Wie ein Licht in der Nacht
Roman
Katie ist neu im Küstenort Southport. Sie gilt als Außenseiterin. Niemand weiß etwas über die hübsche Frau. Welches Geheimnis versucht sie zu verbergen? Erst der einfühlsame Witwer Alex schafft es, sich Katie zu...
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Produktinformationen zu „Wie ein Licht in der Nacht “
Katie ist neu im Küstenort Southport. Sie gilt als Außenseiterin. Niemand weiß etwas über die hübsche Frau. Welches Geheimnis versucht sie zu verbergen? Erst der einfühlsame Witwer Alex schafft es, sich Katie zu nähern. Doch wird sie sich für eine neue Liebe öffnen?
Klappentext zu „Wie ein Licht in der Nacht “
Niemand schreibt über die Liebe wie Nicholas SparksNiemand im Küstenort Southport weiß, wer die neue Einwohnerin Katie ist und woher sie kommt. Sie lebt komplett zurückgezogen und vermeidet jeden Kontakt mit anderen. Erst dem jungen Witwer Alex, der zwei kleine Kinder hat, gelingt es langsam und behutsam, ihr näherzukommen. Doch Katie hütet ein dunkles Geheimnis. Wird sie für die Liebe alles aufs Spiel setzen?
Lese-Probe zu „Wie ein Licht in der Nacht “
Wie ein Licht in der Nacht von Nicholas SparksKAPITEL 1
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Geschickt schlängelte sich Katie zwischen den Tischen durch. Auf dem linken Arm balancierte sie drei Teller, einen vierten auf der rechten Hand, während eine frische Brise vom Atlantik ihre Haare zerzauste. Sie trug Jeans und dazu ein T-Shirt, auf dem stand: Ivan's: Versuchen Sie den Fisch - frischer als frisch! Die Teller waren für vier Männer in Polohemden bestimmt, und der Mann, der ihr am nächsten saß, musterte sie mit einem freundlichen Grinsen. Er tat so, als wäre er einfach ein netter Mensch, aber Katie spürte genau, dass er ihr interessiert nachschaute, als sie wieder ging. Melody hatte ihr erzählt, die vier Herren seien aus Wilmington und hielten Ausschau nach Locations für Filmdreharbeiten.
Katie holte noch einen Krug mit Eistee und füllte ihre Gläser nach, ehe sie zur Theke zurückging. Verstohlen schaute sie hinaus aufs Wasser. Es war Ende April, weder warm noch kalt, sondern die perfekte Temperatur, der Himmel war bis zum Horizont strahlend blau, und die spiegelglatte Oberfläche des Intracoastal Waterway, dieser wunderschönen Wasserstraße, die von Florida nach Massachusetts führte, reflektierte die Farbe des Himmels. Mindestens ein Dutzend Möwen hockte auf dem Geländer der Terrasse, und alle lauerten darauf, dass einer der Gäste ein paar Krumen unter den Tisch fallen ließ, die sie sich schnappen konnten.
Ivan Smith, der Besitzer des Restaurants, hasste die Möwen. Er bezeichnete sie als »Ratten mit Flügeln« und war schon zweimal am Geländer entlanggegangen, einen Pümpel mit Holzgriff in der Hand, um die Möwen zu vertreiben. Melody flüsterte Katie zu, sie mache sich mehr Sorgen wegen des Pümpels und wo der wohl vorher gewesen sei, als wegen der Möwen. Katie sagte nichts.
Sie füllte eine neue Karaffe mit Eistee und wischte die Theke gründlich sauber. Gleich darauf tippte ihr jemand auf die Schulter, und sie drehte sich um. Es war Ivans Tochter Eileen, ein hübsches Mädchen mit Pferdeschwanz, erst neunzehn Jahre alt. Sie arbeitete Teilzeit als Restaurant-Hostess, das heißt, sie führte die Gäste an ihre Tische.
»Katie - meinst du, du könntest noch einen zusätzlichen Tisch übernehmen?«
Kurz ließ Katie ihren Blick über die Gäste schweifen und ging im Kopf ihren Arbeitsrhythmus durch, dann nickte sie. »Ja, gern.«
Eileen eilte die Treppe hinunter. Von den Tischen in der Nähe konnte Katie Gesprächsfetzen aufschnappen: Die Leute unterhielten sich über ihre Freunde, ihre Familien, über das Wetter oder das Angeln. Sie sah, wie am Tisch in der Ecke zwei Leute ihre Speisekarten zuklappten. Rasch ging sie zu ihnen hinüber und nahm die Bestellung auf, blieb aber nicht an ihrem Tisch stehen, um noch ein bisschen zu plaudern, wie Melody das immer machte. Katie hatte kein Talent für Smalltalk, aber sie war flink und höflich, und die Gäste schien es nicht zu stören, dass sie kaum mit ihnen redete.
Seit Anfang März arbeitete sie hier im Restaurant. Ivan hatte sie an einem kalten, sonnigen Nachmittag eingestellt.
Der Himmel war auch damals blitzblau, und als Ivan ihr sagte, dass sie gleich am nächsten Montag anfangen könne zu arbeiten, musste sie sich richtig zusammenreißen, denn sie hätte fast geweint vor Dankbarkeit. Erst auf dem Heimweg ließ sie den Tränen freien Lauf. Sie war vollkommen pleite und hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen.
Noch einmal füllte sie jetzt Wasser und Eistee nach und ging dann in die Küche. Ricky, einer der Köche, zwinkerte ihr zu. Das tat er immer, wenn er sie sah. Vor zwei Tagen hatte er sie gefragt, ob sie Lust hätte, mal mit ihm auszugehen, und sie hatte geantwortet, sie würde sich aus Prinzip nicht mit Leuten aus dem Job verabreden. Aber sie befürchtete, dass er es nochmal versuchen könnte. Hoffentlich nicht!
»Ich glaube, heute lässt der Betrieb nicht nach«, brummelte Ricky. Er war blond und schlaksig, vielleicht ein, zwei Jahre jünger als Katie, und wohnte noch bei seinen Eltern. »Jedes Mal, wenn wir denken, jetzt wird es ein bisschen ruhiger, schwappt eine neue Welle Gäste herein.«
»Das liegt am schönen Wetter.«
»Aber warum kommen die Leute hierher? An solch einem herrlichen Tag wie heute muss man doch an den Strand gehen! Oder zum Angeln. Das werde ich jedenfalls tun, sobald ich hier fertig bin.«
»Klingt gut. «
»Soll ich dich nach Hause fahren?«
Das Angebot machte er ihr mindestens zweimal in der Woche. »Nein, danke, nur keine Umstände. Ich wohne ja ganz in der Nähe.«
»Es wäre überhaupt kein Umstand. Ich mache so was gern«, sagte er.
»Und mir tut es gut, wenn ich noch ein bisschen zu Fuß gehe.«
Sie reichte ihm ihren Bestellzettel, Ricky klemmte ihn an das Rad und brachte ihr eins der zuvor bestellten Gerichte. Sie trug den Teller zu dem entsprechenden Tisch in ihrem Bereich.
Das Ivan's war hier in der Gegend eine Institution. Seit fast dreißig Jahren gab es dieses Restaurant. Inzwischen kannte Katie schon die meisten Stammgäste. Heute waren allerdings auch viele Leute da, die sie noch nie gesehen hatte. Paare, die flirteten. Paare, die sich gegenseitig ignorierten. Familien. Niemand schien hier fremd zu sein, niemand fragte nach ihr, aber es passierte doch immer wieder, dass ihre Hände plötzlich anfingen zu zittern. Und nachts ließ sie immer noch das Licht an, wenn sie schlief.
Katie hatte kurze kastanienbraune Haare, die sie selbst färbte - in der Küchenspüle des winzigen Häuschens, in dem sie zur Miete wohnte. Sie trug kein Make-up. Bei dem sonnigen Wetter bekam sie bestimmt ein bisschen Farbe. Hoffentlich nicht zu viel! Sie nahm sich vor, Sonnenlotion zu kaufen. Aber wenn sie die Miete samt Nebenkosten bezahlt hatte, blieb nicht viel übrig für irgendwelchen Luxus. Selbst Sonnencreme war eigentlich zu teuer. Der Job hier im Restaurant gefiel ihr, und sie war sehr froh, dass sie ihn bekommen hatte, aber das Essen war nicht besonders kostspielig, was zur Folge hatte, dass die Leute auch nur wenig Trinkgeld gaben. Weil Katie zu Hause nur Reis, Bohnen, Nudeln und Haferflocken aß, hatte sie in den letzten vier Monaten ziemlich abgenommen. Sie konnte ihre Rippen zählen, und bis vor ein paar Wochen hatte sie so dunkle Ringe unter den Augen gehabt, dass sie schon befürchtete, sie würden nie mehr weggehen.
»Ich glaube, diese Typen beobachten dich«, sagte Melody und deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Tisch mit den vier Männern vom Filmstudio. »Vor allem der Gutaussehende mit den braunen Haaren.«
»Ach ja?« Katie setzte eine frische Kanne Kaffee auf. Alles, was man zu Melody sagte, machte blitzschnell die Runde. Deshalb sagte sie immer möglichst wenig.
»Wie bitte? Findest du ihn nicht süß?«
»Mir ist er gar nicht aufgefallen.«
»Aber dir muss doch auffallen, wenn einer so toll aussieht!« Melody starrte sie ungläubig an.
Genau wie Ricky war Melody wenige Jahre jünger als sie, also etwa fünfundzwanzig. Ein freches kleines Biest mit rotbraunen Haaren und grünen Augen. Sie war mit einem jungen Mann namens Steve zusammen, der für den Heimwerkerladen im anderen Teil der Stadt die Lieferungen ausfuhr. Wie alle hier im Restaurant war sie in Southport aufgewachsen. Ihrer Meinung nach war die Stadt ein Paradies für Kinder, Familien und ältere Menschen - aber für Alleinstehende war Southport der schlechteste Ort auf der Welt. Mindestens einmal in der Woche erzählte Melody Katie, sie werde demnächst nach Wilmington ziehen, weil es dort mehr Bars und Clubs gab und man viel besser einkaufen konnte. Sie schien alles über jeden zu wissen. Tratsch war Melodys eigentliche Berufung, dachte Katie manchmal.
»Ich hab gehört, dass Ricky mit dir ausgehen will«, sagte Melody jetzt. »Aber du hast abgelehnt, stimmt's?« »Ich gehe nicht gern mit Leuten von der Arbeit aus.«
Katie tat so, als müsse sie sich ganz darauf konzentrieren, das Besteck zu sortieren.
»Wir könnten doch ein Doppel-Date machen. Ricky und Steve gehen nämlich oft miteinander angeln.«
Katie hätte gern gewusst, ob Ricky hinter diesem Vorschlag steckte oder ob Melody von sich aus darauf gekommen war. Vielleicht stimmte beides. Abends, wenn das Restaurant schloss, blieben die meisten Mitarbeiter noch eine Weile da und tranken gemeinsam ein paar Bier. Außer Katie arbeiteten alle schon seit Jahren im Ivan's.
»Ich finde die Idee nicht so gut«, wehrte Katie ab - vorsichtig, aber bestimmt.
»Warum nicht?«
»Ich habe mal schlechte Erfahrungen gemacht, als ich mit jemandem vom Job ausgegangen bin«, antwortete Katie. »Damals habe ich mir vorgenommen, das nie wieder zu tun.«
Melody verdrehte die Augen und ging zurück zu ihren Tischen. Katie legte zwei Schecks in die Kasse und räumte leere Teller weg. Sie sorgte dafür, dass sie immer etwas zu tun hatte, denn eigentlich wollte sie nur eins: arbeiten und unsichtbar sein. Mit gesenktem Kopf wischte sie die Theke, bis sie blitzte und blinkte. Wenn man sich ständig beschäftigte, verging die Zeit schneller. Sie flirtete nicht mit dem Mann vom Filmstudio, und als er ging, drehte er sich nicht nach ihr um.
Katie arbeitete beide Schichten, Mittag- und Abendessen. Wenn es abends langsam dunkel wurde, beobachtete sie immer, wie der Himmel am westlichen Rand der Welt die Farben wechselte: von Blau zu Grau, dann zu Orange und Gelb. Das sah wunderschön aus. Die letzten Sonnenstrahlen ließen das Wasser glitzern, die Segelboote neigten sich in der Brise. Die Nadeln der Kiefern schimmerten im Abglanz der sinkenden Sonne, die dann bald hinter dem Horizont verschwand. Und schon drehte Ivan die Gasstrahler auf, und die Windungen glühten hell wie Irrlichter. Katie hatte Farbe bekommen, und von der Hitze der Heizstrahler brannte ihre Haut.
Abby und Big Dave ersetzten Melody und Ricky während der Abendschicht. Abby ging noch zur Schule, letzte Klasse, und sie kicherte oft und gern. Big Dave kochte seit fast zwanzig Jahren im Ivan's. Er war verheiratet, hatte zwei Kinder und wog fast hundertvierzig Kilo. Auf seinem rechten Unterarm prangte ein Skorpion-Tattoo. Wenn er in der Küche war, glänzte sein Gesicht immer vom Schweiß. Er war ein richtiger Spaßvogel, sehr umgänglich und hatte für jeden einen speziellen Spitznamen. Katie nannte er immer Katie Kat.
Die Abendstoßzeit dauerte bis neun Uhr. Als der Ansturm etwas nachließ, begann Katie schon mal aufzuräumen. Während die letzten Gäste zu Ende aßen, half sie den Küchenhilfen, das Geschirr in die Spülmaschine zu laden. An einem ihrer Tische saß noch ein junges Paar. Die beiden hielten sich zärtlich an den Händen, und Katie hatte die Ringe an ihren Fingern gesehen. Zwei attraktive junge Menschen. Plötzlich hatte sie ein Dgijà-vu. Früher war es bei ihr auch so gewesen, aber das war lange her. Ein Augenblick des Glücks, der schnell verging. Sie hatte sich geirrt und musste bald einsehen, dass alles nur eine Illusion war ... Abrupt wandte sie sich von dem Liebespaar ab. Ach, am liebsten würde sie diese Erinnerungen für immer auslöschen. Und auch diese Gefühle wollte sie nie wieder haben.
KAPITEL 2
Am nächsten Morgen trat Katie mit einer Tasse Kaffee auf ihre Veranda. Die Bretter knarrten unüberhörbar. Nachdenklich beugte sie sich übers Geländer. Zwischen dem wild wuchernden Gras in den ehemaligen Blumenbeeten konnte man die ersten Lilien ahnen. Als sie die Tasse an die Lippen führte, atmete sie mit geschlossenen Augen das feine Aroma ein.
Es gefiel ihr hier. Southport war weder Boston noch Philadelphia oder Atlantic City, es war nicht wie die Großstädte mit dem dichten Verkehr, dem Lärm, dem Gestank und den Menschenmassen, die durch die Straßen hetzten. Zum ersten Mal im Leben hatte Katie eine eigene Wohnung. Das Cottage war nichts Besonderes, aber hier, am Rand der Stadt, lebte sie ungestört, und das genügte ihr. Es gab noch ein zweites Häuschen, auch am Ende der Schotterstraße, und es sah fast genauso aus wie Katies Cottage. Zwei ehemalige Jagdhütten mit Wänden aus Holzplanken. Dahinter kam gleich der Wald, der sich bis zur Küste erstreckte, wunderschöne alte Eichen und Kiefern. Ihr Wohnzimmer und ihre Küche waren klein, und im Schlafzimmer gab es keinen Einbauschrank, aber dafür war das Cottage möbliert, samt Schaukelstühlen auf der vorderen Veranda, und die Miete war extrem günstig. Insgesamt war alles gut in Schuss, aber man merkte doch, dass sich jahrelang niemand richtig um das Häuschen gekümmert hatte. Deshalb hatte der Besitzer Katie angeboten, ihr das Material zur Verfügung zu stellen, wenn sie es ein bisschen renovierte. Seit sie eingezogen war, hatte sie den größten Teil ihrer Freizeit damit verbracht, auf allen vieren herumzukriechen oder auf Stühle zu klettern: Sie schrubbte das Badezimmer makellos sauber, sogar die Decke rieb sie mit einem feuchten Lappen ab. Die Fenster putzte sie mit Essig, und sie kniete stundenlang auf dem Fußboden in der Küche, um den klebrigen Schmutz vom Linoleum zu entfernen. Die Löcher in der Wand besserte sie mit Gips aus, bis alles glatt war. In der Küche strich sie die Wände knallgelb, die Schränke in einem strahlenden Weiß. Ihr Schlafzimmer war jetzt hellblau, das Wohnzimmer dezent eierschalfarben, und letzte Woche hatte sie einen bunten Überwurf für das Sofa gekauft, wodurch es fast aussah wie neu.
Inzwischen hatte sie die wichtigsten Renovierungsarbeiten abgeschlossen und konnte nachmittags auf der vorderen Veranda sitzen und die Bücher lesen, die sie aus der Bibliothek geliehen hatte. Einen Fernseher besaß Katie nicht, auch kein Radio, kein Handy, keine Mikrowelle. Und erst recht kein Auto. Ihre gesamten Besitztümer passten in einen einzigen Koffer. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt. Freunde hatte sie nicht. Sie sparte die Hälfte ihres Trinkgelds, jeden Abend steckte sie die Geldscheine zusammengefaltet in eine Kaffeedose, die sie in einem Hohlraum unter der Veranda versteckte. Dieses Geld war ihre Reserve für Notsituationen. Sie würde lieber hungern, als es anzurühren. Die Ersparnisse empfand sie als beruhigend, sie ließen sie besser schlafen. Trotzdem: Die Vergangenheit war immer da und konnte sie jederzeit einholen. Die Vergangenheit suchte überall auf der Welt nach ihr und wurde mit jedem Tag wütender. Das wusste Katie.
»Guten Morgen!« Eine Stimme holte sie aus ihren Grübeleien. »Du musst Katie sein.«
Sie schaute sich um. Auf der schiefen Veranda des anderen Cottages stand eine Frau mit langen, widerspenstigen Haaren. Sie war etwa Mitte dreißig und trug Jeans und eine Bluse, deren Ärmel sie bis über die Ellbogen aufgerollt hatte. Die Sonnenbrille hatte sie in ihre zerzausten Locken hochgeschoben, und in der Hand hielt sie einen kleinen Teppich. Anscheinend überlegte sie sich, ob sie ihn ausschütteln sollte oder nicht, doch dann legte sie ihn einfach beiseite und kam auf Katie zu. Sie bewegte sich schnell und harmonisch, wie jemand, der regelmäßig Sport treibt.
»Irv Benson hat mir schon erzählt, dass wir Nachbarn sind.«
Irv war der Hausbesitzer. »Ich habe gar nicht gemerkt, dass drüben jemand eingezogen ist.«
»Er konnte es auch gar nicht fassen, als ich gesagt habe, ich nehme das Haus. Er ist beinahe aus den Latschen gekippt.« Die neue Nachbarin streckte Katie die Hand hin. »Meine Freunde nennen mich Jo«, sagte sie.
»Hi«, sagte Katie und schüttelte ihre Hand.
»Ist das Wetter nicht super? Man glaubt es kaum, oder?«
»Ja, ein wunderschöner Morgen«, stimmte Katie zu und trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. »Wann bist du eingezogen?«
»Gestern Nachmittag. Und dann habe ich zu meiner großen Freude fast die ganze Nacht damit verbracht, pausenlos zu niesen. Ich glaube, Benson hat allen Staub gesammelt, den er finden konnte, und ihn dann in mein Cottage gebracht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie's da aussieht.«
Mit dem Kopf wies Katie auf ihr eigenes Häuschen. »Bei mir war's genauso.«
»Davon merkt man aber nichts mehr. Nimm's mir nicht übel, aber ich konnte es mir nicht verkneifen, von meiner Küche einen Blick in dein Fenster zu werfen. Deine Wohnung wirkt so hell und freundlich, während ich in einem dunklen Verlies mit lauter Spinnen hause.«
»Mr Benson hat mir erlaubt, alles neu zu streichen.«
»Das glaube ich sofort. Wenn er's nicht selbst erledigen muss, wäre das bei mir sicher auch kein Problem. Ich mache die ganze Arbeit, und er hat anschließend ein schönes, sauberes Cottage.« Sie grinste vergnügt. »Wie lange wohnst du schon hier?«
Katie verschränkte die Arme. Langsam wurde ihr die Morgensonne fast zu warm auf dem Gesicht. »Ziemlich genau zwei Monate.«
»Ich weiß nicht, ob ich es so lange aushalte. Wenn ich dauernd so niesen muss wie letzte Nacht, fällt mir vorher der Kopf vom Hals.« Jo nahm ihre Sonnenbrille aus den Haaren und begann, mit dem Zipfel ihrer Bluse die Gläser zu reinigen. »Wie gefällt es dir in Southport? Hier ist es anders als im Rest der Welt, findest du nicht auch?«
»Wie meinst du das?«
»Du klingst nicht so, als kämst du aus unserer Gegend. Ich würde mal raten, du kommst aus dem Norden.«
Nach einem kurzen, fast unmerklichen Zögern nickte Katie.
...
Übersetzung: Adelheid Zöfel
Copyright © 2011 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Geschickt schlängelte sich Katie zwischen den Tischen durch. Auf dem linken Arm balancierte sie drei Teller, einen vierten auf der rechten Hand, während eine frische Brise vom Atlantik ihre Haare zerzauste. Sie trug Jeans und dazu ein T-Shirt, auf dem stand: Ivan's: Versuchen Sie den Fisch - frischer als frisch! Die Teller waren für vier Männer in Polohemden bestimmt, und der Mann, der ihr am nächsten saß, musterte sie mit einem freundlichen Grinsen. Er tat so, als wäre er einfach ein netter Mensch, aber Katie spürte genau, dass er ihr interessiert nachschaute, als sie wieder ging. Melody hatte ihr erzählt, die vier Herren seien aus Wilmington und hielten Ausschau nach Locations für Filmdreharbeiten.
Katie holte noch einen Krug mit Eistee und füllte ihre Gläser nach, ehe sie zur Theke zurückging. Verstohlen schaute sie hinaus aufs Wasser. Es war Ende April, weder warm noch kalt, sondern die perfekte Temperatur, der Himmel war bis zum Horizont strahlend blau, und die spiegelglatte Oberfläche des Intracoastal Waterway, dieser wunderschönen Wasserstraße, die von Florida nach Massachusetts führte, reflektierte die Farbe des Himmels. Mindestens ein Dutzend Möwen hockte auf dem Geländer der Terrasse, und alle lauerten darauf, dass einer der Gäste ein paar Krumen unter den Tisch fallen ließ, die sie sich schnappen konnten.
Ivan Smith, der Besitzer des Restaurants, hasste die Möwen. Er bezeichnete sie als »Ratten mit Flügeln« und war schon zweimal am Geländer entlanggegangen, einen Pümpel mit Holzgriff in der Hand, um die Möwen zu vertreiben. Melody flüsterte Katie zu, sie mache sich mehr Sorgen wegen des Pümpels und wo der wohl vorher gewesen sei, als wegen der Möwen. Katie sagte nichts.
Sie füllte eine neue Karaffe mit Eistee und wischte die Theke gründlich sauber. Gleich darauf tippte ihr jemand auf die Schulter, und sie drehte sich um. Es war Ivans Tochter Eileen, ein hübsches Mädchen mit Pferdeschwanz, erst neunzehn Jahre alt. Sie arbeitete Teilzeit als Restaurant-Hostess, das heißt, sie führte die Gäste an ihre Tische.
»Katie - meinst du, du könntest noch einen zusätzlichen Tisch übernehmen?«
Kurz ließ Katie ihren Blick über die Gäste schweifen und ging im Kopf ihren Arbeitsrhythmus durch, dann nickte sie. »Ja, gern.«
Eileen eilte die Treppe hinunter. Von den Tischen in der Nähe konnte Katie Gesprächsfetzen aufschnappen: Die Leute unterhielten sich über ihre Freunde, ihre Familien, über das Wetter oder das Angeln. Sie sah, wie am Tisch in der Ecke zwei Leute ihre Speisekarten zuklappten. Rasch ging sie zu ihnen hinüber und nahm die Bestellung auf, blieb aber nicht an ihrem Tisch stehen, um noch ein bisschen zu plaudern, wie Melody das immer machte. Katie hatte kein Talent für Smalltalk, aber sie war flink und höflich, und die Gäste schien es nicht zu stören, dass sie kaum mit ihnen redete.
Seit Anfang März arbeitete sie hier im Restaurant. Ivan hatte sie an einem kalten, sonnigen Nachmittag eingestellt.
Der Himmel war auch damals blitzblau, und als Ivan ihr sagte, dass sie gleich am nächsten Montag anfangen könne zu arbeiten, musste sie sich richtig zusammenreißen, denn sie hätte fast geweint vor Dankbarkeit. Erst auf dem Heimweg ließ sie den Tränen freien Lauf. Sie war vollkommen pleite und hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen.
Noch einmal füllte sie jetzt Wasser und Eistee nach und ging dann in die Küche. Ricky, einer der Köche, zwinkerte ihr zu. Das tat er immer, wenn er sie sah. Vor zwei Tagen hatte er sie gefragt, ob sie Lust hätte, mal mit ihm auszugehen, und sie hatte geantwortet, sie würde sich aus Prinzip nicht mit Leuten aus dem Job verabreden. Aber sie befürchtete, dass er es nochmal versuchen könnte. Hoffentlich nicht!
»Ich glaube, heute lässt der Betrieb nicht nach«, brummelte Ricky. Er war blond und schlaksig, vielleicht ein, zwei Jahre jünger als Katie, und wohnte noch bei seinen Eltern. »Jedes Mal, wenn wir denken, jetzt wird es ein bisschen ruhiger, schwappt eine neue Welle Gäste herein.«
»Das liegt am schönen Wetter.«
»Aber warum kommen die Leute hierher? An solch einem herrlichen Tag wie heute muss man doch an den Strand gehen! Oder zum Angeln. Das werde ich jedenfalls tun, sobald ich hier fertig bin.«
»Klingt gut. «
»Soll ich dich nach Hause fahren?«
Das Angebot machte er ihr mindestens zweimal in der Woche. »Nein, danke, nur keine Umstände. Ich wohne ja ganz in der Nähe.«
»Es wäre überhaupt kein Umstand. Ich mache so was gern«, sagte er.
»Und mir tut es gut, wenn ich noch ein bisschen zu Fuß gehe.«
Sie reichte ihm ihren Bestellzettel, Ricky klemmte ihn an das Rad und brachte ihr eins der zuvor bestellten Gerichte. Sie trug den Teller zu dem entsprechenden Tisch in ihrem Bereich.
Das Ivan's war hier in der Gegend eine Institution. Seit fast dreißig Jahren gab es dieses Restaurant. Inzwischen kannte Katie schon die meisten Stammgäste. Heute waren allerdings auch viele Leute da, die sie noch nie gesehen hatte. Paare, die flirteten. Paare, die sich gegenseitig ignorierten. Familien. Niemand schien hier fremd zu sein, niemand fragte nach ihr, aber es passierte doch immer wieder, dass ihre Hände plötzlich anfingen zu zittern. Und nachts ließ sie immer noch das Licht an, wenn sie schlief.
Katie hatte kurze kastanienbraune Haare, die sie selbst färbte - in der Küchenspüle des winzigen Häuschens, in dem sie zur Miete wohnte. Sie trug kein Make-up. Bei dem sonnigen Wetter bekam sie bestimmt ein bisschen Farbe. Hoffentlich nicht zu viel! Sie nahm sich vor, Sonnenlotion zu kaufen. Aber wenn sie die Miete samt Nebenkosten bezahlt hatte, blieb nicht viel übrig für irgendwelchen Luxus. Selbst Sonnencreme war eigentlich zu teuer. Der Job hier im Restaurant gefiel ihr, und sie war sehr froh, dass sie ihn bekommen hatte, aber das Essen war nicht besonders kostspielig, was zur Folge hatte, dass die Leute auch nur wenig Trinkgeld gaben. Weil Katie zu Hause nur Reis, Bohnen, Nudeln und Haferflocken aß, hatte sie in den letzten vier Monaten ziemlich abgenommen. Sie konnte ihre Rippen zählen, und bis vor ein paar Wochen hatte sie so dunkle Ringe unter den Augen gehabt, dass sie schon befürchtete, sie würden nie mehr weggehen.
»Ich glaube, diese Typen beobachten dich«, sagte Melody und deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Tisch mit den vier Männern vom Filmstudio. »Vor allem der Gutaussehende mit den braunen Haaren.«
»Ach ja?« Katie setzte eine frische Kanne Kaffee auf. Alles, was man zu Melody sagte, machte blitzschnell die Runde. Deshalb sagte sie immer möglichst wenig.
»Wie bitte? Findest du ihn nicht süß?«
»Mir ist er gar nicht aufgefallen.«
»Aber dir muss doch auffallen, wenn einer so toll aussieht!« Melody starrte sie ungläubig an.
Genau wie Ricky war Melody wenige Jahre jünger als sie, also etwa fünfundzwanzig. Ein freches kleines Biest mit rotbraunen Haaren und grünen Augen. Sie war mit einem jungen Mann namens Steve zusammen, der für den Heimwerkerladen im anderen Teil der Stadt die Lieferungen ausfuhr. Wie alle hier im Restaurant war sie in Southport aufgewachsen. Ihrer Meinung nach war die Stadt ein Paradies für Kinder, Familien und ältere Menschen - aber für Alleinstehende war Southport der schlechteste Ort auf der Welt. Mindestens einmal in der Woche erzählte Melody Katie, sie werde demnächst nach Wilmington ziehen, weil es dort mehr Bars und Clubs gab und man viel besser einkaufen konnte. Sie schien alles über jeden zu wissen. Tratsch war Melodys eigentliche Berufung, dachte Katie manchmal.
»Ich hab gehört, dass Ricky mit dir ausgehen will«, sagte Melody jetzt. »Aber du hast abgelehnt, stimmt's?« »Ich gehe nicht gern mit Leuten von der Arbeit aus.«
Katie tat so, als müsse sie sich ganz darauf konzentrieren, das Besteck zu sortieren.
»Wir könnten doch ein Doppel-Date machen. Ricky und Steve gehen nämlich oft miteinander angeln.«
Katie hätte gern gewusst, ob Ricky hinter diesem Vorschlag steckte oder ob Melody von sich aus darauf gekommen war. Vielleicht stimmte beides. Abends, wenn das Restaurant schloss, blieben die meisten Mitarbeiter noch eine Weile da und tranken gemeinsam ein paar Bier. Außer Katie arbeiteten alle schon seit Jahren im Ivan's.
»Ich finde die Idee nicht so gut«, wehrte Katie ab - vorsichtig, aber bestimmt.
»Warum nicht?«
»Ich habe mal schlechte Erfahrungen gemacht, als ich mit jemandem vom Job ausgegangen bin«, antwortete Katie. »Damals habe ich mir vorgenommen, das nie wieder zu tun.«
Melody verdrehte die Augen und ging zurück zu ihren Tischen. Katie legte zwei Schecks in die Kasse und räumte leere Teller weg. Sie sorgte dafür, dass sie immer etwas zu tun hatte, denn eigentlich wollte sie nur eins: arbeiten und unsichtbar sein. Mit gesenktem Kopf wischte sie die Theke, bis sie blitzte und blinkte. Wenn man sich ständig beschäftigte, verging die Zeit schneller. Sie flirtete nicht mit dem Mann vom Filmstudio, und als er ging, drehte er sich nicht nach ihr um.
Katie arbeitete beide Schichten, Mittag- und Abendessen. Wenn es abends langsam dunkel wurde, beobachtete sie immer, wie der Himmel am westlichen Rand der Welt die Farben wechselte: von Blau zu Grau, dann zu Orange und Gelb. Das sah wunderschön aus. Die letzten Sonnenstrahlen ließen das Wasser glitzern, die Segelboote neigten sich in der Brise. Die Nadeln der Kiefern schimmerten im Abglanz der sinkenden Sonne, die dann bald hinter dem Horizont verschwand. Und schon drehte Ivan die Gasstrahler auf, und die Windungen glühten hell wie Irrlichter. Katie hatte Farbe bekommen, und von der Hitze der Heizstrahler brannte ihre Haut.
Abby und Big Dave ersetzten Melody und Ricky während der Abendschicht. Abby ging noch zur Schule, letzte Klasse, und sie kicherte oft und gern. Big Dave kochte seit fast zwanzig Jahren im Ivan's. Er war verheiratet, hatte zwei Kinder und wog fast hundertvierzig Kilo. Auf seinem rechten Unterarm prangte ein Skorpion-Tattoo. Wenn er in der Küche war, glänzte sein Gesicht immer vom Schweiß. Er war ein richtiger Spaßvogel, sehr umgänglich und hatte für jeden einen speziellen Spitznamen. Katie nannte er immer Katie Kat.
Die Abendstoßzeit dauerte bis neun Uhr. Als der Ansturm etwas nachließ, begann Katie schon mal aufzuräumen. Während die letzten Gäste zu Ende aßen, half sie den Küchenhilfen, das Geschirr in die Spülmaschine zu laden. An einem ihrer Tische saß noch ein junges Paar. Die beiden hielten sich zärtlich an den Händen, und Katie hatte die Ringe an ihren Fingern gesehen. Zwei attraktive junge Menschen. Plötzlich hatte sie ein Dgijà-vu. Früher war es bei ihr auch so gewesen, aber das war lange her. Ein Augenblick des Glücks, der schnell verging. Sie hatte sich geirrt und musste bald einsehen, dass alles nur eine Illusion war ... Abrupt wandte sie sich von dem Liebespaar ab. Ach, am liebsten würde sie diese Erinnerungen für immer auslöschen. Und auch diese Gefühle wollte sie nie wieder haben.
KAPITEL 2
Am nächsten Morgen trat Katie mit einer Tasse Kaffee auf ihre Veranda. Die Bretter knarrten unüberhörbar. Nachdenklich beugte sie sich übers Geländer. Zwischen dem wild wuchernden Gras in den ehemaligen Blumenbeeten konnte man die ersten Lilien ahnen. Als sie die Tasse an die Lippen führte, atmete sie mit geschlossenen Augen das feine Aroma ein.
Es gefiel ihr hier. Southport war weder Boston noch Philadelphia oder Atlantic City, es war nicht wie die Großstädte mit dem dichten Verkehr, dem Lärm, dem Gestank und den Menschenmassen, die durch die Straßen hetzten. Zum ersten Mal im Leben hatte Katie eine eigene Wohnung. Das Cottage war nichts Besonderes, aber hier, am Rand der Stadt, lebte sie ungestört, und das genügte ihr. Es gab noch ein zweites Häuschen, auch am Ende der Schotterstraße, und es sah fast genauso aus wie Katies Cottage. Zwei ehemalige Jagdhütten mit Wänden aus Holzplanken. Dahinter kam gleich der Wald, der sich bis zur Küste erstreckte, wunderschöne alte Eichen und Kiefern. Ihr Wohnzimmer und ihre Küche waren klein, und im Schlafzimmer gab es keinen Einbauschrank, aber dafür war das Cottage möbliert, samt Schaukelstühlen auf der vorderen Veranda, und die Miete war extrem günstig. Insgesamt war alles gut in Schuss, aber man merkte doch, dass sich jahrelang niemand richtig um das Häuschen gekümmert hatte. Deshalb hatte der Besitzer Katie angeboten, ihr das Material zur Verfügung zu stellen, wenn sie es ein bisschen renovierte. Seit sie eingezogen war, hatte sie den größten Teil ihrer Freizeit damit verbracht, auf allen vieren herumzukriechen oder auf Stühle zu klettern: Sie schrubbte das Badezimmer makellos sauber, sogar die Decke rieb sie mit einem feuchten Lappen ab. Die Fenster putzte sie mit Essig, und sie kniete stundenlang auf dem Fußboden in der Küche, um den klebrigen Schmutz vom Linoleum zu entfernen. Die Löcher in der Wand besserte sie mit Gips aus, bis alles glatt war. In der Küche strich sie die Wände knallgelb, die Schränke in einem strahlenden Weiß. Ihr Schlafzimmer war jetzt hellblau, das Wohnzimmer dezent eierschalfarben, und letzte Woche hatte sie einen bunten Überwurf für das Sofa gekauft, wodurch es fast aussah wie neu.
Inzwischen hatte sie die wichtigsten Renovierungsarbeiten abgeschlossen und konnte nachmittags auf der vorderen Veranda sitzen und die Bücher lesen, die sie aus der Bibliothek geliehen hatte. Einen Fernseher besaß Katie nicht, auch kein Radio, kein Handy, keine Mikrowelle. Und erst recht kein Auto. Ihre gesamten Besitztümer passten in einen einzigen Koffer. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt. Freunde hatte sie nicht. Sie sparte die Hälfte ihres Trinkgelds, jeden Abend steckte sie die Geldscheine zusammengefaltet in eine Kaffeedose, die sie in einem Hohlraum unter der Veranda versteckte. Dieses Geld war ihre Reserve für Notsituationen. Sie würde lieber hungern, als es anzurühren. Die Ersparnisse empfand sie als beruhigend, sie ließen sie besser schlafen. Trotzdem: Die Vergangenheit war immer da und konnte sie jederzeit einholen. Die Vergangenheit suchte überall auf der Welt nach ihr und wurde mit jedem Tag wütender. Das wusste Katie.
»Guten Morgen!« Eine Stimme holte sie aus ihren Grübeleien. »Du musst Katie sein.«
Sie schaute sich um. Auf der schiefen Veranda des anderen Cottages stand eine Frau mit langen, widerspenstigen Haaren. Sie war etwa Mitte dreißig und trug Jeans und eine Bluse, deren Ärmel sie bis über die Ellbogen aufgerollt hatte. Die Sonnenbrille hatte sie in ihre zerzausten Locken hochgeschoben, und in der Hand hielt sie einen kleinen Teppich. Anscheinend überlegte sie sich, ob sie ihn ausschütteln sollte oder nicht, doch dann legte sie ihn einfach beiseite und kam auf Katie zu. Sie bewegte sich schnell und harmonisch, wie jemand, der regelmäßig Sport treibt.
»Irv Benson hat mir schon erzählt, dass wir Nachbarn sind.«
Irv war der Hausbesitzer. »Ich habe gar nicht gemerkt, dass drüben jemand eingezogen ist.«
»Er konnte es auch gar nicht fassen, als ich gesagt habe, ich nehme das Haus. Er ist beinahe aus den Latschen gekippt.« Die neue Nachbarin streckte Katie die Hand hin. »Meine Freunde nennen mich Jo«, sagte sie.
»Hi«, sagte Katie und schüttelte ihre Hand.
»Ist das Wetter nicht super? Man glaubt es kaum, oder?«
»Ja, ein wunderschöner Morgen«, stimmte Katie zu und trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. »Wann bist du eingezogen?«
»Gestern Nachmittag. Und dann habe ich zu meiner großen Freude fast die ganze Nacht damit verbracht, pausenlos zu niesen. Ich glaube, Benson hat allen Staub gesammelt, den er finden konnte, und ihn dann in mein Cottage gebracht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie's da aussieht.«
Mit dem Kopf wies Katie auf ihr eigenes Häuschen. »Bei mir war's genauso.«
»Davon merkt man aber nichts mehr. Nimm's mir nicht übel, aber ich konnte es mir nicht verkneifen, von meiner Küche einen Blick in dein Fenster zu werfen. Deine Wohnung wirkt so hell und freundlich, während ich in einem dunklen Verlies mit lauter Spinnen hause.«
»Mr Benson hat mir erlaubt, alles neu zu streichen.«
»Das glaube ich sofort. Wenn er's nicht selbst erledigen muss, wäre das bei mir sicher auch kein Problem. Ich mache die ganze Arbeit, und er hat anschließend ein schönes, sauberes Cottage.« Sie grinste vergnügt. »Wie lange wohnst du schon hier?«
Katie verschränkte die Arme. Langsam wurde ihr die Morgensonne fast zu warm auf dem Gesicht. »Ziemlich genau zwei Monate.«
»Ich weiß nicht, ob ich es so lange aushalte. Wenn ich dauernd so niesen muss wie letzte Nacht, fällt mir vorher der Kopf vom Hals.« Jo nahm ihre Sonnenbrille aus den Haaren und begann, mit dem Zipfel ihrer Bluse die Gläser zu reinigen. »Wie gefällt es dir in Southport? Hier ist es anders als im Rest der Welt, findest du nicht auch?«
»Wie meinst du das?«
»Du klingst nicht so, als kämst du aus unserer Gegend. Ich würde mal raten, du kommst aus dem Norden.«
Nach einem kurzen, fast unmerklichen Zögern nickte Katie.
...
Übersetzung: Adelheid Zöfel
Copyright © 2011 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Nicholas Sparks
Nicholas Sparks, 1965 in Nebraska geboren, lebt in North Carolina. Mit seinen Romanen, die ausnahmslos die Bestsellerlisten eroberten und weltweit in über 50 Sprachen erscheinen, gilt Sparks als einer der meistgelesenen Autoren der Welt. Mehrere seiner Bestseller wurden erfolgreich verfilmt, drei weitere Filme sind derzeit in Planung. Alle seine Bücher sind bei Heyne erschienen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nicholas Sparks
- 2012, Erstmals im TB, 463 Seiten, 23 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Adelheid Zöfel
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453408675
- ISBN-13: 9783453408678
- Erscheinungsdatum: 08.08.2012
Rezension zu „Wie ein Licht in der Nacht “
"Eine spannende Geschichte über Einsamkeit und Zweisamkeit, die sofort mitreißt und garantiert jeden Romantiker rührt." Fernsehwoche
Kommentar zu "Wie ein Licht in der Nacht"