Zur Gemeinschaft gerufen
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Joseph Ratzinger, nunmehr Papst Benedikt XVI., richtet den Blick auf Ursprung und Wesen der Kirche und auf ihre wichtigsten Ämter und Dienste. Er erschließt die biblischen Texte und die christliche Tradition; er zeigt, was die Gestalt der Kirche für die Gestaltung ihres Lebens bedeutet.
Zur Gemeinschaft gerufen von BenediktXVI. (Joseph Kardinal Ratzinger)
LESEPROBE
VORWORT ZUR NEUAUSGABE
Seitdem dieses kleine Buch im Frühjahr 1991erstmals veröffentlicht
wurde, sind gut 15 Jahre ins Land gegangen -in einer
schnelllebigen Welt eine verhältnismäßiglange Zeit. So ist es
wohl nötig, kurz zu erklären, was Entstehungund Absicht dieses
Werkes war und warum es heute dem Leser neuvorgelegt
wird. Es gibt bedeutende gelehrte Werke überdie katholische
Lehre von der Kirche; hier sollte - auf wissenschaftlicher
Grundlage aber für einen weiteren Kreis -eine erste Einführung
in die Ekklesiologie versucht werden. Diefünf Kapitel des
Buches sind aus verschiedenen Anlässen zueinem Ganzen
zusammengewachsen, das dieser Absicht dienen möchte. Die
ersten drei Kapitel habe ich für einentheologischen Kurs verfasst,
zu dem der damalige Erzbischof von Rio deJaneiro Kardinal
Eugenio Sales eingeladen hatte. In einemHaus seiner Bischofsstadt
fanden sich vom 23.-27. Juli 1990 rundhundert Bischöfe zusammen,
um diese Vorträge zu hören und zudiskutieren.
Die Bischofsbegegnungen von Rio sindinzwischen zu einer festen
Einrichtung geworden; namhafte Bischöfedeutscher
Zunge wie Kardinal Kasper und KardinalSchönborn haben
nach mir dort gesprochen. Diese Begegnungenerwiesen
sich immer mehr als ein wichtiges Instrumentbischöflicher
Kollegialität und des gemeinsamen Mühens umdas rechte Verstehen
und Weitergeben des Glaubens in unseremHeute und
für das heraufziehende Morgen. Es verstandsich beinahe von
selbst, dass in der ersten Begegnung dieserArt, in der ich zu
sprechen hatte, nach den Themen Primat undKollegialität,
Ortskirche und Gesamtkirche gefragt wurde.Damit befasst
sich demgemäß das zweite und das dritteKapitel des Buches.
Um aber nicht einer hierarchischenEngführung zu verfallen,
habe ich diesen beiden mir aufgegebenenThemen ein erstes
Kapitel vorangestellt, das über Ursprung undWesen der Kirche
handelt: So soll der größere Rahmen sichtbarwerden, in dem
die Problematik von Primat und Kollegialitätihren Ort hat.
Trotzdem schien mir noch eine Ausweitung derDarstellung
notwendig, für die zwei weitere Anlässe dieMöglichkeit geschaffen
hatten. Zu Beginn der Bischofssynode 1990,die von
der Priesterbildung handelte, hatte ich überBegriff und Wesen
des Priestertums zu sprechen. Im Herbstdesselben Jahres
wurde ich eingeladen, bei den von derBewegung »Comunione
e Liberazione« eingeführten italienischenKatholikentreffen zu
Rimini über Kirche als Weggemeinschaft undüber ihre beständige
Erneuerung zu reden. Diese beiden Vorträgebilden
das vierte und das fünfte Kapitel desBuches. Sie ergänzen so
die bischöfliche Perspektive des zweiten unddritten Kapitels
durch das Bedenken des priesterlichenDienstes und den Blick
auf die Dynamik der lebendigen Gemeinschaftder ganzen Kirche,
Priester und Laien, die zusammen mit demHerrn unterwegs
sind durch die Gebirge und Täler derGeschichte. Schließlich
habe ich noch zum Abschluss eine Homilieangefügt, die
ich im Januar 1990 im Priesterseminar zuPhiladelphia/USA
gehalten habe. Mir schien und mir scheint,dass diese kleine
Predigt über die Einzelheiten hinweg denBlick auf die Grund-
lagen unseres Seins in der Kirche öffnen undso die Grundorientierung
unseres Christseins verdeutlichen kann, umdie
es in allen Kapiteln des Buches geht.
Den ganzen Text habe ich noch einmaldurchgesehen, aber
nur im fünften Kapitel etwas geändert, weileinige zu sehr auf
den Augenblick bezogene Äußerungeninzwischen nicht mehr
als aktuell erschienen. Einige wenigeAnmerkungen habe ich
behutsam ergänzt, wo neue Veröffentlichungenweiterführende
Perspektiven zum Gesagten eröffnen. So hoffeich, dass
das kleine Buch auch heute einen Dienst tunkann, um das Erbe
des Zweiten Vatikanischen Konzils zuaktualisieren und einen
inneren Zugang zur Kirche und zu ihremGlauben zu eröffnen.
Rom, 1. März 2005
(Währendder Drucklegung dieses Buches wurde Joseph Ratzinger
am 19. April 2005 zum Papst gewählt.)
1. Methodische Vorüberlegungen
Die Fragen, mit denen sich heute dasGespräch über die Kirche
beschäftigt, sind meistens praktischerNatur: Was ist die
Verantwortung des Bischofs? Was ist dieBedeutung der Teilkirchen
im Ganzen der Kirche Jesu Christi? Wozu gibtes das
Papsttum? Wie sollen Bischöfe und Papst,Teilkirche und Gesamtkirche
zusammenwirken? Was ist die Stellung desLaien
in der Kirche?1 Damitwir diese praktischen Probleme richtig
beantworten können, müssen wir dieGrundfrage vorausschicken:
Was ist die Kirche überhaupt? Wozu ist sieda? Woher
kommt sie? Hat Christus sie eigentlich gewolltund wenn, wie
hat er sie gedacht? Nur wenn wir dieseGrundfragen richtig beantworten
können, haben wir Aussicht, auf diepraktischen
Einzelprobleme eine angemessene Antwort zufinden.
Nun ist freilich gerade die Frage nach Jesusund der Kirche
wie überhaupt nach der Anfangsgestalt derKirche im Neuen
Testament vom Dickicht exegetischerHypothesen überwuchert,
so dass es geradezu aussichtslos scheint,darauf eine
irgendwie angemessene Antwort zu finden. Aufdiese Weise besteht
die Gefahr, dass man sich die Lösungenaussucht, die einem
am sympathischsten erscheinen, oder aber dieFrage ganz
überspringt, um sich sofort ins Pragmatischezu begeben. Aber
eine solche Art von Pastoral wäre auf dieSkepsis gegründet;
wir würden dann gar nicht mehr versuchen, demWillen des
Herrn nachzugehen, sondern mit blinden Augennach dem
tappen, was uns als das Erreichbareerscheint: Wir würden
blinde Führer von Blinden werden (vgl. Mt15,14).
Einen Weg durch den Urwald exegetischerHypothesen kann
man finden, wenn man nicht einfach anirgendeinem Punkt
mit dem Buschmesser in ihn eindringt. Denndann wird man in
einen ständigen Kampf mit den verschiedenenTheorien verwickelt
und bleibt zuletzt doch in ihrenWidersprüchen gefangen.
Stattdessen ist es notwendig, zuallererst eineArt Luftaufnahme
des Ganzen zu haben: Wenn man ein größeresGelände
überblickt, lassen sich auch Richtungenfinden. Man muss also
den Weg der Exegese etwa ein rundesJahrhundert verfolgen,
dann sieht man ihre großen Wendungen undentdeckt sozusagen
die Flusstäler, um die herum sie sichentwickelt hat. So
lernt man, Wege von Unwegen zuunterscheiden. Wenn wir
eine solche Luftbildaufnahme versuchen, dannkönnen wir drei
Generationen von Exegeten und damit auchdrei große Wendungen
in der Auslegungsgeschichte unseresJahrhunderts
unterscheiden. An seinem Anfang steht dieliberale Exegese, die
Jesus nach dem Bild der liberalen Welt alsden großen Individualisten
ansieht, der die Religion von den kultischenInstitutionen
befreit und sie auf Ethik reduziert, dieihrerseits ganz
auf die individuelle Verantwortung desGewissens gegründet
wird. Ein solcher Jesus, der den Kultablehnt, Religion in Moral
umwandelt und diese als Sache desIndividuums erklärt, kann
natürlich keine Kirche gründen. Er ist derGegner aller Institutionen
und richtet darum nicht selbst wieder eineauf.
Der Erste Weltkrieg brachte denZusammenbruch der liberalen
Welt und damit auch die Abwendung von ihremIndividualismus
und ihrem Moralismus mit sich. Die großenpolitischen
Körperschaften, die sich ganz aufWissenschaft und
Technik als Träger des Fortschritts derMenschheit gestützt hatten,
hatten als sittliche Ordnungskräfte versagt.So erwachte
das Verlangen nach einer Gemeinschaft imHeiligen von
neuem. Kirche wurde wieder entdeckt, geradeauch im protestantischen
Raum. In der skandinavischen Theologiebildete
sich eine kultische Exegese aus, die imstrikten Gegensatz zum
liberalen Denken Jesus nicht mehr alsKultkritiker sah, sondern
den Kult als den inneren Lebensraum derBibel des Alten wie
des Neuen Testaments verstand und so auchJesu Denken und
Wollen von dem großen Strom des gelebtenGottesdienstes her
auszulegen versuchte. Ähnliche Tendenzenzeigten sich auch
im englischsprachigen Raum. Aber auch imdeutschen Protestantismus
war ein neuer Sinn für Kirche entstanden:Man
wurde sich bewusst, dass der Messias nichtohne sein Volk zu
denken ist.2 Mitder Zuwendung zum Sakrament wurde nun
auch das Letzte Abendmahl Jesu in seinergemeinschaftsstiftenden
Bedeutung erkannt und die These formuliert,dass Jesus
durch das Abendmahl selbst eine neueGemeinde gründete;
dass das Abendmahl Ursprung der Kirche undihr bleibender
Maßstab sei.3 DerselbeGedanke wurde durch russische Exiltheologen,
die in Frankreich wirkten, von derorthodoxen Tradition
her zum Entwurf einer eucharistischenEkklesiologie
ausgeweitet, die nach dem ZweitenVatikanischen Konzil auch
starken Einfluss im katholischen Raumgewonnen hat.4
Nach dem Zweiten Weltkrieg teilte sich dieMenschheit immer
deutlicher in zwei Lager: in eine wiederweitgehend nach
dem liberalen Muster lebende Welt derreichen Völker und in
den marxistischen Block, der sich zugleichals Sprecher der armen
Völker Südamerikas, Afrikas und Asiens wieals ihr Zukunftsmodell
verstand. So ergab sich auch eine Zweiteilungder
theologischen Tendenzen.
In der neoliberalen Welt des Westens kam nuneine Variante
der ehemaligen liberalen Theologie in neuenFormen zur Wirkung:
die eschatologische Auslegung der BotschaftJesu. Jesus
wird zwar nicht mehr als reiner Moralistgefasst, aber erneut
im Gegensatz zum Kult und zu dengeschichtlichen Institutionen
des Alten Testaments konstruiert. Dabeigriff man das alte
Schema auf, welches das Alte Testament inPriester und Propheten,
in Kult, Institution, Recht einerseits undin Prophetie,
Charisma, Freiheit des Gestaltensandererseits auflöst. In dieser
Sicht erscheinen Priester, Kult, Institutionund Recht als das
Negative und zu Überwindende, während Jesusin der Linie der
Propheten stehen und sie gegen dasPriestertum vollenden
würde, das ihn wie die Propheten umgebrachthätte.
So bildet sich eine neue Variante desliberalen Individualismus
heraus: Jesus verkündet das Ende derInstitutionen.
Seine eschatologische Botschaft magzeitgeschichtlich als Ankündigung
des Weltendes gedacht gewesen sein;angeeignet
wird sie als der Durchbruch aus demInstitutionellen ins Charismatische,
als Ende der Religionen oder jedenfalls als»unweltlicher
« Glaube, der sich seine Formen immer neuerschafft.
Von Kirchengründung kann wiederum keine Redemehr sein;
sie würde ja der eschatologischenRadikalität widersprechen.5
Diese neue Art von Liberalität ließ sich nunaber sehr leicht
in eine marxistisch orientierteBibelinterpretation umwandeln.
Die Entgegensetzung zwischen Priestern undPropheten
wird zur Chiffre für den Klassenkampf alsGesetz der Geschichte.
Jesus ist dann im Kampf gegen die Mächte derUnterdrückung
umgekommen. Er wird so zum Symbol desleidenden
und kämpfenden Proletariats, des »Volkes«,wie man nun
lieber sagt. Der eschatologische Charakterder Botschaft verweist
dann auf das Ende der Klassengesellschaft;in der Dialektik
Prophet - Priester drückt sich die Dialektikder Geschichte
aus, die schließlich mit dem Sieg derUnterdrückten und mit
dem Heraufkommen der klassenlosen Gesellschaftendet. In
diese Sicht lässt sich sehr gut die Tatsacheintegrieren, dass Je-
sus kaum von Kirche, aber immer wieder vomReich Gottes
sprach: Das »Reich« ist dann die klassenloseGesellschaft und
wird zum Kampfziel des unterdrückten Volkes;es wird da als
gegeben betrachtet, wo das organisierteProletariat, das heißt
seine Partei, der Sozialismus, zum Sieggekommen ist.
Ekklesiologie erhält nun wieder Bedeutung,und zwar in
dem dialektischen Muster, das durch dieZerteilung der Bibel in
Priester und Propheten vorgegeben ist, derman eine Unterscheidung
von Institution und Volk entsprechen lässt.Der institutionellen
Kirche, der »Amtskirche« wird gemäß diesem
dialektischen Muster die »Volkskirche«entgegengesetzt, die immer
wieder aus dem Volk geboren wird und damitdie jesuanischen
Intentionen fortführt: seinen Kampf gegendie Institution
und ihre Unterdrückungsmacht für eine neueund freie
Gesellschaft, die »das Reich« sein wird.....
© Verlag Herder
- Autor: Benedikt XVI.
- 2005, 1. Auflage, 160 Seiten, Maße: 14,6 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Herder, Freiburg
- ISBN-10: 3451288281
- ISBN-13: 9783451288289
- Erscheinungsdatum: 27.04.2005
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