Wilde Glut / Gestaltwandler Bd.9
Der Gestaltwandler Drew Kincaid ist ein Jäger. Er spürt Angehörige seines Wolfsrudels auf, die ihrer animalischen Seite nachgegeben haben. In den meisten Fällen gelingt es ihm, sie zu retten und zum Rudel zurückzubringen. Manchmal bleibt ihm jedoch nichts...
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Produktinformationen zu „Wilde Glut / Gestaltwandler Bd.9 “
Klappentext zu „Wilde Glut / Gestaltwandler Bd.9 “
Der Gestaltwandler Drew Kincaid ist ein Jäger. Er spürt Angehörige seines Wolfsrudels auf, die ihrer animalischen Seite nachgegeben haben. In den meisten Fällen gelingt es ihm, sie zu retten und zum Rudel zurückzubringen. Manchmal bleibt ihm jedoch nichts weiter übrig, als sie zu töten. Drew ist insgeheim in die schöne Offizierin Indigo Riviere verliebt, die seine Gefühle zu erwidern scheint. Doch Indigos eigene Position unter den Wölfen macht eine Beziehung zwischen beiden unmöglich, wenn sie nicht die Hierarchie des Rudels gefährden wollen. Die Leidenschaft zwischen Indigo und Drew wird zu einem Spiel mit dem Feuer.
Lese-Probe zu „Wilde Glut / Gestaltwandler Bd.9 “
Nalini Singh von Wilde Glut ... mehr
Indigo wischte sich die Augen, sah aber kaum einen Sekundenbruchteil klarer. Mit unverminderter Wucht ergoss sich sintflutartiger Regen aus dem schwarzen Himmel, prasselte wie eiskaltes Trommelfeuer auf ihre Haut, schob sich wie ein undurchdringlicher Vorhang zwischen sie und den dichten Wald.
Sie senkte den Kopf und machte Meldung durch das Mikro am klitschnassen Kragen ihres schwarzen T-Shirts. »Siehst du ihn?« Eine vertraute, tiefe Stimme antwortete ihr knapp: »Etwa einen Kilometer nordwestlich. Nähere mich von der anderen Seite.« »Ein Kilometer, Richtung Nordwest«, bestätigte sie zur Sicherheit. Gestaltwandler hörten außerordentlich gut, aber der Wolkenbruch trommelte so fürchterlich auf ihren Schädel, dass der Hightech-Empfänger in ihrem Ohr nur so brummte. »Sei vorsichtig, Indy. Er ist wild.« Unter normalen Umständen hätte sie geknurrt, weil er diesen lächerlichen Kosenamen benutzt hatte, aber im Augenblick hatte sie wirklich andere Sorgen. »Musst du gerade sagen. Dich hat's doch schon erwischt.«
»Nur eine Fleischwunde. Ab jetzt Funkstille.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und pirschte vorsichtig durch den dunklen Wald. Wenn sie Joshua fangen wollten, ohne ihm größeren Schaden zuzufügen, war es das Beste, ihn in die Zange zu nehmen - das hatte ihr Jagdgefährte ganz richtig erkannt. Indigos Magen zog sich zusammen. Sie würde den Jungen nur ungern verletzen. Der Fährtensucher, der ihm auf den Fersen war, wollte das ebenso wenig - das war auch der Grund, weshalb der Junge ihn, den so viel größeren Wolf, verwundet hatte.
Aber wenn es ihnen nicht gelang, Joshua vom Abgrund zurückzureißen, würde ihnen nichts anderes übrig bleiben. Zorn und Schmerz wüteten so sehr in dem jungen Wolf, dass er sich dem Tier in sich ergeben hatte. Und der losgelassene Wolf hatte die Gefühle in wilde Wut verwandelt. Joshua war eine Gefahr für das Rudel. Doch noch war er einer von ihnen. Eher würde sie selbst verbluten oder in diesem Sturm untergehen, als Joshua zu töten, bevor nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft waren. Ein Zweig, dem sie im Unwetter nicht rechtzeitig hatte ausweichen können, ritzte ihre Wange. Spitz. Eisengeruch in der Luft. Blut.
Indigo fluchte leise. Nun würde Joshua sie wittern, wenn sie nicht aufpasste. Sie hielt ihr Gesicht in den Regen, bis das Blut abgewaschen war. Aber die Wunde war immer noch offen, der Blutgeruch zu stark, um einem Wolf zu entgehen. Indigo ließ sich auf den Boden fallen und schmierte Schlamm auf den tiefen Schnitt. Ihre Heilerin würde ihr dafür sicher das Fell über die Ohren ziehen, aber der Geruch nach feuchter Erde überdeckte alle anderen Gerüche.
Das würde reichen. Joshua war schon so hinüber, dass er den kleinen Rest Blut nicht wahrnehmen würde. »Wo steckst du?«, flüsterte sie kaum hörbar. Joshua hatte bisher niemanden versehrt oder getötet. Sie konnten ihn noch zurückbringen - falls sein Schmerz, der an der Schwelle zum Erwachsensein so überwältigend war, es ihm gestatten würde. Wind peitschte durch den Wald ... und brachte die Witterung ihrer Beute mit. Indigo lief schneller, verließ sich auf die Augen ihrer Wölfin, die andere Hälfte von ihr konnte im Dunkeln besser sehen. Die Witterung wurde immer deutlicher, dann hörte sie Wolfsgeheul. Wütendes Knurren, das Schnappen von Zähnen und der stechende Geruch nach Eisen. »Nein!« Indigo rannte so schnell sie konnte, immer mit einem Ohr beim Kampf sprang sie über umgestürzte Baumstämme und schlammige Fluten, ohne sie überhaupt wahrzunehmen. Etwa zwanzig Sekunden später war sie vor Ort, doch es kam ihr vor wie ein ganzes Leben. Ein Blitz erhellte den Himmel über der kleinen Lichtung, auf der zwei Gestaltwandlerwölfe sich im Kampf ineinander verbissen hatten. Als es wieder dunkel wurde, waren beide zu Boden gegangen, aber Indigo verlor sie nicht aus dem Blick, ihre Augen kannten nur ein Ziel. Das silberne Fell des Fährtensuchers war fast schwarz vor Nässe, er war größer, aber der kleinere Wolf mit dem rötlichen Fell hatte die Oberhand - denn der Jäger hielt sich zurück, war nicht darauf aus, zu töten. Die vor Nässe triefende Kleidung klebte Indigo so fest am Leib, dass es zu lange gedauert hätte, sie auszuziehen, deshalb verwandelte sie sich auf der Stelle. Sengender Schmerz und überbordende Freude durchfuhren sie, während
die Kleider in Fetzen davonflogen. Im Funkenregen stand eine drahtige Wölfin, der man ansah, wie schnell sie sein konnte.
Sie stürzte sich in den Kampf - der rote Wolf hatte seine Krallen gerade in die Seite des Gegners geschlagen, der größere packte ihn im Nacken. Wie schon zuvor hätte er ihn leicht töten können, aber er wollte ihn nur zwingen, aufzugeben. Doch Joshua war schon zu weit weg, er schlug mit ausgefahrenen Krallen nach dem ungeschützten Bauch des Jägers. Mit gefletschten Zähnen setzte Indigo zum Sprung an. Ihre Pranken drückten den kleineren Wolf zu Boden, der knurrte und wild um sich biss. Sie hatte kein Gefühl dafür, wie lange sie in dieser Stellung verharrten, den wilden Wolf festhielten, damit er nicht den letzten Schritt in den Abgrund tat. Die Wolfsaugen des Jägers lagen auf ihr. Leuchtendes Kupfer, eine Farbe, die sie noch bei keinem anderen Wolf oder wilden Tier oder auch Gestaltwandler gesehen hatte. Erstaunlich intelligent war dieser Blick, die meisten nahmen das gar nicht wahr, denn der Fährtensucher lachte viel und war schamlos charmant. Vielen aus dem Rudel war nicht einmal bewusst, dass er ihr Fährtensucher war und die Spur wild gewordener Wölfe durch Schnee, Sturm oder wie heute durch heftigen Regen verfolgen konnte. Und obwohl niemand ihn so nannte, war er ein Jäger und hatte die Erlaubnis zu töten, wen er nicht retten konnte. Joshua schien begriffen zu haben, wen er vor sich hatte, denn er beruhigte sich schließlich, und sie spürten, wie seine Muskeln erschlafften.
Indigo löste vorsichtig ihre Tatzen, doch Joshua blieb auch noch am Boden, als der Wolf mit dem silberfarbenen Fell ihn losließ. Besorgt nahm sie menschliche Gestalt an, die nassen Haare klebten auf ihrem nackten Rücken. Der Fährtensucher hielt Wache an ihrer Seite und rieb sein feuchtes Fell an ihrer Haut. »Joshua«, sagte sie und beugte sich vor, sie musste ihn irgendwie dazu bringen, wieder Mensch zu werden. »Deine Schwester lebt. Wir haben sie rechtzeitig ins Krankenhaus bringen können.« Nicht die Spur einer Erkenntnis glomm in den gelben Augen auf, aber so leicht war Indigo nicht zu entmutigen, schließlich war sie Offizierin der SnowDancer-Wölfe. »Sie hat nach dir gefragt, also komm lieber raus da.« Dann legte sie ihre ganze Dominanz in das nächste Wort: »Sofort!« Der junge Wolf blinzelte, und ein Zittern ging durch seinen Leib. Schließlich stand er auf schwankenden Beinen vor ihr. Sie streckte die Hand aus, und er senkte winselnd den Kopf. »Ganz ruhig«, sagte sie, griff nach seiner Schnauze und sah fest in die Wolfsaugen. Er konnte den Blick nicht halten, Joshua war noch zu jung und unterwürfig, um sich ihr entgegenzustellen. »Ich bin nicht böse«, sagte Indigo. Das war die Wahrheit, er merkte es an ihrer Stimme, an ihrem Griff, der fest war, ihm aber keine Schmerzen bereitete. »Aber du musst jetzt wieder ein Mensch werden.«
Immer noch vermied er es, ihr in die Augen zu sehen. Doch er hatte sie offenbar gehört. Denn kurz darauf sprühten Funken, und dann kniete ein knapp vierzehnjähriger Junge mit angespannter Miene vor ihnen. »Geht es ihr wirklich gut?« Seine Stimme klang immer noch rau, nach Wolf. »Habe ich dich jemals belogen?« »Ich sollte auf sie aufpassen, aber ich - « »Du hast nichts falsch gemacht.« Sie fasste sein Kinn, gab ihm durch die Berührung Halt, stellte die Verbindung zum Rudel her. »Ein Steinschlag - dagegen warst du machtlos. Ihr Arm und zwei Rippen sind gebrochen, außerdem hat sie eine coole Narbe über einer Augenbraue, die sie stolz wie ein Pfau herumzeigt.« Die Aufzählung schien Joshua zu beruhigen. »Hört sich ganz nach ihr an.« Ein zaghaftes Lächeln, ein kurzer Blick, dann sah er wieder zu Boden. Indigo musste ebenfalls lächeln - denn jetzt war er wirklich zurück, er hatte Angst vor den Konsequenzen, die ihn erwarteten. Erleichtert biss sie ihn ins Ohr. Er schrie auf und vergrub dann seinen Kopf an ihrem Hals. »Es tut mir leid.« Sie strich mit der Hand über seinen Rücken. »Schon in Ordnung. Aber wenn du so was noch mal machst, ziehe ich dir das Fell über die Ohren und nähe mir Sofabezüge draus. Ist das klar?«
Wieder ein zaghaftes Lächeln, er nickte. »Ich will jetzt nach Hause.« Er schluckte und wandte sich dann an den Fährtensucher. »Danke, dass du mich nicht umgebracht hast. Tut mir leid, dass du meinetwegen in den Regen hinaus musstest.« Der große Wolf an Indigos Seite, in dominanter Haltung mit steil aufgerichtetem Schwanz, schloss die gefährlichen Reißzähne um den Hals des Jungen. Joshua bewegte sich nicht, bis der Fährtensucher ihn wieder losließ. Die Entschuldigung war angenommen. Indigo versuchte vergebens, den Regen aus den Haaren zu schütteln. »Eine Woche lang darfst du nicht Wolf werden.« Er sah so enttäuscht aus, dass sie ihm auf die Schulter klopfte. »Das ist keine Strafe. Aber du warst zu nah am Abgrund. Lieber kein Risiko eingehen.«
»Okay, stimmt ja.« Er schwieg, in seinem Blick sah sie so etwas wie Scham. »Der Wolf ist immer schwerer im Zaum zu halten. Wie damals, als ich noch Kind war.« Das war wohl die Erklärung für seine irrationale Reaktion auf den Unfall. Indigo notierte sich im Geist, dass sie ein paar Leuten kräftig in den Hintern treten wollte. Halbwüchsige bekamen öfter mal Schwierigkeiten mit ihrer Selbstbeherrschung - Joshuas Lehrern hätte das auffallen sollen. »Das kommt manchmal vor«, sagte sie so ruhig und beiläufig wie möglich. »Ging mir auch so in deinem Alter, dafür musst du dich nicht schämen. Komm einfach sofort zu mir, wenn es wieder passiert.« Als er erleichtert nickte, nahm sie wieder Wolfsgestalt an. Der Heimweg zur Höhle - dem riesigen Tunnelsystem, gut versteckt vor allen Feinden in den Weiten der Sierra Nevada in Kalifornien - verlief ruhig. Nachdem sie etwa zehn Minuten unterwegs gewesen waren, ließ auch der Regen nach. Menschen wären sicher hundert Mal auf den schlüpfrigen Wegen ausgeglitten, doch die Wölfe waren trittsicher, ihre Schritte fest, und sie wählten die leichtesten Pfade für Joshua. Indigo ging voraus, und der Fährtensucher lief hinter dem Jungen. Sie führten Joshua bis vor die weit offen stehende Tür in der Felswand, wo seine bestürzte Mutter schon an der Seite eines Wolfs mit silbriggoldenem Fell wartete, dessen Augen so blassblau waren, dass sie beinahe wie Eis wirkten.
Der Junge fiel vor dem Leitwolf auf die Knie. Indigo und der Fährtensucher zogen sich zurück, ihre Aufgabe war erledigt. Der junge Wolf war in Sicherheit, man würde sich um ihn kümmern. Sie dagegen mussten noch ein wenig Stress abbauen und durch den Wald jagen. Indigo hatte geglaubt, sie müssten den Jungen töten. Als sie ihn früher schon einmal in die Enge getrieben hatten, hatte ihn nicht mehr viel vom Wahnsinn getrennt. Sie warf ihrem Begleiter einen Blick zu - der große Wolf hielt mit Leichtigkeit Schritt -, dann fiel ihr auf, dass er blutete. Knurrend blieb sie stehen. Er machte kurz darauf kehrt, rieb seine Nase an ihrer. Sie nahm menschliche Gestalt an und beugte sich über ihn. »Du solltest das Lara zeigen.« Ihre Heilerin konnte besser beurteilen, wie schwer seine Verletzungen waren.
Der Wolf schnappte nach ihrem Kinn und knurrte tief in der Kehle. Sie schob ihn von sich. »Muss ich dir erst den Befehl dazu geben?« Um ganz ehrlich zu sein, war sie nicht einmal sicher, ob sie das konnte - was sowohl die Frau als auch die Wölfin in ihr irritierte. Er nahm einen ungewöhnlichen Platz in der Hierarchie des Rudels ein. Er war zwar kein Offizier und noch dazu jünger als sie, aber nur dem Leitwolf selbst Rechenschaft schuldig. Als Fährtensucher waren seine Fähigkeiten sehr wichtig für die Sicherheit und das Wohlergehen des Rudels.
Wieder knurrte er und schnappte nach ihr - diesmal nach ihrer Schulter. Sie kniff die Augen zusammen. »Pass bloß auf, sonst beiße ich dir in deine vorlaute Schnauze.« Er knurrte unwillig und fletschte die Zähne. Sie schlug ihm kurz aufs Maul. »Wir gehen zurück.« Farbige Funken unter ihren Händen, dann war der silberne Wolf ein Mensch mit Augen wie Bergseen und regennassem Haar. »Das glaube ich nicht.« Bevor sie reagieren konnte, lag er auf ihr, hielt ihr Gesicht in beiden Händen und drückte seine Lippen auf ihren Mund. Heiß war diese Liebkosung, sie konnte sich kaum rühren. Und dann ... brannte es wie Feuer in ihr, sie vergrub ihre Finger in dem dicken braunen Schopf und zog seinen Kopf zurück. »Was tust du da?«, fragte sie außer Atem.
»Ich dachte, das wäre offensichtlich.« Seine Augen lachten, Sonnenstrahlen blitzten in den Seen auf, und er strich mit den Daumen über ihre Wangen. »Ich würde dich gern auffressen.« Sie nahm es nicht persönlich. »Dein Adrenalinspiegel ist noch hoch von der Jagd.« Sie schob seine Hände fort und hob leicht den Kopf. »Und der Blutverlust bewirkt ein Übriges.« Mit Regen vermischt lief eine hellrote Spur an seiner Seite hinunter. »Du musst sicher genäht werden.« »Bestimmt nicht.« Er küsste sie noch einmal und presste sie auf die Erde. Diesmal zog sie sich nicht sofort zurück. Und spürte die volle Wirkung des Kusses ... und die Erregung, die in ihr aufstieg. Ihr Herz schlug schneller, überrascht biss sie in seine Unterlippe.
»Der Boden ist kalt.« Obwohl der Schnee in diesem Teil der Sierra Nevada schon geschmolzen war, hielt sich die Kälte des Winters noch bis in den Frühling hinein. Ein reumütiger Blick. Schon lag sie auf ihm, und seine Lippen fanden wieder ihren Mund. Sie stöhnte über diesen sturen Wolf - der so wahnsinnig gut küsste, dass sie fast versucht war, ihm seinen Willen zu lassen - und drückte gegen seine Schultern. »Jetzt hoch mit dir, du Irrer, bevor der Blutverlust dich
umbringt.« Ein finsterer Blick. Dann hob Drew den Kopf zu einem weiteren Kuss.
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Indigo wischte sich die Augen, sah aber kaum einen Sekundenbruchteil klarer. Mit unverminderter Wucht ergoss sich sintflutartiger Regen aus dem schwarzen Himmel, prasselte wie eiskaltes Trommelfeuer auf ihre Haut, schob sich wie ein undurchdringlicher Vorhang zwischen sie und den dichten Wald.
Sie senkte den Kopf und machte Meldung durch das Mikro am klitschnassen Kragen ihres schwarzen T-Shirts. »Siehst du ihn?« Eine vertraute, tiefe Stimme antwortete ihr knapp: »Etwa einen Kilometer nordwestlich. Nähere mich von der anderen Seite.« »Ein Kilometer, Richtung Nordwest«, bestätigte sie zur Sicherheit. Gestaltwandler hörten außerordentlich gut, aber der Wolkenbruch trommelte so fürchterlich auf ihren Schädel, dass der Hightech-Empfänger in ihrem Ohr nur so brummte. »Sei vorsichtig, Indy. Er ist wild.« Unter normalen Umständen hätte sie geknurrt, weil er diesen lächerlichen Kosenamen benutzt hatte, aber im Augenblick hatte sie wirklich andere Sorgen. »Musst du gerade sagen. Dich hat's doch schon erwischt.«
»Nur eine Fleischwunde. Ab jetzt Funkstille.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und pirschte vorsichtig durch den dunklen Wald. Wenn sie Joshua fangen wollten, ohne ihm größeren Schaden zuzufügen, war es das Beste, ihn in die Zange zu nehmen - das hatte ihr Jagdgefährte ganz richtig erkannt. Indigos Magen zog sich zusammen. Sie würde den Jungen nur ungern verletzen. Der Fährtensucher, der ihm auf den Fersen war, wollte das ebenso wenig - das war auch der Grund, weshalb der Junge ihn, den so viel größeren Wolf, verwundet hatte.
Aber wenn es ihnen nicht gelang, Joshua vom Abgrund zurückzureißen, würde ihnen nichts anderes übrig bleiben. Zorn und Schmerz wüteten so sehr in dem jungen Wolf, dass er sich dem Tier in sich ergeben hatte. Und der losgelassene Wolf hatte die Gefühle in wilde Wut verwandelt. Joshua war eine Gefahr für das Rudel. Doch noch war er einer von ihnen. Eher würde sie selbst verbluten oder in diesem Sturm untergehen, als Joshua zu töten, bevor nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft waren. Ein Zweig, dem sie im Unwetter nicht rechtzeitig hatte ausweichen können, ritzte ihre Wange. Spitz. Eisengeruch in der Luft. Blut.
Indigo fluchte leise. Nun würde Joshua sie wittern, wenn sie nicht aufpasste. Sie hielt ihr Gesicht in den Regen, bis das Blut abgewaschen war. Aber die Wunde war immer noch offen, der Blutgeruch zu stark, um einem Wolf zu entgehen. Indigo ließ sich auf den Boden fallen und schmierte Schlamm auf den tiefen Schnitt. Ihre Heilerin würde ihr dafür sicher das Fell über die Ohren ziehen, aber der Geruch nach feuchter Erde überdeckte alle anderen Gerüche.
Das würde reichen. Joshua war schon so hinüber, dass er den kleinen Rest Blut nicht wahrnehmen würde. »Wo steckst du?«, flüsterte sie kaum hörbar. Joshua hatte bisher niemanden versehrt oder getötet. Sie konnten ihn noch zurückbringen - falls sein Schmerz, der an der Schwelle zum Erwachsensein so überwältigend war, es ihm gestatten würde. Wind peitschte durch den Wald ... und brachte die Witterung ihrer Beute mit. Indigo lief schneller, verließ sich auf die Augen ihrer Wölfin, die andere Hälfte von ihr konnte im Dunkeln besser sehen. Die Witterung wurde immer deutlicher, dann hörte sie Wolfsgeheul. Wütendes Knurren, das Schnappen von Zähnen und der stechende Geruch nach Eisen. »Nein!« Indigo rannte so schnell sie konnte, immer mit einem Ohr beim Kampf sprang sie über umgestürzte Baumstämme und schlammige Fluten, ohne sie überhaupt wahrzunehmen. Etwa zwanzig Sekunden später war sie vor Ort, doch es kam ihr vor wie ein ganzes Leben. Ein Blitz erhellte den Himmel über der kleinen Lichtung, auf der zwei Gestaltwandlerwölfe sich im Kampf ineinander verbissen hatten. Als es wieder dunkel wurde, waren beide zu Boden gegangen, aber Indigo verlor sie nicht aus dem Blick, ihre Augen kannten nur ein Ziel. Das silberne Fell des Fährtensuchers war fast schwarz vor Nässe, er war größer, aber der kleinere Wolf mit dem rötlichen Fell hatte die Oberhand - denn der Jäger hielt sich zurück, war nicht darauf aus, zu töten. Die vor Nässe triefende Kleidung klebte Indigo so fest am Leib, dass es zu lange gedauert hätte, sie auszuziehen, deshalb verwandelte sie sich auf der Stelle. Sengender Schmerz und überbordende Freude durchfuhren sie, während
die Kleider in Fetzen davonflogen. Im Funkenregen stand eine drahtige Wölfin, der man ansah, wie schnell sie sein konnte.
Sie stürzte sich in den Kampf - der rote Wolf hatte seine Krallen gerade in die Seite des Gegners geschlagen, der größere packte ihn im Nacken. Wie schon zuvor hätte er ihn leicht töten können, aber er wollte ihn nur zwingen, aufzugeben. Doch Joshua war schon zu weit weg, er schlug mit ausgefahrenen Krallen nach dem ungeschützten Bauch des Jägers. Mit gefletschten Zähnen setzte Indigo zum Sprung an. Ihre Pranken drückten den kleineren Wolf zu Boden, der knurrte und wild um sich biss. Sie hatte kein Gefühl dafür, wie lange sie in dieser Stellung verharrten, den wilden Wolf festhielten, damit er nicht den letzten Schritt in den Abgrund tat. Die Wolfsaugen des Jägers lagen auf ihr. Leuchtendes Kupfer, eine Farbe, die sie noch bei keinem anderen Wolf oder wilden Tier oder auch Gestaltwandler gesehen hatte. Erstaunlich intelligent war dieser Blick, die meisten nahmen das gar nicht wahr, denn der Fährtensucher lachte viel und war schamlos charmant. Vielen aus dem Rudel war nicht einmal bewusst, dass er ihr Fährtensucher war und die Spur wild gewordener Wölfe durch Schnee, Sturm oder wie heute durch heftigen Regen verfolgen konnte. Und obwohl niemand ihn so nannte, war er ein Jäger und hatte die Erlaubnis zu töten, wen er nicht retten konnte. Joshua schien begriffen zu haben, wen er vor sich hatte, denn er beruhigte sich schließlich, und sie spürten, wie seine Muskeln erschlafften.
Indigo löste vorsichtig ihre Tatzen, doch Joshua blieb auch noch am Boden, als der Wolf mit dem silberfarbenen Fell ihn losließ. Besorgt nahm sie menschliche Gestalt an, die nassen Haare klebten auf ihrem nackten Rücken. Der Fährtensucher hielt Wache an ihrer Seite und rieb sein feuchtes Fell an ihrer Haut. »Joshua«, sagte sie und beugte sich vor, sie musste ihn irgendwie dazu bringen, wieder Mensch zu werden. »Deine Schwester lebt. Wir haben sie rechtzeitig ins Krankenhaus bringen können.« Nicht die Spur einer Erkenntnis glomm in den gelben Augen auf, aber so leicht war Indigo nicht zu entmutigen, schließlich war sie Offizierin der SnowDancer-Wölfe. »Sie hat nach dir gefragt, also komm lieber raus da.« Dann legte sie ihre ganze Dominanz in das nächste Wort: »Sofort!« Der junge Wolf blinzelte, und ein Zittern ging durch seinen Leib. Schließlich stand er auf schwankenden Beinen vor ihr. Sie streckte die Hand aus, und er senkte winselnd den Kopf. »Ganz ruhig«, sagte sie, griff nach seiner Schnauze und sah fest in die Wolfsaugen. Er konnte den Blick nicht halten, Joshua war noch zu jung und unterwürfig, um sich ihr entgegenzustellen. »Ich bin nicht böse«, sagte Indigo. Das war die Wahrheit, er merkte es an ihrer Stimme, an ihrem Griff, der fest war, ihm aber keine Schmerzen bereitete. »Aber du musst jetzt wieder ein Mensch werden.«
Immer noch vermied er es, ihr in die Augen zu sehen. Doch er hatte sie offenbar gehört. Denn kurz darauf sprühten Funken, und dann kniete ein knapp vierzehnjähriger Junge mit angespannter Miene vor ihnen. »Geht es ihr wirklich gut?« Seine Stimme klang immer noch rau, nach Wolf. »Habe ich dich jemals belogen?« »Ich sollte auf sie aufpassen, aber ich - « »Du hast nichts falsch gemacht.« Sie fasste sein Kinn, gab ihm durch die Berührung Halt, stellte die Verbindung zum Rudel her. »Ein Steinschlag - dagegen warst du machtlos. Ihr Arm und zwei Rippen sind gebrochen, außerdem hat sie eine coole Narbe über einer Augenbraue, die sie stolz wie ein Pfau herumzeigt.« Die Aufzählung schien Joshua zu beruhigen. »Hört sich ganz nach ihr an.« Ein zaghaftes Lächeln, ein kurzer Blick, dann sah er wieder zu Boden. Indigo musste ebenfalls lächeln - denn jetzt war er wirklich zurück, er hatte Angst vor den Konsequenzen, die ihn erwarteten. Erleichtert biss sie ihn ins Ohr. Er schrie auf und vergrub dann seinen Kopf an ihrem Hals. »Es tut mir leid.« Sie strich mit der Hand über seinen Rücken. »Schon in Ordnung. Aber wenn du so was noch mal machst, ziehe ich dir das Fell über die Ohren und nähe mir Sofabezüge draus. Ist das klar?«
Wieder ein zaghaftes Lächeln, er nickte. »Ich will jetzt nach Hause.« Er schluckte und wandte sich dann an den Fährtensucher. »Danke, dass du mich nicht umgebracht hast. Tut mir leid, dass du meinetwegen in den Regen hinaus musstest.« Der große Wolf an Indigos Seite, in dominanter Haltung mit steil aufgerichtetem Schwanz, schloss die gefährlichen Reißzähne um den Hals des Jungen. Joshua bewegte sich nicht, bis der Fährtensucher ihn wieder losließ. Die Entschuldigung war angenommen. Indigo versuchte vergebens, den Regen aus den Haaren zu schütteln. »Eine Woche lang darfst du nicht Wolf werden.« Er sah so enttäuscht aus, dass sie ihm auf die Schulter klopfte. »Das ist keine Strafe. Aber du warst zu nah am Abgrund. Lieber kein Risiko eingehen.«
»Okay, stimmt ja.« Er schwieg, in seinem Blick sah sie so etwas wie Scham. »Der Wolf ist immer schwerer im Zaum zu halten. Wie damals, als ich noch Kind war.« Das war wohl die Erklärung für seine irrationale Reaktion auf den Unfall. Indigo notierte sich im Geist, dass sie ein paar Leuten kräftig in den Hintern treten wollte. Halbwüchsige bekamen öfter mal Schwierigkeiten mit ihrer Selbstbeherrschung - Joshuas Lehrern hätte das auffallen sollen. »Das kommt manchmal vor«, sagte sie so ruhig und beiläufig wie möglich. »Ging mir auch so in deinem Alter, dafür musst du dich nicht schämen. Komm einfach sofort zu mir, wenn es wieder passiert.« Als er erleichtert nickte, nahm sie wieder Wolfsgestalt an. Der Heimweg zur Höhle - dem riesigen Tunnelsystem, gut versteckt vor allen Feinden in den Weiten der Sierra Nevada in Kalifornien - verlief ruhig. Nachdem sie etwa zehn Minuten unterwegs gewesen waren, ließ auch der Regen nach. Menschen wären sicher hundert Mal auf den schlüpfrigen Wegen ausgeglitten, doch die Wölfe waren trittsicher, ihre Schritte fest, und sie wählten die leichtesten Pfade für Joshua. Indigo ging voraus, und der Fährtensucher lief hinter dem Jungen. Sie führten Joshua bis vor die weit offen stehende Tür in der Felswand, wo seine bestürzte Mutter schon an der Seite eines Wolfs mit silbriggoldenem Fell wartete, dessen Augen so blassblau waren, dass sie beinahe wie Eis wirkten.
Der Junge fiel vor dem Leitwolf auf die Knie. Indigo und der Fährtensucher zogen sich zurück, ihre Aufgabe war erledigt. Der junge Wolf war in Sicherheit, man würde sich um ihn kümmern. Sie dagegen mussten noch ein wenig Stress abbauen und durch den Wald jagen. Indigo hatte geglaubt, sie müssten den Jungen töten. Als sie ihn früher schon einmal in die Enge getrieben hatten, hatte ihn nicht mehr viel vom Wahnsinn getrennt. Sie warf ihrem Begleiter einen Blick zu - der große Wolf hielt mit Leichtigkeit Schritt -, dann fiel ihr auf, dass er blutete. Knurrend blieb sie stehen. Er machte kurz darauf kehrt, rieb seine Nase an ihrer. Sie nahm menschliche Gestalt an und beugte sich über ihn. »Du solltest das Lara zeigen.« Ihre Heilerin konnte besser beurteilen, wie schwer seine Verletzungen waren.
Der Wolf schnappte nach ihrem Kinn und knurrte tief in der Kehle. Sie schob ihn von sich. »Muss ich dir erst den Befehl dazu geben?« Um ganz ehrlich zu sein, war sie nicht einmal sicher, ob sie das konnte - was sowohl die Frau als auch die Wölfin in ihr irritierte. Er nahm einen ungewöhnlichen Platz in der Hierarchie des Rudels ein. Er war zwar kein Offizier und noch dazu jünger als sie, aber nur dem Leitwolf selbst Rechenschaft schuldig. Als Fährtensucher waren seine Fähigkeiten sehr wichtig für die Sicherheit und das Wohlergehen des Rudels.
Wieder knurrte er und schnappte nach ihr - diesmal nach ihrer Schulter. Sie kniff die Augen zusammen. »Pass bloß auf, sonst beiße ich dir in deine vorlaute Schnauze.« Er knurrte unwillig und fletschte die Zähne. Sie schlug ihm kurz aufs Maul. »Wir gehen zurück.« Farbige Funken unter ihren Händen, dann war der silberne Wolf ein Mensch mit Augen wie Bergseen und regennassem Haar. »Das glaube ich nicht.« Bevor sie reagieren konnte, lag er auf ihr, hielt ihr Gesicht in beiden Händen und drückte seine Lippen auf ihren Mund. Heiß war diese Liebkosung, sie konnte sich kaum rühren. Und dann ... brannte es wie Feuer in ihr, sie vergrub ihre Finger in dem dicken braunen Schopf und zog seinen Kopf zurück. »Was tust du da?«, fragte sie außer Atem.
»Ich dachte, das wäre offensichtlich.« Seine Augen lachten, Sonnenstrahlen blitzten in den Seen auf, und er strich mit den Daumen über ihre Wangen. »Ich würde dich gern auffressen.« Sie nahm es nicht persönlich. »Dein Adrenalinspiegel ist noch hoch von der Jagd.« Sie schob seine Hände fort und hob leicht den Kopf. »Und der Blutverlust bewirkt ein Übriges.« Mit Regen vermischt lief eine hellrote Spur an seiner Seite hinunter. »Du musst sicher genäht werden.« »Bestimmt nicht.« Er küsste sie noch einmal und presste sie auf die Erde. Diesmal zog sie sich nicht sofort zurück. Und spürte die volle Wirkung des Kusses ... und die Erregung, die in ihr aufstieg. Ihr Herz schlug schneller, überrascht biss sie in seine Unterlippe.
»Der Boden ist kalt.« Obwohl der Schnee in diesem Teil der Sierra Nevada schon geschmolzen war, hielt sich die Kälte des Winters noch bis in den Frühling hinein. Ein reumütiger Blick. Schon lag sie auf ihm, und seine Lippen fanden wieder ihren Mund. Sie stöhnte über diesen sturen Wolf - der so wahnsinnig gut küsste, dass sie fast versucht war, ihm seinen Willen zu lassen - und drückte gegen seine Schultern. »Jetzt hoch mit dir, du Irrer, bevor der Blutverlust dich
umbringt.« Ein finsterer Blick. Dann hob Drew den Kopf zu einem weiteren Kuss.
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Nalini Singh
Nalini Singh wurde auf den Fidschi-Inseln geboren und ist in Neuseeland aufgewachsen. Nach verschiedenen Tätigkeiten, unter anderem als Rechtsanwältin und Englischlehrerin, begann sie 2003 eine Karriere als Autorin von Liebesromanen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nalini Singh
- Altersempfehlung: 16 - 99 Jahre
- 2012, 2. Aufl. 2012, 364 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung:Lachmann, Nora
- Übersetzer: Nora Lachmann
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802586077
- ISBN-13: 9783802586071
- Erscheinungsdatum: 08.03.2012
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