Das kalte Gift der Rache (ePub)
Claire Morgan Serie, Band 2
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Das kalte Gift der Rache von Linda LaddProlog
Der Erzengel Gabriel
Die Trauerfeier für die drei fand in einer unheimlichen, uralten Kirche in Missouri statt. Von den weißen Holzschindeln blätterte die Farbe, und in die Eingangstür hatte jemand ein großes Kreuz geschnitzt und dann blutrot angemalt. Im Kirchhof hing eine schwarze Glocke an einem Holzgestell. Als eine schwarz gekleidete Gestalt, so dürr wie eine Vogelscheuche, an dem langen Seil zog, wandte der kleine Waisenjunge in der vorderen Bankreihe den Blick zurück durch das offene Portal nach draußen. Das eindringlich langsame Geläut der Totenglocke klang dem Jungen gespenstisch und bedrohlich in den Ohren, und er erschauerte.
Hier war er weit entfernt von dem Ort, an dem er seine ersten zehn Lebensjahre verbracht hatte. Nicht einmal besuchsweise war er in jene entlegene, dicht bewaldete Bergwelt gekommen, in der seine Mama, sein Papa und seine kleine Schwester begraben werden sollten. Die alte Frau neben ihm, die seine Hand streichelte, war angeblich seine Großmutter, und er hatte sie nie zuvor gesehen. Sie roch eigenartig, staubig und muffig wie der dunkle Dachboden in seinem Elternhaus in Pittsburgh, wo weiße, klebrige Spinnweben von den Balken hingen, und sie saß noch dazu in einem alten Rollstuhl, dessen Räder beim Fahren quietschten. Nie wieder würde er nach Hause in diesen roten Backsteinbau zurückkehren. Und niemals mehr würde er seine Mama, seinen Papa und die kleine Katie wiedersehen. Sein Kopf tat ihm noch entsetzlich weh von dem grausigen Unfall, bei dem seine Familie zu Tode gekommen und er allein zurückgeblieben war. Die tiefe Wunde machte ihm noch immer zu schaffen, und er fasste sich an den weißen Gazeverband an seiner Stirn. Ein stechender Schmerz durchzuckte seine Schläfen bis hin zum Ohr. Er weinte und dachte an die furchtbaren Träume, die ihn
... mehr
seit seinem Erwachen im Hospital heimsuchten. Tränen liefen über seine Wangen. Sie schmeckten bitter und salzig.
Seine Großmutter bemerkte sein Weinen und legte ihm ihren Arm um die Schulter, aber er mochte es nicht, wenn diese merkwürdige alte Frau ihn so eng an sich drückte. Er mochte weder sie noch die grässliche Kirche noch all die schwarz gekleideten Leute um ihn herum, die ihn so anstarrten. Er liebte strahlende Farben und glückliche Menschen wie seine Mama mit ihrem langen rothaarigen Pferdeschwanz, der, wenn sie lief, hin und her baumelte.
Er fürchtete sich. Er war allein. Wäre er doch bloß auch gestorben bei diesem schrecklichen Autounfall. Hätte er doch auch, wie die Eltern, den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Zusammen mit Katie hatte er hinten gesessen, aber ihr Kindersitz hatte versagt, als ein betrunkener Mann in einem schwarzen Pick-up die Interstate 579 auf der Brücke über den Allegheny-Fluss gekreuzt und das Auto seiner Familie voll gerammt hatte. Keinen von ihnen hatte er jemals wiedergesehen.
Wochen später nun waren die beiden großen weißen Särge für alle Zeiten fest verschlossen. Seine kleine Schwester lag angeblich bei der Mutter im Sarg, und seine Großmutter sagte, Mama würde Katie ganz fest in ihren Armen halten, bis eine Engelschar heruntergeflogen käme, um sie heimzuholen in den Himmel. Verstohlen wandte der kleine Junge den Blick nach oben zu den Deckenbalken.
Ein altmodischer Ventilator drehte sich langsam, und der Luftzug ließ die weißen Lilien auf den Särgen erzittern. Süßer Blütenduft wehte heran. Die vor ihm aufgereihten dunkelblauen Gesangbücher rochen alt und muffig, und die Ventilatorblätter quietschten rhythmisch und schwankten, als drohten sie auf den Kopf des alten Priesters herunterzufallen. Er fragte sich, ob sie die Flügel der Engel verletzen könnten, wenn diese seine Familie heimholten, doch nicht einer erschien während der ganzen düsteren Zeremonie.
Vielleicht war ja seine Familie schon im Himmel angekommen, für immer weggeflogen, ohne ihn. Er hätte auch sterben sollen. Könnte er Auto fahren, würde er voll gegen einen Baum rasen und sich beeilen, die hoch in den Wolken fliegenden Engel mit seiner Familie einzuholen.
Der Priester hatte kurze graue Haare und eine blasse Haut mit vielen Runzeln und Falten, besonders um die Augen herum. Als er endlich fertig gepredigt hatte, wuchteten sechs Männer in dunklen Anzügen die beiden Kisten hoch und trugen sie nach draußen. Es war ein sonniger Spätsommertag, der 25. August, doch die Luft war feucht und schwer. Dem Jungen lief der Schweiß über den engen Kragen, und er zog daran. Wie er diese Sachen doch hasste, die seine Großmutter aus einer alten grünen Kleidertruhe im Kinderzimmer seines Papas hervorgekramt hatte.
Der schwarze Anzug roch genau wie die Großmutter, wie die weißen Mottenkugeln auf dem Boden der Truhe. Er hatte noch nie zuvor Mottenkugeln gesehen, und das ganze Haus seiner Großmutter sah aus wie das in Katies Rotkäppchenbuch. Es lag noch tiefer im Wald als die Kirche, und es gab dort Petroleumlampen und eine Handpumpe vor dem Küchenausguss. Alles Neumodische war seiner Großmutter verhasst, wie sie betonte, und sie war auch der Meinung, dass Gott niemals Menschen zu sich nehmen würde, die nur auf der faulen Haut lagen. Abends zündete sie Kerzen an und die Öllampe auf seinem Nachttisch. Sie erinnerte ihn an die Campingurlaube mit seinem Papa. Alles im Haus seiner Großmutter war irgendwie unheimlich, sogar sie selbst, aber sie hatte ihn in die Arme geschlossen, als der Sozialarbeiter ihn eines
Abends bei ihr abgeliefert hatte. Sie hatte unablässig geweint und
so laut geschluchzt, dass er sich davor fürchtete und verstummte.
Draußen folgten die Menschen auf einem Kiesweg den Särgen dorthin nach, wo sich zwei viereckige Gruben auftaten wie hungrige Münder. Flauschig grünes Moos bedeckte die schrundigen Grabsteine mit den Jahreszahlen 1809, 1896 und 1937 als Sterbedaten. Er fragte sich, wie alt wohl seine Großmutter war. Sie hatte tiefe Furchen im Gesicht, und ihre blauen Augen waren nicht so blau wie die von seinem Papa, sondern blasser, als wäre die Farbe ausgeblichen.
Er stand neben ihrem Rollstuhl und sah nicht hin, als sie die Särge hinunterließen; den Gedanken an seine Familie dort unten, über und über bedeckt mit dieser roten Erde, ertrug er nicht. Stattdessen beobachtete er ein Krabbeln in den schütteren weißen Haaren seiner Großmutter, eine winzig kleine Spinne oder so etwas. Er wollte sie herauszupfen, traute sich aber nicht. Plötzlich fühlte er sich so traurig, dass er nur noch losheulen wollte, fürchtete aber, nie mehr aufhören zu können, wenn er erst einmal anfing. Alle anderen standen schweigend und ernst da, sie wirkten in ihren schwarzen Kleidern wie eine Schar andächtiger Krähen.
»Komm jetzt, Kind, es ist vorbei«, flüsterte seine Großmutter, als der Priester seine große schwarze Bibel schloss. »Die Frauen aus der Gemeinde haben eine Feier anlässlich des Heimgangs deiner Familie zu den Engeln im Himmel vorbereitet. Mach dir keine Sorgen, sie sind an einem wunderbaren Ort, wo es weder Angst gibt noch Not oder Mühsal.«
Er grübelte über das Wort Mühsal nach, während die Menschen durch das Tor unter der großen Eiche defilierten. Ihre Schritte knirschten auf den herabgefallenen Früchten. Sie begannen zu reden und zu lachen, als wäre ein Bann gebrochen. Andere Kinder rannten herum, spielten Fangen oder Verstecken, während die Frauen Essen auftrugen, aber er hatte keinen Hunger und keine
Lust zu spielen. Sie starrten ihn an, und am liebsten wäre er weit weg von ihnen.
Plötzlich vermisste er seine Familie so sehr, besonders Mama, und er wollte Auf Wiedersehen sagen. Er warf einen prüfenden Blick zu seiner Großmutter. Sie war mit den anderen Frauen beschäftigt, und so schlich er sich zurück durch das quietschende Eisentor. Er wollte allein sein und sich in Ruhe ausweinen.
Die Gräber waren noch offen. In den daneben aufgetürmten Erdhaufen steckten Schaufeln. Er schaute hinunter in die dunklen Gruben und fragte sich, wie seine Mutter in ihrem Sarg aussah. Sie war wirklich hübsch gewesen, mit vielen Sommersprossen und einem warmen, schönen Lächeln. Weil niemand sie nach dem Unfall sehen durfte, nahm der an, dass sie jetzt fruchtbar aussah, aber er war froh, dass Katie in ihren Armen lag. Allein in einem Sarg hätte sich die kleine süße Katie nur gefürchtet, bis endlich die Engel kommen würden. Sein Papa fühlte sich sicher auch einsam in seinem Sarg, und er wünschte, er wäre jetzt bei ihm.
»Na, wen haben wir denn da? Was treibst du denn hier, Kleiner?«
Drei Jungen standen hinter ihm. Sie grinsten ihn an, aber nicht so, als wollten sie mit ihm spielen. Sie waren ungefähr so alt wie er, aber größer. Erschrocken entfernte er sich ein paar Schritte und stand zwischen den Gräbern seiner Eltern.
»Los, Freddy, wir schubsen ihn runter! Du willst doch zu deiner Mami, oder?«
Der Junge sah ängstlich in die dunklen Gruben hinunter. »Nein, bitte nicht, ich will nicht.«
»Hast wohl Angst, du feiges Muttersöhnchen!«
Einer der Jungen kam von hinten und gab ihm einen kräftigen Stoß. Er wäre beinahe gestürzt, fing sich aber kurz vor dem Grabrand. Die anderen Buben schubsten ihn feixend herum, während Freddy nach einer Schaufel griff und nach ihm stieß, bis er das Gleichgewicht verlor. Er ruderte verzweifelt mit den Armen, konnte sich jedoch nicht mehr halten, sondern stürzte in die Grube und landete mit einem schweren Schlag rücklings auf dem Sarg seiner Mutter. Ihm stockte der Atem, und er sah nach oben in den blauen Himmel. Die Gesichter der Jungen erschienen. Sie wirkten erschrocken. Dann lachte Freddy. »Los, wir beerdigen ihn! Schnappt euch 'ne Schaufel!«
Rote Erdklumpen prasselten auf ihn hernieder, und er schrie und sprang so hoch, wie er nur konnte, versuchte, irgendwo Halt zu finden. Aber die Erde an den Grabwänden zerbröckelte unter seinen Fingernägeln, und ihm war klar, er würde nie wieder herauskommen. Voller Verzweiflung kniete er auf dem Sarg nieder und legte die Hände über den Kopf, während seine Peiniger ihn mit Erde zuschaufelten, immer schneller und immer mehr, bis er hüfthoch darin steckte. Dann stoppte die Erdlawine abrupt, und ein erschrockener Schrei drang gedämpft herunter. Freddy faselte etwas von einem Engel Gabriel, und sie rannten weg. Dann war alles still.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010
by Verlagsgruppe Weltbild GmbH
Seine Großmutter bemerkte sein Weinen und legte ihm ihren Arm um die Schulter, aber er mochte es nicht, wenn diese merkwürdige alte Frau ihn so eng an sich drückte. Er mochte weder sie noch die grässliche Kirche noch all die schwarz gekleideten Leute um ihn herum, die ihn so anstarrten. Er liebte strahlende Farben und glückliche Menschen wie seine Mama mit ihrem langen rothaarigen Pferdeschwanz, der, wenn sie lief, hin und her baumelte.
Er fürchtete sich. Er war allein. Wäre er doch bloß auch gestorben bei diesem schrecklichen Autounfall. Hätte er doch auch, wie die Eltern, den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Zusammen mit Katie hatte er hinten gesessen, aber ihr Kindersitz hatte versagt, als ein betrunkener Mann in einem schwarzen Pick-up die Interstate 579 auf der Brücke über den Allegheny-Fluss gekreuzt und das Auto seiner Familie voll gerammt hatte. Keinen von ihnen hatte er jemals wiedergesehen.
Wochen später nun waren die beiden großen weißen Särge für alle Zeiten fest verschlossen. Seine kleine Schwester lag angeblich bei der Mutter im Sarg, und seine Großmutter sagte, Mama würde Katie ganz fest in ihren Armen halten, bis eine Engelschar heruntergeflogen käme, um sie heimzuholen in den Himmel. Verstohlen wandte der kleine Junge den Blick nach oben zu den Deckenbalken.
Ein altmodischer Ventilator drehte sich langsam, und der Luftzug ließ die weißen Lilien auf den Särgen erzittern. Süßer Blütenduft wehte heran. Die vor ihm aufgereihten dunkelblauen Gesangbücher rochen alt und muffig, und die Ventilatorblätter quietschten rhythmisch und schwankten, als drohten sie auf den Kopf des alten Priesters herunterzufallen. Er fragte sich, ob sie die Flügel der Engel verletzen könnten, wenn diese seine Familie heimholten, doch nicht einer erschien während der ganzen düsteren Zeremonie.
Vielleicht war ja seine Familie schon im Himmel angekommen, für immer weggeflogen, ohne ihn. Er hätte auch sterben sollen. Könnte er Auto fahren, würde er voll gegen einen Baum rasen und sich beeilen, die hoch in den Wolken fliegenden Engel mit seiner Familie einzuholen.
Der Priester hatte kurze graue Haare und eine blasse Haut mit vielen Runzeln und Falten, besonders um die Augen herum. Als er endlich fertig gepredigt hatte, wuchteten sechs Männer in dunklen Anzügen die beiden Kisten hoch und trugen sie nach draußen. Es war ein sonniger Spätsommertag, der 25. August, doch die Luft war feucht und schwer. Dem Jungen lief der Schweiß über den engen Kragen, und er zog daran. Wie er diese Sachen doch hasste, die seine Großmutter aus einer alten grünen Kleidertruhe im Kinderzimmer seines Papas hervorgekramt hatte.
Der schwarze Anzug roch genau wie die Großmutter, wie die weißen Mottenkugeln auf dem Boden der Truhe. Er hatte noch nie zuvor Mottenkugeln gesehen, und das ganze Haus seiner Großmutter sah aus wie das in Katies Rotkäppchenbuch. Es lag noch tiefer im Wald als die Kirche, und es gab dort Petroleumlampen und eine Handpumpe vor dem Küchenausguss. Alles Neumodische war seiner Großmutter verhasst, wie sie betonte, und sie war auch der Meinung, dass Gott niemals Menschen zu sich nehmen würde, die nur auf der faulen Haut lagen. Abends zündete sie Kerzen an und die Öllampe auf seinem Nachttisch. Sie erinnerte ihn an die Campingurlaube mit seinem Papa. Alles im Haus seiner Großmutter war irgendwie unheimlich, sogar sie selbst, aber sie hatte ihn in die Arme geschlossen, als der Sozialarbeiter ihn eines
Abends bei ihr abgeliefert hatte. Sie hatte unablässig geweint und
so laut geschluchzt, dass er sich davor fürchtete und verstummte.
Draußen folgten die Menschen auf einem Kiesweg den Särgen dorthin nach, wo sich zwei viereckige Gruben auftaten wie hungrige Münder. Flauschig grünes Moos bedeckte die schrundigen Grabsteine mit den Jahreszahlen 1809, 1896 und 1937 als Sterbedaten. Er fragte sich, wie alt wohl seine Großmutter war. Sie hatte tiefe Furchen im Gesicht, und ihre blauen Augen waren nicht so blau wie die von seinem Papa, sondern blasser, als wäre die Farbe ausgeblichen.
Er stand neben ihrem Rollstuhl und sah nicht hin, als sie die Särge hinunterließen; den Gedanken an seine Familie dort unten, über und über bedeckt mit dieser roten Erde, ertrug er nicht. Stattdessen beobachtete er ein Krabbeln in den schütteren weißen Haaren seiner Großmutter, eine winzig kleine Spinne oder so etwas. Er wollte sie herauszupfen, traute sich aber nicht. Plötzlich fühlte er sich so traurig, dass er nur noch losheulen wollte, fürchtete aber, nie mehr aufhören zu können, wenn er erst einmal anfing. Alle anderen standen schweigend und ernst da, sie wirkten in ihren schwarzen Kleidern wie eine Schar andächtiger Krähen.
»Komm jetzt, Kind, es ist vorbei«, flüsterte seine Großmutter, als der Priester seine große schwarze Bibel schloss. »Die Frauen aus der Gemeinde haben eine Feier anlässlich des Heimgangs deiner Familie zu den Engeln im Himmel vorbereitet. Mach dir keine Sorgen, sie sind an einem wunderbaren Ort, wo es weder Angst gibt noch Not oder Mühsal.«
Er grübelte über das Wort Mühsal nach, während die Menschen durch das Tor unter der großen Eiche defilierten. Ihre Schritte knirschten auf den herabgefallenen Früchten. Sie begannen zu reden und zu lachen, als wäre ein Bann gebrochen. Andere Kinder rannten herum, spielten Fangen oder Verstecken, während die Frauen Essen auftrugen, aber er hatte keinen Hunger und keine
Lust zu spielen. Sie starrten ihn an, und am liebsten wäre er weit weg von ihnen.
Plötzlich vermisste er seine Familie so sehr, besonders Mama, und er wollte Auf Wiedersehen sagen. Er warf einen prüfenden Blick zu seiner Großmutter. Sie war mit den anderen Frauen beschäftigt, und so schlich er sich zurück durch das quietschende Eisentor. Er wollte allein sein und sich in Ruhe ausweinen.
Die Gräber waren noch offen. In den daneben aufgetürmten Erdhaufen steckten Schaufeln. Er schaute hinunter in die dunklen Gruben und fragte sich, wie seine Mutter in ihrem Sarg aussah. Sie war wirklich hübsch gewesen, mit vielen Sommersprossen und einem warmen, schönen Lächeln. Weil niemand sie nach dem Unfall sehen durfte, nahm der an, dass sie jetzt fruchtbar aussah, aber er war froh, dass Katie in ihren Armen lag. Allein in einem Sarg hätte sich die kleine süße Katie nur gefürchtet, bis endlich die Engel kommen würden. Sein Papa fühlte sich sicher auch einsam in seinem Sarg, und er wünschte, er wäre jetzt bei ihm.
»Na, wen haben wir denn da? Was treibst du denn hier, Kleiner?«
Drei Jungen standen hinter ihm. Sie grinsten ihn an, aber nicht so, als wollten sie mit ihm spielen. Sie waren ungefähr so alt wie er, aber größer. Erschrocken entfernte er sich ein paar Schritte und stand zwischen den Gräbern seiner Eltern.
»Los, Freddy, wir schubsen ihn runter! Du willst doch zu deiner Mami, oder?«
Der Junge sah ängstlich in die dunklen Gruben hinunter. »Nein, bitte nicht, ich will nicht.«
»Hast wohl Angst, du feiges Muttersöhnchen!«
Einer der Jungen kam von hinten und gab ihm einen kräftigen Stoß. Er wäre beinahe gestürzt, fing sich aber kurz vor dem Grabrand. Die anderen Buben schubsten ihn feixend herum, während Freddy nach einer Schaufel griff und nach ihm stieß, bis er das Gleichgewicht verlor. Er ruderte verzweifelt mit den Armen, konnte sich jedoch nicht mehr halten, sondern stürzte in die Grube und landete mit einem schweren Schlag rücklings auf dem Sarg seiner Mutter. Ihm stockte der Atem, und er sah nach oben in den blauen Himmel. Die Gesichter der Jungen erschienen. Sie wirkten erschrocken. Dann lachte Freddy. »Los, wir beerdigen ihn! Schnappt euch 'ne Schaufel!«
Rote Erdklumpen prasselten auf ihn hernieder, und er schrie und sprang so hoch, wie er nur konnte, versuchte, irgendwo Halt zu finden. Aber die Erde an den Grabwänden zerbröckelte unter seinen Fingernägeln, und ihm war klar, er würde nie wieder herauskommen. Voller Verzweiflung kniete er auf dem Sarg nieder und legte die Hände über den Kopf, während seine Peiniger ihn mit Erde zuschaufelten, immer schneller und immer mehr, bis er hüfthoch darin steckte. Dann stoppte die Erdlawine abrupt, und ein erschrockener Schrei drang gedämpft herunter. Freddy faselte etwas von einem Engel Gabriel, und sie rannten weg. Dann war alles still.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010
by Verlagsgruppe Weltbild GmbH
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Autoren-Porträt von Linda Ladd
Linda Ladd ist die erfolgreiche Autorin nervenaufreibender Psychothriller. Seit 1984 hat sie 21 Romane veröffentlicht, die Gesamtauflage ihrer Titel umfasse mehr als drei Millionen Exemplare. Linda Ladd hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Missouri.
Bibliographische Angaben
- Autor: Linda Ladd
- 2013, 345 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3863657144
- ISBN-13: 9783863657147
- Erscheinungsdatum: 19.02.2013
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- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.73 MB
- Mit Kopierschutz
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