Wir sind das Salz von Florenz
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"Wir sind das Salz von Florenz", sagt Lorenzo de' Medici zu seinem Bruder Guiliano, als beide auf der Höhe ihrer Jugend und Macht über den Domplatz gehen und die Huldigung des Volkes entgegennehmen. Aber Girolamo Savonarola, der finstere Prediger von San Marco, ist überzeugt, dass das Heil der Welt in der Abkehr von allem liegt, was Freude bringt.
Nur die junge Laodomia Strozzi lässt sich von ihm nicht täuschen. Trotz Willkür und Glaubenswahn sucht sie mit ihren Freundinnen, der Magd Petruschka und der lebenshungrigen Fioretta, unbeirrt ihren eigenen Weg.
Der prächtige Fürst, der fanatische Mönch und die schöne Patrizierin - durch ihre Augen öffnet sich der Blick auf die dramatische Zeit der Renaissance.
Wir sind das Salz von Florenz von TilmanRöhrig
LESEPROBE
ERSTES KAPITEL
Sturzbäche gingenin den frühen Morgenstunden über Florenz nieder. Dann, wie auf ein unsichtbaresZeichen hin, hatte der Regen jäh aufgehört. Gewaschen glänzten diePflasterquader auf der weiten Piazza della Signoria, da und dort spiegelten noch Pfützen. Der Tag rochfrisch.
Kaum näherte sichHufschlag, huschten Ratten unter dem Balkenpodest am Fuß des Galgens vor undflohen hinüber zum Palast; in dessen Kellern sie hausten, dessen Stockwerke undSäle sie bis hinauf zu den Zinnen und dem lohfarbenen, in den Himmel ragendenTurm bei Tag den Regierenden der Stadt überlassen hatten. Eine stilleÜbereinkunft, an die niemand rührte.
Aus der letztenGassenschlucht zwischen den Prachthäusern am Nordrand drängte ein Trupp derStadtwache auf den Platz, trabte an der Richtstätte vorbei, und erst vor deroffenen Säulenhalle rechts des Steinkolosses ließ der Hauptmann anhalten. SeineBefehle schlugen von der hohen Loggiawand zurück."Ordnung will ich!, schloss er und warnte: "Gebt kein Pardon! Für jedenZwischenfall ziehe ich euch persönlich zur Verantwortung. Habt ihr michverstanden? In Vierergruppen schwärmten die Reiter aus, Brustharnisch und Helmblinkten, die blauen Umhänge bauschten sich, und wenig später war jede Straße,jede Gassenmündung abgeriegelt. Stille.
Als die Domglockeschlug, das Morgengeläut von San Croce, von SantaMaria Novella und das anderer nah und weiterentfernter Kirchen herüberklang, sammelten sich mehrund mehr Menschen vor den Reitersperren. Bunte Hauben, Schleier, Hüte undSamtmützen, die Mienen heiter, es wurde gelacht und gescherzt. EinigeHausfrauen trugen mit Tüchern bedeckte Picknickkörbe unter dem Arm. EineHinrichtung nahmen die Florentiner ebenso dankbar als Gabe der Mächtigen an,wie ein Turnier oder andere Belustigungen. "Hoch lebe Seine Magnifizenz Lorenzode Medici, unser Wohltäter! Selbst der Frühlingswind schien dem Namen Respektzu erweisen und vertrieb die letzten Wolkenballen. Sonne und blauer Himmel stimmtenmit ein: "Hoch lebe Lorenzo!
Die Verschwörung inPrato auf den nahen Hügeln nordwestlich derHauptstadt war zerschlagen, die Rädelsführer und deren Gefolgsleute warengleich dort geköpft oder gehenkt worden, mehr als vierzig an der Zahl. Nur einenvon ihnen hatte der Hohe Rat herbringen lassen, er sollte vor den Augen desVolkes hingerichtet werden: den heimlichen Unruhestiftern zur Abschreckung, denRechtschaffenen zur Erbauung. Nach seinem Namen fragten die Bürger nicht. Warumauch? Lorenzo, der neue Herr des mächtigen Bankhauses Medici, hatte bereitswenige Monate nach dem Tod des Vaters bewiesen, dass er sich tatkräftig um dasWohl von Stadt und Republik kümmerte. Dies allein zählte; und die Hinrichtungheute sollte ein Zeichen sein, wie eng Lorenzo mit der Signoria,dem Kollegium der höchsten Staatsmänner von Florenz, verbunden war.
Die Wachen lenktenihre Pferde zur Seite, und einzeln durften die Bürger passieren und sich imHalbrund um den Galgen die besten Plätze sichern, nur Frauen, Männer undFamilien mit ihren sittsam gekleideten Söhnen und Töchtern. Die zerlumptenHalbwüchsigen wurden zurückgehalten. "Ihr wartet!
Empörte Rufe,Flüche, die jungen Kerle drohten den Wachen, schwangen ihre mitgeführtenschweren Leinenbeutel, vergeblich, an den gesenkten Speerspitzen gab es keinVorbei. Jäh ließen einige der Älteren kleine Holzrasseln ums Handgelenkwirbeln, andre setzten Stummelflöten an die Lippen. Schnarren und schrillesPfeifen teilte die Horden vor den Sperren. "Sammeln! Durch enge Brandgassenzwischen den Häusern hetzten die Jungen und vereinigten sich in zwei Straßen.Die Schnarrer versuchten von der Via Calzaioli, die Pfeifer gegenüber von der Via Condoni die Sperren zu durchbrechen. Ohne Vorwarnung rittenje zwei der Wachen gegen sie an. Da wie dort trafen Hufe die Anführer. InsSchnarren und Pfeifen mischte sich das Geheul der Verletzten. "Ihr wartet!, schrien die Berittenen. "Gebt Ruhe! Wartet, bis unsereHerren ihre Plätze eingenommen haben! Gebt Ruhe! Im Lärm verhallten die Befehle,doch keine Meute wagte erneut einen Angriff.
Selbst mit roherGewalt war den herumstreunenden Jungen der Stadt kaum beizukommen, meist Söhneder Lohndiener und Arbeiter in den Tuchfabriken. Sie hatten sich zu Bandenzusammen gerottet; an den Grenzen ihrer Bezirkebekämpften sie sich gegenseitig, stahlen in Kirchen, plünderten Warenlager undbedrohten Geschäftsleute; sie führten ihr eigenes Leben auf der Straße. Die Brigata war ihr wahres Zuhause. Sie kannten jeden Winkelder Stadt, jedes Hurenhaus, jede verschwiegene Taverne der Spieler; sie wusstenwo in der Dämmerung die ehrbaren Handwerker, Vornehme und Mönche der Stadtschlenderten, um sich einen Knaben zu kaufen. Möglichst jung musste dasgesuchte Wild sein, eifrig die Zunge und weich das Fleisch. So unterwies einSechzehnjähriger auch den neunjährigen Bruder und dessen Freund, wurde ihrBeschützer und bot sie der lüsternen Kundschaft neben dem eigenen Körper alszusätzliche Köstlichkeit an. Im Schatten eines Torbogens oder hinter einemTreppenaufgang war die Lust nach Knaben für die Herren schnell und billig zubefriedigen. Den Lohn teilten die Kleinen dann mit ihrem Beschützer. Oft genugaber mussten alle drei den Verdienst daheim abliefern, damit genügend Brot undFisch für die Familie auf den Tisch kam.
Die Menschentraubenan den Reitersperren waren spärlicher geworden. Jetzt wogte ein unruhigesbuntes Meer auf der Piazza, schwappte bis ans Podest der Richtstätte. Strenghatte der Hauptmann für freies Sichtfeld zwischen Säulenhalle und Galgen geachtet.
Stadtmusikantenverließen im Gleichschritt den Palast und säumten farbenprächtig die Terrassevor dem Portal und die Stufen der Freitreppe. Ihr Erscheinen dämpfte dasausgelassene Geschwätz auf dem Platz. Um so deutlicherwar der Lärm zu hören, den Schnarrer und Pfeiferverursachten. Kaum jemand aber nahm Anstoß, diese Banden waren ein Übel mit demsich die Florentiner abgefunden hatten. Ein Signal der Wachen drüben von derNordseite! Sofort straffte der Hauptmann nahe der Säulenloggia den Rücken. SeinHandzeichen galt den Spielleuten.
Fanfarenstöße undTrommelwirbel. Alle Köpfe wandten sich zur schmalen Einmündung der Via dei Cerchi, ohne Befehl wich dasVolk auseinander, gab eine Gasse frei, und dort kam er, Lorenzo, große federndeSchritte, gefolgt von seinem jüngeren Bruder Giuliano und einigen Künstlern undGelehrten aus dem engsten Freundeskreis. "Hoch! - "Dank sei Lorenzo! Händestreckten sich ihm entgegen. "Gott schütze Euch!
Daseinundzwanzigjährige Oberhaupt der mächtigen Medicifamilie nickte lächelnd nachrechts und links, dabei verschlang seine Unterlippe beinah ganz die zu schmaleobere Lippe und vertiefte die scharfen Falten um die Mundwinkel. Gelb undfleckig spannte sich die Haut über hohen Wangenknochen; von der aufgestülpten,platten Nasenspitze wuchs ein klobiger Rücken bis zwischen die weit auseinanderstehenden braunen Augen. Unter der Samtkappe quoll schwarzes Haar vor,sorgfältig in der Mitte gescheitelt, und zwei gekämmte Strähnenvorhänge fielenbis zum Stirnwulst über den Brauen. Das schwarze, lange Gewand war hochgeschlossen und ließ am Hals nur einen weißen Stegrand seines Hemdes erkennen.Schön war Lorenzo nicht. Selbst das Lächeln half ihm heute wenig den Anblick zumildern, denn sein Bruder Giuliano schritt hinter ihm, farbenfroh gekleidet;trotz der übernächtigten blassen Miene strahlte der Siebzehnjährigejungenhaften Charme und Eleganz aus. Er zog die schwärmerischen Blicke derDamen und Mädchen auf sich und nahm sie mit, auch den Gelehrten und Künstlernwurde keine Beachtung geschenkt.
"He, Giulio.
Bei dem verhaltenenRuf wandte der junge Medici den Kopf nach links, sein Blick suchte in dervordersten Reihe der Wartenden.
"Hier bin ich.Wenige Schritte vor ihm hob eine Frau die Hand, unter dem bis weit in die Stirngezogenen, nachtblauen Kopftuch brannten dunkle Augen, die vollen Lippen warenhalb geöffnet. Kaum hatte Giuliano sie entdeckt, schmunzelte er kurz undblickte wieder geradeaus. Als er auf ihrer Höhe war, forderte sie mitverhaltener Stimme: "Sei jetzt kein Feigling, du hast es versprochen.
Besorgt sah er aufden breiten Rücken seines Bruder, seufzte undschnippte die Finger. "Also gut, Fioretta, raunte er, "aber bleib dicht hintermir. Schnell trat die Frau vor und reihte sich ein. Über die Schulter bat derjunge Medici. "Sandro nimm sie an deine Seite, bitte. Sie gehört zu dir, wennLorenzo fragt.
"Was meinst du?Sandro Botticelli rieb die Speckfalte unter dem Kinn, aus grauen Augen starrteer verwundert auf die Gestalt, deren geschlossener Umhang die Brüste undRundungen nur erahnen ließ. "Ich kenne sie doch gar nicht.
Sein Nachbar, derschmächtige Luigi Pulci, rümpfte die Nase. "Strengdeinen Kopf nicht an, und setzte hinzu. "Das überlasse anderen, Dickerchen.Gehorche einfach. Damit ließ er Platz und zog die Schöne zwischen sich und denschwergewichtigen Maler.
Sobald die Gruppeaus der Menschenmenge herausgetreten war, salutierte der Hauptmann undgeleitete sie weiter bis zur Säulenhalle. Vor der untersten Stufe wandte sichLorenzo um, er grüßte mit erhobener Hand die Florentiner, dabei fiel sein Blickauf die Fremde. Eine steile Falte wuchs von der Nasenwurzel in die Stirn, docher sagte nichts, erst als die Herren in den Schatten getreten waren und sichanschickten zwischen den hohen Säulen ihre Plätze zu suchen, tippte Lorenzo demMaler auf die Schulter. "Lieber Freund, ich wusste gar nicht, dass dir dieDamen nachlaufen?
"Denke nicht falschvon mir.
"Wer ist diesePerson? Als wir losgingen habe ich sie nicht gesehen. ()
© VerlagsgruppeLübbe
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2005 erhielt er den 6. Voerder Jugendbuchpreis für sein Lebenswerk.
- Autor: Tilman Röhrig
- 2010, 6. Aufl., 895 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 340415200X
- ISBN-13: 9783404152001
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