Zwischen Nacht und Dunkel
Novellen
Schuld, Sühne, Rache, Gerechtigkeit - Stephen King at his best!
Stephen King gilt als größter Geschichtenerzähler unserer Zeit. Nun legt der "Meister des Schreckens" (SZ) vier Kurzromane vor, die alle ein Thema...
Stephen King gilt als größter Geschichtenerzähler unserer Zeit. Nun legt der "Meister des Schreckens" (SZ) vier Kurzromane vor, die alle ein Thema...
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Produktinformationen zu „Zwischen Nacht und Dunkel “
Schuld, Sühne, Rache, Gerechtigkeit - Stephen King at his best!
Stephen King gilt als größter Geschichtenerzähler unserer Zeit. Nun legt der "Meister des Schreckens" (SZ) vier Kurzromane vor, die alle ein Thema haben: Vergeltung! Ob als Täter oder Opfer, unschuldig oder schuldig, durch Schicksal oder mit Absicht - wir kommen in Situationen, die uns eine Entscheidung abverlangen: Wie weit muss ich gehen, bis mir Gerechtigkeit widerfährt? Manchmal muss man sehr weit gehen.
Stephen King gilt als größter Geschichtenerzähler unserer Zeit. Nun legt der "Meister des Schreckens" (SZ) vier Kurzromane vor, die alle ein Thema haben: Vergeltung! Ob als Täter oder Opfer, unschuldig oder schuldig, durch Schicksal oder mit Absicht - wir kommen in Situationen, die uns eine Entscheidung abverlangen: Wie weit muss ich gehen, bis mir Gerechtigkeit widerfährt? Manchmal muss man sehr weit gehen.
Lese-Probe zu „Zwischen Nacht und Dunkel “
Zwischen Nacht und Dunkel von Stephen King11. April 1930
Hotel Magnolia
Omaha, Nebraska
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AN ALLE, DIE ES ANGEHT!
Mein Name ist Wilfred Leland James, und dies ist mein Geständnis. Im Juni 1922 habe ich meine Frau Arlette Christina Winters James ermordet und ihre Leiche versteckt, indem ich sie in einen alten Brunnen gekippt habe. Mein Sohn Henry Freeman James hat mir bei diesem Verbrechen geholfen, war aber mit 14 noch nicht strafmündig; ich habe ihn dazu verleitet, indem ich seine Ängste geschürt und seine verständlichen Einwände über einen Zeitraum von 2 Monaten hinweg niedergemacht habe. Das ist etwas, was ich aus Gründen, die dieses Schriftstück aufzeigen wird, sogar noch mehr bereue als mein Verbrechen.
Der Grund für mein Verbrechen und meine Verdammnis waren 40 Hektar gutes Land in Hemingford Home, Nebraska. Es wurde meiner Frau von ihrem Vater John Henry Winters vermacht. Ich wollte dieses Land unserer Farm zuschlagen, die im Jahr 1922 insgesamt 30 Hektar groß war. Meine Frau, die sich nie recht an das Leben auf einer Farm (oder als Farmersfrau) gewöhnen konnte, wollte es gegen bar an die Farrington Company verkaufen. Als ich sie fragte, ob sie wirklich im Windschatten eines Schweineschlachthauses von Farrington leben wolle, erklärte sie mir, wir könnten nicht nur das Land ihres Vaters, sondern gleich auch unsere Farm verkaufen - die Farm meines Vaters und seines Vaters vor ihm! Als ich sie fragte, was wir mit Geld, aber ohne Land anfangen sollten, sagte sie, wir könnten nach Omaha oder vielleicht sogar nach St. Louis ziehen und einen Laden aufmachen.
»Ich werde niemals in Omaha leben«, sagte ich. »Städte sind was für Dummköpfe.«
Eine Ironie des Schicksals, wenn man bedenkt, wo ich jetzt lebe, aber ich werde nicht mehr lange hier leben; das weiß ich so gut, wie ich weiß, was die Geräusche macht, die ich in den Wänden höre. Und ich weiß, wo ich mich wiederfinden werde, wenn dieses irdische Leben abgeschlossen ist. Ich frage mich nur, ob die Hölle schlimmer sein kann als die Stadt Omaha. Vielleicht ist sie die Stadt Omaha, nur nicht von gutem Land umgeben, sondern von einer rauchenden, nach Schwefel stinkenden Leere voller verlorener Seelen wie meiner.
Im Winter und im Frühjahr 1922 stritten wir uns erbittert wegen dieser 40 Hektar. Henry geriet ins Kreuzfeuer, neigte jedoch mehr zu meiner Auffassung; er ähnelte seiner Mutter, was ihr Aussehen betraf, aber mir in seiner Liebe zum Land. Er war ein fügsamer Junge, der nichts von der Überheblichkeit seiner Mutter an sich hatte. Immer wieder erklärte er ihr, er wolle weder in Omaha noch in irgendeiner anderen Stadt leben und werde nur mitgehen, wenn sie und ich uns einigten, was aber nie der Fall war.
Ich überlegte, ob ich mich an die Justiz wenden sollte, weil ich davon überzeugt war, jedes Gericht des Landes werde mein Recht bestätigen, als Ehemann über die zweckmäßige Verwendung dieses Stück Landes zu entscheiden. Etwas hielt mich jedoch zurück. Es war nicht die Angst, die Nachbarn könnten tratschen, den ländlichen Klatsch fürchtete ich überhaupt nicht; es war etwas anderes. Ich hatte sie nämlich hassen gelernt. Ich wünschte mir, sie wäre tot, und das hielt mich zurück.
Ich glaube, dass in jedem Mann ein weiterer Mann steckt: ein Fremder, ein hinterhältiger Kerl. Und ich glaube, dass der Hinterhältige in Farmer Wilfred James im März 1922, als der Himmel über der Hemingford County weiß und alle Felder mit Schnee gesprenkelte Schlammflächen waren, bereits sein Urteil über meine Frau gefällt und über ihr Schicksal entschieden hatte. Und es war ein Urteil von der Art, die unter schwarzen Baretten gesprochen wird. Bei Shakespeare heißt es, ein undankbares Kind nage schärfer als ein Schlangenzahn, aber eine nörgelnde und undankbare Ehefrau nagt noch viel schärfer.
Ich bin kein Ungeheuer; ich habe versucht, sie vor dem Hinterhältigen zu retten. Ich erklärte ihr, wenn wir uns nicht einigen könnten, solle sie zu ihrer Mutter nach Lincoln ziehen, das sechzig Meilen weiter westlich liegt - eine gute Entfernung für eine Trennung, die nicht ganz eine Scheidung ist, aber doch eine Auflösung der ehelichen Gemeinschaft signalisiert.
»Und dir das Land meines Vaters überlassen, meinst du?«, sagte sie und warf den Kopf zurück. Wie ich dieses kecke Kopfhochwerfen, das an ein schlecht dressiertes Pony erinnerte, und das Schnauben, von dem es stets begleitet wurde, hassen gelernt hatte! »Dazu kommt es nie, Wilf.«
Ich bot ihr an, ihr das Land abzukaufen, wenn sie darauf bestehe. Das würde einige Zeit dauern - acht Jahre, vielleicht zehn -, aber ich würde ihr jeden Cent zahlen.
»Kleine Einnahmen sind schlechter als gar keine«, antwortete sie (mit einem weiteren Schnauben und Kopfhochwerfen). »Das weiß jede Frau. Die Farrington Company zahlt alles auf einmal, und denen ihre Vorstellung von einem guten Preis ist bestimmt großzügiger als deine. Und in Lincoln will ich auf gar keinen Fall leben. Das ist keine Stadt, sondern bloß ein Kuhdorf mit mehr Kirchen als Häusern.«
Begreifen Sie meine Situation? Verstehen Sie nicht, in welche »Klemme« sie mich gebracht hat? Darf ich nicht wenigstens auf etwas Sympathie von Ihrer Seite hoffen? Nein? Dann hören Sie sich Folgendes an.
Anfang April jenes Jahres - meines Wissens auf den Tag genau vor acht Jahren - kam sie ganz fröhlich und heiter zu mir. Sie hatte den größten Teil des Tages im »Schönheitssalon« in McCook verbracht, und ihr Haar hing auf beiden Seiten ihres Gesichts in dicken Locken herab, die mich an die Klopapierrollen erinnerten, die man in Hotels und Gaststätten findet. Sie sagte, sie habe eine Idee. Wir sollten nicht nur die 40 Hektar, sondern tatsächlich auch die Farm an die Farrington Company verkaufen. Ihrer Überzeugung nach würde die beides kaufen, nur um das Stück Land ihres Vaters zu bekommen, das in der Nähe der Bahnlinie lag (und damit hatte sie wahrscheinlich recht).
»Dann«, sagte dieses freche Weibsbild, »können wir uns das Geld teilen, uns scheiden lassen und jeder für sich ein neues Leben beginnen. Dass du das willst, wissen wir beide.« Als ob das nicht auch ihr Wunsch gewesen wäre.
»Mhm«, sagte ich (als dächte ich ernsthaft über diese Idee nach). »Und bei wem von uns bleibt der Junge?«
»Natürlich bei mir«, sagte sie mit großen Augen. »Ein vierzehnjähriger Junge gehört zu seiner Mutter.«
Gleich am selben Tag fing ich an, Henry zu »bearbeiten«, indem ich ihm den neuesten Plan seiner Mutter schilderte. Wir waren gerade im Heuschober. Ich setzte mein traurigstes Gesicht auf, sprach mit meiner traurigsten Stimme und malte ihm aus, wie sein Leben aussehen würde, wenn seine Mutter diesen Plan verwirklichten dürfte: wie er weder Farm noch Vater haben würde, wie er sich ohne seine Freunde (die meisten aus früher Kindheit) in einer viel größeren Schule wiederfinden würde, wie er in dieser neuen Schule unter Fremden, die ihn auslachen und einen Bauernlümmel nennen würden, um seinen Platz würde kämpfen müssen. Andererseits, sagte ich, wenn wir das Anwesen nicht nur behalten, sondern vergrößern könnten, sei es meiner Überzeugung nach möglich, unsere Hypothek bei der Bank bis 1925 zu tilgen und glücklich und schuldenfrei zu leben und frische Luft zu atmen, statt von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu sehen, wie Schweinedärme unseren zuvor sauberen Bach hinuntertrieben. »Was willst du also?«, fragte ich, nachdem ich dieses Bild so detailreich ausgemalt hatte, wie ich nur konnte.
»Hier bei dir bleiben, Papa«, sagte er. Die Tränen liefen ihm nur so übers Gesicht. »Warum muss sie so ein ... so ein ... «
»Nur weiter«, sagte ich. »Wer die Wahrheit sagt, flucht nicht, mein Sohn.«
»So ein Miststück sein?«
»Weil die meisten Frauen so sind«, sagte ich. »Das ist ein tief sitzender Wesenszug von denen. Fragt sich nur, was wir dagegen tun wollen.«
Aber der Hinterhältige in mir hatte bereits an den alten Brunnen hinter dem Kuhstall gedacht, aus dem wir nur das Wasser fürs Vieh holten, weil er so seicht und schlammig war - bloß 7 Meter tief und kaum mehr als ein Siel. Es ging nur darum, Henry so weit zu bringen. Und ich musste es tun, das sehen Sie bestimmt ein; ich durfte zwar meine Frau umbringen, aber ich musste meinen wundervollen Sohn retten. Wozu nach 70 Hektar Land - oder tausend - streben, wenn man niemanden hat, mit dem man sie teilen, dem man sie vererben kann?
Ich gab vor, über Arlettes verrückten Plan nachzudenken, auf gutem Maisland ein Riesenschlachthaus für Schweine bauen zu lassen. Ich bat sie, mir Zeit zu geben, mich an diese Vorstellung zu gewöhnen. Sie war einverstanden. Und in den folgenden 2 Monaten bearbeitete ich Henry, gewöhnte ihn an eine ganz andere Vorstellung. Das war sogar leichter als gedacht; er hatte zwar das gute Aussehen seiner Mutter (das Aussehen einer Frau ist sozusagen der Honig, der Männer zum Bienenstock lockt, wo's dann Stiche setzt), aber nicht ihre gottserbärmliche Sturheit geerbt. Es war lediglich nötig, ihm auszumalen, wie sein Leben in Omaha oder St. Louis aussehen würde. Ich sprach die Möglichkeit an, dass selbst diese beiden übervölkerten Ameisenhaufen sie vielleicht nicht befriedigen würden; sie könnte beschließen, nur Chicago sei gut genug. »Dann«, sagte ich, »könntest du erleben, dass du mit schwarzen Niggern auf die Highschool gehen musst.«
Das Verhältnis zu seiner Mutter kühlte zusehends ab; nach einigen Bemühungen, seine Zuneigung wiederzugewinnen - alle unbeholfen, alle zurückgewiesen -, reagierte sie ebenso kalt. Ich (oder vielmehr der Hinterhältige) frohlockte darüber. Anfang Juni teilte ich ihr mit, nach reiflicher Überlegung sei ich entschlossen, sie diese 40 Hektar nie kampflos verkaufen zu lassen; wenn es nicht anders gehe, würde ich uns eben alle in Armut und Ruin stürzen.
Sie blieb ruhig. Sie beschloss, selbst juristischen Rat einzuholen (denn wie wir wissen, ist die Justiz jedermanns Freund, der sie bezahlt). Das hatte ich vorausgesehen. Und lächelte darüber! Sie konnte solchen Rat nämlich nicht bezahlen. Unterdessen hatte ich die Hand auf dem wenigen Bargeld, das wir besaßen. Henry übergab mir sogar sein Sparschwein, als ich es verlangte, damit sie nichts daraus stehlen konnte, so kümmerlich diese Quelle auch sein mochte. Sie suchte natürlich die Farrington Company in Deland auf, weil sie sich (wie ich selbst) sicher war, dass diese Leute, die so viel zu gewinnen hatten, ihr die Anwaltskosten vorstrecken würden.
»Sie werden's tun, und sie wird gewinnen«, erklärte ich Henry im Heuschober, in dem jetzt alle unsere Gespräche stattfanden. Ich war nicht völlig davon überzeugt, aber mein Entschluss, den ich noch nicht »einen Plan« nennen will, stand bereits fest.
»Aber das ist nicht fair, Papa!«, rief er aus. Wie er so im Heu saß, sah er sehr jung aus, eher wie 10 als 14.
»Das ist das Leben nie«, sagte ich. »Manchmal muss man sich einfach nehmen, was man haben muss. Auch wenn dabei jemand verletzt wird.« Ich machte eine Pause und musterte seinen Gesichtsausdruck. »Auch wenn dabei jemand stirbt.«
Er wurde leichenblass. »Papa!«
»Wäre sie weg«, sagte ich, »wäre wieder alles wie früher. Aller Streit würde aufhören. Wir könnten hier friedlich leben. Ich habe ihr alles Menschenmögliche geboten, damit sie geht, aber sie tut's nicht. Es gibt nur noch eine Sache, die ich tun kann. Die wir tun können.«
»Aber ich liebe sie! «
»Ich liebe sie auch«, sagte ich. Was sogar stimmte, auch wenn Sie's vielleicht nicht glauben werden. Der Hass, den ich im Jahr 1922 für sie empfand, war größer als der, den ein Mann für irgendeine Frau empfinden kann, wenn nicht Liebe im Spiel ist. Und obwohl Arlette verbittert und eigensinnig war, war sie von Natur aus warmherzig. Unsere »ehelichen Beziehungen« hatten nie aufgehört, obwohl unsere Handgemenge im Dunkeln seit dem Streit wegen der 40 Hektar immer mehr der Paarung brünstiger Tiere glichen.
»Es muss nicht wehtun«, sagte ich. »Und wenn's vorbei ist ... nun ... «
Ich ging mit ihm hinter die Scheune und zeigte ihm den Brunnen, wo er in bittere Tränen ausbrach. »Nein, Papa. Das nicht. Auf keinen Fall.«
Als sie dann aus Deland zurückkam (Harlan Cotterie, unser nächster Nachbar, hatte sie das größte Stück hingefahren, so dass sie nur noch zwei Meilen hatte gehen müssen) und Henry sie anflehte, »aufzuhören, damit wir einfach wieder eine Familie sein können«, geriet sie in Wut, schlug ihm ins Gesicht und forderte ihn auf, nicht wie ein Hund zu winseln.
»Dein Vater hat dich mit seinem Kleinmut angesteckt. Noch schlimmer, er hat dich mit seiner Geldgier angesteckt.«
Als ob sie von dieser Sünde frei gewesen wäre!
»Der Anwalt versichert mir, dass ich mit meinem Land tun kann, was mir gefällt, und ich werde es verkaufen. Was euch zwei betrifft, könnt ihr hier hocken und abgesengte Schweineborsten riechen und euer Essen selbst kochen und eure Betten selbst machen. Du, mein Sohn, kannst den ganzen Tag pflügen und die ganze Nacht seine ewigen Bücher lesen. Ihm haben sie wenig genützt, aber vielleicht kommst du ja besser damit klar. Wer weiß?«
»Mama, das ist nicht fair!«
Sie sah ihren Sohn an, wie eine Frau einen Fremden ansehen würde, der sich herausgenommen hatte, sie am Arm zu berühren. Und wie mein Herz jubelte, als ich ihn ihren Blick ebenso kalt erwidern sah! »Ihr könnt zum Teufel gehen, alle beide. Was mich betrifft, ich gehe nach Omaha und mache da ein Modegeschäft auf. Das ist meine Vorstellung von fair.«
Dieses Gespräch fand in dem staubigen Hof zwischen Haus und Scheune statt, und ihre Idee von fair war das letzte Wort. Sie marschierte über den Hof, wobei sie mit ihren zierlichen Stadtschuhen kleine Staubwolken aufwirbelte, verschwand im Haus und knallte die Tür zu. Henry wandte sich mir zu. Er hatte Blut im Mundwinkel, und seine Unterlippe schwoll an. In seinem Blick lag die rohe, unverfälschte Wut, die nur Jugendliche empfinden können. Eine Wut ohne Rücksicht auf Verluste. Er nickte mir zu. Ich erwiderte sein Nicken ebenso ernst, aber in meinem Inneren grinste der Hinterhältige.
Jener Schlag ins Gesicht war ihr Todesurteil.
...
Übersetzung: Wulf Bergner
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
AN ALLE, DIE ES ANGEHT!
Mein Name ist Wilfred Leland James, und dies ist mein Geständnis. Im Juni 1922 habe ich meine Frau Arlette Christina Winters James ermordet und ihre Leiche versteckt, indem ich sie in einen alten Brunnen gekippt habe. Mein Sohn Henry Freeman James hat mir bei diesem Verbrechen geholfen, war aber mit 14 noch nicht strafmündig; ich habe ihn dazu verleitet, indem ich seine Ängste geschürt und seine verständlichen Einwände über einen Zeitraum von 2 Monaten hinweg niedergemacht habe. Das ist etwas, was ich aus Gründen, die dieses Schriftstück aufzeigen wird, sogar noch mehr bereue als mein Verbrechen.
Der Grund für mein Verbrechen und meine Verdammnis waren 40 Hektar gutes Land in Hemingford Home, Nebraska. Es wurde meiner Frau von ihrem Vater John Henry Winters vermacht. Ich wollte dieses Land unserer Farm zuschlagen, die im Jahr 1922 insgesamt 30 Hektar groß war. Meine Frau, die sich nie recht an das Leben auf einer Farm (oder als Farmersfrau) gewöhnen konnte, wollte es gegen bar an die Farrington Company verkaufen. Als ich sie fragte, ob sie wirklich im Windschatten eines Schweineschlachthauses von Farrington leben wolle, erklärte sie mir, wir könnten nicht nur das Land ihres Vaters, sondern gleich auch unsere Farm verkaufen - die Farm meines Vaters und seines Vaters vor ihm! Als ich sie fragte, was wir mit Geld, aber ohne Land anfangen sollten, sagte sie, wir könnten nach Omaha oder vielleicht sogar nach St. Louis ziehen und einen Laden aufmachen.
»Ich werde niemals in Omaha leben«, sagte ich. »Städte sind was für Dummköpfe.«
Eine Ironie des Schicksals, wenn man bedenkt, wo ich jetzt lebe, aber ich werde nicht mehr lange hier leben; das weiß ich so gut, wie ich weiß, was die Geräusche macht, die ich in den Wänden höre. Und ich weiß, wo ich mich wiederfinden werde, wenn dieses irdische Leben abgeschlossen ist. Ich frage mich nur, ob die Hölle schlimmer sein kann als die Stadt Omaha. Vielleicht ist sie die Stadt Omaha, nur nicht von gutem Land umgeben, sondern von einer rauchenden, nach Schwefel stinkenden Leere voller verlorener Seelen wie meiner.
Im Winter und im Frühjahr 1922 stritten wir uns erbittert wegen dieser 40 Hektar. Henry geriet ins Kreuzfeuer, neigte jedoch mehr zu meiner Auffassung; er ähnelte seiner Mutter, was ihr Aussehen betraf, aber mir in seiner Liebe zum Land. Er war ein fügsamer Junge, der nichts von der Überheblichkeit seiner Mutter an sich hatte. Immer wieder erklärte er ihr, er wolle weder in Omaha noch in irgendeiner anderen Stadt leben und werde nur mitgehen, wenn sie und ich uns einigten, was aber nie der Fall war.
Ich überlegte, ob ich mich an die Justiz wenden sollte, weil ich davon überzeugt war, jedes Gericht des Landes werde mein Recht bestätigen, als Ehemann über die zweckmäßige Verwendung dieses Stück Landes zu entscheiden. Etwas hielt mich jedoch zurück. Es war nicht die Angst, die Nachbarn könnten tratschen, den ländlichen Klatsch fürchtete ich überhaupt nicht; es war etwas anderes. Ich hatte sie nämlich hassen gelernt. Ich wünschte mir, sie wäre tot, und das hielt mich zurück.
Ich glaube, dass in jedem Mann ein weiterer Mann steckt: ein Fremder, ein hinterhältiger Kerl. Und ich glaube, dass der Hinterhältige in Farmer Wilfred James im März 1922, als der Himmel über der Hemingford County weiß und alle Felder mit Schnee gesprenkelte Schlammflächen waren, bereits sein Urteil über meine Frau gefällt und über ihr Schicksal entschieden hatte. Und es war ein Urteil von der Art, die unter schwarzen Baretten gesprochen wird. Bei Shakespeare heißt es, ein undankbares Kind nage schärfer als ein Schlangenzahn, aber eine nörgelnde und undankbare Ehefrau nagt noch viel schärfer.
Ich bin kein Ungeheuer; ich habe versucht, sie vor dem Hinterhältigen zu retten. Ich erklärte ihr, wenn wir uns nicht einigen könnten, solle sie zu ihrer Mutter nach Lincoln ziehen, das sechzig Meilen weiter westlich liegt - eine gute Entfernung für eine Trennung, die nicht ganz eine Scheidung ist, aber doch eine Auflösung der ehelichen Gemeinschaft signalisiert.
»Und dir das Land meines Vaters überlassen, meinst du?«, sagte sie und warf den Kopf zurück. Wie ich dieses kecke Kopfhochwerfen, das an ein schlecht dressiertes Pony erinnerte, und das Schnauben, von dem es stets begleitet wurde, hassen gelernt hatte! »Dazu kommt es nie, Wilf.«
Ich bot ihr an, ihr das Land abzukaufen, wenn sie darauf bestehe. Das würde einige Zeit dauern - acht Jahre, vielleicht zehn -, aber ich würde ihr jeden Cent zahlen.
»Kleine Einnahmen sind schlechter als gar keine«, antwortete sie (mit einem weiteren Schnauben und Kopfhochwerfen). »Das weiß jede Frau. Die Farrington Company zahlt alles auf einmal, und denen ihre Vorstellung von einem guten Preis ist bestimmt großzügiger als deine. Und in Lincoln will ich auf gar keinen Fall leben. Das ist keine Stadt, sondern bloß ein Kuhdorf mit mehr Kirchen als Häusern.«
Begreifen Sie meine Situation? Verstehen Sie nicht, in welche »Klemme« sie mich gebracht hat? Darf ich nicht wenigstens auf etwas Sympathie von Ihrer Seite hoffen? Nein? Dann hören Sie sich Folgendes an.
Anfang April jenes Jahres - meines Wissens auf den Tag genau vor acht Jahren - kam sie ganz fröhlich und heiter zu mir. Sie hatte den größten Teil des Tages im »Schönheitssalon« in McCook verbracht, und ihr Haar hing auf beiden Seiten ihres Gesichts in dicken Locken herab, die mich an die Klopapierrollen erinnerten, die man in Hotels und Gaststätten findet. Sie sagte, sie habe eine Idee. Wir sollten nicht nur die 40 Hektar, sondern tatsächlich auch die Farm an die Farrington Company verkaufen. Ihrer Überzeugung nach würde die beides kaufen, nur um das Stück Land ihres Vaters zu bekommen, das in der Nähe der Bahnlinie lag (und damit hatte sie wahrscheinlich recht).
»Dann«, sagte dieses freche Weibsbild, »können wir uns das Geld teilen, uns scheiden lassen und jeder für sich ein neues Leben beginnen. Dass du das willst, wissen wir beide.« Als ob das nicht auch ihr Wunsch gewesen wäre.
»Mhm«, sagte ich (als dächte ich ernsthaft über diese Idee nach). »Und bei wem von uns bleibt der Junge?«
»Natürlich bei mir«, sagte sie mit großen Augen. »Ein vierzehnjähriger Junge gehört zu seiner Mutter.«
Gleich am selben Tag fing ich an, Henry zu »bearbeiten«, indem ich ihm den neuesten Plan seiner Mutter schilderte. Wir waren gerade im Heuschober. Ich setzte mein traurigstes Gesicht auf, sprach mit meiner traurigsten Stimme und malte ihm aus, wie sein Leben aussehen würde, wenn seine Mutter diesen Plan verwirklichten dürfte: wie er weder Farm noch Vater haben würde, wie er sich ohne seine Freunde (die meisten aus früher Kindheit) in einer viel größeren Schule wiederfinden würde, wie er in dieser neuen Schule unter Fremden, die ihn auslachen und einen Bauernlümmel nennen würden, um seinen Platz würde kämpfen müssen. Andererseits, sagte ich, wenn wir das Anwesen nicht nur behalten, sondern vergrößern könnten, sei es meiner Überzeugung nach möglich, unsere Hypothek bei der Bank bis 1925 zu tilgen und glücklich und schuldenfrei zu leben und frische Luft zu atmen, statt von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu sehen, wie Schweinedärme unseren zuvor sauberen Bach hinuntertrieben. »Was willst du also?«, fragte ich, nachdem ich dieses Bild so detailreich ausgemalt hatte, wie ich nur konnte.
»Hier bei dir bleiben, Papa«, sagte er. Die Tränen liefen ihm nur so übers Gesicht. »Warum muss sie so ein ... so ein ... «
»Nur weiter«, sagte ich. »Wer die Wahrheit sagt, flucht nicht, mein Sohn.«
»So ein Miststück sein?«
»Weil die meisten Frauen so sind«, sagte ich. »Das ist ein tief sitzender Wesenszug von denen. Fragt sich nur, was wir dagegen tun wollen.«
Aber der Hinterhältige in mir hatte bereits an den alten Brunnen hinter dem Kuhstall gedacht, aus dem wir nur das Wasser fürs Vieh holten, weil er so seicht und schlammig war - bloß 7 Meter tief und kaum mehr als ein Siel. Es ging nur darum, Henry so weit zu bringen. Und ich musste es tun, das sehen Sie bestimmt ein; ich durfte zwar meine Frau umbringen, aber ich musste meinen wundervollen Sohn retten. Wozu nach 70 Hektar Land - oder tausend - streben, wenn man niemanden hat, mit dem man sie teilen, dem man sie vererben kann?
Ich gab vor, über Arlettes verrückten Plan nachzudenken, auf gutem Maisland ein Riesenschlachthaus für Schweine bauen zu lassen. Ich bat sie, mir Zeit zu geben, mich an diese Vorstellung zu gewöhnen. Sie war einverstanden. Und in den folgenden 2 Monaten bearbeitete ich Henry, gewöhnte ihn an eine ganz andere Vorstellung. Das war sogar leichter als gedacht; er hatte zwar das gute Aussehen seiner Mutter (das Aussehen einer Frau ist sozusagen der Honig, der Männer zum Bienenstock lockt, wo's dann Stiche setzt), aber nicht ihre gottserbärmliche Sturheit geerbt. Es war lediglich nötig, ihm auszumalen, wie sein Leben in Omaha oder St. Louis aussehen würde. Ich sprach die Möglichkeit an, dass selbst diese beiden übervölkerten Ameisenhaufen sie vielleicht nicht befriedigen würden; sie könnte beschließen, nur Chicago sei gut genug. »Dann«, sagte ich, »könntest du erleben, dass du mit schwarzen Niggern auf die Highschool gehen musst.«
Das Verhältnis zu seiner Mutter kühlte zusehends ab; nach einigen Bemühungen, seine Zuneigung wiederzugewinnen - alle unbeholfen, alle zurückgewiesen -, reagierte sie ebenso kalt. Ich (oder vielmehr der Hinterhältige) frohlockte darüber. Anfang Juni teilte ich ihr mit, nach reiflicher Überlegung sei ich entschlossen, sie diese 40 Hektar nie kampflos verkaufen zu lassen; wenn es nicht anders gehe, würde ich uns eben alle in Armut und Ruin stürzen.
Sie blieb ruhig. Sie beschloss, selbst juristischen Rat einzuholen (denn wie wir wissen, ist die Justiz jedermanns Freund, der sie bezahlt). Das hatte ich vorausgesehen. Und lächelte darüber! Sie konnte solchen Rat nämlich nicht bezahlen. Unterdessen hatte ich die Hand auf dem wenigen Bargeld, das wir besaßen. Henry übergab mir sogar sein Sparschwein, als ich es verlangte, damit sie nichts daraus stehlen konnte, so kümmerlich diese Quelle auch sein mochte. Sie suchte natürlich die Farrington Company in Deland auf, weil sie sich (wie ich selbst) sicher war, dass diese Leute, die so viel zu gewinnen hatten, ihr die Anwaltskosten vorstrecken würden.
»Sie werden's tun, und sie wird gewinnen«, erklärte ich Henry im Heuschober, in dem jetzt alle unsere Gespräche stattfanden. Ich war nicht völlig davon überzeugt, aber mein Entschluss, den ich noch nicht »einen Plan« nennen will, stand bereits fest.
»Aber das ist nicht fair, Papa!«, rief er aus. Wie er so im Heu saß, sah er sehr jung aus, eher wie 10 als 14.
»Das ist das Leben nie«, sagte ich. »Manchmal muss man sich einfach nehmen, was man haben muss. Auch wenn dabei jemand verletzt wird.« Ich machte eine Pause und musterte seinen Gesichtsausdruck. »Auch wenn dabei jemand stirbt.«
Er wurde leichenblass. »Papa!«
»Wäre sie weg«, sagte ich, »wäre wieder alles wie früher. Aller Streit würde aufhören. Wir könnten hier friedlich leben. Ich habe ihr alles Menschenmögliche geboten, damit sie geht, aber sie tut's nicht. Es gibt nur noch eine Sache, die ich tun kann. Die wir tun können.«
»Aber ich liebe sie! «
»Ich liebe sie auch«, sagte ich. Was sogar stimmte, auch wenn Sie's vielleicht nicht glauben werden. Der Hass, den ich im Jahr 1922 für sie empfand, war größer als der, den ein Mann für irgendeine Frau empfinden kann, wenn nicht Liebe im Spiel ist. Und obwohl Arlette verbittert und eigensinnig war, war sie von Natur aus warmherzig. Unsere »ehelichen Beziehungen« hatten nie aufgehört, obwohl unsere Handgemenge im Dunkeln seit dem Streit wegen der 40 Hektar immer mehr der Paarung brünstiger Tiere glichen.
»Es muss nicht wehtun«, sagte ich. »Und wenn's vorbei ist ... nun ... «
Ich ging mit ihm hinter die Scheune und zeigte ihm den Brunnen, wo er in bittere Tränen ausbrach. »Nein, Papa. Das nicht. Auf keinen Fall.«
Als sie dann aus Deland zurückkam (Harlan Cotterie, unser nächster Nachbar, hatte sie das größte Stück hingefahren, so dass sie nur noch zwei Meilen hatte gehen müssen) und Henry sie anflehte, »aufzuhören, damit wir einfach wieder eine Familie sein können«, geriet sie in Wut, schlug ihm ins Gesicht und forderte ihn auf, nicht wie ein Hund zu winseln.
»Dein Vater hat dich mit seinem Kleinmut angesteckt. Noch schlimmer, er hat dich mit seiner Geldgier angesteckt.«
Als ob sie von dieser Sünde frei gewesen wäre!
»Der Anwalt versichert mir, dass ich mit meinem Land tun kann, was mir gefällt, und ich werde es verkaufen. Was euch zwei betrifft, könnt ihr hier hocken und abgesengte Schweineborsten riechen und euer Essen selbst kochen und eure Betten selbst machen. Du, mein Sohn, kannst den ganzen Tag pflügen und die ganze Nacht seine ewigen Bücher lesen. Ihm haben sie wenig genützt, aber vielleicht kommst du ja besser damit klar. Wer weiß?«
»Mama, das ist nicht fair!«
Sie sah ihren Sohn an, wie eine Frau einen Fremden ansehen würde, der sich herausgenommen hatte, sie am Arm zu berühren. Und wie mein Herz jubelte, als ich ihn ihren Blick ebenso kalt erwidern sah! »Ihr könnt zum Teufel gehen, alle beide. Was mich betrifft, ich gehe nach Omaha und mache da ein Modegeschäft auf. Das ist meine Vorstellung von fair.«
Dieses Gespräch fand in dem staubigen Hof zwischen Haus und Scheune statt, und ihre Idee von fair war das letzte Wort. Sie marschierte über den Hof, wobei sie mit ihren zierlichen Stadtschuhen kleine Staubwolken aufwirbelte, verschwand im Haus und knallte die Tür zu. Henry wandte sich mir zu. Er hatte Blut im Mundwinkel, und seine Unterlippe schwoll an. In seinem Blick lag die rohe, unverfälschte Wut, die nur Jugendliche empfinden können. Eine Wut ohne Rücksicht auf Verluste. Er nickte mir zu. Ich erwiderte sein Nicken ebenso ernst, aber in meinem Inneren grinste der Hinterhältige.
Jener Schlag ins Gesicht war ihr Todesurteil.
...
Übersetzung: Wulf Bergner
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Stephen King
Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stephen King
- 2012, Erstmals im TB, 527 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Wulf Bergner
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453436342
- ISBN-13: 9783453436343
- Erscheinungsdatum: 05.04.2012
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