder alle oder bloßHelmut oder Erika oder Walter? Oder genauer gefragt: Was wie jetzt? Und warum?Wenn nicht sogar: Wem? Oder: Wenn, dann wann? Es sind die Fragen, die unsereErkenntnis bestimmen. Und am Ende weiß keiner was. Aber alle glauben irgendwas.Das ist das Problem. Und darum geht's.
© RowohltVerlag
- Autor: Dieter Nuhr
- 2007, 15. Aufl., 192 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 349962284X
- ISBN-13: 9783499622847
- Erscheinungsdatum: 24.09.2007
4.5 von 5 Sternen
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